Inhalt

Titel

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Impressum

Cover

NALINI SINGH

ENGELSBANN

Gilde der Jäger

Ins Deutsche übertragen von

Cornelia Röser

1

Noels Versetzung ins üppig grüne Louisiana bedeutete wohl einen beruflichen Aufstieg für ihn, dennoch war seine neue Anstellung ein zweischneidiges Schwert. Zwar gehörte die Gegend zu Raphaels Herrschaftsgebiet, aber der Erzengel hatte die alltäglichen Regierungsangelegenheiten der sechshundert Jahre alten Engelsfrau Nimra übertragen. Sie war nicht annähernd so alt wie Raphael, aber doch alt genug auch wenn bei den Unsterblichen nicht allein das Alter für das Ausmaß ihrer Macht ausschlaggebend war.

In ihren zarten Knochen besaß Nimra mehr Kraft als andere Engel, die doppelt so alt waren wie sie, und sie herrschte seit achtzig Jahren über dieses Gebiet. Nimra war schon eine Machtfigur gewesen, als ihre Altersgenossen noch an den Höfen ihrer Dienstherren gearbeitet hatten. Das war kaum überraschend, denn man sagte der Engelsfrau einen eisernen Willen und erbarmungslose Grausamkeit nach.

Noel war kein Dummkopf. Deshalb wusste er, dass seine »Beförderung« in Wahrheit ein unausgesprochenes, scharfes Urteil war: Er war nicht mehr der Mann, der er einmal gewesen war und er wurde nicht mehr gebraucht. Er ballte die Hand zur Faust. Das aufgerissene, blutverschmierte Fleisch, die gebrochenen Knochen, das Glas, das die Diener eines rasenden Engels in seine Wunden getrieben hatten, von all dem war dank seines Vampirismus nichts mehr übrig. Geblieben waren nur die Albträume und die seelischen Verletzungen.

Wenn Noel in den Spiegel blickte, sah er darin nicht mehr denselben Mann wie früher. Er sah vielmehr ein Opfer, jemanden, den man zu Brei geschlagen und dann achtlos seinem Schicksal überlassen hatte. Sie hatten ihm die Augen genommen, die Beine zerschmettert und so lange die Finger zerquetscht, bis seine Knochen in kleine Stücke zersplittert waren. Der Genesungsprozess war grausam gewesen und hatte ihn jeden Funken seiner Willenskraft gekostet. Doch wenn diese beleidigende Anstellung nun seine Bestimmung sein sollte, wäre es ihm lieber gewesen, er hätte nicht überlebt. Vor dem Angriff war er in der engeren Wahl für eine Stellung im Erzengelturm gewesen, von dem aus Raphael über Nordamerika herrschte. Jetzt war er ein zweitrangiger Wachmann an einem der finstersten Höfe.

Und im Zentrum dieses Hofes stand Nimra.

Sie war nur einen Meter fünfzig groß und hatte einen ausgesprochen zierlichen Körperbau. Doch der Engel war trotzdem keine knabenhaft wirkende Erscheinung, im Gegenteil. Nimras Kurven hatten vermutlich schon viele Männer ins Verderben getrieben. Ihre Haut schimmerte wie geschmolzene Sahnebonbons und ihre wallenden Locken fielen blauschwarz glänzend auf ihr Gewand herab, das in der Farbe von dunkler Jade leuchtete. Die Verspieltheit, mit der die fülligen Locken über ihren Rücken flossen, passte weder zu ihrem Ruf noch zu dem kalten Herzen, das in Nimras sündigem, verführerischem Busen schlug einem Busen, der beinahe zu üppig für ihren Körperbau war.

Als hätte sie seinen prüfenden Blick gespürt, sah sie Noel scharf an. Ihre Augen gefärbt wie kräftiger gelber Topas, durchzogen von schimmernden Bernsteinfunken blickten streng und bohrend. Während Nimra ihn so mit ihren Augen fixierte, durchquerte sie den großen Raum, den sie für Audienzen nutzte. Die einzigen Geräusche waren das Rascheln ihrer Flügel und das zarte Geräusch, mit dem ihr Gewand über ihre Haut strich.

