Über eines sind sich die meisten Naturwissenschaftler heute einig: Das Bild, das die exakten Wissenschaften – insbesondere Physik und Evolutionsbiologie – von der Welt zeichnen, ist im Wesentlichen korrekt und alles, was existiert, kann im Prinzip mit deren Methoden erklärt werden. Und in der Tat: Die Fortschritte, die diese materialistische Standardtheorie vorzuweisen hat, sind beträchtlich. Aber es gibt auch noch Lücken: Der menschliche Geist zum Beispiel findet darin bislang keinen rechten Platz. Ein reiner Schönheitsfehler? Nur eine Frage der Zeit?
Nein, sagt Thomas Nagel und bläst in seinem neuen Buch zum Generalangriff auf die etablierte naturwissenschaftliche Weltsicht. Ihr Problem, so seine These, ist grundsätzlicher Natur: Das, was den menschlichen Geist auszeichnet – Bewusstsein, Denken und Werte –, lässt sich nicht reduzieren, schon gar nicht auf überzeitliche physikalische Gesetze. Daher bleibt eine Theorie, die all dies nicht erklären kann, zwangsläufig unvollständig, ja, sie ist mit ziemlicher Sicherheit falsch.
Um dies zu begründen, durchmisst Nagel die schwierigen Fragen der Philosophie des Geistes, der Erkenntnistheorie und der Theorie der Werte. Stück für Stück zeigt er mit subtilen philosophischen Argumenten auf, wo und warum der reduktive Materialismus zu kurz greift, und entwickelt erste Ansätze für eine völlig neue Perspektive auf Geist und Kosmos. Das ist so gewagt wie beeindruckend. Philosophie pur.
Thomas Nagel, geboren 1937 in Belgrad, ist seit 1980 Professor für Philosophie und Recht an der New York University. 2008 wurde er mit dem Rolf-Schock-Preis für Philosophie sowie dem Balzan-Preis ausgezeichnet.
Geist und Kosmos
Warum die materialistische
neodarwinistische Konzeption
der Natur so gut wie sicher
falsch ist
Aus dem Amerikanischen von
Karin Wördemann
Suhrkamp
Titel der Originalausgabe:
Mind and Cosmos: Why The Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False.
First Edition was originally published in English in 2012. This translation is published by arrangement with Oxford University Press.
Erstmals erschienen 2012 bei Oxford University Press. Die Übersetzung erscheint mit freundlicher Genehmigung von Oxford University Press.
Copyright © Oxford University Press 2012
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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013
Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2013.
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2013
© Thomas Nagel 2012
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Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner
eISBN 978-3-518-73437-7
www.suhrkamp.de
Vorwort
Kapitel 1: Einleitung
Kapitel 2: Der Antireduktionismus und die Ordnung der Natur
Kapitel 3: Bewusstsein
Kapitel 4: Kognition
Kapitel 5: Wert
Kapitel 6: Schluss
Register
7Für Anne
Den größten Einfluss auf die in diesem Buch ausgedrückten Gedanken hatten auf sehr verschiedene Art und Weise Sharon Street und Roger White. Hinweise und Anregungen erhielt ich auch von den Diskussionen einer Forschungsgruppe zu Wissenschaft und Religion, die mit Unterstützung eines Mellon Foundation Distinguished Achievement Award am New York Institute of Philosophy arbeiten konnte. Ich bin der Mellon Foundation dankbar für die Ermöglichung dieses Forschungszusammenhangs. Die Gruppe, die sich von 2006 bis 2009 traf, brachte Lehrende und graduierte Studenten des Philosophie-Departments der New York University mit regelmäßigen oder gelegentlichen Teilnehmern anderer Universitäten und anderer Forschungsgebiete zusammen. Mein Dank gilt Street und White als Mitgliedern dieser Gruppe und ganz besonders Paul Boghossian, Laura Franklin-Hall, Philip Kitcher, Matthew Kotzen, H. Allen Orr, Alvin Plantinga, Elliott Sober und Michael Strevens. Elliott Sober las außerdem das Buchmanuskript für die Oxford University Press und machte mir nützliche Vorschläge. Einen Teil des Stoffes habe ich in dem Colloquium in Legal, Political, and Social Philosophy vorgestellt, das ich viele Jahre lang gemeinsam mit Ronald Dworkin geleitet habe, und ich möchte ihm und den anderen Teilnehmern für ihre Hilfe danken. In Anbetracht des unorthodox ausgefallenen Ergebnisses wird ein solcher Dank hoffentlich nicht anstößig sein.
