Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
info@rivaverlag.de
2. Auflage 2016
© 2015 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
© der deutschen Originalausgabe 2001 by riva Verlag
Die englische Originalausgabe erschien 2011 bei St. Martin’s Press, New York, unter dem Titel Seal Team Six. Memoirs of an Elite Navy Seal Sniper. © 2011 by Howard E. Wasdin und Stephen Templin
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Birgit Adam
Redaktion: Alexandra Steiner
Umschlaggestaltung: Kristin Hoffmann
Umschlagabbildung: iStockphoto
Satz: HJR – Jürgen Echter, Landsberg
EPUB: Grafikstudio Foerster, Belgern
ISBN Print 978-3-86413-121-9
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86413-639-9
ISBN E-Book (EPUB, MOBI) 978-3-84613-640-5
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de
Anmerkung des Autors
Glossar
Vorwort
Teil eins
1. Feindberührung
2. Ein Schuss mitten ins Fensterbrett
3. Eine Kindheit in der Hölle
4. Ein russisches U-Boot und ein grüner Held
5. Der einzige leichte Tag war gestern
6. SEAL Team Two
7. Wüstensturm
Teil zwei
8. SEAL Team Six
9. Wiedergeburt eines Scharfschützen
10. Im CIA-Versteck – die Jagd auf Aidid
11. Wie wir Aidids rechte Hand erwischten
12. Mogadischu im Blick behalten
Teil drei
13. Die Schlacht um Mogadischu
14. Aus der Asche
15. Morddrohungen gegen einen Botschafter
16. Wie ein Fisch auf dem Trockenen
17. Heilung
Bildteil
Nachwort
Special Operations Warrior Foundation
Danksagungen
Literaturverzeichnis
Einige Namen von Personen und Orten sowie Zeiten und Taktiken wurden geändert, um Einsatzkräfte und ihre Aufträge zu schützen.
Abseilen: ein Seil mit einem Fußtritt aus der Tür befördern. Dann hält man sich mit Händen und Füßen am Seil fest und gleitet herunter. An den Händen trägt man Spezialhandschuhe, damit man sich die Hände nicht verletzt.
Agency: Central Intelligence Agency (CIA). Auch bekannt als »Christen in Aktion«
Agent: Einheimischer, der Informationen liefert
AK-47: Der Name ist eine Abkürzung des russischen Awtomat Kalaschnikowa obrazsa 47 (Kalaschnikows Maschinengewehr-Modell des Jahres 1947). Dieses Sturmgewehr schießt 7,62 × 39 mm große Patronen bis zu einer Reichweite von 300 Metern und hat Platz für 30 Patronen. Es wurde in der Sowjetunion von Michail Kalaschnikow in zwei Varianten hergestellt: die AK-47 mit einer festen Schulterstütze und die AKS-47 (S = Skladnoy priklad) mit einer Schulterstütze aus Metall, die nach unten wegklappte.
Blendgranate: Schockgranate mit einem nicht tödlichen, sehr hellen Licht und einem lauten Knall, die die Feinde orientierungslos macht.
BTR-60: Bronjetransportjor oder »gepanzerter Transporter«, ein Transportpanzer. Der letzte der Serie war der 60PB, dessen Rumpf einem Boot ähnelte und dessen Panzerung schräg verlief.
BTR-60PB: sowjetischer achträdriger Transportpanzer, bewaffnet mit einem 14,5-mm-Maschinengewehr vom Typ Wladimirow KPW (500 Patronen) und einem 7,62-mm-PK-Maschinengewehr (3000 Patronen). Er wurde durch den BTR-70 ersetzt.
