Über die Natur der Dinge

 

(De rerum natura)

 

Titus Lucretius Carus

 

 

 

 

 

Inhalt:

 

 

Lukrez – Biografie und Bibliografie

 

Erstes Buch - Die Prinzipien

 

Preis der Venus

Inhalt des Gedichtes, besonders der ersten Bücher

Preis Epikurs

Abwehr der Volksreligion

Warnung vor den Priestern

Wesen der Seele

Inhalt der späteren Bücher

Schwierigkeit der Aufgabe

Naturforschung als Erlösung

I. Lehrsatz. Nichts wird aus Nichts

Nichts wird zu Nichts

II. Lehrsatz. Die unsichtbaren Atome

III. Lehrsatz. Das Vakuum

Widerlegung des Gegenbeweises. Schwimmender Fisch

Mahnung an Memmius

Nur zwei Prinzipien: Atom und Vakuum

Ein Drittes ausgeschlossen

IV. Lehrsatz. Akzidenzen der Prinzipien

Atomstruktur und Vakuum

Unteilbarkeit der Atome

Struktur der vier Elemente

Gibt's ein Minimum?

Wider Heraklit und Genossen

Wider Empedokles

Wider Anaxagoras

Poetische Einlage. Dichterbekenntnis

Das Unendliche

Streben nach der Mitte

 

Zweites Buch - Fortsetzung über die Prinzipien

 

Wonne des Weisen

Elend der Toren

Atombewegung

Unendlichkeit des Raums

Atomverbindung

Sonnenstäubchen

Atomgeschwindigkeit

Ablehnung Göttlicher Schöpfung

Richtung der Atombewegung

Deklination der Atome

Willensfreiheit

Ewigkeit der Atombewegung

Form der Atome

Atomform und Qualität

Gefühlsdifferenzen

Begrenzte Zahl der Atomformen

Unbegrenzte Zahl der ähnlichen Atome

Wechsel von Leben und Tod

Mischung der Atome

Poetische Einlage. Die Phrygische Göttermutter

Philosophische Erklärung des göttlichen Wesens

Fortsetzung über Atommischung

Grenzen der Atommischung

Atome sind farblos

Entstehung der Farbe

Atome sind überhaupt qualitätslos

Atome sind empfindungslos

Entstehung der Empfindung

Krankheit und Tod

Freude und Schmerz

Schlußbeweis

Übergang zum Kosmischen

Unendlichkeit des Weltalls

Unendlich viele Welten

Kein Götterregiment

Entstehen und Vergehen der Welt

 

Drittes Buch - Die Seele

 

Preis Epikurs

Inhalt des Buches: Psychologie

Todesangst der Menschen

Geist ein Körperteil

Auch die Seele ein Körperteil

Geist und Seele eine Einheit

Körperlichkeit von Geist und Seele

Die Atome des Geistes

Die Atome der Seele

Vier Arten von Seelenatomen

Vierter Seelenbestandteil

Einheitlichkeit der vier Seelenteile

Seelenaffekte

Gemeinsames Leben von Leib und Seele

Ist Empfindung nur der Seele eigen ?

Sieht das Auge oder der Geist?

Gegen Demokrit

Der Geist lebenswichtiger als die Seele

Geist und Seele sind sterblich

Kleinheit der Seelenatome

Gleichzeitiges Werden und Vergeben von Leib und Seele

Gleichzeitiges Leiden von Leib und Seele

Wirkung des Weins

Wirkung der Epilepsie

Heilung von Leibes- und Seelenerkrankung

Allmähliches Absterben

Untrennbarkeit von Leib und Seele

Trennung von Leib und Seele

Ohnmachtsanfälle

Wie scheidet die Seele vom Leibe

Die Brust Sitz des Geistes

Die fünf Sinne ohne Körper undenkbar

Teilbarkeit der Seele

Gibt es eine Präexistenz der Seele?

Gegen den Creationismus

Lebt die Seele im Leichnam teilweise fort?

Vererbung geistiger Eigenschaften

Torheit der Seelenwanderungslehre

Die Seele ist an den Leib örtlich gebunden

Begriff der Ewigkeit unvereinbar mit der Seele

Der Tod berührt uns nicht

Wahngedanken über den Tod

Nichtige Trauergedanken

Die Stimme der Natur

Deutung der Unterweltsfabeln

Kein Heros entrann dem Tode

Erkenntnis des Irrtums bringt Heilung

Verwerfliche Lebensgier

 

Viertes Buch - Wahrnehmen, Denken, Begehren

 

Dichterbekenntnis

Inhalt des IV. Buches, spätere Fassung

Dasselbe, ältere Fassung

Bilderlehre

Spiegelbilder

Dünnheit der Bildfilme

Kleinste Tierchen. Duftatome

Wolkenähnliche Originalfilme aus Uratomen

Beständiger Zu- und Abfluß der Bilderfilme

Schnelligkeit des Bilderstroms

Wahrnehmbarkeit der Bilder und Ausflüsse

Wirkung der Bilder auf das Auge

Form, Farbe, Abstand der Objekte

Totalität der Bilderscheinung

Jenseitige Spiegelbilder

Umkehrung der Spiegelbilder

Vervielfachung der Spiegelbilder

Flankenspiegelung

Bewegung der Spiegelbilder

Blendung des Auges

Aus dem Dunkel ins Helle

Gesichtstäuschung

Schattenbewegung

Theorie der Gesichtstäuschungen

Traumtäuschung

Gegen die Skeptiker

Epikurs Kanon

Theorie des Gehörs

Stimmbildung

Echo

Reichweite der Töne

Theorie des Geschmackes

Geschmacksverschiedenheit

Theorie des Geruches

Langsamkeit der Duftatome

Theorie der Antipathie

Theorie der geistigen Tätigkeit

Über Wille und Aufmerksamkeit

Wechsel der Traumbilder

Die Organe sind früher als ihr Gebrauch

Hunger- und Durstgefühle

Theorie des Gehens

Theorie des Schlafes

Theorie des Traums

Theorie der Pollution

Über die Liebe

Warnung vor der Liebesleidenschaft

Liebeswahn

Folgen der Liebesleidenschaft

Schwer ist die Flucht vor der Liebe

Gemeinsamkeit der Liebesempfindung

Vererbungsfragen

Unfruchtbarkeit

Arten des Liebesgenusses

Lob der liebenswürdigen, wenn auch minder schönen Gattin

 

Fünftes Buch - Kosmologie, Kulturgeschichte

 

