»Mit spitzerer Feder ist selten geschrieben worden.«
Nürnberger Zeitung
Die große neuseeländische Autorin Katherine Mansfield ist als Meisterin der Kurzgeschichte in die Weltliteratur eingegangen. Augenzwinkernd beschreibt sie in ihren Geschichten die kleinen menschlichen Schwächen und blickt hinter die Kulissen gesellschaftlicher Konventionen. Die besten und beliebtesten Erzählungen versammelt dieser Band: Glück, Das Gartenfest, Deutsche bei Tisch, Je ne parle pas français und andere.
»Ich war eifersüchtig auf ihre Art zu schreiben – die einzige, auf die ich je eifersüchtig war.« Virginia Woolf
Katherine Mansfield, am 14. Oktober 1888 in Wellington/Neuseeland geboren, ging 1903 nach England, um dort zu studieren. Sie bereiste ganz Europa, lebte u. a. in London, Bad Wörishofen und später in Frankreich. Im Alter von nur 34 Jahren starb Katherine Mansfield am 9. Januar 1923 in Fontainebleau/Frankreich an Tuberkulose.
Katherine Mansfield
GLÜCK
und andere Erzählungen
Aus dem Englischen von Heide Steiner
Insel Verlag
Die Erzählungen wurden zitiert nach:
Katherine Mansfield, Ausgewählte Werke in zwei Bänden
Herausgegeben von Wolfgang Wicht. Aus dem Englischen
übertragen von Heide Steiner
© Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig 1980
Umschlagfoto: David Arthur /Getty Images
eBook Insel Verlag Berlin 2012
Für diese Ausgabe © Insel Verlag Berlin 2012
Für diese Übersetzung © Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig 1980
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des
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durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
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eISBN 978-3-458-77480-8
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Glück
Der Mann ohne Temperament
Das Gartenfest
Mr. Reginald Peacocks großer Tag
Eine Tasse Tee
Dillgurke
Psychologie
Ehe à la mode
Eine indiskrete Reise
Die kleine Gouvernante
Deutsche bei Tisch
Der Fremde
Je ne parle pas français
Die Flucht
Anmerkungen
Zwar war Bertha Young schon dreißig, aber noch immer gab es für sie Augenblicke wie eben, da es sie danach verlangte zu rennen, statt zu gehen, die Bordsteinkante auf und ab zu tänzeln, einen Reifen zu treiben, etwas in die Luft zu werfen und wieder aufzufangen oder stillzustehen und zu lachen – über nichts – einfach so über nichts zu lachen.
Was kann man denn auch tun, wenn man dreißig ist, in seine eigene Straße einbiegt und plötzlich von einem Gefühl der Seligkeit überwältigt wird – reiner Seligkeit! –, als hätte man mit einemmal ein strahlendes Stück dieser Spätnachmittagssonne verschluckt, und nun brannte es einem in der Brust, und winzige Funkenregen stoben durch den ganzen Körper, in jeden Finger und jede Zehe? …
Ach, gibt es denn keine Möglichkeit, das auszudrücken, ohne ›öffentliches Ärgernis zu erregen‹? Wie idiotisch doch die ganze zivilisierte Welt ist! Wozu hat man denn einen Körper, wenn man ihn wie eine seltene, ach so seltene Geige in einen Kasten schließen muß?
›Nein, das mit der Geige trifft nicht ganz, was ich meine‹, dachte sie, als sie die Stufen hinauflief, in ihrer Tasche nach dem Schlüssel kramte – sie hatte ihn vergessen, wie üblich – und dann mit dem Briefkastendeckel klapperte. »Das ist's nicht, was ich meine, weil – Danke, Mary« – und sie ging in die Diele. »Ist die Kinderfrau wieder zurück?«
»Ja, Ma'm.«
»Und ist das Obst gekommen?«
»Ja, Ma'm, 's ist alles da.«
»Bringen Sie das Obst bitte ins Eßzimmer, ja? Ich möchte es arrangieren, ehe ich hinaufgehe.«
Im Eßzimmer war es dämmrig und ziemlich kühl. Dennoch warf Bertha den Mantel ab; sie konnte seinen beengenden Druck keinen Augenblick länger ertragen, und die kalte Luft fiel ihr auf die Arme.
Doch in ihrer Brust spürte sie noch immer diese strahlende Glut – diese winzigen Funkenregen, die davon ausstoben. Es war beinahe unerträglich. Sie wagte kaum zu atmen, aus Angst, die Flammenglut höherzufächeln, und doch holte sie ganz, ganz tief Luft. Sie wagte kaum, in den kalten Spiegel zu sehen – aber sie schaute hinein, und er warf das Bild einer Frau zurück, strahlend, ein Lächeln um die bebenden Lippen, mit großen dunklen Augen und einer Miene, als lausche sie, als warte sie darauf, daß etwas – Himmlisches geschehe … das, sie wußte es … ganz sicher … geschehen müsse.
