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Dieses Buch widme ich meiner Frau Eva, der ich einmal dafür danke sagen möchte, dass sie mein Leben reicher gemacht hat,
dass sie mir das mächtiges Gefühl der inneren Verbundenheit gibt,
dass sie mir Anerkennung und Verständnis entgegen bringt,
dass sie mir ein rauschartiges Glückgefühl vermittelt,
dass sie ihre Träume mit mir teilt,
dass sie geduldig ist, wie Sand und Meer,
dass sie offen für jede neue Herausforderung ist,
dass sie einfach da ist.
Barrieren überwinden
oder der Start in ein neues Leben
Eine ironische-satirische Geschichte über eine Reise in die Türkei und der Besuch in Deutschland.
Foto Umschlagseite: Peter PZ, „Istanbul dusk“, CC-Lizenz (BY 2.0)
http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de
Bild stammt aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de
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Umschlaggestaltung, Illustration: Gerhard Vohs
Lektorat, Korrektorat: Gerhard Vohs
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-8495-8092-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhaltsverzeichnis:
Erster Teil: Tschüss Deutschland
1.1 |
Die Sehnsucht ruft |
1.2 |
Abfahrt |
1.3 |
Wohnungskauf |
1.4 |
Aufenthaltsgenehmigung |
1.5 |
Österreich |
1.6 |
Möbelkauf |
1.7 |
Autobahnplakette |
1.8 |
Slowenien |
1.9 |
Kroatien |
1.10 |
Türkische Pizzeria |
1.11 |
Serbien |
1.12 |
Bulgarien |
Zweiter Teil: Merhaba Türkiye
2.1 |
Türkische Grenze |
2.2 |
Anatolisches Gebirge |
2.3 |
Antalya |
2.4 |
Avsallar |
Dritter Teil: Leben im Rakiland
3.1 |
Imam Ehe |
3.2 |
Im türkischen Lokal |
3.3 |
Lebensberechtigung |
3.4 |
Green Canyon |
3.5 |
Türkische Handwerker |
3.6 |
Alara Han |
3.7 |
Stromausfall |
Vierter Teil: Güle Güle Türkiye
4.1 |
Deutschlandlandbesuch |
4.2 |
Der 5-Sterne Bunker |
4.3 |
Türkischer Zoll |
4.4 |
Bulgarien |
4.5 |
Serbien |
4.6 |
Kroatien |
4.7 |
Slowenien |
4.8 |
Österreich |
Fünfter Teil: Alo Alemania
5.1 |
Deutschland |
5.2 |
Kleve |
5.3 |
Weiter nach Hamburg |
Erster Teil: Tschüss Deutschland
1.1 Die Sehnsucht ruft
Es ist Dezember, der letzte Monat in einem normalen Haushaltskalender. In nicht allzu weiter Entfernung sehe ich das Taurus Gebirge mit seiner stolzen Höhe von 2.500 Metern und seiner mit Schnee bedeckten Spitze. Hier unten im Tal sind es 20 Grad Celsius im Schatten, überall Palmen Kakteen und Orangenbäume, die oft noch mit Früchten behangen sind. Ganz mutige baden im Meer, andere spielen Volleyball, der Rest sitzt in der Sonne und lässt den Herrgott seinen Mann sein.
Das Wasser ist so glasklar, das man an seichten Stellen jeden Stein auf dem Meeresgrund erkennen kann. Lichtreflexe lassen das Meer türkisgrün bis tiefblau leuchten und in den verschwiegenen Buchten füllt man sich allein in denen man baden, surfen, sonnen oder einfach auf der Schattenbank parken kann.
Auf der Flaniermeile nach Alanya kommen wir an einen Park vorbei mit verschiedenen Aussichtsterrassen. Hier sieht man schroffe Felsen die unmittelbar aus dem Meer ansteigen und uns abgrundtiefe Eindrücke verschaffen. Meterhoch sprüht die Gischt an die Felsen empor und verschwindet im Meer, als wäre nichts gewesen.
