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Felix Dahn

Attila

Historischer Roman aus der Völkerwanderung

Felix Dahn

Attila

Historischer Roman aus der Völkerwanderung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
EV: P. Franke, Berlin, 1935
2. Auflage, ISBN 978-3-954184-49-1

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At­ti­la, Kö­nig der Hun­nen, be­herrsch­te Mit­te des 5. Jahr­hun­derts wei­te Tei­le Eu­ro­pas, sei­ne Herr­schaft reich­te vom Schwar­zen Meer bis zu den Aus­läu­fern der Al­pen. Er war ein grau­sa­mer Ero­be­rer, der kei­ne Gna­de mit sei­nen Fein­den kann­te. Un­ter rät­sel­haf­ten Um­stän­den starb er in sei­ner ar­ran­gier­ten Hoch­zeits­nacht mit der go­ti­schen Prin­zes­sin Il­di­kó.

Fe­lix Dahn web­te um die­se his­to­ri­schen Fak­ten einen span­nen­den und li­te­ra­risch an­spruchs­vol­len Text, der auch heu­te noch zu un­ter­hal­ten weiß. Ähn­lich wie in sei­nem epo­cha­len Meis­ter­werk »Kampf um Rom« ach­te­te der Au­tor dar­auf, sei­ne Ge­schich­te so his­to­risch kor­rekt wie mög­lich zu schrei­ben.

Fe­lix Dahn war Rechts­wis­sen­schaft­ler, Ge­schichts­for­scher und Rek­tor an der Uni­ver­si­tät Bres­lau. Er ge­hör­te zu den pro­duk­tivs­ten Au­to­ren sei­ner Zeit und ver­öf­fent­lich­te auch zahl­rei­che Ge­dich­te.

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Erstes Buch

Erstes Kapitel

Dun­kel lag die schwü­le Som­mer­nacht auf dem ge­wal­ti­gen Do­naustrom. –

Fast ei­nem Mee­res­ar­me glich die un­über­blick­ba­re Brei­te der Flu­ten, die, an den bei­den Ufer­sei­ten oft in Schlamm ver­sump­fend, auch in der Mit­te des Bet­tes die un­ge­heue­ren Mas­sen ih­rer Ge­wäs­ser nur trä­ge vor­wärts wälz­ten nach Os­ten: denn sehr zahl­reich wa­ren die klei­nen Wer­der, die, mit Busch- und Baum­werk üp­pig be­grünt, dem rin­nen­den Zuge hem­mend sich vor­ge­la­gert hat­ten. – Ei­nes die­ser schma­len Ei­lan­de er­hob sich nur we­nig über den Spie­gel des Flus­ses; rings von man­nes­ho­hem Schilf um­gür­tet trug es nur ein paar Bäu­me: ur­al­te Wei­den­stäm­me, nicht sehr hoch auf­ge­schos­sen, je­doch von mäch­tigs­tem Um­fang, knor­rig, mit fan­tas­ti­schen Aus­wüch­sen an Kro­ne, Äs­ten und Rin­de.

Der Mond stand nicht am Him­mel; und die Ster­ne wa­ren be­deckt von dich­tem Ge­wölk, das der feucht­war­me Süd­west mit trie­fen­den Schwin­gen lang­sam vor sich her schob. Im fer­nen Os­ten aber zuck­te zu­wei­len fah­ler Schein über den schwar­zen Him­mel hin, geis­ter­haft, un­heim­lich; noch dro­hen­der drück­te dann die dem ra­schen Auf­leuch­ten fol­gen­de tie­fe, wie Ver­der­ben brü­tend schwei­gen­de Nacht. – – Mit lei­sem Gur­geln und Zi­schen dräng­te sich das Ge­rinn des Stro­mes lang­sam, zö­gernd an der klei­nen Aue vor­über, die, im Wes­ten breit, ge­gen Os­ten spitz zu­lau­fend, un­ge­fähr ein Drei­eck bil­de­te. Das Schilf ging all­mäh­lich auf den sump­fi­gen fla­chen Ufern der In­sel in dich­tes Wei­den­ge­büsch über und in stach­li­gen Sei­del­bast. – Rings al­les dun­kel, ein­sam, still: sel­ten nur stieg in dem tie­fen Strom ein Raub­fisch em­por, der, in nächt­li­cher Jagd, pat­schend auf­schlug: dann ein kur­z­es Krei­seln auf der Ober­flä­che – gleich wie­der al­les ru­hig.– – Da flog plötz­lich aus dem Ge­büsch des lin­ken, des nörd­li­chen Ufers ein großer Vo­gel schwer­fäl­lig auf: – laut krei­schend, mit schril­lem Warn­ruf. Er strich lang­sam auf den Wer­der zu: aber, im Be­griff, auf ei­ner der al­ten Wei­den auf­zu­bäu­men, – schon schweb­te er über de­ren Wip­fel – schwang er sich plötz­lich, jäh ab­len­kend, mit wie­der­hol­tem, aber noch viel lau­te­rem Ruf des Schre­ckens und der War­nung, hoch em­por und eil­te nun, mit has­ti­gem, scharf klat­schen­dem Flü­gel­schlag, in ganz an­de­rer Rich­tung, nach Os­ten, dem Strom fol­gend, da­von: bald war er in dem Nacht­ge­wölk ver­schwun­den.

Auf dem Ei­land aber reg­te sich’s nun leis in dem Wei­den­ge­büsch. Eine Ge­stalt, die bis­her, ganz ver­steckt in dem Strauch­werk, auf dem feuch­ten Ufer­sand sich nie­der­ge­kau­ert ge­hal­ten hat­te, rich­te­te sich ein we­nig auf. »End­lich!« sprach eine ju­gend­li­che Stim­me lei­se. Der Jüng­ling woll­te auf­sprin­gen. Aber ein zwei­ter Mann, der ne­ben ihm in dem Ge­strüpp ver­bor­gen lag, zog ihn am Arme nie­der und flüs­ter­te: »Still, Dag­har. Die den Rei­her auf­ge­scheucht, kön­nen auch Spä­her sein.«

Von dem Nor­du­fer her nä­her­te sich nun rasch der klei­nen In­sel, von dem dun­keln Spie­gel der Flut noch dunk­ler, weil mas­sig, sich ab­he­bend, ein läng­li­cher Streif, wie ein schwar­zer Schat­te da­hinglei­tend. Es war – schon konn­te man es jetzt un­ter­schei­den – ein Kahn: pfeil­schnell schoss er her­an; und doch völ­lig laut­los. Die vier Ru­der mie­den sorg­sam je­des Geräusch beim Ein­tau­chen, beim An­zie­hen und beim Auf­he­ben. – Schon flog, mit­ten im An­lau­fen ge­schickt ge­wen­det, der Na­chen nicht mit dem spit­zen Vor­der­bug, son­dern mit dem brei­ten Hin­ter­gran­sen in das dich­te Schilf: das knis­tern­de Rei­ben der stei­fen Roh­re an der da­hinglei­ten­den Sei­ten­wand des Boo­tes, das we­hen­de Rau­schen der da­bei ge­streif­ten fe­der­glei­chen Blü­ten war der ein­zi­ge wahr­nehm­ba­re Laut. Die bei­den Ru­de­rer spran­gen an das Ufer und zo­gen den Kahn noch hö­her auf das Land.

