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Inhaltsverzeichnis

Über den Autor
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Anmerkungen und Danksagungen
Copyright

Der Autor

John Scalzi, geboren 1969, arbeitet als Journalist, Kolumnist und Schriftsteller. Scalzi lebt mit seiner Familie in Bradford, Ohio.

 

 

Weitere Informationen unter: www.scalzi.com

Anmerkungen und Danksagungen

Mehrere meiner Romane haben seltsame Veröffentlichungsgeschichten, aber die von Agent der Sterne ist wahrscheinlich die seltsamste. Sie begann im Jahr 1997, als dieser Roman meine »Schreibübung« war, das heißt der Roman, den ich schrieb, um zu sehen, ob ich überhaupt einen Roman schreiben konnte (die Antwort: scheint so). Ich hatte gar nicht die Absicht, ihn einem Verlag anzubieten oder sonst etwas daraus zu machen. Trotzdem setzte ich ihn 1999 auf meine Website und bot ihn als »Shareware« an, mit der Empfehlung an die Leser, mir 1 Dollar zu schicken, wenn er ihnen gefiel. Im Verlauf der nächsten fünf Jahre (bis ich den Leuten sagte, damit aufzuhören, mir Geld zu schicken) nahm ich etwa 4.000 Dollar ein. Es war eine nette Methode, meine Pizzaversorgung zu garantieren, aber mehr hatte ich von diesem Roman nie erwartet.

2005 stieß Bill Schafer vom Verlag Subterranean Press auf meine Website, las einige Kapitel von Agent der Sterne und schickte mir dann eine E-Mail, in der er mich fragte, ob er den Text als limitierte Hardcover-Ausgabe veröffentlichen darf. Ich dachte mir, dass es nett wäre, wenn der Roman nun doch noch gedruckt wird, also hatte ich nichts dagegen. Subterranean druckte 1.500 Exemplare, die restlos verkauft wurden, und jetzt verlangen die Leute auf eBay mehrere Hundert Dollar für ihr Exemplar (und bekommen sie auch dafür). Ich finde das ein bisschen idiotisch, aber gleichzeitig bedaure ich es, keine überzähligen Exemplare mehr zu haben, die ich abgeben könnte. Aber auch nach dieser Episode erwartete ich nichts mehr von diesem Roman.

Und nun schreiben wir das Jahr 2008, und das Buch ist schon wieder da, diesmal in einer wirklich hübschen Taschenbuchausgabe, von der mehr als 1.500 Exemplare gedruckt wurden. Jetzt habe ich es offiziell aufgegeben, dieses Buch zu unterschätzen, weil es einfach nicht lockerlässt. Ich freue mich, dass es so gekommen ist, und hoffe, dass Sie, liebe Leser, Spaß an diesem kleinen, unglaublich hartnäckigen Buch haben.

Das Buch, das Sie in Händen halten, ist im Wesentlichen dasselbe, das ich vor elf Jahren geschrieben habe. Aber weil die Geschichte in der Gegenwart spielt, wurden einige kulturelle Bezüge angepasst, um diese Version des Romans mit der Welt, wie sie gegen Ende des ersten Jahrzehnts des dritten Jahrtausends aussieht, in Einklang zu bringen. Zum Beispiel hatte eine Figur eine Fernsehshow beim United Paramount Network und hat sie nun beim Sender Comedy Central, weil UPN nicht mehr existiert. Auch das Alter einer Figur wurde geändert, damit die Geschichte auch heute noch Sinn ergibt. Von nun an ist das Buch auf sich allein gestellt, denn sofern es nicht zu einem Film oder etwas anderem verarbeitet wird (was ich nicht mehr ausschließen würde, weil es wirklich verdammt hartnäckig ist), stellt diese Version die endgültige Fassung des Romans dar. Gerüchten zufolge soll ich auch noch andere Bücher schreiben. Zumindest entnehme ich das meinen Vorschüssen.

Es sind viele Menschen, denen ich im Zusammenhang mit diesem Buch Dank schulde, und ich fange mit den Leuten im Verlag Tor an: insbesondere meinem Redakteur Patrick Nielsen Hayden und der Buchdesignerin Irene Gallo (siehe Widmung), weiterhin Liz Gorinsky und Dot Lin und natürlich Tom Doherty höchstpersönlich. Außerdem danke ich dem Künstler Pascal Blanchet für das wirklich wunderbare Cover und Arthur Hlavaty für seine Arbeit im Korrekturbergwerk. Ein Korrekturleser hat einen undankbaren Job, vor allem, wenn er jemanden korrigieren muss, der so schlammpich ahbaitet wie ich. Alles klar?

Außerhalb von Tor hatten folgende Leute mit den früheren Inkarnationen des Romans zu tun: Bill Schafer, Tim Holt, Mike Krahulik, Jerry Holkins, Robert Khoo, Stephen Bennett und Regan Avery. Ihnen allen danke ich für ihre Mitarbeit und/oder Ermutigung und/oder Unterstützung.

Ganz besondere Anerkennung möchte ich außerdem meiner Frau Kristine entgegenbringen, die von großer Bangigkeit erfüllt war, während ich Agent der Sterne schrieb. Denn sie wusste, dass sie das Manuskript würde lesen müssen, wenn ich damit fertig war, und wenn es ihr nicht gefiel, würde sie trotzdem mit mir weiterleben müssen. Also glaube ich, dass wir beide heilfroh waren, als sie die letzte Seite zu Ende las, sich mir zuwandte und sagte: »GOTT sei Dank ist es gut!« Sie ist mein erster und wichtigster Leser, und ich liebe sie von ganzem Herzen, und ich bin froh, dass ich mit ihr zusammenlebe.

Und schließlich danke ich Ihnen. Ja, wirklich. Es fasziniert mich immer noch ungemein, wenn Leute lesen wollen, was ich geschrieben habe. Es freut mich wirklich, dass Sie das tun. Dafür danke ich Ihnen.

