BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Bastei Verlag/Anne von Sarosdy
E-Book-Produktion:
César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-0932-4
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Zwischen Stolz und Liebe
Zu Herzen gehender Roman der weltberühmten Schriftstellerin
Rony Larsen war als Dolmetscherin und zugleich als Einkäuferin für kunstgewerbliche Gegenstände in einem Warenhaus angestellt. Eigentlich hieß sie Veronika, nach ihrer Großmutter mütterlicherseits, aber sie fand diesen Namen viel zu umständlich und hatte ihn kurz und bündig in Rony abgeändert. Alle, die ein Recht hatten, sie beim Vornamen zu nennen, nannten sie nun Rony. Das waren allerdings nicht viele. Außer ihrer Mutter wurde sie nur von einigen Freundinnen so gerufen. Manche, die mit ihr beruflich zu tun hatten, nannten sie auch Fräulein Rony.
Wie sie zu ihrer Stellung gekommen war, wusste sie selbst nicht recht, es war jedenfalls ein Glücksfall gewesen, dass gerade sie unter einer großen Anzahl von Bewerberinnen vom Personalchef des Warenhauses gewählt worden war. Vielleicht hatte er sich durch ihre ruhige, bestimmte Art, vielleicht durch ihre reizende Persönlichkeit bestimmen lassen. Und dann sprach sie auch Englisch und Französisch und konnte sich zur Not noch in einigen anderen Sprachen mit den Käufern verständigen. Vor allem aber hatte sie ein ausgezeichnetes Verständnis für alles, was mit Kunstgewerbe zusammenhing; das hatte sie wohl von ihrem verstorbenen Vater geerbt, der als kunstgewerbliche Kapazität gegolten hatte.
Da das Warenhaus Krusius für Posten, die keine direkte Arbeit nötig machten, Angestellte engagierte, die nebenbei noch auf andere Weise beschäftigt werden konnten, traf es sich gut, dass Rony gleichzeitig die Pflichten des eben entlassenen Einkäufers für kunstgewerbliche Waren übernehmen konnte. Vielleicht hatte gerade dieser Umstand ihr Engagement perfekt werden lassen. Jedenfalls war sie nun schon Jahr und Tag im Warenhaus Krusius angestellt und leistete so Tüchtiges, dass sie bei den Chefs inoffiziell als „erstklassige Mitarbeiterin“ galt, offiziell allerdings nur als „brauchbare Kraft“, denn nicht um die Welt hätten diese Herren einem ihrer Angestellten gegenüber zugegeben, dass er außerordentlich tüchtig sei. Sie waren sehr dafür, dass sich bei ihren Leuten keine Spuren von Größenwahn bemerkbar machten.
Immerhin war Rony sich dessen bewusst, dass sie ihre Pflicht in jeder Beziehung erfüllte, und das war auch ihr ehrliches Bestreben. Denn es war ihr sehr wichtig, ihren Posten zu behalten, da sie nicht nur für sich, sondern auch für ihre Mutter zu sorgen hatte. Wie viele andere, hatten Ronys Eltern ihr kleines Vermögen durch die Inflation verloren, und nach des Vaters Tod standen die beiden Frauen existenzlos im Leben da. Die Mutter hatte erst alles, was irgendwie von Wert war, verkaufen müssen, ehe Rony eine Stellung bekam. Und nun wohnten die beiden Damen in einer Zweizimmerwohnung, die sie mit den letzten Resten ihrer Habe ausgestattet hatten. Die Mutter hielt die Wohnung in Ordnung, bereitete die Mahlzeiten und fertigte nebenbei Handarbeiten an, um auch ihrerseits etwas zum Unterhalt beitragen zu können.
Da das Warenhaus Krusius sich in Hamburg befand, wurde es häufig von überseeischen Kunden besucht, und es kam vor, dass mancher Ankömmling von Übersee sich hier neu ausstaffierte und sich mit allem versah, was er in zivilisierten Ländern brauchte. Aber auch vornehme Reisende machten hier ihre Einkäufe, und so war das Leben und Treiben im Warenhaus sehr interessant, auch für Rony, zumal sie häufig als Dolmetscherin fungieren musste.
Eines Tages war sie gerade mit dem Ordnen einiger besonders hübscher Sachen beschäftigt, als sie unweit von ihrem Platz lautes Lachen und Sprechen vernahm. Sie sah hinüber und erblickte einen großen Herrn in einem etwas verwilderten Anzug inmitten einiger Verkäuferinnen. Er schien sehr lustig zu sein, denn auf seine Worte folgte immer ein hier sonst nicht übliches Lachen.