Die bei­den War­ten­den hat­ten sich einst­wei­len er­ho­ben: schwei­gend reich­ten sich die vier Män­ner die Hän­de: kein Wort ward ge­wech­selt. Schwei­gend gin­gen sie von dem Ufer wei­ter in das In­ne­re der Aue, die im Wes­ten, Nor­den und Sü­den sanft sich er­höh­te, nach Os­ten stei­ler ab­fiel; sie nä­her­ten sich so den mäch­ti­gen Wei­den­stäm­men oben auf dem Schei­tel der In­sel. Da mach­te der äl­te­re der bei­den frü­her schon An­ge­lang­ten Halt, hob das be­helm­te Haupt, warf das lang­wal­len­de wei­ße Haar in den Na­cken und sprach mit Seuf­zen: »Gleich nächt­li­chen Schä­chern müs­sen wir uns zu­sam­men­steh­len – wie zu ver­bo­te­ner Mein­tat.« »Und es gilt doch der edels­ten al­ler Ta­ten«, rief der Jüng­ling an sei­ner Sei­te, den Speer fes­ter fas­send: – »der Be­frei­ung.«

»Der Tod schwebt über un­sern Häup­tern!« flüs­ter­te war­nend der jün­ge­re der bei­den An­kömm­lin­ge, den brau­nen Bart, den ihm der nas­se Wind in das Ge­sicht schlug, nie­der­strei­chend.

»Der Tod schwebt über­all und im­mer ob den Sterb­li­chen, Graf Ger­walt«, er­wi­der­te sein Kahn­ge­nos­se: Fes­tig­keit und Zu­ver­sicht la­gen in sei­ner Stim­me. »Ein wack­res Wort, Kö­nig Ar­da­rich!« rief der Jüng­ling. »Nur die Art des To­des macht den Un­ter­schied«, nick­te der in den lan­gen wei­ßen Haa­ren. »Ge­wiss, Kö­nig Wi­si­gast«, fiel Ger­walt ein. »Und mir graut vor den Qua­len, un­ter de­nen wir ster­ben wer­den, ahnt er nur, dass wir uns heim­lich tra­fen.« Er schau­der­te.

»All­wis­send ist er doch nicht!« ei­fer­te der Jüng­ling grim­mig. »Das ist nicht ein­mal Wo­dan«, mein­te der grei­se Kö­nig. »Aber kommt«, mahn­te Ger­walt, den dun­keln Man­tel fes­ter um die stäm­mi­gen Schul­tern zie­hend. »Der Wind wirft uns plötz­lich gan­ze Schau­feln voll Re­gen in die Au­gen. Dort – un­ter der Wei­de – fin­den wir Schutz.«

Alle vier tra­ten nun auf die Nord­ost­sei­te un­ter den Schirm des brei­tes­ten der Wei­den­stäm­me: reich­lich fan­den sie hier Raum ne­ben­ein­an­der.

»Be­gin­ne gleich, Kö­nig der Ru­gen«, mahn­te Ger­walt, »und ende bald. Weh’ uns, wenn wir nicht si­che­re Stät­te wie­der­ge­won­nen ha­ben, be­vor der ers­te Ta­ges­däm­mer auf­glänzt. Sei­ne Rei­ter, sei­ne Spä­her ste­cken, ja­gen, lau­ern über­all. Wahn­sinn war es, dass ich mich be­re­den ließ, hier­her zu kom­men. Nur, weil ich so hoch dich ehre, Kö­nig Wi­si­gast, mei­nes Va­ters Freund, nur weil du, Kö­nig Ar­da­rich, mir die Schwert­lei­te gabst vor zwan­zig Win­tern, – weil ich euch bei­de war­nen will, so­lang ich Atem habe, zu war­nen. Bloß des­halb ging ich mit zu die­sem töd­li­chen Wa­ge­gang. – Mir war’s, auf dem schat­ten­dun­keln, lei­se fort­zie­hen­den Strom: – wir fah­ren nach Hel!« »Nach Hel kom­men nur Feig­lin­ge«, braus­te der Jüng­ling auf, zor­nig die dun­kel­blon­den, kurz­krau­sen Lo­cken schüt­telnd, »die den Blut­tod scheu­en.«

Der Braun­bär­ti­ge fuhr mit der Faust an das Kurz­schwert im Wehr­ge­häng.

»Be­gin­ne, Freund Wi­si­gast«, mahn­te Kö­nig Ar­da­rich, sich an den Stamm der Wei­de leh­nend und den Speer schräg vor die Brust drückend, den flat­tern­den Man­tel zu­sam­men­zu­hal­ten. »Und du, jung Dag­har, bän­di­ge dich. Ich sah die­sen Ala­man­nen­gra­fen einst ne­ben mei­nem Schildarm ste­hen, dort – an der Mar­ne – da hiel­ten nur noch die al­ler­to­des­kühns­ten Hel­den stand.« »Was ich zu sa­gen hät­te«, be­gann der Ru­gen­kö­nig, – »ihr wisst es selbst. Un­er­trag­bar ist’s, des Hun­nen Joch! Wann wird es fal­len?« »Wann die Göt­ter es bre­chen«, sprach Ger­walt.

»Oder wir«, rief Dag­har. Aber Kö­nig Ar­da­rich sah sin­nend vor sich hin und schwieg.

»Ist es etwa nicht un­er­trag­bar, Graf Ger­walt?« frag­te der Kö­nig, »Du bist ein tap­fe­rer Mann, Sua­be: und ein stol­zer Mann, stolz, wie dein gan­zes hoch­ge­mu­tes Volk. Muss ich dir vor­hal­ten, was du kennst, was du er­dul­dest, so voll wie wir? Der Hun­ne herrscht, so weit er will. Nicht Rom, nicht By­zanz wagt noch den Kampf mit ihm, dem Schre­cken al­ler Län­der! Und den Schre­cken al­ler Mee­re, den furcht­ba­ren Van­da­len Gei­se­rich, nennt er sei­nen Bru­der. Alle Völ­ker hat er sich un­ter­wor­fen von den To­ren von By­zanz im Mit­tag bis zu den Bern­stein­in­seln des Mit­ter­nacht­mee­res. Und wie herrscht er! Nach Will­kür! Nach Lau­ne ist er manch­mal groß­mü­tig, aber nur sei­ne Lau­ne auch be­grenzt ihm im­mer­dar die Ge­walt, über­all die Grau­sam­keit, den Fre­vel. Kein Kö­nig ist sei­ner Wür­de, kein Bau­er sei­ner Gar­be, zu­mal kein Weib sei­nes Gür­tels si­cher vor sei­ner Will­kür, sei­nem Ge­lüst. Je­doch tiefer noch als die an­de­ren Stäm­me, die er mit sei­nen Hun­nen be­zwang, er­bar­mungs­lo­ser tritt er uns in den Staub, uns, die Völ­ker mit lich­tem Haar und blau­em Aug’, die wir in As­gardh uns­re Ah­nen ha­ben. Uns ›Ger­ma­nen‹ – wie der Rö­mer uns nennt – nicht un­ter­drücken nur, – schän­den will er uns.«

»Aus­ge­nom­men mich«, sprach Kö­nig Ar­da­rich ru­hig, ein we­nig sich auf­rich­tend, »und mei­ne Ge­pi­den.«