1

»Vierzehn Millionen und fünfzehn Prozent Umsatzbeteiligung? Für Michelle Beck? Sie sind völlig durchgeknallt, Tom!«

Headsets sind ein Geschenk Gottes. Sie ermöglichen es einem zu telefonieren, während man die Hände für die wirklich wichtigen Dinge freihat. Gegenwärtig waren meine Hände mit einem blauen Racquetball aus Gummi beschäftigt, den ich leicht gegen die Fensterscheibe meines Büros warf und zurückprallen ließ. Jedes leise Plock hinterließ einen kleinen Abdruck auf dem Glas. Es sah aus, als wäre ein Pudelrudel zwei Meter in die Höhe geschwebt, worauf jedes Tierchen seine Nase gegen das Fenster gedrückt hatte. Irgendwer würde irgendwann die ganzen Flecken abwischen müssen.

»Meine Medikamente habe ich heute schon genommen, Brad«, sagte ich. »Glauben Sie mir, vierzehn Millionen und fünfzehn Prozent sind völlig angemessene Zahlen, zumindest vom Standpunkt meiner Klientin aus betrachtet.«

»Sie ist nicht annähernd so viel wert«, sagte Brad. »Noch vor einem Jahr hat sie pauschal 375 000 Dollar bekommen. Ich weiß es. Ich habe den Scheck ausgestellt.«

»Vor einem Jahr war Summertime Blues noch gar nicht in den Kinos, Brad. Seitdem sind 220 Millionen Dollar vergangen. Ganz zu schweigen von Ihrem eigenen Mord an der Erde – 85 Millionen Dollar für den wahrscheinlich schlechtesten Film der letzten Jahre. Und das, bevor er im Ausland angelaufen ist, wo niemand merkt, dass der Film gar keine Handlung hat. Ich würde sagen, Sie haben einmal ein billiges Schnäppchen gemacht. Aber jetzt müssen Sie den vollen Preis zahlen.«

»Mord an der Erde war gar nicht so schlecht. Und Michelle war auch nicht der Star des Films.«

»Ich zitiere Variety«, sagte ich, während ich den Ball mit der linken Hand auffing, um ihn im nächsten Sekundenbruchteil an die Scheibe zurückzuwerfen. »›Mord an der Erde ist einer jener Filme, von denen man hofft, dass sie nie vom Fernsehen ausgestrahlt werden, weil die Sendung von irgendwelchen Aliens in der Nähe aufgefangen werden könnte, worauf sie einen guten Grund hätten, die gesamte Menschheit zu eliminieren. ‹ Und das war noch eine der netteren Kritiken. Und wenn sie nicht der Star war, warum haben Sie dann ihr Bild und ihren Namen ganz groß auf die Plakate gesetzt?«

»Was soll das alles?«, fragte Brad zurück. »Ich weiß noch genau, dass Sie mich praktisch gezwungen haben, sie auf die Plakate zu setzen.«

»Heißt das, Sie werden alles tun, was ich Ihnen sage? Großartig! Vierzehn Millionen und fünfzehn Prozent. Toll, das war ja einfach!«

Die Tür ging auf. Ich wandte mich vom Fenster ab und meinem Schreibtisch zu. Miranda Escalon, meine Büroassistentin, trat ein und schob mir einen Notizblock zu. Michelle hat eben angerufen, stand darauf. Vergessen Sie nicht, dass die Leute ihren Friseur und Maskenbildner bezahlen sollen.

»Tom«, sagte Brad. »Sie wissen, dass wir Michelle haben wollen. Aber Sie verlangen zu viel. Allen bekommt zwanzig Millionen Dollar und zwanzig Prozent von den Einnahmen. Wenn wir Michelle geben, was sie haben will, wären das insgesamt fünfunddreißig Millionen und ein Drittel der Einnahmen. Dann bleibt für uns überhaupt nichts mehr übrig.«

Mit 14 Millionen kann sie ihren Friseur selber bezahlen, schrieb ich auf den Block. Miranda las es und zog die Augenbrauen hoch. Dann verließ sie das Büro. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie diese Nachricht an Michelle weiterleitete, war mikroskopisch gering. Sie wurde nicht dafür bezahlt, alles zu tun, was ich sagte – sie wurde dafür bezahlt, alles zu tun, was ich sagen sollte. Das ist ein großer Unterschied.

»Dazu hätte ich zwei Anmerkungen zu machen«, sagte ich und wandte meine Aufmerksamkeit wieder Brad zu. »Erstens: Allen Green ist nicht mein Klient. Wenn ich ihn vertreten würde, wäre ich maßlos fasziniert, wie viel Geld Sie ihm in den Rachen werfen. Aber er ist nicht mein Klient. Deshalb interessiert es mich weniger als einen Scheißdreck, was Sie ihm bezahlen wollen. Ich bin für meine Klientin verantwortlich und will für sie einen fairen Deal aushandeln. Zweitens: zwanzig Millionen für Allen Green? Sie sind völlig bescheuert.«

»Allen Green ist ein großer Star.«

»Allen Green war ein großer Star«, sagte ich. »In der Zeit, als ich die Highschool besucht habe. Demnächst fahre ich zum Klassentreffen, bei dem wir unser zehnjähriges Jubiläum feiern wollen. Allen spielt schon seit längerem in der zweiten Liga, Brad. Michelle dagegen ist ein großer Star. Jetzt. Ihre letzten beiden Filme haben dreihundert Millionen Dollar eingespielt. Vierzehn Millionen sind ein gutes Angebot.«

Die Tür öffnete sich. Miranda streckte den Kopf herein. Sie hat schon wieder angerufen, las ich von ihren Lippen ab.

»Tom …«, begann Brad.

»Einen Augenblick, Brad. Eben ruft sie selber auf der anderen Leitung an.« Ich drückte ihn weg, bevor er noch irgendetwas sagen konnte. »Was ist los?«, fragte ich Miranda.

