Robert Misik
Anleitung zur Weltverbesserung
Das machen wir doch mit links
ISBN 978-3-8412-0025-9
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, September 2010
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2010
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Einleitung
Immer nur Dagegensein? Da bin ich gar nicht dafür!
1. Für einen »guten« Kapitalismus!
Eine Gesellschaft, die alle Bürger am Wohlstand beteiligt, ist auch wirtschaftlich funktionstüchtiger. Die Wirtschaftskompetenz der Progressiven besteht darin, dass sie das verstehen.
2. Gleichmacherei? Ja, bitte!
In Gesellschaften ohne krasse Ungleichheiten geht es allen besser – die Menschen sind glücklicher, sie leben länger und gesünder, und alle können aus ihrem Leben etwas machen.
3. Links sein heißt modern
Wie Sozialdemokraten und die anderen Parteien der demokratischen Linken wieder auf Erfolgskurs kommen können.
4. Mehr Demokratie in die Demokratie!
Wenn Bürger in Passivität verfallen, nützt das nur den gut organisierten Machteliten, die den Staat ausplündern. Deshalb müssen wir die Demokratie zur Mitmach-Demokratie umbauen.
5. Mehr Glück ins BIP!
Wir müssen die Wirtschaft wieder in Schwung bringen, den Klimawandel bekämpfen und die Unternehmen ökologisch umrüsten. Aber bei diesem »Green New Deal« dürfen wir uns nicht auf die Märkte verlassen. Dafür braucht es kluge staatliche Planung.
6. Eine neue Sprache
Progressive müssen lernen, über ihre Werte zu sprechen – ohne moralinsaure Predigten zu halten.
Schluss
Kooperation, Kreativität, Gleichheit – Schlüsselbegriffe für eine neue progressive Ära
Anmerkungen
Der Autor
Immer nur Dagegensein? Da bin ich gar nicht dafür!
Wir Linken sind ja sehr gut im Dagegensein. Wir blicken uns um in der Welt, sehen beklagenswerte Missstände und himmelschreiende Ungerechtigkeiten und prangern sie an. Passiert etwas besonders Empörenswertes, organisieren wir eine Demonstration dagegen, und wenn ein menschenverachtendes Gesetz beschlossen werden soll, lancieren wir womöglich eine Unterschriftenliste, mit der wir unser Nichteinverstandensein dokumentieren. So ein bisschen von der Art: Die Bösen prägen die Welt. Und wir, die Guten, sagen, dass wir das aber sehr schlecht finden. Und manchmal müssen wir uns von unseren Zeitgenossen sagen lassen: »Ihr seid ja immer nur dagegen. Aber wofür ihr seid, das könnt ihr nicht so leicht sagen. Klar, ihr hättet gerne bessere Menschen und eine solidarischere Ökonomie – aber geht’s vielleicht ein bisschen konkreter? Eine Prise realistischer? Habt ihr vielleicht sogar einen Plan, wie wir dahin kommen könnten? Nein, habt ihr nicht. Ihr seid also weltfremde Weltverbesserer.«
Gesellschaftskritik ist uns ein hoher Wert. Wir kritisieren, was falsch läuft. Blättert man die Bücher von Karl Marx durch, dem revolutionären Denker der Linken des 19. Jahrhunderts, wird man feststellen: Viele seiner Schriften tragen das Wort »Kritik« schon im Titel. »Kritik des …« oder »Kritik der …« Klar, Marx war Philosoph, und in der Philosophie meint das Wort »Kritik« ein wenig etwas anderes als in unserer Umgangssprache – philosophische »Kritik« ist eine theoretische tiefgehende Auseinandersetzung mit »Kategoriensystemen«, sie klaubt die Dinge auseinander, daher muss die theoretische »Kritik« nicht unbedingt getragen sein von »Dagegen-« oder »Dafürsein«, sondern eher von analytischem Scharfsinn. Die Kategorie der »Kritik« ist in der Philosophie schließlich geprägt von Denkern wie Immanuel Kant, der jede seiner bahnbrechenden Arbeiten »Kritik« nannte: »Kritik der reinen Vernunft« etc.
