»Liebeläutend zieht durch Kerzenhelle, / Mild, wie Wälderduft, die Weihnachtszeit …« – so besinnlich geht es bei Joachim Ringelnatz zur Weihnachtszeit nicht immer zu. Mit skurrilem Witz, der Lust am Unsinn, aber auch mit melancholischer Zartheit bedichtet Ringelnatz das Fest der Liebe: die kindliche Vorfreude, den ersten Schnee, Pfannkuchen, Punsch und Zuckerschaum, Bowle und Bordelle.
Joachim Ringelnatz wurde 1883 als Hans Bötticher in Wurzen in Sachsen geboren. Seine Gedichtbände veröffentlichte er unter verschiedenen Pseudonymen, von Kuttel Daddeldu bis Joachim Ringelnatz in späteren Jahren. Er starb 1934 in Berlin.
Weihnachten mit
Joachim Ringelnatz
Ausgewählt
und mit einem Nachwort versehen
von Ute Maack
Insel Verlag
eBook Insel Verlag Berlin 2015
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4405.
© Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2007
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Umschlagabbildung: Hans Traxler, Frankfurt am Main
Umschlaggestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
Satz: Satz Offizin Hümmer, Waldbüttelbrunn
eISBN 978-3-458-74263-0
www.insel-verlag.de
Des Jahres Feste
Herbst
Es schneit
Weihnachten
Vorfreude auf Weihnachten
Schenken
Kindergebetchen. Drittes
Wünsche
Der Weihnachtsbaum
Bist du nie durch verschneite Nächte gegangen
Draußen und Drinnen
Weihnacht zur See
Am Weihnachtsabend
Kuttel Daddeldu und die Kinder
Einsiedlers Heiliger Abend
Wenn wir im Mildsein
Helfen
Zu einem Geschenk
Heimweh?
Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu
Draußen schneit's
Ich ward beschenkt für ein Gedicht
Alles, was ich in schlichten Feierstunden
Traurig geworden
Schnee
Ruf zum Sport
Silvester (Daß bald das neue Jahr beginnt)
Was würden Sie tun, wenn Sie das neue Jahr regieren könnten?
Silvester (Es gibt bei Armen und Reichen)
In der Neujahrsnacht
Silvester (Wenn der Christbaumschmuck)
Stelzebehns Silvesterfest
Flugzeug am Winterhimmel
Silvester bei den Kannibalen
Der letzte Tag vergangnen Jahrs
Der Glückwunsch
Eis-Hockey
Lebhafte Winterstraße
Stille Winterstraße
Neujahrsnachtfahrt
Simplicissimus-Träume. 3. Traum
Berlin, Dezember 1923
Winterflug 1929
Die neuen Fernen
Nachwort
Quellenverzeichnis
Alphabetisches Verzeichnis der Titel und Gedichtanfänge
Aber das ist ja überall nahezu das gleiche. Zum Geburtstag wurde man beschenkt und genoß besondere Nachsicht, besondere Aufmerksamkeiten.
Ostern legte der Osterhase, legten später Eltern, Tanten und Großmama Eier in immer größeren Formaten.
Pfingsten spielte keine sonderliche Rolle, da mein Vater ein Mann in freiem Beruf war.
Der Weihnachtsbescherung gingen besondere intime, überlieferte oder eingeführte Gebräuche, Scherzchen und Sentimentalitäten voraus, und ebensolche familiär geheiligte Bräuche folgten. Es liegt mir fern, mich darüber lustig zu machen. Ich will nur hier auf das in allen Variationen so oft geschilderte Thema nicht weiter eingehen. Weihnachten war auch uns Kindern in jedem Jahr das Fest der Seligkeit, der Herzlichkeit, der Anhänglichkeit, des Reichtums, des Glücks.
Und zu Silvester kriegten wir Pfannkuchen, durften Punsch trinken und um Mitternacht leicht angeheitert am offenen Fenster lauschen. Draußen, drunten läuteten die Glocken, rief man »Prost Neujahr«, knallte Feuerwerk. Auch wir durften einmal mutig, als wär's was, aus dem Fenster brüllen: »Prost Neujahr!«
Der Herbst schert hurtig Berg und Tal
Mit kalter Schere ratzekahl.