»Miss Wichtig sagt, sie müsse sofort mit Ihnen über ein sehr dringendes Problem reden, das keinen Aufschub duldet.«

»Sagen Sie ihr, dass ich bereits wegen des Friseurs verhandle.«

»Nein, es ist sogar noch wichtiger als das«, sagte Miranda. »Wie es klingt, ist es möglicherweise das Allerwichtigste in der gesamten Menschheitsgeschichte. Noch viel wichtiger als die Erfindung der Fettabsaugung.«

»Machen Sie sich nicht darüber lustig, Miranda. Durch die Fettabsaugung wurde zahlreichen Schauspielerinnen eine deutlich längere Karriere ermöglicht, wovon ihre Agenten profitieren und damit letztlich auch Sie. Die Fettabsaugung garantiert Ihnen ein sicheres Gehalt.«

»Leitung zwei«, sagte Miranda. »Geben Sie mir sofort Bescheid, wenn die Fettabsaugung abgeschafft werden soll.«

Ich drückte die Taste für die zweite Leitung. Straßenlärm drang aus den Lautsprechern meines Headsets. Zweifellos kutschierte Michelle gerade den Santa Monica Boulevard entlang.

»Michelle«, sagte ich zu ihr. »Ich bin gerade dabei, dich sehr reich zu machen. Was immer es ist, mach schnell.«

»Ellen Merlow hat die Hauptrolle in Bittere Erinnerungen bekommen«, sagte Michelle. »Ich dachte, ich wäre dafür in der engeren Wahl. Ich dachte, ich hätte die Rolle schon.«

»Sei deswegen nicht enttäuscht, Michelle«, sagte ich. »Jeder hat sich dafür beworben. Wenn du die Rolle nicht bekommen hast, geht es dir genauso wie Cate Blanchett und Meryl Streep. Du bist in bester Gesellschaft. Außerdem wäre die Gage nicht besonders hoch gewesen.«

Ich hörte ein Auto, das quietschend bremste, danach eine Hupe und gedämpftes Geschrei. Michelle hatte jemanden geschnitten. »Tom, ich brauche solche Rollen, weißt du? Ich will nicht die nächsten zehn Jahre lang Summertime Blues spielen. Mit dieser Rolle hätte ich einen großen Sprung nach vorn machen können. Ich möchte mich als Künstlerin entwickeln.«

Bei dem Wort Künstlerin tat ich, als würde ich mir eine Kugel in den Kopf schießen. »Michelle, im Augenblick bist du der größte weibliche Star von Hollywood. Lass uns noch ein paar Filme lang damit arbeiten, ja? Bau dir ein schönes Nest. Für die Kunst ist später immer noch Zeit.«

»Ich bin die Richtige für diese Rolle, Tom.«

»Die Hauptfigur ist eine Jüdin über vierzig, die das Warschauer Ghetto und Treblinka überlebt und danach in den USA gegen Rassismus gekämpft hat«, erklärte ich. »Du bist fünfundzwanzig. Und du bist blond.« Und du glaubst bestimmt, Treblinka sei eine Boutique an der Melrose Avenue. Doch diesen Gedanken behielt ich für mich. Es hatte keinen Sinn, Michelle unnötig zu verwirren.

»Cate Blanchett ist auch blond.«

»Cate Blanchett hat auch einen Oscar«, sagte ich. »Genauso wie Ellen. In beiden schauspielerischen Kategorien. Und sie ist auch nicht fünfundzwanzig oder blond. Lass es sein, Michelle. Wenn du dich als Künstlerin entwickeln willst, kann ich dir eine Theaterrolle besorgen. Das ist wahre Kunst. Haufenweise Kunst. Im Geffen suchen sie gerade Leute für Ein Puppenheim. Das wird dir gefallen.«

»Tom, ich will diese Rolle haben.«

»Wir werden später darüber reden, Michelle. Brad wartet auf der anderen Leitung. Wir sehen uns bald.«

»Vergiss nicht, ihm zu sagen, dass er meinen Friseur …« Ich drückte sie weg und schaltete wieder zu Brad um. »’tschuldigung, Brad.«

»Ich hoffe, sie hat Ihnen gesagt, nicht zu viel zu verlangen, damit Sie den Deal nicht platzen lassen«, sagte Brad.

»Um ehrlich zu sein, sie wollte wegen eines anderen Projekts mit mir sprechen, das ihr sehr am Herzen liegt. Bittere Erinnerungen

»Ich bitte Sie!«, sagte Brad. »Sie ist etwas zu jung und zu blond, um Yentl spielen zu können. Außerdem hat Ellen Merlow gerade die Rolle bekommen. Hab’s heute in der Times gelesen.«

»Seit wann veröffentlicht die Times zuverlässige Informationen? Sicher, Michelle ist eigentlich noch zu jung für die Rolle, aber dafür gibt es doch Make-up. Und sie ist ein Publikumsmagnet. Sie wird völlig neue Zuschauerkreise für das Genre des ernsten Dramas erschließen.«

Brad schnaufte. »Dafür würde sie auf gar keinen Fall vierzehn Millionen bekommen. Das ist schon das Gesamtbudget für das Projekt.«

»Richtig, aber sie könnte sich als Künstlerin entwickeln.« Ich ließ den Ball auf dem Schreibtisch auf und ab springen. »Auf so etwas fährt die Academy ab. Das bringt ihr mühelos eine Nominierung ein. Wie Charlize Theron für Monster.« Manchmal kann ich selber nicht glauben, welche Worte mir über die Lippen kommen.

Aber es funktionierte. Ich konnte hören, wie Brad in Gedanken die Möglichkeiten gegeneinander abwog. Das aktuelle Projekt war die Fortsetzung von Mord an der Erde. In einem wahren Ausbruch von Kreativität hatte man ihm den Titel Rache für die Erde gegeben. Aber jetzt hatten sie ein Problem, weil sie den Helden des ersten Films hatten sterben lassen. Was eigentlich gar nicht so schlimm war, weil Mark Glavin, der die Rolle gespielt hatte, ein Loser war, der sich alle Mühe gab, den bogenförmigen Verlauf der Karriere von Mickey Rourke zu wiederholen.

