Erster Band.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bibliograph und Literarhistoriker, geb. 31. Jan. 1814 in Grimma, gest. 27. Aug. 1885 in Wackerbarthsruhe bei Dresden, studierte in Leipzig unter Hermann Philologie und lief; sich dann in Dresden nieder, wo er 1843 zum Bibliothekar des Königs, 1848 zum Inspektor des Münzkabinetts, 1861 zum Direktor der Porzellansammlung und 1864 zum Direktor des Grünen Gewölbes mit dem Hofratstitel ernannt wurde. Er trat 1882 in den Ruhestand. Sein »Lehrbuch einer allgemeinen Literaturgeschichte aller bekannten Völker der Welt« (Leipz. 1837–60, 4 Bde. in 13 Abtlgn.) war durch die Fülle bibliographischer Nachweisungen und die Masse des zusammengetragenen Stoffes ein seltenes Denkmal deutschen Sammlerfleißes, behandelte jedoch die Literatur mehr vom bibliographischen als vom historischen Standpunkt aus. Einen Auszug daraus mit berichtigender Umarbeitung gab er als »Handbuch der allgemeinen Literaturgeschichte« (Dresden 1844–50, 4 Bde.) heraus. Rein bibliographische Arbeiten sind: die »Bibliotheca magica« (Leipz. 1843); die »Bibliotheca psychologica« (das. 1845) und der »Trésor des livres« (Dresd. 1857–67, 6 Bde.; Suppl. 1869). Von seinen Forschungen über die Sagen des Mittelalters sind außer der Übersetzung der »Gesta Romanorum« (Dresd. 1842, 2 Bde.; Neudruck, Leipz. 1904) und der kritischen Ausgabe der »Legenda aurea« des Jarobus a Voragine (Dresd. 1846) zu nennen: »Die Sage von dem ewigen Juden« (das. 1844), »Die Sage vom Ritter Tannhäuser« (das. 1846; 2. Aufl. u. d. T.: »Der Tannhäuser und ewige Jude«, 1861), »Beiträge zur Literatur und Sage des Mittelalters« (das. 1850), »Sagenschatz des Königreichs Sachsen« (das. 1855, 2. Aufl. 1874), »Sagenbuch des preußischen Staats« (Glog. 1866–71, 2 Bde.) und »Geschlechts-, Namen- und Wappensagen des Adels deutscher Nation« (Dresd. 1876). Er schrieb ferner: »Handbuch der alten Numismatik« (Leipz. 1853); »Beiträge zur Geschichte der Gefäßbildnerei« (Dresd. 1853); »Guide de l'amateur de porcelaines et de poteries« (das. 1864, 9. Aufl. 1901); »Guide de l'amateur d'objets d'art et de curiosité« (das. 1871, 2. Aufl. 1876); »Beschreibender Katalog des Grünen Gewölbes« (5. Aufl. 1881) und »der königlichen Porzellansammlung« (1873). Weitere Werke von G. sind: die Märchensammlung »Nord und Süd« (Dresd. 1858, mit Asbjörnson); »Jägerbrevier« (das. 1857; 2. Aufl., Wien 1869); »Jägerhörnlein« (Dresd. 1861); »Hubertusbrüder« (Wien 1875); »Des deutschen Landmanns Practica« (Dresd. 1859); »Orbis latinus, Verzeichnis der lateinischen Benennungen der bekanntesten Städte etc.« (das. 1861); »Bierstudien. Ernst und Scherz, Geschichte des Bieres und seiner Verbreitung« (das. 1872); »Die Quelle des Freischütz« (das. 1875); »Sachsens Fürsten aus dem Hause Wettin« (das. 1876) u. a.

 

 

 

