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Markus C. Kerber

WEHRT EUCH, BÜRGER!

Wehrt euch, Bürger!

Wie die Europäische Zentralbank unser Geld zerstört

Markus C. Kerber

FBV

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2. überarbeitete und ergänzte Auflage 2017

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Umschlaggestaltung: Kristin Hoffmann, München

Umschlagabbildung: iStock Foto

Satz: Daniel Förster, Belgern

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-89879-925-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-763-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-764-6

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INHALT

Mehr als ein Vorwort

1. Kapitel: Der Aprilscherz

2. Kapitel: Wie weit geht die Macht der EZB?

3. Kapitel: Die Kosten des Nullzinses oder: Die Enteignung der Sparer und die Destabilisierung der Versorgungssysteme

4. Kapitel: Quantitative Easing: Vorspiel zum finanziellen Harmagedon?

5. Kapitel: Schafft die EZB die Marktwirtschaft ab?

6. Kapitel: Wie geht es weiter mit der EZB?

Epilog: Ohnmächtig in Richtung Kollaps oder offensiv für die Abwicklung der EZB?

Anlagen

Über den Autor

In respektvoller Erinnerung an Klaus Bölling (1928 – 2014), den Meister deutscher Sprachkunst.

MEHR ALS EIN VORWORT

Ist es ein gut geplanter Zufall, dass ich mich mit einem geldpolitisch versierten Beamten des Bundesfinanzministeriums an genau jenem Tag, dem 27.04.2017, an dem Draghi verkündet, die unkonventionelle Geldpolitik ginge unbefristet weiter, verabredet hatte? Unser Treffpunkt ist wie gewohnt ein gastlicher »Italiener« neben dem Rohwedder-Haus, wo man auf die Schnelle ein Abendessen abhalten kann.

Wir kennen uns seit Jahren. Seit seiner Beschäftigung mit Finanzpolitik in der EZB kreuzen sich unsere Wege. Meine Wertschätzung ist meinem Gesprächspartner gewiss. Überzeugt von der Notwendigkeit einer stabilitätspolitischen Fundierung der EWU hat er vor einigen Jahren die Rolle eines besonderen Ratgebers für Minister Schäuble übernommen. In der ökonomischen Analyse sind wir meist einer Meinung. Über die politischen Folgerungen wird der totale Dissens höflich zur Kenntnis genommen. Seit 2015 ist mein Gesprächspartner – geben wir ihm das Pseudonym Rudolf Schwertfeger, um die individuelle Note unserer Begegnung zu unterstreichen – auch Mitglied der CDU geworden. Das passt in das charakterliche Bild und die bisherige Karriereleiter. Drei Kinder, alle wohlgeraten, ein treuer Ehemann, der gerne und regelmäßig die Wochenenden zu Hause in Frankfurt bei der Familie verbringt. Kurzum: Mein Gesprächspartner ist mir persönlich sympathisch. Katholik aus Paderborn, habilitiert ohne Professorentitel dient er seinem Minister im festen Glauben daran, dass Pflichterfüllung Gotteskunst sei.

Ob er die Pressekonferenz von Draghi heute gehört habe, frage ich, um die Partie zu eröffnen. Schwertfeger verneint. Man könne sich diese Diskurse nicht mehr anhören. Es sei immer dasselbe. Draghi sei halt ein Teufel, der sich die gesamte EZB untertan gemacht habe.

Auf mein Vorhalten, die Bundesbank müsse und könne doch handeln, kommt mit frustrierter Entrüstung die Antwort: Weidmann könne eben nicht anders handeln. Wie solle er sich denn gegen eine Geldpolitik wehren, die von zwei anderen Zentralbanken des Westens seit vielen Jahren praktiziert werde? Aber Schwertfeger macht aus seiner Verzweiflung keinen Hehl. Es werde schließlich alles in einem Schuldenkollaps enden und wir Deutschen würden dann halt zu zahlen haben.