Auf einem Tablett brachte Mary die Früchte herein, dazu eine Glasschüssel und eine blaue Schale, sehr hübsch, die ganz seltsam schimmerte, als wäre sie in Milch getaucht worden.
»Soll ich das Licht anmachen, Ma'm?«
»Nein, danke. Ich kann genug sehen.«
Da waren Mandarinen und Äpfel mit erdbeerroten Flecken. Gelbe seidenweiche Birnen, helle, mit einem silbernen Hauch überzogene Weinbeeren und eine üppige purpurrote Traube. Letztere hatte sie gekauft, weil sie so gut zu dem neuen Teppich im Eßzimmer paßte. Ja, das klang wohl ziemlich ausgefallen und lächerlich, aber sie hatte sie wirklich deswegen gekauft. Sie hatte in dem Geschäft gedacht: ›Ich muß purpurrote mitnehmen, damit sich die Farbe des Teppichs auf dem Tisch wiederfindet.‹ Und es war ihr dabei ganz vernünftig vorgekommen.
Als sie damit fertig war und aus diesen glänzenden runden Formen zwei Pyramiden gebaut hatte, trat sie vom Tisch zurück, um die Wirkung zu prüfen – und die war wirklich recht seltsam. Denn der dunkle Tisch schien mit dem Dämmerlicht zu verschmelzen, und die Glasschüssel und die blaue Schale schwebten gleichsam in der Luft. Das war besonders in ihrer augenblicklichen Stimmung so unglaublich schön … Sie brach in Lachen aus.
»Nein, nein. Ich werde langsam hysterisch.« Und sie ergriff Tasche und Mantel und lief hinauf ins Kinderzimmer.
Die Kinderfrau saß an einem niedrigen Tischchen und fütterte Klein-B nach dem Bad die Abendmahlzeit. Das Baby hatte ein weißes Flanellkleidchen und ein blaues Wolljäckchen an, und sein feines dunkles Haar war zu einer lustigen kleinen Tolle gebürstet worden. Es sah auf, als es seine Mutter erblickte, und begann zu strampeln.
»Nun, mein Schatz, iß schon auf wie ein braves Mädchen«, sagte die Kinderfrau. Dabei kniff sie ihren Mund auf eine Art zusammen, die Bertha kannte und die soviel hieß, daß sie wieder einmal zum falschen Zeitpunkt ins Kinderzimmer gekommen war.
»Ist sie brav gewesen, Nanny?«
»Sie ist den ganzen Nachmittag über ganz lieb gewesen«, flüsterte Nanny. »Wir waren im Park, und da hab ich mich auf einen Stuhl gesetzt und sie aus dem Wagen genommen, und da kam ein großer Hund an und hat seinen Kopf auf mein Knie gelegt, und da hat sie ihn am Ohr gepackt und daran gezogen. Oh, Sie hätten sie sehen sollen!«
Eigentlich wollte Bertha fragen, ob es nicht zu gefährlich wäre, sie einen fremden Hund am Ohr ziehen zu lassen. Aber sie traute sich nicht. Sie stand da, die Hände an der Seite, wie das arme kleine Mädchen vor dem reichen kleinen Mädchen mit der Puppe, und sah ihnen zu.
Das Baby blickte wieder zu ihr hoch, starrte sie an und lächelte dann so entzückend, daß Bertha gar nicht anders konnte, als zu rufen: »Ach, Nanny, lassen Sie sie mich doch zu Ende füttern, während Sie die Badesachen wegräumen.«
»Na ja, Ma'm, sie sollte beim Füttern eigentlich nicht in andere Hände kommen«, sagte Nanny, sie flüsterte noch immer. »Das bringt sie durcheinander. Das regt sie bestimmt auf.«
Das war ja nun wirklich absurd. Wozu hat man denn ein Baby, wenn es – zwar nicht in einem Kasten, wie eine ganz, ganz seltene Geige – in den Armen einer anderen Frau gehalten wird?
»Ach, ich muß einfach!« sagte sie.
Zutiefst beleidigt, reichte Nanny sie herüber.
»Nun regen Sie sie aber nicht so auf nach ihrem Abendessen. Sie wissen doch, daß Sie das immer machen. Und ich habe es dann immer so schwer mit ihr!«
Gott sei Dank! Nanny ging mit den Badetüchern aus dem Zimmer.
»Jetzt hab ich dich ganz für mich, mein kleiner Schatz«, frohlockte Bertha, als sich das Baby an sie schmiegte.
Es war ganz entzückend, wie sie aß. Sie machte den Mund weit auf für den Löffel und zappelte dann mit den Händchen. Manchmal wollte sie den Löffel gar nicht wieder loslassen, und manchmal, gerade wenn Bertha wieder mit dem vollen Löffel kam, patschte sie den Brei in alle Himmelsrichtungen davon.
