INTERVIEW: RÜCKEN-BRAINING ®

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Wolfgang Scheiber hat Sport und pädagogische Psychologie studiert. Seit 1982 leitet er ein eigenes Gesundheitszentrum. Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Stress-, Konflikt- und Gesundheitsmanagement. Sein »Rücken-Braining« verbindet eine Verhaltenstherapie mit Elementen der Rückenschule und ist eines der erfolgreichsten Programme bei chronischen Rückenschmerzen (siehe Buchtipp >).

Wie sind Sie darauf gekommen, dass bei chronischen Rückenschmerzen einfaches Üben nicht ausreicht?

Die ersten Überlegungen liegen ungefähr 25 Jahre zurück. Ich hatte damals eine interessante Erfahrung gemacht: Einige Klienten mit chronischen Rückenbeschwerden fühlten sich bereits nach wenigen Trainingswochen nahezu beschwerdefrei. Die meisten erlebten jedoch schon nach der Eingangsuntersuchung eine neue Schmerzattacke. In beiden Fällen konnte das Rückentraining nicht die Ursache sein. Denn selbst mit den besten Rückenübungen kann man nicht in wenigen Tagen ein kräftiges Muskelkorsett aufbauen. Und die zweite Gruppe hatte ja mit dem Training noch gar nicht begonnen. Ich begann dann verstärkt, die Randfaktoren unter die Lupe zu nehmen, und erkannte, dass dort der eigentliche Therapiefokus liegen muss. Erst Ende der 90er Jahre hat die Gehirnforschung die genauen Zusammenhänge entdeckt. Deshalb sind heutzutage psychologische Faktoren automatisch Bestandteil der modernen Schmerztherapie.

Wie hoch schätzen Sie den Einfluss der Psyche bei chronischen Rückenbeschwerden ein?

Bei den sogenannten »unspezifischen« und chronischen Rückenschmerzen spielt die Psyche die entscheidende Rolle. Dies gilt für alle Schmerzphasen, angefangen von der Entstehung bis hin zur Heilung. Viele Schmerztherapeuten gehen inzwischen davon aus, dass in erster Linie psychische Faktoren entscheiden, ob sich überhaupt ein Schmerzgedächtnis entwickelt. Anders lässt es sich ja auch nicht erklären, dass manche Menschen mehrere Bandscheibenvorfälle haben, ohne dass sie darüber Bescheid wissen oder gar über Schmerzen klagen. Auch wie intensiv ich meine Rückenschmerzen empfinde, hängt sehr stark von meiner psychischen Verfassung ab. Wenn ich ständig gestresst bin und alle Last der Welt auf meinem Rücken trage, wehrt sich dieser logischerweise permanent. Genauso verhält es sich mit den Heilungschancen. Die Selbstheilungskräfte des Körpers entfalten sich nur dann, wenn ich eine positive Grundeinstellung zum Leben habe. Auch das ist inzwischen wissenschaftlich durch zahlreiche Studien klar belegt.

Gibt es Ihrer Erfahrung nach ein Charakterprofil, das Rückenschmerzen begünstigt?

Zumindest gibt es Wesensmerkmale, die Rückenschmerzen begünstigen. Dazu zählt vor allem eine pessimistische Lebenseinstellung. Die amerikanische Neurobiologin Candace B. Peart hat als eine der Ersten nachgewiesen, dass negative Gedanken regelrecht krank machen können, indem sie unter anderem die T-Zellen in unserem Immunsystem dramatisch absenken. Auch der sogenannte Opfertyp ist für chronische Schmerzen geradezu prädestiniert. Leider wissen die wenigsten um diese Zusammenhänge, und die Betroffenen haben allein kaum eine Chance, aus diesem Teufelskreislauf rauszukommen.

Wie entsteht ein Schmerzgedächtnis?

Ein Schmerz kann sich im Gehirn so stark einprägen, dass sich eine sogenannte neuronale Straße bildet – ähnlich dem Trampelpfad auf einer Wiese. Ein solcher Pfad entsteht, wenn Neuronen, also Nervenzellen, feste Verknüpfungen bilden. Eine bekannte Form des Schmerzgedächtnisses ist der Phantomschmerz, bei dem der Patient oft noch jahrelang sein amputiertes Glied »spürt« und darin Schmerzen empfindet. So ein Pfad kann schon durch einmalige, außergewöhnlich starke Schmerzen entstehen, beispielsweise während eines Bandscheibenvorfalls. Aber auch weniger starke Schmerzen, die immer wieder auftreten, können auf Dauer zu einem Schmerzgedächtnis führen. Hat es sich erst einmal gebildet, verliert der Schmerz seine normale Warnfunktion.

Und jetzt hat man chronische Schmerzen?