Wir Deutschen – wer denn sonst? So die Originalaussage eines wichtigen Ministerialbeamten des Bundesfinanzministeriums und engem Ratgeber des Herrn Schäuble. Er könne an dieser Lage genauso wenig ändern wie sein Minister. Schäuble tue im Übrigen alles, um die Schäden zu begrenzen. Ich bin ernüchtert. Das Gespräch gleitet in Konversation ab. Nach einer Stunde ruft bei Schwertfeger die Pflicht. Er müsse unbedingt noch den G20-Gipfel vorbereiten und sei dabei auf Telefonate mit den USA angewiesen. Die Zeitverschiebung fordere auch hier den Tribut. Ich bin nicht nur sprachlos, sondern habe den Eindruck, dass ich meinen Gesprächspartner nie wieder treffen will.

* * *

Am 27.04.2017 konnte selbst Mario Draghi mit seinem überbordenden Selbstbewusstsein die zaghaft aus der Mitte der Journalisten geäußerten Zweifel an der Fortsetzung seiner »unkonventionellen« Geldpolitik nicht vom Tisch wischen. Eine Inflationsrate, von der Eurostat bezeichnenderweise erst am 29.04. berichtete, sie sei bei 1,9 % im Euroraum angelangt, und ermutigende Wachstumsraten für die Südländer sowie glänzende Aussichten für Deutschland führten immer wieder zu einer drängenden Frage: Wann wird die EZB endlich den Beginn des Ausstiegs aus ihrer Nullzinspolitik verbunden mit dem Aufkauf von Anleihen für 1,9 Billionen Euro (bis zum 31.12.2017) bekannt geben? Doch in Draghis Welt gibt es weiterhin keine nachhaltige Verbraucherpreisinflation. Die Wachstumsraten kommentierte er mit den Worten, Wachstum gehöre nicht zum Mandat der EZB. Die EZB kümmere sich lediglich um Preisstabilität. Zudem sei die von der EZB angestrebte Inflationsentwicklung weiterhin »unterdrückt« und damit vom »Stabilitätsziel« nahe bei, aber unter 2 % entfernt. Doch war diese Schilderung der Wirklichkeit selbst für die höflich-devot fragende Journaille zu sehr dem Draghi’schen Wunschdenken geschuldet. Geldpolitik hat mit Erwartungen zu tun und ist für sich genommen komplex genug. Hingegen lässt die Empirie für die Mystik des Draghi, der die Journaille so behandelt, als sei er der Papst, der ihr eine Privataudienz gewährt, nur begrenzt Raum. Dementsprechend hart fielen die Kommentare, insbesondere der deutschen Presse, über Draghi und »seine« EZB aus.

Draghi hat während seiner Amtszeit die EZB auf sich zugeschnitten und im Unterschied zu seinem Vorgänger auf Konsens keine Rücksicht genommen. Überall tauchen seine ehemaligen Gehilfen aus der Banca d’Italia jetzt in führenden Positionen der EZB auf. Angeloni, ein Draghi-Jünger der ersten Generation, ist stellvertretender Chef der Bankenaufsicht und graue Eminenz. Chiara Zilioli leitet das gesamte Rechtswesen der Bank und wacht darüber, dass die Normen sich nach den Taten von Draghi richten und nicht umgekehrt. Die Vorsitzende des Widerspruchsausschusses für die Bankenaufsicht kommt auch aus der Banca d’Italia. Prof. Brescia Morra hat zwar bislang wenig akademische Meriten erworben, steht stattdessen aber auf der Linie ihres italienischen Chefs. Frau Fröhlich, die Draghi dankbar auf seinen Pressekonferenzen begleiten darf und dem jeweiligen Journalisten unter Billigung ihres Chefs das Wort erteilt, ist die Alibi-Deutsche, die die EZB stolz vorzeigen kann.

