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GüntHer Thömmes

Der Papstkäufer

Historischer Kriminalroman

 

 

 

 

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Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung des Bildes »Porträt des Papstes Leo X. mit den Kardinälen Giulio de’ Medici und Luigi de’ Rossi« von Raphael;

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Raphael_-_Pope_Leo_X_with_two_cardinals.jpg

ISBN978-3-8392-3914-8

 

 

 

 

Meiner Mutter gewidmet, der ich diesen Roman

vor einigen Jahren versprochen habe.

Ich hoffe, das Warten hat sich gelohnt.

 

 

 

 

»Ich habe den alten Zink

mit großem Eifer am Werke gesehen.

Die Fugger verdienen,

die Fürsten der Kurtisanen zu heißen; …

Sie haben dort ihren Marktisch aufgeschlagen

und kaufen vom Papste

was sie später höher verkaufen.«

(Ulrich von Hutten: Die Räuber)

 

 

»Man sollte keinen Versuch zur Ehrenrettung derart eindeutiger Gestalten wie Johannes Zink unternehmen. Diese Menschen gehören zu den unausbleiblichen Schattenseiten jener Epoche. Jedes Bemühen, ihr Andenken reinzuwaschen, hinterlässt auf dem Bilde nur noch ärgere Flecken, entkleidet es seines morbiden Charmes zwischen aller Korruption.«

(Götz Freiherr von Pölnitz: Die Fugger)

 

 

»Dieser Mann  …

rechtfertigte das Vertrauen des Augsburger Kaufmanns:

Zink wurde zu einer der abschreckendsten Figuren

in der Kirchengeschichte.«

(Günter Ogger: Kauf dir einen Kaiser)

Prolog: Der große Tag

 

Der helle Ton der Glocke zerriss die Stille.

Gefolgt von einem ungeduldigen Ruf.

»Herr, Eure Kutsche ist bereit.«

Der Mann, dem dieser Ruf galt, stand vor dem Spiegel und musterte sich selbst mit kritischen Augen.

Heute musste alles passen, durfte nichts danebengehen.

Heute war sein großer Tag, der wichtigste seines bisherigen Lebens.

In weniger als einer Stunde hatte er eine Audienz bei Papst Leo X.

Dort würde er, wenn alles gut ging, zu einem der mächtigsten Männer der Kurie aufsteigen.

Zwei Stunden hatte er bereits vor diesem Spiegel aus venezianischem Quecksilberglas mit dem mannshohen, vergoldeten Rahmen verbracht; nicht der kleinste Makel durfte seine Erscheinung trüben, wenn dieser wichtige Moment gekommen war.

Viel zu zäh war dabei die Zeit verronnen, die Stunde des großen Auftritts viel zu langsam näher gerückt.

Nun war es soweit.

Das immer ungeduldiger klingende Läuten der Glocke drang erneut durch die weit geöffneten Fenster ins Innere seiner feudalen Villa.

Fast schien es, als werde es auch lauter.

Geziert setzte sich Johannes Zink seinen Hut auf, den er eigens für die heutige Vorstellung gekauft hatte. Er wollte wohlhabend, gleichzeitig aber ein klein wenig demütig erscheinen. Jedoch auch wiederum nicht zu demütig, denn schließlich war der Papst sein Schuldner, und er wusste einiges über Leo X., was dieser mit Sicherheit nicht unbedingt in der Öffentlichkeit hören wollte. Auch im Zusammenhang mit dem neuen Jubelablass.

Er nahm einen Schluck vom guten Falerner, den er immer bereitstehen hatte. Er schnalzte mit der Zunge, als der teure Rote seinen Gaumen erreichte. Spielerisch gurgelte er kurz mit dem Wein – eine Angewohnheit, die er von dem völlig dekadenten Borgiapapst Alexander übernommen hatte. Dem ersten von mittlerweile vier Päpsten, die er in seiner Zeit als Fuggerfaktor hier in Rom erlebt hatte.

 

Gierig war er auf diese Beförderung aus gewesen, seit vielen Jahren. Denn als päpstlicher Familiare war er ab sofort ausschließlich der päpstlichen Gerichtsbarkeit unterstellt. Kein weltliches Gericht könnte ihm mehr etwas anhaben. Für einen Kaufmann eine fürwahr verlockende Vorstellung!

Und, in der Tat, das war unerhört, so etwas hatte es noch nie gegeben: Der Mann, der dem Papst Geld lieh, für ihn mit Pfründen schacherte und seine weltliche Seite vertrat, dieser Mann sollte nun auch selbst in den offiziellen Genuss von Pfründen kommen.

Der Konflikt, der zwangsläufig daraus entstehen sollte, die Unmöglichkeit der Treue zu seinem Brotherrn, dem Augsburger Jakob Fugger, UND zu seinem zweiten, neuen Herrn, Papst Leo X., störte ihn herzlich wenig. Seine Dienste waren käuflich, immer schon gewesen. Wer mehr zahlte, dessen Lied er sang. Eine Hand salbte die andere. Die größere Handsalbe entschied. So war halt der Lauf der Welt.

Was Jakob Fugger darüber dachte, interessierte ihn dabei nur am Rande. Grundsätzlich war der einverstanden, erhoffte er sich wohl auch noch mehr internes Wissen aus dem Zentrum der Kurie. Mehr Geschäfte natürlich auch. Und er zweifelte anscheinend auch nicht an seiner, Zinks, Loyalität.

 

Beiläufig tätschelte er seine Almosentasche. Ein allerletzter Blick in den Spiegel, mehr um seine eigene, lächerliche Eitelkeit zu befriedigen als zur wirklichen Prüfung. Er war immer noch ein stattlicher, gut aussehender Mann, er, der Johannes Zink aus Augsburg.

Vor allem aber war er mächtig.

Und überzeugend.

Denn sein ebenmäßiges, von einer immer noch recht vollen, braunen Haarpracht eingerahmtes Gesicht wurde komplettiert von seinen stechenden Augen, diesem Blick, für den er berühmt geworden war. Diesem Blick, der Frauen gleichzeitig abzustoßen und zu faszinieren schien, und der seinen Vertragspartnern schon oftmals die Unterschrift quasi aufgezwungen hatte, sie Unterschriften hatte leisten lassen, die sie später bitterlich bereuen würden. Diesem Blick, den der reiche Fugger so schätzte.

Kurzerhand beschloss er, den Weg zum Papst nun doch zu Fuß zurück zu legen.

Keine Kutsche, keine Sänfte.

Die Straßen waren trocken und der kurze Weg zum Vatikan halbwegs sauber.