Als der Brei alle war, drehte sich Bertha dem Feuer zu. »Du bist so süß – du bist so, so süß!« sagte sie und küßte ihr warmes Baby. »Ich mag dich. Ich hab dich ja so gern.«
Und tatsächlich liebte sie Klein-B so sehr – ihren Nacken, als sie sich vorbeugte, die köstlichen kleinen Zehen, wie sie vom Feuer durchschienen wurden –, daß das ganze Gefühl der Seligkeit wieder da war, und wieder wußte sie nicht, wie sie es ausdrücken sollte – was sie damit machen sollte.
»Sie werden am Telefon verlangt«, triumphierend kam Nanny zurück und nahm sich ihre Klein-B.
Sie flog geradezu hinunter. Es war Harry.
»Oh, bist du's, Ber? Hör mal. Bei mir wird's etwas später. Ich werd mir ein Taxi nehmen und so schnell wie möglich kommen, aber laß das Dinner um zehn Minuten verschieben, ja? In Ordnung?«
»Ja, natürlich. Oh, Harry!«
»Ja?«
Was hatte sie denn noch zu sagen? Sie hatte nichts weiter zu sagen. Sie wollte nur noch einen Augenblick länger Kontakt mit ihm haben. Sie konnte doch nicht so albern sein und rufen: »Ist das nicht ein himmlischer Tag gewesen!«
»Was ist?« ließ sich die leise Stimme hören.
»Nichts. Entendu13,« erwiderte Bertha und legte den Hörer auf, dabei dachte sie, wie ungemein idiotisch die zivilisierte Welt doch war.
Sie erwarteten Gäste zum Dinner. Die Norman Knights – ein sehr tüchtiges Paar – er war dabei, ein Theater aufzumachen, und sie interessierte sich irrsinnig für Innenarchitektur; einen jungen Mann, Eddie Warren, von dem gerade ein kleiner Gedichtband erschienen war und den alle Welt zum Essen einlud; und eine ›Entdeckung‹ von Bertha, die Pearl Fulton hieß. Was Miss Fulton machte, wußte Bertha nicht. Sie hatten sich im Klub kennengelernt, und Bertha hatte sich in sie verliebt, wie sie sich immer in schöne Frauen verliebte, die etwas Eigenartiges an sich hatten.
Das Aufreizende daran war, daß, obgleich sie miteinander hier und da gewesen waren und sich etliche Male getroffen und wirklich unterhalten hatten, Bertha aus ihr nicht klug werden konnte. Bis zu einem gewissen Punkt war Miss Fulton von einer seltenen, wundervollen Offenheit, aber diesen gewissen Punkt gab es, und darüber hinaus würde sie nicht gehen.
Gab es überhaupt etwas darüber hinaus? Harry meinte: »Nein.« Hielt sie für ziemlich langweilig und ›kalt wie alle blonden Frauen, womöglich mit einer leichten Anämie des Gehirns‹. Aber Bertha teilte seine Meinung nicht; jedenfalls noch nicht.
»Nein, die Art, wie sie dasitzt, den Kopf leicht auf einer Seite, und lächelt, da ist etwas dahinter, Harry, und ich muß herauskriegen, was dieses Etwas ist.«
»Höchstwahrscheinlich ist's ein guter Magen«, antwortete Harry. Er hatte es sich zum Prinzip gemacht, Bertha mit dergleichen Antworten unterzukriegen … ›Leber verhärtet, mein liebes Mädchen‹, oder ›die reine Blähsucht‹ oder ›nierenkrank‹ … und so weiter. Aus einem unerfindlichen Grunde gefiel das Bertha, und sie bewunderte es nahezu an ihm.
Sie ging ins Wohnzimmer und zündete das Feuer an; dann hob sie die Kissen, die Mary so ordentlich in Reih und Glied hingelegt hatte, eins nach dem andern auf und warf sie wieder auf die Stühle und Sofas. Gleich sah alles ganz anders aus; das Zimmer wurde auf einmal lebendig. Als sie sich gerade anschickte, das letzte hinzuwerfen, drückte sie es zu ihrer eigenen Überraschung plötzlich leidenschaftlich, ganz leidenschaftlich an sich. Doch das Feuer in ihrer Brust wurde davon nicht gelöscht. Ach, im Gegenteil!
Die Wohnzimmerfenster gingen auf einen Balkon zum Garten hinaus. An der Mauer, am anderen Ende stand ein hochgewachsener, schlanker Birnbaum in vollster, üppigster Blüte; er war vollkommen, wie er so dastand, als triebe er still vor dem jadegrünen Himmel. Bertha konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, so weit weg sie auch davon war, daß keine einzige Knospe mehr geschlossen und kein einziges Blütenblatt welk wäre. Unten auf den Gartenbeeten schienen sich die roten und gelben Tulpen mit ihren schweren Blütenkelchen gleichsam auf die Dämmerung zu stützen. Eine graue Katze, ihren Bauch mühsam dahinschleppend, schlich über den Rasen, und eine schwarze, ihr Schatten, folgte ihr. Ihr Anblick, so unverwandt und flink, ließ Bertha seltsam erschauern.