Wie sich ein Mitgliedsstaat von der Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland derart vorführen lassen konnte, ist kein Rätsel, sondern liegt in der DNA dieser Republik begründet: In Europa aufgehen, statt angesichts des unerklärten Kriegs der Südländer Italien und Frankreich gegen unser Land endlich zu verstehen, dass Politik ohne Feindschaft nicht funktioniert. Man kann versuchen, über die Feindschaft hinwegzutäuschen und in einen Europa-Eskapismus flüchten (»Wir sind doch alle Europäer!«). Aber diese Illusion wird die Deutschen teuer zu stehen kommen. Denn der Feindschaft – auch unter dem Vorwand des europäischen Einigungswerks – können sich die Deutschen nicht dadurch entziehen, indem sie auf ihre eigene Friedfertigkeit verbunden mit dem guten Willen zur europäischen Integration flehentlich hinweisen. Welch unpolitisches Volk, das kampflos seine konzeptionellen Errungenschaften und seinen monetären Besitzstand preisgibt?!

Schonungsvoll gehen die Medien auch in Deutschland weiterhin mit dem eigenen Polit-Establishment um. Respektvoll wird über den ewigen Euro-Retter Schäuble berichtet, dass er in Washington während eines Intervalls von Zivilcourage die Politik der EZB als wenig hilfreich bezeichnet habe. Indessen fehlt jedwede Würdigung des Verhaltens von Bundesbank-Präsident Weidmann, obschon Draghi mit geschwollener Brust von der sehr konsensuellen Diskussion im EZB-Rat berichtet. Weidmann, der mit der Bundesbank zu 25,5 % an der EZB beteiligt ist und dementsprechend für die einmaligen Risiken des Anleihenaufkaufs mithaftet, verfügt im EZB-Rat über so viele Stimmrechte wie Malta, Zypern und Luxemburg, also scheinsouveräne Staatsgebilde, die aus eigener Kraft nicht einmal eine mittlere Bankenkrise stemmen könnten. Dieser Weidmann also – Deutschlands wichtigster Mann im EZB-Rat – hat sich darauf verlegt, in wohlgesetzten Worten in der Öffentlichkeit vor den Folgen des Draghi-Kurses diplomatisch zu warnen. Sein Haus, die Bundesbank – ausgestattet mit vorzüglichen Ökonomen –, lässt Zweifel an Draghis Politik in seinen Monatsberichten verbreiten und übt sich im Übrigen in der inneren Emigration. Die deutschen Technokraten des Geldes versichern, dass – obschon die Risiken für die Funktionsfähigkeit der Bundesbank bei nur geringen Ausfällen der aufgekauften Anleihen nicht zu negieren sind – die Bundesbank am Eurosystem festhalten wolle. Selbst im Angesicht sich türmender Target-Salden, die Rekordhöhen erreichen, gibt sich die Bundesbank optimistisch. Wie diese Forderung – immerhin fast die Hälfte des deutschen Auslandsvermögens – eingetrieben werden könne, wenn ein Land aus der Eurozone austrete, brauche als Risiko nicht beachtet werden. Denn sie, die Bundesbank, gehe davon aus, dass das Eurosystem fortbestehen werde. Woher sie diesen verzweifelten Optimismus ableitet, vermag weder die Institution noch ihr junger Chef rational zu erklären. Dabei hört Weidmann nicht auf, mit der ihm eigenen Unterwürfigkeit gegenüber der Merkel/Schäuble-Regierung auf die wachsende Heterogenität des Euroblocks mit dem Finger zu zeigen: Frankreich widersetzt sich in allen seinen politischen Lagern einer strukturellen Reform, insbesondere seiner Fiskalpolitik; Italien verlangt Dispens von den Abwicklungsregeln für seine maroden Banken und erwartet wohlwollendes Unterlassen der EU-Kommission bei der regelwidrigen Rekapitalisierung seiner Kreditinstitute; Griechenland besteht (zusammen mit dem IWF) auf Entschuldung, obschon es seine Schulden ohnehin kaum noch bedienen muss.