Wenn sich ein Schmerzgedächtnis gebildet hat, sind diese Schmerzzellen übersensibel: Bereits relativ harmlose Körperbelastungen aktivieren sie und rufen gravierende Schmerzen hervor. Der Schmerz ist chronifiziert, das heißt, er wird zum ständigen Begleiter – und er wird auf Dauer immer schlimmer.

Verstärkt wird das durch die Sorge, dass eine Tätigkeit den Rücken überbelasten könnte. Dadurch wird die für Angst zuständige Gehirnregion aktiviert. Nun befindet sich dort aber auch unser Schmerzzentrum – also wird dieses ebenfalls angeschaltet. Auf diese Weise kann allein der Gedanke an eventuell bevorstehende Schmerzen tatsächlich Schmerzen auslösen! Und diese werden als völlig gleich empfunden, egal ob sie durch eine reale Überbelastung hervorgerufen werden oder »nur« durch Angst oder leichte Belastung.

WIE SPRACHE UND IMAGINATION HELFEN

Unser Schmerzgedächtnis kann also dazu führen, dass schon die Angst vor Schmerzen reale Schmerzen hervorruft. Der wichtigste Schritt aus diesem Teufelskreis hinaus ist, bewusst alles zu vermeiden, was die Schmerzzellen aktivieren könnte. Das sind weniger bestimmte körperliche Belastungen, als vielmehr die gedanklichen Verbindungen, die wir dazu geknüpft haben.

»Schmerzhafte« Wortwahl

Für Menschen mit chronischen Rückenschmerzen ist allein das Wort »Rücken« in der Regel so negativ – nämlich »schmerzbesetzt« –, dass jeder Gedanke an den Rücken schon die Gefahr in sich birgt, die nächste Schmerzattacke auszulösen.

Unser Gehirn reagiert hochsensibel auf unsere Wortwahl, denn es verknüpft jedes Wort automatisch – das heißt unbewusst – mit Erfahrungen und Gefühlen. So ist es unerlässlich, sich zuerst einmal bewusst zu machen, mit welchen Worten wir unsere Befindlichkeit benennen. Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich mir sage: »Ach, du meine Güte, schon wieder tut mir der Rücken weh! Sicher werde ich heute wieder einmal nicht das schaffen, was ich mir vorgenommen habe!«, oder ob ich sage: »Oh, ich spüre meinen Rücken. Sicher will er mir zu verstehen geben, dass er etwas gedehnt werden möchte und seine Übungen braucht!«

Mithilfe des inneren Beobachters (>)können wir bewusst wahrnehmen, wie unsere Gedanken um unseren Rücken kreisen und mit welchen Worten wir Schmerz regelrecht provozieren.

Eine neue Sprache finden

Das Schmerzgedächtnis lässt sich wieder neutralisieren, indem wir nun alle negativen Gedanken in Bezug auf Rücken und Schmerzen erkennen und vermeiden. Es geht tatsächlich darum, eine neue »Sprachregelung« für sich zu finden, und zwar eine, die uns erlaubt, aktiv zu werden und die Rolle des »Schmerzopfers« endlich hinter uns zu lassen. Nur dadurch kann das Gehirn lernen, das Wort »Rücken« positiv zu besetzen.

Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitet man im Rücken-Braining mit den Methoden der modernen Lernpsychologie. So werden zum Beispiel Schlüsselworte gesucht, die positive Empfindungen und Gefühle hervorrufen, und bewusst mit dem Begriff »Rücken« verbunden. Damit wir uns ständig daran erinnern, werden diese Worte an vielen Stellen in der Wohnung und am Arbeitsplatz deutlich sichtbar aufgehängt. Das Gehirn nimmt auf diese Weise wieder und wieder die Verknüpfung mit einer positiven »Gefühlsladung« wahr. Dadurch beginnen sich neue neuronale Straßen zu bahnen, die die alten Verknüpfungen nach und nach überlagern und so allmählich neutralisieren.

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Im Yoga kräftigen wir die kleinen tiefen Muskeln, die dicht an der Wirbelsäule sitzen. Sie geben uns einen entspannten inneren Halt.

Erschaffen Sie sich einen starken und belastbaren Rücken!

Genauso, wie unser Geist lange die Gedanken unterstützt hat, die unser Schmerzgedächtnis und die Sorge um unseren Rücken nährten, kann er lernen, neue Vorstellungen zu entwickeln, die die Gesundung und Stärkung unseres Rückens unterstützen. Mit solchen angenehmen inneren Bildern und Empfindungen werden wir die Heilung unseres Rückens auf ungeahnte Weise wirksam fördern!

Aus der modernen Gehirnforschung wissen wir, dass diese »Macht der inneren Bilder« (so ein Buchtitel des renommierten Hirnforschers Professor Gerald Hüther) in der Lage ist, Wirklichkeit zu erschaffen.

