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Zum Autor
Henner Kotte, geboren 1963 in Wolgast, studierte Germanistik in Leipzig, Moskau und Dresden und arbeitet heute als Schriftsteller, Redakteur und Theaterkritiker. Zuletzt erschien »Augen für den Fuchs« (Kriminalroman, Rotbuch Verlag).
Ungelöste Kriminalfälle
aus der DDR
eISBN 978-3-86789-567-5
1. Auflage dieser Sonderausgabe
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Tatwaffe Tokarew?
Grimma 1949 – Der Mordfall Hermann Fiedler
Narben
Leipzig 1958 – Mordfall Ida Schulze
Russenliebchen
Niederschlema 1952 – Mordfall Margitta Schmidt
Kind im Schutt
Wiederitzsch 1961 – Mordfall Rüdiger Hölzig
Mädchenaugen
Schwarzenberg 1946 – Doppelmord: Traudl Deppe und Rosalie Fürweg
Quellen
Gut sieht er aus, auf dem Bild, der Hermann Fiedler. Das Foto zeigt ihn in Wehrmachtsuniform. Er lächelt nicht. Hermann Fiedler ist um die dreißig und arbeitet nach dem Kriege als Landarbeiter. Die Bäuerinnen, denen er beim Wirtschaften hilft, haben keine Klagen. Von seinen Arbeitgeberinnen bekommt Hermann Fiedler beste Zeugnisse. Sicher ist ihnen bekannt, dass der junge Mann Frauenbekanntschaften hatte. Warum nicht? Er könnte gefallen: Schlank, kräftig, blondes Haar, schmales Gesicht. Und in dieser Zeit … Männer waren zu Tausenden im Krieg geblieben. Andere waren noch nicht aus der Gefangenschaft heimgekehrt. Chancen hat er gehabt, Hermann Fiedler, und alle ausgeschlagen hat er sie nicht. Das weiß man.
»Es konnte ermittelt werden, dass der Verstorbene am Sonntag, den 9.1.1949, in der Zeit von 18.00 – 19.00 Uhr, die Bäuerin Korte, Barbara, wohnhaft: Schaddel Nr. 20, aufsuchen wollte. Diese wurde bei der Kriminalpolizei, Kreispolizeiamt Grimma, zur Sache gehört, konnte aber keine weiteren Auskünfte geben. Sie hatte den Fiedler, Hermann erst am 8.1.1949 kennengelernt. Sie war mit diesem für den 9.1.1949 verabredet.« War es ein Tanzvergnügen, bei dem Hermann Fiedler Barbara Korte an jenem Sonnabend, den 8. Januar begegnete? Trafen sich beide in Grimma, der Kreisstadt an der Mulde? Barbara Korte und Hermann Fiedler wohnten auf Dörfern. Zog es sie an freien Abenden in die Stadt wie heute junge Menschen auch?
Damals spielten die Kapellen in Gasthäusern Filmmelodien vergangener Jahre und neue Hits. Swing war Mode und Ärgernis:
»Beine schütteln, Glieder rütteln
Arme schwenken, Leib verrenken
Köpfe drehen, Mähnen wehen
Seufzer tönen, Menschen stöhnen
Mündchen plappern, Hacken klappern
In aller Augen wilder Glanz
das ist Tanz
…
Ich vergaß hinzuzufügen
Was ich besser hätt’ verschwiegen
Trotz Tuscheln, Lachen, Hohngekicher
Lieb ich dich, Swing, du Fürchterlicher«
Vielleicht gehörte Hermann Fiedler zu diesen Swingenthusiasten, wie der Verfasser dieser Liebeserklärung. 1948 hatte man diese Verse in der Zeitschrift Melodie abgedruckt.
Vielleicht saß Barbara Korte mit Freundinnen bei einem Glas Wein, als sich Hermann Fiedler ihr vorstellte. Hat er sich überwinden müssen? Hat er nach einem letzten Schluck Bier gesagt: »Junge, es gilt!« Und dann ist er über die Tanzfläche auf die junge Frau zugekommen und hat sie zum Tanze gebeten? Und Barbara Korte sagte: »Ja.«
Vielleicht spielte die Kapelle Bully Buhlans »Das Leben ist zur Zeit, keine Kleinigkeit«. Vielleicht sang einer wie Werner Schmah »Schau mich bitte nicht so an, du weißt es ja, ich kann dir dann nicht widerstehen«. Vielleicht verlief der Abend wirklich so, wie Rita Paul behauptete:
»Ein verliebtes, junges Mädchen
ein verliebter, junger Mann
schauten sich in die Augen
ja, so fängt es immer an
Nach den ersten zehn Minuten
schickte er sich schüchtern an
seine Liebe zu gestehen
ja, so fängt es immer an
Bei rotem Licht und Tanzmusik
fühlte sie sich schon im höchsten Glück
und denkt, es wär’ so wunderschön
zu zwei’n spazier’n zu gehen
Darf ich sie nach Haus’ begleiten?
flüstert leis’ der junge Mann
Arm in Arm sie nun schon schreiten
ja, so fängt es immer an«
Hat Hermann Fiedler am Schluss der Veranstaltung gefragt: »Sehen wir uns wieder?« Und Barbara Korte hatte geantwortet: »Möglich. Wenn du willst morgen. Am Nachmittag zum Kaffee.« – »Ich kann erst ab sechs«, muss ihr Hermann Fiedler gesagt haben.