Sie kleidete sich wie ein Engel aus früheren Tagen; die ruhige Eleganz ihrer Gewänder erinnerte ihn an das antike Griechenland. Er war damals noch nicht auf der Welt gewesen, hatte aber die Gemälde gesehen, die in der Zufluchtsstätte, der Engelsfestung, aufbewahrt wurden. Außer ihr hatte er schon andere Engel gesehen, die sich weiterhin in einem solchen Stil kleideten, da sie ihn als deutlich majestätischer empfanden als die Kleidung der Neuzeit. Doch keiner von ihnen war mit Nimra zu vergleichen: Mit ihrem Gewand, das an den Schultern von schlichten Goldspangen und an der Taille von einem schmalen geflochtenen Band in der gleichen Farbe zusammengehalten wurde, hätte man Nimra für eine antike Göttin halten können.

Schön.

Mächtig.

Tödlich.

»Noel«, sagte sie, und im Klang seines Namens schwang ein Akzent mit, der zu dieser Region gehörte, in dem aber zugleich noch andere Orte und Zeiten nachhallten. »Du wirst mich begleiten.« Mit diesen Worten rauschte sie aus dem Zimmer. Ihre Flügel hatten einen satten, tiefen Braunton, durchzogen von glitzernden Fasern, in denen sich die Farbe ihrer Augen wiederholte. Diese Flügel, die sich über Nimras Schultern wölbten und zart über den glänzenden Holzfußboden strichen, nahmen sein ganzes Blickfeld ein, als er sich umwandte, um ihr zu folgen.

Der erlesene Farbton ihrer Schwingen passte nicht recht zu der kalten Hinterhältigkeit dieses finsteren Hofes, sondern eher zu der beständigen Ruhe von Bäumen und der Erde. Zumindest in diesem Punkt trog der Schein nicht. Nimras Zuhause war ganz anders, als er erwartet hatte: ein ausladendes, elegantes altes Anwesen mit himmelhohen Decken auf einem ausgedehnten Grundstück, das etwa eine Stunde außerhalb von New Orleans lag. Ihr Haus hatte zahlreiche Fenster, und jede Etage war von Balkonen umgeben. Die meisten davon hatten kein Geländer schließlich waren sie für das Haus eines geflügelten Wesens gemacht. Auch das Dach war speziell für Engel konstruiert. Es fiel schräg ab, jedoch nicht in einem spitzen Winkel, sondern so flach, dass es beim Landen keine Gefahr darstellte.

So schön das Haus auch sein mochte, war es doch der Garten, der dem Anwesen seinen besonderen Reiz verlieh. Die Überfülle von exotischen und gewöhnlichen Blüten, die vielen, vom Alter knorrigen Bäume neben jungen, noch kleineren Pflanzen, all das strahlte einen Hauch von Frieden aus. Es war die Art von Frieden, in dem sich ein gebrochener Mann niederlassen konnte, um wieder zu sich selbst zu finden. Doch während er Nimra folgte, dachte Noel, dass er höchstwahrscheinlich niemals zurückgewinnen würde, was man ihm bei diesem Angriff aus dem Hinterhalt genommen hatte. Er war dabei so übel zugerichtet worden, dass sein Gesicht zunächst nicht mehr wiederzuerkennen und sein Körper nur noch ein Haufen Fleisch gewesen war.

Vor einer großen hölzernen Flügeltür, die mit filigranen Schnitzereien von blühendem Jasmin verziert war, hielt Nimra inne und warf Noel einen erwartungsvollen Blick über die Schulter zu, als dieser hinter ihr stehen blieb. »Die Tür«, sagte sie, und er war sicher, aus ihrer Stimme, in der die melodische Note der Cajuns mitschwang, eine Spur von Belustigung herauszuhören.

Darauf bedacht, ihre Schwingen nicht zu berühren, ging er um sie herum und öffnete einen der Türflügel. »Entschuldige.« Die Worte klangen rau, denn in letzter Zeit hatte er seine Kehle nicht oft zum Sprechen benutzt. »Ich bin es nicht gewohnt, dass ich ein« Mitten im Satz brach er ab. Er hatte keine Ahnung, als was er sich bezeichnen sollte.