Weidmanns Monita halten sich nicht nur in Grenzen, sondern sind mimosenhaft vorgetragene Alibis für das von ihm längst geopferte ordnungspolitische Credo der Bundesbank. Nicht einmal bei den irrationalen, germanophoben Angriffen Frankreichs und des IWF auf den hohen Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands findet Weidmann die überfälligen Worte. Was hindert ihn eigentlich klarzustellen, dass dieser Überschuss auf die Unterbewertung des Euros – eine unmittelbare Folge des massiven Anleihenaufkaufs der EZB – zurückzuführen ist? Stattdessen lässt Deutschlands erster Mann an der Währungsfront es geschehen, dass sich in Frankreich und Washington ein Diskurs entwickelt, der die wettbewerbsstärkste Volkswirtschaft zum Sündenbock der weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte macht.

Nicht jeder ist zum Revolutionär geboren. Aber wer die EZB-Politik kritisiert oder gar ablehnt, sollte nicht mit blinder Inbrunst den Fortbestand des Eurosystems predigen, obschon seine Erkenntnis ihn zu anderen Schlüssen berechtigt und verpflichtet. Weidmann verfügt ebenso wie Draghi über vollständige Unabhängigkeit von der Regierung. Warum lässt er seinen seichten Worten nicht zumindest die Ankündigung von Taten folgen, die den EZB-Oberen zu verstehen geben, dass ohne die Bundesbank das gesamte QE zusammenbricht und ohne Deutschland und seine Notenbank das Eurosystem nicht würde überleben können. Vielleicht sollte man dem Bundesbank-Chef mit den guten Manieren die Lektüre von Albert Camus’ »Mensch in der Revolte« empfehlen. »Ein Mensch in der Revolte«, so Camus, »sagt nein. Aber auch wenn er ablehnt, verzichtet er nicht (…).«1

Allein die Andeutung, unter bestimmten Umständen die EZB-Beschlüsse nicht mehr zu befolgen, würde bereits ausreichen, um den monetären Totalitarismus von Draghi, Cœuré und Constancio zu erschüttern. Stattdessen praktiziert Weidmann politische Mattigkeit als Ruhe um jeden Preis. Die Seelenlage des Jens Weidmann scheint es nicht einmal mehr zu erlauben, eine verlorene Sache zu quittieren. Er sieht zu, wie Draghi und seine Mittäter spielend alle Beschlüsse zum QE nach ihrem Gusto ändern, wenn nach zuvor festgelegten Regeln die angestrebten Aufkaufvolumina nicht mehr erreicht werden. Nun werden schon Anleihen mit nur einjähriger Laufzeit zum Erwerb zugelassen, die Minimalverzinsung von -0,4 % darf sogar unterschritten werden, der Kapitalschlüssel des Eurosystems soll gegebenenfalls zeitweise unberücksichtigt bleiben, ohne dass Weidmann erklärt oder auch nur andeutet, wann seine Geduld ein Ende haben wird.

Durch den Antrag auf einstweilige Anordnung, den die Klägergruppe von Stein u.a. vor dem Bundesverfassungsgericht gestellt hat, wird es nun brenzlig für Weidmann. Denn diese juristische Initiative zielt darauf, die Bundesbank sofort vom QE zu entpflichten. Sofort, weil die Risiken, die die Bundesbank auf Geheiß von Herrn Draghi eingegangen ist, bei auch nur geringen Realisierungen zu einer Gefährdung ihrer Funktionsfähigkeit führen und sogar ihre Existenz bedrohen.