Die Vorfreude auf den Triumph wollte er ganz alleine genießen.

Auf Italienisch, das ihm nach so vielen Jahren in Rom fließend über die Lippen kam, wies er seinen Diener in scharfem Ton an, die Kutsche wieder fort zu schicken.

Er sollte langsam losgehen.

Dieser Tag würde vieles ändern in seinem Leben.

Lange hatte er darauf hingearbeitet.

Heute war Zahltag, der Tag der Ernte.

Man schrieb den 23. März 1515.

Es war ein schöner, sonniger Frühlingstag in Rom.

Kindheit und Ausbildung

1

 

Ein eigenartiger Mann war er immer schon gewesen, sein Vater Burkhard. Solange Johannes sich erinnern konnte. Während andere Väter mit schöner Regelmäßigkeit auf ihre Söhne einprügelten, was das Zeug hielt, war seiner meist hinter zwei Buchdeckeln zu finden gewesen. Johannes Zink musste über fünfzehn Jahre alt werden, um zu verstehen, dass sein Vater gar nicht so wunderlich war, sondern seit vielen Jahren dabei war, etwas zu schaffen, das ihm den Einzug in die Geschichtsbücher garantieren sollte.

Die ersten Jahre seines Lebens hatte Johannes seinen Vater überhaupt nicht als solchen wahrgenommen. Er war für diesen ein spät –, eigentlich zu spät Geborener. Als er das Licht der Welt erblickte, hatte sein Vater schon mehr als sechzig Jahre auf dem Buckel und drei Ehefrauen begraben. Nachdem seine vierte Frau, Johannes’ Mutter, bei der Geburt dieses ihres ersten Kindes unter großen Schmerzen gestorben und der Vater mit dem Säugling hoffnungslos überfordert war, hatte eine Amme die Pflege des Kindes übernommen. Die älteren Geschwister waren alle schon aus dem Haus, so dass sich sonst niemand um den kleinen Nachkömmling kümmern konnte. Die Amme stillte den kleinen Johannes, bis er zwei Jahre alt war, wickelte ihn einmal täglich und rieb ihn mit Öl ein, drückte seine Ohren regelmäßig an den Kopf, damit sie nicht abstanden, und badete ihn einmal in der Woche. Es blieb aber nicht bei dieser einen Nährmutter; sie wechselten sich schneller ab, als den Zinks lieb sein konnte. Zum einen erwartete der alte Zink, dass die Amme auch den Haushalt in Ordnung hielt. Außerdem befahl er, solange sie stillte, sich ohne Salz zu ernähren. Auch Knoblauch und scharfe Gewürze waren Tabu. Burkhard Zink las eifrig Gesundheitsbücher, in denen derlei Sachen standen. Da blieb nicht viel Schmackhaftes übrig für den Ammen-Speisezettel. Außer Getreidebrei. Damit waren jedoch die Frauen in der Regel nicht einverstanden und verließen das Zinksche Anwesen unter Protest. Wenn sich dann doch mal eine fand, die länger blieb, wurde sie spätestens durch die Zudringlichkeiten vergrault, die der alternde, einsame Witwer als Beweis seiner Zuneigung missverstand. So mühte sich der Zweimännerhaushalt mit seinen häufig wechselnden Ammen durch die Jahre, bis Burkhard Zink eines Tages beschloss, nun sei es genug der weiblichen Unterstützung.

»Du bist acht Jahre alt. Zeit für dich, etwas Anständiges zu lernen«, stellte er Johannes vor vollendete Tatsachen. Was er indes unter ›anständig‹ verstand, das wusste er selbst nicht so genau. Auf jeden Fall war Schluss mit den Spielen, die er mit den anderen Kindern auf den Straßen Augsburgs gespielt hatte. ›Himmel und Hölle‹, Bockspringen, ›Plumpsack‹ oder Murmel werfen. Also begann Burkhard Zink, nachdem die letzte Amme fortgeschickt worden war, seinem Sohn zuerst einmal das beizubringen, was er selbst wusste. Im Lateinischen und in der Bibel, da kannte er sich ganz passabel aus. Und im Rechnen. Zwischendurch erzählte er seinem Sohn von seinem bewegten, abwechslungsreichen Leben, von seiner Kindheit im nicht so weit entfernten Memmingen. Wie ihn dann sein Vater, ein kleiner Kaufmann, nach Ried in die Mark Krain geschickt hatte, damit er dort zur Schule gehen sollte. Unter der Obhut seines priesterlichen Onkels hatte er wahrlich viel gelernt, dann aber den vorgesehenen Gang zur Wiener Universität verweigert und war als Jüngling nach Hause zurückgekehrt. Der Vater war jedoch in der Zwischenzeit verstorben. Daraufhin hatte er kehrtgemacht zurück zum Onkel, aber auch der hatte, während er selbst auf Reisen war, das Zeitliche gesegnet.

»Da war ich ganz allein auf der Welt, verstehst du?«

Der kleine Johannes schaute ergriffen, derweil sein Vater weitererzählte.

»Dann zog ich jahrelang durch Süddeutschland, arbeitete hier und dort, als Lehrer oder Skriptor, manchmal musste ich betteln, manchmal stehlen. Kürschner hatt’ ich lernen wollen eigentlich. Weißt du, was das ist?«

Johannes schüttelte den Kopf.

»Ein Buntfutterer, jemand, der aus Tierfellen schöne Kleidung macht. Doch trotz des Renommees, die der Beruf mit sich bringt, letztlich gehört er doch zu den unreinen Berufen, und da hab’ ich mich dagegen entschieden. Aber zum Glück konnte ich lesen und schreiben, was ja längst nicht alle können.«

Er nickte zur Bekräftigung. Johannes tat es ihm nach.

»Schreib dir das jetzt schon einmal hinter die Ohren: Lesen und Schreiben zu können ist eine Gabe, die du nicht hoch genug einschätzen kannst. Und wenn du dazu noch rechnen lernst, wirst du niemals Hunger leiden.«

Er überlegte kurz, bevor er fortfuhr:

»Dass ich dann mit meinen dreiundzwanzig Jahren in Augsburg Anstellung beim Kaufmann Jos Kramer gefunden habe, hatte ich nur diesen Fähigkeiten zu verdanken. Und viel gereist bin ich weiterhin, auch für meinen neuen Brotherrn. In Venedig bin ich gewesen, in Frankfurt, Bamberg, Ulm und Nürnberg hab’ ich Geschäfte erledigt für den Kramer. Tuch und Barchent hab’ ich gekauft und verkauft. Gewürze und Metalle. Alles, was sich handeln ließ.«

Viel erzählte er ihm im Laufe der folgenden Monate. Von seiner ersten Frau, der Elisabeth, die beim Kramer Jos als Magd beschäftigt war. Die hatte er mit vierundzwanzig Jahren geheiratet, obwohl sie beide kein Auskommen hatten, nachdem er wegen seiner Liebelei mit der Magd seines Dienstherrn von diesem entlassen worden war.