Hat Hermann seine neue Bekannte noch ein Stück des Weges begleitet? Barbara wohnte in Schaddel, einem Ort von kaum 30 Häusern, fünf Kilometer hinter Grimma, Richtung Großbothen. Oder ging sie mit Freundinnen diesen Weg? Vielleicht hatten Bekannte ein Auto und nahmen Barbara mit. In Schaddel war Hermann Fiedler noch nicht gewesen. Barbara hat ihm die Strecke beschreiben müssen. Oder sagte Hermann einfach: »Den Weg zu dir find’ ich.«
Auch heute noch führt nur eine schmale Straße zur Siedlung. Das Hinweisschild kann man übersehen. Ob 1949 überhaupt eines von der Hauptstraße den Weg in den Ort wies? Begegnen sich zwei Fahrzeuge auf diesem Asphalt wird das Ausweichen schwierig.
Hermann Fiedler bewohnte ein Zimmer im Gehöft von Hertha Sass, Altenhain Nr. 36, wo er arbeitete. Altenhain liegt zu Schaddel in entgegengesetzter Richtung von Grimma.
Vielleicht aber haben sich Barbara Korte und Hermann Fiedler beim Einkauf getroffen. Bei gemeinsamer Arbeit. Wo sich die beiden trafen, wie ihre erste Begegnung verlief, darüber berichtet kein Protokoll der Akte. Sympathisch müssen sie einander gewesen sein. Hoffnungen haben sie sicher gehabt; warum sonst verabredet man sich?
Irgendwann haben sich beide getrennt an jenem Samstag, und Herrmann hatte versprochen, Barbara am Sonntagabend zu besuchen.
Mit seinem Rad wollte er die 20 Kilometer zu Barbara fahren. Wäre Hermann Fiedler diesen langen Weg noch in der Nacht wieder heimgekehrt nach Altenhain ins Zimmer bei Hertha Sass? Oder hätte Hermann in Schaddel, Nr. 20, übernachtet? Hätte Barbara Korte ihm ein Bett aufgeschlagen? Hätten sie eines geteilt?
Fiedler ist aber zur festgesetzten Zeit nicht aufgetaucht. »Aufgrund der erschienenen Zeitungsanzeige habe ich erst Kenntnis vom Vorfall mit dem Mord erhalten«, äußerte die Zeugin Barbara Korte später zu den Ermittlungsbeamten.
Fest steht: Hermann Fiedler war auf dem Weg zu ihr nach Schaddel gewesen. Er hatte Barbara Korte nicht versetzt. Er war mit seinem Rad zu ihr unterwegs. Kaum zwei Kilometer entfernt von dem Haus, wo sie wartete, hatte man ihn gefunden: Ermordet.
Am 23.1.1949 hatte die Leipziger Volkszeitung unter der Überschrift »Raubmord im Nimbscher Wald« gemeldet: »Der Landwirtschaftgehilfe H.F. wurde im Nimbscher Wald erschossen aufgefunden. Nach derzeitigen Erkenntnissen handelt es sich um Raubmord. Die Tat erfolgte am 9.1.1949 nach 18.00 Uhr. Geraubt wurde ein älteres Herrenfahrrad mit gut erhaltener Hinterradbereifung, Dynamobeleuchtung und Lenker in eckiger Form, ein grüner Filzhut, sowie Brieftasche mit Bargeld. Personen, die sachdienliche Hinweise oder über den Verbleib der geraubten Sachen Auskunft geben können, werden gebeten, die Kreiskriminalpolizei, Abt. Grimma, Klosterstraße 9, zu benachrichtigen. Telefon: 339.«
Am Nachmittag des 20.1.1949 musste Polizeihauptwachmeister Erich Wachsmuth zum Dienst, zweite Schicht. Dann aber verpasste der Polizist jedoch in Großbothen seinen Zug, der gegen 16.30 Uhr fuhr, »so dass ich gezwungen war, meinen Weg nach Grimma zu Fuß zurückzulegen. Ich befand mich auf der Landstraße etwa 100 m vor dem Waldeingang, da kam mir ein junger Mann von etwa 25–30 Jahren mit einem Fahrrad entgegen und meldete mir Folgendes: ›Ich wollte mir soeben im Walde etwas dürres Gras holen. Dabei habe ich eine weibliche Leiche gefunden.‹
Ich nahm diesen jungen Mann sofort wieder mit zurück, um mir diese Leiche zeigen zu lassen. Auf dem Wege zur Fundstelle legte der Mann ein sehr erregtes und erschrockenes Benehmen an den Tag, so dass er meine gestellten Fragen, wie er die Leiche gefunden hat, nur stockend beantwortete. Ich hatte das Gefühl, dass dieser junge Mann vom Schreck gepackt worden war. Als wir die Fundstelle erreicht hatten, blieb er auf der Straße stehen und zeigte mir mit der Hand die Richtung und sagte: ›Etwa 40 m von hier.‹ Ich bat ihn, doch etwas näher heranzukommen, da die Leiche in diesem hohen Gras und Gestrüpp schlecht zu finden wäre. Wir waren etwa auf 10 m herangekommen, da blieb er stehen und zeigte mir die Umrisse der Leiche. Ich begab mich zum Tatort, um mir die Leiche und die nähere Umgebung anzusehen, konnte dabei aber selbst nicht feststellen, ob es sich um eine weibliche oder männliche Leiche handelt, da mittlerweile die Dunkelheit hereingebrochen war, und ich an der Leiche nichts verändern wollte. Als ich zurück kam, musste ich feststellen, dass sich der junge Mann während dieser Zeit entfernt hatte, ohne dass ich seine Personalien festgehalten hatte.
