1.
Die Situation war äußerst unerfreulich. Ich lag auf einem Labortisch, hatte weder Arme noch Beine und konnte mich nicht bewegen. Ich lag hier in Gestalt einer Gurke.
Naturgemäß besitzen Gurken keine Augen, aber glücklicherweise konnte ich meine Umgebung noch durch Radarstrahlung wahrnehmen.
Eisige Kälte bohrte sich wie tausend Nadeln in meinen klein geschrumpften Körper. Die Ströme meiner Gedanken waren zäh wie Honig, und die meisten Platinen meines Gehirns waren eingefroren.
Mit aller Kraft versuchte ich, mich zu konzentrieren. Ich aktivierte die letzten Energiereserven, denn Konzentration war jetzt lebenswichtig.
Nur mit der Stärke meines Willens konnte ich mich von der Gurke in meine ursprüngliche Gestalt zurückverwandeln.
In Notfällen arbeiten meine Prozessoren automatisch auf Hochtouren. Doch mein Akku war fast leer.
!tsim retm mad rev, dachte ich.
Das Verhalten in Extremsituationen hatte ich oft trainiert, aber diese Situation war etwas Besonderes. So etwas war in unserem Ausbildungsprogramm nicht vorgesehen.
Rechts und links von mir lagen noch andere Gurken. Aber sie waren reine Nahrungsmittel, und ganz anders als ich waren sie empfindungslos und von stumpfer Gleichgültigkeit.
Am Labortisch stand ein Erdling. Er hatte eine äußerst negative Ausstrahlung. Ich spürte seine schlechten Schwingungen und befürchtete das Schlimmste. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht gewusst, wozu die Erdlinge fähig waren. Aber man hatte mich gewarnt. Ich hätte vorsichtiger sein müssen.
Nun begannen auch noch völlig überflüssige Gedankensplitter meinen Denkapparat zu blockieren. Merkwürdigerweise waren es unangenehme Erdlings-Gedanken.
Wennesdemeselzuwohlistgehteraufseis
nadashastdunundavon
nawerhätteansowasgedacht
wiesohastduidiotnichtbesseraufgepasst …
Durch die Kälte arbeitete mein Gehirn anscheinend nicht mehr einwandfrei. Jetzt wurde es wirklich eng. Wenn mir nicht bald etwas einfiel, würde ich den Rest meines Lebens als Gurke verbringen. Und dieser Rest würde kurz sein. Denn was der Erdling vorhatte, war nichts Gutes.
Ich weiß, ich spreche gerne etwas zu schnell. Dafür muss ich mich entschuldigen, ich will dich nicht verwirren. Das schnelle Reden ist keine dumme Angewohnheit, sondern ein alter Programmierfehler. Es ist bestimmt besser, ich erzähle dir meine Geschichte etwas langsamer und von Anfang an.
Mein Name ist Y3. Ich komme vom Planeten Gorky, aber ich spreche die Sprache der Erdlinge perfekt, das hast du sicher schon gemerkt. Ich habe alle Wörter einprogrammiert.
Wenn ich in meiner Heimatsprache erzähle, verstehst du wahrscheinlich nur Bahnhof:
.tnre ftne edre red nove rhajt hcilf nüf, ykrog neten alp movem mok hci
In der Sprache der Erdlinge heißt das:
Ich komme vom Planeten Gorky, fünf Lichtjahre von der Erde entfernt.
Für uns Gorkyaner sind fünf Lichtjahre kein Problem, die Lichtgeschwindigkeit haben wir längst überwunden.
Der Planet Gorky ist nicht besonders groß, nur halb so groß wie der Planet Erde. Aber bei den Planetariern unserer Nachbarplaneten ist Gorky sehr beliebt, und viele verbringen ihre Ferien bei uns. Auf Gorky ist es angenehm kühl, wir haben herrliche Purpurfelder, viele rauchende Vulkane und große, duftende Parfüm-Wälder.