Also musste die Fortsetzung komplett um Michelle herum aufgebaut werden, weil ihre Figur überlebt hatte. Das Drehbuch war geschrieben, die Besetzung stand, und die Vorproduktion war bereits auf Hochtouren angelaufen. Jetzt kam es nicht mehr infrage, alles zu stoppen, um die Besetzung oder das Drehbuch zu ändern. Die Sache rollte, was mir genauso klar war wie Brad. Jetzt konnten wir uns nur noch um Feinheiten streiten.

Wieder tauchte Mirandas Kopf im Türspalt auf. Ich starrte sie finster an. Sie schüttelte den Kopf. Nicht sie, sagte sie lautlos. Carl.

Ich legte den Ball weg. Wann?, fragte ich in Lippensprache.

In drei Minuten, gab sie auf die gleiche Weise zurück.

»Hören Sie, Brad«, sagte ich. »Ich muss jetzt … ich habe gerade erfahren, dass ich einen Termin mit Carl habe. Er wird zweifelsohne wissen wollen, wie wir uns einig geworden sind. Das Casting für Bittere Erinnerungen ist so gut wie abgeschlossen. Wir müssen ihm irgendwas sagen. Ich muss Carl irgendwas sagen.«

Ich konnte hören, wie Brad Kopfrechenaufgaben löste. »Scheiße«, sagte er schließlich. »Zehn Millionen und zehn Prozent.«

Ich blickte auf meine Armbanduhr. »Brad, es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu sprechen. Ich hoffe, dass meine Klientin irgendwann in der Zukunft wieder mit Ihnen zusammenarbeiten wird. Bis dahin wünsche ich Ihnen und den anderen Produzenten von Mord an der Erde viel Erfolg. Wir bedauern es sehr, nicht mehr Teil der Familie zu sein.«

»Sie Mistkerl«, sagte Brad. »Zwölf Komma fünf – Gage und Anteil. Mehr geht nicht. Schlagen Sie ein oder vergessen Sie es.«

»Und Sie bezahlen ihren Friseur und Maskenbildner.«

Brad seufzte. »Na gut. Warum eigentlich nicht. Allen bringt seine eigenen Leute mit. Wir werden uns schminken, Perücken aufsetzen und eine Riesenparty steigen lassen.«

»Also sind wir im Geschäft. Schicken Sie einen Kurier mit dem Vertrag rüber, und dann pflücken wir ihn auseinander. Und vergessen Sie nicht, dass wir uns noch um das Merchandising streiten müssen.«

»Wissen Sie, Tom«, sagte Brad, »ich erinnere mich noch an die Zeit, als Sie ein richtig netter Kerl waren.«

»Ich bin immer noch ein richtig netter Kerl, Brad«, sagte ich. »Es ist nur so, dass ich jetzt Klienten habe, die Sie brauchen. Wir hören voneinander.« Ich trennte die Verbindung und blickte auf meine Uhr.

Soeben hatte ich den bisher größten Deal des Jahres abgeschlossen und einen Gewinn von 12,5 Millionen Dollar für meine Firma und mich eingestrichen, und jetzt hatte ich noch neunzig Sekunden Zeit bis zum Gespräch mit Carl. Mehr als genug Zeit zum Pinkeln.

Wenn man einfach gut ist, ist man einfach gut.

2

Als ich aus der Toilette kam, hatte ich noch dreißig Sekunden auf der Stoppuhr und steuerte mit schnellen Schritten das Besprechungszimmer an. Miranda trottete mir hinterher.

»Worum geht es bei diesem Termin?«, fragte ich sie und nickte Drew Roberts zu, als ich an seinem Büro vorbeikam.

»Das hat er nicht gesagt«, antwortete Miranda.

»Wissen wir, wer noch an dem Treffen teilnimmt?«

»Das hat er auch nicht gesagt.«

Der Besprechungsraum im zweiten Stock liegt gleich neben Carls Büro, das sich am schmaleren Ende des ungefähr eiförmigen Gebäudes unserer Agentur befindet. In einer bedeutenden Architekturzeitschrift hat jemand darüber geschrieben, es sei »ein Frontalzusammenstoß zwischen Frank Gehry, Le Corbusier, Jay Ward und einer Salmonelle«. Das finde ich unfair gegenüber der Salmonelle. Mein Büro ist ins dickere Ende des Eis im ersten Stock gequetscht, zwischen den Büros all der anderen Junioragenten. Nach dem heutigen Tag kam mir ein Büro am schmaleren Ende im zweiten Stock schon erheblich wahrscheinlicher vor, was die nächste Zukunft betraf. Ich summte gerade die Titelmelodie von Die Jeffersons, als Miranda und ich die Tür zum Besprechungszimmer erreichten und hindurchtraten.

Darin befanden sich Carl, ein Aquarium und eine Menge leerer Stühle.

»Tom«, sagte Carl. »Schön, dass Sie gekommen sind.«

»Danke, Carl«, sagte ich. »Gut, dass Sie diese Besprechung angesetzt haben.« Dann wandte ich mich dem Tisch zu, um die vielleicht wichtigste Entscheidung dieser Zusammenkunft zu treffen: wohin ich mich setzen sollte.

Wenn man Carl zu nahe ist, wird man als unterwürfiger Speichellecker abgestempelt. Was gar nicht so schlecht ist. Aber damit geht man gleichzeitig das Risiko ein, einen dienstälteren Agenten von seinem rechtmäßigen Platz am Tisch zu verdrängen. Was wiederum sehr schlecht ist. Immer wieder finden vielversprechende Karrieren ein jähes Ende, weil jemand seine eigene Stellung falsch einschätzt.

Wenn man sich dagegen zu weit weg hinsetzt, ist das ein Zeichen, dass man sich verstecken will, dass man seinen Klienten keine guten Rollen und kein gutes Geld verschafft hat. So jemand wird zu einem Bremsklotz für die Agentur. Agenten wittern Angst, wie Haie ein verwundetes Seeotterjunges im Meer aufspüren. Bald werden einem die Klienten abspenstig gemacht. Dann bleibt einem nichts mehr übrig, als auf die Bürowände zu starren und Frostschutzmittel zu trinken, bis man blind wird.