»Was für unheimliche Wesen Katzen doch sind!« stammelte sie, und sie wandte sich vom Fenster ab und begann im Zimmer hin- und herzugehen …
Wie stark die weißen Narzissen in dem warmen Zimmer dufteten. Zu stark? O nein. Und doch warf sie sich, gleichsam überwältigt, auf eine Couch und preßte die Hände an die Augen.
»Ich bin zu glücklich – einfach zu glücklich!« murmelte sie.
Und vor ihrem inneren Auge schien sie den wunderbaren, voll erblühten Birnbaum als Symbol ihres eigenen Lebens zu sehen. Ja wirklich – sie hatte alles. Sie war jung. Harry und sie liebten einander noch genauso wie früher, sie verstanden sich blendend und waren wirklich gute Kameraden. Sie hatte ein allerliebstes Baby. Um Geld brauchten sie sich keinerlei Sorgen zu machen. Haus und Garten entsprachen ganz ihren Wünschen. Und dazu hatten sie Freunde – moderne, anregende Freunde, Schriftsteller und Maler und Dichter oder Leute mit ausgeprägtem Interesse für soziale Fragen – genau die Art Freunde, die sie brauchten. Und dann gab es Bücher und Musik, und sie hatte eine wunderbare kleine Schneiderin gefunden, und im Sommer fuhren sie ins Ausland, und ihre neue Köchin bereitete die vorzüglichsten Omeletten …
»Ich bin verrückt. Verrückt!« Sie setzte sich auf; aber ihr war richtig schwindelig, wie trunken. Das war wohl der Frühling.
Ja, es war der Frühling. Jetzt fühlte sie sich so müde, daß sie sich kaum die Treppen hochschleppen konnte, um sich umzuziehen.
Ein weißes Kleid, eine Kette aus Jadeperlen, grüne Schuhe und Strümpfe. Es war keine Absicht. Sie hatte sich diese Zusammenstellung schon lange vorher ausgedacht, ehe sie am Wohnzimmerfenster gestanden hatte.
Ihre Blütenblätter rauschten leise in die Halle, und sie küßte Mrs. Norman Knight, die gerade dabei war, einen höchst ergötzlichen orangefarbenen Mantel abzulegen, um dessen Saum und die Vorderbahnen hinauf schwarze Affen wie in einer Prozession dahinzogen.
»… Warum! Warum! Warum ist denn der Mittelstand so stumpfsinnig – so völlig ohne Sinn für Humor! Meine Liebe, daß ich überhaupt hier bin, verdanke ich nur einem Glücksumstand – Norman war dieser rettende Glücksumstand. Denn meine allerliebsten Affen haben die Leute im Zug so in Aufregung versetzt, daß sie alle, bis auf den letzten Mann, aufgestanden sind und mich mit ihren Augen geradezu verschlungen haben. Sie haben nicht etwa gelacht – sie fanden's auch nicht spaßig – das hätte ich mir gefallen lassen. Nein, nur gestarrt haben sie – mich regelrecht mit Blicken durchbohrt.«
»Aber das tollste dabei war«, sagte Norman, er klemmte sich gerade ein gewaltiges Schildpattmonokel ins Auge, »du hast doch nichts dagegen, daß ich's erzähle, Face, oder?« (Zu Hause und bei Freunden nannten sie sich Face und Mug16.) »Das tollste war ja, als es ihr reichte, da hat sie sich einfach zu ihrer Nachbarin umgedreht und sie gefragt: ›Haben Sie denn noch nie einen Affen gesehn?‹«
»O ja!« stimmte Mrs. Norman Knight in das Lachen ein. »War das nicht einfach zu toll?«
Und noch ulkiger war ja, daß sie nun, da sie den Mantel ausgezogen hatte, wirklich wie ein höchst intelligenter Affe aussah – sogar dieses gelbe Seidenkleid schien aus dünn geschabten Bananenschalen gemacht zu sein. Und dazu die Bernsteinohrringe: sie glichen kleinen herabbaumelnden Nüssen.
»Es ist ein gar zu trauriger Fall!« zitierte Mug, als er vor Klein-Bs Kinderwagen stehenblieb, »wenn der Kinderwagen kommt in die Hall' –«, den Rest des Zitats tat er mit einem Winken ab.
Es klingelte. Es war der magere, blasse Eddie Warren, in einem Zustand akuter Bedrängnis (wie gewöhnlich).
»Das ist doch das richtige Haus, nicht wahr?« flehte er.
»Oh, ich denke – ich hoffe«, sagte Bertha strahlend.
»Ich hatte ein so gräßliches Erlebnis mit einem Taxifahrer; er war äußerst bösartig. Ich konnte ihn nicht zum Halten bringen. Je mehr ich pochte und rief, desto schneller fuhr er. Und wie diese bizarre Gestalt mit dem plattgedrückten Kopf im Mondlicht über das kleine Rad geduckt war …«
Er schauderte, als er einen enormen weißen Seidenschal ablegte. Bertha stellte fest, daß seine Socken auch weiß waren – ganz bezaubernd.