Eine Sage ist im allgemeinen alles, was gesagt und von Mund zu Mund weiter erzählt wird, also soviel wie Gerücht; im engeren Sinn eine im Volke mündlich fortgepflanzte Erzählung von irgendeiner Begebenheit. Knüpft sich die S. an geschichtliche Personen und Handlungen, indem sie die im Volke fortlebenden Erinnerungen an geschichtliche Zustände, Persönlichkeiten, dunkel gewordene Taten zu vollständigen Erzählungen ausbildet, so entsteht die geschichtliche S. und, sofern sie sich auf die alten Helden des Volkes erstreckt, die Heldensage; sind aber die Götter mit ihren Zuständen, Handlungen und Erlebnissen Gegenstand der S., so entsteht die Göttersage oder der Mythus (s. Mythologie) und auf dem Gebiet monotheistischer dogmatischer Religion die Legende (s. d.). Hastet die Erzählung an bestimmten Örtlichkeiten, so spricht man von örtlichen Sagen. Noch eine Sagengattung bildet endlich die Tiersage, die von dem Leben und Treiben der Tiere, und zwar fast ausschließlich der ungezähmten, berichtet, die man sich mit Sprache und Denkkraft ausgerüstet vorstellt. Ost hat sich um eine besonders bevorzugte Persönlichkeit, wie z. B. König Artus, Dietrich von Bern, Attila, Karl d. Gr. etc., und deren Umgebung eine ganze Menge von Sagen gelagert, die nach Ursprung und Inhalt sehr verschieden sein können, aber doch unter sich in Zusammenhang stehen, und es bilden sich dadurch Sagenkreise, wie deren im Mittelalter in germanischen wie romanischen Ländern mehrere bestanden und zahlreiche Epen hervorgerufen haben (vgl. Heldensage). Die echte S. erscheint somit als aus dem Drang des dichterischen Volksgeistes entsprungen. Wie alle Volkspoesie blüht sie am prächtigsten in der ältern Zeit, aber auch bei höherer Kultur verstummt sie nicht ganz; vielmehr ist der Volksgeist noch heute tätig, bedeutende Vorgänge und Persönlichkeiten mit dem Schmuck der S. zu umkleiden. Die Anknüpfung an ein gewisses Wirkliches ist hauptsächlich das Merkmal, das die S. vom Märchen (s. d.) unterscheidet. Wie das Märchen, liebt sie das Wunderbare und Übernatürliche, obwohl es ihr nicht unentbehrlich ist. Am häufigsten heftet sie sich an Burg- und Klosterruinen, an Quellen, Seen, an Klüfte, an Kreuzwege etc., und zwar findet sich ein und dieselbe S. nicht selten an mehreren Orten wieder. Um die Erhaltung der deutschen S. haben sich zuerst die Brüder Grimm verdient gemacht durch ihre reiche Sammlung: »Deutsche Sagen« (Berl. 1816–18, 2 Bde.; 3. Aufl. 1891). Nächst diesen sind die Sammlungen von A. Kuhn und Schwartz (»Norddeutsche Sagen«, Leipz. 1848), J. W. Wolf (»Deutsche Märchen und Sagen«, das. 1845), Panzer (»Bayrische Sagen«, Münch. 1848, 2 Bde.), Grässe (»Sagenbuch des preußischen Staats«, Glogau 1871) und Klee (Gütersloh 1885) als besonders reichhaltige Quellen zu nennen. Als Sammler von Sagen einzelner Länder, Gegenden und Örtlichkeiten waren außerdem zahlreiche Forscher tätig, so für Mecklenburg: Studemund (1851), Niederhöffer (1857) und Bartsch (1879); für Pommern und Rügen: U. Jahn (2. Aufl. 1890), Haas (Rügen 1899, Usedom u. Wollin 1903); für Schleswig-Holst ein: Müllenhoff (1845); für Niedersachsen: Harrys (1840), Schambach und Müller (1855); für Hamburg: Beneke (1854); für Lübeck: Deecke (1852); für Oldenburg: Strackerjan (1868); für den Harz: Pröhle (2. Aufl. 1886); für Mansfeld: Giebel hausen (1850); für Westfalen: Kuhn (1859) und Krüger (1845), Weddigen und Hartmann (1884); für die Altmark: Temme (1839); für Brandenburg: Kuhn (1843) und W. Schwartz (4. Aufl. 1903); für Sachsen: Grässe (1874) und A. Meiche (1903); für das Vogtland: Köhler (1867) und Eifel (1871); für das Erzgebirge: J. A. Köhler (1886); für die Lausitz: Haupt (1862) und Gander (1894); für Thüringen: Bechstein (1835, 1898), Börner (Orlagau, 1838), Sommer (1846), Wucke (Werragegend, 1864), Witzschel (1866), Richter (1877); für Schlesien. Kern (1867), Philo vom Walde (1333); für Ostpreußen etc.: Tettau (183f) und Reusch (Samland, 1863); für Posen: Knoop (1894); für den Rhein: Simrock (9. Aufl. 1883), Geib (3. Aufl. 1858), Kiefer (4. Aufl. 1876), Kurs (1881), Schell (Bergische S., 1897), Hessel (1904); für Luxemburg: Steffen (1853) und Warker (1894); für die Eifel: P. Stolz (1888); für Franken etc.: Bechstein (1842), Janssen (1852), Heerlein (Spessart, 2. Aufl. 1885), Enslin (Frankfurt 1856), Kaufmann (Mainz 1853); für Hessen: Kant (1846), Wolf (1853), Lynker (1854), Bindewald (1873), Hessler (1889); für Bayern: Maßmann (1831), Schöppner (1851–1853), v. Leoprechting (Lechrain, 1855), Schönwerth (Oberpfalz, 1858), Sepp (1876), Haushofer (1890); für Schwaben: Meier (1852) und Birlinger (1861–1862), Reiser (Algäu, 1895); für Baden: Baader (1851), Schönhut (1861–65), Waibel und Flamm (1899); für das Elsaß: August St ob er (1852, 1895), Lawert (1861), Hertz (1872); für die Niederlande: Wolf (1843), Welters (1875–76); für Rumänien: Schuller (1857); für die Schweiz: Rochholz (1856), Lütolf (1862), Herzog (1871, 1882); für Tirol. [417] Meyer (2. Aufl. 1884), Zingerle (1859), Schneller (1867), Gleirscher (1878), Heyl (1897); für Vorarlberg: Vonbun (1847 u. 1890); für Österreich: Bechstein (1846), Gebhart (1862), Dreisauff (1879), Leed (Niederösterreich, 1892); für Mähren: Schüller (1888); für Kärnten: Rappold (1887); für Steiermark: Krainz (1880), Schlossar (1881); für Böhmen: Grohmann (1863), Gradl (Egerland, 1893); für die Alpen: Vernaleken (1858), Alpenburg (1861) und Zillner (Untersberg, 1861); für Siebenbürgen: Müller (2. Aufl. 1885), Haltrich (1885). Die Sagen Islands sammelten Maurer (1860) und Poestion (1884), der Norweger: Asbjörnson (deutsch 1881), der Südslawen: Krauß (1884), der Litauer: Langkusch (1879) und Veckenstedt (1883), der Esten: Jannsen (1888), der Lappländer: Poestion (1885), der Russen: Goldschmidt (1882), der Armenier: Chalatianz (1887), die der Indianer Amerikas: Amara George (1856), Knortz (1871), Boas (1895); indische Sagen Beyer (1871), japanische Brauns (1884), altfranzösische A. v. Keller (2. Aufl. 1876); deutsche Pflanzensagen Perger (1864), die deutschen Kaisersagen Falkenstein (1847), Nebelsagen Laistner (1879) etc. Die Sagen bilden mit den im Volk umlaufenden Märchen, Legenden, Sprichwörtern etc. den Inhalt der Volkskunde (s. d.), die seit neuerer Zeit Gegenstand reger wissenschaftlicher Forschung ist. Vgl. L. Bechstein, Mythe, S., Märe und Fabel im Leben und Bewußtsein des deutschen Volkes (Leipz. 1854, 3 Tle.); J. Braun, Die Naturgeschichte der S. (Münch. 1864–65, 2 Bde.); Uhland, Schriften zur Geschichte und S., Bd. 1 u. 7 (Stuttg. 1865–68); Henne am Rhyn, Die deutsche Volkssage im Verhältnis zu den Mythen aller Völker (2. Aufl., Wien 1879); v. Bayder, Die deutsche Philologie im Grundriß (Paderb. 1883); Paul, Grundriß der germanischen Philologie, Bd. 2, 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901) und die Bibliographie in der »Zeitschrift des Vereins für Volkskunde«; Grünbaum, Gesammelte Aufsätze zur Sprach- und Sagenkunde (Berl. 1901).