Ich entschied mich für einen mittleren Abstand, eher etwas näher an Carl dran als sonst. Verdammt, ich hatte es mir verdient.

»Warum sitzen Sie so weit weg?«, fragte Carl.

Ich blinzelte. »Ich wollte nur genug Platz für die anderen Leute lassen, die zu dieser Besprechung kommen.«

Hatte er schon vom Deal gehört, den ich für Michelle Beck abgeschlossen hatte? Wie macht er so was? Hört er mein Telefon ab? Ich starrte intensiv Miranda an, die hinter mir stand und den Notizblock bereithielt. Sie warf mir einen Blick zu, der besagte: Fragen Sie nicht mich. Ich bin nur hier, um Notizen zu machen.

»Das ist sehr rücksichtsvoll von Ihnen, Tom«, sagte Carl. »Aber es kommen keine anderen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, wäre es mir sogar lieber, wenn auch Mrs. Escalon uns entschuldigen würde.«

Das wäre der Moment gewesen, in dem ich beiläufig meine Assistentin entlassen hätte, um mich weltmännisch Carl zuzuwenden und mit unserem Businesstalk loszulegen. Mir fiel allerdings nichts Besseres ein, als dumpf ins Leere zu starren. Zum Glück war Miranda auf Zack. »Meine Herren«, sagte sie und entfernte sich. Auf dem Weg nach draußen bohrte sie ihren spitzen Absatz in meinen großen Zeh, was mich schlagartig in die Realität zurückkehren ließ. Ich stand auf und schaute mich nach einem angemessenen Sitzplatz um.

»Warum setzen Sie sich nicht hierher?«, sagte Carl und zeigte auf einen Stuhl ihm gegenüber, gleich neben dem Aquarium.

»Großartig. Danke.« Ich ging auf die andere Seite des Tisches und setzte mich. Dann starrte ich Carl an. Er starrte zurück. Der Anflug eines Lächelns umspielte seine Mundwinkel.

Es gibt Legenden in der Welt der Agenten. Zum Beispiel Lew Wasserman, der zu Carls Zeit einer der ganz Großen gewesen war. Schließlich war er auf die andere Seite der Filmindustrie gewechselt und hatte bei Universal Karriere gemacht. Oder Mike Ovitz, der ebenfalls die Seite gewechselt hatte und peinlicherweise bei Disney auf die Schnauze gefallen war.

Und dann gab es Carl Lupo, meinen Chef, der auf die andere Seite gewechselt und Century Pictures übernommen hatte, um in weniger als zehn Jahren aus einem schäbigen Horrorfilmladen das größte Studio von Hollywood zu machen. Und auf dem Höhepunkt seiner Ägide war er ins Agentengeschäft zurückgekehrt. Niemand weiß, warum er das getan hat. Das jagt allen Leuten, die ihn kennen, eine Heidenangst ein.

»Tut mir leid«, sagte ich.

»Was?«, fragte Carl. Doch schon im nächsten Moment lachte er. »Entspannen Sie sich, Tom. Ich möchte nur ein bisschen mit Ihnen plaudern. Es ist schon lange her, seit wir uns unterhalten haben.«

Das letzte Mal, als Carl und ich ohne offiziellen Rahmen direkt miteinander gesprochen hatten, lag drei Jahre zurück. Ich war gerade erst von der Poststelle ins Großraumbüro befördert worden, wo ich eine Box mit einem Kollegen teilte, der ebenfalls dem Frondienst in der Poststelle entronnen war. Die Liste meiner Klienten umfasste ein ehemaliges Teenager-Idol, das inzwischen die dreißig überschritten hatte und häufiger an therapeutischen Sitzungen als an Castings teilnahm, und eine süße, aber hirnlose zweiundzwanzigjährige Cheerleaderin von der UCLA namens Shelly Beckwith. Da war plötzlich Carl aufgetaucht, hatte mir und meinem Kollegen die Hand geschüttelt und genau zwei Minuten und dreißig Sekunden lang Nettigkeiten von sich gegeben, bevor er die nächste Box aufgesucht hatte, um dort genau dasselbe zu tun.

Seitdem war das ehemalige Teenager-Idol an seinem eigenen Speichel erstickt, mein Kollege aus der Poststelle war unter dem Stress zusammengebrochen und hatte die Agentur verlassen, um buddhistischer Mönch in Big Bear zu werden, und Shelly Beckwith hatte sich in Michelle Beck verwandelt. Sie hatte das Glück, nacheinander zwei Volltreffer zu landen, und ich bekam mein eigenes Büro. Manchmal geht es in der Welt schon seltsam zu.

»Wie kommen Sie mit den Verhandlungen für Michelle Beck voran?«, fragte Carl.

»Eigentlich sind sie schon abgeschlossen«, sagte ich. »Wir bekommen zwölf Komma fünf – Gage und Anteil. Plus Merchandising.«

»Das freut mich sehr«, sagte Carl. »Davis dachte nämlich, Sie würden bei etwa acht Komma fünf Millionen Dollar auf Granit beißen. Ich habe gewettet, dass Sie mindestens dreieinhalb mehr herausholen werden. Also haben Sie meine Erwartungen noch um eine halbe Million übertroffen.«

»Mach ich doch immer wieder gerne, Carl.«

»Ja. Wobei Brad allerdings nicht gut im Verhandeln ist. Ich habe ihm ausgerechnet Allen Green aufgedrückt, und das für zwanzig Millionen. Wie der Film jemals Gewinn abwerfen soll, ist mir völlig schleierhaft.«

Ich entschied, zu diesem Punkt nichts zu sagen.