Am äußersten Plateau der herrliche Blick auf Alanya, mit dem weit ins Meer ragenden Fels, auf dem kilometerlange Mauern einer seldschukischen Festung zu sehen ist.
Eigentlich waren es die Byzantiner, die diesen Burghügel zuerst ausbauten, es jedoch nie vollendeten. Dennoch gaben sie diesem Hügel den Namen Kolonoros, was so viel wie schöner Berg heißt.
Erst durch einen späteren Tausch, als die Stadt in den Besitz der Seldschuken kam, wurde das unbezwingbare Bollwerk weiter ausgebaut um dort in Saus und Braus leben zu können. Noch heute erinnern diverse Steinhütten an Zeiten, wo es noch keine Frauenquoten, keine Fernseher, kein Handy, kein E-Herd und auch keine Klimaanlage gab, sondern nur Hexen, die gelegentlich auf Scheiterhaufen verheizt wurden.
Es sind Baracken mit kleinen mauerumgrenzten Lebensräumen für Schnodderschnecken, Maden, Ohrwürmer, Asseln und anderes Ungeziefer, in denen Orangen- und Feigenbäume üppige Früchte tragen, die niemand ernten will. Ala-iye, Stadt des Ala, wurde sie von den Seldschuken genannt, das heutige Alanya.
Zurück zum Fahrzeug begegnen wir einer türkischen Familie beim Picknicken, eine Form der Freiluft-Gemütlichkeit, verbunden mit Waldbrandgefahr und viel Abfall. Als Picknikkünstler werden sie bezeichnet, die im Gegensatz zu den Gipfelstürmer, Höhlenforscher und Steilwandkletterer, lieber einen idealen Platz für das Barbecue mit ihrer Sippschaft suchen. Nur nicht so weit fahren ist die Devise und so nutzt man gerne städtischen Parkanlagen oder auch frisch gemähte Rasenflächen für das freudige Happening.
Unentbehrlich für ein traditionelles Picknick sind Teegläser für den Raki, ein tragbarer Kassettenrecorder mit leistungsstarken Lautsprechern, ein Handy das ständig klingelt, ein weinendes Kind und alles was viel Müll hinterlässt, wie zum Beispiel Wassermelonen.
Ein Mann in bunter Schlafanzughose erhob sein Teeglas und deutete mit der linken Hand auf einen Platz neben ihm. Eine Einladung zum Festgelage im Kreise eines 14-köpfigen Clans mit kiloweise Köfte und Hähnchen, Literweise Raki mit Wasser und Melonenscheiben so groß wie Pizzateller.
Unsere Zeit hatten wir bereits anders verplant und so bedankten wir uns mit einem leichten Verneigen, wobei wir die rechte Handfläche auf die Stirn legten.
Wir setzen unsere Fahrt fort. Nach kurzer Zeit erreichen wir Alanya und befinden uns auf einen großen breiten Boulevard, der schön mit Palmen und bunten Blumen besät war.
Gepflegte Spazierwege laden hier zum Bummel ein, kleine und größere Restaurants mit Geschmackserlebnisse pur und apart, sozialkulturelle Imbissbuden, kulinarische Schnitzelschmieden, und osmanische Teigtaschenstände sorgen mit einer fast unglaublichen Vielfalt an Speisen und Getränken für das leibliche Wohl. Diese Prachtstraße führt zum Atatürk Denkmal, vor dem wir rechts abbogen.
Gleich hundert Meter weiter befindet sich eine bewachte Freilichtgarage, auf der gerade mal drei Fahrzeuge vor sich hin dösten. Der Wächter schlief in seinen am Baum abgekippten Stuhl und verlor fast den Halt, als ihm der Fahrwind unsere Vehikel ins Gesicht schlug. Schnell erhob sich der Hüter parkender Fahrzeuge, lief hinter uns her, wies uns schweißgebadet und mit scharfen Augen in einen der zahlreich unbesetzten Stellplätzchen ein, damit Fauna und Flora nicht beschädigt wird, kassierte den Tribut und widmete sich wieder dem absoluten Dämmerzustand.