 

 

 

Vorwort.

 

Wenn das vorliegende Buch erst in diesem Jahre zur Hälfte mit dem Schlusse des ersten Bandes beendigt worden ist, so liegt der Grund weniger an dem Verfasser und Verleger, sondern einmal darin, daß das vorige Jahr eine durch die Verhältnisse nothwendig gewordene Unterbrechung herbeiführte, dann aber auch darin, daß der Verfasser stets auf Unterstützung von fremder Hand rechnete. Wir haben sowohl in Zeitungen als auf den Umschlägen der einzelnen Lieferungen wiederholt die Freunde der Sagenliteratur aus den Gegenden, welche unser Buch vor Augen hat, um Beiträge ersucht, da es absolut unmöglich ist, selbst bei der größten Belesenheit eine auch nur annähernde Vollständigkeit zu erreichen, allein leider umsonst; ein einziger Herr, ein Dresdener Sagenfreund, Herr G. Martius, hat mir eine Anzahl Notizen zukommen lassen, die ich jedoch nur für die am Schlusse des 2. Bandes zu gebenden kurzen Nachträge benutzen konnte, sonst habe ich von keiner Seite auch nur die geringste Beihilfe erhalten. Dies hat mich um so mehr befremdet, als bei meinem Sächsischen Sagenbuch ich wenigstens aus einigen Theilen des Landes Mittheilungen erhielt. Das Königreich Preußen aber ist ein so großer Staat, seine Bewohner haben stets so viel Patriotismus gezeigt, daß man eigentlich hätte erwarten sollen, der oder jener würde im Interesse der Sage sein Scherflein beitragen, um ein Buch, das gewissermaßen den Kern dessen, was uns aus der sagenhaften Vorzeit seines Vaterlandes übrig ist, enthalten soll, möglichst vollkommen zu machen. Allein sei es, daß meine Bitte nicht an den rechten Mann gekommen ist, sei es, daß sie übersehen wurde, sie blieb bis jetzt unerfüllt und ich muß mich darauf beschränken, sie hier nochmals dringend auszusprechen und alle Freunde der preußischen Vorzeit ganz ergebenst aufzufordern, wenigstens für den zweiten Theil des Buches, der den Rhein, das eigentliche Preußen, Schlesien, Pommern und Posen umfassen wird, mich mit Mittheilungen, seien sie auch noch so unbedeutend, zu erfreuen. Ich werde auch das kleinste Körnlein dankbar aufheben und nach bestem Wissen zu benutzen suchen. Allein auch für die bereits bearbeiteten Provinzen (die Marken, Sachsen und Thüringen, der Harz und Westphalen) werde ich etwaige mir noch zugehende Berichtigungen und Mittheilungen dankbar annehmen und am Schlusse des Ganzen unter den Nachträgen zu verwerthen suchen.

Um nun auf mein Buch selbst zurückzukommen, so wird Jeder, der einen auch nur oberflächlichen Blick darauf wirft, sofort erkennen, welchen Zweck der Herr Verleger im Auge hatte, als er die Abfassung desselben dem unterzeichneten Verfasser übertrug. Er wollte dem preußischen Volke eine Sammlung der besten und interessantesten Sagen aus der Vorzeit übergeben und durch populäre Einkleidung sie zum eigentlichen Eigenthum desselben machen. Es mußte also jede gelehrte oder nur für wissenschaftliche Zwecke berechnete Einkleidung oder Anordnung der Stoffe vermieden werden. Aus demselben Grunde mußte Vieles wegbleiben, was sonst unbedingt hier hätte aufgenommen werden müssen, aber ebenso einzelne Sagendarstellungen mitgetheilt werden, welche dem kritischen Auge des deutschen Alterthumsforschers bedenklich erscheinen dürften; das größere Publikum macht andere Ansprüche als der gelehrte Sagenforscher, der höhere Zwecke als die der bloßen Unterhaltung verfolgt. Ich habe indeß möglichst versucht, den wissenschaftlichen Standpunkt festzuhalten und bin nach demselben Plane verfahren, der mir bei meinem ähnlichen Werke über Sachsen vorgezeichnet war. Ich bitte also, daß von Seiten der Kritik bei Beurtheilung meines Buches hierauf gefälligst Rücksicht genommen und nicht Anforderungen an meine Arbeit gestellt werden, welche selbstverständlich die Tendenz derselben ausschließen mußte. Indeß werde ich am Schlusse, wenn mir Raum übrig bleibt, in beizugebenden Zusätzen, wenigstens was Sagenvergleichung angeht, auch nach Möglichkeit den Ansprüchen des gegenwärtigen Standes der Sagenforschung gerecht zu werden suchen.

Die von mir benutzten Quellen, Chroniken, Städtegeschichten, topographischen Werke, Legendensammlungen etc. habe ich gewissenhaft citirt und habe nie versäumt, diejenigen neueren speziellen preußischen Sagensammlungen, aus denen ich einzelne Partien in diese meine Gesammtcollection aufgenommen habe, als primäre Quellen zu nennen. Mündliche Mittheilungen, die mir sehr willkommen gewesen wären, habe ich eben leider, wie bemerkt, nicht erhalten.