»Aber das soll nicht unser Problem sein«, fuhr Carl fort. »Ich würde Sie gerne etwas fragen, Tom. Mögen Sie Science-Fiction?«

»Science-Fiction? Klar. Hauptsächlich Star Wars und Star Trek, wie die meisten Leute. Hab auch ein paar Folgen vom neuen Kampfstern Galactica gesehen. Und als ich vierzehn war, hatte ich eine Phase, in der ich jedes Buch von Robert Heinlein gelesen habe, das ich in die Finger kriegen konnte. Aber seitdem hat mich nicht mehr viel vom Hocker gerissen. Mord an der Erde habe ich mir ein einziges Mal angesehen, bei der Premiere. Das hat mir dieses Genre für die nächste Zeit etwas vermiest.«

»Was gefällt Ihnen besser: Filme mit bösen Aliens oder Filme mit guten Aliens?«

»Ich weiß nicht. Darüber habe ich noch nie richtig nachgedacht.«

»Bitte tun Sie es jetzt«, sagte Carl. »Damit würden Sie mir einen großen Gefallen erweisen.«

Carl hätte auch sagen können: Bitte schlitzen Sie sich den Bauch auf und braten Sie Ihre Eingeweide mit Champignons. Damit würden Sie mir einen großen Gefallen erweisen. Worauf jeder in der Agentur es sofort getan hätte. Es ist widerlich, wozu Speichellecker imstande sind.

»Ich denke, wenn ich die Wahl hätte, wären mir die bösen Aliens lieber«, sagte ich. »Sie kommen im Film einfach besser rüber. Schauen Sie sich die Klassiker an, die Alien-Filme, Independence Day, Predator, Stargate, Starship Troopers – lauter böse Aliens. Und was kommt heraus, wenn man was mit guten Aliens macht? Nicht mehr als Das Wunder in der 8. Straße

»Nun ja«, sagte Carl. »Da wären noch E. T. und Unheimliche Begegnung der dritten Art

»Okay, E. T. funktioniert«, sagte ich. »Aber nicht Unheimliche Begegnung. Klar, die Aliens sahen niedlich aus, aber das bedeutet nicht, dass sie nicht böse waren. Sobald sie unser Sonnensystem verlassen haben, wurde Richard Dreyfuss wahrscheinlich wie ein Stück Schlachtvieh in einen Käfig gesperrt. Außerdem weiß sowieso niemand, was in diesem Film wirklich passiert. Spielberg hat sich wahrscheinlich Peyote-Frosties eingeworfen, bevor er sich diese Story ausgedacht hat.«

»In Star Trek gibt es gute Aliens. Genauso wie in den Star-Wars -Filmen.«

»In Star Trek gibt es auch böse Aliens, zum Beispiel die Klingonen oder diese Typen mit den Drähten im Kopf.«

»Die Borg«, sagte Carl.

»Richtig. Und in Star Wars gibt es niemanden, der von der Erde stammt. Also waren praktisch alle Figuren Aliens.«

»Interessant«, sagte Carl und verschränkte die Hände vor dem Gesicht. Anscheinend faszinierte ihn die Vorstellung, dass jeder in Star Wars eine außerirdische Staatsbürgerschaft hatte, genauso wie ein besonders kniffliges Zen-Koan.

»Jetzt möchte ich Sie etwas fragen, Carl«, sagte ich. »Warum reden wir über dieses Thema? Wollen wir einen Vertrag über die Produktion eines Science-Fiction-Films abschließen? Abgesehen von Mord an der Erde, meine ich.«

»Nicht ganz.« Carl löste die Finger voneinander und legte beide Hände flach auf den Tisch. »Mit einem Freund hatte ich über dieses Thema diskutiert, und ich wollte noch eine weitere Meinung einholen. Ihre Meinung deckt sich übrigens ganz mit seiner. Er findet auch, dass die Leute mehr auf Aliens abfahren, die eine feindselige fremde Macht sind, und nicht auf eine Gruppe, die mit friedfertigen Absichten daherkommt.«

»Ich glaube, die meisten Leuten machen sich gar keine Gedanken, wie sie zu guten oder bösen Aliens stehen«, sagte ich. »Außerdem reden wir hier über Filme. Die Frage hat nichts damit zu tun, ob ein Film gut oder schlecht ist.«

»Tatsächlich?« Plötzlich waren die Hände wieder ineinander verschränkt. »Wenn also echte Aliens vom Himmel fallen würden, könnten die Leute damit klarkommen, dass sie uns freundlich gesinnt sind.«

Und wieder starrte ich dumpf ins Leere. Ich erinnerte mich daran, schon einmal ein solches Gespräch geführt zu haben. Der Unterschied war allerdings, dass jenes Gespräch während meiner schwer verkifften Anfangszeit auf dem College stattgefunden hatte, in einem Zimmer, das mit Weihnachtskerzen und Alufolie ausgeschmückt war, und auf gemütlichen Sitzsäcken. Mein jetziges Gespräch fand mit einem der wenigen Menschen auf diesem Planeten statt, die der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zurückrufen würde, wenn sie ihm eine Nachricht hinterließen. Und zwar innerhalb von zehn Minuten (weil sie sich in Yale ein Zimmer geteilt hatten). Es passte überhaupt nicht zusammen, ein solches Gespräch mit Carl zu führen. Es war ungefähr so, als würde man seinem Großvater zuhören, wie er von den Besonderheiten eines brandneuen Sportkajaks schwärmte.

»Vielleicht«, sagte ich vorsichtig. Im Zweifelsfall sollte man unbestimmt bleiben.

»Hmmmm«, machte Carl. »Gut. Erzählen Sie mir von Ihren Klienten, Tom.«

Ich habe einen kleinen Mann im Hinterkopf. In solchen Situationen gerät er gerne in Panik. Jetzt blickte er sich nervös um. Ich schubste ihn in sein Loch zurück und arbeitete die Liste ab.

An erster Stelle stand ganz offenkundig Michelle: hübsch, begehrt und bei weitem nicht intelligent genug, um zu erkennen, dass es in diesem Abschnitt ihres Lebens das Allerdümmste wäre, nicht ohne Skrupel so viel Geld einzusacken wie irgend möglich. Daran war nichts, was ich ihr vorwerfen konnte.