»Aber wie schrecklich!« rief sie.
»Ja, das war wirklich schrecklich«, sagte Eddie und folgte ihr ins Wohnzimmer. »Ich sah mich selbst in einem zeitlosen Taxi durch die Ewigkeit fahren.«
Er kannte die Knights. Ja, er wollte für Norman Knight ein Stück schreiben, wenn es mit dem Theaterprojekt klappte.
»Na, Warren, wie geht's dem Stück?« fragte Norman Knight, ließ sein Monokel fallen und gestattete seinem Auge, einen Augenblick aus der Versenkung aufzutauchen, ehe er es wieder unter Glas verschloß.
Und Mrs. Norman Knight: »Oh, Mr. Warren, was für fürtreffliche Socken!«
»Ich bin so froh, daß sie Ihnen gefallen«, erwiderte er und starrte auf seine Füße. »Sie scheinen um so viel weißer geworden zu sein, seit der Mond aufgegangen ist.« Und er wandte sein hageres, bekümmertes junges Gesicht Bertha zu. »Der Mond scheint nämlich.«
Sie wollte ausrufen: »Ganz sicher scheint er – oft – oft!«
Er war wirklich ausgesprochen reizend. Aber das war auch Face, die in ihren Bananenschalen vorm Feuer hockte, und ebenso Mug, der eine Zigarette rauchte und, als er die Asche abstreifte, fragte: »Warum lässet der Bräutigam auf sich warten?«
»Da kommt er schon.«
Mit einem Knall ging die Haustür auf und wieder zu. Harry rief: »Hallo, alle miteinander! Bin in fünf Minuten unten.« Und sie hörten ihn die Treppe hinaufpoltern. Bertha mußte lächeln; sie wußte, wie gern er etwas unter Zeitdruck tat. Was machte es denn schließlich aus, wenn es noch fünf Minuten später würde? Vor sich selber aber würde er so tun, als käme es ungeheuer darauf an. Und dann würde er den größten Wert darauf legen, außerordentlich kühl und gefaßt ins Wohnzimmer zu treten.
Harry hatte so eine Freude am Leben. Oh, wie sie das an ihm schätzte. Und seine Leidenschaft zu kämpfen – in allem, was ihm widerfuhr, immer wieder eine Probe seiner Kraft und seines Mutes zu suchen – auch das verstand sie. Selbst wenn es ihn zuweilen vor anderen Leuten, die ihn nicht so gut kannten, vielleicht ein bißchen lächerlich erscheinen ließ … Denn es gab Augenblicke, da er sich in die Schlacht stürzte, wo gar keine Schlacht zu schlagen war … Sie redete und lachte, und bis er eingetreten war (genau wie sie es sich vorgestellt hatte), war es ihr ganz und gar nicht aufgefallen, daß Pearl Fulton nicht erschienen war.
»Ob Miss Fulton es vergessen hat?«
»Ich nehme es bald an«, antwortete Harry. »Hat sie Telefon?«
»Ah! Jetzt kommt ein Taxi.« Und Bertha lächelte ein wenig vor Besitzerstolz, den sie immer zur Schau trug, solange ihre weiblichen Entdeckungen neu und geheimnisvoll waren. »Sie lebt in Taxis.«
»Wenn das so ist, wird sie Fett ansetzen«, sagte Harry kühl und läutete zum Dinner. »Riesengefahr für blonde Frauen.«
»Harry, nicht«, warnte Bertha lachend.
Dann noch ein winziger Augenblick, während sie warteten, lachten und sich unterhielten, eine Spur zu ungezwungen, eine Spur zu unbekümmert. Und dann kam Miss Fulton lächelnd herein, den Kopf ein klein wenig schräg, ganz in Silber, ein silbernes Band in ihrem fahlblonden Haar.
»Komme ich zu spät?«
»Nein, keineswegs«, antwortete Bertha. »Kommen Sie.« Sie nahm ihren Arm, und sie gingen ins Eßzimmer.
Was war das nur in der Berührung dieses kühlen Armes, das die Glut von Seligkeit anfachen – anfachen – auflodern – ja auflodern lassen konnte, diese Glut von Seligkeit, mit der Bertha nichts anzufangen wußte?
Miss Fulton sah sie nicht an; aber sie sah eigentlich selten jemanden direkt an. Ihre schweren Lider verdeckten die Augen, und dann und wann umspielte ein seltsames halbes Lächeln ihre Lippen, als ob sie eher davon lebte zu hören, statt zu sehen. Auf einmal aber wußte Bertha, als wäre ein sehr langer und verständnisinniger Blick von der einen zur andern gegangen – als hätten sie zueinander gesagt: »Du auch?« – daß Pearl Fulton, wie sie da in der wunderbaren roten Suppe auf dem grauen Teller herumrührte, genau dasselbe wie sie empfand.
