Carol Marinelli
Sizilianische Leidenschaft
IMPRESSUM
JULIA EXTRA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
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Redaktionsleitung: | Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Christel Borges |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
© 2013 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Uncovering the Correttis“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 381 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Gudrun Bothe
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 05/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733706364
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Eine Hochzeit?“ Emily Hyslop zog die Brauen hoch. „Du erwartest nicht ernsthaft von mir, dass ich über eine Hochzeit schreibe?“
„Ich dachte, du würdest begeistert sein von der Aussicht auf zwei Tage Sizilien.“ Dabei wusste Adam sehr wohl, dass es nicht so war.
Emily arbeitete als investigative Journalistin für eine große englische Zeitung. Und ihr Boss verlangte von ihr, dass sie über eine Hochzeit berichtete! Präziser ausgedrückt: Ihr Ex schickte sie zu einem Zeitpunkt nach Sizilien, in dem ihr Fall, an dem sie so hart gearbeitet hatte, kurz vor dem Durchbruch stand …
„Ich stecke doch mitten in der Hetherington-Sache.“ Emily bemühte sich, ihre Stimme so neutral wie möglich klingen zu lassen. „Du weißt, ich muss dieses Wochenende in Wales sein. Sie baggern bereits den See aus und …“
„Ich habe Dianne gebeten, für dich einzuspringen.“
Frustriert und wütend über die verräterische Röte auf ihren Wangen saß sie vor seinem Schreibtisch und versuchte, ruhig zu bleiben. Auf keinen Fall sollte Adam sehen, wie gekränkt sie war.
Bestenfalls konnte man ihren Beruf als heiß umkämpftes Schlachtfeld sehen, das durch Konkurrenz belebt wurde. Manchmal war es aber auch einfach nur brutal und perfide. Emily hatte etliche Monate in den Hetherington-Fall investiert, recherchiert, jeden Hinweis verfolgt und ihre Kontakte genutzt. Und jetzt sah es so aus, dass schon wieder Dianne die Früchte ihrer harten Arbeit erntete!
Um das zu verstehen, musste man nicht Einstein sein.
Schon lange hatte Emily den Verdacht, dass Dianne auch der Grund für den Bruch zwischen Adam und ihr war. Aber das störte sie nicht. Ihren Ex konnte diese intrigante Schlange ihretwegen haben, aber nicht ihren Job!
„Dianne hat fantastische Verbindungen und den nötigen Biss, um ein derart brisantes Thema anzupacken“, erklärte Adam. „Ich weiß, wie hart du arbeitest, allerdings habe ich den Eindruck, dass du mit deinen Möglichkeiten am Ende bist.“ Nicht dass er große Gewissensbisse bei dem empfand, was er tat, doch ein leichtes Unbehagen konnte er nicht leugnen. „Es wird eine Menge unangenehme Fragen aufwerfen, sollte tatsächlich ein Leichnam gefunden werden. Und die konsequent zu stellen, ist Diannes Stärke.“
Er schaute in ihre klaren blauen Augen, auf das lichtblonde Haar und versuchte sich davon zu überzeugen, dass Dianne recht hatte. „Wir sprechen doch nicht das erste Mal darüber, Emily. Wenn du in diesem Metier bleiben und Erfolg haben willst, musst du viel härter werden.“
„Und das erreiche ich, indem ich über eine Hochzeit schreibe?“, fragte sie sarkastisch. Hochzeitsreportagen hatte sie seit Jahren nicht gemacht, nicht seit ihren Anfängen bei der Zeitung.
„Sie passt perfekt in den Reiseteil über Sizilien, der ab nächster Woche erscheint.“ Adam hatte keine Lust, noch länger zu diskutieren. „Kopf hoch, Emily. Ich hätte selbst nichts gegen ein Wochenende im Süden. Stattdessen muss ich mich bei strömendem Regen in Wales herumdrücken …“ Zu spät wurde ihm bewusst, dass er sich verraten hatte.
„Also wirst du auch dort sein?“
„Es ist eine Riesenstory.“
Ja, und es war ihre Story!
Emily lächelte gezwungen, stand auf und kehrte an ihren Schreibtisch zurück. Sie fühlte die Blicke der anderen Mitarbeiter in ihrem Rücken. Keine Frage, dass jeder wusste, warum Adam sie zu sich zitiert hatte. Jetzt war sie dreißig und bereits acht Jahre bei der Zeitung. In den letzten Monaten hatte es Gerüchte um Personalkürzungen gegeben, und allmählich bekam sie den Eindruck, dass auch ihr Stuhl wackelte.
Wie gelegen ihrem Boss die strukturellen Veränderungen kommen mussten! Und wie dumm war sie gewesen, ihre eiserne Regel zu brechen, niemals Job und Privates zu vermischen. Mit gefurchter Stirn überflog sie das Briefing, das Adam ihr in die Hand gedrückt hatte. Ein Name stach ihr sofort ins Auge.
Corretti?
Die Correttis waren einer der berüchtigtsten Familienklans Siziliens. Erst letzte Woche hatte sie in den Fernsehnachrichten die Beerdigung des Familienoberhauptes Salvatore Corretti verfolgt. Das Aufgebot an Security war unglaublich gewesen. Fasziniert hatte sie die grimmigen Gesichter der Angehörigen studiert, deren Augen hinter großen Sonnengläsern verborgen waren.
Emily gab den Namen in eine Internetsuchmaschine ein, um sich ein bisschen gründlicher über die Correttis zu informieren. Plötzlich spürte sie, dass sich ihr Puls beschleunigte, wie jedes Mal, wenn sie eine neue Fährte aufnahm. Offenbar war die bevorstehende Hochzeit nicht einfach nur eine normale Liebesheirat.
Bei dem Brautpaar handelte es sich um Alessandro Corretti und Alessia Battaglia. In der italienischen Presse grassierten Gerüchte, dass Salvatore selbst diese Verbindung arrangiert hatte, um sich bei der umfangreichen Erneuerung von Hafenvierteln an der sizilianischen Küste der Rückendeckung des Battaglia-Klans zu versichern. Aber das war noch längst nicht alles. Die Verbindung und gemeinsame Geschichte der beiden Familien reichte bis weit in die Vergangenheit zurück.
Mit einem Ohr hörte Emily, wie Dianne telefonisch für das nächste Wochenende Hotelzimmer in Wales buchte – oder genauer gesagt, ein Hotelzimmer. Wahrscheinlich die Luxus-Suite mit Empfangssekt, üppiger Obstschale und einem Frühstück-im-Bett-Service. Entschlossen, sich davon nicht runterziehen zu lassen, widmete sich Emily wieder ihrer Recherche.