»Ja­wohl«, rief Dag­har un­wil­lig, »dich – und dann noch den Ama­ler Valamer, den Ost­go­ten. Euch rühmt er sei­nen Speer und sein Schwert. Euch ehrt er, – aber um wel­chen Preis! Wo­für zum Lohn?« – »Zum Lohn uns­rer Treue, jun­ger Kö­nigs­sohn.« »Treue! Ist das der höchs­te Ruhm? Mich lehr­te man an­ders in der Ski­ren Kö­nigs­hal­le! – Der blin­de Va­ter, Kö­nig Da­go­muth, sang es zur Har­fe schon dem Kna­ben, bis ich’s spie­lend lern­te:


Reichs­ter Ruhm,
Edels­te Ehre,
– Höre ’s ge­hor­chend: –
Ist Hel­den­schaft.«

»Und gut hast du, jung Dag­har, bei­des vom Va­ter ge­lernt: die Hel­den­schaft und das Har­fen. Den bes­ten Sän­ger, den hells­ten Harf­ner rüh­men dich rings­um Män­ner und Mai­de. Und tap­fer sah ich – zu mei­nes Her­zens Freu­de – das Schwert dich schwin­gen ge­gen By­zan­ti­ner und Skla­be­nen. Nun ler­ne noch dies: – vom äl­te­ren Man­ne ler­nen, Dag­har, ist nicht schmach­voll! – all’ Hel­den­tum hebt an mit Treue.« »Und das ist al­les?« frag­te Dag­har un­ge­dul­dig. »Von mir – zu ihm – ja!« »So hast du denn, Freund Ar­da­rich«, mahn­te Kö­nig Wi­si­gast, »kein Herz für dei­ne Stamm­ge­nos­sen, Nach­barn, Freun­de? Es ist wahr –: der Ge­pi­den und der Ost­go­ten Rech­te hat er – bis­her! – ge­wahrt: euch hält er die Ver­trä­ge ein. Aber all’ uns an­de­re? Mei­ne Ru­gen, Da­go­muths Ski­ren, die He­ru­ler, die Tur­ki­lin­ge, die Lan­go­bar­den, die Qua­den, die Mar­ko­man­nen, die Thü­rin­ge, dei­ne Sua­ben, Ger­walt, – ist es ihm nicht Wol­lust, auch den Treu­ver­blie­be­nen je­des Ver­trags­recht nach Will­kür zu bre­chen? Euch ehrt – euch be­lohnt er mit rei­chen Schatz­ga­ben, mit Beu­tean­tei­len, auch wo ihr gar nicht ge­foch­ten habt – und uns? – Uns bricht er und nimmt er, was uns ge­bührt. Glaubst du, das weckt nicht Hass und Neid?« –

»Ge­wiss«, seufz­te Ar­da­rich, den grau­en Bart strei­chend. »Es soll ihn ja we­cken!« »Er legt es dar­auf an«, fuhr der Ru­gen­kö­nig fort, »uns an­de­re zur Verzweif­lung, zum Los­bre­chen zu trei­ben.« »Um euch si­cher zu ver­nich­ten«, nick­te Ar­da­rich trau­rig.

»Des­halb fügt er zum Dru­cke den Hohn, die Schmach. So hat er den Thü­rin­gen zu der al­ten Jahres­schat­zung von drei­hun­dert Ros­sen, drei­hun­dert Kü­hen, drei­hun­dert Schwei­nen plötz­lich auf­er­legt eine Jahres­schat­zung von – drei­hun­dert Jung­frau­en.«

»Ich er­schlag’ ihn doch noch, den Jung­frau­en­schän­der!« schrie da laut jung Dag­har.

»Nie ge­langst du, Hitz­kopf«, er­wi­der­te Ger­walt, mit der Hand win­kend, »auf Spee­res­wei­te an sei­nen Leib. In dich­ten Klum­pen um­bal­len ihn über­all auf Schritt und Tritt sei­ne Hun­nen wie Bie­nen den Schwarm­korb.« – »Und die tap­fern Thü­rin­ge« – forsch­te Kö­nig Ar­da­rich sehr auf­merk­sam – »ha­ben sie’s schon be­wil­ligt?« – »Weiß nicht«, fuhr Wi­si­gast fort. – »Ja, vor ein paar Jah­ren, da ging ein Hauch des Hof­fens durch die zit­tern­den Völ­ker: sie ho­ben auf­at­mend die ge­beug­ten Häup­ter! Als dort in Gal­li­en – ge­denkst du’s noch, Freund Ar­da­rich? – je­ner Fluss nicht mehr flie­ßen konn­te – so voll lag er von Lei­chen! – und blut­schäu­mend über die Ufer quoll?«

»Ob ich’s ge­den­ke!« stöhn­te der Ge­pi­de. »Zwölf­tau­send mei­nes Vol­kes lie­gen dort.« – »Da muss­te er, der All­ge­wal­ti­ge, zum ers­ten Mal wei­chen. Dank den herr­li­chen West­go­ten und dank Aëti­us«, rief Dag­har.

»Und als er bald dar­auf«, fiel Ger­walt ein, »auch in Ita­lia um­kehr­te vor ei­nem al­ten Mann, ei­nem Pries­ter aus Rom, der an ei­nem Ste­cken ging, da hoff­ten die Ge­knech­te­ten im gan­zen Abend­land –«

»Es geht zu Ende, die Got­tes­gei­ßel ist ge­knickt«, fuhr Wi­si­gast fort. »Schon fla­cker­te dort und da die Flam­me der Frei­heit auf!« rief Dag­har. »Zu früh!« sprach der Ge­pi­den­kö­nig ernst. »Ja frei­lich, zu früh«, seufz­te Ger­walt. »Mit Strö­men Bluts hat er ge­löscht.« – »Und jetzt!« klag­te Wi­si­gast. »Ver­derb­li­che­res als je zu­vor plant er für das nächs­te Früh­jahr. Zwar sei­ne letz­ten Zie­le hält er noch streng ver­hüllt: – nur ah­nen mag man sie: – aber un­ge­heu­er müs­sen sie sein, nach den un­ge­heue­ren Mit­teln, die er auf­bie­tet. All’ sei­ne Völ­ker – wohl vie­le hun­dert Na­men! – aus bei­den Erd­tei­len! Und aus dem drit­ten, aus dem mit­tä­gi­gen Land, aus Afri­ka, reicht ihm der Van­da­le die Hand zum fürch­ter­li­chen Bun­de!«

»Wem mag es gel­ten? Wie­der dem Wes­ten?« forsch­te Ger­walt. »Oder dem Ostreich?« frag­te Dag­har. »Oder bei­den!« schloss Ar­da­rich. »Wie dem sei«, fuhr der Ru­gen­kö­nig fort, »sechs­mal so stark wie vor drei Jah­ren wird er sein! Und die Geg­ner? In By­zanz ein Schwäch­ling auf dem Thron! Im Wes­ten? Aëti­us in Un­gna­de bei Kai­ser Va­len­ti­ni­an, vom Mör­der­dolch be­droht. Bei den West­go­ten drei, vier Kö­nigs­brü­der, ha­dernd um die Kro­ne. Ver­lo­ren ist die Welt, für im­mer­dar ver­lo­ren, wer­den auch Gal­li­en und Spa­ni­en ge­knech­tet. Dann stür­zen auch By­zanz und Rom. Er muss fal­len, be­vor er aus­zieht zu die­sem letz­ten Kampf, zu ei­nem zwei­fel­lo­sen Sieg. Sonst ist der Erd­kreis ihm ver­knech­tet. Hab’ ich recht oder hab’ ich un­recht, Freund Ar­da­rich?«

»Recht hast du«, seufz­te der und drück­te die ge­ball­te Lin­ke an die Stirn.