Und die anderen? Face und Mug, Eddie und Harry, auf und nieder gingen ihre Löffel – mit der Serviette tupften sie die Lippen ab, sie zerbröckelten Brot, hantierten mit Gläsern und Gabeln und redeten.
»Ich hab sie bei der Alpha-Show20 kennengelernt – ein ganz eigentümliches Persönchen. Sie hatte nicht nur das Haar kurz geschnitten, sondern sie schien auch ein mächtiges Stück von Armen und Beinen, vom Hals und von der armen kleinen Nase weggeschnippelt zu haben.«
»Ist sie nicht mit Michael Oat20 sehr liée20?«
»Dem, der ›Liebe mit falschen Zähnen‹ geschrieben hat?«
»Er will ein Stück für mich schreiben. Einakter. Nur eine Person, ein Mann. Beschließt, Selbstmord zu begehen. Führt alle Gründe an, warum er es tun sollte und warum nicht. Und als er sich gerade durchgerungen hat, es entweder zu tun oder zu lassen – Vorhang. Gar keine so üble Idee.«
»Wie soll das heißen – ›Magenbeschwerden‹?«
»Ich glaube, dieselbe Idee kenne ich aus einer kleinen französischen Zeitschrift, in England ist sie wohl ziemlich unbekannt.«
Nein, ihnen ging es nicht so. Sie waren liebe, nette Menschen – ganz reizend –, und sie hatte sie sehr gern hier, an ihrem Tisch, um sie mit vorzüglicher Speise und köstlichem Trank zu bewirten. Ja, sie hätte ihnen gar zu gern gesagt, wie entzückend sie waren und was für einen malerischen Anblick sie boten, wie vorteilhaft eins das andere hervorzuheben schien und wie sie sie an ein Stück von Tschechow20 erinnerten!
Harry genoß sein Essen. Es gehörte zu seinem – nun, nicht gerade zu seinem Wesen und sicherlich auch nicht zu seiner Pose –, seinem – nun, irgend so was –, übers Essen zu reden und sich seiner ›schamlosen Leidenschaft für weißes Hummerfleisch‹ zu rühmen wie für ›das Grün von Pistazieneiscremes – grün und kalt wie die Lider ägyptischer Tänzerinnen‹.
Als er aufsah, sie anblickte und sagte: »Bertha, das ist ein ganz vortreffliches Soufflé!«, hätte sie beinahe weinen mögen vor kindlichem Vergnügen.
Ach, warum empfand sie nur heute abend so eine Zärtlichkeit gegenüber der ganzen Welt? Alles war gut – alles war recht. Alles, was geschah, schien ihren Becher voll Seligkeit wieder zu füllen, daß er überfloß.
Und noch immer war da auf dem Grunde ihrer Seele der Birnbaum. Er würde jetzt wie Silber aussehen im Mondlicht des armen, lieben Eddie, silbern wie Miss Fulton, die dasaß und eine Mandarine in ihren schlanken Fingern drehte, die so bleich waren, daß sie zu leuchten schienen.
Was sie einfach nicht begreifen konnte – was ihr wie ein Wunder schien –, war, wie sie so genau und so auf Anhieb Miss Fultons Stimmung hatte erraten können. Denn keinen Augenblick zweifelte sie daran, daß sie recht hatte, und doch, woran konnte sie sich eigentlich halten? An so gut wie nichts.
›Ich glaube, das kommt wirklich nur sehr, sehr selten zwischen Frauen vor. Nie zwischen Männern‹, dachte Bertha. ›Aber während ich im Salon den Kaffee serviere, gibt sie vielleicht ,ein Zeichen'.‹
Was sie damit meinte, wußte sie nicht, und was danach geschehen würde, konnte sie sich nicht vorstellen.
Während derlei Gedanken sie bewegten, sah sie sich selbst reden und lachen. Sie mußte einfach deswegen reden, weil es sie so danach verlangte zu lachen.
»Wenn ich nicht lache, sterbe ich.«
Aber als sie auf Faces merkwürdige kleine Angewohnheit aufmerksam wurde, etwas in den Ausschnitt zu stecken – als bewahre sie auch dort einen winzigen geheimen Vorrat an Nüssen auf –, mußte sich Bertha ganz fest die Fingernägel in die Handflächen pressen, um nicht zu unbändig zu lachen.
Schließlich war es vorüber. Und: »Kommen Sie doch und sehen Sie sich meine neue Kaffeemaschine an«, sagte Bertha.
»Wir haben nur alle vierzehn Tage eine neue Kaffeemaschine«, bemerkte Harry. Face nahm diesmal ihren Arm. Mit gesenktem Kopf ging Miss Fulton hinterher.
Das Feuer im Wohnzimmer war bis auf ein rotes, flackerndes ›Nest von Phönixjungen‹ abgebrannt, wie Face sagte.
»Lassen Sie das Licht noch einen Augenblick aus. Es ist so wunderbar.« Und wieder hockte sie sich ans Feuer. Sie fror immer … ›natürlich, ohne ihr kleines rotes Flanelljäckchen‹, dachte Bertha. In diesem Augenblick ›gab‹ Miss Fulton ›das Zeichen‹.