Ich begab mich sofort zur Landstraße, um den jungen Mann zu verfolgen, er war aber schon ein großes Stück mit seinem Fahrrad in Richtung Großbothen gefahren. In diesem Augenblick kam der Dienstwagen vom Polizeirevier II gefahren. Ich hielt die Kollegen an, um sofort die Verfolgung des Mannes aufnehmen zu lassen. Der Wagen sprang aber nicht mehr an, so dass ich die Fahndung des Herrn aufgeben musste. Ich begab mich daraufhin sofort nach Nimbschen und verständigte telefonisch das KPA und die Kripo und begab mich nochmals mit KOK Wiegant und Höller zur Fundstelle. Wir stellten dort fest, dass es sich nicht um eine weibliche, sondern um eine männliche Leiche handelte. Der Tote lag auf dem Rücken, sein linker Stiefel fehlte, seine Leder- oder Lederoljacke sowie dunkle Unterjacke waren aufgeknöpft. Er trug einen grünen Pullover und hatte kurzgeschnittene Haare. Papiere oder eine Brieftasche konnten bei der oberflächlichen Durchsuchung nicht gefunden werden. An der Leiche wurde nichts verändert, die Aufhebung wurde durch die herrschende Dunkelheit abgebrochen. Die Leiche wird vom Polizeiposten Grimma bewacht.«
»Aufgrund einer telefonischen Meldung von der KKPA Grimma/ Sa. begab sich die Mordkommission Leipzig mit dem Dienstkraftwagen des Polizeipräsidiums Leipzig am 21.1.1949 um 7.00 Uhr zum Fundort der Leiche.
Die Kommission traf gegen 8.00 Uhr in Grimma ein … Auf Nachfragen versicherte der hier aufgestellte Polizeiposten, dass außer der bereits berichteten oberflächlichen Untersuchung der Leiche an dieser, so wie an dem Fundort, nichts verändert worden war. Gleichzeitig wird vorausschickend bemerkt, dass während des Auffindens und auch einige Tage vorher, sowie bei der Besichtigung des Fundortes, sehr ungünstiges und regnerisches Wetter herrschte (Schneetreiben, Sturm usw.).
Fundort der Leiche ist der sich auf der Nimbscher Flur befindliche Wald, östlich der Straße Grimma-Großbothen am Kilometerstein 3,7. Der Fundort befindet sich 30 m von der Straße entfernt und ist an dieser Stelle mit hohem Gras und Sträuchern bewachsen. Von der Straße aus ist die Leiche nicht zu sehen oder wahrzunehmen. Die äußere Umgebung zeigt keine Besonderheiten und keine Merkmale eines stattgefundenen Kampfes auf. Das hier befindliche hohe Gras ist nach allen Richtungen hin durch getretene Wege begangen. Von der Landstraße aus befindet sich im Gras liegend, neben einer als Schleifspur zu bezeichnenden Stelle, ein linker Schaftstiefel. Der Stiefel zeigt mit seinem Ansatz zur Straße, ist aber im Fußgelenk umgeknickt nach oben gerichtet. Auf dem Stiefel befindet sich in Lederfalten noch Regenwasser. Die Schuheisen an der Spitze und am Absatz zeigen deutlich stärkeren Rostansatz. Der Weg zum Fundort geht an Wurzelstümpfen, Unterholz und Unebenheiten des Bodens vorbei und darüber. Der aufgefundene hier liegende Schuh ist durch Witterungseinflüsse sehr durchnässt, sonst aber nicht beschädigt. Die Leiche befindet sich in Rückenlage, der Kopf zeigt nach Norden, die Augen sind geschlossen, der Mund leicht geöffnet. Die oberen Schneidezähne sind sichtbar. Die rechte Gesichtshälfte ist unterhalb des Auges durch Tierfraß stark beschädigt bzw. angefressen. Ameisenhaufen befinden sich in unmittelbarer Nähe der Leiche. Mäusekot befindet sich in einer Anzahl von ca. 20 – 25 Stück an diesen Stellen. Gleichfalls ist das linke Ohr, wie auch das rechte, von Mäusen angefressen. Am linken Unterkiefer sind ebenso Verletzungen sichtbar. Inwieweit diese von Tieren hervorgerufen wurden, konnte nicht genau festgestellt werden. An der rechten Halsseite sind Spuren eines Streifschusses sichtbar. Die Arme befinden sich seitwärts neben dem Oberkörper. Am linken Arm – Unterarm außen – ist desgleichen eine ca. 4 cm lange blutunterlaufene Streifschussspur sichtbar. Das Handgelenk zeigt Tierfraßspuren. An dieser Hand ist der Lederhandschuh zurückgestülpt. Der rechte Arm zeigt äußerlich keine Verletzungen, hier ist der an der Hand befindliche Lederhandschuh völlig in Ordnung und geschlossen. Die Füße sind lang ausgestreckt, am linken Fuß fehlt der Schuh, am rechten ist dieser vorhanden, und auch hier zeigen alle Eisenteile am Schuh Rostansatz. Dieser Rostansatz ist über die ganze Oberfläche gleichmäßig verteilt. Die Leiche ist völlig bekleidet. Die Bekleidung besteht aus einer Lederjacke, hellbraun, einem dunkelblauen Jackett, einem mittelblauen Pullover, graugestreiftem Schal, hellblauem Oberhemd, rotweißem Schlips, schwarzer Reithose, blauweißgestreiften Wollsocken, weißer, langer Unterhose und Unterhemd, Hosenträgern und einem schwarzen Schaftstiefel. Die Taschen in den Hosen und dem Jackett waren herausgezogen und zeigen die Innenseiten mit Taschenfutter.