Die Correttis waren wirklich eine faszinierende Familie. Salvatore hatte sich als elternloses Straßenkind zunächst mit Diebereien über Wasser gehalten und später mit Charme und Entschlossenheit in die Mafia-Dynastie der Battaglias hochgedient. Doch irgendwann verließ ihn sein fast sprichwörtliches Glück, das Blatt wendete sich und auf seinen Kopf wurde ein Preis ausgesetzt.
Jagdfieber regte sich in Emily. Wenn es um diese Familie ging, konnte bei der Sizilienreise mehr herauskommen als ein langweiliger Hochzeitsreport. Und für sie war es höchste Zeit, ihre Karriereplanung wieder selbst in die Hand zu nehmen. Sie musste nur noch überlegen, wie.
„Kann ich dich kurz sprechen?“
Emily schaute auf, direkt in das Gesicht ihrer Nemesis, der Heimsuchung in Form von Dianne, dem intriganten Biest. „Natürlich.“
„Ich brauche die Namen deiner Kontaktpersonen.“
„Selbstverständlich habe ich ihnen absolute Diskretion zugesichert.“
„Und woher weißt du, dass der See trockengelegt werden soll?“
„Dianne …“ Hilfloses Schulterzucken von Emilys Seite, dann sah sie auf die Uhr und stellte überrascht fest, dass es schon nach fünf war. Sie steckte bereits Hals über Kopf in der Corretti-Battaglia-Story und konnte es kaum abwarten, nach Sizilien aufzubrechen, um über die Hochzeit zu berichten – aber auf ihre Weise! Und ganz bestimmt hatte sie weder Zeit noch Lust, Dianne bei ihrem alten Fall zu assistieren.
„Ich brauche nur die Namen“, drängte Dianne. „Wir sind doch im gleichen Team.“
Frustriert spürte Emily, wie sie errötete. Aber hatte Adam ihr nicht eben noch vorgehalten, sie müsste viel härter werden? „Tut mir leid, ich kann dir nicht helfen“, sagte sie ruhig, schob ihre Unterlagen zusammen und erhob sich vom Schreibtisch. „Ich soll mich um eine Hochzeit kümmern und muss für Sizilien packen.“
„Ich kann es kaum abwarten zu hören, was die Braut trägt!“, höhnte Dianne.
„Das könnt ihr beiden dann am Sonntag beim gemeinsamen Frühstück im Bett nachlesen“, schoss Emily mit süßem Lächeln zurück.
Trotz ihrer Ausrede verschwendete Emily bis zum nächsten Morgen keinen einzigen Gedanken ans Packen. Obwohl es bereits Ende Mai war, fühlte es sich komisch an, Sommerkleidung und Sandalen aus dem Schrank zu suchen, während es draußen in Strömen regnete. Neben leichten Fähnchen und Espandrillos packte sie auch ein hochzeitstaugliches Kleid ein, in der Hoffnung, sich auf diese Weise irgendwie zwischen die illustre Gästeschar mischen zu können. Vielleicht gelang es ihr sogar, sich in die Kirche zu schmuggeln, obwohl das mehr als unwahrscheinlich war.
Sie traf Gina, die Fotografin, am Flughafen Heathrow. Allerdings verzögerte sich ihr Abflug aufgrund der schlechten Wetterlage, weshalb sie stundenlang in der Abfertigungshalle ausharren mussten. Doch irgendwann legten sich die Sturmböen, die Maschine war in der Luft, und Emily lenkte sich damit ab, dass sie den ganzen Flug über auf Dianne und Adam herumhackte und sich über all die schrecklichen Veränderungen im Verlag beschwerte.
„Du musst Adam und die anderen Verantwortlichen daran erinnern, was für eine fantastische Journalistin du bist“, riet Gina ihr.
Emily seufzte. „Leichter gesagt als getan. Aber vielleicht gelingt es mir ja, indem ich aus dieser Sache etwas anderes mache als eine konventionelle Hochzeitsstory.“
„Vergiss es!“ Gina, die aus Rom stammte, lachte. „Das ist der Traum jedes italienischen Journalisten. Und die haben dir einiges voraus, etwa unverzichtbares Insiderwissen und gute Kontakte. Die Battaglias und besonders die Correttis sind mächtige und einflussreiche Familienklans, die vierundzwanzig Stunden am Tag im Fokus der Presse stehen. Trotzdem kommt man ihnen nicht wirklich nah, und ich bezweifle, dass ausgerechnet du irgendetwas Neues über sie berichten kannst.“ Gina schüttelte bedauernd den Kopf. „Du wirst dir wohl etwas anderes ausdenken müssen, um Adam davon zu überzeugen, dass du die Beste bist.“
Nachdem sie in Rom gelandet waren, verabschiedeten sich die beiden Frauen vorübergehend voneinander. Emily würde den nächsten Flug nach Palermo nehmen, während Gina die Gelegenheit nutzen wollte, einen Abend und eine Nacht bei ihrer Familie zu verbringen.
„Viel Spaß“, wünschte Gina ihr zum Abschied.
Doch Emily war nicht auf Spaß aus. Ihr Stuhl im Verlag wackelte, und sie musste sich dringend etwas einfallen lassen, um ihre Karriere zu pushen.
Trotz trüber Gedanken hellte sich ihre Stimmung auf, als sie in Palermo landete. Das Klima war sommerlich warm, der Himmel strahlend blau. Begierig sog Emily die würzig milde Luft in ihre Lungen und gab sich innerlich einen Ruck, entschlossen, das Ruder trotz Ginas Warnung an diesem Wochenende herumzureißen. Während der Taxifahrt vom Flughafen zum Hotel fielen ihr etliche Großbaustellen auf, von denen die meisten allerdings stillgelegt schienen. Sie versuchte vom Taxifahrer Aufschluss darüber zu bekommen, doch er sprach so gut wie kein Englisch.
Erst als der Name Corretti fiel, spürte Emily, wie sich die feinen Härchen an ihren Armen aufrichteten. Den Rest verstand sie leider nicht.
Im Hotel angekommen, checkte sie ein und hatte gerade den Fahrstuhl betreten, als ihr Handy klingelte. Emily erkannte die Nummer eines ihrer Informanten. „Hi …“, meldete sie sich und vergaß, was sie sonst noch sagen wollte, weil sich in diesem Moment der umwerfendste Mann zu ihr in den Lift gesellte, der ihr je über den Weg gelaufen war.
Groß, schlank, unrasiert, mit lackschwarzem Haar und perfekt geschnittenen Lippen, um die ein spöttisch arrogantes Lächeln spielte. Er trug Jeans und unter dem lässig geschnittenen Jackett ein T-Shirt, alles in Schwarz. Seine Augen konnte sie nicht sehen, weil sie hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt waren. Das herbe Aftershave und seine überwältigende Präsenz reizten ihre Sinne und ließen sie an völlig absurde Dinge denken.
„Emily, bist du noch da?“
„Verzeihung“, murmelte sie und starrte gebannt auf die perfekt manikürten gebräunten Finger, als er den Knopf drückte, der den Lift nach oben befördern würde.