Es versteht sich wohl von selbst, daß der Umfang des Buches selbst es verbot, alle mir etwa bekannt gewordenen Sagen einer Provinz aufzunehmen, ich konnte nur auswählen. Dies wird mich bei dem Leser entschuldigen, wenn er diese oder jene ihm vorzugsweise liebgewordene Sage vermissen sollte. Hauptsachen glaube ich nicht vergessen zu haben, wenigstens habe ich die mir bekannten Quellen sämmtlich fleißig studirt, allein, wie gesagt, absolute Vollständigkeit war eben nicht möglich.

Ich hoffe, daß der zweite Band, der den Schluß des Ganzen enthalten soll, nicht so lange auf sich warten lassen soll als der erste, und bitte nur die geehrten Leser, das was ich ihnen bieten konnte, nachsichtsvoll aufzunehmen.

 

Dresden, 25. August 1867.

Der Verfasser.

 

Die Sagen des Hauses Hohenzollern

 

 

 

In der Mittelmark an der Havel, etwa zwei Meilen von Potsdam, liegt das jetzige Schloß und Amt Lehnin; dasselbe war ehedem ein berühmtes Kloster, in welchem mehrere Chur- und Markgrafen von Brandenburg begraben liegen. Daselbst lebte einst ein durch seinen heiligen Wandel und seine Gelehrsamkeit hochberühmter Mönch (zwischen 1272-1339), Namens Hermann, der in schlechten lateinischen Reimversen die künftigen Schicksale seines Klosters besang und dabei natürlich auch das Schicksal aller folgenden preußischen Fürsten mit berührte, insoweit dasselbe mit der Zukunft des Klosters in Verbindung stand und von demselben abhing. Ueber die Geschichte dieser Prophezeiung giebt es nun aber zwei verschiedene Berichte. Nach dem einen wäre dieselbe bei der Einziehung des gedachten Klosters (1542) in fremde Hände gerathen, bis der Churbrandenburgische Rath, Erasmus von Seidel, der durch seine glückliche Vertheidigung der Jülich'schen Erbfolge für das Churbrandenburgische Haus in ihren Besitz gelangte und sie als geheimen Schatz in seinem Hause verwahrte und erst gegen das Ende der Regierung des Churfürsten Friedrich Wilhelm Andern mittheilte. Eine andere Sage erzählt, diese Prophezeiung sei in den letzten Jahren des genannten Churfürsten, als derselbe einst in das auf der Stelle des verfallenen Klosters erbaute Schloß gekommen, um sich in der Umgebung desselben mit der Reiherbeitze zu belustigen, daselbst in einer alten Mauer aufgefunden worden. Aus dieser Handschrift ist die Prophezeiung dann zuerst von dem bekannten Königsberger Theologen Mich. Lilienthal im II. Theile seines Gelehrten Preußens (Th. IV. S. 286 etc.) durch den Druck bekannt und später von einem gewissen Zoroaster mit einer deutschen metrischen Uebersetzung begleitet unter folgendem Titel herausgegeben worden:

Der Preußische Wahrsager, das ist: Bruder Hermanns von Lehnin wundersame Propheceyungen von den Regenten des Chur-Fürstlichen Hauses Brandenburg und Königreichs Preußen, und deren Besteigung des Kayserlichen Thrones; nebst verschiedener die Europäischen Staaten betreffenden theils raren theils merkwürdigen Prognosticis, aus geheimen Nachrichten und Urkunden sorgfältig zusammen getragen und der curieusen Welt zur Beurtheilung getreulich mitgetheilt von Zoroaster. o.D. 1741. in 4°.

Seit dieser Zeit sind verschiedene Ausgaben dieser merkwürdigen Schriftstücke erschienen, die zum Theil unter sich etwas verschieden sind; wir lassen hier die alte Uebersetzung des schon genannten Zoroaster folgen:

 

 Bruder Hermanns von Lehnin wundersame Propheceyung von den Regenten des Chur-Fürstlichen Hauses Brandenburg, abgefaßt im Jahre Christi 1306.

 

 Nun will ich dir, Lehnin! dein künftig Schicksal sagen,

 Das mir der Herr der Welt selbst angezeiget hat.

 Denn ob du gleich itzund wie eine Sonne glänzest,

 Und ein unsträfliches und heiligs Leben führst,

 Auch keinen Mangel spürst an Ruh und Wohlergehen;

 So kömmt doch eine Zeit, die dich wird anders sehen,

 Da du kaum was wirst sein, wo nur nicht gar vergehen.

 Das Volck, das dich gebaut, hat allzeit dich geliebet.

 Mit diesem fühlst du auch, und bist nicht mehr so lieb.

 Nun hebt sich bald drauf an die höchstbetrübte Stunde,

 Darinn Ottonis Stamm auch gänzlich geht zu Grunde,

 Dieweil kein eintziger Sohn von selbem überbleibt.

 Da fällst du nun zuerst, jedoch nicht gar zu Boden.

 Indessen wird die Marck viel schwere Drangsal leiden,

 Denn Otton's Wohnung nimmt die Brut der Löwen ein,

 Da wird der rechte Erb' alsdann verstoßen sein.

 Wenn fremde Völcker sich biß nach Corin begeben,

 Wird ihren Stoltz gar bald der schlaue Kayser heben.

 Doch wird ob diesem Schutz die Marck sich wenig freun.

 Der königliche Löw' wird wieder abwärts gehen,

 Und dieses Land nicht mehr die rechten Herren sehen.

 Viel Herrscher machen dann dem Lande große Pein.

 Der reiche Adel wird die Bürger unterdrücken,

 Und manchen Geistlichen ohn Recht ins Elend schicken.

 Es wird gehn, wie es ist zu Christi Zeit gelauffen,

 Man wird ohn alle Scheu viel Menschen selbst verkauffen.

 Doch daß du liebe Marck nicht ohne Haupt mögst sein,

 Wirst durch zwey Burge du zu größern Ehren steigen

 Und dich, doch nur zum Schein, zur Ruh und Friede neigen,

 Und durch der Wölfe Tod triffst du der Schaafe Hertz,

 Diß sag ich: Dieser Stamm wird lang im Flor bekleiben,

 Und deines kleinen Staats viel Jahr Beherrscher bleiben,

 Bis die erleget sind, die damahls hochgeehrt,

 Die Städte wüst gemacht, den Herrn ihr Recht gewehrt.