»Verzag’ nicht, mein Burkhardle«, hatte Elisabeth ihm Mut gemacht.

»Ich geh’ spinnen, du kannst ja Schreibarbeiten für die hohen Herren machen.«

Tatsächlich hatte er Schreibarbeit beim Bischof gefunden, bis auf einmal der Jos Kramer wieder auf der Türschwelle gestanden war.

»Magst doch wieder für mich arbeiten? Es war ein Fehler gewesen, dich zu entlassen.« Natürlich hatte er Ja gesagt. Viel reisen musste er dann, viel Geld hatte er auch verdient. Denn der Kramer hatte ihm erlaubt, nebenher auch seine eigenen Geschäfte zu betreiben. Ein kleines Vermögen war dabei zusammengekommen. Der Kramer war dann gestorben und dessen Söhne hatten ihn entlassen. Danach hatte er beim Peter Egen Arbeit als Waagmeister gefunden. Und wenn er in Augsburg geweilt hatte, dann war er immer brav bei seiner Elisabeth gelegen, die ihm in den Jahren zehn Kinder geschenkt hatte. Die meisten davon waren bald gestorben, die Familie war aber dennoch groß genug geworden, um in ein größeres Haus zu ziehen.

»Ich hatte schließlich aufgehört mit dem Reisen und war Angestellter in städtischen Diensten geworden. Ich war Zahlmeister, Kornungsgelter, Siegler beim Weinstadel und sogar Stadtzinsmeister. Und nebenbei war ich im Getreidehandel tätig. Das war höchst profitabel. Mein Vermögen betrug damals, im Jahr 1440, mehr als eintausend Gulden! Kannst du dir das ausdenken?«

Der kleine Johannes mochte sich unter solchen Summen nichts Rechtes vorzustellen, schaute aber voller Ehrfurcht hoch zu dem Erzähler, seinem Vater.

»Dann hab ich ein schönes, großes Haus gekauft, in der Nähe der Wertachbrücke. Und just, nachdem wir eingezogen waren, ist mir die Elisabeth weggestorben.«

Für einen kurzen Moment schluckte Burkhard, so übermannte ihn die Erinnerung an sein erstes Weib.

»Danach brauchte ich wieder eine rechte Beschäftigung, und weil ich eine solide Reputation hatte, wurde ich für drei Jahre Gesellschafter im Handelshaus der Meutinger, damals des reichsten von Augsburg. Die waren reicher als die Fugger dazumal! Dann hab’ ich die Witwe Agnes von Adelzhausen kennen gelernt, schön und von Adel, aber arm wie eine Kirchenmaus. Und sie bald geheiratet. Für ihre zwei Buben aus erster Ehe war auch Platz bei mir im Haus.«

 

Bei nächster Gelegenheit erzählte der Zink-Vater dann seinem Sprössling von dem heftigsten Streit seines Lebens, der mit einem der größten Skandale der Augsburger Geschichte verknüpft war.

»Der Goldschmied Franz Bäsinger, der Sauhund, der war der Verwalter der St.‑ Anna‑Kapelle im Augsburger Karmeliterkloster. Und Augsburger Münzmeister dazu. Mit dem hab’ ich mich ordentlich gestritten damals. Der Meuting wollte halt eine Kapelle stiften, weil die Geschäfte so gut liefen. Ich sollte den ganzen Kram für den Meuting erledigen, mit der Stiftung, dem ganzen Geld, den Urkunden und so weiter.

Da ist der Bäsinger so eifersüchtig geworden und hat überall in der Stadt schlecht über mich geredet. Da hab ich’s ihm heimgezahlt. Der Meuting hat mich noch in Schutz genommen. Weil der auch mit den Fuggern gut konnte, so manches Geschäft haben die schon gemeinsam gemacht. Und Jakob Fugger[1] war ja dem Bäsinger sein Schwiegersohn.

Und wie wir so richtig im Streit sind, in einem Streit, der durch die ganze Stadt geht, da kommt raus, dass der Bäsinger schlecht gewirtschaftet hat als Münzmeister. Selbst war er durch den Silberhandel einer der reichsten Männer der Stadt geworden. Und dann kam raus, dass er ungeheure Schulden hatte. Zuerst musste er in den Schuldturm, dann ins Gefängnis. Der Jakob Fugger hat eine ordentlich hohe Bürgschaft hinterlegen müssen für seinen Schwiegervater. Dann ist der Bäsinger aus der Stadt geflohen, mit üblen Schulden und einem noch übleren Andenken. Seitdem war der Fugger nicht mehr gut auf ihn zu sprechen. Hat ihn viel Geld gekostet, dem Bäsinger sein Fersengeld zu finanzieren.

Dann kehrte wieder Frieden ein.

Ich konnte dem Meuting seine Kapellenstiftung in Ruhe fertig machen, nachdem der Bäsinger aus der Stadt raus war.«

Nach den drei Jahren im Haus Meuting hatte er sich dann endlich selbstständig gemacht als Kaufmann.

»Da hab’ ich dann ein weiteres Haus gekauft, dies hier, in der Judengasse, wo wir heut noch drin leben. Und hab’ Fernhandel betrieben mit venezianischer Baumwolle. Nach neun Jahren ist mir dann auch die Agnes weggestorben. Dann mochte ich erst gar nicht mehr heiraten. Die Kinder waren alle alt genug, um auf eigenen Füßen zu stehen. Also war ich erst mal alleine, bis ich mich dann mit einem ›Fräulein‹ eingelassen hab, der Segesserin Margret. Ohne den Segen der Kirche, und hab’s beinah teuer bezahlen müssen. Halb mein Geld hat sie mir stehlen wollen übers Gericht, wie sie so plötzlich auf und davon gewesen ist mit unseren zwei Kindern. Zum Glück hat das Gericht mir Recht gesprochen und ich hab ihr nichts zahlen müssen. Dann hab ich mich doch noch ein drittes Mal verheiratet, diesmal mit der Münsterlin Dorothea. Ach, eine glückliche Zeit war das gewesen! Und wieder viel zu kurz. Ohne Kinder, ohne den Sturm der Jugend, haben wir einfach so unsere Liebe genossen. Die Dorothea war auch schon über vierzig und aus dem fruchtbaren Alter heraus.«

Johannes schaute fragend.