„Du kannst dir den Aufwand bei diesem Sauwetter sparen. Es ist der falsche See, den sie ausbaggern wollen!“ Ihr Kontaktmann sprach so laut und aufgeregt, dass sie den Hörer unwillkürlich ein Stück vom Ohr weghielt.
„Nett von dir, mich zu warnen …“, sagte sie etwas abgelenkt, „… aber ich bin raus aus der Hetherington-Geschichte, und Adam ist mit Dianne im Schlepptau bereits auf dem Weg nach Wales. Ich selbst bin im sonnigen Sizilien.“
„Um was zu tun?“, fragte ihr verblüffter Informant.
„Eine Hochzeitsreportage zu verfassen!“ Emily rollte mit den Augen. „Aber frag lieber nicht weiter, es ist ein ziemlich wunder Punkt.“
„Ich kann mir dich auch absolut nicht in dieser Rolle vorstellen.“
„Meinst du, ich? Trotzdem danke für die Warnung wegen des Sees, ich werde sie gleich weiter…“ Abrupt brach sie ab. „Den Teufel werde ich tun!“ Es war ihr entschlüpft, ehe sie es zurückhalten konnte. Vorsichtig schaute sie in Richtung des attraktiven Fremden, doch der schien sich ihrer Gegenwart gar nicht bewusst zu sein. Lässig gegen die Spiegelwand gelehnt, checkte er offenbar Textnachrichten in seinem Handy.
Vielleicht versteht er ja auch gar kein Englisch, beruhigte Emily sich, sah, dass sie ihr Stockwerk erreicht hatten, und trat kurz darauf grußlos aus dem Lift.
„Fattispecie.“
Seine tiefe volle Stimme nagelte sie auf der Stelle fest. Langsam drehte Emily sich um und wünschte, er würde keine Sonnenbrille tragen, damit sie seine Augenfarbe sehen und heute Nacht von ihm träumen konnte.
„Ein sogenannter Actus Reus“, übersetzte er. „Ein Tatbestand.“
Obwohl der Fremde immer noch keine Miene verzog, weiteten sich Emilys Lippen zu einem breiten Lächeln, während die Lifttüren lautlos zuglitten.
„Fattispecie …“, wiederholte sie träumerisch, suchte ihr Hotelzimmer und öffnete die Tür. Dabei dachte sie an Adam und Dianne, wie sie in strömendem Regen am falschen See standen. „Was für ein wundervolles, wohlklingendes Wort.“
Wenn sie in ihrem Hotelzimmer blieb, würde sie absolut nichts herausfinden und bewirken können, so viel war Emily klar. Also gönnte sie sich eine erfrischende Dusche, zog ein leichtes Sommerkleid an und legte dezentes Make-up auf, ehe sie ihre Erkundungstour begann.
Es war später Nachmittag, und die Straßen wimmelten nur so von Menschen. Jeder war aufgeregt, und alles drehte sich um ein und dasselbe Thema: die bevorstehende Hochzeit zwischen zwei der einflussreichsten Familien des Landes. Horden von Reportern drückten sich überall herum, und die Polizei durchkämmte mithilfe einer Hundestaffel und Detektoren die Kirche auf mögliche Gefahrenquellen. Überall stand man vor Absperrungen.
Selbst der Sperrbezirk für die Presse war weiter ab vom Geschehen errichtet worden als gewöhnlich. Ihre Chancen, dem Brautpaar wirklich nah zu kommen standen also denkbar schlecht. Frustriert ging Emily zurück in die Hotelhalle und vorbei an der Rezeption, nur um festzustellen, dass der Zugang zum hoteleigenen Garten auch abgesperrt war.
Verflucht!
Und dann sah sie plötzlich ihn! Trotz der dunklen Sonnenbrille war ihr klar, dass er sie ungeniert und geradezu schamlos beobachtete.
„Signor Fattispecie!“ Emily lächelte.
„Anton“, stellte er sich ihr nüchtern vor.
Emily wartete darauf, dass er seinen Familiennamen nannte, in der Hoffnung, dadurch etwas mehr über ihn in Erfahrung zu bringen, doch es kam nichts.
„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Emily. Ihr Anrufer sprach so laut, dass ich Ihren Namen nicht überhören konnte“, erklärte er angesichts ihrer gerunzelten Stirn. „Sie sind also wegen der Hochzeit hier?“
Sie nickte. „Und Sie?“
„Aus dem gleichen Grund.“
„Oh …“ Er könnte ein Corretti sein. Dunkel, attraktiv und geheimnisvoll wie sie, gab er nichts von sich preis. Seine Stimme war tief und träge, und er sprach mit starkem italienischen Akzent. Der Drang, ihm die Sonnenbrille von der Nase zu reißen, um mehr von diesem beunruhigenden Mann zu sehen und zu erfahren, war irritierend stark.
„Eine Hochzeitsreportage gehört also nicht zu Ihren Highlights, wenn ich das richtig verstanden habe?“, fuhr er im Plauderton fort.
„Ja.“ Verdammt! Er hatte jedes Wort verstanden.
„Darf ich fragen, warum?“
„Weil es einen beruflichen Rückschritt bedeuten würde“, erwiderte sie offen, zu angespannt und zu fasziniert von ihrem Gegenüber, um lange nachzudenken. „Exakter ausgedrückt, meine Karriere wird von außen torpediert … oder noch deutlicher, sukzessive erstickt“, fügte sie, ermutigt von seinem schwachen Lächeln, hinzu.
„Woran arbeiten Sie denn normalerweise.“
„Investigativer Journalismus. Zumindest dachte ich das, ehe ich hierher geschickt wurde. Aber egal, die Hochzeit scheint interessanter zu sein, als ich zunächst annahm. Ich habe etwas über eine tiefreichende Rivalität zwischen den beiden Familien läuten hören.“
„Läuten hören?“
„Gelesen … recherchiert“, gestand Emily.
„Und was genau haben Sie gelesen?“
Emily atmete tief durch. Sie fühlte sich plötzlich wie auf dem Prüfstand oder mitten in einem wichtigen Examen. Dabei wusste sie noch nicht einmal, mit wem sie es zu tun hatte. Doch das würde sich hoffentlich bald ändern. „Zum Beispiel, dass Antonio Battaglia Wirtschaftsminister ist.“ Sie sah, wie sich über dem Rand der dunklen Brille eine ebenso dunkle Braue hob. „Und dass seine Unterstützung für die Sanierung der Hafenviertel nahezu unerlässlich ist.“
Natürlich war sich Emily durchaus der Möglichkeit bewusst, dass er zu einer der beiden Familien gehören konnte. Aber wenn sie etwas herausfinden wollte, dann hieß es: alles oder nichts. Darum ging sie in die Offensive. „Und ich habe ebenfalls gelesen, dass die Correttis scharf darauf sind, genau dieses Riesenprojekt an Land zu ziehen.“
„Wollen Sie wirklich mehr über die Hochzeit herausfinden?“
„Ja.“ Der Mann machte sie nervös. Warum sonst sollte ihr Herz plötzlich ganz oben im Hals schlagen? „Sind Sie mit einer der beiden Familien verbunden?“
Er lachte kurz auf und schüttelte den Kopf.