10Während der Arbeit an diesem Buch erhielt ich Forschungsfinanzierung des Filomen D’Agostino and Max E. Greenberg Faculty Research Fund of New York University School of Law.
New York, im Oktober 2011
Es ist die Absicht dieses Buchs, einsichtig zu machen, dass das Körper-Geist-Problem nicht bloß ein lokal begrenztes Problem ist, das mit dem Verhältnis zwischen Geist, Gehirn und Verhalten bei lebendigen tierischen Organismen zu tun hat, sondern dass dieses Problem unser Verständnis des gesamten Kosmos und dessen Geschichte vollkommen durchdringt. Die physikalischen Wissenschaften und die Evolutionsbiologie lassen sich nicht davon isolieren, und ich glaube, eine echte Würdigung der Schwierigkeit des Problems muss schließlich auch unsere Vorstellung vom Stellenwert der physikalischen Wissenschaften für die Beschreibung der Naturordnung verändern.
Eine legitime Aufgabe der Philosophie ist unter anderem die Untersuchung der Grenzen, die selbst noch den am weitesten entwickelten und erfolgreichsten Formen wissenschaftlichen Wissens unserer Zeit gesetzt sind. Es mag zwar eine frustrierende Einsicht sein, doch wir befinden uns schlicht an einem Punkt in der Geschichte des menschlichen Denkens, an dem wir auf uns selbst stoßen, und unsere Nachfahren werden Entdeckungen machen und Formen des Verstehens entwickeln, von denen wir nicht einmal geträumt haben. Die Hoffnung der Menschen richtet sich geradezu süchtig auf eine abschließende Einschätzung, aber die intellektuelle Demut verlangt, dass wir der Versuchung widerstehen anzunehmen, dass Werkzeuge, wie wir sie jetzt besitzen, grundsätzlich ausreichen, 12um das Universum als Ganzes zu verstehen. Die Beschränkungen der Werkzeuge aufzuzeigen, ist, wer immer sich damit befassen mag, weniger eine wissenschaftsinterne Beschäftigung als eine philosophische Aufgabe – obwohl wir darauf hoffen können, dass es schließlich auch zur Entdeckung von neuen Formen des wissenschaftlichen Verstehens führen wird, wenn die Grenzen erkannt sind. Wissenschaftler sind sich durchaus im Klaren darüber, wie viel sie nicht wissen, doch hier geht es um ein andersartiges Problem – es geht nicht bloß um die Anerkennung der Grenzen dessen, was tatsächlich verstanden wird, sondern um den Versuch zu erkennen, was sich prinzipiell mit bestimmten vorhandenen Methoden verstehen lässt und was nicht.