Preis Epikurs

Vergänglichkeit der Seele

Vergänglichkeit der Welt. Inhalt des Buches

Bewegung der Gestirne

Weltuntergang

Unterschied des Lebenden und Leblosen

Verbindung von Leib und Seele

Wohnsitz der Götter

Die Welt kein Götterwerk

Die Welt ein Werk der Natur

Unvollkommenheit der Welt

Vergänglichkeit der Teile bedingt den Untergang des Ganzen

Erde

Wasser

Luft

Feuer

Steine

Himmel

Jugend unsrer Welt

Der Bau der Welt nicht dauerhaft

Wettkampf von Feuer und Wasser

Phaethons Sturz

Sintflut

Weltentstehung

Atomenwirbel

Bildung der vier Elemente

Bildung von Sonne und Mond

Bildung des Meeres

Ordnung der vier Elemente

Gestirnbewegung

Schweben der Erde

Größe der Sonne

Größe des Mondes

Größe der Sterne

Ursprung von Licht und Wärme

Sonnenwende. Mondbahn

Nacht

Sonnenaufgang

Wechsel der Tageslängen

Lichtwechsel des Mondes

Die vier Jahreszeiten

Sonnen- und Mondfinsternisse

Abschluß der Kosmologie

Entstehung der Pflanzen- und Tierwelt

Anfängliche Mißgeburten

Überleben der stärkeren und nützlicheren Tiere

Es gab niemals Centauren und dergleichen

Entwicklung des Menschengeschlechtes

Todesarten einst und jetzt

Gründung der Familie

Gründung der Stammgenossenschaften

Ursprung der Sprache

Spracherfinder gibt es nicht

Einlage: Feuerentdeckung

Städtegründung und Königsherrschaft

Sturz des Königtums. Volksherrschaft

Ursprung der Gottesverehrung

Entdeckung der Metalle

Erz und Eisen

Kriegswerkzeuge

Webekunst

Baumzucht

Erfindung der Musik

Zeitrechnung

Leiste Stufe der Kultur

 

Sechstes Buch - Naturerscheinungen

 

Preis der Philosophie Epikurs

Inhalt des vorigen Buches

Wirkung der Naturerscheinungen auf das menschliche Gemüt

Entstehung des Götterwahns

Inhalt des letzten Buches

Gewitter

Blitzerscheinungen

Wesen und Wirkung des Blitzes

Wie entsteht der Blitz?

Schnelligkeit des Blitzes

Herbst- und Frühlingsgewitter

Abwehr religiösen Irrwahns

Erklärung der Windhose

Entstehung der Wolken

Erklärung des Regens

Regenbogen

Wind, Schnee, Hagel, Reif, Frost

Erdbeben

Warum läuft das Meer nicht über?

Das Ätnaproblem

Eine Erklärung reicht nicht immer aus

Das Nilproblem

Das Avernusproblem

Warum ist Brunnenwasser im Sommer kälter?

Die Wunderquelle der Oase Amman

Die feurige Quelle (bei Dodona).

Magnetismus

Vorbemerkungen. 1. Beständiger Atomenstrom

2. Porentheorie

3. Verschiedene Wirkung der Elemente

4. Verschiedenheit der Leitungsbahnen

Erklärung des Magnetismus

Besondere magnetische Phänomene

Entstehung der Seuchen

Die Pest zu Athen

 

 

 

Über die Natur der Dinge, Lukrez

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

 

ISBN: 9783849610128

 

www.jazzybee-verlag.de

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Lukrez – Biografie und Bibliografie

 

Eigentlich Titus Lucretius Carus, röm. Dichter, geb. um 96 v. Chr., gest. 55 durch Selbstmord, behandelte Epikurs Ansichten von Entstehung und Erhaltung der Welt in einem unvollendeten Lehrgedicht: »De rerum natura«, das sechs Bücher umfasst. Sein Zweck ist, die Menschen durch Betrachtung der Natur von Aberglauben und eingebildeter Furcht zu befreien, und so spröde und unpoetisch der Stoff an sich ist, hat ihn der Dichter doch mit großer Kunst zu behandeln verstanden. Die Sprache ist scharf und kühn, von eigentümlicher Herbigkeit und altertümlicher Färbung. Ausgaben von Lachmann (mit Kommentar, Berl. 1850; 4. Aufl. 1871), Munro (4. Aufl., Cambridge 1886, 3 Bde.), Giussani (Turin 1898), Brieger (Leipz. 1899); 3. Buch erklärt von Heinze (das. 1896); Übersetzungen von v. Knebel (2. Aufl., das. 1831) und Seydel (M. Schlierbach, Münch. 1881).

 

 

 

Erstes Buch - Die Prinzipien

 

Preis der Venus

 

Mutter der Äneaden, du Wonne der Menschen und Götter,

Lebensspendende Venus: du waltest im Sternengeflimmer

Über das fruchtbare Land und die schiffedurchwimmelte Meerflut,

Du befruchtest die Keime zu jedem beseelten Geschöpfe,

Daß es zum Lichte sich ringt und geboren der Sonne sich freuet.

Wenn du nahest, o Göttin, dann fliehen die Winde, vom Himmel

Flieht das Gewölk, dir breitet die liebliche Bildnerin Erde

Duftende Blumen zum Teppich, dir lächelt entgegen die Meerluft,

Und ein friedlicher Schimmer verbreitet sich über den Himmel.

Denn sobald sich erschlossen des Frühlings strahlende Pforte

Und aus dem Kerker befreit der fruchtbare West sich erhoben,

Künden zuerst, o Göttin, dich an die Bewohner der Lüfte,

Und dein Nahen entzündet ihr Herz mit Zaubergewalten.

Jetzt durchstürmet das Vieh wildrasend die sprossenden Wiesen

Und durchschwimmt den geschwollenen Strom. Ja, jegliches folgt dir

Gierig, wohin du es lenkest; dein Liebreiz bändigt sie alle;

So erweckst du im Meer und Gebirg und im reißenden Flusse

Wie in der Vögel belaubtem Revier und auf grünenden Feldern

Zärtlichen Liebestrieb in dem Herzblut aller Geschöpfe,

Daß sie begierig Geschlecht um Geschlecht sich mehren und mehren.

Also lenkst du, o Göttin, allein das Steuer des Weltalls.

Ohne dich dringt kein sterblich Geschöpf zu des Lichtes Gefilden,

Ohne dich kann nichts Frohes der Welt, nichts Liebes entstehen:

Drum sollst du mir auch Helferin sein beim Dichten der Verse,

Die ich zum Preis der Natur mich erkühne zu schreiben.