„Aber Sie kennen sie?“
„Das kann man wohl sagen, obwohl ich manchmal wünschte, es wäre anders.“
Emily blinzelte verwirrt.
„Morgen wird Antonio die Genugtuung erleben, seine Tochter Alessia am Arm eines Corretti vor dem Altar stehen zu sehen. Ihm selbst ist es nie gelungen, ein Vermögen zu machen. Als verbitterter Politiker ist er nur zu glücklich über die Chance, auf diesem Weg Geld und Macht zu erlangen.“
„Woher wissen Sie das alles?“
„Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, bestens informiert zu sein.“
Seit Jahren schon war Emily an den Umgang mit Informanten gewöhnt, aber sie machte sich nichts vor. Was sie gerade erfahren hatte, verdankte sie keineswegs ihrem journalistischen Geschick. Anton schien eine Absicht zu verfolgen, indem er ihr all das erzählte. Warum er das tat, wusste sie nicht, aber sie wollte mehr davon.
Und dabei ging es ihr nicht nur um die bevorstehende Hochzeit.
„Scusi“, sagte er, zog sein Handy hervor und führte ein kurzes Telefonat.
Emily fühlte sich ein wenig unbehaglich, als er sie kurz fixierte und eine zweite Nummer wählte.
„Ich muss gehen …“, erklärte sie.
„Warten Sie.“ Anton umfasste ihr Handgelenk. „Wollen Sie nun mehr erfahren oder nicht?“
„Natürlich!“ Vor allem wollte sie auf keinen Fall den Kontakt zwischen ihnen abreißen lassen. „Vielleicht könnten Sie mir ein paar Fragen beantworten?“
„Beim Dinner?“
Sie strahlte. „Gern.“ Lieber Himmel! Habe ich denn gar keinen Stolz? „Wenn Sie bereit wären, mir ein reguläres Interview zu geben, würde meine Zeitung sogar dafür bezahlen.“
„Gut.“ Wieder lag dieses schwache Lächeln in seinen Mundwinkeln. „Dann reserviere ich uns einen Tisch für acht Uhr. Wir treffen uns im Hotelfoyer.“
Keine Frage, er war sich ihrer absolut sicher. Emily spürte einen leichten Schauer über ihren Rücken rinnen.
„Ziehen Sie sich etwas Nettes an.“
„Etwas Nettes?“
„Formelle Abendkleidung.“
Wie enttäuschend! Sie hatte von einem kleinen Café geträumt, wo sie sich in Ruhe unterhalten konnten. Doch Anton wandte sich bereits zum Gehen.
Als in der Nähe eine Kirchturmuhr schlug, realisierte Emily, dass sie nur noch eine knappe Stunde Zeit hatte, um sich fertigzumachen. Rasch fuhr sie hinauf in ihr Zimmer. Ihr einziges formelles Outfit war das Kleid, in dem sie gehofft hatte, sich zwischen die Hochzeitsgäste zu schmuggeln. Für ein Dinner erschien es ihr allerdings etwas zu festlich. Aber blieb ihr eine Wahl?
Gewohnt, sich gerade unter Stress und Zeitdruck zu bewähren, machte sie sich zurecht. Dass ihre Hände dabei zitterten, lag allein an der Aussicht auf ein Wiedersehen mit Anton, wie sie ihre aufregende neue Bekanntschaft in Ermangelung eines Nachnamens nannte. Warum hatte sie ihn nicht gedrängt, seinen vollen Namen preiszugeben, bevor sie seine Dinnereinladung annahm? So hätte sie wenigstens via Internetrecherche herausfinden können, mit wem sie es überhaupt zu tun hatte.
Emily zog ihr silbern schillerndes Cocktailkleid an und schlüpfte in zierliche Riemchensandaletten mit mörderisch hohen Absätzen. Aus der raffinierten Hochsteckfrisur hatten sich ein paar lange blonde Locken gestohlen, doch ein rascher Blick auf die Uhr zeigte, dass ihr keine Zeit blieb, um ihr Haar erneut aufzustecken. Nach einem letzten prüfenden Blick schnappte sie sich die silberne Clutch und machte sich auf den Weg nach unten. Dabei wurde sie das Gefühl nicht los, völlig overdressed zu sein.
Sie hätte sich keine Sorgen machen müssen.
Anton trug einen dunklen Abendanzug, dem man Preis und Designerlabel schon von Weitem ansah. Obwohl immer noch unrasiert, mit streng zurückgekämmtem Haar, wirkte er ungeheuer elegant und weltmännisch. Gleichzeitig hatte er etwas seltsam Wildes, Ungezähmtes an sich.
Sein Blick sagte Emily, dass er ihren Aufzug billigte und noch etwas, das sie nicht analysieren konnte. Sie spürte nur, wie sich ihre Nackenhärchen aufrichteten. Seine Augen leuchteten in einem tiefen Blauviolett, wie sie im Näherkommen feststellte. Während sie diese neue Information für heiße Träume in einsamen Nächten im Gedächtnis verankerte, spielte ein Lächeln um ihre Lippen.
„Ich habe Ihren Nachnamen nicht verstanden“, sagte sie leichthin, während Anton eine Hand unter ihren Ellenbogen legte und sie aus dem Hotel hinaus und zu seinem Wagen führte.
„Den habe ich Ihnen gar nicht gesagt, wie Sie sehr wohl wissen“, kam es trocken zurück. „Viel Zeit zum Recherchieren hätten Sie ohnehin nicht gehabt.“
Verärgert spürte Emily, wie sie errötete, und betrachtete misstrauisch den flachen schwarzen Sportwagen, vor dem Anton stehen geblieben war. Mit diesem rasanten Geschoss könnte er sie ans Ende der Welt entführen, wenn sie erst mal eingestiegen war und sich die Türen hinter ihr geschlossen hatten.
„Ich weiß aber gern, mit wem ich es zu tun habe. Sie könnten ja sonst wer sein.“
„Ebenso wie Sie.“ Anton half ihr in den weichen Ledersitz, ging um den Wagen herum, schwang sich hinters Steuer und startete den Motor. „Gehen Sie eigentlich immer mit Männern aus, die Sie kaum eine Stunde kennen?“
„Wenn es um berufliche Belange geht, durchaus“, erwiderte Emily spröde, während sich die Röte auf ihren Wangen vertiefte. Vergiss nicht, dass dies ein rein geschäftliches Dinner ist, du dummes Ding! ermahnte sie sich vorsichtshalber.