»Haben Sie einen Garten?« fragte die kühle, schläfrige Stimme.
Das war so außergewöhnlich für sie, daß Bertha nichts weiter tun konnte, als zu gehorchen. Sie ging durchs Zimmer, zog die Vorhänge auf und öffnete die hohen Fenster.
»Da!« hauchte sie.
Und die beiden Frauen standen da, Seite an Seite, und sahen auf den schlanken blühenden Baum. Obgleich ganz still, schien er sich wie eine Kerzenflamme zu strecken, zu recken, in der Helligkeit zu züngeln, wie sie hinsahen, immer höher zu wachsen, beinahe den Rand des runden silbernen Mondes zu streifen. Wie lange standen sie so? Beide, gleichsam im Banne dieses überirdischen Lichts, verstanden einander vollkommen, Wesen einer anderen Welt, voller Staunen, was sie in dieser hier sollten mit dem ganzen Schatz an Seligkeit, der in ihrer Brust lohte und in silbernen Blüten von ihrem Haar und ihren Händen herabfiel.
Eine Ewigkeit – nur einen Augenblick? Und murmelte Miss Fulton: »Ja. Genau so«, oder träumte Bertha das nur?
Dann flammte das Licht auf, Face machte den Kaffee, und Harry sagte: »Meine liebe Mrs. Knight, fragen Sie mich bloß nicht nach meiner Kleinen. Ich sehe sie nie. Ich werde mich erst für sie interessieren, wenn sie einen Liebhaber hat.« Und Mug ließ einen Augenblick sein Auge aus dem Glashaus und steckte es dann wieder unter Glas, und Eddie Warren trank seinen Kaffee und setzte mit schmerzverzerrtem Gesicht die Tasse ab, als hätte er, nachdem er ausgetrunken hatte, eine Spinne gesehen.
»Was ich möchte, ist, den jungen Leuten eine Chance zu geben. Ich glaube, London wimmelt nur so von erstklassigen ungeschriebenen Theaterstücken. Ich möchte einfach zu ihnen sagen: ›Hier habt ihr das Theater. Nun mal los.‹«
»Wissen Sie, meine Liebe, ich werde für die Jacob Nathans einen Raum ausgestalten. Ach, ich würde am liebsten ein richtiges Bratheringsprojekt machen, die Stuhllehnen in Form von Bratpfannen und auf den Vorhängen überall köstliche Kartoffelchips.«
»Der Haken bei unseren jungen Schriftstellern ist, daß sie noch viel zu romantisch sind. Man kann sich eben nicht auf hohe See wagen, ohne daß man seekrank wird und ein Speibecken braucht. Also, warum haben sie nicht den Mut zu diesen Becken?«
»Ein schreckliches Gedicht von einem Mädchen, an dem sich ein Bettler ohne Nase in einem kleinen Wäldchen vergangen hat …«
Miss Fulton ließ sich in den niedrigsten, tiefsten Sessel sinken, und Harry bot ringsum Zigaretten an.
An der Art, wie er vor ihr stand, die silberne Dose schüttelte und barsch hervorstieß: »Ägyptisch? Türkisch? Virginia? Sie liegen alle durcheinander«, merkte Bertha, daß sie ihn nicht nur langweilte; sie war ihm einfach zuwider. Und der Art, wie Miss Fulton sagte: »Nein, danke, ich rauche jetzt nicht«, entnahm sie, daß sie es auch spürte und gekränkt war.
»Ach, Harry, lehne sie doch nicht ab. Du hast nicht recht, was sie betrifft. Sie ist wunderbar, einfach wunderbar. Und außerdem, wie kannst du so ganz anders gegenüber jemandem empfinden, der mir so viel bedeutet? Wenn wir nachher im Bett sind, werde ich dir zu erzählen versuchen, was geschehen ist. Was sie und ich zusammen erlebt haben.«
Bei diesen letzten Worten fuhr Bertha etwas Merkwürdiges und beinahe Erschreckendes durch den Sinn. Und dieses dunkle, lächelnde Etwas flüsterte ihr zu: »Bald werden diese Leute gehen. Im Hause wird es ruhig sein – ganz ruhig. Die Lichter werden gelöscht sein. Und du und er, ihr werdet miteinander allein sein in dem dunklen Zimmer – dem warmen Bett …«
Sie sprang aus ihrem Sessel auf und lief zum Klavier hinüber. »Wie schade, daß niemand spielt!« rief sie. »Wie schade, daß keiner spielt!«
Zum ersten Mal in ihrem Leben begehrte Bertha Young ihren Mann. Oh, sie hatte ihn geliebt – sie war natürlich in ihn verliebt gewesen, in jeder anderen Beziehung, nur nicht so. Und genauso hatte sie natürlich verstanden, daß es bei ihm anders war. Sie hatten so oft darüber gesprochen. Es hatte sie zuerst sehr bedrückt, als sie entdeckte, daß sie so kalt war, aber nach einer Weile schien es keine Rolle mehr zu spielen. Sie waren so offen zueinander – solch gute Kameraden. Das war das Beste an dem ganzen Modernsein.