»Nein, un­recht hast du, Kö­nig Wi­si­gast!« rief der Ala­man­ne da­zwi­schen. »Du hät­test recht, wär’ er ein Sterb­li­cher wie wir und gleich an­de­ren Sterb­li­chen be­zwing­bar. Er aber ist ein Un­hold! Der Chris­ten­höl­le ent­stie­gen! so rau­nen un­se­re Pries­ter des Ziu, ei­nes Un­holds Sohn und ei­ner wöl­fi­schen Al­rau­ne. Speer nicht spürt er, Schwert nicht schlägt ihn, Waf­fe nicht wun­det! Ich hab’ es er­lebt, ge­se­hen! Ich stand ne­ben ihm an je­nem Strom in Gal­li­en: ich stürz­te, und Hun­der­te, Tau­sen­de stürz­ten ne­ben mir un­ter dem Ge­wölk von Pfei­len und von Spee­ren: er stand! Auf­recht stand er! Er lach­te! Er blies – ich hab’s ge­se­hen! in den spit­zen, kar­gen Kinn­bart – und die rö­mi­schen Pfei­le prall­ten wie Stroh­hal­me zu­rück von sei­nem Elchvließ. Dass er kein Mensch ist, das zeigt am bes­ten sei­ne – Grau­sam­keit!«

Er ver­stumm­te und schau­der­te. Er schlug bei­de Hän­de vor die Au­gen. »Drei­ßig Jah­re sind es bald«, fuhr er nach ei­ner Wei­le fort. »Ich war ein Kna­be. Aber im­mer noch seh’ ich sie vor mir – auf den spit­zi­gen Pfäh­len sich win­dend, noch hör’ ich sie brül­len vor Schmerz – im Aufruhr ge­gen den Schreck­li­chen von ihm ge­fan­gen – den grei­sen Va­ter, den Bru­der, die ganz schuld­lo­se Mut­ter. Und – vor un­sern Au­gen! – mei­ne vier schö­nen Schwes­tern zu Tode ge­quält von ihm, dann von sei­nen Ross­knech­ten! Mir stieß er das Ant­litz auf den zu­cken­den Leib des Va­ters und sprach: ›So en­det Un­treue wi­der At­ti­la. Kna­be, ler­ne hier die Treue.‹ – Ich habe sie ge­lernt!« schloss er mit be­ben­den Lip­pen.

»Auch ich«, sprach der Kö­nig der Ge­pi­den. »An­ders: aber noch ein­dring­li­cher. Den Schre­cken? Ich würd’ ihn ab­schüt­teln. Ich hat­te ihn ab­ge­schüt­telt! Aber mich zwingt der stärks­te Zwang: die Ehre! – Auch ich fand – vor ge­rau­mer Zeit – wie heu­te du, Freund Wi­si­gast! – das Joch nicht mehr er­trag­bar und woll­te mein Volk, den Erd­kreis ret­ten. Al­les war ver­ein­bart: der Bund mit By­zanz, der ge­hei­me Ver­trag mit gar vie­len Ger­ma­nen­kö­ni­gen und Häupt­lin­gen der Skla­be­nen. Ich lag in mei­nem Zelt und schlief – drei Näch­te vor dem be­re­de­ten Tag. Als ich er­wach­te, saß er – er selbst – an mei­nem Bett! Ent­setzt woll­te ich auf­fah­ren. Da drück­te er mich sanft mit der Hand auf das La­ger zu­rück und sag­te mir – un­sern gan­zen Plan und den Ver­trag – vier Sei­ten ei­nes rö­mi­schen Brie­fes füll­te er – aus­wen­dig! her. Dann schloss er: ›Die an­de­ren sind schon ge­kreu­zigt, alle sieb­zehn. Dir ver­zei­he ich. Ich las­se dir dein Reich. Ich traue dir. Sei mir fort­an ge­treu.‹ – Am sel­ben Tage noch jag­te er mit mir und mei­nen Ge­pi­den al­lein im Do­nau­wald. Er­mü­det schlief er ein, das Haupt auf mei­nen Kni­en. So lang er lebt, muss ich ihm Treue hal­ten.«

»Und die Welt muss hun­nisch sein und blei­ben!« klag­te der Kö­nig der Ru­gen. »Ja, so lang er lebt.« – »Nach dem nächs­ten Sieg der Hun­nen ist sie’s dann für im­mer­dar.« »Die Söh­ne At­ti­las«, sprach Ar­da­rich nach­drucks­voll, »sind nicht er selbst.« – »Wohl! Aber El­lak ist kein Schwäch­ling und stark ge­nug, nach die­sem neu­en Sie­ge zu be­haup­ten, was der Va­ter ge­wann. Dann gibt es kei­nen Feind auf Er­den mehr ge­gen das Hun­nen­reich.« »Dann – doch wohl!« sprach Ar­da­rich. »Ech­te Kö­nigs­re­de«, rief Dag­har un­ge­dul­dig. »All­zu rät­sel­haft! So muss denn ge­kämpft wer­den ohne die Ge­pi­den – am Ende ge­gen sie! Kö­nig Wi­si­gast, schi­cke mich zu Balamer, dem Ama­lung. Ich will ihn –«

»Spar’ dir den Ritt, jung Dag­har«, sprach Ar­da­rich. »Hat er auch den be­gna­digt und – ge­fes­selt?« zürn­te der Jüng­ling. – »Nein. Aber Blut­brü­der­schaft ha­ben sie ge­trun­ken.« »Pfui des ekeln Hun­nen­bluts!« rief der Kö­nigs­sohn. – »Auch der Ost­go­te kämpft nicht ge­gen das Hun­nen­reich, so­lang At­ti­la lebt.« »Der kann noch lan­ge le­ben; sechs­und­fünf­zig Win­ter zählt er erst«, groll­te Dag­har. »Und un­ter­des­sen geht die Welt ver­lo­ren«, seufz­te Wi­si­gast.