Zu Fuß marschierten wir über einen Spielplatz, der um diese Jahreszeit vor leere nur so trotzte. Auch die dahinter befindliche Auto Skooter Bahn für Teppichratten war von keinem Besucher gekrönt.
Auf der anderen Seite ein großer Park, der viele Urlauber zur sinnlosen Zirkulation des Herumirrens anzog, so auch uns. In den Bachläufen, die diese Grünanlage durchziehen, sieht man Goldfische als Vertreter der Edelmetalltiere, Enten, die sich durch die knusprige Hülle und das feine Barbecue Aroma auszeichnen, Frösche, dessen Schenkel bei den Franzosen als beliebte Delikatesse gilt, sowie Wasserschildkröten in voller Kampfmontur.
Wir setzen uns auf eine freie Bank mit Rückenlehne und gefederten Betonlamellen, beobachteten die Besucher, die damit beschäftig waren diesen Erholungsraum und die Umgebung auf Bildern festzuhalten. Ganz besonders fiel mir ein stark beleibter Typ mit einer Wärmflasche auf dem Kopf auf, der sich vor einen 2,5 Meter hohen Weihnachtsstern in tänzerischer, akrobatischer und schauspielerischer Positur stellte.
Einen schlanken jungen Burschen hatte er gebeten, ihn zu fotografieren, stellte die Blende, Entfernung und was noch dazu gehört ein und strahlte schon jetzt über die Fotomontage des Bildes für seine Zuckerschnecke im Web.
Er stellte sich ins grelle Licht, während der Bursche zwölf Schritte zurückgehen musste, um die Massen des umfangreichen Körpers auf einen Kleinbildfilm zu positionieren.
Kaum geschehen entschwand das Früchtchen samt Kamera und dem korpulente Herrn half nur noch der Ruf nach Hilfe, ADAC, Polizei, Feuerwehr, THW, sowie das aufgeregte Deuten auf den Dieb wie ein Mitteleuropäisches zahnarmes Drei-Finger-Faultier.
Im Park nahm gerade eine fest organisierte, hierarchisch strukturierte Horde von Müllmännern ihre wohlverdiente Pause ein, die gerade zuvor die Grünanlagen mit langen Stöcken von schönen, nützlichen und funktionstüchtigen Gegenständen befreit hatten wie Zigarettenkippen, Papier und rostige Wäscheständer.
Als der Gauner an diesen total gelangweilten, vom Stress geplagten, ausruhenden Gemeindemitarbeiter mit sehr hohen Gesellschaftlichen Rang vorbei lief, sprang einer auf, griff sich den Burschen am Kragen und schallerte ihm links und rechts ein paar, dass ich jedes Mal krampfartig zusammenzuckte. Mit samt der Kamera landete er auf den Rasen und versuchte seinen Blutvorrat aus den Wangen zu quetschen.
Inzwischen kam keuchend der Bestohlene heran geeilt, um seine bestimmt nicht billige fototechnische Großraumapparatur im Empfang zu nehmen. Diese unterzog er einer visuellen Wahrnehmung und stellte fest, dass sie noch funktionsfähig, heil und ganz war, also nicht kaputt.
Der K.O. gegangene war wieder OK und im Augenblick der unachtsamen Schlamperei machte er sich aus dem Staub.
Der Mann, dessen Kleidung auf einer Einfahrt gebügelt werden muss, zuckte sofort sein Geldbeutel um sein Verpflichtungsgefühl eine Wohltat erhalten zu haben, mit ein paar Lira Scheinen zu bestechen.
Doch der Männerhort, der bestimmt schon mal Geldscheine im Portemonnaie hatte und den sprunghaften Austausch zum Kleingeld bemerkte, weigerten sich standhaft fremde Kohle anzunehmen.