»Komm mit.« Nimra ging einen von Fenstern gesäumten Korridor entlang. Die versiegelten Holzfußböden waren in das flüssige, üppige Sonnenlicht dieses Ortes getaucht, der die kühne Schönheit von New Orleans und eine ältere, ruhigere Eleganz in sich vereinte. Auf allen Fenstersimsen standen erdfarbene Töpfe, aus denen die fröhlichsten, überraschendsten Farben hervorquollen Stiefmütterchen und Wildblumen, Gänseblümchen und Chrysanthemen.

Noel musste gegen seinen Wunsch ankämpfen, über die Blütenblätter zu streichen, um ihre samtige Weichheit an seinen Fingern zu spüren. Dieser unerwartete Drang veranlasste ihn, sich in sich zurückzuziehen und nach außen hin abzuschotten. An diesem Hof, wo man ihn vergammeln lassen wollte, durfte er sich keine Schwäche erlauben. Zu nahe lag der Gedanke, alle würden nur darauf warten, dass er am Leben verzweifelte und zu Ende brachte, was seine Angreifer begonnen hatten.

Er presste die Lippen zusammen, als Nimra wieder das Wort ergriff. Während ihre Stimme wie rohe Seide klang jener Tonfall, in dem Erotik und Lust mitschwangen, die möglicherweise auch wildere und sadistischere Züge annehmen konnten –, waren ihre Worte pragmatisch. »Wir werden uns in meinen Gemächern unterhalten.«

Besagte Gemächer lagen hinter einer weiteren hölzernen Flügeltür, die mit Bildern von exotischen, durch blütenschwere Bäume schwirrenden Vögeln bemalt war. Nichts in diesen femininen, hübschen Bildern deutete auf die Härte hin, die Teil von Nimras Ruf war. Aber wenn Noel nach den mehr als zweihundert Jahren seiner Existenz eines wusste, dann war es Folgendes: Jedes Wesen, das mehr als ein halbes Jahrtausend alt war, hatte längst zu verbergen gelernt, was andere nicht sehen sollten.

Wachsam folgte er ihr ins Zimmer und schloss die bemalten Türen lautlos hinter sich. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, doch es waren nicht diese eleganten, weißen Möbel, die zahlreichen Kissen in den bunten Farben von Edelsteinen, das durch die geöffneten Glastüren von außen einfallende, fließende Sonnenlicht oder die zerlesenen Bücher auf dem Beistelltisch. Die Pflanzen überraschten ihn nicht mehr, sie vermittelten ihm hingegen ein Gefühl von Freiheit, da er sich gleichzeitig wie erstickt fühlte. Er war in seinem gebrochenen Selbst ebenso gefangen wie in seinem Diensteid und seinen Verpflichtungen gegenüber Raphael und nun auch Nimra.

Die Engelsfrau ging zu den Glastüren, um sie zu schließen und damit die Welt auszusperren, bevor sie sich wieder zu ihm umwandte. »Wir werden uns ungestört unterhalten.«

Noel nickte steif, als ihm plötzlich ein schmerzhafter Gedanke in den Sinn kam. Einige Engel, vor allem die alten und abgestumpften, fanden Gefallen daran, sich Liebhaber zu nehmen, die sie ganz in ihrer Gewalt hatten. Sie behandelten diese Liebhaber wie Frischfleisch, das benutzt und anschließend entsorgt wurde. So etwas wollte Noel niemals sein, und wenn Nimra das von ihm erwartete

Er war ein Vampir, ein beinahe Unsterblicher, der über zweihundert Jahre Zeit gehabt hatte, um seine Macht zu entfalten. Vielleicht würde sie ihn töten, aber vorher würde er ihr Blut vergießen. »Was wünschst du von mir?«

Nimra nahm die Drohung hinter diesen äußerlich höflichen Worten wahr und fragte sich, wen Raphael ihr da eigentlich geschickt hatte. Sie hatte einen Gelehrten, den sie aus der Zufluchtsstätte kannte, einige diskrete Nachforschungen anstellen lassen und so von dem entsetzlichen Angriff erfahren, den Noel überlebt hatte. Doch der Mann selbst blieb ihr ein Mysterium. Auf ihre Bitte hin, ihr mehr als nur die bloßen Fakten über den Vampir mitzuteilen, den Raphael an ihren Hof entsandte, hatte dieser nur gesagt: »Er ist loyal und hochbegabt. Er ist genau das, was du brauchst.«