Während die juristische Auseinandersetzung um die ausgreifenden Rechtsakte der EZB in eine neue, entscheidende Runde gehen, erhebt der politische Widerstand der deutschen Zivilgesellschaft gegen die EZB immer kecker sein Haupt. Niemand glaubt der EZB, außer denjenigen, die noch zu ihren Veranstaltungen – besonders der ECB Watcher Konferenz als Claqueure – eingeladen werden. Die Deutschen haben die EZB und ihre südländischen Herren zunehmend satt. Allerdings wollen sie bisher noch nicht erkennen, dass deren Willkürherrschaft von der politischen Abstinenz der Bundesregierung und des Herrn Weidmann lebt. Das deutsche Staatsversagen im Umgang mit der EZB, einem totalitären Ungeheuer auf deutschem Boden, nimmt historische Dimensionen an.

Was bleibt dem Beobachter anderes, als mit ahnungsvoller Beharrlichkeit den Kollaps des Eurosystems zu prognostizieren, weil die Deutschen nicht zum politischen Handeln bereit sind. Gleichzeitig gilt es zu beschwören, dass Europa nur ohne Euro überleben kann und hierzu Deutschland, die Macht in der Mitte, eben nicht in Europa aufgehen darf, sondern als Anker-Nation selbstbewusst und ohne auf Beifall zu schielen, die Neuordnung des Kontinents in die Hand nehmen muss.

Indessen meint das Establishment des deutschen Parteienstaats, die Öffentlichkeit weiter täuschen zu können. Der Euro sei stabil, das Eurosystem funktioniere mehr recht als schlecht und noch nie habe Deutschland in den letzten 20 Jahren so brillante Daten vorweisen können. Doch diese Blüte ist eine Scheinblüte, die der andauernden Unterbewertung des Euros für die deutsche Wirtschaft geschuldet ist.

Die Debatte über die EZB-Politik ist daher nur der Auftakt zur Auseinandersetzung mit den sklerotischen institutionellen Strukturen der EU sowie den Brüsseler Flügelboten eines immer engeren Europas. Die Abwicklung des Euro-Projektes ist so notwendig, wie das Scheitern der DDR gewiss war. Daran werden die Brüsseler Flügelboten mit ihrem Standard-Postulat »Mehr Europa!« nichts ändern. Sie werden den Prozess des Vertrauensverlustes nur beschleunigen.

Denn die EZB befindet sich in einem Dilemma. Sie ist Gefangene ihrer eigenen Anleihenkaufpolitik. Ohne einen erheblichen Reputationsverlust ist es den Entscheidungsträgern und der Institution kaum möglich, in nächster Zeit von ihrem Kurs abzuweichen. Es ist daher zu befürchten, dass aktuell nicht jede Entscheidung der EZB von sachlichen Erwägungen getragen wird. Die EZB wird ihre »unkonventionelle« Politik auf absehbare Zeit, ohne starke Impulse von außen, fortsetzen wollen. Die Finanzmärkte gewöhnen sich aber immer stärker an die niedrigen Zinsen und die günstige Wirkung von PSPP und CSPP auf die Refinanzierungsmöglichkeiten.2

Die prinzipielle Skepsis der Bundesbank gegenüber Anleihenkaufprogammen der EZB war stets mit dem Hinweis verbunden, dass ein QE auf Dauer die fiskalischen Anreize für eine strukturelle Ausgabenreform der hochverschuldeten Eurostaaten beseitigt und die EZB selbst zum Gefangenen ihrer Politik macht, weil jedwede Erhöhung ihres Leitzinses oder die Senkung des Aufkaufvolumens zur drastischen Verteuerung der Fremdmittelaufnahme von besagten Staaten führen würde. Die Furcht der EZB vor den mit diesen Wirkungen verbundenen politischen Konsequenzen in den betroffenen Euro-Mitgliedsländern macht sie heute zum Gefangenen ihrer eigenen Politik.

Auch wenn die Inflationsraten im Euroraum dynamisch steigen und sich das Inflationsniveau dauerhaft bei ca. 2 % der Verbraucherpreise halten sollte, würde sich die EZB trotz Erreichung des vermeintlichen Preisstabilitätsziels dem Exit aus dem QE verweigern.