Im 20. Jahrhundert wiederum entstand eine ganze Schule intellektueller Gesellschaftskritik, die diesen Impuls schon im Namen trug: die »Kritische Theorie«. In fast all diesen Fällen ist kritische Analyse von Kategoriensystemen freilich implizit, wenn nicht ohnehin explizit, auch Kritik von herrschenden, gegebenen Verhältnissen. Als Aufklärung will sie etwa den Schleier über vernebelten Verhältnissen wegreißen, beispielsweise über der »scheinhaften Freiheit der Wirtschaftssubjekte in der bürgerlichen Gesellschaft« (Max Horkheimer). Erkennen, Kritisieren und Verändern sind, so gesehen, Episoden eines Gesamtprozesses. Kritik deckt illegitime Privilegien, Macht, Herrschaft auf und ist, um Michel Foucault zu paraphrasieren, Voraussetzung für den rebellischen Impuls, »so nicht regiert werden zu wollen«.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Nichts ist schlecht daran. Ohnehin ist Kritik nie »nur Kritik«, »bloßer Negativismus«. Kritik an Zuständen skizziert immer auch – wie das Negativ einer Fotografie – das Bessere, das entstünde, wenn das Kritisierte verändert würde. Kritik ist, ganz klar, Vorbedingung der Verbesserung. Nicht zufällig haben »Krise« und »Kritik« einen gemeinsamen etymologischen Stamm und bezeichnen nicht bloß etwas, was »schlecht« ist, sondern etwas, was überholt ist, zum Sterben verurteilt. Kritisches Bewusstsein und Krisenbewusstsein sind keine depressiven Zustände, sondern getragen von der Überzeugung, das das »große Ganze« nicht mehr funktioniert und hoffentlich bald durch etwas Neues, Zeitgemäßes ersetzt wird.
Aber Kritik wird auch von einem anderen Boden aus geäußert, wenn die Vorstellung von einer besseren Welt nebulös wird, wenn sich die meisten Menschen eigentlich gar nicht mehr vorstellen können, dass eine andere, eine gerechtere, eine fairere Welt möglich ist. Dann wird die Krise der Welt auch zur Krise der Kritik. Und seien wir doch ehrlich: Es gibt viel zu vieles in der Welt, bei dem einem gar nichts anderes übrig bleibt, als es zu kritisieren. Heutzutage gibt es eher zu wenig Kritik als zu viel von Dagegensein: viel zu oft sind die Menschen bereit, Dinge hinzunehmen, die man eigentlich nicht hinnehmen dürfte. Einfach, weil sie sich zu schwach fühlen, daran etwas zu ändern, oder auch, weil man sich an viele Dinge so gewöhnt hat, dass man gar nicht mehr richtig über sie nachdenkt. Man zuckt mit den Achseln und sagt sich: So ist das eben. Würde man sich über alles aufregen, worüber man sich aufregen müsste, man käme aus dem Aufregen gar nicht mehr heraus. Man würde nur mehr vor sich hin keppeln. Und dauerndes Keppeln ist uncool, zudem trübt es das Gemüt ein. Wer will schon als larmoyanter Kerl durch die Welt gehen, der dauernd mit Depri-Gesicht die Schlechtheit der Welt beklagt? Es macht die Luft auch nicht besser. Wenn man sich nicht vorsieht, wird einem die Übellaunigkeit zur zweiten Natur: Man sieht sich von Schlechtigkeit umstellt und geht ganz fix davon aus, dass ohnehin immer alles schlimmer wird. Das raubt einem alle Energie – auch die zum »Bessermachen«. Womöglich geht man seinen Zeitgenossen mit dem ewigen Negativismus auch noch auf die Nerven.
Vielleicht ist es da noch besser, sich nicht allzu viele Gedanken und stattdessen ein bisschen Party zu machen.