Egal, was Adam gesagt hatte, im Grunde genommen war sie eine nüchterne, klar denkende Person, die nicht so leicht aus der Fassung geriet oder den Kopf verlor. Anders hätte sie ihren Beruf gar nicht meistern können. Doch seit ihr Anton im Hotellift begegnet war, schien sie sich in einer Art Trance zu befinden. Kein Zustand, der Emily gefiel, aber was sie dagegen tun sollte, wusste sie auch nicht.
Unauffällig betrachtete sie sein hartes Profil. Ohne Zweifel war er der attraktivste Mann, der sie je ausgeführt hatte, aber das war es nicht allein, was sie so unwiderstehlich anzog. Von ihm ging etwas Mysteriöses, Geheimnisvolles aus, das ihren wachen Journalistenverstand reizte und herausforderte.
Er beherrschte den kraftvollen Sportwagen mit lässiger Hand, völlig unbeeindruckt vom dichten Verkehr. Wenn überhaupt, zeigte er sich leicht genervt durch die unzähligen Absperrungen und Umleitungen wegen der bevorstehenden Hochzeit. Trotzdem spürte sie erneut so etwas wie eine unsichtbare Barriere zwischen ihnen. Eine Wachsamkeit, die sie warnte, allzu sehr in ihn zu dringen.
„Haben Sie noch eine Frage?“
Emily zuckte zusammen. Es war, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Viele.“
„Na, dann schießen Sie mal los.“
„Wer sind Sie?“
„Ich dachte, es geht Ihnen darum, etwas über die Correttis herauszufinden.“
„So ist es auch, aber …“
„Dann bleiben Sie dabei.“
Emily presste die Lippen zusammen und schwieg verbissen, bis sie an einem eleganten Restaurant hielten. Vor dem Eingang standen festlich gekleidete Menschen Schlange, und innerlich beglückwünschte Emily ihren Begleiter dazu, vorsorglich einen Tisch reserviert zu haben. Jemand öffnete die Wagentür, und die kurze Schlüsselübergabe an den Parkwächter verriet ihr, dass Anton heute sicher nicht zum ersten Mal hier Gast war.
Als er sie ins Restaurantinnere führte, bekam Emily große Augen. Die Ausstattung war unglaublich prächtig, aber gleichzeitig geschmackvoll und einladend. Die Gäste waren elegant, und der Duft von frischen Kräutern und Knoblauch ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Anstatt in den Hauptraum geführt zu werden, lotste sie ein beflissener Maître ein Stockwerk höher. Zunächst dachte Emily, es läge an ihrer späten Reservierung, doch oben angekommen wurde ihr klar, dass dieser Teil des Restaurants offenbar besonders exklusiven Gästen vorbehalten war. Noch nachträglich war sie Anton dankbar für den Hinweis mit der formellen Kleidung, denn die Juwelen der anderen Gäste funkelten mit den schweren Kristalllüstern über den festlich gedeckten Tischen um die Wette. Eine Wand war vollkommen verglast. Hohe Türen führten auf einen großzügigen Balkon, wo man mit Blick auf den Sonnenuntergang über dem schillernden Mittelmeer sitzen und dinieren konnte.
Hoffentlich sind Antons Informationen auch wirklich gut! dachte Emily. Sonst werde ich ein Problem mit der Spesenabrechnung bekommen!
Während sie zu ihrem Tisch geleitet wurden, sprach Anton leise mit dem Maître. Und als Emily sich setzte, überraschte er sie damit, dass er neben ihr und nicht gegenüber am Tisch Platz nahm. Ein herbeigeeilter Kellner arrangierte versiert Teller und Besteck neu und reichte ihnen die Menükarte.
„Von hier ist die Aussicht viel attraktiver“, erklärte ihr Begleiter ungefragt.
Emily spürte sein Knie an ihrem und zuckte unwillkürlich zurück.
„Sie sind nervös.“
„Na, was für ein Wunder!“, entfuhr es ihr gegen ihren Willen. Und dann passierte es: Sein perfekt geschnittener, herber Mund weitete sich zu einem Lächeln, das sie mitten ins Herz traf. Es zeigte kraftvolle, weiße Zähne, hellte das dunkle Gesicht auf und brachte seine mitternachtsblauen Augen zum Leuchten. Emily stockte der Atem.
„Sie haben aber nichts zu fürchten, solange Sie mit mir zusammen sind.“
Fast hätte sie hysterisch aufgelacht. „Von wegen …“, murmelte sie kaum verständlich.
„Wein?“
„Nicht während der Arbeit.“ Was für eine billige Ausrede! Normalerweise war sie es nämlich, die bei derlei Gelegenheiten gern etwas Alkoholisches bestellte, um die Zunge ihres Gegenübers zu lockern. Aber in diesem Fall riet ihr die kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, lieber vorsichtig zu sein und unter allen Umständen die Kontrolle zu bewahren. „Da wir gerade davon sprechen …“ Emily öffnete ihre Clutch und zog ein flaches Aufnahmegerät hervor.
Weiter kam sie aber nicht, da Anton ihre Hand mit festem Griff umschloss. „Nicht hier.“ Der scharfe Unterton ließ sie aufhorchen. „Sie wollen doch sicher nicht die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen?“
„Deshalb das unauffällige Gerät“, rechtfertigte sie sich. „Es soll auch nur mein schlechtes Gedächtnis unterstützen.“
„Vielleicht ist das ja an Ihrem Karriereknick schuld.“ Seine Hand lag immer noch fest auf ihrer. In seinen Augen sah sie, dass er ihre Lüge durchschaute. Ihr Gedächtnis ließ absolut nichts zu wünschen übrig, und schon gar nicht, was diesen aufregenden Mann betraf. Aber sich seine tiefe, etwas raue Stimme später zu jedem beliebigen Zeitpunkt in Erinnerung rufen zu können, hatte etwas verdammt Verführerisches. Es würde seine markanten Gesichtszüge vor ihrem inneren Augen auferstehen lassen, wann immer sie wollte, und sie in den maskulinen Duft einhüllen, an den sie sich unter Garantie auch noch nach zwanzig Jahren erinnern würde.
Das Lächeln, das sie tauschten, ließ ihren Puls in die Höhe schnellen.
Einen atemlosen Moment glaubte sie sogar, er würde sie küssen. Und dann sagte er es … leise und kaum vernehmbar. „Ich werde jetzt näher kommen und so tun, als würde ich dich küssen.“ Sie spürte seine Finger an ihrem Kinn und starrte wie hypnotisiert in die tiefblauen Augen.
Bei jedem anderen hätte Emily protestiert, die Hand zur Seite geschlagen und dem Möchtegern-Casanova ordentlich den Marsch geblasen. Doch sie war in einem fremden Land, in einem unbekannten Restaurant, in Begleitung eines Fremden und dabei, Kontakt zu einem der mächtigsten und möglicherweise gefährlichsten sizilianischen Familienklans aufzunehmen!