Selig vor Glück trug er seine Kamera auf Händen, drückte sie mehrmals an die prächtige Warze seiner linken Wange, hauchte ihr einen Kuss auf das Gehäuse und entschwand dem Erholungsraum für Bürger und Touristen.
Es ist später Nachmittag geworden, die Sonne ist nach reichlicher Anstrengung bereits untergegangen und die Stadt gestaltete sich düster als wir sie verließen.
Doch vor Ortsende wollte ich noch einen Streifzug von der Westseite her auf die Höhensiedlung machen. Auf der anderen Seite des Bergbuckels sind die Wege schmal, kurvenreich und die dort Verwurzelten genießen volle Immunität beim Parken ihrer Fahrzeuge.
Vorbei an diversen Hotels wo Kakerlaken Schlipse tragen, Lokale für eindrucksvolle Genussnomaden stehen und Tennisplätzen für den Sport von modisch überbotenen Fehlgriffen lagen, gelangen wir zum Fußes der Anhöhe, die durch ihre engen Gassen eine Ruhe und Gelassenheit ausstrahlten.
Vereinzelnd kamen uns Radfahrer mit überhöhter Geschwindigkeit entgegen, die den Gepäckträger und die Lenkstange als zusätzliche Sitzplätze für Familienangehörige benutzen.
Todesmutig geraten wir über eine Serpentine durch das Haupttor dieser krawallgebürsteten Festungsstadt. Weiter ging es über eine Spitzkehre zu einem Beobachtungsturm in der sich eine kleine byzantinische Kapelle zum inspirieren befindet, die zur seldschukischen Zeit als Beet Raum für kostengünstige Ferngespräche diente.
Im weiteren Straßenverlauf erreicht man das alte Stadtzentrum. Hier steht die Süleymaniye Moschee, ein gastfreundlicher Ort für Muslime, ein Badehaus zum Zähne putzen, Haare schneiden, Rasieren und chirurgischen Eingriffen. Daneben eine zur kampfbereiten Bettenburg umgebaute Karawanserei für Hawaiihemdträger mit Weizenspoiler, ein 5 Sterne Hotel.
Folgt man der Straße weiter, gelangt man nach einer weiteren Kurve zum Widerstandskern der Festung, mit dem Palast des Sultans und vielen Baracken, in denen gefährliche Waffen versteckt wurden.
Unterhalb dieses Berges befand sich die Industrieanlage der Seldschuken für den heimlichen Bau von Kriegsschiffen. Die Fabrik wurde vierzig Meter tief in den Burgberg hinein gebaut, damit sie unbeobachtet schuften konnten.
Von der westlichen Seite der hoch aus dem Meer ragenden Zitadelle hat man einen wunderbaren Rundblick über Wasser, Stadt und den Urlaubsort von Kleopatra.
Auf der Rückfahrt unterbrachen wir in einem Lokal auf halber Höhe unsere Forschungsreise, wo uns die Stadt der Deutschen mit ihrer Discobeleuchtung zu Füßen lag.
Wohnungen mit leuchtenden Fenstern, Straßenlampen die graue Tatsachen erhellten, Ampel mit grünen Lichtern, die beim näher kommen grundsätzlich Rot werden, Restaurants mit Grafitibeleuchtung, die Rush Hour mit ihren Straßenblockaden auf vier Rädern und deren Scheinwerferlicht.
Über uns sternenklarer Himmel, ein Windlicht das der Nahrung von Kerzen dient, leichten kühlen Abendwind, gefühlsbetonte Musik für Emotionale, Impulsive, schöne und lebendige Momente. Ein Glas Wein geben diesem Ausblick noch ein ganz besonderes Ambiente.
Zärtlich schaut meine Frau mich an, ihre Augen streichelten mein Gesicht und ihr Mund berührte mich sanft.
Ich nahm sie in den Arm und in dieser mondlichtverzauberten Nacht schauten wir auf den Hafen wo sich vereinzelte Schiffe lustig gegenseitig hochschaukeln.