»Was das ist, fruchtbar und alles, was dazu gehört«, sagte der Vater nun ungewöhnlich unwirsch, »dafür bist du noch zu jung. Das wirst du zu gegebener Zeit lernen.«

Wie um Vergebung für sein Poltern bittend, strich er Johannes über seinen dunkelblonden Haarschopf.

»Nun, sei’s drum, auch die Dorothea ist mir nach zwei Jahren wiederum weggestorben. Und dann hab ich deine Mutter geheiratet. Das war mein größter Fehler.«

Fast mitleidig schaute er nun auf sein jüngstes Kind herab.

»Nein, nicht wegen dir, du bist das einzig Gute, was sie hinterlassen hat, die Anna. Mein Gott, zänkisch war sie, trotzig und zornig. Wenn ich vorher geahnt hätte, was für eine Xanthippe ich mir mit der ins Haus holen sollte, glaub mir, mein Sohn, dann gäb’s dich heut nicht. Zum Glück gibt’s dich aber doch. Das letzte von meinen zwanzig Kindern, das bei mir geblieben ist. Die Pocken, die Diphterie und die Röteln haben einen hohen Zoll eingefordert.«

Der Junge rang sich ein mühsames Lächeln ab, angesichts der Tatsache, dass er überlebt hatte.

»Aber nichts hast du versäumt, mein lieber Johannes, dass du deine Mutter nicht hast kennen lernen können. War besser so. Obwohl, gezüchtigt hab ich sie nicht, wenngleich ich das Recht dazu gehabt hätte. Und sie es mehr als verdient.«

Dem stimmte der kleine Johannes zwar nicht zu, ändern konnte er es indes nicht.

»Und nachdem ich die Anna glücklich unter der Erde hatte, da hab ich beschlossen, nichts mehr mit Weibsbildern am Hut haben zu wollen.«

Das konnte Johannes nur bestätigen. Von den Zudringlichkeiten, die sein Vater einigen seiner ersten Ammen angedeihen hatte lassen, konnte er nichts wissen. Er kannte seinen Vater nur als alten, leicht wunderlichen Mann, der entweder schrieb oder las, solange das Tageslicht vorhielt. Die geölten Leinwände, mit denen in den Fensteröffnungen Wind und Kälte außen vor gelassen werden sollten, ließen ab dem Nachmittag nicht mehr viel Licht hindurch. In diesem schwäbischen Haus wurde gespart, da wurden keine Kienspäne leichtfertig verfeuert. So saßen sie des Abends meist in der guten Stube, in der wenigstens das Kaminfeuer für ein wenig Erleuchtung sorgte. Und Vater erzählen konnte …

 

»Was schreibt Ihr eigentlich die ganze Zeit?«, ergriff Johannes schließlich auch einmal das Wort.

»Ihr seid doch nicht mehr im Handel oder als Schreiber tätig.«

Burkhard Zink ging zu seinem Kathederpult, hob eine der zahlreichen Kladden auf und zeigte sie seinem Sohn.

»Schau, mein Sohn, wenn du im Herbst deines Lebens angekommen bist – nicht, dass ich jetzt schon abtreten möchte – und du hast Zeit deines Lebens genügend Geld aufgesammelt, um dir einen sorglosen Lebensabend zu garantieren, dann kannst du tun und lassen, wonach dir der Sinn steht. Und mein Sinn steht seit einiger Zeit danach, unser Leben und das Treiben hier in Augsburg aufzuschreiben. Die kleinen Sachen, die unbedeutenden wie die großen, die auch die hohen Chronisten notieren. Über unser Leben will ich berichten, damit spätere Generationen einmal nachlesen können, wie es uns so ergangen ist in dieser Zeit.«

Er legte die Kladde zurück.

»Zwei Bände habe ich schon fertig, ich denke, ich habe noch genug zum Erzählen für zwei weitere.«

Ein beeindruckter Blick seines Sohnes würdigte die filigrane Schreibarbeit in dem schönen, ledergebundenen Band.

So gestärkt im Willen, etwas Anständiges zu lernen, ließ sich Johannes Zink mit großer Begeisterung unterrichten. Korrektes Lesen und Schreiben beherrschte er mit zehn Jahren, Rechnen konnte er bald besser als die meisten Erwachsenen. Auch ein Lateinlehrer ging im Haus in der Judengasse ein und aus, als Vaters Kenntnisse erschöpft waren. Der predigte seine Sprüche allerdings neben dem Zeigefinger auch mit der Rute auf den nackten Hintern, was zum Streit mit dem Vater und zum baldigen Abschied aus dem Hause Zink führte.

 

Mit vierzehn Jahren war Johannes ein stattlicher junger Mann. Der dunkelblonde, kindliche Haarschopf war einer braunen, schulterlangen Mähne gewichen. Nicht übergroß war er, sondern genau im Mittelmaß. Ein Gesicht, in dem die Männlichkeit gerade zu sprießen begann. Mit ersten, zarten Bartstoppeln um einen Mund mit schmalen Lippen und ebenmäßigen Zähnen. Unauffällig, aber gut aussehend und kräftig. Gerade so, dass die jungen Mädchen anfingen, sich nach ihm umzuschauen, wenn er durch Augsburg ging. Sprach er dann schüchtern zu einer, ob beim Einkaufen oder sonst wo, hingen ihre Blicke immer an seinen Augen. Sowohl Iris wie auch die Pupillen waren ungewöhnlich blau, so dass diese Augen in ihrer Gesamtbläue unwirklich, nicht von dieser Welt, erschienen. Der Blick des Jünglings wirkte dadurch irritierend, beinahe stechend, und die Mädchen wussten nicht, was sie davon halten sollten. Einige beschlossen, es hübsch zu finden und so wurden Johannes stets gekritzelte Botschaften unbekannter Verehrerinnen unter seiner Türe hindurch geschoben.

Die Liebesbotschaften wurden noch zahlreicher, nachdem er angefangen hatte, wie schon sein Vater, auch beim Meuting zu arbeiten. In der Lehre lernte er zuerst die Grundzüge des Kaufmännischen, bald erledigte er auch schon anspruchsvollere buchhalterische Aufgaben und schrieb Rechnungen und Mahnungen.