Zielscheibe meiner Argumentation ist ein umfassendes, spekulatives Weltbild, das durch Extrapolation aus einigen Entdeckungen der Biologie, Chemie und Physik erschlossen werden kann – eine bestimmte naturalistische Weltanschauung*, die eine hierarchische Beziehung unter den Gegenständen dieser Wissenschaften postuliert und durch ihre Vereinigung die grundsätzliche Vollständigkeit einer Erklärung für alles im Universum geltend macht. Eine solche Weltanschauung ist keine notwendige Bedingung für die Ausübung irgendeiner dieser Wissenschaften, und ihre Akzeptanz oder Nichtakzeptanz hätte im Großen und Ganzen keine Auswirkung auf die wissenschaftliche Forschung. Nach allem, was ich weiß, haben die in der Forschung tätigen Wissenschaftler meist keine dezidierte Meinung zu den umfassenden kosmologischen Fragen, auf die dieser materialistische Reduktionismus eine 13Antwort gibt. Ihre detaillierte Forschung und substanziellen Ergebnisse hängen im Allgemeinen nicht von dieser oder irgendeiner anderen Antwort auf solche Fragen ab oder implizieren eine derartige Antwort. Aber unter den Naturwissenschaftlern und Philosophen, die überhaupt Auffassungen zur Ordnung der Natur als Ganzes äußern, wird gemeinhin angenommen, dass der reduktive Materialismus die einzige ernsthafte Möglichkeit ist.[1]
Ausgangspunkt für meine Argumentation ist das Scheitern des psychophysischen Reduktionismus, eine Position in der Philosophie des Geistes, die weitgehend von der Erwartung motiviert ist, zeigen zu können, dass die physikalischen Wissenschaften im Prinzip eine Theorie von allem liefern könnten. Wenn diese Erwartung nicht realisierbar ist, kommt die Frage auf, ob nicht irgendein anderes, mehr oder weniger vereinheitlichtes Verständnis den gesamten Kosmos, so wie wir ihn kennen, erfassen könnte. Bei den traditionellen Kandidaten, die für ein umfassendes Verständnis der Beziehung zwischen Geist und physikalischer Welt stehen, spricht das Gewicht der Belege, denke ich, für irgendeine Form des neutralen Monismus im Vergleich zu den herkömmlichen Alternativen des Materialismus, Idealismus und Dualismus. Ich möchte gern die Möglichkeiten untersuchen, die mit dem, was wir wissen, vereinbar sind – insbesondere mit dem vereinbar sind, was wir darüber wissen, wie der Geist und alles, was mit ihm zusammenhängt, abhängt von dem Auftreten und der Entwicklung lebendiger Organismen als einem 14Ergebnis der physikalischen, chemischen und schließlich biologischen Evolution des Universums. Ich werde den Standpunkt vertreten, dass diese Prozesse im Licht dessen, was sie hervorgebracht haben, neu überdacht werden müssen, wenn der psychophysische Reduktionismus falsch ist.
Die Argumentation, die vom Scheitern des psychophysischen Reduktionismus ausgeht, ist eine philosophische Argumentation, doch ich meine, es gibt unabhängig davon empirische Gründe dafür, die Wahrheit des Reduktionismus in der Biologie skeptisch zu betrachten. Der physikalisch-chemische Reduktionismus in der Biologie ist die orthodoxe Sicht, und jeder Widerstand dagegen wird nicht nur als wissenschaftlich, sondern auch als politisch inkorrekt angesehen. Mir fällt es allerdings schon seit langem schwer, die materialistische Erklärung dafür, wie wir und andere Organismen entstanden sind, zu glauben, die maßgebliche Version, wie der Evolutionsprozess funktioniert, eingeschlossen. Je mehr Einzelheiten wir über die chemische Basis des Lebens und die Vertracktheit des genetischen Codes erfahren, desto unglaubwürdiger wird die gängige historische Erklärung.[2] Das ist lediglich die Meinung eines Laien, der sich ausgiebig mit der Literatur befasst, die den Nichtspezialisten die zeitgenössische Naturwissenschaft erklärt. Vielleicht stellt diese Literatur die Situation mit einer Schlichtheit und Zuversicht dar, die 15dem Denken auf höchstem Niveau in diesen Bereichen nicht entspricht. Ich habe aber den Eindruck, dass die gängige Orthodoxie zur kosmischen Ordnung, so wie sie normalerweise dargestellt wird, ein Produkt herrschender Annahmen ist, die nicht erhärtet sind, und dass diese Orthodoxie dem Alltagsverstand widerspricht.