Der Nächste war Elliot Young, der gut aussehende junge Star der ABC-Serie Pacific Rim. Pacific Rim hatte die zweitbeste Quote auf der 21-Uhr-Schiene am Mittwoch und stand auf Platz 63 der meistgesehenen Sendungen des Jahres. Doch dank Elliots knackigem Volleyballspielerarsch und dem Einverständnis von ABC, dass er mindestens einmal pro Folge die Hosen runterließ, während er ein Verbrechen aufklärte, räumte er mächtig bei den weiblichen Zuschauern zwischen 18 und 34 ab. ABC verkaufte viel Werbezeit für Mittel gegen Hefepilzinfektionen und für Hygieneprodukte mit »Flügeln«. Alle waren glücklich, und Elliot wartete darauf, den Sprung auf die Kinoleinwand zu schaffen. Aber letztlich galt das für jeden.

Dann kam Rashaad Creek, ein Komiker, der auf den schäbigeren Straßen von Marin County aufgewachsen war, wo schon die Polizei gerufen wurde, wenn jemand Rotwein zu Fisch servierte. Rashaad war nicht annähernd so neurotisch wie die meisten Komiker, was bedeutete, dass er im normalen Leben fast überhaupt nicht witzig war. Trotzdem hatten wir es mit einem hübsch geschnürten Paket geschafft, die Pilotfolge seiner Show Fit wie’n Turnschuh an Comedy Central zu verkaufen. Rashaads aufstrebende Karriere wurde mit Adleraugen von seinem strengen Manager überwacht, der zufällig gleichzeitig seine Mutter war. An dieser Stelle halten wir kurz inne, um zu erschaudern.

Tea Reader hatte als Sängerin angefangen und sich dann zur Schauspielerin gemausert. Leider war ihr Name unglücklich gewählt, da man immer wieder darauf hinweisen musste, dass er wie »Tia« ausgesprochen wurde. Ich hatte sie von meinem alten Kollegen geerbt, nachdem sein Großhirn implodiert war. Ich kann mir gut vorstellen, dass Tea eine Menge zu seinem Niedergang beigetragen hat, da sie ein schwieriger Mensch ist und zu Wutanfällen neigt, die in keinem Verhältnis zu ihren Erfolgen stehen (ein Album mit drei Singleauskopplungen, die in den Charts jeweils auf die Plätze 9, 13 und 24 kamen, eine weibliche Nebenrolle in einem Vince-Vaughn-Streifen und mehrere Werbespots für Mentos). Sie war knapp unter dreißig (sie bestand hartnäckig auf dem »unter«), was sie zur perfekten Moderatorin ihrer eigenen Talkshow oder eines Infomercials machte. Tea rief etwa einmal pro Woche an und drohte damit, sich einen anderen Agenten zu suchen. Ach, würde sie doch!

Tony Baltz war ein Charakterdarsteller, der vor einem Jahrzehnt in der Kategorie Beste Nebenrolle für den Oscar nominiert worden war und seitdem alles ablehnte, was keine Hauptrolle war. Was schade war, weil Hauptrollen für untersetzte Glatzköpfe über fünfzig dünn gesät waren und dieses Marktsegment fast vollständig von James Gandolfini abgedeckt wurde. Wir konnten ihn nur gelegentlich für biografische Verfilmungen buchen.

Der Rest meiner Klienten war eine Ansammlung von Akteuren, die einst etwas gewesen waren, nie etwas gewesen waren, fast etwas gewesen wären oder noch nichts waren, also die Leute, die sich auf der unteren Hälfte der Referenzliste jedes Junioragenten tummelten. Irgendwer muss schließlich den zweiten Speerträger von links spielen, und irgendwer muss so jemanden repräsentieren. Als ich nun mit Carl meine Liste durchging, wurde mir klar, dass ich es ausschließlich Michelle zu verdanken hatte, nicht zu den Agenten zu gehören, die niemals die Chance erhalten würden, über ihren Juniorstatus hinauszukommen. Aber ich beschloss, diesen Punkt nicht anzusprechen.

»Ich fasse zusammen«, sagte Carl, nachdem ich fertig war. »Sie haben einen Superstar, zwei Mittelfeldspieler, zwei Randfiguren und einen Haufen Lückenfüller.«

Ich überlegte, ob ich diese Einschätzung netter formulieren sollte, erkannte dann aber, dass es keinen Sinn hätte. Also zuckte ich nur mit den Schultern. »So scheint es, Carl. Meine Klientenliste sieht nicht schlechter aus als die aller anderen Junioragenten in unserer Firma.«

»O nein, das sollte keine Kritik sein«, erwiderte Carl. »Sie sind ein guter Agent, Tom. Sie kümmern sich um Ihre Leute und verschaffen ihnen Arbeit – und wie Sie heute bewiesen haben, geben Sie sich alle Mühe, sie nicht unter Wert zu verkaufen. Sie sind ein kluger Bursche. In unserer Branche werden Sie es noch sehr weit bringen.«

»Danke, Carl.«

»Keine Ursache.« Er schob seinen Stuhl ein Stück zurück und legte die Füße auf den Tisch. »Tom, wie viele von Ihren Klienten könnten Sie problemlos verlieren?«

»Wie bitte?«

»Auf wie viele könnten Sie verzichten, ohne einen schlechteren Schnitt zu machen?« Carl wedelte mit der Hand. »Sie wissen schon – sie an andere Agenten abgeben, sie ganz fallenlassen oder was auch immer.«

Der kleine Mann in meinem Hinterkopf sprang aus seinem Loch und rannte hektisch hin und her. »Keinen!«, entfuhr es mir. »Ich meine, bei allem gebührenden Respekt, Carl, ich kann keinen von ihnen abservieren. Zum einen wäre das nicht fair, und zum anderen brauche ich sie alle. Im Moment macht sich Michelle sehr gut, aber Sie können mir glauben, dass ihre Erfolgssträhne nicht ewig anhalten wird. Sie können nicht von mir verlangen, dass ich alles unterhalb meiner Knie wegschneide.«

Ich schob mich ein Stückchen vom Tisch weg. »Was geht hier vor sich, Carl? Zuerst die Science-Fiction und nun meine Klienten. Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Langsam werde ich nervös. Wenn Sie mir etwas Schlimmes mitzuteilen haben, kommen Sie einfach auf den Punkt und hören Sie auf, mich zu quälen.«

Carl starrte mich eine Weile nur an. Es waren die längsten fünfzehn Sekunden meines Lebens. Dann nahm er die Füße vom Tisch und rückte mit seinem Stuhl etwas näher an mich heran.