Bereits im ersten Jahr seiner Lehre wurde er von Meutings Hausmagd verführt, die nicht schreiben konnte, daher diesen Umweg ausgelassen und direkt an ihn Hand angelegt hatte. Der schüchterne, unerfahrene Bursche hatte der mehr als fünfzehn Jahre älteren Frau nicht widersprochen und war ihr, mehr aus Neugier als aus jung erwachender Lust, in die Speisekammer gefolgt. Dort, zwischen von der Decke hängenden Speckschwarten und Würsten, zwischen Tonkübeln voller Lauch und Zwiebeln, hatte sie ihm das Hemd aus der Hose und diese bis zu den Knien hinunter gezerrt, und ihn eine neue Erfahrung gelehrt. In seiner aufkeimenden Euphorie hatten seine zuckenden Füße einen Tonkrug mit in Salzlake eingelegten Heringen umgestoßen. Die Strafe dafür nahm die Magd auf sich, die sich davon zusätzliche Abenteuer mit dem Jungen erhoffte. Stattdessen wurde sie sofort entlassen und Zink war nicht unfroh, dass ihre Nachstellungen aufhörten.

 

Konrad Meuting hatte mittlerweile Barbara, die aus der Familie der Fugger von der Lilie stammte, geheiratet. Als der erfahrenere und, zu dieser Zeit zumindest, reichere Patrizier-Kaufmann half er seinen Schwägern Ulrich und Georg, wo er konnte. Zum beiderseitigen Nutzen. Zu Anfang des Jahrhunderts war die Meuting-Firma noch die größte Augsburger Handelsfirma gewesen. Die Welser, Baumgartners und Gossembrodts hatten jedoch stark aufgeholt, auch die Fugger saßen bereit, die Führung zu übernehmen. Da schadete es nichts, Allianzen zu schmieden. Konrad Meuting übernahm die Leitung der Fugger-Faktoreien in Antwerpen, Innsbruck und Hohenkirchen. Bisweilen sogar in eigenem Namen, was den Fuggern so unrecht gar nicht war, weil sie die Diskretion über alles schätzten.

2

 

Nach seinem ersten Jahr im Augsburger Handelshaus ging ihn sein eigener Vater um Geld an. »Mein lieber Sohn, du musst mir aushelfen. Mein Geld, das ich mir für meinen Lebensabend erspart und beiseite geschafft habe, ist fort.«

»Fort, wie meint Ihr das? Gestohlen?«, fragte der verwunderte Johannes.

»Nein, ausgegeben. Du hast die Teuerung vor zwei Jahren noch nicht mit eigenem Geld miterleben müssen. Die hat mich einiges gekostet. Meine Chronik bringt mir nicht genug ein. Und ich leb’ schon viel länger als erwartet.«

Damit lag er fraglos richtig; Burkhard Zink ging auf die achtzig Jahre zu, ein selten gesehenes Alter. Johannes Zink lieh ihm das benötigte Geld, jedoch nicht, ohne sich einen Schuldschein unterschreiben zu lassen. Als sein Vater einige Monate später im Sterben lag, rief er ihn ans Totenbett.

»Nun, mein lieber Johannes, ich kann dir meine Schulden leider nicht zurückzahlen. Bitte vergib mir und, nach guter Kaufmannssitte, lass mich nicht als Schuldner sterben und erlasse mir meine Schuld.«

Johannes wollte selbstverständlich zustimmen, da fuhr sein Vater fort:

»Eines muss ich dir noch gestehen, bevor ich diese Welt verlasse: Deine Mutter ist nicht tot; ich habe sie nur fortgejagt, weil sie so ein böses Weib war. Vermutlich lebt sie in Nürnberg. Und denkt, ich sei schon lange tot.«

Zornig wurde er da, der Johannes.

»Warum sagt Ihr mir das erst jetzt?«

»Ich sage dir doch, sie war ein böses Weib. Warum hätte sie dich besser behandeln sollen als mich. Sei froh drum, dass du sie nie gesehen hast.«

Froh war der aber nicht und beschloss sogleich, sie sofort nach dem Tod des Vaters zu suchen. Zu seinem Vater gewandt, sagte er:

»Hättest du dein Geheimnis besser mit ins Grab genommen. Nun habe ich keinen Frieden mehr, bis ich sie gefunden habe. Daher gönne ich auch dir keinen Frieden und erlasse dir deine Schuld nicht. Mögest du dafür im Fegefeuer schmoren, bis deine Schulden getilgt sind.« So starb sein Vater zwar äußerlich friedlich und schmerzlos als alter Mann, aber innerlich gebrochen. Nach Burkhard Zinks Tod musste der Sohn sogar noch für einige andere Schulden seines Vaters geradestehen. Nun war es endgültig vorbei damit für Johannes Zink, von seinem Vater und dessen Lebenswerk beeindruckt zu sein.

»Wenn so ein tüchtiger Mann sein Leben lang hart arbeitet, allzeit ein ehrlicher Kaufmann ist und doch am Ende seines Lebens mit leeren Taschen in den Himmel fährt, dann ist was faul dran.«

Noch ein weiteres Jahr nach dem Ableben seines Vaters arbeitete er für einen kleinen, aber immer pünktlich bezahlten Lohn, zur größten Zufriedenheit seines Brotgebers. Ausbildung und Arbeit bei einem Kaufmann hatten den großen Vorteil, dass viel weniger gezüchtigt wurde als in den groben Handwerksberufen. Regelmäßig wurden Lehrlinge im Maurer-, Zimmerer- oder Weberhandwerk von ihren Meistern an den Rand des Todes geprügelt. Auch wenn die Strafen für die Meister mittlerweile drakonisch waren, um die Todesfälle in Grenzen zu halten. Beim Meuting wurde hingegen überhaupt nicht geschlagen.

Zinks Sparstrumpf schwoll langsam, aber beständig an. Er war genügsam, lebte im Haus in der Judengasse, das er geerbt hatte, und konnte immer ein wenig Geld zurücklegen. Sogar eine weitere kritische Teuerung überstand er ohne finanzielle Blessuren. Nebenbei studierte er noch Juristerei und hatte kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag seinen Magister in der Tasche. Meuting beförderte ihn sogleich.

Als Anerkennung seiner besonderen Fähigkeiten wurde er zum Vermögensverwalter – Prokurator– des Klosters Frauenchiemsee ernannt.

 

Dann aber kam – aus heiterem Himmel – ein Angebot von der am schnellsten wachsenden Firma Augsburgs: Der Firma der Fugger von der Lilie! Als sich die unverhoffte Möglichkeit ergab, für diese erfolgreichen Emporkömmlinge zu arbeiten, hatte Zink schon lange beschlossen, nicht als ehrlicher Kaufmann reich zu werden. Da gab es sicher andere Möglichkeiten.