»Bes­ser die gan­ze Welt«, sprach der Ge­pi­de ru­hig, voll sich auf­rich­tend, »als mei­ne Ehre. – Komm, Ger­walt, wir bre­chen auf. Ich kam, weil ich längst ahn­te, was Freund Wi­si­gast sinnt. Ihn hö­ren, ihn war­nen woll­t’ ich um je­den Preis, auch un­ter Wa­gung des Le­bens, nur nicht der Ehre. Al­ter Ru­gen­held im wei­ßen Haar: – das hoffst du sel­ber nicht, die Hun­nen­macht zu bre­chen, wenn Valamer und ich sie stüt­zen. Und wir müs­sen sie stüt­zen, greifst du – jetzt! – sie an. Kö­nig im grau­en Bart, hast du die ers­te Kö­nigs­kunst noch nicht ge­lernt: – war­ten? Hörst du nicht, al­ter Kampf­ge­noss: war­ten!«

»Nein, nicht war­ten!« rief lei­den­schaft­lich Dag­har. »Lass, Kö­nig Wi­si­gast, Ge­pi­den und Ost­go­ten den höchs­ten Kranz des Siegs, des Ruhms ver­schla­fen. Wir war­ten nicht! Du sagst es ja, nach nächs­tem Früh­jahr ist’s zu spät. Wir schla­gen los! Wie? Wir soll­ten nicht stark ge­nug sein? Dei­ne Ru­gen! Mei­ne Ski­ren! Wi­sand der He­ru­ler mit star­ker Söld­ner­schar! Der edle Lan­go­bar­de Ro­tha­ri mit sei­ner Ge­folg­schaft! Der edle Mar­ko­man­ne Van­gio mit sei­nen Ge­sip­pen! Die drei Häupt­lin­ge der Skla­be­nen Dro­such, Mi­li­tuch und Sven­to­slav! End­lich ver­sprach ja selbst der Kai­ser zu By­zanz, durch sei­nen nächs­ten Ge­sand­ten an den Hun­nen ins­ge­heim uns Gold und Waf­fen…«

»Wenn er’s nur hält!« un­ter­brach Ar­da­rich. »Jun­ger Kö­nigs­sohn, du ge­fällst mir. Har­fen kannst du hell und schla­gen und re­den kannst du rasch. Nun lern’ auch noch das vier­te – schwe­rer und für den künf­ti­gen Kö­nig nö­ti­ger als bei­des – schwei­gen! Wenn ich nun alle, die du auf­ge­zählt, dem großen Hun­nen­chan an­ge­be?«

»Das tust du nicht!« rief der Jüng­ling: aber er er­schrak.

»Ich tu’ es nicht, weil ich mir selbst ge­lobt, ge­heim zu hal­ten, was mir hier ver­traut wird. Ich dar­f es ge­heim hal­ten: denn nur euch, nicht At­ti­la droht die­ser An­schlag Ver­der­ben. Du zwei­felst, küh­ner Dag­har? Alle, die du ge­nannt – und wö­gen sie zehn­mal schwe­rer! – nicht einen Span split­tern sie aus At­ti­las über die Erde ge­spann­tem Joch. Scha­d’ um dei­ne ra­sche Ju­gend, du feu­ri­ger Held! Scha­de um dein wei­ßes, teu­res Haupt, mein al­ter Freund! Ihr seid ver­lo­ren, lasst ihr euch nicht war­nen. War­tet! – Du wei­gerst den Hand­schlag, Wi­si­gast? Du wirst es be­reu­en, wann du ein­se­hen wirst, dass ich mit Recht ge­warnt. Aber mei­ne Hand – ob heu­te aus­ge­schla­gen – bleibt dei­nes bes­ten Freun­des Hand. Und bleibt im­mer of­fen nach dir aus­ge­streckt: das mer­ke! – Ich kom­me, Ger­walt.«

Und er ver­schwand nach links hin in dem Dun­kel. Fast un­hör­bar glitt auf der Nord­sei­te des Wer­ders der schma­le Na­chen in die schwar­ze Flut. –

Nach­denk­sam sah der Greis dem Freun­de nach; er stütz­te bei­de Hän­de auf den Knauf des mäch­ti­gen Lang­schwerts, das er un­ter dem Man­tel im Wehr­ge­hän­ge trug; lang­sam, wie von schwe­ren Ge­dan­ken be­las­tet, sank ihm das Haupt auf die Brust. »Kö­nig Wi­si­gast«, dräng­te der Jüng­ling, »du wirst doch nicht schwan­ken?« »Nein«, er­wi­der­te die­ser ge­drückt. »Ich schwan­ke nicht mehr. Ich gab es auf. Wir sind ver­lo­ren, wa­gen wir’s al­lein.« »Und wä­ren wir’s«, rief Dag­har aus­bre­chend in lo­dern­der Glut, »wir müs­sen’s den­noch wa­gen! Ver­nimm, was ich – vor den Frem­den – ver­schwieg. Wir müs­sen han­deln! So­fort!« – »Wa­rum?« – »Weil … weil! Um ih­rer, um dei­ner Toch­ter wil­len.« – »Il­di­kó! Was ist mit ihr?« – »Sein Sohn hat sie ge­se­hen und … –«

»Wel­cher?« – »El­lak. Er kam in eure Hal­le, als du zu uns zur Jagd ge­rit­ten warst.« – »Wer sag­te dir’s? Er doch si­cher nicht.« – »Sie selbst –!«

»Und mir nicht?«

»Sie woll­te dich nicht ängs­ti­gen, vor der Zeit, – du kennst ihre star­ke See­le! – ohne Grund viel­leicht, mein­te sie. Aber es ist Grund, zu han­deln. Er sah die schöns­te Jung­frau in al­lem Ger­ma­nen­volk und er be­gehr­te sie: – wer kann sie se­hen und ih­rer nicht be­geh­ren? Er wird bei sei­nem Va­ter…«

»Il­di­kó? Mein Kind! Komm! Lass uns ei­len! Nach Hau­se! Rasch.«

Sie schrit­ten nach dem spitz zu­lau­fen­den Os­ten­de des Ei­lands, wo ein Floß, aus sechs brei­ten Bal­ken kunst­los ge­fügt, auf das schlam­mi­ge Ufer ge­zo­gen und durch ein vor dem obe­ren Qu­er­bal­ken senk­recht in den Ufer­bo­den ge­trie­be­nes Sperr­holz fest ge­hal­ten war. Bei­de spran­gen dar­auf. Dag­har schlug das Ge­zim­mer mit dem Floß­he­bel nie­der und schob vom Ufer ab, pfeil­schnell strom­ab­wärts schoss das Floß; der Jüng­ling stieß vorn mit der Stan­ge, bald rechts, bald links, hin und wie­der sprin­gend, der Alte steu­er­te hin­ten mit dem brei­ten Floß­ru­der: – auf das rech­te, das süd­li­che Ufer hielt er zu. – Bei­de wa­ren has­tig, heiß er­regt, voll Un­ge­duld, nach Hau­se zu kom­men. –

Und nun, nach­dem auch das sel­te­ne, schwa­che Plät­schern des Ru­ders in der Fer­ne ver­hallt war, nun la­ger­te wie­der tie­fes Schwei­gen wie auf dem Stro­me, so auf dem ver­las­se­nen Wer­der.

Eine Wel­le blieb al­les ru­hig.

Das zie­hen­de Was­ser gur­gel­te lei­se; das hohe Schilf neig­te die tief dun­kel­brau­nen, we­hen­den Blü­ten­fah­nen vor dem West­win­de bis auf den Spie­gel des Stro­mes her­ab; eine breit­flü­ge­li­ge Fle­der­maus husch­te ge­räusch­los dar­über hin, mit un­fehl­bar si­che­rem Er­schnap­pen die Nacht­mücken er­ha­schend. Sonst al­les still, un­be­lebt.

Da schi­en sich der brei­te Stamm der Wei­de, un­ter wel­cher die vier Män­ner ver­han­delt hat­ten, selt­sam zu er­hö­hen: zwi­schen sei­nen Wip­fel­zwei­gen hob sich aus dem Baum eine dunkle Ge­stalt.