Ich widme Unserem Memmius sie, der dir es vor allem verdanket,

Allzeit allen voran sich in jeglichem Amt zu bewähren.

Drum so verleih, o Göttin, dem Lied unsterbliche Schönheit,

Heiß indessen das wilde Gebrüll laut tosenden Krieges

Aller Orten nun schweigen und ruhn zu Land und zu Wasser,

Da nur du es verstehst, die Welt mit dem Segen des Friedens

Zu beglücken. Es lenkt ja des Kriegs wildtobendes Wüten

Waffengewaltig dein Gatte. Von ewiger Liebe bezwingen

Lehnt sich der Kriegsgott oft in den Schoß der Gemahlin zurücke;

Während sein rundlicher Nacken hier ruht, schaut gierig sein Auge,

Göttin, zu dir empor und weidet die trunkenen Blicke,

Während des Ruhenden Odem berührt dein göttliches Antlitz.

Wenn er so ruht, o Göttin, in deinem geheiligten Schöße,

Beuge dich liebend zu ihm und erbitte mit süßesten Worten,

Hochbenedeite von ihm für die Römer den lieblichen Frieden.

Denn ich vermag mein Werk in den jetzigen Nöten des Staates

Sonst nicht mit Ruhe zu fördern, und du, des Memmierstammes

Rühmlicher Sproß, du könntest dich jetzt nicht entziehen dem Gemeinwohl.

 

Inhalt des Gedichtes, besonders der ersten Bücher

 

Leihe mir jetzt ein offenes Ohr, mein Gajus, und widme

Aller Sorgen entledigt den Geist der Erkenntnis der Wahrheit.

Leicht sonst könnt' es geschehen, daß, ehe du richtig verstanden,

Du mein emsig geschaffenes Werk nicht achtend verwürfest.

Denn es beginnt von dem Himmelssystem und dem Wesen der Götter

Völlig den Schleier zu ziehn und der Welt Elemente zu lehren.

Denn aus ihnen erschafft die Natur und ernähret und mehret

Alles; auf diese zuletzt führt alles sie wieder zurücke,

Wenn es vergeht. Wir nennen sie Stoffe und Keime der Körper

Oder die Samen der Dinge nach unserer Lehre Bezeichnung,

Oder wir sprechen wohl auch von ihnen als Urelementen,

Weil aus ihnen zuerst ein jegliches wurde gebildet.

 

Preis Epikurs

 

Als vor den Blicken der Menschen das Leben schmachvoll auf Erden

Niedergebeugt von der Last schwerwuchtender Religion war,

Die ihr Haupt aus des Himmels erhabenen Höhen hervorstreckt

Und mit greulicher Fratze die Menschheit furchtbar bedräuet,

Da erkühnte zuerst sich ein Grieche, das sterbliche Auge

Gegen das Scheusal zu heben und kühn sich entgegenzustemmen.

Nicht das Göttergefabel, nicht Blitz und Donner des Himmels

Schreckt' ihn mit ihrem Drohn. Nein, um so stärker nur hob sich

Höher und höher sein Mut. So wagt' er zuerst die verschlossnen

Pforten der Mutter Natur im gewaltigen Sturm zu erbrechen.

Also geschah's. Sein mutiger Geist blieb Sieger, und kühnlich

Setzt' er den Fuß weit über des Weltalls flammende Mauern

Und er durchdrang das unendliche All mit forschendem Geiste.

Dorther bracht' er zurück als Siegesbeute die Wahrheit:

Was kann werden, was nicht? Und wie ist jedem umzirket

Seine wirkende Kraft und der grundtief ruhende Markstein?

So liegt wie zur Vergeltung die Religion uns zu Füßen

Völlig besiegt, doch uns, uns hebt der Triumph in den Himmel.

 

 

 

Abwehr der Volksreligion

 

 

Freilich beschleicht mich die Furcht hierbei, als ob du vermeinest,

Gottlosen Pfad zu betreten bei diesem System und des Frevels

Weg zu beschreiten. Doch grade die übliche Religion ist's,

Die oft gottlose Taten erzeugt und Werke des Frevels.

Haben doch solchergestalt die erlesenen Danaerfürsten

An Dianens Altar, der jungfräulichen Göttin, in Aulis

Iphianassas Blut in grausamem Wahne geopfert.

Als ihr die heilige Binde die Jungfraulocken umsäumend

In gleichmäßigem Falle die Wangen beide bedeckte,

Als sie zugleich am Altar den trauernden Vater erblickte

Und ihm nahe die Diener den Mordstahl unter dem Mantel

Bargen und jammerndem Volke der Anblick Tränen entlockte,

Da sank stumm sie vor Angst auf die Knie hinab zu der Erde.

Nichts vermochte der Armen in dieser Stunde zu helfen,

Daß sie den König zuerst mit dem Namen des Vaters begrüßte.

Denn von den Fäusten der Männer ergriffen, so wurde sie zitternd

Hin zum Altare geschleppt, nicht um nach dem festlichen Opfer

Dort in dem Hochzeitszug mit Jubel geleitet zu werden,

Nein, in der Brautzeit selbst ward sie, die Unschuldige, schuldvoll

Hingeschlachtet als Opferlamm von dem eigenen Vater,

Auf daß endlich die Flotte gewinne den glücklichen Auslauf.

Soviel Unheil vermochte die Religion zu erzeugen.

 

Warnung vor den Priestern

 

Jeweils denkst du vielleicht von den dräuenden Worten der Priester

Heftig bedrängt und bekehrt aus unserem Lager zu fliehen!

Denn was könnten sie dir nicht alles für Märchen ersinnen,

Die dein Lebensziel von Grund aus könnten verkehren

Und mit lähmender Angst dein Glück vollständig verwirren !

Und in der Tat, wenn die Menschen ein sicheres Ende vermöchten

Ihrer Leiden zu sehn, dann könnten mit einigem Grunde

Sie auch der Religion und den Priesterdrohungen trotzen.

Doch so fehlt für den Widerstand wie die Kraft so die Einsicht,

Da uns die Angst umfängt vor den ewigen Strafen der Hölle.

 

Wesen der Seele

 

Denn man weiß ja doch nichts von dem Wesen der Seele; man weiß nicht,

Ob sie schon mit der Geburt in uns eingeht oder ob dann erst

Sie entsteht und im Tod mit dem Leibe zusammen sich auflöst;

Ob sie im Orkus verschwindet und seinen geräumigen Schlüften

Oder ob Götterbefehl sie in andre Geschöpfe verbannet.