Wovon der Erzengel nichts erwähnt hatte, waren Noels durchdringend eisblaue Augen, in denen sich so viele Schatten verbargen, dass sie sie beinahe berühren konnte, und sein Gesicht, das aus dem härtesten Stein gemeißelt zu sein schien. Er war kein schöner Mann dafür waren seine Züge zu herb und doch würde es ihm niemals an weiblicher Aufmerksamkeit fehlen, denn er war sehr, sehr männlich. Mit seinem kantigen Gesicht, dem tiefen Braun seiner Haare und seinem starken, muskulösen Körper zog er die Blicke auf sich ganz wie ein Berglöwe.

Obwohl er sich mit seiner blauen Jeans und dem weißen T-Shirt so völlig von den anderen Männern an ihrem Hof unterschied, die einen formelleren Kleidungsstil bevorzugten, stellte er sie mit der stillen Intensität seiner Ausstrahlung doch allesamt in den Schatten.

Nun drohte dieser Mann, dessen maskuline Energie im krassen Gegensatz zu der femininen Möblierung stand, in ihren eigenen Gemächern die Oberhand zu gewinnen.

Es verärgerte sie, dass dieser Vampir von gerade einmal zweihundert Jahren solche Gefühle in ihr wecken konnte, schließlich war sie ein Engel und genoss neben dem Respekt anderer Engel, die mehr als doppelt so alt waren wie sie, auch das Vertrauen eines Erzengels. Deshalb ließ sie in ihrer Stimme ihre Macht anklingen, als sie fragte: »Würdest du mir jeden Wunsch erfüllen?«

Gepresst stieß er hervor: »Ich werde niemandes Sklave sein.«

Nimra blinzelte irritiert, als plötzlich die düstere Erkenntnis einsetzte, was er damit andeutete. Es schmeichelte ihrer Eitelkeit nicht gerade, dass er annahm, sie müsste ihre Liebhaber zwingen, ihr gefügig zu sein. Auf der anderen Seite wusste sie genug über ihre Artgenossinnen, um einzusehen, dass dieser Gedanke nicht ganz unberechtigt war. Dass es ihm jedoch direkt als Erstes in den Sinn gekommen war Nein, dachte sie, wenn Noel auf diese Weise missbraucht worden wäre, hätte Raphael sie mit Sicherheit gewarnt. Andererseits war der Erzengel, in dessen Körper die Macht lag, Städte dem Erdboden gleichzumachen und Imperien niederzubrennen, sein eigenes Gesetz. Sie konnte nichts als sicher voraussetzen.

»In der Sklaverei«, sagte sie und wandte sich der nächsten Tür zu, »liegt für mich keine Herausforderung. Den Reiz daran habe ich nie verstanden.«

Während er ihr folgte, kam es ihr vor, als würde sie eine riesige Bestie an der Leine führen und als wäre diese Bestie ganz und gar nicht glücklich über ihre Lage. Er faszinierte sie, wenn es ihr auch ein Dorn im Auge war, dass dieser Vampir, den ihr Raphael auf ihre Anforderung hin geschickt hatte, so viel Macht in sich trug. Natürlich war genau das die Krux an der Sache: Noel war Raphaels Mann, und Raphael duldete keine Schwächlinge.

Als sie schließlich in ihrem eigenen Gemach angelangt waren, bedeutete sie ihm mit einem Nicken, die Tür hinter sich zu schließen. Noch vor einem Monat hätte sie nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, solche Maßnahmen zu ergreifen so großes Vertrauen hatte sie in die Angehörigen ihres Hofes gehabt. Doch jetzt Mit diesem Schmerz musste sie nun seit vierzehn Tagen leben, und es wurde nicht leichter, ihn zu ertragen.