Doch gleichzeitig war sie so überwältigt und fasziniert, dass sie nicht einmal daran dachte, wegzulaufen oder sich auch nur zu sträuben. Aber ganz so leicht wollte sie es Anton auch nicht machen. „Würden Sie bitte Ihre Hand wegnehmen?“
„Emily, schau mir in die Augen und wende auf keinen Fall den Blick zur Seite, während ich dir erkläre, was du als Nächstes tust.“ Seine Stimme klang so ernst und eindringlich, dass sie sich wie paralysiert fühlte. „Direkt hinter Ihnen sitzen die Correttis.“ Sein Mund war jetzt ganz dicht an ihrem Ohr.
Jetzt verstand sie auch, warum er ihr Kinn umklammert hielt, denn der Drang, über die Schulter nach hinten zu schauen, war nahezu unwiderstehlich.
Emily spürte, wie Antons Lippen ihre Wangen streiften, dann war sein Mund dicht vor ihrem. „Lass sie nicht eine Sekunde denken, dass du an ihnen interessiert bist.“ Er sprach sehr leise, in dem weichen, leicht rauen Ton eines unsterblich Verliebten, was ihr einen heißen Schauer nach dem anderen bescherte. „Sie müssen denken, du hast nur Augen für mich, oder wir werden gebeten, das Restaurant zu verlassen.“
Emily befeuchtete ihre trockenen Lippen mit der Zungenspitze. „Okay“, raunte sie.
Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie, in einem Raum mit den Correttis! So unerwartet und dicht an den Unerreichbaren, dass ihr Blut vor Aufregung wie glühende Lava durch die Adern jagte. Emily schaute in die ausdrucksvollen Augen des Mannes, der ihr das ermöglichte und der ihr so nah war, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spürte. Sie hatte so viele Fragen an ihn, doch das Einzige, was in dieser Sekunde zählte, war sein unglaublicher Mund …
„Ich habe den Tisch nur bekommen, weil ich behauptet habe, meiner zukünftigen Frau hier und heute einen Heiratsantrag machen zu wollen. Für diesen Abend sind wir also Liebende, hast du das verstanden?“
„Ich … ja, nein …“, sagte sie zu seinem Mund.
„Oh, doch!“, raunte er und kam noch näher. „Zumindest für unsere Zuschauer.“
„Hättest du mir das nicht schon auf der Fahrt hierher sagen können?“
Da lächelte Anton strahlend, nahm die Hand von ihrem Kinn und wickelte sich eine schimmernde blonde Locke um den Finger. „Wärst du dann auch so unbefangen zu diesem Tisch gegangen, ohne auch nur einen Blick in ihre Richtung zu riskieren?“ Er sah ihr verräterisches Blinzeln und lachte leise – und unglaublich erotisch. „Es war die einzige Chance, die Show aufzuziehen.“ Augenscheinlich verliebt knabberte er an ihrem Ohrläppchen.
Emily biss sich auf die Unterlippe und schloss die Augen. Nicht als Demonstration für etwaige Zuschauer, sondern weil sie nicht anders konnte. Sie war völlig überwältigt von Antons Nähe und hatte äußerste Mühe, sich zu konzentrieren und daran zu erinnern, warum sie überhaupt hier war. Sein herbes Aftershave machte sie schwindelig.
„Die alte Frau in Schwarz ist Teresa, die Matriarchin, und …“ Was er sagte, war geschäftsmäßig, seine raue Stimme ein erotisches Streicheln. „Sie ist der einzige Grund, warum die zerstrittenen Cousins überhaupt an einem Tisch sitzen. Normalerweise würdest du Luca, Santo und Alessandro nicht mal im gleichen Raum antreffen.“
Obwohl Emily wusste, dass seine zärtlichen Berührungen nur Theater waren, reagierte ihr Körper darauf, als ginge es ihm allein um sie. Ihr Herz flatterte wie ein verstörter Vogel in einem viel zu engen Käfig, und als Anton ein Stück von ihr abrückte, um ihr in die Augen sehen zu können, waren die Correttis für einen Moment vergessen.
„Verstehst du jetzt, warum ich dich nicht vorwarnen konnte?“
„Ja.“
Da der Kellner an ihrem Tisch erschien, um ihre Bestellung aufzunehmen, wurde Emily eine kleine Verschnaufpause gewährt. Ob sie diese nutzen konnte, hätte sie nicht sagen können. Es war so unglaublich aufregend, an der Seite dieses attraktiven Mannes in der Nähe von Siziliens mächtigster Familie zu sitzen, dass sie immer noch glaubte zu träumen.
Trotzdem griff sie beherzt zu, als ihnen der erste Gang serviert wurde.
Antipasti misti. Grüne Spargelspitzen in duftenden Prosciutto Cotto eingewickelt mit gehobeltem Parmesan, Frittata di Bietola und eingelegte Cipollini in einer Sherry-Balsamico-Vinaigrette, bei denen es sich um eine Art Schalotten handelte, wie Anton ihr erklärte. Es schmeckte alles himmlisch! Oder lag es an der Gesellschaft, dass Emily glaubte, nie etwas Köstlicheres gegessen zu haben?
Dabei hörte sie im Hintergrund das leise Gemurmel der Konversation am Tisch der Correttis. Einfach nur zu wissen, wer sie waren, verlieh dem Ganzen einen Hauch von Gefahr. Es schärfte ihre Sinne und steigerte ihre Wahrnehmung, weshalb sie wohl auch auf Antons Knie an ihrem so intensiv reagierte.
Inzwischen hatte Emily es längst aufgegeben, jeden zufälligen Körperkontakt zu vermeiden, zumal er ihr von ihrem Informanten quasi aufgezwungen wurde. Doch als ihr Kellner den ersten Gang abgeräumt und sich zurückgezogen hatte, wurde der Druck unterm Tisch plötzlich sehr intensiv. „Wenn du noch einmal den Kopf so weit zur Seite drehst, werden wir die Plätze wechseln, oder ich muss dich wieder küssen. Dann aber richtig“, warnte er und ahnte nicht, wie sehr er Emily damit in Versuchung führte.
Oder vielleicht doch?
„Das wird nicht nötig sein“, murmelte sie und senkte, beschämt über ihr unprofessionelles Benehmen, den Blick.
Das gab Anton die Gelegenheit, seine Begleiterin etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Wider Willen war er fasziniert und seltsam angerührt von Emilys mädchenhaften Art auf der einen und der Forschheit und Beharrlichkeit, mit der sie ihr Ziel verfolgte, auf der anderen Seite.
„Erzähl mir von dir“, forderte er spontan. „Und denk an das verliebte Lächeln. Wir werden nämlich nicht nur vom Nachbartisch, sondern auch von den Bodyguards der Correttis beobachtet.“
Zum x-ten Mal sagte Emily sich, dass alles nur ein Spiel war, als Anton ihre Hand in seine nahm und zärtlich an die Lippen zog.