In der rechten Hosentasche waren bei näherer Untersuchung noch ein weißes, gebrauchtes Taschentuch und ein Geldbetrag von 12 Pfennigen vorhanden (3 Münzen). In der rechten äußeren Lederjackentasche fand sich, in Papier eingeschlagen, ein zerbröckeltes Gebäck und gleichfalls ein Taschentuch, bläulich, und schwarze Ohrenschützer. Die Lederjacke war bereits geöffnet gewesen und nur wieder übereinander gelegt worden. Bei der Besichtigung der geöffneten Lederjacke wurde in der Nähe der Achselhöhle ein einfacher Brief, der geöffnet war, gefunden. Ein zusammengelegtes Stück weißes Papier, das sich bei der Untersuchung als Telegramm ergab, lag ebenfalls hier. Beide Stücke waren durch Witterungseinflüsse feucht und die Briefmarken hatten sich bereits gelöst. Ein Notizbuch mit blauem Umschlag befand sich gleicherweise an dieser Stelle. In der Innenseite des Jacketts wurde ein Haarkamm vorgefunden. Ausweispapiere oder eine Geldbörse bzw. eine Brieftasche wurden bei der Leiche nicht gefunden. Eine Kopfbedeckung war nicht vorhanden.
Die Untersuchung durch den Arzt Dr. med. Kral ergab, dass die Totenstarre bereits in Auflösung begriffen ist. Diese war nur noch teils am rechten Arm und am Kinn vorhanden. Nach Öffnen der Kleidung konnte auch noch eine Schussverletzung in der linken Unterbauchgegend festgestellt werden. Der Körper könnte auf Grund der vorhandenen Spuren und Verletzungen von drei oder vier Schüssen getroffen worden sein. Auf Wunsch des Arztes wurde die Leiche nicht entkleidet, da evtl. das Untersuchungsergebnis bei der noch durchzuführenden Sektion darunter leiden würde. Beim Umdrehen der Leiche konnte festgestellt werden, dass der Grasboden, genau wie die Lederjacke im Rückenteil, völlig durch Nässe zerweicht waren. Fußspuren oder sonstige Hinweise von Personen, die die Leiche hierher getragen oder geschleift haben, konnten auf Grund der starken Regenfälle in den letzten Tagen nicht aufgefunden werden. Zeichen einer Kampfhandlung waren nicht vorhanden. Die aufgefundenen Effekten, Briefe, Buch, sowie die zwei Taschentücher und das Gebäck wurden vom Komm. K1 zwecks Identifizierung des Verstorbenen hinzugezogen.
Die Leiche wurde zwecks Durchführung einer Sektion in das Kreiskrankenhaus Grimma überführt. Das Amtsgericht Grimma wurde gebeten, die Sektion zu beantragen. Dies geschah durch schriftliche Anweisung an das Institut für gerichtliche Medizin in Leipzig.
Mit Hilfe der am Fundort anwesenden Polizisten wurde das Wald- und Straßengelände nach Beweismitteln der Tat abgesucht. Hierbei konnten auf der Straße, westliche Seite, (die Straße macht hier eine Krümmung) 4 leere Patronenhülsen, Kal. 9 mm, aufgefunden werden. Diese Hülsen befanden sich 0,40 m vom Straßenrand entfernt auf der Fahrbahn. Auf dieser Straßenseite befindet sich gleichfalls ein 1 m tiefer Abflussgraben. Die Streuweite der Hülsen verteilt sich auf die Länge von 2,70 m. Die Hülsen zeigen an der Außenseite Rostansatz. Eine von diesen ist etwas breitgetreten und zeigt im Inneren eingetrockneten Straßenschmutz. Die Hülsen stammen anscheinend aus ein und derselben Pistole. Welcher Herkunft diese ist, konnte noch nicht festgestellt werden. Von der Leiche, dem Fundort der Leiche und dem Fundort der Patronenhülsen wurden Fotoaufnahmen gemacht.
Die KKPA Grimma wurde gebeten und durch den Leiter der Mordkommission beauftragt, in der Tagespresse eine Meldung zu bringen, die Zeugen des Vorfalles veranlasst, ihre Aussage in dieser Sache bei der KKPA Grimma zu machen.
Zwecks weiterer Ermittlungen wurde die auf dem Brief und Telegramm benannte Adresse in dem Dorfe Altenhain Nr. 36 aufgesucht.
Zuerst wurde aber der Polizeiposten aufgesucht. Auf Befragung erklärte der Pol. Oberwachtmeister, dass ein Mann mit dem Namen Fiedler, Hermann hier wohnhaft sei, Altenhain Nr. 36 bei Sass. Nach der bei dem Polizeiposten aufgegebenen Vermisstenanzeige handelt es sich um den seit dem 9.1.1949 verschwundenen Landwirtschaftsgehilfen und Hufschmied Fiedler, Ernst Hermann, geboren 15.3.1915, Rauschau, Krs. Schwarzenberg.