Rony trat unwillkürlich etwas näher heran, und jetzt erblickte der Fremde auch sie. Er stutzte einen Moment, wehrte mit einer seltsam befangenen Miene die anderen Verkäuferinnen von sich ab und zog vor Rony in ehrerbietiger Weise den verbeulten Hut.
„Schönes Fräulein, können Sie mich nicht bedienen? Diese jungen Damen lachen, sobald ich den Mund auftue. Sie scheinen mir etwas ernster zu sein.“
Ein Lächeln flog über Ronys Gesicht.
„Leider kann ich Ihnen nur Dinge verkaufen, die sich hier an diesem Stand befinden.“
Er streifte die Gegenstände mit flüchtigem Blick, schob den Hut aus der Stirn und sah Rony bewundernd an.
„Nein, davon kann ich nichts gebrauchen, ich will mich nur neu ausstatten – mit allem, was man als anständiger Mensch hierzulande braucht. Sie sehen danach aus, als könnten Sie mir raten, was ein schöner junger Mann braucht, um auf die Brautschau zu gehen.“
Wieder lachten die anderen Mädchen bei seinen Worten. Er sah sie kopfschüttelnd an und wandte sich wieder an Rony.
„Ist das so furchtbar komisch, wenn ein junger Mann sich nett herrichten möchte, wenn er freien will? Bitte, helfen Sie mir ein wenig, damit man mir keine alten Ladenhüter aufhängt, in denen ich abermals ausgelacht werde.“
„Sie werden nicht ausgelacht, mein Herr; man freut sich nur an Ihrer guten Laune“, sagte Rony, noch näher tretend. Irgendetwas an diesem jungen Mann gefiel ihr so gut, dass sie gern bereit war, ihm zu helfen. Sie meinte nur bei sich, wenn er auf die Brautschau gehen wollte, dürfe er andere junge Damen nicht so bewundernd ansehen, wie er sie ansah.
„Also, wollen Sie mir helfen?“
„Gern, wenngleich die anderen Damen Sie ebenso aufmerksam bedienen würden wie ich.“
Er strahlte sie mit seinen blauen Augen, die klar aus seinem bronzefarbenen Gesicht herausleuchteten, an.
„Das ist sehr lieb von Ihnen, ich danke Ihnen.“
Rony dachte, dieser junge Mann müsse seiner Hautfarbe nach wohl aus einer tropischen Gegend kommen. Er kam wohl irgendwoher aus den Kolonien.
Rony sorgte in ihrer ruhigen, zurückhaltenden und doch dienstbereiten Art dafür, dass der junge Mann richtig bedient wurde. Da es ihm anscheinend nicht auf den Preis ankam, war das nicht schwer. Rony musste dabei bewundernd seine schlanke, kraftvolle Gestalt betrachten. Aber als er ihr wieder in seiner unbekümmerten Art Komplimente machte, sah sie ihn groß und ernst an und fragte:
„Ich denke, Sie wollen auf Brautschau gehen? Dann ist es doch wohl nicht am Platz, dass Sie mir Schmeicheleien sagen.“
Er sah sie lächelnd an.
„Nein? Darf man das nicht? Aber man darf doch auch als Bräutigam einer anderen Frau ein so schönes Mädchen bewundern, wie Sie es sind! Sonst könnte mich die ganze Verlobung nicht freuen. Und – ‚diejenige, welche‘ kenne ich überhaupt noch nicht. Und wenn sie mir nicht gefällt, brauche ich mich gar nicht mit ihr zu verloben.“
Das klang wieder so drollig, dass alle lachten. Selbst Ronys Mund umspielte ein Lächeln.
„So so! Also dann ist es noch kein Treuebruch. Aber immerhin bitte ich Sie, mir keine Komplimente mehr zu sagen, dergleichen darf und will ich nicht anhören.“
„Gut! Wenn Sie es nicht wollen, dann tue ich es nicht mehr. Sie müssen wissen, dass ich fast fünfzehn Jahre in der Wildnis gelebt habe, wo ich nur schwarze Frauen und einige ältliche Ladies zu Gesicht bekam. Da steigt es einem sozusagen zu Kopf, wenn man in ein schönes und liebes weißes Frauengesicht sieht.“
Das klang so rührend drollig, dass Rony merkte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann. Sie sagte aber doch:
„Sie waren schon wieder rückfällig! Aber ich denke, dass Sie nun alles gekauft haben, was Sie fürs erste und für die Brautschau brauchen.“
Er sah sie mit seltsam dringlichen Blicken an.