„Warum glaubst du, dass deine Karriere bedroht ist?“, baute er ihr eine Brücke.
„Daran möchte ich momentan gar nicht denken.“ Adam und Dianne schienen Lichtjahre entfernt zu sein, doch Antons Blick war ebenso mahnend wie der Druck seines Daumens in ihrer Handfläche.
„Keine Angst, mein Gedächtnis ist mindestens so schlecht wie deins“, versuchte er, seine Tischdame zu entspannen.
„Lügner“, sagte sie lächelnd.
„Und das von dir!“
Sie schaute auf seine gebräunte Hand, die langen Finger, die ihre umschlossen, und was immer er da mit seinem Daumen tat, es half ihr jedenfalls nicht dabei, sich zu konzentrieren. Um ihr Gespräch vertraulich zu halten, waren sie einander so nah, dass sich ihre Gesichter fast berührten.
„Vor drei Monaten war noch alles im Lot“, begann sie zögernd. „Damals ging ich mit Adam aus, meinem Boss.“
Anton gab einen missbilligenden Laut von sich.
„Ich weiß! Normalerweise ist es ein absolutes No Go, Job und Privates zu vermischen, aber …“
„Du hast es trotzdem getan.“
„Dummerweise. Alles lief bestens, bis Dianne auf der Bildfläche erschien.“ Emily schürzte die Lippen und schien zu überlegen, wie sie ihm die Rivalin beschreiben sollte. Währenddessen verspürte Anton nichts weiter als das dringende Bedürfnis, diese verlockend vollen Lippen dicht vor ihm zu küssen, um herauszufinden, ob sie wirklich so weich und nachgiebig waren, wie sie aussahen.
Er liebte es, in Gesichtern zu lesen, und Emilys war sehr ausdrucksvoll. Er sah das kurze Aufflackern in den hellblauen Augen, deren ungewöhnliche Farbe an kostbares Chinaporzellan erinnerte, dann öffnete sie den Mund, schloss ihn wieder und gab sich schließlich einen sichtbaren Ruck. „Sie ist sehr schön, ausgesprochen clever und unglaublich entschlossen, der ganzen Welt ihren Stempel aufzudrücken.“
„Und sie will deinen Job.“
Ihre Wangen röteten sich, als sie nickte. „Und sie schreckt vor nichts zurück, um ihr Ziel zu erreichen.“
„Auch nicht vor Adam, würde ich wetten“, mutmaßte Anton und lächelte grimmig, als er hörte, wie Emily scharf einatmete.
„Ich möchte wirklich nicht darüber sprechen.“
„Und ich bestehe darauf, dass du es tust“, kam es unbeeindruckt zurück. „So sieht es wenigstens danach aus, als führten wir ein echtes Gespräch …“ Seine Stimme verebbte, was ihm einen neugierigen Blick von Emily einbrachte.
Es war sehr lange her, dass Anton mit einer Frau Händchen haltend in einem Restaurant gesessen hatte, ohne auf dem Verführungspfad zu sein, mit dem erklärten Tagesziel, sein Gegenüber ins Bett zu bekommen. Gerade wollte er ihre Hand loslassen, da begann Emily zu reden.
„Ich war einer brisanten Sache auf der Spur. Es ging um schmutzige Geschäfte wie Werksspionage, Erpressung und möglicherweise sogar Mord. Laut meiner letzten Information wollte die Polizei einen See trockenlegen. Eigentlich hätte ich an diesem Wochenende in Wales sein sollen, doch stattdessen wurde ich hierher abkommandiert.“ Der Frust in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
„Arme Emily“, murmelte Anton und streichelte mit dem Daumen ihre Handinnenfläche. „In Palermo bei einem Dinner mit Blick aufs Mittelmeer ausharren zu müssen, kurz davor, eine der aufregendsten und bedeutungsvollsten Hochzeiten in der Geschichte Siziliens zu erleben.“
„Ich weiß.“ Sie lächelte reuig. „Ehrlich gesagt glaube ich kaum, dass Adam mir den Job übertragen hätte, würde er auch nur ahnen, was hier stattfindet.“
„Zu sehr damit beschäftigt, seine Hand unter Diannes Rock zu schieben“, mutmaßte Anton trocken und brachte sie damit zum Lachen.
„Dabei bin ich wirklich gut in dem, was ich tue“, fühlte sich Emily bemüßigt zu sagen. „Obwohl Adam meint, ich wäre nicht hart und entschlossen genug.“
„Er irrt sich. Ein wenig Nervosität und Vorsicht sind überlebenswichtig. Dazu eine Spur Naivität, mädchenhafter Charme und …“
„Kannst du aufhören, das mit deinem Daumen zu tun?“, unterbrach sie ihn rau.
„Warum entziehst du mir nicht einfach deine Hand?“
Noch ehe sie Zeit hatte zu reagieren, gab er sie frei. „Geh hinaus auf den Balkon, bewundere einen Moment die grandiose Aussicht und komm dann wieder zurück an den Tisch.“ Es war eindeutig ein Befehl, wenn auch in sanftem Flüsterton.
„Sperr deine Ohren auf und versuche, so viel wie möglich mitzubekommen.“
Anton hatte seine Augen offensichtlich überall, stellte Emily fest, als sie aus den Augenwinkeln registrierte, dass einer der Correttis sich vom Tisch erhoben hatte. Wenn es nicht so wirken sollte, als würde sie ihm folgen, musste sie sich beeilen.
Zum zweiten Mal an diesem Tag umfasste Anton ihr Handgelenk mit festem Druck. Als sie ihn fragend ansah, wurde Emily sofort klar, was er von ihr wollte. In ihrer Aufregung hatte sie ganz vergessen, dass sie für ihr Umfeld als liebendes Paar galten. Also beugte sie sich vor und hauchte ihm den sanftesten aller Küsse auf die Lippen, ehe sie sich mit zärtlichem Lächeln abwandte.
Auf dem Weg zur Terrasse presste sie ihre Zunge fest gegen den Gaumen, um ihrer Panik Herr zu werden. Momentan hätte sie nicht einmal sagen können, was sie mehr verstörte, die Aussicht, etwas Verwertbares über die geheimnisvollen Correttis herauszufinden, oder das brennende Gefühl auf ihren Lippen.
Anton schaute ihr hinterher, wie jeder verliebte Mann es wohl getan hätte. Er genoss Emilys Gesellschaft und war neugierig darauf, noch viel mehr über sie zu erfahren, was ihn ziemlich überraschte.