Zu­erst tauch­te auf ein be­helm­tes Haupt, dann ein brei­ter, um­man­tel­ter Rumpf, der sich mit zwei star­ken Ar­men auf die Kro­ne des Bau­mes stemm­te. Nun lausch­te und späh­te der Mann scharf um­her. Da al­les ru­hig war und leer blieb, zog er auch die Bei­ne aus dem Hohl­stamm und sprang her­ab auf den Bo­den. Eine zwei­te, eine drit­te Ge­stalt hob sich aus der brei­ten hoh­len Wei­de und glitt her­ab.

»Hat­t’ ich nun recht, o Herr?« rief der drit­te lei­den­schaft­lich. Es war eine ju­gend­li­che Stim­me. »War nicht al­les, wie ich vor­aus­ge­sagt?« Der An­ge­re­de­te gab kei­ne Ant­wort. Es war so dun­kel: – sei­ne Züge wa­ren nicht zu se­hen. Die Ge­stalt war stäm­mig, kurz, nicht edel ge­bil­det. »Mer­ke dir ge­nau die Na­men, Chelchal«, be­fahl der An­ge­re­de­te dem an­de­ren Beglei­ter, statt dem Fra­ger zu er­wi­dern. »Ich ver­ges­se sie nicht. Wi­sand – Ro­tha­ri – Van­gio – die drei Skla­be­nen­hun­de. Lade sie zu un­serm größ­ten Fest, den drei Ta­gen Dz­ri­wils, der Ros­se­göt­tin. Das fällt nicht auf, ist Sit­te. Sie und all ihre Ge­fol­gen und Vet­tern, al­le muss ich sie ha­ben!«

»Herr, du bist also zu­frie­den? Gib mir denn den vor­be­dun­ge­nen Lohn«, dräng­te der Mah­ner. »Meinst du, es ward mir leicht, die Treue und den jun­gen, edel­sin­ni­gen Herrn zu ver­ra­ten, mir, sei­nem ei­ge­nen Schild­trä­ger? Nur die Gier, die ra­sen­de, die hoff­nungs­lo­se – wenn du nicht halfst – nach je­nes Mäd­chens un­sag­ba­rem, herz­ver­bren­nen­dem Reiz konn­te mich … Du glaubst nicht, Herr, wie schön sie ist! Wie schlank, wie üp­pig doch, wie weiß … –«

»Schlank? – Und doch üp­pig? – Und weiß? Ich wer­de all’ das sehn.« – »Wann?« – »An ih­rem Hoch­zeits­tag, ver­steht sich. Ich wer­de nicht feh­len da­bei.« – »Eile! Du hörst, schon hat El­lak – mir eilt es! Wann – wann wirst du sie mir ge­ben?« – »So­bald ich mich dei­ner Treue, dei­nes Schwei­gens voll ver­si­chert. Sag’ selbst: dei­nen nächs­ten Herrn hast du an mich ver­ra­ten, den du we­nig liebst, nur fürch­test. Welch Mit­tel soll ich wäh­len ge­gen dich, dass du nicht auch mich ver­rätst?« – »Wel­ches Mit­tel? Je­des, das du willst. Das stärks­te, si­chers­te, das dir ein­fällt.« »Das si­chers­te?« wie­der­hol­te der an­de­re be­däch­tig, in­dem er ganz lang­sam un­ter sei­nen wei­ten Man­tel griff. »Gut! Wie du selbst ge­ra­ten.« Er hol­te flugs ein lan­ges krum­mes Mes­ser her­vor und stieß es dem Ah­nungs­lo­sen mit sol­cher Wucht schlit­zend in den Bauch, dass die ge­schweif­te Spit­ze un­ter den Rip­pen her­vor­drang.

Laut­los fiel der Mann auf den Rücken.

»Lass ihn lie­gen, Chelchal. Die Ra­ben fin­den ihn schon. Komm.« – »Herr, lass mich al­lein hin­über­schwim­men an den nächs­ten Wer­der, wo wir den Na­chen ver­bor­gen ha­ben. Ich ru­de­re ihn her und hole dich. Du schwammst be­reits von dort fast über den hal­b­en Strom hier­her. Es wird dir zu viel.« – »Schweig. Der Mann, der jede Nacht ein Ger­ma­nen­weib zer­stört, wird wohl zwei­mal in ei­ner Nacht ein Stück­lein Do­nau zwin­gen. – Das Schwim­men und das Hor­chen hat ge­lohnt. Nicht nur all je­nes Un­ter­holz, alt und jung, fäll’ ich auf einen Streich: auch die bei­den stol­zen Ei­chen beug’ ich: den Ge­pi­den und den Ama­ler. Sie müs­sen mei­nen Söh­nen glei­che Treue schwö­ren, wie mir selbst. Oder ster­ben. Auf, Chelchal! Ich freue mich auf das kal­te Bad. Komm, hoch­bus’­ge Do­nau, komm in die­se Arme!«

Zweites Kapitel

Ru­gi­land, das Ge­biet des Kö­nigs Wi­si­gast, er­streck­te sich von dem rech­ten Ufer der Do­nau west­lich bis an die Hö­hen­zü­ge, aus wel­chen die Krems und der Kamp ent­sprin­gen.

Ei­nen schar­fen Ta­ges­ritt von der Do­nau ent­fernt lag, um­ge­ben von zahl­rei­chen nied­ri­gen Ne­ben­ge­bäu­den, die statt­li­che Hal­le des Kö­nigs auf ei­ner sanf­ten Höhe. Die Hal­de hin­an zo­gen sich Ei­chen und Bu­chen, aus­rei­chend ge­lich­tet, den Blick frei­zu­ge­ben von dem Fürs­ten­haus im Nor­den in das Tal; hier un­ten schlän­gel­te sich ein brei­ter, schön­flu­ti­ger Bach – fast ein Flüss­lein zu nen­nen – um den Hü­gel her von Sü­den nach Nord­os­ten durch üp­pi­gen Wies­grund.

An je­nem Ba­che wog­te, im hel­len Mor­gen­licht des Som­mer­tags, rüh­ri­ges, fröh­li­ches Le­ben: eine Schar von jun­gen Mäd­chen war auf dem grü­nen Ufer eif­rig be­schäf­tigt, al­ler­lei wol­le­ne und lin­ne­ne Ge­wan­de in dem rasch flie­ßen­den Was­ser von kla­rer licht­grü­ner Far­be zu wa­schen. Es war ein hei­te­res Bild, reich an wech­seln­der, frei­er, an­mut­vol­ler Be­we­gung.

Denn mit Hast oder Last der Ar­beit schie­nen es die Lus­ti­gen nicht all­zu streng zu neh­men: lau­tes Schä­kern, mut­wil­li­ges La­chen scholl gar oft aus dem durch­ein­an­der wim­meln­den Ru­del, de­ren rote, gel­be, blaue, wei­ße Rö­cke sich leuch­tend ab­ho­ben von dem saf­ti­gen Grün der im Mor­gen­tau glit­zern­den Wie­se. Die Mäd­chen hat­ten den Rock des lan­gen hemd­ar­ti­gen Klei­des auf­ge­schla­gen und den Zip­fel in den brei­ten Gür­tel ge­steckt, rüh­ri­ger schaf­fen zu kön­nen: die wei­ßen Füße wa­ren un­be­schuht und die vol­len, run­den Arme leuch­te­ten wie­der­strah­lend im Mor­gen­licht; die eine oder an­de­re hat­te wohl einen brei­ten, aus brau­nem Schilf ge­floch­te­nen, ganz fla­chen Son­nen­hut un­ter dem Kin­ne zu­sam­men­ge­bun­den, die meis­ten aber lie­ßen das bei­nah aus­nahms­los blon­de Haar frei flat­tern. Zu­wei­len sprang eine der Ar­bei­ten­den, über den Bach Ge­beug­ten, auf, hoch die schlan­ke, ju­gend­li­che Ge­stalt re­ckend, die nack­ten Arme in die Hüf­ten stem­mend und das durch die ge­bück­te Stel­lung ge­röte­te Ant­litz im fri­schen Früh­wind küh­lend.

