Vorwort des Herausgebers

Es war Erich Mühsam durchaus nicht in die Wiege gelegt, Revoluzzer zu werden. Doch das dritte Kind des gutbürgerlichen Lübecker Apothekers Siegfried Seligmann Mühsam und dessen Frau Rosalie verspürte schon früh den Drang, gesellschaftliche Missstände aufzudecken, politische Unterdrückung anzuprangern und für wahrhafte demokratische Emanzipation zu kämpfen.

Im Jahre 1896, mit 17 Jahren, wird er wegen »sozialdemokratischer Umtriebe« von der Schule verwiesen – die erste von vielen Ausgrenzungen, und später Verhaftungen – wegen seiner politischen Überzeugung. Er wechselt die Schule und beendet sie mit der Mittleren Reife. Sein Vater drängt ihn zu einer Apothekerlehre in Lübeck, die er auch zu Ende bringt – doch ihm ist sofort klar, dass dies nicht sein Lebensziel sein kann.

1901, er ist jetzt 22 Jahre alt, löst sich Mühsam von der Provinzstadt und geht nach Berlin, um seiner eigentlichen Begabung zu folgen: Er will freier Schriftsteller werden. Er taucht ins Bohèmeleben der Großstadt, macht Bekanntschaft mit der Literaten- und Anarchistenszene – wobei er zunächst durch seine leidenschaftlich freigeistig-antiautoritären Gedichte Aufsehen erregt. Er lernt Schriftsteller wie Else Lasker-Schüler kennen, ebenso Freidenker und Anarchisten wie Gustav Landauer. 1903 wird Mühsam als »anarchistischer Agitator« unter ständige Polizeiaufsicht gestellt. 1906 verurteilt man ihn wegen Verbreitung eines Flugblatts zu 500 Mark Geldstrafe.

1904 bis 1908 folgen Wanderjahre mit Aufenthalten in Wien – er trifft Karl Kraus – Zürich, München und Paris, teils gemeinsam mit seinem Freund Johannes Nohl. In der Künstlerkolonie des Monte Verità, die heute als eine der Wiegen der Alternativbewegung gilt, lässt er sich vom Siedler Karl Gräser inspirieren. Später versucht er, nach dessen Vorbild in München eine Gemeinschaft und Herberge für die von der Gesellschaft Geächteten – Landstreicher, Bettler, Huren und Verbrecher – zu etablieren.

Seit 1909 lebt Erich Mühsam in München-Schwabing. Er veröffentlicht in der Zeit drei Gedichtbände und mehrere Theaterstücke. Von 1911 bis 1914 ist er Herausgeber der literarisch-revolutionären Monatszeitschrift »Kain. Zeitschrift für die Menschlichkeit«. Er wird zu einer Zentralfigur der Schwabinger Bohème und ist befreundet mit Heinrich Mann, Frank Wedekind, Lion Feuchtwanger, Fanny zu Reventlow und vielen anderen. Seiner Agitationsgruppe »Tat« schließen sich auch der Schriftsteller Oskar Maria Graf und der Maler Georg Schrimpf an, die ihm nach Ascona zum Monte Verità folgten.

1910 steht Mühsam wegen Agitation des »Lumpenproletariats« vor Gericht, weil er versucht hatte, in den Asyleinrichtungen und Armenküchen der Stadt die Obdachlosen, die von der Gesellschaft Ausgestoßenen, von einem gerechteren, sozialistischen Gemeinwesen zu überzeugen. Er wird wegen »Geheimbündelei« angeklagt und schließlich freigesprochen.

Am 15. September 1915 heiratet er Kreszentia Elfinger, genannt Zenzl, die einen Sohn in die Ehe bringt, gemeinsame Kinder haben die beiden nicht. Um diese Zeit nimmt Mühsam auch Kontakte zu Pazifisten und linken Sozialdemokraten auf, um einen Aktionsbund gegen den Krieg zu gründen, und beteiligt sich an Hunger- und Protestdemonstrationen.