Nach dem Vergleich der vorliegenden Vermisstenanzeige und dem Befund der Mordkommission könnte kein Zweifel darüber bestehen, dass der aufgefundene Tote mit dem vermisst gemeldeten Fiedler personengleich ist. Der Verstorbene ist hier kriminell nicht in Erscheinung getreten; als Schieber oder Schwarzhändler ist dieser nicht bekannt.«
Die Arbeitgeberin Sass, Hertha, 53 Jahre alt, wurde in ihrer Wohnung, Altenhain 36, aufgesucht und zur Sache befragt. Sie machte folgende Angaben: »Der von mir als vermisst gemeldete Fiedler, Hermann, ist bei mir als Landwirtschaftgehilfe seit dem 15.9.1948 tätig gewesen. Seine Arbeit verrichtete er immer zu meiner Zufriedenheit. Ich habe diesen auf eine Zeitungsanzeige hin bei mir im Betrieb aufgenommen. Am Sonntag, den 9.1.1949 gegen 17.00 Uhr, hat dieser – um an einer Hochzeitsfeier teilzunehmen – das Grundstück verlassen. Er benutzte, wie immer auf solchen Wegen, sein Fahrrad. Das Fahrrad war mit einer elektrischen Anlage versehen. Es war aber bereits eines sehr alten Jahrgangs. Einen Radmantel hatte er sich erst vor kurzem neu besorgt und aufgezogen. Wo er hinfahren wollte, hat er mir nicht genau gesagt, eine Adresse ist mir deswegen nicht bekannt. Er nahm von seiner hier noch vorhandenen Stolle einen Teil mit (in Papier eingewickelt). Schmuck, Ringe oder eine Uhr trug er nicht bei sich. Auch hatte er einem Dorfbewohner versprochen, am 10.1.1949 nachmittags eine Fuhre Holz aus dem Walde zu holen. Er blieb, auch wenn er wegging, nie länger als eine Nacht aus. Er ist hier in der Gegend gut bekannt als Wirtschaftler. Ich habe aber angenommen, als sich sein Erscheinen verzögerte, dass er noch nach Großbuch zu seiner früheren Arbeitsstelle gefahren ist. Dort war er – ehe er hier in Stellung trat – 3 Jahre beschäftigt gewesen. Hier war auch bekannt, dass er in verschiedenen Zeitabständen dorthin fuhr. Geld hat er nicht viel bei sich gehabt, vielleicht 50,– DM und eine Brieftasche. Was er sonst noch für Papiere bei sich trug, ist mir nicht bekannt. Ich kann nur angeben, dass Fiedler sehr leicht erregt und schnell aufbrausend sein konnte. Nachteiliges ist mir über ihn nicht zu Ohren gekommen. Er hat immer sehr fleißig seine Arbeit getan und sich vor allem auch um sein eigenes Pferd sehr gesorgt. Ich habe persönlich alle die Stellen telefonisch befragt, wo er sich aufhalten könnte. Meine Bemühungen waren aber alle bis heute vergeblich. Seine Angehörigen habe ich verständigt.«
Anschließend wurde das Zimmer des Vermissten aufgesucht und nach Unterlagen, die das Ziel seiner Fahrt angeben könnten, gesucht. Solche Hinweise wurden nicht gefunden. Alle Gegenstände wurden im Zimmer belassen, auch ein Geldbetrag von 250,– DM. Das Zimmer wurde verschlossen und versiegelt und der Zimmerschlüssel dem Polizeiposten am Ort zwecks Weitergabe an die zuständige Gerichts- oder Amtsstelle übergeben.
Gerda Steinmann ist in Großbuch die ehemalige Arbeitgeberin von Hermann Fiedler. Auch sie hat keine Klagen zu Fiedlers Tätigkeit auf ihrem Bauernhof. Sie hatten ein gutes Verhältnis, warum würde er sie sonst noch immer besuchen? Warum Fiedler die Arbeitsstelle wechselte, vermerkt das Protokoll nicht. Lag es an der Bezahlung? War kein Platz mehr für Fiedlers Pferd? Wollte der Landwirtschaftsgehilfe mit der Chefin kein engeres Verhältnis? Fiedler jedenfalls hatte per Annonce eine andere Stelle gesucht und gefunden, in Altenhain bei Hertha Sass.
Trotzdem: Am 2.1.1949 hatte Hermann Fiedler seine ehemalige Arbeitgeberin in Großbuch besucht. Sicher kam er auf seinem Fahrrad, und vielleicht brachte er Gerda Steinmann eine Aufmerksamkeit anlässlich der vergangenen Weihnachtsfeiertage und wünschte ihr Bestes fürs Jahr 49.
Zur Person Hermann Fiedler befragt, sagt Gerda Steinmann: »Sicher, er war aufbrausend, wenn ihm was gegen den Strich ging. Aber wenn jeder bei dem geringsten Anlass … Sollte solches Verhalten ausreichend Grund für den Mord an ihm geben?«
Auch Gerda Steinmann bestätigt, dass Fiedler fast all seine Wege mit Fahrrad erledigte. Und sicher hätte er es für die Strecke nach Schaddel genutzt. Am Fahrrad hatte er elektrisches Licht, erzeugt von einem Dynamo. Darauf war Fiedler stolz, nicht jeder konnte sich solch elektrisches Licht leisten. Ansonsten war sein Rad alt. Sehr alt. Das sah man ihm an. Allein wegen des Fahrrads wird man Hermann Fiedler nicht bestohlen haben.
Und Gerda Steinmann weiß, »dass Hermann Fiedler verschiedene Frauenbekanntschaften gehabt hat. Er ist ja hier auch überall bekannt«. Vielleicht hatte er Geld in der Tasche. Schließlich war Fiedler zu einem Rendezvous unterwegs. Gar restlichen Stollen hatte Hermann Fiedler dabei. Hätte Barbara Korte dazu das Tässchen Kaffee gekocht? Hätte Hermann danach Barbara Korte zu einem Kinobesuch überredet? Zu einem Glas Wein? Bezahlt hätte sicherlich er als Kavalier. Geld hatte Hermann Fiedler sicherlich in seinem Portemonnaie.