Was wäre ich nur ohne die Liebe meiner Frau, ein König ohne Königin.
1.2 Abfahrt
Plötzlich die psychologische Kriegsführung, als mich das nerv tötende Geräusch eines Weckers aus dem Tiefschlaf riss. Ein Geräusch, als wenn eine Dampflok mit Propeller Panflöte spielte. Es ist drei Uhr dreißig, die Nacht ist vorbei.
Kopfschütteln überlege ich was heute für ein Tag sei, was noch alles zu erledigen sei. Schon der erste Gedanke beim Aufstehen gilt dem kommenden Tagesablauf.
Die Biotonne in der Auffahrt des Nachbarn ausschütten, das Büro anrufen um sich krank zu melden, schnell noch einkaufen bevor es dunkel wird, evtl. noch heute Rasen mähen bevor es anfängt zu schneien.
Eifrig und verantwortungsvoll hakt man seine Aufgaben ab. Alles eigentlich ein normalen Tag. Jedoch nicht für uns.
Bei uns handelt es sich um den Verfasser dieser Geschichte und dessen Frau.
Meine Geburt war ein glückliches Ereignis meiner Eltern. Mama war damals gerade mal zweiunddreißig als ich geboren wurde und sie beschrieb mich als das Do-it-yourself-Baby. Ich wurde nicht sehr groß, hatte aber komprimierte und perfekt ausgeprägte Fälle von Mumps und Masern. Lesen und Schreiben lernte ich in der Volksschule und auf Wunsch meiner Eltern trat ich einen Handballverein bei, der jedes Spiel verlor, wenn ich im Tor stand.
Meine Frau gehörte zu jener Sorte Mädchen, die ständig auf den Knien ihres Vaters herum sprang, mit dem Hund um den Tisch raste, sich jeder Anordnung ihrer Mutter widersetzte, grundsätzlich mit Puppen spielte die ihr nicht gehörten und im Sonntagskleid durch jede Pfütze hüpfte.
Es war der 13.August, der Tag unserer Abreise. Mit einem Satz war ich aus dem Bett. Meine Frau hantierte bereits in der Küche um den Bohnensaft auszupressen und Brote mit Marmelade zu lackieren.
Mit noch halb geschlossenen Augen schlich ich durch die fast unausgefüllte, banale Wohnung. Das Badezimmer klang so hohl, dass man den Schall als separates Hörspiel wahrnehmen konnte.
Ein polnischer Kronleuchter, Glühlampe mit Schraubsockel und Kabel, spendete ein wenig Helligkeit, um meine Augen von dem Sand der Nacht zu befreien und die unnötige Behaarung im Gesicht zu entfernen. Früher hatte man eine einzelne scharfe langlebige Klinge benutzt, heute werden in den Rasierern so viele Klingen versteckt, wie die Bundes Netto Verschuldung.
In den Lebensraum weiblicher Gazellen befand sich nur noch die Einbauküche, die wir uns nach eigenen Vorstellungen haben anfertigen lassen, damit nicht die Optik an den Baustil vom Slums erinnert. An dieser dürfen sich nun die Aftermieter erfreuen.
Meine Kuschelsutra stand vor der Arbeitsplatte, nicht dahinter da ist die Wand, und genoss ihren letzten in Deutschland gekochten Kaffee Latte. Ein Getränk aus verbrannten und zermalmten Hülsenfrüchten mit ganz viel vom Teddy gebrachter Milch. Als sie mich sah, schenkte sie mir einen Becher von der Adrenalin Brause ein.
Mit dem Kelch in der Hand ging ich durchs Esszimmer, Wohnzimmer hinaus auf die Terrasse wo noch die Gartenmöbel standen, die wir den Nachfolgern mit angedreht hatten.
Ich ging sechs Stufen hinab, um zu unserer Feuerstelle zu gelangen, die ich vor Jahren aus Feldsteinen und einer sieben Zentimeter starken gerundeten mit Löchern versehenen Bodendecke errichtet hatte.