Jetzt aber – voller Glut! Voller Glut! Die Worte schmerzten in ihrem glühendheißen Körper. Dazu hatte also dieses Gefühl der Seligkeit geführt? Aber dann, dann –
»Meine Lieben«, sagte Mrs. Norman Knight. »Sie kennen unsere Schmach. Wir sind die Opfer von Zeit und Zügen. Wir wohnen in Hampstead24. Es war so reizend.«
»Ich komme mit Ihnen hinaus«, sagte Bertha. »Es war sehr schön, daß Sie da waren. Aber den letzten Zug dürfen Sie nicht verpassen. Das ist wirklich schrecklich, ja?«
»Noch einen Whisky, Knight, ehe Sie gehen?« rief Harry.
»Nein danke, mein Alter.«
Dafür drückte Bertha ihm einen Augenblick ganz fest die Hand, als sie ihm zum Abschied die ihre reichte.
»Gute Nacht! Auf Wiedersehen!« rief sie von der obersten Stufe. Ihr war, als ob sich dieses ihr Ich für immer von ihnen verabschiedete.
Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, waren die andern im Aufbruch begriffen.
»… Dann können Sie ein Stück in meinem Taxi mitfahren.«
»Ich bin so dankbar, wenn ich nach meiner schrecklichen Erfahrung nicht noch einmal allein fahren muß.«
»Sie können am Taxistand, gleich hier unten in der Straße ein Taxi kriegen. Es sind bloß ein paar Schritte von hier.«
»Sehr schön. Da werd ich mir mal den Mantel anziehen.«
Miss Fulton ging in Richtung Halle, und Bertha wollte ihr gerade nachgehen, als Harry sich beinahe vorbeidrängte.
»Ich helfe Ihnen.«
Bertha wußte, daß er seine Unhöflichkeit bereute – sie ließ ihn gewähren. Was für ein kleiner Junge er doch in mancher Beziehung war – so impulsiv – so – einfach.
Und Eddie und sie blieben am Feuer zurück.
»Haben Sie eigentlich das neue Gedicht von Bilk25s, ›Table d'Hôte‹, gelesen?« fragte Eddie leise. »Es ist so wunderbar. In der letzten Anthologie. Haben Sie die? Ich würde es Ihnen so gern zeigen. Es beginnt mit einer unglaublich schönen Zeile: ›Warum muß es immer Tomatensuppe sein?‹«
»Ja«, erwiderte Bertha. Und lautlos trat sie zu dem Tischchen gegenüber der Wohnzimmertür, und ebenso lautlos glitt Eddie hinter ihr her. Sie hob das Büchlein auf und gab es ihm; sie hatten kein Geräusch verursacht.
Während er das Gedicht suchte, wandte sie den Kopf zur Halle. Und da sah sie … Harry mit Miss Fultons Mantel im Arm, und Miss Fulton, mit dem Rücken zu ihm, den Kopf gesenkt. Er schleuderte den Mantel weg, legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie heftig zu sich herum. Sein Mund sagte: »Ich bete dich an«, und Miss Fulton legte ihm ihre mondstrahlengleichen Finger an die Wangen und lächelte ihr schläfriges Lächeln. Harrys Nasenflügel bebten; sein Mund verzog sich zu einem häßlichen Grinsen, als er flüsterte: »Morgen«, und mit den Augenlidern zwinkerte Miss Fulton: »Ja.«
»Hier«, sagte Eddie. »›Warum muß es immer Tomatensuppe sein?‹ Das ist so von Grund auf wahr, spüren Sie das nicht auch? Tomatensuppe ist so furchtbar ewig.«
»Wenn es Ihnen lieber ist«, ertönte Harrys Stimme sehr laut aus der Halle, »kann ich für Sie nach einem Taxi telefonieren.«
»Ach nein. Das ist nicht nötig«, antwortete Miss Fulton, und sie trat auf Bertha zu und reichte ihr die schlanken Finger. »Auf Wiedersehen! Und vielen Dank.«
»Auf Wiedersehen!« sagte Bertha.
Miss Fulton behielt ihre Hand noch einen Augenblick in der ihren.
»Ihr wunderschöner Birnbaum!« murmelte sie.
Und dann war sie fort, und Eddie hinterdrein, genau wie die schwarze Katze hinter der grauen herlief.
»Ich mache den Laden dicht«, sagte Harry, außerordentlich kühl und gefaßt.
»Ihr wunderschöner Birnbaum – Birnbaum – Birnbaum!«
Bertha lief förmlich zu den hohen Fenstern hinüber.
»Ach, was wird denn nun geschehen?« rief sie.
Aber der Birnbaum war so wunderschön wie zuvor und genauso blütenübersät und genauso still.