BUD/S: Basic Underwater Demolition/SEALs, die Kampfschwimmerausbildung der SEALs
CAR-15: Colt Automatic Rifle 15. Gehört zur Familie der AR-15 (ArmaLite Rifle) und der M-16-Schützenwaffen. Spätere Versionen der AR-15/M-16-Sturmgewehre hatten einen kurzen Lauf. Dieser maß 29,2 cm bei einem Colt Commando (Modell 733), 36,8 cm beim M-4-Karabiner und 50,8 cm bei einem M-16. Das CAR-15 ist eine frühere Version des M-4-Sturmgewehrs und hat einen ausziehbaren Schaft. Sie benötigt 5,56-mm-Patronen, in einem Magazin befinden sich 30 Patronen. Colt wollte das CAR-15 mit seinen anderen Produkten gleichsetzen, doch schließlich wurden die Modelle mit der Bezeichnung »CAR« im Polizeivollzugsdienst und das M-16 als Schützenwaffe des Militärs verwendet.
CCT: Combat Control Team: Fallschirmjäger der Luftwaffe, die für Spezialeinsätze zuständig sind. Sie springen mit dem Fallschirm ab, kundschaften die Gegend aus und kümmern sich um die Flugüberwachung. Außerdem geben sie Feuerunterstützung und sind für die Gefechtsstände und die Kommunikation am Boden zuständig. Kurz: Sie sind besonders nützlich, wenn man den Tod aus der Luft herbeirufen will.
Dam Neck: Dam Neck/Virginia, Heimat des SEAL Team Six
Delta (Delta Force): die Spezialeinheit der US-Army, deren Aufgaben Terrorismusbekämpfung und Aufstandsbekämpfung sind
Einmannpackung, EPa: Verpflegungspaket in leichter Verpackung
Fallschirmretter: Spezialeinheit der Luftwaffe, die darauf spezialisiert ist, im Feindesgebiet abgeschossene Piloten zu retten und medizinisch zu versorgen
FFV AT 4: eine Panzerabwehrhandwaffe mit dem Kaliber 84 mm
Finale Schussposition: das Versteck, aus dem ein Scharfschütze schießt, also das getarnte Erdloch oder ein Versteck hinter Bäumen
Fixateur externe: eine Vorrichtung zur Behandlung von Knochenbrüchen. Ein Chirurg bohrt Löcher in den heilen Knochen in der Nähe der Bruchstelle und schraubt dann Pins in den Knochen hinein. Außerhalb des Körpers hält eine Metallstange die Pins an ihrem Platz. Die Pins und die Metallstange sind der Fixateur externe, auch »Heiligenschein« genannt.
Glühwürmchen: tragbare Infrarot-Rundumkennleuchten
HAHO: High Altitude, High Opening – »große Absprunghöhe, große Öffnungshöhe«. Ein Fallschirmabsprung aus 7500 bis 10 500 Meter, bei dem der Fallschirm schnell (hoch in der Luft) geöffnet wird
HALO: High Altitude, Low Opening – »große Absprunghöhe, niedrige Öffnungshöhe«. Ein Fallschirmsprung, um Vorräte, Ausrüstungsgegenstände oder Personen in einer Gegend abzusetzen. Dabei gehen die Springer in den freien Fall, bis die zu transportierenden Objekte tief genug sind, um den Fallschirm zu öffnen und sicher auf dem Zielpunkt zu landen.
Heli: Helikopter
Hexenbrett: Fläche, auf der Miniaturflugzeuge und andere Objekte bewegt werden, um die Position und den Status der Flugzeuge auf dem Deck eines Flugzeugträgers anzuzeigen
Höhlenleiter: tragbare Aluminiumleiter zum Klettern
HRT: Hostage Rescue Team, Geiselrettungstruppe
HUMINT: Human Intelligence, Informationsgewinnung von »menschlichen Quellen«, z. B. von Agenten, Kurieren, Journalisten, Gefangenen, Diplomaten, Nichtregierungsorganisationen, Flüchtlingen u.a.
JOC: Joint Operations Center; gemeinsames Einsatzzentrum
JSOC: Joint Operations Special Command. Kommandoeinrichtung, die Operationen mit mehreren Spezialeinheiten verschiedener Teilstreitkräfte leitet. Ihre Standorte sind die Pope Air Force Base und Fort Bragg in North Carolina. JSOC hat den Oberbefehl über Spezialeinheiten wie das SEAL Team Six, die Delta Force und die 24. Spezialtaktik-Schwadron der Luftwaffe.