So sang Ennius einst, der erste der römischen Dichter,

Der von des Helikon Höhen sich ewig grünenden Lorbeer

Pflückte zum Kranz. Hell klinget sein Preis durch Italiens Lande.

Zwar verkündet der Dichter in seinen unsterblichen Versen,

Unten am Acheron seien wohl allerlei Räume, doch unsre

Wirklichen Seelen und Leiber gelangten da nimmer hinunter,

Sondern nur Schattengebilde und wunderlich bläßliche Schemen.

So sei einst aus der Tiefe des ewig jungen Homeros

Schatten im Traum ihm erschienen und habe mit Tränen im Auge

Ihm zu enthüllen begonnen im Lied das Geheimnis des Daseins.

 

Inhalt der späteren Bücher

 

Also es ziemt uns zunächst auf die himmlischen Dinge zu achten

Und mit Fleiß zu erforschen die Bahnen der Sonn' und des Mondes,

Wie sie laufen und welcherlei Kraft sich in allem betätigt

Hier auf Erden. Doch forschenswert vor allem bedünkt mich

Unsere Seele, woher sie stammt, und das Wesen des Geistes,

Und was unsere Seele im Wachen nicht minder zu schrecken

Pflegt wie im Krankheitsfall und wenn wir vom Schlafe betäubt sind,

Daß wir die Toten zu sehen und Stimmen von jenen zu hören

Meinen, deren Gebein schon längst von der Erde bedeckt wird.

 

Schwierigkeit der Aufgabe

 

Schwer zwar ist's, ich verhehl' es mir nicht, das entdeckte Geheimnis

Griechischer Weltweisheit in lateinischen Versen zu künden.

Auch bedarf es dazu Neuschöpfung vieler Begriffe;

Unsere Sprache versagt gar oft bei der Neuheit des Inhalts;

Doch dein adliger Sinn und die lockende Hoffnung der süßen

Freundschaft treibt mich dazu, mich vor keinerlei Mühe zu scheuen;

Ja sie verleitet mich oft die heiteren Nächte zu wachen,

Bis ich den richtigen Vers und die passenden Wörter gefunden,

Die klarleuchtende Helle vor deinem Verstande verbreiten,

Daß du das Dunkel der Dinge vollständig zu lichten vermöchtest.

 

Naturforschung als Erlösung

 

Jene Gemütsangst nun und die lastende Geistesverfinstrung

Kann nicht der Sonnenstrahl und des Tages leuchtende

Helle Scheuchen, sondern allein die Naturanschauung und Forschung.

Sie muß füglich beginnen mit folgendem obersten Leitsatz;

 

 

 

I. Lehrsatz. Nichts wird aus Nichts

 

 

Nichts kann je aus dem Nichts entstehn durch göttliche Schöpfung.

Denn nur darum beherrschet die Furcht die Sterblichen alle,

Weil sie am Himmel und hier auf Erden gar vieles geschehen

Sehen, von dem sie den Grund durchaus nicht zu fassen vermögen.

Darum schreiben sie solches Geschehn wohl der göttlichen Macht zu.

Haben wir also gesehen, daß nichts aus dem Nichts wild geschaffen,

Dann wird richtiger auch die Folgerung draus sich ergeben,

Woraus füglich ein jegliches Ding zu entstehen im Stand ist

Und wie alles sich bildet auch ohne die Hilfe der Götter.

Gäb' es Entstehung aus Nichts, dann könnt' aus allem ja alles

Ohne weitres entstehen und nichts bedürfte des Samens.

So könnt' erstlich der Mensch aus dem Meer auftauchen, der Fische

Schuppiges Volk aus der Erde, die Vögel dem Himmel entfliegen,

Herdengetier und anderes Vieh wie die wilden Geschöpfe

Füllten beliebig entstanden das Fruchtland an wie das Ödland.

Auch auf den Bäumen erwüchsen nicht immer dieselbigen Früchte,

Sondern das änderte sich, kurz, alles erzeugte da alles.

Hätte fürwahr nicht jegliches Ding ureigene Keime,

Wie nur könnte für alles ein sicherer Ursprung bestehen?

Doch weil jegliches jetzt aus bestimmten Samen sich bildet,

Tritt es nur dort an den Tag und dringt zu den Räumen des Lichtes,

Wo sich der Mutterstoff und die Urelemente befinden.

Dadurch wird es unmöglich, daß alles aus allem entstehe,

Weil in besonderen Stoffen tut jedes gesondert die Kraft ruht.

Weshalb sehen wir ferner im Lenze die Rosen erblühen,

Sommerhitze das Korn und den Herbst die Trauben uns spenden?

Doch wohl, weil zu der richtigen Zeit sich die Samen der Dinge

Gatten und alles, was dann aus ihnen sich bildet, zu Tag tritt,

Wenn auch die Witterung hilft und die lebenspendende Erde

Sicher das zarte Gewächs in die Räume des Lichtes emporführt.

Kämen aus Nichts sie hervor, dann würden sie plötzlich entstehen

Ohne bestimmten Termin auch in anderen Zeiten des Jahres.

Denn dann gäb' es ja keine befruchtenden Urelemente,

Welche mißgünstige Zeit an der Zeugung könnte verhindern.

Auch für das Wachstum wären befruchtende Zeiten nicht nötig,

Wenn aus dem Nichts hervor die Dinge zu wachsen vermöchten.

Denn dann würden sofort aus Säuglingen Jünglinge werden

Und mit urplötzlichem Schuß entwüchsen die Bäume dem Boden.

Aber dergleichen entsteht doch nichts: man sieht es ja deutlich;

Wie es sich schickt, wächst jedes gemach aus besonderem Keime.

Und so wahrt es die eigene Art auch im weiteren Wachsen.

Also man sieht: aus besonderem Stoff mehrt jedes und nährt sich.

Hierzu kommt, daß ohne geregelten Regen im Jahre

Keinerlei labende Frucht uns die Erde vermöchte zu spenden;

Fehlt dann das Futter, so könnten natürlich hinfort die Geschöpfe

Weder die Art fortpflanzen noch selbst ihr Leben nur fristen.

Drum ist's glaublicher, daß gar vielerlei Stoffelemente

Vielerlei Dingen gemeinsam sind, wie die Lettern den Wörtern,

Als daß irgendein Wesen der Urelemente beraubt sei.

Schließlich warum hat Mutter Natur nicht Riesen erschaffen,

Die wohl über das Meer mit den Füßen zu schreiten vermöchten,

Die mit den riesigen Händen die mächtigen Berge zerspellten

Und jahrhundertelang ihr leibliches Leben erstreckten,

Läge nicht für die Entstehung der Wesen jedwedem bestimmter

Urstoff vor, aus dem sich ergibt, was wirklich entstehn kann?