Wenn wir uns immer wieder vorstellen, dass unser Rücken im Verlauf der Therapie stetig stärker, beweglicher und belastbarer wird, werden erst unser Gehirn und dann unser Geist freudig auf diese angenehme Vorstellung eingehen. Das funktioniert allerdings nur, wenn wir uns wirklich täglich mehrmals sagen, dass wir mit unserem Rücken auf einem guten Weg sind und dass es jetzt, da wir aktiv geworden sind, nur eine Frage der Zeit ist, bis unser Rücken wieder gesunden wird.

Ganz wichtig ist es, sich bei kleineren und größeren Rückschlägen, die nun mal zu jedem Heilungsprozess gehören, nicht entmutigen zu lassen, sondern die Vision eines vollkommen gesundeten Rückens unerschütterlich zu bewahren. Schon nach einigen Wochen werden wir kaum noch in der Lage sein, uns mit der eingeschränkten, geplagten und oft mutlosen Person zu identifizieren, die wir einmal waren! Und dann brechen wirklich neue Zeiten an …

TIPPS FÜR DIE PRAXIS

Jeder kann Yoga üben – es gilt nur, einige Hinweise zu beachten. Die digitalen Inhalte machen dann das Üben leicht! Befassen Sie sich aber bitte vorher mit den Anleitungen im Buch, da Sie hier Wichtiges zum Üben erfahren. Entscheidend für den Erfolg ist, dass Sie dranbleiben: Üben Sie besser jeden Tag 15 bis 20 Minuten als einmal in der Woche eine Stunde lang. Tägliches Üben erhält die Wirkungen und verstärkt sie allmählich immer mehr.

ÜBER DAS WANN UND WIE

Die Übungen in diesem Buch sind so aufgebaut, dass jeder sie ohne besondere Vorkenntnisse oder Voraussetzungen ausführen kann. Weder Alter noch Gelenkigkeit noch die normalen Beschwerden, die uns moderne Menschen plagen – wie leichte Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Nervosität oder der übliche Verschleiß der Gelenke –, sind ein Hinderungsgrund. Dennoch gibt es einige Erkrankungen, die erfordern, dass Sie zuerst Rücksprache mit Ihrem Arzt halten.

Wann ist Vorsicht geboten?

Üben Sie besonders achtsam und behutsam, wenn Sie länger krank waren (auch nach einer starken Grippe), wenn Sie sich sehr erschöpft fühlen, bei allen Kreislaufschwankungen (besonders aber bei stark erhöhtem Blutdruck), bei allen Schmerzzuständen (lassen Sie unbedingt abklären, wodurch sie ausgelöst werden!), bei starken Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule oder den Gelenken, bei Asthma, während der Regelblutung und in der Schwangerschaft.

Sie sollten nicht üben, wenn Sie unter einer akuten Infektion oder Entzündung leiden, akute Schmerzen oder akute Rückenprobleme haben (zum Beispiel in den ersten Tagen nach einem Bandscheibenvorfall).

Die beste Zeit zum Üben …

… ist jede Zeit am Tag, in der Sie 15 bis 20 Minuten ungestört sind.

Das kann am Morgen noch vor dem Frühstück sein, um den Tag gut zu beginnen.

Den frühen Morgen haben die Yogis von jeher favorisiert, denn nur dann können wir – in der Regel – sicher sein, nicht gestört zu werden. Und wir sind zwar noch etwas steif, aber ganz nüchtern, sodass nichts unseren Organismus unnötig belastet.

Vielleicht ist aber die einzige Zeit, über die Sie gut verfügen können, Ihre Mittagspause. Dann üben Sie einfach zum Beispiel die Entspannungsübung anstelle einer Siesta!

Das abendliche Üben schließt den Alltag ab und gibt dem Feierabend eine andere Qualität. Stellen Sie nur sicher, dass Ihre Umgebung weiß und akzeptiert, dass Sie eine kurze Auszeit nehmen, um sich zu regenerieren.

Stellen Sie Telefon und Handy ab, und ziehen Sie sich zurück. Ihre letzte größere Mahlzeit sollte mindestens drei Stunden zurückliegen, und trinken Sie unmittelbar vor dem Üben keine größeren Mengen Flüssigkeit.

RÜCKEN-BRAINING ®

Wenn Sie ständig oder schon bei geringer Beanspruchung Schmerzen im Rücken, in den Schultern oder im Nacken haben, empfehle ich Ihnen dringend einen Rücken-Braining-Kurs. Innerhalb von sechs Wochen lernen Sie im Gruppenunterricht mentale und körperliche Übungen kennen und trainieren sie auch zu Hause. Die Erfolgsquote dieses kombinierten Trainings ist außergewöhnlich hoch. Nach dem Kurs können Sie Ihrem Rücken wieder viel mehr zumuten und gewinnen sehr an Lebensqualität (Adressen >).

Yoga üben – jeden Tag