Dies ergibt sich aus den von der EZB geschaffenen und gegebenenfalls gewollten Zwängen für die nationalen Zentralbanken des Eurosystems, deren Bilanzen einen historischen Höchststand bezüglich Staats- und Unternehmensanleihen ausweisen. Allein die Verstetigung inflationärer Erwartungen wird die Anleger auf den Kapitalmärkten zur Forderung höherer Renditen veranlassen. Denn Neuemissionen auf dem gegenwärtigen Zinsniveau (bei 66 % der Bundesanleihen ist dies negativ) werden deshalb von den Märkten nicht mehr aufgenommen werden, weil sie das Risiko eines Kursverfalls bei Erhöhung der Leitzinsen und bei Beginn eines Tapering – also der Rückführung des Kaufvolumens – nur unzureichend berücksichtigen. Davon abgesehen würden eine Leitzinserhöhung und der Beginn des Tapering den Kursverfall der von den NZB des Eurosystems erworbenen Anleihen in toto bewirken. Da es sich überwiegend um langfristige Schuldtitel handelt, käme das strenge Niederstwertprinzip bei der Bewertung wohl zunächst nicht zur Anwendung. Dennoch müssten sich die nationalen Zentralbanken des Eurosystems – darunter auch die Bundesbank – mit der Werthaltigkeit der von ihnen erworbenen Anleihen auseinandersetzen.

Auch die EZB würde sich hinsichtlich der Werthaltigkeit der von ihr erworbenen Schuldtitel spätestens beim nächsten Jahresabschluss bohrende Fragen gefallen lassen müssen. Angesicht ihrer außerordentlich schwachen Kapitalisierung – insbesondere ihrer geringen Devisenreserven – ist ein negatives Eigenkapital dann jedenfalls nicht ausgeschlossen, wenn ein signifikanter Teil ihres Anleihenportfolios dauerhaft unter dem Anschaffungswert notieren sollte.

Angesichts dieser Aussichten dürfte die EZB im eigenen Interesse und unabhängig von geldpolitischen Erwägungen sowohl die Nullzinspolitik als auch die Aufkaufpolitik ungebremst fortsetzen. Würde sie die Leitzinsen erhöhen – wie von fast allen ernsthaften Ökonomen gefordert –, könnte sie den Kursverfall für die erworbenen Anleihen bestenfalls durch erhöhte Aufkaufvolumen kompensieren. Umgekehrt würde der Beginn des Tapering3 immediat zu höheren Zinsforderungen bei Neuemissionen führen. Wie bisher würde die EZB diesen Befürchtungen der Finanzminister aller Euroländer mit geringerer Bonität als Deutschland Rechnung tragen und die Aufkaufpolitik fortsetzen. Was muss noch passieren, damit die Deutschen ihre Ohnmacht überwinden und dem Treiben von Draghi, Cœuré & Co. Einhalt zu gebieten?

Ohne politisches Wollen wird eine sanfte Abwicklung des Euros allerdings nicht gelingen. Doch während die politische Klasse der Republik von der Hand in den Mund lebt, hört man in der Ferne den rollenden Donner der Geschichte. Werden die Bürger Deutschlands schließlich die Beobachterbühne verlassen, um wieder Mitgestalter des europäischen Projekts zu werden?

Die folgenden Darlegungen sollen belegen, dass Bürgerrevolte in der gegenwärtigen Gefahrenlage ohne Alternative ist.

Markus C. Kerber

Berlin-Paris, 14. Juli 2017

»Neben der Angemessenheit der Eigenkapitalausstattungen genießt die Überwachung der Liquidität der besonders gefährdeten Banken weiterhin höchste Priorität. Die Aufsichtsbehörden treffen sich regelmäßig mit Banken, deren Liquiditätsversorgung sich verschlechtert, und können den Banken gegebenenfalls zusätzliche Anforderungen auferlegen.«

Danièle Nouy4

1. KAPITEL:
DER APRILSCHERZ