Auch der bei der Leiche gefundene Brief ist von einer Dame: Hermine Tauscher. Sie wohnt in Tautenhain nicht weit weg. Zu ihr allerdings fuhr Hermann Fiedler stets per Zug, ohne Rad. Mit Hermine Tauscher in Tautenhain aber hatte Hermann Fiedler am 9.1.1949 keine Verabredung. Von Barbara Korte weiß die Polizei in diesem frühen Stand der Ermittlungen nichts. Barbara Korte meldete sich erst eine Woche darauf aufgrund der Zeitungsmeldung, die vom Tod Hermann Fiedlers berichtete. Die Frage, was Fiedler in die Nimbscher Flur trieb, bleibt noch unbeantwortet für die Mordkommission.
Persönliche Gründe für diesen gewaltsamen Tod Hermann Fiedlers scheinen nach Indizienlage nicht zu bestehen. Eher verweisen die Umstände auf einen Zufallstäter. War Hermann Fiedler Zeuge unrechten Geschehens?
»Betreffs des Berichtes des KKPA Grimma. Polizeirevierleiter HWM Wachsmut, Erich II, sei noch bemerkt, dass sich in einer Entfernung 10 m südwestlich der Leiche im Gras versteckt eine kleiner Berg (1/2 Zentner) Zuckerrüben befand. Diese Zuckerrüben waren aus einer in der Nähe befindlichen Miete gestohlen worden. Anscheinend ist der im Bericht genannte junge Mann (der auf die Leiche Hermann Fiedlers stieß) der Dieb dieser Rüben. Aus diesem Grund wäre seine Entfernung vom Fundort der Leiche verständlich.«
Ist der junge Mann, der auf Hermann Fiedlers Leiche stieß, auch sein Mörder? Die Theorie klingt unwahrscheinlich.
Der Aufruf in der LVZ hat Wirkung. Zeugen melden sich, sie haben Hermann Fiedler an jenem Sonntagabend gesehen. Auch Elfriede Hase.
»Ich bin am 9.1.1949 zu einer Weihnachtsfeier in Müllers Gasthof in Großbothen gewesen. Gegen 18.00 Uhr, als die Veranstaltung für die Kinder zu Ende war, bin ich mit Frau Kunz und Wolfgang Mähler nach Nimbschen zurückgelaufen. Hinter Großbothen überholte uns ein Radfahrer und fuhr durch den Wald in Richtung Grimma weiter. Als wir dann ebenfalls im Walde hinter der Kurve liefen, kam dieser Radfahrer zurück und fragte uns, ob wir eine einzelne Person gesehen hätten. Wir verneinten dies, und er sagte daraufhin, es sei eine Person aus dem Gebüsch gekommen, die ihn russisch angequatscht habe. Die Person habe einen Gegenstand in der Hand gehabt, den er infolge der Dunkelheit nicht habe unterscheiden können. Es könne ein Gewehr oder ein Knüppel gewesen sein. Der Mann ging dann mit uns ein Stück weiter, setzte sich aber später wieder aufs Rad und fuhr weg. Als wir durch den Wald gekommen waren, bis zu der Stelle, wo es den Berg hinunter geht, sahen wir den Mann wieder, der sich dort mit einem aus Richtung Grimma kommenden Radfahrer unterhielt. Wir sind an beiden, ohne uns um sie zu kümmern, vorbeigegangen, und wurden dann wieder von dem ersten Radfahrer überholt, der uns gesagt hatte, er hätte mit dem anderen Mann den Wald absuchen wollen, dieser aber sei zu feig dazu gewesen. Der Radfahrer fuhr dann in Richtung Grimma weiter. Während der andere vermutlich in Richtung Großbothen gefahren ist. Jedenfalls hat er uns nicht mehr überholt. Einige Minuten später hörte ich in Richtung Großbothen einen Schuss fallen. Ich kann mich über die genaue Anzahl der gefallenen Schüsse nicht äußern. Ich weiß lediglich, dass es geschossen hat. Ich bin der Ansicht, dass die Zeit für den Radfahrer genügt hat, von der Stelle, wo wir uns getroffen hatten, bis an die Kurve, wo die Straße nach Großbothen führt, zu fahren.«
Elfiede Hases Beschreibung des zweiten Mannes auf einem Rad, der ihr, Frau Kunz und Wolfgang Mähler entgegen kam, passt sehr genau auf Hermann Fiedler. Sie haben den Ermordeten noch lebend gesehen. Danach hörten sie Schüsse.
Der 14-jährige Schüler Wolfgang Mähler schildert diese Begegnung: »Wie wir in Nimbschen den Berg hinuntergingen, kam ein älterer Mann mit dem Fahrrad von Grimma und fuhr in Richtung Großbothen. Der Mann, der uns gewarnt hatte, sagte auch zu diesem Manne, er solle aufpassen, weil einer auf der Straße steht und sagte, ob sie nicht noch einmal zusammen zu dem Russen fahren wollten. Der ältere Mann sagte aber, er hätte Angst und fuhr trotzdem nach Großbothen weiter. Als ich auf dem Wege nach unserem Haus war, hörte ich es einmal knallen und einige Male Hilferufe, drei- oder viermal. Ich bin aber dann nach Hause gegangen.« Nach Hause gingen auch Elfriede Hase und Magarethe Kunz.