 Des Vaters Folger wird des Bruders Freiheit kränken

 Und den unbillgen Tod nicht billig machen dencken.

 Nachdem er müd vom Krieg und manchem Unglücks-Streich,

 Folgt ihm der Bruder bald in dem verlaßnen Reich,

 Zwar ein sehr tapferer, doch auch sehr eitler Mann,

 Der auf den Berg gedenckt, die Brück nicht reichen kann.

 Schaut, arme Lehniner! wie er die Schwerdter wetzet,

 Der schont die Brüder schlecht, der Väter selbst verletzet.

 Sein Nachfahr weiß des Kriegs durch seine Kunst zu spotten

 Er sagt den Kindern selbst ein großes Glück vorher,

 So wartet denn auf sie groß Glück und große Ehr.

 Und ihnen soll's so wohl als wie ihm selbst ergehen.

 Dann aber wird ein Weib dem Land viel Unglück schaffen,

 Ein Weib, das angesteckt durch neues Schlangen-Gifft,

 Und dieses wird biß zu dem eilften Stamme dauren.

 Nun kommet der herfür, der dich Lehnin sehr haßt

 Er schneidet als ein Schwerdt, hat nicht viel Guts im Sinn,

 Er störet und verkauft die Kirch und Kirchen-Güter.

 Geh, mein verlaßnes Volck! Du hast nun keinen Schutz,

 Bis eine neue Zeit wird alles wieder bringen.

 Der Sohn bestätiget des tollen Vaters Thun,

 Drum wird ein Geistlicher vor einen Thor gehalten,

 Und weil er nicht sehr streng, heißt er der beste Herr;

 Ihm folgt aus seinem Stamm ein ganz ungleicher Zweig.

 Er stirbt im Todten-Jahr an einem hohen Ort.

 Drauf fordert der das Reich, der in der Stadt gebohren,

 Er nährt sein Kind mit Furcht; durch Hoffnung andere;

 Doch was er heimlich fürcht, wird, seht nur! doch geschehen.

 Bald läßt sich ein neu Spiel nach Gottes Zulaß sehen;

 Allein er lebt nicht lang, der voller Fehler war,

 Und durch Gesetze viel, noch mehr durch Strafen störte,

 Die doch durch sein Befehl nur immer ärger wurden,

 Und besser könnten seyn, wenns dem Geschick gefiel.

 Er war verschmitzt genug, doch keines Lobes werth.

 Dem Vater folgt der Sohn als Churfürst von der Marck,

 Der viele leben ließ nach wohlverdienter Straffe;

 Er glaubete zu viel, drum frißt der Wolff die Schaafe,

 Doch folgt der böse Knecht bald seinem Herren nach.

 Dann kommen, welche sich von dreyen Burgen   nennen,

 Und unter'm großen Herrn wächst der schon weite Staat.

 Die Sicherheit des Volcks ist des Regenten Stärcke,

 Allein sie hilfet nichts, wenn Klugheit niederliegt.

 Der folgen wird, wird nicht ins Vaters Fußstapf treten.

 Ihr Brüder betet nur! vergießt, ihr Mütter, Thränen!

 Des Nahmens Deutung treugt von frohem Regiment.

 Es ist nichts gutes mehr: eilt alle Bürger fort!

 Es ist nun gäntzlich aus, und keine Hoffnung übrig.

 Bald knirscht ein Jüngling, da die große Mutter seuffzet,

 Allein wer kann den Staat, der so verwirrt, verbessern?

 Die Fahne greifft er an, doch nur zu seinem Schaden,

 Bei kaltem Norden-Wind will der ins Kloster gehn;

 Der folget, ahmet nach der Väter schlimmen Sitten,

 Den Seinen fehlt die Kraft, dem Volcke Stern und Glück;

 Der, dessen Hülff er sucht, hat wider ihn gestritten,

 Und kommt durchs Wasser um, da alles er umkehrt.

 Der Sohn wird blüh'n, und das, was er nicht hofft, erlangen,

 Doch hat ein traurig Volck alsdann bethränte Wangen.

 Denn nun kommt, wie es scheint, ein seltnes Glücks-Gesicht;

 Das Wachsthum seiner Macht weiß selbst der Fürste nicht.

 Zuletzt den Scepter trägt der letzte von dem Stamm.

 Israel wagt eine That, die kaum des Todes würdig.

 Der Hirt nimmt auf die Schaaf, und Deutschland ihn zum König.

 Die Marck vergißt durchaus, was übels vor geschehen;

 Sie nährt die Ihrgen selbst, mag keinen Fremden sehn.

 Lehnin und Corin wird von neuem aufgebaut:

 Es kommt die Clerisey zu ihren alten Ehren,

 Auch stellt der Wolf nicht mehr dem edlen Schaaf-Stall nach.

 

Eine ähnliche alte Prophezeiung über die deutsche Kaiserkrone, welche dem Hause der Hohenzollern zu Theil werden solle, will der bekannte Geschichtsschreiber Nicolaus Leutinger (Opera ed. Küster. 1729. Th. II. p. 1239) in einem Kloster gefunden und aufgezeichnet haben. Dieselbe lautet so:

 

 Das weiße Pferd leidt großen Dranck

 Behält doch endlich die Ueberhand.

 Das Rauten-Kräntzlein wird wieder blühn

 Und sich in Ehren sehr freuen.

 Der Rothe Adler wird gar hoch schweben

 Und sich viel über ander erheben.