Hier trafen wir uns öfters mit unseren Nachbarn um isländisch zu Grillens, also ohne Kohle viel Asche zu machen, Bier zu trinken, mit dem ersten Schluck zu beginnen und mit dem letzten zu unterbrechen und verbal zu Kommunizieren.
Später hatten wir diesen Platz der Nierenspülung und Schwätzerei überdacht, mit Kühlschrank ausgestattet, in den immer einige helle Blondinen übernachteten, sowie mit Tisch, den man auch gern als Sitzfläche missbrauchen kann und sechs Stühlen, um nicht Stehend vom Hocker zu fallen.
Eine Tür bauten wir ein, um auf direkten Weg zur Straße zu gelangen und nicht einen der staatlich geförderten Umwege ums Haus nehmen zu müssen, wenn man mal an der Hecke das Beinchen heben muss.
Es war vor einigen Jahren am 26.12., ein Tag der übermäßigen Beschenkung und des sinnlosen Besäufnisses, wo eine unbefleckte Frau ein Kind gebar und drei Könige des Standesamtes zu Bethlehem den neuen Erdenbürger registrierten. Wo massenhaft Tannen und Misteln ihr Leben lassen und die letzten Gänse enthauptet werden. Wo in den Einkaufzentren Endzeitstimmung herrscht und schnell noch Verlegenheitsgeschenke besorgt werden.
An einen solchen Tag hatten wir Freunde eingeladen, auf die man angewiesen ist und die man daher nicht nach Belieben beschimpfen kann, sowie Nachbarn, die geliehene Gartengeräte spurlos verschwinden lassen oder durch unsachgemäße Behandlung zerstören. Eine Zusammenrottung festlicher Musik wurde von den auf der Terrasse stehenden Lautsprechern in die Ohren der Gäste gepumpt.
Getrunken wurde Glühwein, der nur im Dezember voll lecker schmeckt und Bier, eine Gerstenkaltschale aus der Zisterne.
Die Würstchen und Koteletts wurden so lange gegrillt bis sie schwarz waren und am nächsten Tag vom Rost gekratzt werden müssten.
Um den Geruch von Naturharz und das Verkokeln der mit trockenen Nadeln bewaffnete Tannen aufsteigen zu lassen, hatte ich Tage zuvor einige Zweige von unseren zahlreichen, meterhohen Fichten ausgelichtet.
Zwischen den brennenden Holzkloben, die normalerweise für Politikerköpfe verarbeitet werden, ließen wir dann immer wieder einen Stängel emporlodern, die dann melodisch knisterten und in Sekundenschnelle verglühten.
Man lädt auch Leute ein, die man eigentlich gar nicht bewirten möchte, aber schließlich benötigt man ein schwarzes Schaf das im Mittelpunkt stehen soll. Und so passierte es kurz nach Mittagnacht, das dieser besagte zwei volle Arme von den Zweigen dieser Jahresendzeitpflanze ins offene Feuer warf.
Wie ein Flash Over verbreitete sich das Feuer über den gesamten Brandherd. In diesem Falle hatten die Zweige ihre Solidarität erklärt, der Funke ist quasi übergesprungen. Es kam zu einem Wärmestau, der schlagartig in Rauch umgewandelt wurde. Eine Meterhohe Qualmwolke vernebelte die ganze Umgebung, nichts ist jetzt mehr übrig von der Sternenklaren Nacht, nur wir die Orientierungslos da standen.
Sekunden später hatte sich die Dunstwolke verzogen und man sah die Tannennadeln, die wie kleine Glühwürmchen aussehen, nebeneinander zwischen den verbrannten Holzstücken liegen.
Es klopft an der Tür, die zur Straße ging. Der Dorfsheriff stand davor und berichtet über extreme Verräucherung dieses Territorium, dessen Elternhaus er suchte. Mit einem Blick auf die inzwischen lichterlosen Leuchtkäfer und das Durchstreifen unseres Gartens, wo eigentlich Milch und Honig fließen sollte, machte ihn glücklich.