Der Vogel reist nach warmer Ferne;
Wir alle folgten ihm so gerne.
Das Laub ist gelb und welk geworden,
Grün blieb nur Fichte noch und Tann'.
Huhu! Schon meldet sich im Norden
Der Winter mit dem Weihnachtsmann.
Es schneit dicke Flocken,
Nicht warm, aber frisch gebacken.
Die setzen sich in meine Dichterlocken,
In meinen Schiebernacken,
Auf meine Smoking-Socken.
Sie machen den Polizisten
Gemütlich zum Weihnachtsmann.
Da legen die Touristen
Ihre Polarausrüstung an.
Wir wollen uns alle zusammentun,
Um den Beschluß zu fassen:
Es dürfen alle Sachsen von nun
An nicht mehr ihr Land verlassen.
Sie querten mit wilder Behaglichkeit
Karlmayisch gedachte Fernen
Und blieben Sachsen. Es wird für sie Zeit,
Sich selbst erst mal kennenzulernen.
Es schneit.
Wenn hundert Leute sich einig sind,
Dann fühlen sich die als Giganten
Und schwafeln vor einem vernünftigen Kind
Wie taube verwunschene Tanten.
Es schneit. Wie in unserer Kinderzeit.
Zum Wintersport eingeladen,
Gehe ich schlafen. Es schneit. Es schneit.
Es schneit für den Landmann Kuhfladen.
Es schneit für die Zukunft Straßendreck.
Auf Gräber schneit's weiße Rosen.
Doch es schneit Erbsensuppe mit Speck
In die Taschen der Arbeitslosen.
Liebeläutend zieht durch Kerzenhelle,
Mild, wie Wälderduft, die Weihnachtszeit,
Und ein schlichtes Glück streut auf die Schwelle
Schöne Blumen der Vergangenheit.
Hand schmiegt sich an Hand im engen Kreise,
Und das alte Lied von Gott und Christ
Bebt durch Seelen und verkündet leise,
Daß die kleinste Welt die größte ist.
Ein Kind – von einem Schiefertafel-Schwämmchen
Umhüpft – rennt froh durch mein Gemüt.
Bald ist es Weihnacht! – Wenn der Christbaum blüht,
Dann blüht er Flämmchen.
Und Flämmchen heizen. Und die Wärme stimmt
Uns mild. – Es werden Lieder, Düfte fächeln. –
Wer nicht mehr Flämmchen hat, wem nur noch Fünkchen glimmt,
Wird dann doch gütig lächeln.
Wenn wir im Traume eines ewigen Traumes
Alle unfeindlich sind – einmal im Jahr! –
Uns alle Kinder fühlen eines Baumes.
Wie es sein soll, wie's allen einmal war.
Schenke groß oder klein,
Aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten
Die Gaben wiegen,
Sei dein Gewissen rein.
Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei,
Was in dir wohnt
An Meinung, Geschmack und Humor,
So daß die eigene Freude zuvor
Dich reichlich belohnt.
Schenke mit Geist ohne List.
Sei eingedenk,
Daß dein Geschenk
Du selber bist.
Drittes
Lieber Gott mit Christussohn,
Ach schenk mir doch ein Grammophon.
Ich bin ein ungezognes Kind,
Weil meine Eltern Säufer sind.
Verzeih mir, daß ich gähne.
Beschütze mich in aller Not,
Mach meine Eltern noch nicht tot
Und schenk der Oma Zähne.
Was wir in kläglicher Naivität
Uns wünschen, das greift unverschämt zurück
Und kommt zu spät.
Wer erntet jemals wohl ein Glück,
Das er nur fett gedüngt, doch nie gesät.
Es treiben hohle Wünsche leeres Spiel.
Es finden dumme Wünsche dummes Ziel.
Es wünscht sich Müdigkeit ins Ungefähre:
»Ach wenn es doch nun bald zu Ende wäre.«
Und Rührendes, was niemals ausgesprochen,
Vermodert unerkannt in Fleisch und Knochen.
Jetzt – (da ein Abendessen sich vollzieht) –
Wünsch ich den andern »guten Appetit«!