„Mit der Brautschau – das werde ich mir doch noch überlegen. Und jetzt werde ich mit meinen Einkäufen abziehen. Herzlichen Dank, schönes Fräulein! Sind Sie nicht vielleicht eine verkappte Prinzessin aus dem Märchenland? Wundern würde es mich nicht. Und ich denke, dass ich bald wiederkommen werde, es wird mir schon noch etwas einfallen, was ich hier kaufen möchte. Also vielen Dank, Märchenprinzessin. Und auf Wiedersehen!“
Er zog wieder tief und ehrerbietig den Hut, und sein lachendes Gesicht war plötzlich sehr ernst geworden. In seinen Augen lag etwas Sehnsüchtiges, Flehendes. Rony musste sich schnell abwenden, weil sie spürte, dass ihr das Blut ins Gesicht stieg. Rasch entfernte sie sich und ging wieder an ihre Arbeit. Er sah ihr nach mit einem langen Blick. Dann wandte er sich mit einem Scherz an einen der Verkäufer, der ihn ebenfalls bedient hatte.
„Also senden Sie mir das alles nach dem Hotel Atlantik, für Donald Reger, Zimmer 73.“
Er beglich seine Rechnung, machte noch einige scherzhafte Bemerkungen und ging davon. Aber er wählte den Weg, der ihn an Rony Larsens Stand vorüberführte. Er blieb dort eine Weile stehen, sah ihr zu, wie sie mit anmutigen Bewegungen die Kunstgegenstände arrangierte, und wartete geduldig, bis sie sich einmal nach ihm umwandte. Da zog er nochmals den Hut, und sie nickte ihm freundlich zu. Dass sie dabei rot wurde, fühlte sie sehr wohl, ärgerte sich darüber und fuhr eifrig in ihrer Arbeit fort.
Donald Reger ging endlich davon, aber es war ihm anzumerken, dass er das nicht gern tat. Er wäre lieber noch eine Weile stehen geblieben, um sich an Ronys reizender Erscheinung zu freuen. Aber er spürte wohl, dass ihr das irgendwie unangenehm sei. Sie war nicht wie die anderen jungen Damen, die ihn deutlich merken ließen, dass sie gern ein wenig mit ihm angebandelt hätten. Und – wenn er nicht Rony Larsen kennen gelernt hätte, wäre er wohl nicht abgeneigt gewesen, irgendeine kleine, vorübergehende Liebschaft anzuknüpfen; denn er kam wirklich aus einer Gegend, wo er keine hübsche weiße Frau zu sehen bekommen hatte – lange Zeit nicht.
Ihm erschien es wie ein Traum, dass er jetzt wieder mitten in der zivilisierten Welt war. Hamburg erschien ihm so neu und fremd, als weile er zum ersten Mal hier. Und doch war er vor fünfzehn Jahren einige Tage hier gewesen und hatte die ganze Stadt durchbummelt, ehe er mit seinem Dampfer davongefahren war. Es gefiel ihm sehr, die vielen Menschen – lauter weiße Menschen – an sich vorüberhasten zu sehen. Behaglich schmunzelnd sah er den Autos, den Omnibussen, den Elektrischen nach, und dann blieb er auf dem Jungfernstieg an der Alster stehen und blickte amüsiert auf die vielen kleinen Boote und die Motorschiffe. In manchem der Boote saßen hübsche junge Mädchen, aber es erschien ihm seltsam wenn er eine ansah, verschwammen deren Züge, und plötzlich tauchte vor seinem geistigen Auge wieder Rony Larsens Bild auf. Er bedauerte, dass er ihren Namen nicht kannte, und zum Trost sagte er sich nur: Du kannst sie ja jeden Tag wiedersehen, wenn du in dieses Warenhaus gehst. Dort gehört sie hin.
Aber dann fiel es ihm plötzlich ziemlich beklemmend auf die Seele, dass er zu dem Zweck nach Hamburg gekommen sie, um sich eine Frau zu suchen oder vielmehr eine für ihn bestimmte Frau zu heiraten. Wie komisch ihm das plötzlich erschien, wie sonderbar! Und doch hatte er sich durchaus nicht geweigert, diese für ihn bestimmte Frau für sich zu gewinnen. Nur – damals hatte er eben diese reizende junge Dame im Warenhaus noch nicht gekannt! Und wahrhaftig – das hatte alles in ein anderes Licht gerückt. Martin Weigand würde wahrscheinlich nun kein Glück mehr haben mit seinem Heiratsplan für ihn. Es würde wohl alles anders kommen – vorausgesetzt, dass diese junge Dame aus dem Warenhaus einen solchen Wildling, wie er einer geworden war, heiraten wollte. Denn ohne Frau, ohne eine weiße Frau, konnte er nicht wieder zurückkehren in seine Wildnis – das wäre einfach nicht auszuhalten.