Kader: Ausbilder, manchmal auch Führungskräfte
Kath: somalische Blütenpflanze. Sie enthält ein Stimulans, das Erregung, Appetitverlust und Euphorie bewirkt (auch als Afrikanisches Speed bekannt).
Kim-Spiel: Kim steht für »Keep in mind« (im Gedächtnis behalten), Gedächtnisspiel für Scharfschützen
KN-250: Nachtsicht-Zielfernrohr für Gewehre. Die Nachtsichttechnik verstärkt das Licht von Mond und Sternen und gibt das Bild grün und hellgrün statt schwarz und weiß wieder. Dem Ergebnis fehlt es an Tiefe und Kontrasten, aber trotzdem kann ein Scharfschütze damit bei Nacht sehen.
Knoten: Ein Knoten entspricht einer Geschwindigkeit von 1,852 km/h.
Leuchtstab: Stab, der Chemikalien enthält, die aktiviert werden und leuchten, wenn man ihn biegt
Little Bird: Hubschrauber für Spezialeinsätze. In Mogadischu wurden der MH-6 und der AH-6 (Kampfhubschrauber) eingesetzt. Zu seinen Waffen gehören u. a. Gewehre, Raketen und Lenkflugkörper.
Lockheed AC-130 Spectre: Dieses Flugzeug ersetzte das Gunship Douglas AC-47 aus der Zeit des Vietnamkriegs, das auch als »Spooky« oder »Puff the Magic Dragon« bekannt war. Die Spectre ist ein Flugzeug der Luftwaffe und kann sehr lange in der Luft bleiben. Manchmal trägt sie zwei 20-mm-M-61-Vulcan-Maschinenkanonen, ein 40-mm-Bofors-Geschütz und eine 105-mm-Haubitze. Mit hoch entwickelten Sensoren und Radarsystemen entdeckt sie den Feind auf dem Boden.
Lockheed P-3 Orion: Spionageflugzeug der Marine
Macawis: ein buntes, kiltähnliches Kleidungsstück aus Somalia
Nordvietnamesische Volksarmee (NVA): die reguläre kommunistische Armee, die im Vietnamkrieg gegen die Südvietnamesen und die Amerikaner kämpfte
Pannenset: Beutel mit Verbandsmaterial
Pasha: Deckname für unser Versteck in Mogadischu
PLO: Palestine Liberation Organization. Palästinensische Befreiungsorganisation. Eine politische, paramilitärische und terroristische Organisation, die von 100 Staaten als Vertretung der Palästinenser anerkannt wird
QRF: Quick Reaction Force. Schnelle Eingreiftruppe, die aus Mitgliedern der 10. US-Gebirgsdivision der Army, dem 101. US-Fliegerregiment und dem 25. US-Fliegerregiment besteht
Rangers: eine leichte Infanterietruppe der Army, die gegen konventionelle Ziele und in Spezialeinsätzen kämpfen kann. Die Ranger in Mogadischu stammten aus der Bravo Company, 3. Ranger-Bataillon.
SAS: Special Air Service, Spezialeinheit der britischen Armee. Der Special Air Service von Australien und Neuseeland geht auf diese Einheit zurück.
SEALs: die Elitetruppen der amerikanischen Marine, zuständig für See, Luft und Land (SEa, Air and Land)
SERE: Survival, Evasion, Resistance and Escape – Überleben, Ausweichen, Widerstand und Flucht
SIG Sauer P-226: SIG steht für Schweizerische Industriegesellschaft. Pistole des Herstellers Sauer & Sohn, deren innere Teile mit korrosionsbeständigem Phosphatlack überzogen sind. Außerdem hat sie Kontrastfernrohre, einen Anker, der in den Verschluss eingraviert ist, und ein Magazin für 15 Patronen. Sie wurde speziell für die SEALs entwickelt.
SIGINT: Signals Intelligence. Fernmelde- und elektronische Aufklärung. Informationen, die durch das Abhören von Signalen von Mensch zu Mensch (Fernmeldeaufklärung) und von elektronischen Signalen (elektronische Aufklärung) wie Radar gesammelt werden. Bezeichnet auch die Menschen, die diese Informationen sammeln
Staphylokokkeninfektion: Bakterien, die Gifte produzieren, die denen einer Lebensmittelvergiftung ähneln und tödlich sein können.