 

 

Fußnoten

Laut handschr. Acten im Geh. Staatsarchive zu Berlin klopften einst zwei Bauern aus dem Amte Lehnin im J. 1617 mit Steinen in dem Gewölbe der Klosterkirche daselbst und brachen an einer Stelle, oben in dem Kreuzgange an der Treppe, wo es hohl klang, eine Oeffnung. Da fanden sie schöne bunte Altardecken, mit Gold und Silber durchwebte Kirchengewänder, Bücher und Handschriften. Die Gewänder zerschnitten sie und nahmen sie mit, rissen aus den Pergamentschriften einige Blätter heraus, die sie zu Wocken, einem Orte bei Lehnin, an ihre Bekannten verschenkten. Bei der zwei Jahre nachher erfolgten gerichtlichen Untersuchung fanden sich noch 82 Bücher und Handschriften vor, die der damalige churfürstliche Hauptmann des Amtes Lehnin, Wichmann, von Lehnin nach Berlin schickte, wo sie der Bibliothek der heiligen Dreifaltigkeit, der jetzigen Domkirche eingereiht wurden. Unter diesen mag sich auch das Originalmanuscript der Lehniner Prophezeiung befunden haben, von dem schon zur Zeit des großen Churfürsten Abschriften existirten. (S.v. Scharff-Scharffenstein, die Weissagung des Abtes Hermann von Lehnin, frei in gebundener Rede. Hanau 1862. in 8. S. IV. etc.)

 

1180 ward das Kloster Lehnin vom Markgraf Otto I., Churfürst zu Brandenburg, gestiftet. Derselbe ward nach seinem 1198 erfolgten Tode daselbst begraben.

 

1322 starb Johann IV., der letzte Churfürst aus dem Ascanischen Stamme, ohne Erben, nachdem er kaum 3 Wochen regiert.

 

Dies bezieht man auf die 1311 erfolgte Vernichtung der Templer, auf die Ermordung des Propstes Nicolaus in der Kirche zu Berlin und die 1316 von dem Papst geschehene Excommunication der Stadt Frankfurt auf 26 Jahre hinaus.

 

Damit ist das Haus Bayern gemeint, welches einen Löwen im Wappen führt. Ludwig der Baier erklärte nämlich bei der eingetretenen Vacanz des Churfürstenthums Brandenburg die Mark für ein dem Reiche heimgefallenes Lehen und belehnte mit ihr seinen Sohn Ludwig, obgleich Anhalt, Sachsen und Lauenburg, die noch übrigen 3 Linien des Ascanischen Hauses, die besten Ansprüche hatten.

 

Das Kloster Corin, ein Filial von Lehnin, ist 1254 von Johann I., dem Bruder Otto's, gebaut worden.

 

Albert der Jüngere, Fürst von Anhalt, der nächste Agnat Johann's IV., trat auch als Prätendent um die Churwürde auf, ward aber vom Kaiser hintergangen.

 

Sigismund, Sohn Kaiser Carl's IV., erhielt 1378 die Mark Brandenburg von seinem Bruder Wenzel.

 

Sigismund versetzte die Mark an seine Vettern Jobst und Procop von Mähren, dann kam sie pfandweise an Wilhelm, Landgraf zu Thüringen, und endlich wieder an Sigismund, damals schon Kaiser, der sie dann 1417 Friedrich von Hohenzollern überließ.

 

1415 ward der Burggraf von Nürnberg, Friedrich IV. von Hohenzollern, auf dem Concil zu Costnitz zum Churfürsten von Brandenburg gemacht und 1417 erhielt er die Investitur.

 

Durch Friedrich I.

 

Bezieht sich auf die vielen Händel mit dem unruhigen Adel.

 

Das Haus Hohenzollern regiert noch heute und hat aus dem kleinen Churfürstenthum eine der fünf Großmächte Europas gemacht.

 

Friedrich II. ging seinem ältern Bruder Johann II. in der Regierung vor, da dieser der Goldmacherkunst wegen sich derselben begeben hatte.

 

Geht auf Albert Achilles.

 

Bezieht sich auf den Streit mit dem Bischof von Bamberg, der hier mit dem Worte Berg bezeichnet wird.

 

Johannes Cicero wußte durch seine Klugheit manchen Krieg abzuhalten.

 

Kann nur auf Joachim I. gehen, welcher als tüchtiger Astrolog seinen Nachkommen die königliche Würde prophezeit haben soll.

 

Elisabeth, Tochter Johann's von Dänemark und Mutter Joachim's II., nahm 1525 öffentlich den lutherischen Glauben an, mußte aber nach Sachsen flüchten, weil ihr Gemahl sie einmauern lassen wollte.

 

Joachim II., erster Churfürst, der im Jahre 1593, also dem 4. seiner Regierung, den Glauben seiner Mutter annahm.

 

Johann Georg II., der mit Sachsen die Concordia-Formel zu Stande brachte.

 

† 1598. In demselben Jahre starben noch viele andere Fürsten.

 

Joachim Friedrich ward in Berlin geboren, kam aber scheintodt, nachdem seine Mutter künstlich entbunden worden war, auf die Welt.

 

Churfürst Johann Sigismund trat 1614 zur reformirten Religion über, das ist das neue Spiel; er regierte aber nur 10 Jahre lang.

 

Georg Wilhelm IV. folgte seinem Vater 1624.

 

Bezieht sich auf den allmächtigen Günstling Georg Wilhelm's, Graf Adam von Schwarzenberg, der aber in demselben Jahre wie dieser, 1640, starb.

 

Friedrich Wilhelm, benannt der Große, ist hier gemeint; er war gleichzeitig Churfürst von Brandenburg, Burggraf zu Nürnberg und Herzog zu Magdeburg.

 

Damit ist die Vorliebe des Churfürsten für ein starkes Heer gemeint.

 

Churfürst Friedrich III., der erste König von Preußen, bekanntlich ein sehr friedliebender, aber kluger Fürst. Nach einer andern Ansicht wäre aber auch Friedrich Wilhelm I. gemeint, unter dem Jüngling aber Friedrich der Große zu verstehen.

 

Dies bezieht sich auf die Wassersucht, an der der Vater Friedrichs des Großen, Friedrich Wilhelm I., den 31. Mai 1740 starb und welche auch dem Leben Friedrich Wilhelms II. ein Ende machte.