Als er sich wieder umwandte, bemerkte er, dass einige Leute ihn neugierig anstarrten. Da fiel ihm wieder ein, dass er hier in der zivilisierten Welt eine ziemlich auffallende Erscheinung war, und er beschloss, ins Hotel zu gehen und dort das Eintreffen der gekauften Sachen zu erwarten, damit er sich umkleiden konnte. Es hatte ihm gar nichts ausgemacht, in seiner etwas abenteuerlichen Kleidung auf dem Dampfer, und noch dazu erster Klasse, zu reisen. Auf dem Dampfer hatte man sich schnell an seine Erscheinung gewöhnt; er war dort auch keineswegs die einzige auffallende Erscheinung gewesen. Aber nun merkte er doch, dass es höchste Zeit war, sich anders herzurichten. Martin Weigand hatte ihm beim Abschied gesagt: „Warte, bis du nach Hamburg kommst, ehe du dich ausstaffierst, Don; denn hier kriegst du doch nichts Gescheites zu kaufen. Geh in Hamburg in eines der großen Kaufhäuser, da bist du in einer halben Stunde mit allem versehen, was ein gut situierter Freiersmann braucht, um seiner Zukünftigen ‚lieblich unter die Augen gehen zu können‘.“ Und danach hatte Don sich gerichtet und hatte so Rony Larsen kennen gelernt.
***
Im Hotel angekommen, spürte Don, dass er hungrig war. So ging er, wie er war, in den Speisesaal. Das Personal des Hotels hat den Schock überwunden, den Don Regers Erscheinen gestern Abend verursacht hatte. Denn als sie merkten, dass sein Äußeres nicht durch eine Geldfrage bestimmt worden war, dass er anscheinend viel Geld hatte, fügten sie sich sehr liebenswürdig darein, dass dieser Fremde mit dem abenteuerlichen Aussehen zwei der besten Zimmer, mit Badezimmer, mietete – auf unbestimmte Zeit. Und ebenso beflissen bediente man ihn jetzt im Speisesaal. Er hatte einen gesunden Appetit und schmauste mit Behagen all die guten Sachen, die ihm vorgesetzt wurden.
Danach trank er mit Genuss einen Mokka, zündete sich eine Zigarette an und verließ mit elastischen, kraftvollen Schritten den Speisesaal. Eine Weile hörte er draußen im Vestibül der leisen, angenehmen Musik zu, dann sprang er in großen Sätzen die Treppe hinauf in die erste Etage, in der seine Zimmer lagen.
Dort angekommen, warf er sich auf den Diwan, schloss die Augen – und dachte an die schöne junge Dame im Warenhaus.
Aber dann flogen seine Gedanken in die Vergangenheit zurück.
Mitten aus seinem eben begonnen Studium heraus war er im letzten Kriegsjahr als Freiwilliger an die Front gegangen. Er war erst achtzehn Jahre, als er nach einigen schweren Monaten bei Kriegsschluss aus dem Feld zurückkam. Inzwischen war sein Vater gestorben – die Mutter hatte schon vorher nicht mehr gelebt und mit dem Tod des Vaters fiel dessen Einkommen als Beamter fort. Donald konnte, nachdem er noch ein Semester auf dem Polytechnikum geblieben war, sein Studium nicht weiter fortsetzen. Ihm war auch klar geworben, dass er als Ingenieur in der neuen Zeit kaum eine gute Existenz finden würde. Jugendlichem Drang nach Abenteuern und Erlebnissen nachgebend, raffte er den letzten Rest seiner Habe zusammen und trat, nachdem er den Nachlass seines Vaters verkauft hatte, mit einem Vermögen von nahezu zweitausend Mark die Reise ins Blaue an.
Er ließ sich vom Zufall treiben, reiste nach Hamburg, hielt sich einige Tage dort auf und sagte sich dann: „Jetzt gehst du zum Hafen, und der erste große Dampfer, der abgeht, wird dein Reiseziel bestimmen.“
Und er fuhr mit einem Dampfer der Woermannlinie nach Südafrika – nach Kapland.