Task Force 160: Diese Hubschrauberspezialeinheit der Army wird auch »Night Stalkers« genannt. Sie führt hauptsächlich Nachteinsätze durch und fliegt dabei schnell und tief, damit sie nicht von Radarsystemen entdeckt wird.
Thermitgranate: Granate, die Thermit enthält, eine Chemikalie, die eine Temperatur von rund 2200° C entwickelt
UDT: Underwater Demolition Team. Die Froschmänner, Vorgänger der SEALs
UNOSOM: United Nations Operation in Somalia, UNO-Friedensmission in Somalia
USBV: unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung. Ein selbst gebauter Sprengkörper, der in der unkonventionellen (illegalen) Kriegsführung verwendet wird
Vietcong (VC): kommunistische Guerillaeinheiten und reguläre Einheiten, die im Vietnamkrieg gegen Südvietnam und die USA kämpften
Volles Programm: In Mogadischu bedeutete dies: mindestens 100 Mann, darunter eine Sperreinheit mit Humvees, Little Birds mit Delta-Scharfschützen und Black Hawks mit Rangern und anderen Delta-Einsatzkräften
Whiskey Tango Foxtrot: Wie andere militärische Einheiten verwenden auch die SEALs gerne das phonetische Alphabet des Militärs. »Whiskey Tango Foxtrot« steht dabei für die Buchstaben »WTF« für »What the fuck …?« – »Was zum Teufel soll das?«
Win Mag (Winchester Magnum): In der .300 Winchester Magnum haben vier Patronen Platz. Wird normalerweise mit einem Leupold-10-Zielfernrohr verwendet. Nachts kann man ein KN-250-Nachtsichtgerät über dem Leupold anbringen.
Howard E. Wasdin & Stephen Templin
Das SEAL Team Six, die Jedi-Ritter der SEAL-Teams, soll mit der CIA und anderen zusammengearbeitet und bin Laden getötet haben. Da ich als Scharfschütze des SEAL Team Six selbst den Silver-Star-Orden erhielt, weiß ich aus erster Hand, wie das Team Six den Terrorismus bekämpft.
Bevor ich ins SEAL Team Six kam, musste ich eine der härtesten Ausbildungen der Welt durchlaufen, die mit der Kampfschwimmerausbildung Basic Underwater Demolition/SEAL (BUD/S) beginnt. Nach weiteren Ausbildungen und ersten Kriegserfahrungen mit dem SEAL Team Two meldete ich mich freiwillig zum SEAL Team Six. Ich wurde für das Green Team ausgewählt, in dem ich zusammen mit anderen SEALs den Ausleseprozess für das legendäre SEAL Team Six durchlief. Auf unserem Lehrplan standen unter anderem Landkriegsführung und der Kampf ohne Waffen. Wir lernten nicht, wie man ein Türschloss knackt, sondern wie man die Tür aus den Angeln bläst.
Vor einem Auftrag wie dem, der letztendlich zu bin Ladens Tod führte, stehen eine Menge Übungen, immer wieder wird das Gleiche trainiert. Im SEAL Team Six verschossen wir täglich Tausende Patronen nur zu Übungszwecken. Angeblich geben wir in einem Jahr mehr Geld nur für 9-mm-Patronen aus als die gesamte Marineinfanterie für ihre Munition. Indem wir immer wieder in unterschiedlichen Situationen die gleichen Handlungen ausführen, können wir uns auf unser Muskelgedächtnis verlassen und Handlungen ganz automatisch ausführen. In einem Krieg ist das aufgrund der Reizüberflutung besonders nützlich.