 

Geht nach der frühern Meinung auf Friedrich den Großen, der trotz der Abneigung seines Vaters gegen ihn auf den Thron kam, und auf die Einverleibung Schlesiens. Nach der neuern Ansicht ist hier aber Friedrich Wilhelm III. gemeint.

 

Damit kann blos gemeint sein, daß die Juden das Land in's Unglück und Elend stürzen und dafür vom Volke vertilgt werden sollen.

 

 

2) Die Vision Andreas Otto's von Tangermünde, wie er sie seinem Schwager, Hainno Flörcke, Cantzlei-Actuarius daselbst, erzählt und sie derselbe von Wort zu Wort aufgeschrieben.

 

Ein Christlicher und Gottesfürchtiger Mann, Nahmens Andreas Otto, von 89 Jahren, aus Tangermünde an der Elbe bürtig, wo sein Vater ein Tuchmacher gewesen, und im Monat October 1532 geboren, hernach zum Dohm-Custos zu Berlin an der Kirche zur h. Dreifaltigkeit bestellet worden, hat Anno 1620 in der Oster-Nacht zwischen dem 8. und 9. April des Morgens gegen 2 Uhr einen sonderbaren und merkwürdigen Traum gehabt, derselbe aber sey ihm vorgekommen, als wenn er wahrhaftig dahin geführet und sichtbarlich alles gesehen, was auf dem Churfürstlichen Althan, der vom Schlosse nach der Kirche gehet, passiret sey, und erzehlet es folgender Gestalt: Ein altbelebter Greis kommt zu mir und rufet meinen Nahmen dreimal: Andreas! stehe auf und gehe mit, ich will dich führen, da du Wunderdinge sehen sollst! Und da er mich zum Althan der ersten Ecke geführet (denn der Althan war vom Schloß nach der Kirche im Quadrat in 4 Ecken gebaut, daß man die Stadt an allen 4 Ecken übersehen konnte), die nach der breiten Straße zuging, mich an das Fenster führte und daselbst mir anzeiget, dabey auch sagte: Das, was du in den 4 Ecken des Althans wirst sehen, wird in Zeit von 200 Jahren erfüllet werden. Den Greis betrachtete ich mit einem dreyfachen Gesichte, und hierüber, da ich mich entsetzte, sagte der Greis: Fürchte dich nicht, diese Visiones, so du in den 4 Ecken sehen wirst, werden unter vier Regierungen dieses Hofes geschehen. Es wird groß und herrlich werden und der letzte wird über alle steigen und ein großer Monarch werden, so das Antichristische Reich über Haufen und Gog und Magog stürtzen wird.