Ich begleitete ihn zur Eingangstür unserer Wohnung und als ich diese öffnete, unterlag ich einer optischen Augenvergewaltigung. Da stand ein kompletter Zug der freiwilligen Feuerwehr auf der Auffahrt mit Blaulicht das mir sagt, hau ab ich will dir ans Leder. Aus dem Partymobil mit Schaumkanone wurden diverse Schläuche ausgerollt, der Wasserhydrant an der Straße angeschlossen, Sauerstoffmasken bereitgelegt und Werkzeugkisten geöffnet.
Ein Mann trug eine Axt über der Schulter, die einem Hammer ähnelte aber auf der einen Seite schärfer war. Ein andere kniete vor einer schlecht motorisierten Säge und war mit den Gedanken bei dem Roller seines Sohne, der wesentlich mehr Leistung hatte.
Eckart, der Bengalische Sumpfmolch, hielt den Druckschlauch in der Hand und war nahezu dabei das Ventil an der Spritze aufzureißen, wenn nicht Lord Helmchen hinter mir sich nach vorne walzte, seine Tastaturbediener zum Einsatz brachte, damit zappelte und schadenfroh im dreiviertel Takt nickte.
Mit diesem Wahnsinnszustand der absoluten Erleuchtung über den Einsatz der Kübelspitzmaschinisten hatten wir dann in unserem Dorf für ausgiebigen Gesprächsstoff gesorgt. Aber das ist nun alles Vergangenheit.
Retraumatisierent marschierte ich zurück über den Rasen, den ich so gepflegt hatte das jeder Grashalm die gleiche Höhe und Breite hatte. Durch die Kellertür gelang ich wieder in die Wohnung. Hier unten war mal unser Feierabendland mit Tresen, Barhockern, Tisch und Stühle. Im Nebenraum der Kamin, der uns im Winter als Beleuchtung und Zimmerheizung diente, und hinten rechts die Büroräume mit Möbeln und Schreibtisch, die vollgestopft waren mit Monitor, PC-Peripher Geräten, zwei Stehordnern und ein Bild des Hauptrechners.
Alle Räume waren leer, wie die Löcher im Schweizer Käse.
Von der Kellerbar aus, dem Raum der Druckbetankung, ging es treppauf in den Flur, wo ein Gästezimmer abzweigte. Auch hier war alles Käse und so drehte ich mich um, um über weitere sechs Stufen wieder in die Kochstube zu gelangen.
Sämtliches Mobiliar hatte wir innerhalb einer Woche verkauft, die jetzt weiterhin der Einrichtung unter einer Brücke oder im Altersheim dienten. Nur das Schlafzimmer, ein Zimmer das schläft auch wenn niemand drin ist, war noch komplett vorhanden. Dieses sollte zu einem späteren Zeitpunkt abgeholt werden.
Meine liebste Frau hatte inzwischen die zur Bettwäsche verarbeiten Biber zusammen gelegt, in eine Tüte verstaut, die Luft heraus geschlürft, verschnürt und mir in die Hand gedrückt.
Während ich das Bündel in den PKW pferchte, das sich von gefressenen Kilometern ernährt, stürmte meine Holde nochmals durch die Wohnung um sich zu vergewissern, dass die durchsichtigen Wände verriegelt sind und die Örtlichkeiten dicht wie Licht waren. Den Schlüssel für die Verfügungsräume deponierte sie im Briefkasten des Nachbarn.
Ich saß bereits vor dem Lenkrad, als mir irgendetwas die Sicht verwerte. Es war kein Airbag, auch kein Parkverbotsschild oder irgendwelche Flugenten. Es war ein mit Haftklebstoffen beschichtetes, streifenförmiges Trägermaterial was etwas unter sich begrub und bei mir zu krampfartigen Magenschmerzen führte.