Ebenfalls wichtig bei der Vorbereitung ist das Sammeln von Informationen. Dieser Prozess kann sehr langweilig und zeitaufwändig sein, da er oft von politischen Hindernissen oder anderen Enttäuschungen beeinträchtigt wird. Analysten versuchen, Informationen zusammenzusetzen, die sie aus menschlichen und technischen Quellen gewonnen haben. Technologischer Schnickschnack ist beim Sammeln von Informationen zwar nützlich, doch bringt er nichts ohne tapfere Menschen, die ins Feindesgebiet vordringen und die richtigen Fragen stellen – Menschen, die sehen und hören können, was die Technik nicht wahrnimmt, und die den Kontext einer Situation interpretieren können. Darin sind die Beamten der CIA besonders gut. Wenige Monate, nachdem sich bin Laden die Angriffe des 11. September ausgedacht hatte, trieb ihn Dalton Fury, der Kommandant der Delta Force, in Tora Bora in die Ecke, einem Höhlensystem in den Weißen Bergen Afghanistans. Dies gelang ihm aufgrund von Informationen, die die CIA und andere gesammelt hatten. Doch da es an Unterstützung durch das Zentralkommando der USA fehlte, konnte bin Laden durch die Hintertür nach Pakistan fliehen.
Nachdem die CIA die Nummer drei der El Kaida, Chalid Scheich Mohammed, verhört hatte, wurde ihnen klar, dass selbst bin Ladens Spitzenleute nicht wussten, wo er sich aufhielt. Doch einer wusste, wo er steckte: sein Kurier – denn wie hätte er bin Laden sonst Nachrichten überbringen sollen? Über ihn konnte die CIA also bin Laden finden. Obwohl die meisten glaubten, dass er sich in Höhlen an der afghanisch-pakistanischen Grenze aufhielt, folgte die CIA dem Kurier zu einem Ort in der Nähe der pakistanischen Militärakademie in Bilal Town, einem Vorort von Abottabad. Dort befand sich hinter Mauern mit Stacheldraht sein 250 000 US-Dollar teures Hauptquartier. Das Haus hatte zwei Sicherheitstore und keinen Telefon- und Internetanschluss. Die Bewohner verbrannten ihren Müll, anstatt ihn wie ihre Nachbarn für die Müllabfuhr auf die Straße zu stellen. Einige Ortsansässige glaubten, das Haus sei von Drogenhändlern bewohnt.
Das Joint Special Operations Command (JSOC) der USA – eine Kommandoeinrichtung, die Operationen mit mehreren Spezialeinheiten verschiedener Teilstreitkräfte leitet – ließ im Camp Alpha, einem Sperrgebiet in der Bagram Air Base in Afghanistan, bin Ladens Hauptquartier nachbauen. Dort probte das SEAL Team Six den Angriff auf bin Ladens Lager.
Vice Admiral William H. MacRaven, Kommandant des JSOC, das den Oberbefehl über Spezialeinheiten wie das SEAL Team Six und die Delta Force hat, schreibt in seinem Buch Spec Ops, dass ein Auftrag bewusst einfach gehalten werden muss, wenn er Erfolg haben soll. Man muss die Anzahl der Ziele einschränken, brauchbare Informationen sammeln und etwas Neues tun. Auch bei diesem riskanten Einsatz gab es nur wenige einfache Ziele: bin Laden gefangen nehmen oder töten und Informationen sammeln. Das Neue war wohl ein Tarnkappenhelikopter – oder das, was von ihm übrig war.
Auch mit den besten Plänen können die letzten Tage, bevor ein Terrorist gefangen genommen oder getötet wird, frustrierend sein. Man bereitet die Ausrüstung vor und stürmt zu den Hubschraubern, wird dann jedoch wieder zurückgepfiffen. Das Ziel ist nicht zu Hause. Informationen können nicht verifiziert werden. Die Quelle ist unzuverlässig. Und das immer wieder.
Doch am Freitag, den 29. April, entschied Präsident Obama, die Operation Spear zu starten: bin Laden gefangen zu nehmen oder zu töten. Für den Erfolg solcher Spezialeinsätze ist vor allem die Geheimhaltung wichtig. Deshalb wurden keine ausländischen Amtsträger informiert. Niemand außer einem kleinen Kreis in der amerikanischen Regierung wusste Bescheid.
