Wo kommt sie her, die Lebenslust? Aus vielerlei Quellen. Bei Joachim Ringelnatz ist es der erste frische Blumenkohl mit Bröseln, ein Ferienbrief, der nach Seeluft und Zwanzigkräuterschnaps riecht, das Busseln mit Rösl unter dem Standbild der Pallas Athene, der Hasenbraten an Silvester, die Harmonika aus der Nachbarschaft, die ein Konzert im Kurhaus »imaginiert«, eine Reise nach Frankfurt an der Oder, ein Ferngruß von Bett zu Bett ... Joachim Ringelnatz’ Texte sind Elixiere der Lebenslust und Lebensfreude und dieser Band eine Einladung, sie zu nutzen.
Joachim Ringelnatz, Dichter, Kabarettist und Maler, geboren am 7.August 1883 als Hans Bötticher in Wurzen, einem sächsischen Städtchen, starb am 17. November 1934 in Berlin.
Lebenslust mit Joachim Ringelnatz
Ausgewählt von Kathrin Grothe
Insel Verlag
Umschlagillustration: Hans Traxler
eBook Insel Verlag Berlin 2012
Originalausgabe
© Insel Verlag Berlin 2010
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus
eISBN 978-3-458-73105-4
www.insel-verlag.de
Lebenslust
MORGENWONNE
ÜBERALL
FRÜHLING
FREUDE
TANGO
FAHRT ZUM TREFFPUNKT BIELEFELD
AN BERLINER KINDER
Herrlich amüsiert
ZWIEBACK HAT SICH AMÜSIERT
Kleider machen Leute
BERTA UND ICH GEHN ZUM MASKENBALL
AUS DEM TAGEBUCH EINES BETTLERS
Tue Gutes
DER WUNDERBRUNNEN. MÄRCHEN
Tafelfreuden
WAS TOPF UND PFANN’ ERZÄHLEN KANN
Wenn einer eine Reise tut
KURZ VOR DER WEITERREISE
FRANKFURT AM MAIN
FRANKFURT AN DER ODER
DREI TAGE TIROL
LANDFLUCHT
Beneidenswerte Weltmenschen
DIE WILDE MISS VOM OHIO
Sommerfrische
FERIENBRIEF
Die Lust am Fabulieren
KUTTEL DADDELDU ERZÄHLT SEINEN KINDERN DAS MÄRCHEN VOM ROTKÄPPCHEN
Applaus!
WETTLAUF
Bettgeflüster
VOLKSLIED
FERNGRUß VON BETT ZU BETT
SILVESTER
Wenn’s am schönsten ist, soll man gehn
DURCH DAS SCHLÜSSELLOCH EINES LEBENS
Ich hab dich lieb
MEINE ERSTE LIEBE?
ICH HABE DICH SO LIEB
WAS WILLST DU VON MIR?
BRIEF IN DIE SOMMERFRISCHE
LIEBESZETTEL
ESSEN OHNE DICH
... ALS EINE REIHE VON GUTEN TAGEN
LIEBESBRIEF
Der Blumenfreund
DIE KROKUSGEHEIMNISSE ODER DIE PRINZIPIEN
Ein Herr aus unsrer Mitte
KATHI UND DIE FREIER
ZU DIESER AUSGABE
Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.
Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich »Euer Gnaden«.
Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.
Überall ist Wunderland.
Überall ist Leben.
Bei meiner Tante im Strumpfenband
Wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit.
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
Stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit.
Wenn du einen Schneck behauchst,
Schrumpft er ins Gehäuse.
Wenn du ihn in Kognak tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.
Die Bäume im Ofen lodern.
Die Vögel locken am Grill.
Die Sonnenschirme vermodern.
Im übrigen ist es still.
Es stecken die Spargel aus Dosen
Die zarten Köpfchen hervor.
Bunt ranken sich köstliche Rosen
In Faschingsgirlanden empor.
Ein Etwas, wie Glockenklingen,
Den Oberkellner bewegt,
Mir tausend Eier zu bringen,
Von Osterstören gelegt.
Ein süßer Duft von Havanna
Verweht in ringelnder Spur.
Ich fühle an meiner Susanna
Erwachende neue Natur.
Es lohnt sich manchmal, zu lieben,
Was kommt, nicht ist oder war.
Ein Frühlingsgedicht, geschrieben
Im kältesten Februar.
Freude soll nimmer schweigen.
Freude soll offen sich zeigen.
Freude soll lachen, glänzen und singen.
Freude soll danken ein Leben lang.
Freude soll dir die Seele durchschauern.
Freude soll weiterschwingen.
Freude soll dauern
Ein Leben lang.
Denn nur zu zweit
Und dann ganz zu zweit allein
Kann ein Geheimnis
Ewig Geheimnis sein.
Fühlst du wie ich,
O dann ist’s getreu verwahrt,
Dann war auch Liebe dahinter,
Liebe ist still und zart.
Denn nur zu zweit
Und dann ganz zu zweit allein
Kann ein Geheimnis
Ewig Geheimnis sein.
Nur eine leise Melodie,
Der alte Jugendtraum,
Jenes Märchen von Er und Sie.
Du, an die ich jetzt denke, vergiß es nie!
Du, an die – Erinnerst du wann und wie?
Nie vergessen sei dieses Gedicht,
Jene Nacht. – Doch erzähl es nicht!
Du, an die ich jetzt denke, vergiß es nie.