Also: Nichts entsteht aus dem Nichts. Dies ist nicht zu leugnen.

Denn es bedarf doch des Samens ein jegliches Ding zur Entstehung,

Wenn es hervorgehn soll in des Luftreichs dünne Gefilde.

Endlich sehen wir doch, wie bebautes Gelände den Vorzug

Hat vor dem wüsten und bessere Frucht dort erntet der Pflüger.

Siehe, der Erdenschoß birgt offenbar Urelemente,

Die wir zum Licht befördern, so oft wir die fruchtbaren Schollen

Wenden und pflügend die Schar den Boden der Erde durchfurchet.

Wären sie nicht, dann wären umsonst all' unsere Mühen;

Denn dann sähe man alles von selbst viel besser gedeihen.

 

 

 

Nichts wird zu Nichts

 

 

Dazu kommt, daß Mutter Natur in die Urelemente

Wiederum alles zerstreut und Nichts in das Nichts wird vernichtet.

Denn wär' irgendein Wesen in allen Teilen zerstörbar,

Würd' es den Augen entschwinden im Nu, sobald es der Tod trifft.

Denn dann braucht es ja keiner Gewalt, die Teile desselben

Auseinanderzuscheiden und ihre Verbände zu lösen.

Doch nun ist ja ein jedes aus ewigem Samen entsprossen:

Darum scheint die Natur die Vernichtung keines der Wesen

Zuzulassen, solang nicht von außen zerstörend die Kraft wirkt

Oder ins Leere sich schleichend von innen die Bindungen lockert.

Weiter, wenn etwa die Zeit, was sie alt und entkräftet dahinrafft,

Völlig vernichtend träfe und gänzlich verzehrte den Urstoff,

Woher führte denn Venus die Gattungen lebender Wesen

Wieder zum Licht und woher verschaffte die Bildnerin Erde

Jedem nach seinem Geschlechte das Futter zu Nahrung und Wachstum?

Woher füllten das Meer die von fernher strömenden Flüsse

Wie auch die eigenen Quellen? Wie nährte der Äther die Sterne?

Müßte doch längst, was immer aus sterblichem Körper bestehet,

In der unendlichen Zeit und Vergangenheit alles erschöpft sein.

Wenn nun in jener Zeit und den längst vergangenen Tagen

Jene Stoffe bestanden, aus denen die Welt ist erschaffen,

Müssen sie sicher besitzen ein unzerstörbares Wesen.

Also kann in das Nichts auch das Einzelne nimmer zerfallen.

Endlich müßte der nämlichen Kraft und der nämlichen Ursach'

Überall alles erliegen, sofern nicht der ewige Urstoff

Hielte den ganzen Verband bald mehr bald minder vernestelt.

Denn schon die bloße Berührung genügte den Tod zu bewirken,

Weil ja die ewigen Körper dann mangelten, deren Verbindung

Jegliche Kraft erst müßte zuvor auflösend zerstören.

Aber da untereinander die Klammern der Urelemente

Völlig verschieden sie binden und ewiglich dauert der Urstoff,

Hält sich der Dinge Bestand solang, bis die einzelne Bindung

Einer genügenden Kraft, um jene zu sprengen, begegnet.

Nichts wird also zu Nichts, doch löst sich hinwiederum alles,

Wenn es zur Trennung kommt, in des Urstoffs Grundelemente.

Endlich die Regenergüsse verschwinden zwar, wenn sie der Vater

Äther zum Mutterschoße der Erde befruchtend hinabschickt,

Aber emporsteigt schimmernd die Frucht, und das Laub an den Bäumen

Grünt, und sie wachsen empor, bald senkt sich der Ast vor den Früchten.

Hiervon nähren sich wieder der Menschen und Tiere Geschlechter,

Hiervon sehen wir fröhlich die Kinder gedeihn in den Städten,

Und in dem Laubwald hört man der jungen Vögel Gezwitscher,

Hiervon strecken ermüdet die feisten, gemästeten Rinder

Nieder den Leib in das üppige Gras und aus strotzenden Eutern

Fließt ihr schneeweiß milchiger Saft. Hier trinkt nun das Jungvieh,

Und von der Milch wie berauscht, die den zarten Kälbchen zu Kopf steigt,

Spielen sie schwankenden Schrittes wie toll durch das sprossende Gras hin.

Also von dem, was man sieht, geht nichts vollständig zugrunde.

Denn die Natur schafft eins aus dem ändern und duldet kein Werden,

Wenn nicht des einen Geburt mit dem Tode des ändern verknüpft wird.

 

II. Lehrsatz. Die unsichtbaren Atome

 

Nunmehr, da ich gelehrt, daß nichts aus dem Nichts wird geboren,

Und daß ebenso auch das Gewordene nicht in das Nichts fällt,

Daß dich nicht Mißtraun etwa zu meinen Worten beschleiche,

Weil man die Urelemente mit Augen zu sehn nicht imstand ist:

Höre nun weiter von Körpern, die eingestandenermaßen

Zwar in der Welt sich befinden und doch sich nicht sichtbar bekunden.

 

Erstlich denk' an des Windes Gewalt! Wild peitscht er die Meerflut,

Senkt die gewaltigsten Schiffe hinab und zerspaltet die Wolken.

Oft durchsaust er die Felder in rasendem Wirbel und Sturme,

Fällt dort Riesen von Bäumen und geißelt die Gipfel der Berge

Wälder zerschmetternd im Wehn. So rast im grimmigen Schnauben

Durch das Gelände der Sturm und tobt mit bedrohendem Brüllen.

Was sind also die Winde? Doch wohl nichtsichtbare Körper,

Welche die Länder und Meere, nicht minder die Wolken des Himmels

Fegen und mit sich reißen in plötzlichem Wirbel verheerend.

Ebenso flutet auch plötzlich die sanfte Natur der Gewässer

Heftig empor und verpflanzt weithin das Werk der Zerstörung.

Wenn sie durch reichliche Regen geschwollen ihr Bette verlassen

Und von den Bergen herab ein gewaltiger Tobel herabstürzt

Trümmer von Wäldern entführend und Riesen von Bäumen entwurzelnd.