Für das SEAL Team Six hieß es nun: Game on. Der Mond leuchtete nur schwach am Himmel. Alle SEALs trugen Nachtsichtbrillen, ein M-4-Sturmgewehr mit Hunderten von Patronen und eine Pistole vom Typ SIG Sauer P226 als Reserve an der Hüfte. 24 SEALs stürmten mit vier Hubschraubern bin Ladens Haus: zwei Scharfschützen im ersten Hubschrauber, zwei weitere im zweiten, zehn Sturmkräfte im dritten Hubschrauber und zehn im vierten. Angeblich benutzte das Hubschrauberregiment 160th Special Operations Aviation Regiment beim Auftrag, bin Laden zu schnappen, geheime Tarnkappenhelikopter. Fallschirmretter der amerikanischen Luftwaffe hatten für den Notfall auch noch ihre eigenen Hubschrauber dabei. Die Helis hoben aus Jalalabad im östlichen Afghanistan ab und überlisteten mithilfe modernster Technik die pakistanischen Radarsysteme. Auch die Handys und der Strom im Zielgebiet wurden gestört beziehungsweise abgeschaltet.
Ich weiß, wie es ist, bei einem solchen Auftrag der Absetzer zu sein. Du sitzt in der Hubschraubertür, inmitten eines aufgerollten Seils. Wenn der Heli aufsteigt, hältst du das Seil mit der linken Hand fest, damit es der Wind nicht aus der offenen Tür reißt. Die Helis flogen nahe am Boden, damit sie nicht so leicht auf dem Radar entdeckt werden konnten.
»15 Minuten«, gibt die Stimme des Hubschraubercrewmitglieds im Kopfhörer die Informationen des Piloten weiter.
»Zehn Minuten.« Vor allem kommt es auf das Überraschungsmoment, die Geschwindigkeit und das gewaltsame Vorgehen an.
»Fünf Minuten.« Beim hohen Tempo dieses Einsatzes waren alle Mitglieder des Team Six, die nun bin Ladens Haus angriffen, vermutlich erprobte Kriegsveteranen, denn sie hatten bereits unzählige Aufträge in Afghanistan und im Irak durchgeführt.
»Drei Minuten.«
»Eine Minute …«
Plötzlich bekommt einer der Helis Probleme mit der Flughöhe – hohe Temperaturen und hohe Mauern blockieren den Abwind des Rotors – und einer der Rotoren streift eine Mauer und bricht ab. Der Heli stürzt kontrolliert ab. Das Überraschungsmoment ist vorbei, aber die Männer haben immer noch die Geschwindigkeit und die Heftigkeit des Angriffs auf ihrer Seite – und die feste Überzeugung, dass den Menschen, die bei den Angriffen vom 11. September ums Leben kamen, nun endlich Gerechtigkeit widerfahren würde.
Der intakte Hubschrauber fliegt mit der Schnauze nach oben und der Pilot bremst. Als der Hubschrauber die korrekte Position erreicht hat, befördert der Absetzer das 27 Meter lange Seil mit einem Tritt aus der Tür. »Seil!« Es trifft eine Stelle in bin Ladens Lager, die zu klein für eine Hubschrauberlandung ist.
»Los!« Der Absetzer rutscht am Seil hinunter wie ein Feuerwehrmann an seiner Stange – nur hat ein SEAL 45 Kilo Ausrüstung dabei. Er muss sich sehr gut festhalten, damit er nicht auf den Boden klatscht, doch zu langsam soll er auch nicht sein, denn sonst hält er die anderen auf. Seine Handschuhe rauchen auf dem Weg nach unten. Auch die Piloten haben eine schwierige Aufgabe, denn während sie von den Feinden beschossen werden, wird ihr Heli plötzlich um 90 Kilo SEAL und 45 Kilo Ausrüstung leichter. Der Heli will dann einen Luftsprung machen – und das ist für den nächsten SEAL am Seil gar nicht gut.
Draußen vor bin Ladens Lager beschützen Spezialkräfte die Angreifer vor Außenstehenden, die dem Feind vielleicht helfen wollen.