Da er nun zum ersten Eck am Fenster hinaussah, fand er das damahlige Berlin in seinem jetzigen Zustande; ich sahe an alte Wohnungen und Gebäude, die Einwohner gingen in ihrer jetzigen Tracht und die Hofbedienten und Großen gingen zu Fuß, ich sah nicht mehr als 4 Kutschen und des alten Churfürstens, Georg Wilhelms, Kutsche war mit Tuch und seidenen Franzen ausgeschlagen. Doch gingen die Leute in ihrer saubern Tracht, hatten alles, was sie trugen, von massiven Silber. Die Redlichkeit war im Handel und Wandel aufrichtig: was ein Mann bey seinem langen großen Bart und mit dem Daum versprach, das war wie ein Evangelium. Indem ich mich nun nach dem Greis wendete und wieder hinaussehen wollte, wie eine große Veränderung fand ich. Und als ich hierüber erschrack, sagte der alte Greis zu mir: das wird in 40 Jahren alles erfolgen. Der Prinz, so in diesem Jahre geboren und in der Wiege liegt, wird diese Stadt in seiner erfolgten Regierung in solchen Stand setzen, die Stadt befestigen, noch eine Stadt erbauen und sie mit Wällen und Zug-Brücken verschließen; wo du vormahls Schlag-Brücken und Kuppel-Dämme gesehen, stehen jetzo die schönsten Portale, und aus den alten hölzernen Häusern sind steinerne geworden. Ich sahe die neue Stadt, so Friedrichs-Werder, und auch eine kleine Neu-Stadt, nach dem Thier-Garten zu, so Dorotheen-Stadt, nach dessen Gemahlin Nahmen genennet war. Es war der Mühlendamm mit schönen gemauerten Buden bebauet, ein neuer Cran und die Schleuße war alles wohl gebauet, daß große Schiffe einlauffen konnten; man konnte unter den gewölbten Buden auf den Mühlen-Damm trocken gehen, mitten stund das Porträt auf dem Portal, da eine Brücke angelegt war, daß man wieder nach einer neu angelegten Stadt gehen konnte. Die Leute waren schon politisch und ihre Trachten waren nach der französischen Mode eingerichtet, und also waren auch die Gemüther, in ihren deutschen Knäbel-Bärten anders eingerichtet. Und indem der Greis mir erzählen wollte, von Potsdam, daß er daselbst ein Schloß angeleget und nach ihm hinsah, war der alte Greis weg, und dann ein muntrer, junger Mann in silbern Stück und Purpur-Mantel und glänzte auf seinem Haupt eine Krone, ich erstaunete; aber er sprach: Komm an andere Eck und sieh die Veränderungen an. Als ich dahin kam, hatte Berlin eine ganz andere Gestalt bekommen: es stunden schöne Palläste, das Schloß war umgekehrt, verändert und erweitert. Dieser Mann sagte zu mir: das hat dessen Nachfolger in Zeit von 25 Jahren also in seiner Regierung gethan und zuweg gebracht, er ward König, und also veränderte und vergrößerte sich der Staat; er war ein Liebhaber des Friedens, und war doch dabey ein Sohn Martis et Apollinis, indem er schöne und propre Soldaten hatte, einen großen Hof-Staat führte und also alles in Berlin zu seiner Magnificence und Pracht lebete. Dieser Regent, wie du da siehst, hat die neue Parochial-Kirche in der Kloster-Straße, worauf das Glocken-Spiel, gebauet, das große Arsenal, die Charlottenburg, die vielen Kirchen und die prächtigen Lust-Häuser um Berlin. Absonderlich ist das Andenken von dem seligen Vater, dem großen Chur-Fürsten von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, in der messingenen Statue zu Pferde, auf der langen Brücke zu admiriren. Und da ich dieses alles mit der größten Admiration ansahe, und den Pomp, Splendeur und Lüstre des Hofes, auch das Wimmeln des Volckes und Rasseln der Carossen ansahe, mich nach demselben umsehend zu fragen: Stand ein anderer in muntern Gesicht, mit Helm, Pantzer und Schild angethaner, großmüthiger heroischer Held, aus dessen Auge die Majestät hervorblitzte, hinter mir, der sagte: Komm und sieh die Veränderung des dritten Ecks, in selbigem wirst du ersehen, als du dort wahrgenommen, denn dieser Regent führet keinen magnifiquen aber doch propren Staat, und wirst bekennen müssen, daß bey dem alten vorigen Glantz, dieser Glantz denselben übertrifft. Als ich nun hinaussah, fand ich alles in dem größten Flor und Wohlseyn, und da ich mit dem jungen Mann reden wollte, da diese Vision biß in das 1800te Seculum hinläuft, so sprach derselbe zu mir: Weil Chur-Haus Brandenburg zum Königlichen Hof gestiegen, so betrachte dessen Königlichen Staat und die neuerbaute Hof-Stadt, die da im hellen Glantz prangt, wenn 24 Trompeter und 2 Paar Heer-Paucken jedesmahl zur Tafel blasen. Bey dem Anschauen aller dieser splendeusen Aufzüge und Aufführungen, die ich so prächtig niemahls gesehen, nebst andern großen Kostbarkeiten, wurde ich gantz außer mir selbst gesetzt, und in die größte Verwunderung gebracht, als mir auch der junge Held den König in Lebens-Größe auf einem Piedestal von Messing gegossen auf dem Molcken-Markt und an dem Arsenal im Brustbilde anzeigte, daß derselbe des großen Friedrich Wilhelms Nachfolger und Sohn, Friedrich der Erste, König der Preußen wäre, der das Königreich und Churfürstenthum zu diesem großen Glantz und höchsten Würde gebracht. Nun wirst du aber an diesem dritten Eck die Folge desselben ersehen, und als ich nun dahin meine Augen wandte, so erblickte ich in verschiedenen Veränderungen der vergangenen Zeit, indem ich statt des Rasselns der Carossen die Straßen mit lauter Soldaten wimmeln sahe, und selbige waren vortrefflich disciplinirt und in Exercitien perfect. Hierbey deuchte mich, als wenn die Einwohner nicht so munteres Gemüths waren, wie vor diesem, doch florirten die Handwerker, die da wegen des vielen Bauen große Verdienste bekamen, wenn die Häuser egal, propre und in einer Couleur geziert wurden, welches sehr magnific lasse. Und da die Stadt in ihrem Bezirk prächtig anzusehen war, so schiene es, daß gegen der vorigen Zeit, das man damals nicht angemercket, gewisser Geld-Mangel unter Hohen und Niedrigen sich hervorthat, allermassen die Großen kleinere Besoldung und die Niedrigen keine Nahrung hatten, dem alles durch die Freiheit sehr gehindert, also abgenommen, daß es bei manchen außerhalb den Straßen glänzet und in dem Hause schlecht und elend anzuschauen war. Als ich nun alle diese Magnificence und Pracht in meinem unruhigen Gemüthe betrachtete, und nicht penetriren konnte, wo diese nahrlosen Zeiten herrührten, tief in Gedanken stund, mich umsah, und den alten Greis wiederum bey mir fand, so neben sich einen muntern Jüngling stehen hatte, mich an das vierte Eck hinführte, und mir anzeigte die Magnificence  und Herrlichkeit, welche im vollen Glantz wieder hervorbrechen wollte, daß auch alles Volck sich munter regete und bewegete, die Gemüther in vergnügter Ruhe und Zufriedenheit wandelten und lebeten, und alles in vollkommenem Flor sich zeigete. Dieses alles betrachtend, ersahe ich als in einem Blitz, eine große Krone über dem Königl. Palais schimmernd schweben und 9 kleine um deroselben herum so gleichsam tantzend sich bewegten, mit der Schrift, die ein großer schwartzer Adler in dem Munde über den Kronen schwebend führte, auf welchen einen ESTO FIDELIS (sey treu) und auf der andern MANEBIS (wirst bleiben) stunde, nicht ohne große Verwunderung entzücket solches anschauete. Siehe, darauf erhub sich ein großer Sturm und gab sich von allen 4 Ecken des Althans zusammen, da dann in der Luft ein großes Prasseln und Rasseln erfolgte, auch ein schwartzer Dampff sich über der St. Petri-Kirche erhub, der sich in helle Flammen ausbreitete durch das große Lamentiren und Geschrei der Einwohner, weil hernach aus den großen Flammen und Dampff von der Kirche sich an dem Himmel ein großes feuriges W zeigete. Hierauf erfolgte ein gräßliches Wehklagen und ich erschrack, es zitterte mir mein gantzer Leib, und darüber erwachte ich aus meinem ängstlichen Traum, gleich da es 3 Uhr war, konnte auch nicht wieder zu meinen Gedancken kommen, sondern da mir dieses stets in Sinn und Gedancken lag, den folgenden Tag dem hochw. Ministerio diesen Traum offenbahrte und erzehlete, die es aufnotiren ließen. Von der Zeit an ich also des Bettes biß an meinen Sterbe-Tag hüten müssen, welcher auch am Himmelfahrts-Tage den 18. May erfolgte und also mein Leben beschloß.

 

Fußnoten