»Sie haben Recht, Tom«, sagte er. »Ich habe die Sache nicht besonders geschickt eingeleitet. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Ich will es noch einmal anders versuchen.« Er schloss die Augen, atmete einmal tief durch und sah mich dann direkt an. Ich hatte das Gefühl, dass sich meine Wirbelsäule verflüssigte.

»Tom«, sagte er. »Ich habe einen Klienten. Es ist ein sehr wichtiger Klient, Tom, vielleicht sogar der wichtigste Klient, mit dem diese Agentur jemals zu tun hatte. Zumindest kann ich mir keinen Klienten vorstellen, der wichtiger als dieser wäre. Dieser Klient ist der Meinung, dass er ein ernsthaftes Imageproblem hat, und ich muss sagen, dass ich ihm in diesem Punkt nicht widersprechen kann. Er möchte ein sehr spezielles Projekt realisieren, und dafür ist allergrößtes Fingerspitzengefühl nötig. Jetzt brauche ich jemanden, der mir hilft, alles in die Wege zu leiten, jemanden, dem ich vertrauen kann, jemanden, der die nötige Arbeit für mich erledigt, ohne dass ich ihm ständig auf die Finger schauen muss, und jemanden, der in der Lage ist, zum Wohl des Projekts sein Ego zurückzustellen. Ich hoffe, dass Sie dieser Jemand sein werden, Tom. Wenn Sie Nein sagen, wird das keinerlei Auswirkungen auf Ihre Position innerhalb unserer Agentur haben. Sie können dieses Zimmer verlassen und so tun, als hätte diese Besprechung niemals stattgefunden. Aber wenn Sie Ja sagen, stehen Sie in der Pflicht. Sie werden alles tun, was nötig ist, solange es nötig ist. Sind Sie bereit, mir zu helfen?«

Jetzt trommelte der kleine Mann in meinem Kopf mit den Fäusten gegen die Rückseiten meiner Augäpfel. Sag NEIN, schrie er. Sag Nein und lass uns dann in eine Kneipe gehen, wo wir uns ordentlich besaufen können.

»Klar«, sagte ich. Jetzt weinte der kleine Mann in meinem Kopf bittere Tränen.

Carl beugte sich vor und legte seine Hand auf meine, wie auf eine Computermaus, um sie zu schütteln. »Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann«, sagte er. »Danke. Ich glaube, Sie werden sehr viel Spaß haben.«

»Das hoffe ich«, sagte ich. »Ich bin dabei. Also, wer ist der Klient? Tony?«

Antonio Marantz war dabei erwischt worden, wie er auf dem Set des letzten Morocco-Joe-Films an einem sechzehnjährigen Teenager aus der Komparserie herumgefummelt hatte. Die ohnehin schon schlimme Sache wurde noch viel schlimmer durch den Umstand, dass das Kind, an dem der Mann, den das Magazin People zum »begehrtesten Junggesellen« gewählt hatte, ein Junge war – und obendrein der Sohn des Regisseurs. Nachdem man die Finger des Regisseurs von Tonys Hals gelöst hatte, wurde alles getan, um die Angelegenheit zu vertuschen. Die Gage des Regisseurs wurde um eine Million Dollar erhöht. Die Gewerkschaft der Regisseure verschaffte dem Jungen ein »Praktikum« bei einem Film über Admiral Cook, der während der nächsten sechs Monate in Grönland gedreht werden sollte. Tony musste sich eine Standpauke anhören, in der es darum ging, dass es ihn seine nächste Rolle kosten konnte, wenn er mit minderjährigen Jungen herumspielte. Das Drehteam erhielt kleinere, aber immer noch recht ansehnliche Prämien. Alle hielten dicht, und die Geschichte tauchte in keiner Klatschkolumne auf. Aber man konnte nie wissen. Solche Sachen sickerten immer irgendwo durch.

»Nein, es ist nicht Tony«, sagte Carl. »Unser Klient ist hier.«

»Im Gebäude?«

»Nein.« Carl tippte gegen das Aquarium, das zwischen uns stand. »Hier.«

»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Carl. Das ist ein Aquarium.«

»Schauen Sie in das Aquarium«, forderte Carl mich auf.

Zum ersten Mal, seit ich das Zimmer betreten hatte, sah ich mir das Aquarium genauer an. Es war rechteckig und weder ungewöhnlich groß noch ungewöhnlich klein. Es hatte etwa die Größe eines durchschnittlichen Aquariums, wie man es gelegentlich in durchschnittlichen Wohnhäusern sieht. Das einzig Bemerkenswerte daran war die Abwesenheit von Fischen, Steinen, blubbernden Filtern oder kleinen Schatzkisten aus Plastik. Es wurde komplett von einer Flüssigkeit ausgefüllt, die durchsichtig, aber leicht trübe war, als wäre das Wasser des Aquariums seit mindestens einem Monat nicht mehr ausgetauscht worden. Ich stand auf und blickte von oben in das Aquarium. Und schnupperte daran. Dann schaute ich Carl über das Aquarium hinweg an.

»Was ist das, Wackelpudding mit Thunfischgeschmack?«

»Nicht ganz.« Carl wandte sich dem Aquarium zu. »Joshua, ich möchte dich mit Tom bekanntmachen.«

Das Zeug im Aquarium vibrierte.

»Hallo, Tom«, sagte das Zeug. »Es freut mich, dich kennenzulernen.«