Um 1 Uhr morgens sprengt eine Gruppe SEALs ein Loch in die Wand des Gästehauses. Die SEALs dringen ein, schwärmen nach links und rechts aus – reibungslos und schnell. Bin Ladens Kurier ist bewaffnet und versucht, Widerstand zu leisten. Er wird getötet. Die Frau des Kuriers ist zwar unbewaffnet, versucht aber auch, Widerstand zu leisten, und wird ebenfalls getötet.
Die andere Gruppe SEALs dringt in das Hauptgebäude ein, in dem bin Laden lebt. Sie brechen Türen auf und schwärmen nach links und rechts aus. Obwohl manche Menschen das Töten als Aufgabe der SEALs sehen, sind Terroristen oft mehr wert, wenn man sie lebendig fängt – vor allem wegen der Informationen, die man dann von ihnen bekommen kann.
Im Hauptgeschoss des Hauptgebäudes leistet ein Verwandter des Kuriers Widerstand und wird erschossen. Auf der Treppe ergibt sich bin Ladens Sohn nicht und wird ebenfalls erschossen.
Als die SEALs bin Ladens Zimmer stürmen, rennt seine fünfte Frau Amal Ahmed Abdul Fatah auf sie zu – die Einsatzkräfte halten sie mit einem Schuss ins Bein auf. Anstatt sich zu ergeben wählt bin Laden den Widerstand – und bekommt SEAL-Kugeln in Brust und Kopf. In der Nähe liegen eine Kalaschnikow und eine Makarow-Pistole. 500 Euro und zwei Telefonnummern sind in bin Ladens Kleidung eingenäht.
Ein SEAL funkt: »Geronimo, E-KIA«. Bin Laden, der Feind (enemy), ist im Kampf gefallen (killed in action).
Mit hochfesten Plastikhandschellen – ähnlich wie Kabelbinder – fesseln die SEALs die elf anderen sich noch im Haus befindenden Personen. Sie sichern die Gegend, indem sie Waffen und andere Gefahrenquellen beseitigen, und sammeln dann so viele Informationen, wie sie können: Festplatten, andere Elektrogeräte, DVDs, USB-Sticks, Dokumente usw. Die gefesselten Gefangenen lassen sie zurück – die Pakistaner werden sich um sie kümmern.
Draußen jagen die SEALs den abgestürzten Hubschrauber in die Luft, damit seine streng geheime Ausrüstung nicht in die Hände von anderen fällt. Bin Ladens Leiche nehmen sie mit.
Nach nur 40 Minuten ist die Sturmtruppe wieder verschwunden. Später wird bin Ladens Leichnam zur USS Carl Vinson im nordarabischen Meer geflogen. Bin Ladens Identität wird anhand seiner Größe, biometrischer Gesichtserkennung und Gentests überprüft und bestätigt. Der Leichnam wird gewaschen, in einen Sack mit Gewichten gelegt und nach islamischem Ritus auf See bestattet.
In der Zwischenzeit kehren die Einsatzkräfte des SEAL Team Six zu ihrem Stützpunkt in Virginia Beach/Virginia zurück. Sie legen ihre Ausrüstung ab, säubern sie und stellen dann sicher, dass alles wieder einsatzbereit ist. Dann halten sie eine Nachbesprechung ab, diskutieren mit ihren Vorgesetzten, was schiefgegangen ist – wie zum Beispiel der Hubschrauberabsturz – und was gut gelaufen ist, zum Beispiel, dass sie ihren Auftrag erfüllt haben. Später beglückwünscht Präsident Obama sie persönlich. Da die SEALs bei bin Laden einen wahren Schatz an Informationen gefunden haben, stehen sie dadurch schon wieder bereit, um den nächsten Terroristen zu fangen.
Im Gegensatz zum Auftrag, bin Laden gefangen zu nehmen oder zu töten, bleiben die meisten Aufträge des SEAL Team Six geheim. Die Öffentlichkeit, ihre Familien und sogar andere SEALs dürfen nichts davon erfahren.
Nun folgt meine Geschichte.