Festeste Brücken vermögen des plötzlich kommenden Wassers

Übergewalt nicht zu hemmen. So stößt vom Regen geschwollen

Gegen die Dämme der Fluß mit übergewaltigen Kräften,

Alles zerstört er mit lautem Gebrüll und wälzt in den Wogen

Riesige Felsen: er stürzt, was gegen die Fluten sich anstaut.

So muß also sich auch das Wehen des Windes erklären.

Wie ein gewaltiger Strom so zermalmet er alles und wälzt es

Vor sich mit häufigem Stoße einher, wo immer er einfällt,

Oder bisweilen ergreift er mit drohendem Strudel die Dinge

Und trägt rasenden Fluges sie fort im rollenden Wirbel.

Also noch einmal: die Winde sind auch nichtsichtbare Körper,

Da sie in Taten und Sitten als Nebenbuhler erscheinen

Zu den gewaltigen Strömen, die sichtbare Körper besitzen.

 

Ferner empfinden wir auch gar manche Gerüche von Dingen,

Die doch nie in die Nähe der riechenden Nase gelangen.

Auch die glühende Hitze ist unsichtbar und die Kälte

Können wir sichtbar nicht sehn, noch pflegen wir Worte zu schauen,

Gleichwohl muß dies alles ein körperlich Wesen besitzen,

Da es die menschlichen Sinne ja doch zu erregen imstand ist;

Denn nichts kann, als der Körper, Berührung wirken und leiden.

 

Hängst du ferner ein Kleid an dem flutenumbrandeten Strand auf,

Feucht wird es dort, doch es trocknet auch wieder in glühender Sonne;

Aber man hat nicht gesehn, wie des Wassers Nässe hineinkam

In das Gewand, noch andererseits, wie sie floh vor der Hitze.

Also muß sich das Naß in winzige Teilchen zerteilen,

Die auf keinerlei Weise das Auge zu sehen imstand ist.

 

Ja auch der Fingerreif wird innen durch stetiges Tragen

Immer dünner im Laufe der wiederkehrenden Jahre.

Gleich wie der fallende Tropfen den Stein höhlt, also vernutzt sich

Auch an dem Pfluge die eiserne Schar unmerklich im Boden.

Ferner das steinerne Pflaster wird bald durch die Füße der Leute

Abgetreten, am Tore die ehernen Bilder der Götter

Zeigen verscheuerte Hände. Denn immer berühret in Andacht,

Wenn es vorüberwandert, das Volk zur Begrüßung die Rechte.

Also wir sehen nun klar: Dies mindert sich, weil es sich abnützt;

Doch was in jedem Momente an Körperchen gehet verloren,

Hat die Natur uns neidisch verwehrt mit den Augen zu schauen.

Schließlich, was Tag um Tag die Natur allmählich den Dingen

Zulegt, wie sie allmählich das Wachstum also befördert.

Das kann nimmer ein Auge erspähn mit gespanntestem Blicke.

Ebensowenig vermagst du zu sehn, was das dörrende Alter

Wegnimmt, oder am Meer, was die überhängenden Felsen,

Welche das Salz zernaget, in jedem Momente verlieren.

Unsichtbar sind also die Körper, durch die die Natur wirkt.

 

III. Lehrsatz. Das Vakuum

 

Aber es ist nicht alles gedrängt voll Körpermaterie

Allerseits. Denn es gibt noch im Innern der Dinge das Leere.

Dies ist zu wissen für dich in vielen Beziehungen nützlich;

Denn es läßt dich nicht schwanken und ratlos immerdar grübeln

Über das Ganze der Welt, statt unserem Wort zu vertrauen.

Also es gibt ein leeres, ein fühllos, stoffloses Wesen.

Wäre das Leere nicht da, dann könnt' auf keinerlei Weise

Irgendein Ding sich bewegen. Denn Widerstand zu entwickeln,

Das ist des Körpers Amt; dies würde beständig in allen

Dingen sich zeigen. Es könnte mithin nichts weiterhin vorgehn;

Denn nichts wollte zuerst Platz machen für andere Wesen.

Aber wir sehen doch jetzt vor den Augen sich vielerlei regen

Und in verschiedenster Art sich durch Länder und Meere bewegen

Wie an dem Himmelsgewölbe. Doch fehlte nun etwa das Leere,

Würde sich nicht nur nichts in reger Bewegung befinden,

Sondern es fehlte durchaus auch die Möglichkeit jeder Erzeugung,

Da sich der rings aufhäufende Stoff nicht zu rühren vermöchte,

Übrigens hält man zwar die Dinge für dicht und solide,

Aber wie locker ihr Körper, ersieht man aus folgendem Beispiel:

Durch das Grottengestein fließt Wasser in flüssigem Strome,

Überall rieseln herab die reichlich tropfenden Tränen.

Ferner: die Speise verteilt sich im ganzen Leib der Geschöpfe.

Auch die Bäume gedeihen und spenden zur Zeit uns die Früchte,

Weil sich der Nahrungssaft von den untersten Wurzeln nach oben

Wie durch den Stamm, so durch alles Gezweig vollständig verbreitet.

Mauern durchdringet der Schall und durchfliegt auch verschlossene Häuser,

Und der erstarrende Frost dringt durch bis zum Mark und den Knochen.

Wären die Räume nicht leer, durch welche die einzelnen Körper

Könnten hindurch sich bewegen, so wäre dergleichen unmöglich.

Endlich warum ist dies an Gewicht just schwerer als jenes,

Ohne daß ihre Gestalt an Umfang wäre verschieden?

Wäre von Körpermasse gleichviel vorhanden im Wollknäul

Wie in dem Klumpen von Blei, dann müßten sie gleichen Gewichts sein;

Ist doch des Körpers Amt nach unten hin alles zu drücken,

Wie es zum Wesen des Leeren gehört des Gewichts zu ermangeln.

Also was gleichgroß ist und dennoch leichter erscheinet,

Zeigt natürlich uns an, daß in ihm mehr Leeres sich birget;

Andererseits was schwerer erscheint, gibt uns zu erkennen,

Daß es an Masse wohl mehr, doch weniger Leeres enthalte.

Also es ist in den Dingen natürlich noch etwas enthalten,

Was wir spürsamen Geistes erforschen: wir nennen's das Leere.

 

Widerlegung des Gegenbeweises. Schwimmender Fisch

 

Eines muß ich hierbei zuvor noch erwähnen, damit nicht

Wahngebilde der Gegner vom Pfade dich locken der Wahrheit.

Vor den schuppigen Tieren (so sagen sie) weiche das Wasser,

Während sie schwimmen, zurück und eröffne die Bahn, weil sie hinten

Platz zum Zusammenströmen den weichenden Wellen gewährten.