Dass auch Luca Corretti ihren Abgang aufmerksam verfolgte, weckte in ihm einen Beschützerinstinkt, der ebenso heftig wie uncharakteristisch für ihn war. Die Vorstellung, einen Corretti in Emilys Nähe zu sehen, rief unwillkommene Emotionen in ihm wach. Gefühle, die er seit Jahren überwunden glaubte, die keinen Platz mehr in seinem Leben hatten. Mit brennendem Blick suchte er die schmale Gestalt auf dem Balkon. Emily lehnte an der steinernen Balustrade und schien die grandiose Aussicht zu bewundern.
Als sie den Kopf in den Nacken legte, um die würzige Seeluft einzuatmen, wurde der Drang, ihr zu folgen und sie voller Leidenschaft zu küssen, nahezu unwiderstehlich. Wenn er sie nun nicht zurück ins Hotel brachte, sondern sie mit zu sich nach Hause nahm, um dort die gegenseitige Lust aufeinander zu stillen? Denn trotz der Glasscheibe zwischen ihnen war Anton sich ganz sicher: Emily begehrte ihn genauso sehr wie er sie.
Emily war fast dankbar für den Abstand zu Anton, und erst recht für die Gelegenheit, ihre konfusen Gedanken zu ordnen.
Der flüchtige Kuss fühlte sich an wie ein Brandmal. Sie glaubte immer noch, seine Lippen auf ihren zu spüren, und fuhr unwillkürlich mit der Zungenspitze darüber, während Palermos schwülwarme Nachtluft über ihr erhitztes Gesicht strich. Der Mond war bereits über dem schillernden Mittelmeer aufgegangen, und die Boote wiegten sich leicht in der sanften Abendbrise.
Alles wirkte so ruhig und friedlich, ganz anders als der lebhafte Restaurantbetrieb in ihrem Rücken oder der verstörende Tumult in ihrem Innern. Emily glaubte nicht an einschlagende Blitze der Leidenschaft oder wilde Begierde, die einen dazu verführten, mit einem Mann ins Bett zu gehen, den man noch keinen Tag kannte.
Und trotzdem dachte sie heimlich darüber nach. Mehr als das, sie malte es sich aus.
Mitten in ihre erotischen Fantasien hinein trat ein Paar auf die Terrasse und erinnerte sie daran, warum Anton sie rausgeschickt hatte. Sie lächelte der Frau flüchtig zu, doch da der Mann sie ignorierte, wandte sie sich gleich wieder der fantastischen Aussicht zu. Als die Stimmen der beiden im Verlauf der lebhaften Konversation lauter wurden, stellte sie erstaunt fest, dass sie Englisch sprachen.
Die Auseinandersetzung wurde zunehmend hitziger. Emily entschloss sich, an ihren Tisch zurückzukehren, um nicht aufdringlich zu wirken, und kam genau zur rechten Zeit. Zwei Kellner hatten gerade den Hauptgang serviert. Sobald sie sich zurückgezogen hatten, wollte Anton wissen, ob sie etwas in Erfahrung gebracht hatte.
„Sie hat ihn ermahnt, nicht so viel zu trinken.“
„Du sprichst Italienisch?“
„Sie haben sich zu meiner Überraschung auf Englisch unterhalten.“
„Okay.“ Anton machte eine ungeduldige Kopfbewegung. „Ich kenne sie nicht, aber das ist nichts Neues. Keiner kann mit Santos Frauenkonsum mithalten. Morgen wird er den Trauzeugen geben.“
Was für ein verrückter Abend! Sie fühlte sich wie eine Schauspielerin während einer wichtigen Premiere, umgeben von Darstellern, die für Luxus, Macht und Intrigen standen. Daneben versuchte Emily ganz sie selbst zu sein und den Zauber dieser italienischen Nacht für immer in ihrem Gedächtnis zu verankern.
Anton sah, wie sie tapfer mit ihrer Pasta kämpfte, nahm ihr die Gabel weg, schob den Teller zur Seite und umfasste Emilys Hand. „Es ist die Beste in ganz Sizilien, aber du musst dich nicht quälen.“
„Sie ist göttlich.“ Das war sie wirklich. Aber warum lange Nudeln um eine Gabel wickeln, wenn Anton ihre Hand halten wollte, und warum stumm kauen, anstatt mit dem aufregenden Mann an ihrer Seite zu plaudern? Das Restaurant erschien Emily plötzlich schrecklich überfüllt, viel zu laut und jede Störung unwillkommen.
Sie schüttelte den Kopf, als der Kellner mit einer Flasche Champagner am Tisch erschien, doch er ignorierte ihren stummen Protest und schenkte zwei Gläser ein.
„Schon vergessen? Wir haben heute etwas zu feiern“, erinnerte Anton lächelnd, und obwohl sie vorgewarnt war, setzte Emilys Herz einen Schlag aus, als er mit der freien Hand in die Jacketttasche griff und einen Ring hervorzauberte.
Offenbar hatte sie längst verdrängt, dass dies nichts weiter als ein Theaterstück war. Darum zitterten ihre Finger wohl auch wie die einer echten Braut, als Anton ihr den Ring auf den Ringfinger schob.
Er war wunderschön. Rotgold, mit gelben Diamanten und winzigen Zuchtperlen in einer antiken Fassung. Und ohne Zweifel ebenso echt wie wertvoll!
„Aber …“ Emily verstand nicht. Wenn doch alles nur …
„Dieser Ring gehörte meiner Mutter.“
Er legte also Wert darauf, dass ihre Scharade echt wirkte. Wie albern, dass ihr plötzlich die Tränen kamen und sie einen dicken Kloß im Hals spürte.
„Ist das ein Ja?“, fragte Anton, der sie keine Sekunde aus den Augen ließ.
Wie unter Zwang nickte sie, die beiden Kellner und der im Hintergrund stehende Maître applaudierten leise und warteten offensichtlich darauf, dass der erfolgreiche Heiratsantrag mit einem Kuss besiegelt wurde.
„Anton …“, flüsterte Emily, als er ihr Gesicht mit beiden Händen umfasste. Sie war mehr als bereit, sich von ihm küssen zu lassen. Aber nicht als Teil des Theaterstücks, das sie aufführten, sondern weil sie sich schon die ganze Zeit über danach sehnte, seine Lippen auf ihren zu spüren.
„Auch das gehört zu den Torturen, die du um deiner Karriere willen ertragen musst“, murmelte er lächelnd und senkte den Kopf.
Genauso gut könnte ich jetzt im verregneten Wales stehen, war das Letzte, was Emily dachte, bevor die Welt um sie herum versank. Was für ein magischer Moment: ein Fünf-Sterne-Kuss in einem Fünf-Sterne-Restaurant.
Als Anton den Druck seiner Lippen verstärkte und mit den Fingerspitzen über ihre glühenden Wangen streichelte, setzte Emilys Herz einen Schlag aus. Dies fühlte sich nicht an wie ein Spiel, und wenn doch, dann wie ein sehr erotisches, aus dem ganz schnell Ernst werden konnte.