Ich möchte die unqualifizierte Reaktion der Ungläubigkeit gegenüber der reduktionistischen, neodarwinistischen Erklärung für den Ursprung und die Evolution des Lebens verteidigen.[3] Es ist auf den ersten Blick höchst unplausibel, dass das Leben, wie wir es kennen, das Ergebnis einer Reihe physikalischer Zufälle im Zusammenspiel mit dem Mechanismus natürlicher Auslese sein soll. Man erwartet von uns, diese naive Reaktion aufzugeben, aber nicht zugunsten einer vollständig ausgearbeiteten physikalisch/chemischen Erklärung, sondern zugunsten einer Alternative, die in Wirklichkeit nur ein Denkschema für eine Erklärung ist und durch einige Beispiele gestützt wird. Was meines Wissens fehlt, ist ein glaubwürdiges Argument, wonach die ganze Geschichte mit nicht unwesentlicher Wahrscheinlichkeit wahr ist. Damit stellen sich zwei Fragen. Erstens, wie groß ist in Anbetracht dessen, was über die chemischen Grundlagen der Biologie und Genetik bekannt ist, die Wahrscheinlichkeit, dass sich selbst reproduzierende Lebensformen allein aufgrund der Wirkung der Gesetze der Physik und Chemie in der Frühzeit der Erde spontan entstanden sind? Die zweite 16Frage betrifft die Quellen der Variation im evolutionären Prozess, der in Gang gesetzt wurde, als das Leben begann: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge physikalischer Zufälle zu einer Reihe lebensfähiger genetischer Mutationen gekommen ist, die ausreichte, um der natürlichen Auslese in dem geologischen Zeitraum, der seit dem Auftreten von ersten Lebensformen auf der Erde verfügbar war, die Produktion der Organismen zu ermöglichen, die tatsächlich existieren?
In der Wissenschaftlergemeinde herrscht sehr viel mehr Unsicherheit hinsichtlich der ersten Frage als in Bezug auf die zweite. Viele Menschen glauben, dass es sehr schwierig sein wird, eine reduktionistische Erklärung für den Ursprung des Lebens zu finden, doch die meisten haben keinen Zweifel daran, dass die zufällige genetische Variation ausreicht, um die wirkliche Geschichte der Evolution durch natürliche Auslese zu stützen, sobald sich selbst vermehrende Organismen einmal entstanden sind. Da sich diese Fragen auf ganz spezielle Ereignisse innerhalb eines langen historischen Zeitraums in der fernen Vergangenheit beziehen, stehen Belege nur sehr indirekt zur Verfügung, und allgemeine Annahmen spielen somit eine wichtige Rolle. Meine Skepsis gründet sich nicht auf eine religiöse Überzeugung oder auf die Befürwortung irgendeiner festgelegten Alternative. Es handelt sich schlichtweg um die Überzeugung, dass uns die verfügbaren wissenschaftlichen Belege – trotz des bestehenden Konsenses der wissenschaftlichen Meinung – in dieser Angelegenheit vernünftigerweise nicht abverlangen, die Ungläubigkeit des Alltagsverstandes abzuwerten. Das gilt ganz besonders im Hinblick auf den Ursprung des Lebens.
Die Welt ist ein erstaunlicher Ort, und der Gedanke, 17dass wir über die wichtigsten Werkzeuge verfügen, die nötig sind, um sie zu verstehen, ist heute nicht glaubwürdiger als zu Aristoteles’ Zeiten. Dass die Welt Sie und mich und alle anderen hervorgebracht hat, ist das Erstaunlichste an ihr. Wenn die zeitgenössische Forschung in der Molekularbiologie die Möglichkeit offenlässt, legitime Zweifel zu hegen angesichts einer vollständig mechanistischen Darstellung von Ursprung und Evolution des Lebens, die einzig von den Gesetzen der Chemie und Physik abhängt, lässt sich dies zusammen mit dem Scheitern des psychophysischen Reduktionismus in der Vermutung bündeln, dass in der Naturgeschichte auch Prinzipien eines anderen Typs wirksam sind, Prinzipien einer Größenordnung, die ihrer logischen Form nach eher teleologisch statt mechanistisch sind. Mir ist klar, dass solche Zweifel vielen Menschen anstößig erscheinen mögen, was aber daran liegt, dass in unserer säkularen Kultur fast jeder der Einschüchterung erlegen ist, das reduktive Forschungsprogramm als sakrosankt aufzufassen, weil es heißt, dass alles andere keine Wissenschaft wäre.