Auch Magarethe Kunz hatte alle Angaben bestätigt. »Der Mann auf dem Fahrrad, der nach Grimma fuhr, sagte zu uns, dass da einer im Gebüsch stünde und in der Hand etwas hätte. Es könne ein Gewehr oder Knüppel gewesen sein. Er habe sich aber sofort, nachdem er zu dem Russen gesagt hätte ›Was willst du von mir?‹ auf das Rad gesetzt und sei weggefahren. Wir hatten von einer Person, die im Walde stand nichts bemerkt.«
Ja, sie erinnere sich, dass dieser Radfahrer mit einem anderen sprach und ihn fragte, ob sie gemeinsam nach dem Mann im Gebüsch suchen wollten. Denn dieser führe sicherlich nichts Gutes im Schilde, so wie er sich verhielt: Wer wartet denn im Gebüsch? Aber der angesprochene Radfahrer lehnte ab und fuhr in besagte Richtung trotzdem weiter. War das Hermann Fiedler?
»Nach höchstens 10 Minuten, als wir inzwischen in Nimbschen angelangt waren, hörte ich drei oder vier Schüsse, die meiner Ansicht nach aus Richtung Großbothen kamen. Ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht, da in der Gegend bei uns öfter geschossen wird, wenn Angehörige der Besatzungsmacht auf Jagd gehen.«
Auch der bedrängte Radfahrer meldet sich, er heißt Stefan Engler, ist Sattlermeister. Engler ist an jenem Sonntag, dem 8. Januar 1949, als in Müllers Gasthof, Großbothen, das Weihnachtsfest veranstaltet wurde, von dem Elfriede Hase, Margarethe Kunz und Wolfgang Mähler auf dem Rückweg waren, gegen 18.00 Uhr von zu Hause weggefahren mit seinem Fahrrad und wollte in Grimma einen Besuch abstatten. »Als ich mit meinem Fahrrad außerhalb Großbothens war, traf ich vor der Straßenkreuzung Schaddel-Espigweg zwei Frauen mit Kinderwagen, die in Richtung Großbothen-Grimma liefen.
An dieser Straße Großbothen-Grimma sah ich, bevor ich an das Waldgebüsch herankam, vor mir einen Unbekannten, der mit Pelzmütze und Mantel bekleidet war, ganz langsam mir entgegenkommen. Dieser kam mir auf der von mir benutzten rechten Straßenseite entgegen, so dass ich gezwungen war, ihm nach links auszuweichen, was der Betreffende aber auch tat. Es können ungefähr 20 m Abstand gewesen sein, als ich begann, nach links auszuweichen, behielt aber das bisherige mäßige Tempo bei.
Ich hatte bei der Begegnung das Gefühl, dass der Herr mich absichtlich nach der anderen Straßenseite drängen wollte. Als ich bei diesem Unbekannten vorbeifuhr, griff er mir an den rechten Oberarm, konnte mich aber nicht festhalten, da ich kurz vorher schon ein schärferes Tempo angeschlagen hatte. Im Vorbeifahren habe ich gesehen, dass er etwas Stockartiges bei sich hatte, was ich für ein Gewehr gehalten habe. Als ich mich losgerissen hatte, schimpfte der Fremde etwas hinter mir her, was ich aber nicht verstehen konnte, da er dies in einer Sprache getan hat, die ich nicht kenne.
Irgendwelche Dienstgradabzeichen habe ich bei dem Unbekannten nicht gesehen, auch könnte ich mich an sein Aussehen nicht genau erinnern, da es schon ziemlich dunkel war, und ich demzufolge die Gesichtzüge nicht mehr erkennen konnte.
Ich bin dann bis hinter die Kurve gefahren, abgestiegen und habe beobachtet, was der Fremde wohl noch tun wird. Da er in meine Fahrtrichtung nachkam, bin ich dann in Richtung Grimma weitergefahren … Ich habe dort an dieser Stelle gewartet, bis die zwei Frauen mit dem Kinderwagen kamen, die ich an der Kreuzung Schaddel-Espigweg überholt hatte. Ich fragte sie, ob sie da vorn eine einzelne Person gesehen hätten, was von diesen aber verneint wurde. Ich nehme an, dass der Unbekannte sich von der Straße entfernt hatte, als er die zwei Frauen mit dem Kinderwagen aus Richtung Großbothen … kommen sah. Ich bin danach ein Stück mit den beiden Damen in Richtung Grimma gelaufen.
Mitten auf dem langen Berg von Nimbschen, Richtung Großbothen, kam mir von Grimma aus ein Radfahrer entgegen, der sein Rad den Berg hinaufführte. Das Alter des Mannes schätze ich auf etwa 25–35 Jahre. Ich weiß, dass er Stiefel getragen hat. Ob er nun einen Stutzer anhatte, ist mir nicht mehr in Erinnerung. Als Kopfbedeckung hatte er meiner Erinnerung nach entweder einen Sporthut oder eine blaue Mütze.
Diesen Mann habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass mich weiter oben einer vom Rad herunterholen wollte. Als ich ihm das erklärt hatte, machte er seine Luftpumpe vom Rad und fragte mich auch nach dem Wege nach Schaddel, den er nicht kennt, da er noch nie dort war. Wen er dort besuchen wollte, hat er mir nicht gesagt, ich habe ihn auch nicht danach gefragt. Ich habe ihm darauf die Straße nach Schaddel beschrieben. Erst hatte ich die Absicht, mit diesem wieder zurückzufahren, habe das aber dann doch bleiben lassen und bin nach Grimma weitergefahren.
Ich bin dann erst am nächsten Morgen mit dem Rad auf der gleichen Straße nach Hause gefahren und habe auch dort, wo der Unbekannte mir das Rad wegnehmen bzw. mich davon runterholen wollte, Umschau gehalten und nichts Besonderes bemerkt. Das Fallen von Schüssen habe ich nicht gehört, da ich ja dann bergab mit dem Rad gefahren bin, während der andere sein Rad noch den Berg hinaufschieben musste, und der Abstand dann so groß war, dass ich dies hätte nicht mehr hören können.