Denn etwa zwölf der Mäd­chen knie­ten ne­ben­ein­an­der auf dem gel­ben, ganz klein­kör­ni­gen Ufer­san­de, spül­ten die Lin­nen- oder Wol­len­stücke wie­der­holt in dem leb­haft flu­ten­den, lus­ti­gen, lo­cken­den Ge­rin­ne, ho­ben sie dann her­aus, leg­ten sie auf große, fla­che, sau­be­re Stei­ne, wel­che zu die­sem Be­huf hier zu­sam­men­ge­tra­gen wor­den wa­ren, und schlu­gen und klopf­ten mit glat­ten Schei­ben von wei­chem, weißem Bir­ken­holz eif­rig dar­auf los, patsch­ten auch wohl ein­mal herz­haft da­ne­ben auf die Flä­che des Bachs, dass das Was­ser hoch auf­spritz­te und der auf­schrei­en­den Nach­ba­rin zur Sei­te Haupt, Hals und Bu­sen tüch­tig durch­näss­te.

Dann ran­gen sie die ge­säu­ber­ten Stücke – je­des sie­ben­mal, so ver­lang­te, nach Frig­gas Ge­bot, der alt­ver­erb­te Brauch – mit al­ler Kraft der jun­gen Arme aus, das Was­ser sorg­lich auf den Ufer­sand – nicht wie­der in den Bach – ab­trie­fen las­send, und war­fen die er­le­dig­ten Ge­wan­de hin­ter sich auf den dich­ten Ra­sen, neue Ar­beit grei­fend aus den zier­li­chen, von Wei­den ge­floch­te­nen, ho­hen Kör­ben, die jede zur Rech­ten ne­ben sich ste­hen hat­te.

Hin­ter den kni­en­den Spü­le­rin­nen und Klop­fe­rin­nen aber gin­gen, schnell­fü­ßig, auf und nie­der die Sprei­te­rin­nen, la­sen die von je­nen ab­ge­leg­ten Stücke auf und tru­gen sie auf brei­ten, we­nig ver­tief­ten Mul­den von Lin­den­holz ein paar Schrit­te wei­ter von dem Fluss hin­weg auf die Mit­te der im hells­ten Son­nen­licht ba­den­den Wie­se: denn hier war der Tau be­reits auf­ge­so­gen, der nah’ am Bach und dann auch auf der ent­ge­gen­ge­setz­ten Sei­te, un­ter den Bü­schen und Wip­feln des Wal­des an der West­sei­te des An­gers, noch reich­lich glit­zer­te.

Sie sprei­te­ten Stück um Stück, sorg­fäl­tig die Fält­lein aus­ein­an­der zie­hend, rei­hen­wei­se aus. Die Wie­se trug die hol­des­ten Blu­men: Ehren­preis und Frau­en­schuh, Tau­send­schön und Erdrau­te duck­ten gar gern und wil­lig die ni­cken­den Köpf­lein un­ter den feuch­ten, den küh­len­den Schutz vor der sen­gen­den Son­ne. Und manch­mal kam zu­trau­lich ein Tag­fal­ter ge­flo­gen, das bun­te Pfau­en­au­ge oder die zar­te Au­ro­ra, wel­che die war­men, licht­be­strahl­ten Wald­wie­sen liebt, oder der schö­ne, lang­sam, wie fei­er­lich, schwe­ben­de Schil­ler­fal­ter ließ sich nie­der auf der an­lo­cken­den Flä­che der wei­ßen Wol­le und leg­te die brei­ten Flü­gel voll aus­ein­an­der, in süßem Be­ha­gen sich son­nend.

Nahe vor der reich­blu­mi­gen Wie­se ga­bel­te sich der brei­te Fahr­weg, der von der Kö­nigs­hal­le den Hü­gel her­ab gen Sü­den führ­te: nach Wes­ten zu wand­te er sich in den Wald, nach rechts, nach Os­ten, ver­lief er in je­ner Mat­te.

An der Stel­le der Ga­be­lung hielt im Schat­ten dichtäs­ti­ger, breit­blät­te­ri­ger Ha­sel­bü­sche ein lan­ger Lei­ter­wa­gen, be­spannt mit drei ganz wei­ßen Ros­sen, ei­nes vor­aus, zwei ne­ben­ein­an­der; an sechs halb­kreis­för­mi­gen Rei­fen war über den Wa­gen ein Dach aus star­kem Se­gel­tuch ge­spannt; zahl­rei­che, säu­ber­lich ne­ben­ein­an­der auf dem Grun­de des Wa­gens auf­ge­reih­te Kör­be, ge­füllt mit be­reits ge­trock­ne­ter Wä­sche, be­zeug­ten, dass die Ar­beit schon ge­rau­me Zeit ge­währt habe.

Vorn, an dem Qu­er­brett des Wa­gens, lehn­te, hoch­auf­ge­rich­tet, ein Mäd­chen; das war schön über alle Ma­ßen. Um Haup­tes Höhe über­rag­te die schlank­hüf­ti­ge, aber an Na­cken, Schul­tern und Bu­sen in stol­zer Fül­le pran­gen­de, die herr­li­che Ge­stalt ihre bei­den Ge­fähr­tin­nen, die doch eben­falls das Mit­tel­maß über­stie­gen. Ein ein­zi­ges wei­ßes Ge­wand flu­te­te in lan­gen Fal­ten um die jung­fräu­li­chen Glie­der; den licht­blau­en Man­tel hat­te sie ab­ge­legt und über das Wa­gen­ge­län­der ge­hängt. So wa­ren der Hals und die wun­der­schö­nen, fein­ge­run­de­ten Arme sicht­bar: das Weiß ih­res Flei­sches schim­mer­te, ohne zu blit­zen, wie matt­wei­ßer Mar­mor. Ein hand­brei­ter Gür­tel von sei­nem, mit Weid blau ge­färb­tem Le­der hielt das wal­len­de Woll­hemd um die Hüf­ten zu­sam­men; die fei­nen Knö­chel wur­den nicht mehr von dem blau­en Saum er­reicht; zier­lich aus Stroh ge­floch­te­ne Soh­len schütz­ten den Fuß, über dem hoch­ge­schwun­ge­nen Rist mit ro­ten Rie­men ver­schnürt.