Mein Vorhaben hat die vertraute Form eines Versuchs, einer Reihe von Bedingungen gerecht zu werden, die gemeinsam unmöglich erscheinen. Zusätzlich zum Antireduktionismus sind zwei weitere Einschränkungen zu berücksichtigen: erstens eine Annahme, dass bestimmte Dinge so bemerkenswert sind, dass sie als nichtzufällig erklärt werden müssen, wenn wir auf ein echtes Verständnis der Welt hinauswollen. Zweitens das Ideal, eine zusammenhängende Ordnung der Natur zu entdecken, die alles auf der Grundlage einer Reihe gemeinsamer Elemente und Prinzipien eint – ein Ideal, das die unweigerlich sehr unvollständigen Formen unseres gegenwärtigen Verste18hens nichtsdestoweniger anstreben sollten. Der cartesianische Dualismus verwirft diesen zweiten Anspruch, und die reduktiven Programme sowohl des Materialismus als auch des Idealismus sind gescheiterte Versuche, das Einheitsideal zu realisieren. Die vereinheitlichende Konzeption ist zudem mit einer solchen Form des Theismus unvereinbar, die bestimmte Charakteristika der natürlichen Welt durch ein göttliches Eingreifen erklärt, welches nicht Teil der Naturordnung ist.
Die großen Fortschritte in den physikalischen und biologischen Wissenschaften wurden durch den Ausschluss des Geistes aus der physikalischen Welt möglich gemacht. Dies erlaubte ein quantitatives Verständnis der Welt, das sich in zeitlosen, mathematisch formulierten physikalischen Gesetzen ausdrücken lässt. An irgendeinem Punkt wird es jedoch notwendig werden, bei einem umfassenderen Verständnis, das den Geist einschließt, neu anzusetzen. Es scheint unumgänglich zu sein, dass ein solches Verständnis sowohl eine historische als auch eine zeitlose Dimension haben muss. Der Gedanke, dass ein historisches Verständnis zur Naturwissenschaft gehört, ist uns aufgrund der Veränderung der Biologie durch die Evolutionstheorie mittlerweile vertraut. Doch in letzter Zeit ist mit der Akzeptanz der Urknalltheorie auch die Kosmologie zu einer historischen Wissenschaft geworden. Der Geist als eine Entwicklung des Lebens muss als das jüngste Stadium in diese lange kosmologische Geschichte mit eingeschlossen werden, und ich glaube, sein Auftreten wirft einen Schatten, der sich rückwirkend über den gesamten Prozess und über die Bestandteile und Prinzipien, auf denen der Prozess beruht, legt.
Die Frage ist, ob wir diese Perspektive auf die Perspek19tive der physikalischen Wissenschaften abstimmen können, da diese für ein geistloses Universum entwickelt worden sind. Das Verständnis des Geistes kann nicht darauf beschränkt bleiben, diesen im Bereich eines persönlichen Standpunkts zu belassen, weil der Geist das Erzeugnis eines teilweise physikalischen Prozesses ist; doch aus demselben Grund muss die Separiertheit der physikalischen Wissenschaft und deren Anspruch auf Vollständigkeit auf lange Sicht ein Ende haben. Und das wirft die Frage auf: In welchem Umfang wird die reduktive Form, die für die heutige physikalische Wissenschaft so zentral ist, diese Veränderung überleben? Wenn die Physik und die Chemie Leben und Bewusstsein nicht vollständig erklären können, wie wird dann ihre enorme Fülle an Wahrheit in einer erweiterten Konzeption der Naturordnung, die diesen Dingen Rechnung tragen kann, mit anderen Elementen zusammengebracht werden?