Behutsam kratzte ich mit dem Fingernagel die Klebebänder von der Scheibe, wobei der Klebstoff unter dem Nagel hängen blieb. Es sah aus, als wenn ich das Allerletzte aus meinem Riechorgan herausgeholt hatte.
Ein dumpfes Geräusch ertönte als das letzte Bändchen sich löste und ein Plüschbär, eine rote Rose und ein Brief auf der Motorhaube aufschlugen.
Während ich damit beschäftigt war, die vor Wetter, Wind und Luft schützende Scheibe einer totalen Entdreckung zu unterziehen unter Zuhilfenahme des Reinigungsmittels, das ich zuvor aus der Scheibenwaschanlage heraus gesaugt hatte, las meine Frau den Brief vor, den unser Sohn dort verewigte.
„Es steht zwar DEIN SCHUTZENGEL auf dem Shirt des Bären, aber er hat hoch und heilig versprochen, dass er auf euch aufpassen wird, was natürlich verbunden ist mit einem Stück harter Arbeit, aber machbar sei. Ich vermisse euch schon jetzt. Ihr seid schon weg. Gute Fahrt. Ich liebe Euch.“
Die Augen meiner Frau fingen zuerst an zu schwitzen, dann zu regnen und zum Schluss liefen Kaskaden über das geschminkte Gesicht. Ich hingegen war immer noch bei der chronische Unlust das Auto zu säubern, was die Menschheit dazu verholfen hatte die Fähigkeit des Gehens zu verlieren.
Es nervt, wenn etwas sehr lange dauert, wie zum Beispiel die Kindheit, aber nach fast einer halben Stunde war die Verbundscheibe wieder transparent und die Reise aus einer vertrauten Umgebung in ein völlig fremdes Gebiet kann beginnen.
Den Wagen hatten wir vollgestopft mit acht Pappkisten, die mit Tesafilm zugeklebt waren, zwei handgeknüpfte Läufer, auch Depp ich genannt, ein zerlegten Fernsehtisch aus Fernglas, zwei Tischlampen für Tische, ein Weinregal als Weinloses Möbelstück, eine Männerhandtasche mit Aktenhobel, Dreieckskreisbohrer und Ovalfräse, zwei Lautsprecher die Musik direkt zum Ohr führen, mein Laptop als Ersatz für ein Glaske-ramik-Kochfeld, sowie zwei Reisetaschen für die Übernachtung unterwegs und natürlich die Bettwäschetüte. Hierzu kam uns unser Kombi sehr zugute.
Die drei Koffer, eine Wandgarderobe mit Spiegel und Konsole, drei Winterjacken und den Verstärker für die Beschallungsanlage, hatten wir in der Jet Box verstaut, die das Aussehen eines bequemen Bettes von dem Bestatter aus der Nebenstraße hatte.
Noch am Tage zuvor durchcheckte ich das Gefährt an einer Tankstelle, die neben Supermarkt, Bahnhöfen und öffentlichen Toiletten zu einer der wichtigsten kulturellen Stätten in unserem Leben geworden ist.
Den Druck der Reifen, die im vierer Pack vorhanden waren, hatte bis auf das Maximale erhöht. Kühlflüssigkeit und Scheibenwasser durften überlaufen. Der Ölstand wurde geprüft, also das schwarze Gold, nicht zu verwechseln mit dem schwedischen, das ist gelb und hat weißen Schaum.
Da eine Tankstelle von Autos lebt, lies ich den Benzinbottich bis zum Rand auffüllen.
Die Autobahn war noch recht leer um diese Uhrzeit und so rasten wir davon, weg von der Gesellschaft, die sich strengen Regeln unterwirft, um nicht aus den Fugen zu geraten und sich so immer mehr entmündigen lässt.
Nein diese Gedanken werden nun verworfen und wir wollten mit unseren Ersparnissen in der Türkei ein neues Leben anfangen. Ein Leben fern von der Ellbogenmentalität, des Egoismus und der zunehmenden Rücksichtslosigkeit.
Ich erinnere mich daran, wie wir damals unser Appartement erworben hatten.