Bereits im nächsten Winter begann Johannes Zink im Augsburger Fuggerkontor mit seiner Arbeit. Schon rein äußerlich waren die Unterschiede nicht zu übersehen. Meutings Kontor war klein, vollgestopft mit Kladden und Truhen, bei den Fuggern herrschte penible Ordnung sowie, im Gegensatz zu Meuting, ausreichend Licht zum Lesen und Schreiben. Hier wurde nicht an Kerzen gespart, die die Fugger aus Italien kommen ließen. Bei Meuting arbeitete man noch beim Licht von funzeligen, harzgetränkten Kienspänen. Für die Fugger hatte dies den Vorteil, dass die Arbeitszeit länger in den Abend hineingehen konnte. Auch war reichlich Platz hier, und dennoch wurde ständig erweitert. Sowohl in den Arbeitsräumen wie überhaupt am ganzen Fugger-Anwesen. Ein neuer Erker hier, ein neuer Arkadengang dort. Man wollte seinen wachsenden Wohlstand unbedingt auch zur Schau stellen. Das schaffte Vertrauen für weitere Geschäfte.

Auch kleiden musste man sich entsprechend. Wer auf sich hielt, dessen Kleidung zeigte mehr und mehr Pelz, Damast und Samt. Und Schmuck, bei Männern wie Frauen. Das galt für die Mitglieder der Fugger-Familie, jedoch in bescheidenerem Rahmen auch für die Angestellten. So wanderte ein guter Teil seiner ersten Gehälter in eine neue, aufwändigere Garderobe.

Als Magister wurde er gleich von Anfang an, wie bei Meuting, höher besoldet und durfte bald schon in die vertraulicheren Aspekte der Fuggerschen Geschäfte Einblick nehmen. Es dauerte eine Weile, bis Johannes Zink entdeckte, dass Ulrich Fugger, der Regierer im Hause Fugger, ihn schon geraume Zeit beobachtet hatte, bevor er ihm anbot, für ihn zu arbeiten. Ulrich war einige Male zu Meuting gekommen, um gemeinsame Geschäfte zu klären, dabei hatte er dessen fleißigen Buchhalter jedes Mal gemustert und ihm unauffällig über die Schulter geschaut. Als den Fuggern dann einer ihrer Angestellten weggestorben war, hatte er nicht lange gezögert und Zink die Arbeit angetragen. Vorerst tat Johannes Zink also das Gleiche wie vorher beim Meuting, nur dass das Fugger-Geschäft ungleich schneller wuchs. Und wuchs.

Und wuchs.

Monat für Monat.

Jahr für Jahr.

 

Drei Jahre nach dem Tod seines Vaters war Johannes Zink aus der Fugger-Kanzlei in Augsburg nicht mehr wegzudenken. Den Vorsatz, seine tot geglaubte Mutter zu suchen, hatte er schon lange vergessen. Wichtiger war es ihm, in der Fugger-Firma aufzusteigen. Zur gleichen Zeit etwa trat der jüngste Spross dieser Familie, das Jaköble, in die Firma ein. Nachdem der Markus Fugger in Rom jung verstorben war, hatte Jakob seine Kleriker-Laufbahn an den berühmten Nagel gehängt und sich, nicht ganz ohne Widerwillen, für das Kaufmännische entscheiden müssen. Beinah täglich trafen und saßen sie nun in der Kanzlei zusammen, der vielversprechende Spross der erfolgreichen Fugger und der nur wenig jüngere Sohn des mäßig erfolgreich gewesenen Augsburger Fernhandelskaufmanns Zink. Ob Jakob Fugger von dem Streit zwischen Zinks Vater und seinem eigenen Großvater Franz Bäsinger wusste oder nicht, war gleich. Das war fast dreißig Jahre her. Und somit Geschichte.

 

Jakob Fugger war kein schöner Mann, beileibe nicht. Eine knollige, große Nase steckte mitten in einem meist mürrisch dreinschauenden Gesicht. Zwischen den Augen mit den schiefen Pupillen zog eine Sorgenfalte ihre Furche, die mit zunehmendem Alter immer größer und tiefer werden sollte. Aber gewisse Eigenschaften konnte niemand Jakob Fugger absprechen. Energie und Bauernschläue gehörten fraglos dazu. Und Menschenkenntnis. Mit dieser erkannte und schätzte er sehr bald das Verhandlungsgeschick Zinks, das dieser bei zahlreichen Gelegenheiten offenbarte. Mehr als einmal saß er scheinbar unbeteiligt daneben, während Zink seine Verhandlungspartner geradezu zu hypnotisieren schien. Sein stechender Blick widersprach seinen freundlichen, oftmals schleimigen Worten aufs Heftigste, es war aber scheinbar genau dieser Widerspruch, der seine Kontrahenten verwirrte und die Verhandlungen so ungewöhnlich oft von Erfolg gekrönt sein ließen.

Einige Monate darauf sollte Jakob auf Ausbildungsreise gehen. Nach Venedig und Rom, dorthin, wo die hohe Schule des Handels zu erlernen war und wo mit wirklich harten Bandagen gekämpft wurde.

»Das wäre eine gute Schule, um auch unserem jungen Zink einmal die große, weite Welt des Handels zu zeigen«, hatte Ulrich vorgeschlagen. »Auch er sollte die neuen Geschäftsmethoden lernen, mit denen die Italiener arbeiten.«

Johannes Zink jubilierte innerlich. Das war die perfekte Gelegenheit, sein Können und seinen Ehrgeiz zu demonstrieren. Den älteren Fugger-Regierern wie auch dem jungen Jakob. Kühn und unternehmungslustig wollte er die Welt erobern, wie ein echter deutscher Kaufmann eben. Allein auf sich gestellt; weder vom Reich noch vom Kaiser unterstützt. Nur seiner Nase und seinem Geschäftssinn vertrauend. Sonst niemandem. Sich selbst um seine eigene Sicherheit kümmernd. Dass der Weg zum Erfolg steinig und dornenreich war, dachte er sich natürlich. Wenn es so einfach wäre, als reisender Kaufmann Erfolg zu haben, dann wäre ja jeder reich.

Aber vielleicht gab es ja Abkürzungen auf dem Weg zum Reichtum?