Zweifel an der reduktionistischen Erklärung des Lebens verstoßen, wie ich bereits sagte, gegen den herrschenden wissenschaftlichen Konsens. Aber dieser Konsens sieht sich mit Problemen der Wahrscheinlichkeit konfrontiert, von denen ich glaube, dass sie nicht ernst genug genommen werden, und zwar sowohl im Hinblick auf die Evolution der Lebensformen durch zufällige Mutation und natürliche Auslese als auch im Hinblick auf die Bildung physikalischer Systeme, die zu solcher Evolution fähig sind, aus toter Materie. Je mehr wir über die Kompliziertheit des genetischen Codes und dessen Steuerung der chemischen Lebensprozesse wissen, desto schwieriger erscheinen diese Probleme.
Um es noch einmal zu wiederholen: Im Hinblick auf die Evolution kann der Prozess natürlicher Auslese die 20tatsächliche Geschichte nicht erklären, ohne eine ausreichende Versorgung mit lebensfähigen Mutationen anzunehmen. Ich glaube, es bleibt weiter eine offene Frage, ob dieses Angebot geeigneter Mutationen in der geologischen Zeit lediglich aufgrund chemischer Zufälle zur Verfügung stand, ohne Zutun irgendwelcher anderer Faktoren, die die Formen der genetischen Variation bestimmen und beschränken. Es ist nicht länger legitim, sich einfach eine Abfolge sich allmählich weiterentwickelnder Phänotypen vorzustellen, so als ob ihr Auftreten durch Mutationen in der DNA unproblematisch wäre – in der Weise, wie es Richard Dawkins für die Evolution des Auges macht.[4]21Im Hinblick auf den Ursprung des Lebens ist das Problem viel schwerer zu lösen, da die Option der natürlichen Auslese als eine Erklärung nicht zur Verfügung steht. Und die Entstehung des genetischen Codes – eine willkürliche Gruppenzuordnung von Nucleotidsequenzen zu Aminosäuren, zusammen mit Mechanismen, die den Code lesen können und dessen Anweisungen ausführen können – sperrt sich offenbar besonders dagegen, bei alleiniger Zugrundelegung der physikalischen Gesetzmäßigkeit als wahrscheinlich hingestellt zu werden.[5]
Beim Nachdenken über diese Fragen bin ich von der Kritik angeregt worden, die von ganz anderer Seite an dem herrschenden wissenschaftlichen Weltbild geübt wird: dem Angriff auf den Darwinismus, der in den letzten Jahren von den Verfechtern des Intelligent Design aus einer religiösen Perspektive unternommen wurde. Obwohl Autoren wie Michael Behe und Stephen Meyer ihre Motivation zumindest teilweise aus ihren religiösen Überzeugungen beziehen, sind die empirischen Argumente, die sie gegen die Wahrscheinlichkeit anführen, dass sich der Ursprung des Lebens und dessen evolutionäre Geschichte vollends durch die Physik und Chemie erklären lassen, für sich genommen von großem Interesse.[6] Da22vid Berlinski, ein weiterer Skeptiker, hat diese Probleme anschaulich herausgearbeitet, ohne die Schlussfolgerung eines intelligenten Designs zu bemühen.[7] Selbst wenn man sich nicht zu der Alternative hingezogen fühlt, die eine Erklärung durch das Handeln eines Schöpfers vorsieht, sollten die Probleme, die diese Bilderstürmer für den orthodoxen wissenschaftlichen Konsens aufwerfen, ernst genommen werden.[8] Den Spott, mit dem man ih23nen gewöhnlich begegnet, verdienen sie nicht. Er ist offenkundig unfair.