Was Sie hier in den Händen halten, ist ein Buch. Und mit Büchern – also mit geschriebenen Texten – ist das so eine Sache. Es gibt verschiedene Sorten von Sachbüchern: Biographien, historische Abhandlungen, gelehrige Fachbücher oder die Psychoratgeber mit dem Smiley auf dem Titelblatt (»Der schnelle Weg zu noch mehr Glück«). Politische Sachbücher sind in den meisten Fällen »kritische Bücher«. Sie prangern sehr oft irgendetwas an: Die negativen Folgen der Globalisierung. Den Konsumismus. Den Hunger in der Dritten Welt. Oder sie decken etwas auf: Wie gerissene Machtlobbys ein Land ausplündern. Auch ich habe eine Reihe kritischer Bücher geschrieben, etwa über das »Elend des Neoliberalismus« oder gegen die Neokonservativen. Eines meiner meistgelesenen Bücher heißt: »Genial dagegen. Kritisches Denken von Marx bis Michael Moore«. Natürlich war keines dieser Bücher »nur« kritisch. Im Allgemeinen kritisierte ich über zwei Drittel des Buches, und im letzten Drittel habe ich versucht darzulegen, wie es denn besser laufen könnte. Kritische Texte haben, sehen wir vom Inhalt einmal ab, auch einen schriftstellerischen Appeal: Sie lesen sich flotter. Es gibt – man könnte fast sagen: seit Jahrtausenden – eine spezifische Faszination kritischer Texte. Schon die alten Propheten in der Bibel klagten wortreich an, und wir sind heute noch fasziniert von ihrer Sprachgewalt. Einer dieser Propheten, Jeremias, gab einer ganzen Textgattung den Namen: Seinetwegen sprechen wir heute von einer »Jeremiade«, wenn jemand die Schlechtigkeit der Welt anprangert. Später entstand die Textgattung des Pamphlets, die Anklage des Kritikwürdigen in seiner modernen Form.
Aus der Sicht des Autors gesprochen, ist es viel einfacher, ein gutes Buch zu schreiben, das kritisch – also gegen etwas – ist, als eines, das für etwas ist. Wenn ich etwa gegen eine verdammenswerte politische oder ideologische Strömung anschreibe, kann ich die so richtig argumentativ auseinandernehmen, ich kann sie mit beißendem Spott überziehen und mit viel Ironie in den Boden schreiben, dass es eine Freude ist. Man kann dann auch die Herrschenden mit bösen Witzen überziehen – in Demokratien ist das sogar weitgehend gefahrlos. Als Leser hat man bei kritischen Büchern, mag der kritisierte Sachverhalt noch so deprimierend sein, gelegentlich auch etwas zum Lachen. Im Kontrast dazu bekommen Bücher, die für etwas sind, sehr schnell eine leicht betuliche Note. Sie sind voller Floskeln wie »man sollte« oder »man müsste«, strotzen von moralischen Aufforderungen und guten Ratschlägen und sind stilistisch meist dröge und darum sehr schwer zu ertragen. Selbst wenn es ihnen gelingt, den Leser oder die Leserin zu überzeugen, dann läuft es oft darauf hinaus, dass der Leser oder die Leserin nickt und nickt und nickt. Und am Ende ist er oder sie eingenickt. Dafürsein ist irgendwie langweilig. Dagegensein ist sexy.
Viele Menschen haben den Glauben daran verloren, dass man die Welt auf eine bessere Spur bringen kann. Seit der Aufklärung haben das immer wieder Menschen oder Gruppen von Menschen – Parteien, Revolutionäre, Umstürzler, Utopisten oder Reformer – versucht, aber oft ist nicht viel Gutes rausgekommen. Wir sind in dieser Hinsicht ein bisschen gebrannte Kinder. Wir wissen, wenn wir uns mit der Geschichte unserer Welt auseinandersetzen, dass Engagement sehr oft auch etwas Gutes bewirkt hat. Die Bürgerrechte der Schwarzen in den USA wären nicht durchgesetzt worden, falls sich nicht Menschen in einer Bürgerrechtsbewegung zusammengeschlossen hätten. In Österreich und Deutschland wurde das allgemeine, gleiche Wahlrecht von Arbeiterbewegungen durchgesetzt, die auch bessere Arbeitsrechte, den Achtstundentag, faire Löhne und eine ordentliche Sozialversicherung erkämpft haben. Das war nur möglich, weil sich einerseits viele Menschen zusammengetan und beispielsweise Parteien gegründet haben, die außerparlamentarisch Druck gemacht und in den Parlamenten Einfluss auf den politischen Prozess genommen haben. Und wir wissen leider ebenso, dass heute kaum mehr jemand etwas von diesen Parteien wissen mag – und die Anführer dieser Parteien wollen vor allem ihre Ruhe haben. Einerseits haben sie gerne Aktivisten, die ihnen etwa bei ihrer Wahlwerbung helfen, andererseits wollen sie nicht von irgendwelchen Weltverbesserern gestört werden bei der »professionellen« Politik.