So aneinander vorbei sich bewegend vermöchten auch andre

Dinge beliebig die Stellung zu tauschen, wenn alles auch voll ist.

Merke dir, dieser Beweis ruht ganz auf falscher Begründung.

Wohin sollten denn nur die schuppigen Fische vorangehn,

Machte das Wasser nicht Platz? Wenn ferner die Wellen zurückgehn,

Wie vermöchten sie das, wenn die Fische sich rühren nicht können?

Also man muß entweder jedwede Bewegung der Körper

Leugnen oder behaupten: es gibt ein Leeres in ihnen,

Welches den Anfang schafft jedwedem zu jeder Bewegung.

Endlich noch dies! Zwei breite, zusammenstoßende Körper

Prallen mit Wucht auseinander. Da muß nun die Luft in das Leere,

Das hierzwischen entsteht, eindringen und gänzlich es füllen.

Aber auch wenn sie sofort ringsum in beschleunigtem Zustrom

Flösse zusammen, so kann sie doch nimmer in einem Momente

Sämtlichen Raum ausfüllen. Sie muß erst jeden der Plätze

Nacheinander erobern, bis alles am Ende besetzt ist.

Glaubt man nun etwa, der Grund für der Körper gewaltsamen Abprall

Sei aus der Luft zu entnehmen und ihrer Verdichtung, so irrt man.

Denn es entsteht ja ein leerer Raum, der vorher nicht da war,

Ebenso füllt sich auch wieder die Leere, die vorher bestanden.

Niemals kann sich die Luft auf ähnliche Weise verdichten

Oder, wenn je sie es könnte, wie sollte sie ohne das Leere

Sich in sich selber zusammenziehn und die Teile vereinen?

Magst du dich drum bestreitend auch noch so drehen und wenden,

Mußt du doch endlich gestehen: es gibt in den Dingen ein Leeres.

 

 

 

Mahnung an Memmius

 

 

Vieles vermocht' ich dir noch zusammenzuscharren, um hierdurch

Unserer Lehre Beweis durch weitere Gründe zu stärken.

Aber dem spürsamen Geiste genügen auch diese geringen

Spuren der Fährte bereits, um das übrige selber zu finden.

Denn wie im Waldesrevier die Doggen mit witternder Nase

Häufig die Lager des Wildes, die laubverdeckten, erspüren,

Wenn sie nur erst einmal auf die sichere Fährte gelangt sind,

So wirst selber du nun bei derlei Fragen imstand sein,

Eins aus dem ändern zu lernen und in die verborgenen Winkel

Einzudringen, um hieraus hervorzuziehen die Wahrheit.

Säumst du jedoch und willst von der Sache dich etwas zurückziehn,

Geb' ich dir dieses Versprechen, mein Memmius, offen und ehrlich:

Aus dem gewaltigen Quell, der überreich mir im Innern

Quillt, wird mein süßer Gesang dir volle Pokale kredenzen.

Eher noch kommt, wie ich fürchte, das Alter mir langsam geschlichen

Und löst leise die Riegel, die schützend mein Leben verwahren,

Als ich dein Ohr mit der Fülle der formgerechten Beweise

Voll gesättigt, wie solche für jeglichen Fall mir zur Hand sind.

Nun gilt's fortzuspinnen den eben begonnenen Faden.

 

Nur zwei Prinzipien: Atom und Vakuum

 

Alle Natur, wie sie ist an sich, muß also bestehen

Aus zwei Dingen allein. Denn Körper nur gibt es und Leeres,

Welches die Körper umfängt und Bahn schafft jeder Bewegung.

Was nun die Körper betrifft, so lehrt der gewöhnliche Sinn schon,

Daß sie bestehn. Und wenn wir den Sinnen vor allem nicht trauen,

Fehlt uns der Grund, auf den wir gestützt die verborgenen Dinge

Irgendwie mit verständigem Geist zu erforschen vermögen.

Ferner der Ort und der Raum, den wir als das Leere bezeichnen,

Gab' es ihn nicht, so könnten ja nirgend die Körper sich lagern,

Oder sich irgend bewegen wohin nach verschiedener Richtung,

Was wir dir oben vor kurzem ausführlichst haben bewiesen.

 

Ein Drittes ausgeschlossen

 

Ferner gibt es ja nichts, was als völlig verschieden vom Körper

Nennen sich läßt und zugleich nicht minder vom Leeren geschieden,

Was sich gleichsam als dritte Natur zu den ändern gesellte.

Denn was immer nur ist, muß immer aus Etwas bestehen,

Mag es nun groß an Gestalt, mag endlich auch klein es erscheinen:

Wenn es Berührung erfährt auch nur in dem winzigsten Umfang,

Wird sich dadurch auch des Körpers Betrag und die Summe vermehren.

Wenn es jedoch nicht faßbar erscheint, da es nirgend verhindert,

Daß ein beliebiger Körper in voller Bewegung hindurchfährt,

Merke dir, das ist der Raum, den wir als das Leere bezeichnen.

Auch wird, was für sich selber besteht, selbst Wirkungen äußern,

Oder es wird an sich selbst die Wirkungen andrer erleiden,

Oder es bietet den Raum für der ändern Wirkung und Dasein.

Aber Wirken und Leiden ist ohne den Körper unmöglich,

Und es gewähret den Raum nur Körperloses und Leeres.

Drum kann neben den Körpern und neben dem Leeren ein Drittes

Nie und nimmer für sich bestehn in dem Reiche der Dinge,

Weder was irgendeinmal für unsere Sinne sei faßbar,

Noch was mit dem Verstande der Mensch zu erschließen vermöchte.

 

 

 

IV. Lehrsatz. Akzidenzen der Prinzipien

 

 

Alles, was Namen besitzt, hängt ab von den beiden Prinzipien.

Denn es gibt nichts als beider »Verbindung« oder »Ergebnis«.

Als ein Verbundenes gilt, was ohne vernichtende Scheidung

Niemals trennen sich läßt noch abgesondert bestehn kann.

So hat der Stein sein Gewicht, das Feuer die Glut und das Wasser

Nässe; den Körpern ist eigen Berührung, nur nicht dem Leeren,

Knechtschaft aber und Freiheit und ferner Armut und Reichtum,

Wie auch Frieden und Krieg und alles, was sonst noch hinzukommt

Oder verschwindet, doch ohne das Wesen der Dinge zu ändern:

All dies sind wir gewöhnt, wie es recht ist, Ergebnis zu nennen.