Diejenigen, die diese Argumente ernsthaft kritisiert haben, haben sicherlich gezeigt, dass es Möglichkeiten gibt, sich dem Schluss auf einen intelligenten Plan zu widersetzen; die allgemeine Überzeugungskraft des negativen Teils in der Position des Intelligent Design – nämlich die Skepsis gegenüber der Wahrscheinlichkeit der orthodoxen reduktiven Auffassung in Anbetracht der vorhandenen Belege – ist in diesen Kontroversen meines Erachtens jedoch nicht zerstört worden.[9] Die Frage sollte zumindest als offen angesehen werden. Jedem, der an der Grundlage dieses Urteils interessiert ist, kann ich nur empfehlen, einige führende Vertreter auf beiden Seiten der Kontroverse sorgfältig zu lesen – mit besonderer Aufmerksamkeit für das, was von den Kritikern des Intelligent Design wirklich gezeigt wurde. Was immer man von der Möglichkeit eines Designers halten mag – die herrschende Lehre, wonach das Hervorgehen des Lebens aus toter Materie und dessen Evolution bis zu den gegenwärtigen Lebensformen durch 24zufällige Mutation und natürliche Auslese nichts weiter erfordert hat als die Wirkung der physikalischen Gesetzmäßigkeit, kann nicht als unangreifbar betrachtet werden. Sie ist eigentlich eine Annahme, die das wissenschaftliche Projekt leitet, und nicht etwa eine gut bestätigte wissenschaftliche Hypothese.
Hinsichtlich einer unbegründeten Annahme in Bezug auf meine Person bekenne ich, dass es mir nicht möglich ist, die Alternative eines höheren Plans als eine wirkliche Option anzusehen. Mir fehlt es am sensus divinitatis, der so viele Menschen befähigt – ja, sogar zwingt –, in der Welt ebenso selbstverständlich den Ausdruck göttlicher Absicht zu sehen, wie sie in einem lächelnden Gesicht den Ausdruck eines menschlichen Gefühls sehen.[10] Meine Spekulationen über eine Alternative zur Physik als einer Theorie von allem berufen sich also nicht auf ein transzendentes Wesen, sondern tendieren dazu, den immanenten Charakter der Naturordnung komplizierter zu veranschlagen. Das würde auch eine mehr vereinheitlichende Erklärung als die Hypothese eines höheren Plans sein. Anders als die Verfechter des Intelligent Design bin ich nicht der Meinung, dass die einzige naturalistische Alternative eine reduktionistische Theorie ist, die auf physikalischen Gesetzen des Typs aufbaut, der uns vertraut ist – eine Annahme, welche die Anhänger des Intelligent Design mit ihren Gegnern teilen. Gleichwohl verdienen die Verteidiger des Intelligent Design unsere Dankbarkeit, meine ich, für die Anfechtung einer wissenschaftlichen Weltanschauung, die einiges von der Leidenschaft, die 25von ihren Anhängern an den Tag gelegt wird, genau dem Umstand verdankt, dass sie dazu gedacht ist, uns von der Religion zu befreien.
Diese Weltanschauung ist reif für ihre Ablösung, trotz der großen Errungenschaften des reduktiven Materialismus, der vermutlich noch lange Zeit unsere wesentliche Quelle für das konkrete Verstehen und Beherrschen der uns umgebenden Welt sein wird. Wenn man geltend macht, dass es eine Menge gibt, was er nicht erklären kann, so wie ich es tun werde, heißt das nicht, dass man eine Alternative zu bieten hat. Aber die Anerkennung dieser Beschränkungen ist eine Vorbedingung dafür, nach Alternativen zu suchen oder wenigstens offen zu sein für die Möglichkeit von Alternativen. Und es könnte bedeuten, dass einige Richtungen, die sich der materialistischen Erklärungsform verschrieben haben, künftig als Sackgassen angesehen werden. Wenn das Auftreten von bewussten Organismen in der Welt auf Prinzipien der Entwicklung zurückgeht, die sich nicht aus den zeitlosen Gesetzen der Physik ableiten lassen, könnte das zudem ein Grund für Pessimismus sein, was die rein chemischen Erklärungen für den Ursprung des Lebens betrifft.