Die kö­nig­li­che Jung­frau trug kein Gold als nur ihr Haar; das aber war an die­sem wun­der­rei­chen Ge­schöpf ein Wun­der für sich: das Sat­te, War­me, Tief­gol­di­ge der Far­be, die sei­denz­ar­te Fein­heit je­des ein­zel­nen Här­leins und die er­staun­li­che Fül­le. Drei ih­rer schma­len, lan­gen Fin­ger breit er­hob sich auf ih­rer wei­ßen Stirn die Flech­te, die, ein un­ver­gleich­lich Dia­dem, sie schmück­te: und hin­ter die­ser Stirn­flech­te teil­te sich erst auf dem vollen­det edel ge­bil­de­ten Haupt die über­quil­len­de Men­ge in zwei pracht­vol­le, dreisträn­gi­ge Zöp­fe, die, an den En­den mit blau­en Bän­dern zu­sam­men­ge­hal­ten, ihr bis un­ter die Knie­keh­len reich­ten.

So lehn­te sie, auf­ge­rich­tet zu ih­rer vol­len Höhe, an dem Wa­gen, den rech­ten Arm ru­hend über den Rücken des wei­ßen Hengs­tes des Zwie­ge­spanns vor­ge­legt, wäh­rend sie die Knö­chel der lin­ken Hand ober­halb der Au­gen hielt, die Son­nen­strah­len aus­zu­schlie­ßen. Denn wach­sam blick­te sie aus nach der Ar­beit der Mäd­chen an dem Flüss­chen und auf der Wie­se. Ihre großen run­den Au­gen, gold­braun, ähn­lich an Far­be dem Auge des Ad­lers, leuch­te­ten: scharf, fest, kühn war der Blick; manch­mal hob sie stolz die star­ke, ge­ra­de Nase und die schön ge­schwun­ge­nen, tief dun­kel­blon­den Brau­en.

Plötz­lich ward der schwe­re Wa­gen in jä­her Be­we­gung nach rück­wärts ge­ris­sen: das vor­ders­te Ross stieß nicht ein Wie­hern, einen Schrei töd­li­chen Schre­ckens aus, fuhr zu­rück auf die bei­den an­de­ren, bäum­te sich, stieg – – : Wa­gen und Ros­se schie­nen von der er­höh­ten Stra­ße in den Tal­grund her­un­ter stür­zen zu müs­sen. Krei­schend rann­ten die bei­den Ge­fähr­tin­nen nach rück­wärts, den Hü­gel hin­auf.

Aber die hohe Maid sprang vor, riss den stei­gen­den Hengst am Zau­me nie­der mit kraft­vol­lem Arm, schau­te einen Au­gen­blick, das schö­ne Haupt beu­gend, scharf spä­hend, auf die Erde und trat dann mit dem rech­ten Fuß fest und si­cher zu.

»Kommt nur wie­der«, sprach sie nun ru­hig, mit der Spit­ze des Fu­ßes auf der Stra­ße et­was zur Sei­te schie­bend, das sich zu­ckend im Stau­be wand. »Er ist tot.« »Was war es?« forsch­te ängst­lich eine der Ge­fähr­tin­nen, ne­ben dem Wa­gen wie­der auf­tau­chend: neu­gie­rig und furcht­sam zu­gleich steck­te sie das braun­lo­cki­ge Köpf­lein vor, den dun­kel­grü­nen Man­tel wie zum Schut­ze vor­hal­tend.

»Ein Kup­fer­wurm, Gan­na; die Pfer­de fürch­ten ihn sehr.« »Mit Recht«, mein­te die zwei­te der ge­flüch­te­ten Ge­sel­lin­nen, auf der an­de­ren Sei­te des Wa­gens sich wie­der her­an­wa­gend. »Und die Men­schen! Hät­t’ ich’s ge­wusst, – noch ra­scher wär’ ich ge­lau­fen. Mein Vet­ter starb an dem Biss.« – »Man muss sie zer­tre­ten, ehe sie bei­ßen kön­nen. Seht ihr – ge­ra­de hin­ter dem Kopf – am Hals – zer­trat ich sie.«

»Aber Il­di­kó!« rief Gan­na ent­setzt, bei­de Arme er­he­bend. »Oh Her­rin! Wenn du fehl tratst!« klag­te die zwei­te. »Ich tre­te nicht fehl, Al­brun. Und mich be­schützt Frig­ga, die freu­di­ge Frau.« »Ja frei­lich! Ohne de­ren Hil­fe …!« rief Al­brun. »Weißt du noch, Gan­na, wie ich – im vo­ri­gen Früh­ling war’s – da un­ten beim Wa­schen kopf­über in das Was­ser ge­fal­len war? Du schriest: und du und alle die zwan­zig an­de­ren – ihr lie­fet an dem Ufer hin mir nach, wie ich da­hin schoss im wir­beln­den Was­ser – –« »Ge­wiss! Aber sie schrie nicht. Hin­ein sprang sie und hasch­te dich am ro­ten Man­tel – die­ser war es, der­sel­be – den du stets so ger­ne trägst, du weißt, er lässt dir gut! – hasch­te dich mit der Lin­ken und mäch­tig ru­dernd mit dem star­ken rech­ten Arme zog sie dich ans Land.«

»Und als ich«, lä­chel­te das Kö­nigs­kind, »mir das trie­fen­de Haar aus­streif­te …«

»Da hat­te sich dar­in fest­ge­klemmt die Mu­schel, die wir Frig­gas Span­ge nen­nen …« »Die Per­len tra­gen­de«, fuhr Al­brun fort. »Und da wir die Scha­len aus­ein­an­der zwäng­ten …« – »Da lag dar­in die schöns­te, größ­te Edel­per­le, die je Mäd­chen­au­ge ent­zückt hat.« – »Ja, ge­wiss« sprach Il­di­kó ernst, leicht mit der Lin­ken über die Braue strei­chend, »ich ste­he in Frig­gas Schutz und Frie­den. Wie hät­t’ ich sonst, da mir die Mut­ter starb, so­bald sie mich ge­bo­ren, an Leib, See­le und Sit­te doch ganz leid­lich ge­dei­hen mö­gen? Frau Frig­ga hat – an Mut­ter Statt – der Va­ter mich be­foh­len: ist sie doch uns­rer Sip­pe lich­te Ahn­frau! Aben­de­lang hat mir der treue Va­ter in der Hal­le, am glim­men­den Herd­feu­er, vor­er­zählt von ihr, von al­ler Frau­en frau­lichs­ter und hehrs­ter. Und oft und oft, wann ich dann ein­sch­lief, sah ich die blon­de, die schö­ne Frau an mei­nem La­ger stehn, und ich spür­te, wie sie mir hin­strich mit der wei­ßen Hand – hier – über Stirn und Braue hin. Und ich er­wach­te wohl auch: – dann war mir, ich sähe noch ihr weiß Ge­wand ent­schwe­ben und Fun­ken sprüh­te dann, fuhr ich süß er­schro­cken dar­ein, mein knis­ternd Haar. Un­sicht­bar all­über­all be­glei­tet mich, be­hü­tet mich, be­frie­det mich die wei­ße Frau. – Aber nun ge­nug der müß’­gen Mäd­chen­wor­te! Zur Ar­beit wie­der!«

»Nein, Her­rin«, er­wi­der­te Al­brun, die schwarz­brau­nen Flech­ten schüt­telnd und Il­di­kó in den Arm fal­lend, – »du hast dein Maß von Ar­beit schon viel­fach über­schrit­ten.« »Wer hat«, fuhr Gan­na fort, »all die­se schwe­ren Kör­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­