Melodie – nur Melodie.
Welt, bist du abgedroschen schön!
Ich möchte in Fanfaren stoßen.
Es platzen meine Hosen,
Doch es gibt nur eine kleine Tön.
Wie ich das jetzt so um mich seh,
Ist alles weiß wie frischer Schnee,
Und ich gondle dazwischen
Und darf nach Belieben fischen.
Das ist der rechte Augenblick,
Sich froh zu überlegen:
Armut macht dünn. Reichtum macht dick.
Die Welt ist schön! Zickzack, Zackzick!
Ich fühle mich verwegen.
Was meint ihr wohl, was eure Eltern treiben,
Wenn ihr schlafen gehen müßt?
Und sie angeblich noch Briefe schreiben.
Ich kann’s euch sagen: Da wird geküßt,
Geraucht, getanzt, gesoffen, gefressen,
Da schleichen verdächtige Gäste herbei.
Da wird jede Stufe der Unzucht durchmessen
Bis zur Papagei-Sodomiterei.
Da wird hasardiert um unsagbare Summen.
Da dampft es von Opium und Kokain.
Da wird gepaart, daß die Schädel brummen.
Ach schweigen wir lieber. – Pfui Spinne, Berlin!
So ein Kriegsschiff wie die »Nymphe« sieht von außen schmuck und freundlich aus. Kommt man als Besuch an Bord, so bemerkt man viel Ruß und Öl und Enge und stößt sich mehrmals empfindlich an sehr interessanten Maschinen. Gehört man im Dienste fürs Vaterland selbst zum Schiff, so lernt man erstaunlich vielseitige Arbeit, viel drückendes, eisernes Müssen kennen, lernt sich unter freiem Himmel im Winter mit kaltem Wasser den Oberkörper waschen und andres.
Bei der Marine muß man sehr gesund sein, um sich wohlzufühlen, gesund an Leib und Seele. Zwieback war nicht gerade krank. Aber die Kameraden hielten ihn für schwächlich, und er litt darunter; denn als Matrose unter Matrosen für schwächlich zu gelten, ist etwas Qualvolles.
Zwieback hieß gar nicht Zwieback. Irgendwie war er zu diesem Spitznamen gekommen.
Niemals hatte er sich krank gemeldet. Er verrichtete den Dienst, den die anderen verrichteten, nur weniger gut als diese. Nie zeichnete er sich aus. In allem blieb er zurück, in allem, und das schmerzte ihn. Er begriff schwer, war ungeschickt und zerstreut beim Exerzieren. Seine Uniformstücke wiesen immer Flecke auf und karikierten die unschönen Formen seines Körpers.
Er hatte ein merkwürdig langes Gesicht, das durchaus nicht zur Uniform paßte. Außerdem war er sehr klein, aber auch nicht der kleinste. Denn in nichts war er der Erste oder Letzte. Er wurde mit kränkender Selbstverständlichkeit übersehen von den anderen.
Und immer wieder verglich er sich mit diesen anderen. Das waren starke, wohlgebaute, frische Kerle. Sie sahen wirklich aus, wie Matrosen aussehen. Er, Zwieback, sah doch nicht aus, wie Matrosen aussehen. Und sie lebten mit so viel Leichtigkeit und Sicherheit.
Es gab da Leute, die stundenlang in der schmutzigen Takelage arbeiten konnten, ohne daß ihre weißen Anzüge fleckig wurden. Und war es nicht grausam beschämend, wenn jemand sagte: »Zwieback, Sie sehen wie ein Ferkel aus.« Es gab Leute, die gefürchtet waren, weil sie sich die Gunst strenger Vorgesetzter erschmeichelten, und solche, die höchstes Ansehen genossen, weil sie auffallend kräftig und verwegen waren.
Warum verstand nur er, Zwieback, nicht die Kunst, sich als gleichwertiges Teil im Ganzen zu behaupten?
Hatte er sich einen Knopf angenäht, dann fand er zuletzt, daß er den Faden über den Rand des Knopfes gezogen. Das kam bei den anderen nicht vor.
Diese glücklichen anderen hatten Extrauniformen, und wie stürmisch sahen sie darin aus, wenn sie zur Urlaubsmusterung antraten. Und dann kamen sie zurück von Land mit leuchtenden Augen, heiß und rot, stolz und trunken, mit dem Gefühl himmelstürmender Kraft in den Adern.
Manchmal wachte Zwieback auf von dem aufgeregten Lachen, den jugendwilden Tritten der Zurückkehrenden. »Na, gut amüsiert?« fragte eine Stimme gähnend. »O, herrlich amüsiert!« antwortete jemand. In seinem Ton lag etwas von einem Trompetenstoß oder vom Wiehern eines Füllens. Und Frage und Antwort wiederholten sich. Laute und Worte drangen an Zwiebacks Ohr, die sich vor Befriedigtsein blähten.
Aus halboffenen Augen beobachtete er die, denen er unsäglich neidisch und sehnsüchtig zuhörte.
Die hatten das Geld, um in Wirtshäusern lustig zu sein. Die hatten ihre Mädchen. Die verstanden zu tanzen, hatten Freunde in Schlägereien und wurden nicht wegen vornehmer Manieren verspottet.
O, herrlich amüsiert. – Das Wort hatte sich in Zwiebacks Gehirn eingenistet und ließ ihn unruhig träumen. – – –