 

Die Reise von zehn Tagen kam den beiden jungen Männern erheblich länger vor, so sehnten sie die Ankunft in der prächtigen Lagunenstadt herbei. Die Reise verlief allerdings nicht gerade so, wie Zink es sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte. Der gut aussehende junge Mann hatte, jung, unerfahren und noch kaum gereist, Ideen von abenteuerlichen Spelunken, riskanten Übernachtungen und wilden Frauenzimmern in seinem Hinterkopf gehabt. Den Zahn hatte der nüchterne, völlig humorlose und Vergnügungen gänzlich abgeneigte Jakob ihm jedoch schnell gezogen. Einzig die Übernachtungen schienen etwas riskant zu sein, wenig Vertrauen erweckend, und es war angebracht, immer auf der Hut zu sein. Alles andere blieb Fantasie. Sie nahmen abends ein karges Mahl ein, ein Becher Wein war das Höchste der Gefühle. Es war alles so ganz anders als in Augsburg, wo doch mit dem steigenden Wohlstand auch Gewürze und guter Wein aus Italien und Tirol Einzug gehalten hatten. Enttäuschend. Ein regelrechter Rückschritt.

Nach dem Abendessen wurde noch ein wenig übers Geschäft geredet. Dann begab Jakob sich zum Abendgebet, dann zu Bett. Von seinem Untergebenen erwartete er das Gleiche. Wie fieberte Johannes Zink der berühmten Stadt an der Adria entgegen!

Ob die Venezianer sich wohl von dem Schrecken erholt hatten, als nur zwei Jahre zuvor osmanische Horden ihr Hinterland geplündert hatten? Vom Campanile, vom Markusplatz aus waren die türkischen Rauchzeichen – brennende Höfe und Kirchen – zu sehen gewesen. Nur knapp war die Stadt davongekommen.

Venedig! Größte Stadt auf dem italienischen Stiefel, mit mehr als dreimal so vielen Einwohnern wie Rom. Wahr gewordener Traum eines jeden Kaufmanns.

 

Das Jahr näherte sich bereits merklich seinem Ende, kalter Nebel lag über den Lagunen, als die beiden jungen Kaufleute endlich die Stadt erreichten. Dort angekommen, eröffneten sich neue Welten für die Reisenden und das nicht nur im Fondaco dei Tedeschi – dem Haus der Deutschen Kaufleute, seit über zweihundert Jahren am Ponto di Rialto, an der Biegung des Großen Kanals gelegen. Weil dieses aber seit geraumer Zeit aus allen Nähten platzte, erhielten die beiden jungen Reisenden die Genehmigung des Dogen, außerhalb zu nächtigen. Ein Privileg, das sie dem bereits gereiften guten Ruf der Familie Fugger zu verdanken hatten. Andere deutsche Besucher mussten über Nacht im Fondaco bleiben, so argwöhnisch fürchteten die Venezianer, bei aller Gastfreundschaft, neugierige Besucher aus dem Ausland.

Welch ein neuer Geist wehte hier durch die prall gefüllten Lagerhallen und die Kontore der Kaufleute! Kein Vergleich zum muffigen Augsburg.

›Genauso muffig wie Jakob‹, dachte Zink wiederholt.

Jakob war einige Jahre zuvor schon einmal kurz hier gewesen, um in Vertretung seiner Brüder ein kleineres Geschäft abzuwickeln. Und dennoch, auch er war nun beeindruckt, als sie wirklich hinter die Kulissen des venezianischen Handels schauen konnten. Der ungeheure Reichtum, der sich ihnen dort offenbarte, als krasser Gegensatz zum sinkenden politischen und militärischen Einfluss Venedigs; das Geschick und die Raffinesse, mit dem die dortigen Händler ihren Geschäften nachgingen; aber auch die Möglichkeiten, die sich ihnen eröffneten. Vierundvierzig Banken konkurrierten mit über siebzig Goldschmieden um Geld und Gold der Vermögenden. Sechzehntausend Weber fertigten Seide und andere edle Stoffe, mit denen sich gewinnbringend handeln ließ.

Wenngleich die deutschen Kaufleute selbst nicht auf eigene Faust handeln durften – alle Geschäfte hatten über venezianische Makler zu laufen –, hier sahen sie zum ersten Mal Handel um des Handels, um des Profits willen. Nicht aus einer Notwendigkeit heraus, den Mitmenschen die Dinge des Alltags zu beschaffen. Die fortgeschrittene Buchhaltung beeindruckte Zink überdies. Das hier waren keine kleinen Geldverleiher, das war hohe Schule des Kreditwesens! Beide saugten alles auf, als wären sie ausgetrocknete Schwämme.

Nicht nur geschäftlich lernten sie viel, die italienischen Umgangsformen ließen die beiden jungen Männer schnell merken, wie bäuerlich und provinziell sie sich verhielten. So achteten sie bald darauf, nur noch mit sauberen, vom Schlamm der Straße befreiten Schuhen anderen Menschen gegenüberzustehen. Zink hatte sich zuerst ein seidenes Einstecktuch besorgt, mit dem er sich fein säuberlich vor jeder Besprechung die Nase putzte. Sonst hatten sie den Rotz immer im Ärmel verrieben und die Tropfen, die wie Eiszapfen an der Nase herunterhingen, einfach zu Boden geblasen. Eine Woche später besaß auch Jakob Fugger sein erstes Taschentuch. Sie lernten den Umgang mit Zahnstochern, um ihre Zähne nach dem Essen dezent zu reinigen, anstatt auf schwäbische Art an der Tafel mit beiden Händen im offenen Mund herumzufingern. Auch hörten sie zur Gänze auf, sich das Ungeziefer von Kopf und Kleidung zu kratzen, stattdessen wuschen sie sich regelmäßiger als je zuvor. Die Frauen der Stadt dankten es ihnen mit erhöhter Aufmerksamkeit.

 

Der venezianische Winter war kalt, ungewöhnlich kalt. Mit schöner Regelmäßigkeit fror alle zwölf Jahre die Lagune zu. So auch in diesem Winter. Was taten die Venezianer, als die Gondeln im Eis feststeckten und die Schiffe weit draußen vor Anker gehen mussten? Sie ließen sich nicht verdrießen. Es wurde gefeiert und gut gelebt wie sonst auch. Ein regelrechter Winterkarneval brach aus. Maskierte Reiter ritten über das Eis, Kutschen mit verkleideten Damen durchquerten die Kanäle auf dem Weg zu den Lustbarkeiten. Auf dem Eis neben dem Markusplatz fanden Ritterspiele statt. Die ganze Stadt war auf den Beinen, niemand verkroch sich frierend hinter dem Ofen.