Wir haben jede Menge Landeplätze für den Flugverkehr. Leider ist unser Luftraum ständig überfüllt. Besonders die rasenden VELOPEDEN gehen mir auf die Nerven.
Seitdem fast jeder Idiot mit so einem neumodischen Ding herumfliegt, kann man nicht mehr in Ruhe durch die Atmosphäre gleiten.
Auf Gorky bewohne ich eine schöne Behausung. Sie ist ohne Schnickschnack, aber technisch auf dem allerneuesten Stand, mit einer 1-a-Lage gleich hinter der Schwarzen Ebene. Die Schwarze Ebene mag ich sehr, sie strahlt eine angenehme Ruhe aus.
Da mein Leben sehr abwechslungsreich ist, habe ich es zu Hause gerne ruhig. Ich lebe allein mit meinem MAMBU. Er sitzt auf seinem Lichtstrahl am Eingang zum Wohlfühlraum, und jedes Mal, wenn ich in meine Behausung trete, begrüßt er mich mit angenehmen sphärischen Klängen. Meinen MAMBU habe ich schon lange. Er ist ein angenehmer Zeitgenosse, und seine Elektronik funktioniert einwandfrei. Ich hatte noch nie Probleme mit ihm.
Eine andere Lebensbegleiterin oder einen Lebensbegleiter habe ich nicht. Vielleicht finde ich eines Tages jemanden, der zu mir passt. Aber so, wie es ist, bin ich zufrieden, und das Alleinsein stört mich nicht.
Außerdem habe ich einen interessanten Beruf. Er ist nie langweilig, und man kommt viel rum. Willst du wissen, was ich mache?
Seit vielen Jahren arbeite ich als intergalaktischer Reporter für unser Nachrichtenmagazin, den »Urknall« – »das intergalaktische Magazin für den aufgeweckten Planetarier«. Klingt kompliziert, ist aber nichts anderes als eine elektronische Zeitung.
Meine Chefin schickt mich und meine Kollegen oft zu verschiedenen Planeten, und wir funken unsere Erlebnisse zurück nach Gorky in die Redaktion des »Urknall«.
Manche Planeten sind bewohnt, andere nicht – ich mag lieber die bewohnten und am allerliebsten die bewohnten warmen Planeten.
Bei uns auf Gorky ist es, wie schon gesagt, ziemlich kühl, und ab fünfzehn Grad minus arbeitet mein Denkgehirn nur noch mit halber Kraft. Jedes Mal freue ich mich deshalb, wenn mich die Chefin auf einen warmen Planeten schickt. Zum Glück gibt es jede Menge warme Planeten in unserer Galaxie.
Jetzt weißt du aber immer noch nicht, wie ich auf dem Labortisch des Erdlings gelandet bin.
Alles begann am Tag des Jupiters. Wir hatten mal wieder Redaktionssitzung, und ich saß in unserer Zentrale am Konferenztisch. Viele Kollegen waren da: Y1, der Reporter mit den neun Augen und den zwei Riechrüsseln. Er war der Intelligenteste von uns allen und verantwortlich für den Wissenschaftsteil. Neben mir saß die Kollegin Y2, eine Spezialistin für Technik, deren zarter Duft mich immer an meinen geliebten MAMBU erinnert. Auch die Kollegen Y4 und Y5 waren anwesend, beide sehr nett und immer höflich, spezialisiert auf Klatschnachrichten in unserem Lokalteil. Ihnen gegenüber saß die sportliche Y7, eine Abenteurerin, der kein Weg zu weit war und der kein Auftrag gefährlich genug sein konnte. Und natürlich war da wie immer Y8, ein älterer Reporter und unser Mann für alle Fälle. Er war der Erfahrenste von uns und schon von Anfang an in der Redaktion.
Sie alle sind Kolleginnen und Kollegen, die ich seit vielen Jahren kenne und die ich ohne Ausnahme gut leiden kann.