Kurzum: Wir können uns im Grunde gar nicht vorstellen, wie das praktisch gehen sollte mit der Weltverbesserung. Selbst wenn wir eine ungefähre Idee davon haben, welche Reformen, Gesetze und Maßnahmen unsere Gesellschaften ein Stück weit besser, gerechter und funktionstüchtiger machen würden, scheint es uns ziemlich undenkbar, dass diese in absehbarer Zeit durchgesetzt werden können in einem politischen Betrieb, der von blutleeren Karrieristen oder altmodischen Apparatschiks geprägt und von mächtigen Lobbygruppen gekapert ist. Auch deshalb ist es einfach naheliegender, »dagegen« zu sein – gelegentlich auf sehr diffuse Weise »gegen das alles« – oder sich auf zynische Weise dem ganzen Spiel zu entziehen.
Ich gebe zu, auch mir fielen hundert Gründe ein, einzustimmen in ein großes Klagelied. Seit mehr als zwei Jahren ist die globale Ökonomie in der tiefsten Wirtschaftskrise seit achtzig Jahren, einer Wirtschaftskrise, die durch falsche Deregulierung im Finanzsektor provoziert wurde, und noch immer sind keine nennenswerten Regulierungsmaßnahmen eingeführt, die die Finanzbestie aushungern könnten. Unsere Volkswirtschaften sind so reich wie nie zuvor, aber junge Menschen können nicht einmal damit rechnen, sich einen ähnlichen Wohlstand zu erwirtschaften wie ihre Elterngeneration. Während sich die Reichtümer mehr und mehr konzentrieren, tun viele Firmen so, als könnten sie jungen Praktikanten nicht einmal ein minimales Einkommen garantieren. Für jeden Schwachsinn ist Geld da, aber wir leisten uns immer noch ein Bildungssystem, das mehr als acht Prozent unserer Kinder ohne Abschluss auf den Arbeitsmarkt spuckt. Die immer gleichen Propagandisten neoliberaler Weisheiten verkünden in den unzähligen Fernsehtalkshows, dass wir noch mehr Egoismus und »Selbstverantwortung« brauchen – außer bei den Bankern, die zahlen sich ihre Boni aus den staatlichen Rettungsgeldern. Gespart werden soll bei Hartz IV und bei den Sozialleistungen. Und die Banker zocken schon wieder – mit dem billigen Geld, das die Notenbanken in die Märkte pumpen, und mit den Rettungsmilliarden, die man ihnen mit unserem Steuergeld geschenkt hat. Es läuft weiter, weiter, weiter so.
Daran wird sich nichts ändern, wenn die Menschen zwar wissen, wogegen sie sind, aber man ihnen dass Gefühl vermittelt, dass es eigentlich ziemlich unmöglich ist, irgendetwas zu verbessern.
Im Folgenden will ich eine Lanze brechen für progressive Reformen in unserer Zeit. Zentral dafür sind Vorschläge für eine progressive Wirtschaftspolitik. Denn obwohl die Rezepte der Marktfundamentalisten den Kapitalismus praktisch an den Rand des Kollaps gebracht haben, hält sich absurderweise noch immer das hartnäckige Vorurteil, es wären die Wirtschaftsliberalen und Konservativen, die »etwas von der Wirtschaft verstehen«, während die Linken immer nur Schulden machen und das Wachstum abwürgen wollen. Ich werde zeigen, dass eine Wirtschaftspolitik, die eine gerechtere und fairere Gesellschaft im Auge hat, auch eine in ökonomischer Hinsicht bessere Wirtschaftspolitik ist – und dass die Wirtschaftsinkompetenz der Konservativen gerade darin besteht, dass sie dafür überhaupt kein Verständnis haben. Wahrscheinlich nicht einmal weil sie besonders dumm wären, eher trifft auf sie das Wort Upton Sinclairs zu, der einmal schrieb: »Es ist sehr schwer, einen Menschen dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht.« Aber ökonomische Fairness und eine einigermaßen gleiche Einkommensverteilung machen nicht nur die Wirtschaft stabiler, sie machen Gesellschaften als Ganzes lebenswerter. Der soziale Stress, der mit großen Reichtumsunterschieden einhergeht, macht unglücklich – und mehr Gleichheit macht die Menschen glücklicher. Progressive Reformen – das heißt aber auch, dass wir unseren Blick nach vorn richten müssen. Früher verstanden sich die Linken wie selbstverständlich als »Kräfte des Fortschritts«, und die Konservativen wurden als »rückwärtsgewandt« wahrgenommen. Aber diese Differenz ist schon lange nicht mehr trennscharf – ja, man kann sogar behaupten, der Fortschritt habe die Seiten gewechselt. Jetzt sind die Konservativen und Neoliberalen für den Wirbelwind der Veränderung und plädieren für »Reformen« – für Maßnahmen, die jeweils das Leben der einfachen Leute erschweren –, sodass viele Linke eher auf die Defensive setzen, auf das Verteidigen sozialstaatlicher Standards gegen die stetigen Angriffe der Marktfundamentalisten. Während sich früher die Weltverbesserer mit dem Zeitgeist im Bunde wähnten und davon ausgingen, dass der gesellschaftliche Wandel zwar nicht automatisch und nicht in allen Details, aber doch im großen Ganzen in Richtung von mehr Gerechtigkeit und sozialem Fortschritt weisen würde, so ist diese Gewissheit gehörig ins Wanken geraten. »Fortschritt« wird heute oft einfach mit wirtschaftsfreundlicher Innovation gleichgesetzt, die den normalen Menschen mehr Stress bereitet und sie keineswegs glücklicher macht. Die Linke ging deshalb mental in Abwehrstellung.
Aber das ist eine Falle. Einerseits, weil ein vergangenes Arrangement nicht einfach wiederhergestellt werden kann – die Uhr kann nicht zurückgedreht werden. Andererseits, weil wir auf neue Herausforderungen neue Antworten brauchen – auf Probleme wie die ökologische Krise, den Klimawandel, die Endlichkeit fossiler Ressourcen. Dasselbe gilt für die innere Auszehrung der Demokratie, den Verdruss an Parteien, das Desinteresse an Politik. Dem ist nur mit mehr Demokratie in der Demokratie zu begegnen. All diese Dinge verlangen nicht Verteidigung, sondern Verbesserung. Aber vielen Linken ist nicht nur ihre Orientierung auf die Zukunft abhandengekommen, sondern mit dieser auch ihr Optimismus. Und das ist keine Kleinigkeit: Denn aus Optimismus resultiert Hoffnung und aus der Hoffnung die Entschiedenheit und Willenskraft, sich für etwas einzusetzen. Es waren immer die Optimisten, die die Welt verändert haben, niemals die Pessimisten, die von ihrer abgeklärten Gewissheit ausgegangenen sind, dass ohnehin immer alles schlechter wird – oder immer alles gleich schlecht bleibt. Kurzum: Die Linke muss den Fortschritt zurückerobern.
Und sie muss wissen, wofür sie steht: für faire Wohlfahrt für alle und gegen ungerechtfertigte Privilegien jener, die alle Chancen, die meisten Reichtümer, Macht und Einfluss monopolisieren, die wichtige Reformen blockieren und sich Politik und Medien kaufen, um ihre Vorteile zu verteidigen. Für eine Welt, in der die unterschiedlichsten Menschen ihre unterschiedlichen Talente entwickeln können, aber in der alle die gleichen Chancen und ein ausreichendes Maß an Sicherheit haben. Für eine Gesellschaft, in der es wieder gerecht zugeht. It’s that simple. Wenn das nicht die Begriffe sind, die den Menschen gewissermaßen automatisch in den Kopf kommen, wenn von linken oder sozialdemokratischen Parteien die Rede ist, dann haben diese Parteien verdammt viel falsch gemacht.
Wir können immer gut erklären, warum »die Linken« – das linksliberale Milieu, die progressiven Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Parteien der demokratischen Linken – in dem Zustand sind, in dem sie sind. Es fehlt im Folgenden auch nicht an Erklärungen dafür. Aber, um Karl Marx zu paraphrasieren: Es reicht natürlich nicht aus, die politischen Kräfte der Linken zu interpretieren.
Es kommt darauf an, sie zu verändern.