Fast wollten sie nicht weiterreisen nach Rom.

Der Überfluss Venedigs blendete sie beide. Wein, gutes Essen – Wild, Geflügel und Gewürze, schöne Frauen – alles, was das Leben für vornehme, junge Männer lebenswert machte, hier war die Schatzkammer voll – und offen. Sie mussten nur zugreifen. Sogar der spröde Jakob ließ sich ab und an zu einer kleinen Extravaganz oder einer Schlemmerei hinreißen.

»Lass uns hierbleiben und reich werden«, bat Zink seinen Juniorchef mehrmals eindringlich.

»Das geht auch außerhalb von Venedig«, antwortete dieser.

»In Rom liegt das Geld ebenso auf der Straße. Wir müssen es nur aufheben.«

Zudem fürchtete der Fugger sich vor der Pest, die die Lagunenstadt mit schöner Regelmäßigkeit heimsuchte.

 

Murrend reiste Zink mit Jakob schließlich weiter in die Ewige Stadt. Wenn Rom auch im Mittelalter Jahrhundert für Jahrhundert an Glanz verloren hatte und längst nicht mehr die ruhmreiche Millionenstadt der Antike darstellte, reich war es allemal noch. Wenngleich auf dem Forum Romanum die Kühe und Ziegen grasten, von den übrig gebliebenen sechzigtausend Einwohnern lebten viele im Umfeld des Vatikans in Saus und Braus. Sie stiegen ab im Gasthaus ›Zum Goldenen Kopf‹, dessen Besitzer ein Bekannter aus Augsburg war.

Die beiden jungen Männer waren auch von dieser Stadt fasziniert, ganz gleich, wie sehr sie von erfahrenen Reisenden vorher gewarnt worden waren. Die Gerüche nahmen sie zuerst wahr, weil sie so ganz anders waren als im heimatlichen Augsburg. Diese Mischung aus Gewürzen und Kräutern – Pfeffer, Kardamom, Basilikum –, dem fischigen Aroma des Tibers, dem Blut der Schlachter, die ihre Ware, an Haken hängend, auf der Straße präsentierten, den Kloaken, deren Gestank je nach Wetterlage um die Häuser zog, dem Schweiß unzähliger Menschen, vermischt mit dem Duft erlesener Hölzer, den Rosenwässerchen der zahlreichen Prostituierten und Lustknaben, dem Essengeruch der vielen einfachen Garküchen, es war ganz einfach unwiderstehlich.

Rom hatte mehr und tiefere Abgründe als andere, weitaus größere Städte. Viertel mit düsteren Gassen, voller Lasterhöhlen, denen keine menschlichen Begierden fremd waren. Johannes Zink sollte in seinem späteren Leben noch reichlich Gelegenheit erhalten, Bekanntschaft mit den dunklen Seiten der Ewigen Stadt zu machen.

Vorerst kamen die beiden Fremdlinge mit einer Mischung aus Vorsicht und Frechheit über die Runden. Sich nichts gefallen zu lassen, gleichzeitig sich so bald wie möglich in Rom gut auskennen zu müssen, das war überaus wichtig. Sie lernten schnell.

 

Die römische Filiale der Firma Fugger wurde geleitet von einem Mann namens Jakobus de Doffis, einem Kleriker aus Florenz.

»Hier, im Herzen des Christentums, lässt du deine Interessen am besten von einem Mann des Glaubens vertreten«, erklärte Jakob mit aller religiösen Ernsthaftigkeit, zu der er fähig war. Währenddessen hatte der eher nüchtern denkende Zink sogleich die Vorteile dieses Arrangements erkannt. Er scherte sich nicht um Glaubensdinge, aber als Geistlicher hatte de Doffis natürlich viel leichteren Zugang zum Vatikan. Dorthin, wo das Geld lag. De Doffis betrieb die Fuggerschen Geschäfte zwar nur als Ein-Mann-Betrieb, die Resultate waren jedoch bereits recht erstaunlich. Besonders unter Berücksichtigung der Tatsache, dass de Doffis zwar kein Heiliger war, aber sich dennoch an das Verzinsungsverbot für Kleriker hielt und selbst keinen Geldverleih tätigte. Nur ein wenig privaten Pfründenhandel, der durfte ja wohl noch erlaubt sein. Seit vor drei Jahren die ersten Gelder aus dem hohen Norden – damals aus Schweden, über die Fugger an die Kurie in Rom transferiert worden waren, flossen mittlerweile Gulden und Dukaten aus Bremen, Krakau, Breslau, Utrecht und sogar Glasgow durch die Hände und Bücher der Fugger nach Rom. Und überall waren Provisionen und Zinsen zu Fuggers Gunsten fällig, und nicht zu knapp.

 

Auf dem Rückweg nach Augsburg machten sie noch Station in Tirol und Salzburg.

»Wir sollten uns mehr im Bergbaugeschäft engagieren«, verriet Jakob Fugger seine nächsten Ziele. »Da ist einiges zu bewegen. Mehr, als meine Brüder von träumen können.«

Johannes Zink interessierte sich nicht sonderlich fürs Montangeschäft. Er wollte in erster Linie reich werden.

Sehr reich.

 

Mit aller gebotenen Vorsicht hatten sie unterwegs sogar so manche zwielichtige Herberge überlebt, in der sie übernachten hatten müssen. Sie waren nicht auf gepanschten Wein oder betrügerische Wirtsleute hereingefallen. Unversehrt, wohlbehalten und um viele unvergessliche Eindrücke reicher, kehrten die zwei jungen Kaufleute also zurück nach Augsburg.

 

Völlig unterschiedlich waren jedoch die Lehren, die die beiden Kaufmannslehrlinge aus ihren neuen Erfahrungen zogen. Über Jakob Fuggers Wandel auf dieser Reise sagten Zeitgenossen später: »Ein Lehrling zog nach Rom und Venedig. Ein junger Meister seiner Kunst ist aus Italien nach Augsburg heimgekehrt.« Von Zink wird nichts dergleichen berichtet.

Denn während Jakob Fugger ständig über neue Möglichkeiten nachdachte, die Geschäfte zu erweitern, grübelte seither Zink Tag und Nacht, wie er in eine Position gelangen könnte, dass ein größeres Stück dieses schmackhaften Kuchens auch einmal auf seinem Teller landen könnte. Das sollte indes noch einige Jahre dauern. Aber bald schon ergab sich eine Möglichkeit, sein intrigantes Können unter Beweis zu stellen. Sein erstes ›Opfer‹ sollte gleich ein hochrangiges sein, von Adel …