»Schönheit erhitzt, und wenn sie noch dazu so heiter und klug daherkommt, weise und jung zugleich, dann verfällt man ihr und ist – man weiß nicht warum – für einen Moment glücklich«, schrieb Arno Widmann über Cees Nootebooms Gedichtband So könnte es sein. In Licht überall nun geht es um die Crux des menschlichen Lebens: niemand zu sein und nirgends, und gleichzeitig jemand zu sein und hier. »Voll heiterer Verzweiflung«, mit weiser Ironie und sinnlicher Lust am Konkreten geht Cees Nooteboom in seinem neuen Gedichtband dem Da-Sein auf den Grund.
Licht überall versammelt Gedichte aus den vergangenen zehn Jahren und zeigt den großen Romancier, Reiseschriftsteller und Essayisten als einen, dem die Lyrik seit Beginn seines Schreibens der wichtigste Wegbegleiter ist.
Cees Nooteboom, geboren 1933 in Den Haag, lebt in Amsterdam und auf Menorca. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung 2010 und dem Prijs der Nederlandse Letteren 2009.
Licht überall
Gedichte
Aus dem Niederländischen von Ard Posthuma
Suhrkamp
Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel Licht overal bei Uitgeverij De Bezige Bij, Amsterdam.
Textgrundlage dieses eBooks ist die 1. Auflage der gedruckten Version gleichnamigen Titels.
eBook Suhrkamp Verlag 2013
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2013
© 2012 Cees Nooteboom
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Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner
Umschlagfoto: Max Neumann
eISBN 978-3-518-73449-0
www.suhrkamp.de
Inhalt
Licht überall
Wegzehrung
Abend
Figur
Trixy
Penobscot
Verbannter
Nacht
Es
Kozan-ji, über Myoe meditierend
April auf dem Lande
Kerze
Fegefeuer
Ohne Bild
Riso amaro
Horaz an Pollio 2005
Handschuh, Jahreszahl, Foto
Draußen
Mitternacht
Wiedererkennung
Geometrie
Dekonstruktion
Newton
Die Straßenbahn
Utopia triumphans
Landschaft
Raison d’être
Eine Spur im weißen Sand
Begegnungen
Juarroz
Wittgenstein
Hesiodos
Meng Chao
Shelley
Borges
Descartes
Vergil, 5. Ekloge
Ungaretti
Wallace Stevens 1-3
Parlando
Gedicht
Berkeley, Blake
Heimweh
Dichterlesung in Córdoba
Befragung
Briefe an Remco Campert
Zu einem Anlaß
Gestohlenes Gedicht
Dichter
Dichter
Postlagernd
Das Buch und die Eule
Anmerkungen
Doch was dich entkräftet und verwirrt
niemand zu sein und nirgends
und dann noch jemand zu sein und hier
Lucebert, aus Berceuse
Und an jenem Nachmittag ließen sie die Welt zurück.
Am Wegrand Spinifex, Tiere mit blumenähnlichen
Namen. Die Sonne war jemand, der ihnen entgegenfuhr,
erst in der Dämmerung ließ ihr Wille nach,
der Weg schlich aus dem Spiegel, ein vergangenes Gefühl.
Jetzt würden sie einen Schlafplatz finden,
ihre nackten Körper in einem Raum
aufrichten ohne jeglichen Halt.
Alles selbst erdacht, einsam
wie der Anfang von etwas, Gespräch
in einer noch nicht vorhandenen Sprache.
Ein Zimmer füllen mit Dasein,
Gesten, Stimmen, Fragen.
Als sähe man zum ersten Mal einen Engel
und weiß, daß es den nicht gibt,
die Flügel zerfranst, voll Staub und Schimmel,
seine Federn zu alt für den Flug.
So etwa war es, als der Abend fiel,
der Engel kämmte seine Haare,
ordnete seine Flügel, die er nicht
ausziehen konnte, und schlief
im einzigen Bett.
in memoriam Hugo Claus
Der blaue Stuhl auf der Terrasse, Kaffee, Abend,
die Euphorbia langend nach abwesenden Göttern,
voll Heimweh nach der Küste, alles ein Alphabet
geheimer Verlangen, dies ist sein
letztes Gesicht vor dem Dunkel,
der Flor in seinem Kopf. Er weiß:
verschwinden werden die Formen der Wörter,
in seinem Kelch nur noch der Satz,
die Linien nicht länger verbunden,
die früher Gedanken waren.
Hierher kommt kein Wort mehr,
das wahr ist. Zermalmte Grammatik,
bewegte Bilder ohne Brücke,
vom Wind das Geräusch,
doch nicht länger der Name,
jemand hat es gesagt
und der Tod lag auf dem Tisch,
ein träger Diener, wartend
im Flur, dumm lächelnd,
in seiner Zeitung blätternd
mit den verrückten Berichten.
Dies alles weiß er, die Euphorbia,
der blaue Stuhl, der Kaffee auf der Terrasse,
die Nacht, die ihn langsam einhüllt
und dann mit ihm wegschwimmt,
ein sanftmütiges Tier
mit seinem Raub.
Die Blume des Hibiskus währt nur einen Tag,
Stern aus kurzlebigem Feuer im Wechselspiel
von Garten und Himmel, der Mann dort ein Körper,
der sich wehrt, wie jede Blume.
Was er nicht weiß: wie wahr das alles ist.
Ist diese Figur denn echt,
die da sitzt im letzten Schein der Sterne
und die Blume nicht sieht, sich verbrennt
am kalten Licht und im befristeten
Morgen Blumen aufliest vom
schwarzen Boden und der Gewalt
des Sonnenlichts weicht?
Der Sinn der Trauer, die in ihm wuchert,
gedenkt eines Freundes, einer Freundschaft,
die ihr Maß verliert
in so viel Vergehen.
Was sitzt nun da: ein Mann oder ein Gedicht?
Der Postmann im gelben Hemd radelt zum Zaun,
bringt Welt, gibt seinen Brief ab,
einem Lebenden, weiß nichts von Trauer oder Seele.
Er sieht die roten Blumen am Boden,
sagt: es wird heiß heute,
verschwindet dann ins Licht