Dass der Betreffende an diesem Abend dort ermordet wurde, habe ich erst erfahren, als ich am 29.1. von Oberwiesenthal zurückkam, wo ich 14 Tage zum Wintersport geweilt habe.«
Unterschrieben: Stefan Engler.
Frau Magarethe Kunz kann noch einen Zeugen benennen: Auch ihr Nachbar Werner Franke hat Schüsse gehört und den Mann auf dem Fahrrad gesehen. »Am 9.1. kam ich von der Weihnachtsfeier aus Großbothen. Ich bin dort selbst kurz vor 18.00 Uhr weggegangen. Ich benutzte die Straße Großbothen-Nimbschen-Grimma. In der Nähe des Weges, der nach der Schaddelmühle fährt, wurde ich von einem Radfahrer, der sein Rad an der Hand führte, angesprochen. Dieser Mann fragte mich, ob ich hier bekannt sei und wo der Weg nach Schaddel geht. Ich beschrieb ausführlich, welchen Weg er nach dort einzuschlagen hätte. Der Radfahrer sagte zu mir, dass er kurz vorher mit einem anderen Radfahrer gesprochen habe, der ihm berichtete, dass er angehalten worden sei, und der Versuch gemacht worden wäre, ihm das Fahrrad wegzunehmen. Er meinte, es wären Russen unten. Er fragte mich auch, ob ich schon Russen getroffen hätte. Ich habe ihm gesagt, dass das nicht der Fall sei, denn ich war noch keinem begegnet.
Ich möchte bemerken, dass ich nicht den Eindruck hatte, dass der Radfahrer, der mit mir sprach, einen ängstlichen Eindruck machte.
Ich setzte meinen Weg dann weiter fort und kann nicht angeben, ob der Radfahrer sein Rad bestiegen hat oder ob er zu Fuß weiter gelaufen ist. Weil es mir selbst etwas eigenartig zu Mute war, und ich Bedenken hatte, dass irgendetwas passieren könnte, ging ich den Weg nach Großbothen ungefähr 10 Minuten zurück. An der Waldecke, wo die Straße eine Kurve macht, ca. 50 – 100 m vor mir, hörte ich zwei bis drei Schüsse fallen. Den Feuerstrahl von den Schüssen, ca. zweimal, die Schüsse fielen schnell hintereinander, habe ich dann auch gesehen. Ich blieb auf der Straße stehen und ging weiter auf Nimbschen zu. Ich bin an die Stelle, wo ich das Feuer und die Schüsse bemerkt habe, gar nicht hingegangen. Ich war der Auffassung, dass die abgegebenen Schüsse und der Feuerstrahl aus einer Richtung gekommen sind.
Ich weiß nicht, was zu dieser Zeit auf der Straße und an dieser Stelle passiert ist. Erst am 23.1.1949 habe ich durch Frau Kunz erfahren, um was es sich hier handeln könnte, und bin demzufolge hier an der Amtsstelle erschienen, um meine Aussagen machen.« Werner Franke kann den Mann nur ungenau beschreiben, dem Anschein nach aber, sagt er, trug der Fahrer einen Hut. Er sprach einwandfrei deutsch und war mittelgroß. Die Aussagen der Zeugen sind ohne Widersprüche. Sie beschreiben den Ermordeten auf seinem letzten Weg. Was wollte Hermann Fiedler Sonntag am Abend in Schaddel, wo er noch nie vorher gewesen war?
Andere offene Fragen klären sich. So erscheint der 13-jährige Bruno Herbig bei den ermittelnden Kommissaren und übergibt ihnen einen Hut.
»Am 11.1.1949 kam ich von Grimma und wollte nach Großbothen. Ich ging zu Fuß die Landstraße entlang. Ich fand einen grünen Herrenhut im Straßengraben links, wo der Wald ist. Der Hut war mit Schnee bedeckt und steif gefroren. Der Hut lag mit seinem Kopf nach oben. Andere Gegenstände habe ich nicht aufgefunden. Ich nahm an, auch meine Eltern, dass den Hut einer vom fahrenden Auto verloren hat. Hier an dieser Stelle macht die Straße eine Kurve. In der Nähe des Hutes stand ein Baum.«
Den Hut hat Bruno Herbig mitgenommen, er war ja noch tragbar. Aber dann haben seine Eltern und er von diesem Mordfall gehört. Und vielleicht gehört die Kopfbedeckung dem Opfer. Die Polizisten nehmen an, dass es der Hut Hermann Fiedlers ist. Dass der Fundort des Hutes auch der Tatort des Mordes ist, scheint weniger wahrscheinlich. Wetter und Wind haben den Herrenhut wahrscheinlich weiter getragen. Weitere Rückschlüsse lässt Bruno Herbigs Fund nicht zu.
Auch Otto Lahrmann aus Großbothen hat sich überwunden, meldet sich bei der Polizei und sagt aus.
»Ich bin derjenige, der am 20.1.1949 gegen 17.15 den Hauptwachmann Wachsmut auf der Straße Grimma-Großbothen auf die Leiche, die sich in einer Entfernung von ca. 30 m von der Landstraße befand, im Unterholz liegend, aufmerksam gemacht hat. Ich wollte in diesem Wäldchen Gras für meine Karnickel holen und meine Notdurft stillen. Auf der Suche nach einem