Der Konflikt zwischen dem wissenschaftlichen Naturalismus und den verschiedenen Formen des Antireduktionismus ist ein gängiges Thema der jüngeren Philosophie. Auf der einen Seite steht die Hoffnung, dass sich auf der grundlegendsten Ebene alles von den physikalischen Wissenschaften unter Einschluss der Biologie erklären lässt.[1] Auf der anderen Seite gibt es Zweifel daran, ob die Realität solcher Charakteristika unserer Welt wie Bewusstsein, Intentionalität, Bedeutung, Zweck, Denken und Wert in einem Universum berücksichtigt werden kann, das auf der elementarsten Ebene nur aus physikalischen Tatsachen besteht – Tatsachen des Typs, wie sie, ganz gleich wie anspruchsvoll, von den physikalischen Wissenschaften aufgedeckt werden.
Ich werde die Ausdrücke »Materialismus« oder »materialistischer Naturalismus« verwenden, um von der einen Seite dieses Konflikts zu sprechen, und den Ausdruck »Antireduktionismus« gebrauchen, wenn von der anderen Seite die Rede sein soll, auch wenn diese Bezeichnungen ziemlich grob sind. Die Versuche, das materialistische Weltbild als eine potenziell vollständige Darstellung 27dessen, was da ist, zu verteidigen, nehmen viele Formen an, und nicht alle von ihnen beinhalten eine Reduktion in dem gewöhnlichen Sinne, den wir etwa mit der Analyse mentaler Begriffe unter behaviouristischem Aspekt oder der wissenschaftlichen Gleichsetzung mentaler Zustände mit Gehirnzuständen verbinden. Viele materialistische Naturalisten würden ihre Auffassung nicht als reduktionistisch beschreiben. Aber für diejenigen, die die Angemessenheit einer solchen Weltanschauung bezweifeln, wirken die verschiedenen Versuche, den Geist und verwandte Phänomene darin unterzubringen, allesamt wie Versuche, den wahren Umfang der Realität auf den Umfang einer gemeinsamen Basis zu reduzieren, die für diesen Zweck nicht ergiebig genug ist. Daher kann der Widerstand dagegen als Antireduktionismus zusammengefasst werden.
Normalerweise ist die Tendenz dieser antireduktionistischen Zweifel negativ. Sie laden zu der Schlussfolgerung ein, dass es manche Dinge gibt, die die physikalischen Wissenschaften allein nicht vollständig erklären können. Dazu werden vielleicht andere Formen des Verstehens benötigt, oder es ist eben mehr dran an der Realität, als es selbst eine vollendet entwickelte Physik zu beschreiben vermag. Wenn die Reduktion in einer gewissen Hinsicht versagt, offenbart dies eine Grenze für die Reichweite der physikalischen Wissenschaften, die deshalb zur Erklärung der fehlenden Elemente mit etwas anderem ergänzt werden müssen. Die Situation könnte aber auch noch ernster sein. Wenn man an der Reduzierbarkeit des Geistigen auf das Physikalische Zweifel hegt und desgleichen an der Reduzierbarkeit aller anderen Dinge, die mit dem Geistigen einhergehen, wie etwa Wert und Bedeutung, dann gibt es 28einigen Grund, daran zu zweifeln, ob ein reduktiver Materialismus auch nur in der Biologie anwendbar ist. Und deshalb gibt es auch Anlass zu zweifeln, ob der Materialismus überhaupt eine angemessene Darstellung von der physikalischen Welt geben kann. Ich möchte die Argumente für diesen Zusammenbruch untersuchen und überlegen, ob im Anschluss daran irgendetwas Positives im Sinne einer Weltanschauung vorstellbar ist.
29zentralen Faktum macht, anstatt zu einer Nebenwirkung der physikalischen Gesetzmäßigkeit.