Auch ist die Zeit kein Ding an sich, nein, unsere Sinne

Nehmen erst ab von den Dingen, was in der Vergangenheit vorging,

Was uns soeben bedrängt, und endlich was später geschehn wird.

Niemand kann ja die Zeit an sich mit den Sinnen erfassen,

Wenn man die Ruhe der Dinge und ihre Bewegung nicht abmißt.

Wenn man die Sage vernimmt von Helenas Raub und von Trojas

Niederwerfung im Krieg, so muß man sich hüten zu meinen,

Jene Geschehnisse ständen für sich als wirkliche Dinge,

Weil ja die Menschengeschlechter, die jenes »Ergebnis« erfuhren,

Unwiderruflich hinab der vergangene Zeitraum geschlungen.

Denn von dem Land an sich ist das jedesmal'ge Ergebnis

Wohl zu trennen, das grade in dessen Bezirke sich abspielt.

Wäre nun gar in den Dingen der Stoff nicht vorhanden gewesen

Oder der Ort und der Raum, in welchem sich alles ereignet,

Hätte der Helena Schönheit wohl nimmer das Feuer der Liebe

Bei Alexander entfacht und ins Phrygierherz sich gestohlen,

Hätt' auch die Fackel des wilden, von allen besungenen Krieges

Nimmer entzündet. Dann hätte das hölzerne Pferd und die Griechen,

Die es nächtens gebar, auch nimmer die Veste zerstöret.

Daraus kannst du ersehn, daß alle Geschehnisse durchweg

Nicht auf sich selber beruhn und nicht wie der Körper bestehen,

Noch auch so wie das Leere besondre Benennung verdienen,

Sondern nur so, daß man richtig vielmehr von »Ergebnissen« redet,

Die an den Körper und Ort, wo jedes geschieht, sind gebunden.

 

Atomstruktur und Vakuum

 

Körper zerfallen nun teils in Urelemente der Dinge,

Teils in das, was entsteht durch Verbindung der Urelemente.

Aber die Urelemente sind allen Gewalten zum Trotze

Unvertilgbar. Sie schützt ihr undurchdringlicher Körper.

Freilich es scheint recht schwierig zu glauben, es sei in den Dingen

Irgend etwas zu finden mit undurchdringlichem Körper.

Denn es durchdringt ja der himmlische Blitz die Gefache der Häuser,

Ganz wie der Stimmen Geräusch; weiß glühet das Eisen im Feuer,

Und es zerbersten die Felsen, wenn Dampf sie heftig erglühn läßt.

Wie die Starre des Golds durch die Glut wird erweicht und geschmolzen,

So wird der Spiegel des Erzes besiegt von der Flamme verflüssigt.

Wärme durchströmet das Silber wie tiefeindringende Kälte.

Beides fühlen wir deutlich, sobald die ergreifende Rechte

Faßt den Pokal, in den sich ergießt das Getränke von oben.

So sehr scheint in der Welt nichts Undurchdringliches denkbar.

Aber es treibt mich die lautre Vernunft und das Wesen der Dinge;

Darum höre nun jetzt, wie in wenigen Versen ich zeige,

Daß es in Wahrheit Keime von festem und ewigem Stoff gibt,

Die man betrachten muß als die Urelemente des Weltalls;

Alles entstand und besteht auch jetzt noch einzig aus ihnen.

Erstlich nun muß notwendig, da diese Prinzipien beide,

Körper und leerer Raum, in welchem sich alles beweget,

Gänzlich verschiedne Natur, wie man längst entdeckt hat, besitzen,

Jedes für sich selbständig bestehn und rein sich erhalten.

Denn wo immer der Raum sich erstreckt, den Leeres wir heißen,

Ist kein Körper vorhanden, und wiederum, wo sich der Körper

Ausdehnt, fehlt vollständig das Körperlose, das Leere.

Drum sind die Urelemente solid und ermangeln des Leeren,

Da sich nun ferner das Leere in allem Erschaffenen findet,

Muß ringsum sich ein dichterer Stoff um das Leere erstrecken.

Denn bei keinem der Wesen vermag man mit richtigem Schlüsse

Darzutun, daß das Leere in ihm sich verbirgt und versteckt hält,

Wenn man zugleich nicht den dichten, umfassenden Stoff noch dazunimmt.

Dies kann füglich nichts anderes sein als vereinigter Urstoff,

Der in den Dingen vermag das Leere zusammenzuschließen.

Also der Urstoff selbst, der aus dichtestem Körper bestehn muß,

Kann urewig nur sein; das übrige löst sich im Tod auf.

Ferner, wenn das nicht wäre, was Raum verstattet, das Leere,

Wäre ja alles solid, und wiederum, gab es die Körper

Nicht, die sicher die Orte besetzten und völlig erfüllten,

Dann war' unsere Welt nichts andres als ödeste Wüste.

Also Körper und Leeres ist wechselweise geschieden;

Dies ist klar, da weder das Volle ausschließlich für sich steht

Noch auch das Leere. Somit gibt's eben besondere Körper,

Welche den leeren Raum von dem Vollen zu scheiden vermögen.

Diese lassen sich nicht durch Schläge von außen zertrümmern,

Noch löst irgendwie sich ihr festes Gefüge von innen,

Noch bringt irgendein anderer Fall sie erschütternd ins Wanken,

Was ich schon oben vor kurzem dir deutlich zu zeigen vermochte.

Wo das Leere nicht ist, da erscheint auch jede Verbeulung,

Jedes Zerbrechen unmöglich, wie jegliche Teilung in Hälften.

Nässe berührt sie nimmer, noch tief einwirkende Kälte,

Noch eindringendes Feuer, die alleszerstörenden Feinde.

Aber je mehr von dem Leeren ein Ding in dem Innern beherbergt,

Um so leichter erliegt es dem Eingriff jener Gewalten.

Sind nun also, so wie ich's gelehrt, die Urelemente

Dicht und ohne das Leere, dann müssen sie ewig bestehen.

Übrigens: wär' in der Welt nicht vorhanden der ewige Urstoff,

Wäre schon alles wohl längst in das Nichts vollständig versunken,

Und was wir irgend erblicken, müßt' immer von neuem erstehen.

Aber ich habe schon früher gelehrt, nichts könne sich bilden

Aus dem Nichts, noch zurück in das Nichts das Geschaffene sinken;

Deshalb müssen unsterblichen Leibs die Urelemente

Sein, in welche zuletzt jedwedes Geschaffne sich auflöst,

Um dann wieder den Stoff zu erneuten Geburten zu liefern.

Also die Urelemente sind einfach stets und solide,