Sie ging an dem glatten, gepflegten Holztisch unter dem großen Fenster vorbei, an dem sie oft saß, um ihre private Korrespondenz zu verfassen, und öffnete die oberen Türen eines an der Wand stehenden Schrankes. Mit säuselnder Zärtlichkeit strichen die gerollten Ranken eines zarten Farns über ihren Handrücken, als sie die Tür zu einem Objekt freilegte, das wie ein einfacher Tresor aussah, das aber kein Einbrecher würde öffnen können.

Nachdem sie eine kleine, bis zur Hälfte mit einer lumineszierenden Flüssigkeit gefüllte Phiole herausgenommen hatte, drehte sie sich um und sagte zu dem Mann, der reglos wie Stein einige Schritte von ihr entfernt stand: »Weißt du, was das ist?«

Seine Miene war verschlossen, doch das minderte nicht die Intelligenz, die in seinem durchdringenden Blick lag. »Ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen.«

So wunderschön, dachte sie, als sie die Phiole ins Licht hielt und die Farben durch die Bewegung darin durcheinanderwirbelten und schäumten. In das Kristallglas selbst war nur eine einzige Sigille eingelassen, die für ihren Namen stand, und außerdem dünne Zierlinien aus feinem Gold. »Das liegt daran, dass diese Flüssigkeit mehr als selten ist«, sagte sie leise. »Sie wird aus einer Pflanze gewonnen, die man im tiefsten, undurchdringlichsten Teil des Regenwaldes von Borneo findet.« Sie trat auf Noel zu und hielt ihm die Phiole hin.

In seiner großen Hand sah das Fläschchen geradezu lächerlich klein aus, wie ein Spielzeug, das man einem danach weinenden Kind gestohlen hatte. Er hielt es sich vor die Augen und neigte es vorsichtig zur Seite. Die Flüssigkeit verteilte sich von Innen auf dem Kristallglas und brachte dessen Oberfläche zum Leuchten. »Was ist es?«

»Mitternacht.« Sie nahm die Phiole wieder an sich und legte sie auf dem Schreibtisch ab. »Eine Spur davon tötet einen Menschen, ein größerer Hauch versetzt einen Vampir ins Koma, und schon sieben Gramm reichen aus, um dafür zu sorgen, dass die meisten Engel unter achthundert Jahren für zehn lange Stunden nicht mehr aufwachen.«

Ruckartig hob Noel den Blick und sah ihr in die Augen. »Dein zukünftiges Opfer hat also nicht den Hauch einer Chance.«

Seine Schlussfolgerung überraschte sie nicht angesichts ihres Rufs war nichts anderes zu erwarten gewesen. »Ich besitze es seit dreihundert Jahren. Es war das Geschenk eines Freundes, der glaubte, ich würde es eines Tages vielleicht brauchen können.« Ihre Mundwinkel hoben sich bei dem Gedanken an den Engel, der ihr diese tödlichste aller Waffen gegeben hatte wie unter Menschen vielleicht ein großer Bruder seiner Schwester ein Messer oder eine Pistole geben würde. »In seinen Augen war ich immer zerbrechlich.«

Noel fand, dass dieser Freund sie nicht gut gekannt haben konnte. Nimra mochte zwar aussehen, als würde sie unter dem leisesten Druck zusammenbrechen, doch als dahinwelkende Lilie hätte sie Louisiana mit Sicherheit nicht gegen all die anderen Mächte in der weiteren Umgebung verteidigen können, zu denen auch der grausame Nazarach zählte. Da Noel selbst nicht so blind war, ließ er Nimra nicht aus den Augen, während sie ihm ihre exquisiten, einladenden Flügel zuwandte, die Phiole aufnahm und diese wieder in den Tresor legte.

Ihre geradezu fühlbare Schönheit war eine Falle, ein Köder, der die Unachtsamen dazu brachte, ihre Deckung fallen zu lassen. So arglos war Noel nie gewesen und seit den Ereignissen in der Zufluchtsstätte Falls es danach noch Reste von Arglosigkeit oder Unschuld in ihm gegeben hatte, waren sie inzwischen längst abgestorben.

»Vor zwei Wochen«, sagte Nimra halblaut, als sie die Türen des Schrankes schloss und sich wieder zu ihm umdrehte, »hat jemand versucht, mir Mitternacht unterzumischen.«