Im Münchner Januarstreik der Munitionsarbeiter 1918 ruft Erich Mühsam öffentlich zur Revolution. Nach der Niederschlagung des Streiks wird er verhaftet und wegen Verstoßes gegen das politische Betätigungsverbot zu sechs Monaten »Zwangsaufenthalt« im Gefängnis Traunstein verurteilt.

Nach seiner Freilassung wird er in München Mitglied des Revolutionären Arbeiterrates und befürwortet nach der Absetzung des Königs und der Ausrufung des Freistaates Bayern als demokratische Republik eine bayerische Räterepublik. Nach der Ermordung des bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner durch einen rechtsextremen Attentäter gehört Mühsam mit Eugen Leviné zu den Initiatoren und Anführern der Münchner Räterepublik ab dem 7. April 1919. Doch schon wenige Tage später, am 13. April 1919 wird diese Räterepublik durch Reichswehr und rechtsnationalistische Freikorpsverbände angegriffen und entmachtet. Zwölf Zentralratsmitglieder, unter ihnen auch Erich Mühsam, werden verhaftet. Freund Gustav Landauer wird beim Putsch ermordet.

Der Prozess »gegen Mühsam und Genossen« (so die Akte) findet im Juni 1919 statt. Unter der Anklage des Hochverrats wird er als »treibendes Element« der Revolution von einem Münchner Standgericht zu fünfzehn Jahren Festungshaft verurteilt. Zunächst in Ansbach inhaftiert, kommt er 1920 in die Festungshaftanstalt Niederschönenfeld, und wird vier Jahre später auf Bewährung entlassen. – Es ist dieselbe Amnestie, die auch Hitlers Festungshaft in Landsberg nach wenigen Monaten beendet.

Schon am Tag nach seiner Freilassung, am 22. Dezember 1924, wird Mühsam am Anhalter Bahnhof in Berlin empfangen: »Zu Tausenden hatten sich die Berliner Proletarier spontan am Bahnhof eingefunden, um Erich zu begrüßen. Ungeheurer Jubel empfing ihn.« In den folgenden acht Jahren engagiert sich Mühsam vor allem für die politischen Gefangenen. Daneben wird er nicht müde, auf die drohende Gefahr durch den Faschismus hinzuweisen. Er versucht, Bündnisse zwischen den einzelnen Gruppierungen angesichts eines gemeinsamen, mächtiger werdenden Feindes anzubahnen.

Er weiß um die Gefahr, in der er schwebt. Fast jeden Tag kommen anonyme Briefe oder Telefonanrufe, die ihm mit dem Tode drohen. Kurz vor seiner Verhaftung schreibt er: »Ich denke nicht daran, mich wieder einsperren zu lassen und dadurch zur Passivität in einem Moment verurteilt zu sein, wo die deutsche Arbeiterschaft kampflos vor dem Faschismus zurückweicht. Ich gehe ins Ausland; von dort werde ich zur internationalen Solidarität aufrütteln. Ich will aktiv bleiben.«

Ende Februar ´33 ist es soweit, eine Fahrkarte nach Prag ist gekauft, die Koffer stehen gepackt – da schlagen die Nazis zu und verhaften ihn in seiner Berliner Wohnung in der Dörchläuchtingstraße. Es ist die Nacht des Reichstagsbrandes vom 27. auf den 28. Februar 1933.

Über das Gefängnis in der Lehrter Straße und das KZ Sonnenburg wird Erich Mühsam ins Gefängnis Plötzensee gebracht. Zunächst darf er noch an einem Manuskript arbeiten, es soll ein satirischer Roman, Arbeitstitel »Mann des Volkes« werden. Im September ´33 kommt er ins Zuchthaus Brandenburg, wo Folter und Qual zunehmen. Schreiben darf er nicht mehr. Anfang Februar 1934 bringen ihn die Nazis schließlich ins KZ Oranienburg. Dort wird er am 10. Juli 1934 von SS-Schergen ermordet.

Erich Mühsam wurde auf dem Waldfriedhof Dahlem in Berlin beigesetzt. Heute sind viele Straßen und Plätze in ganz Deutschland nach ihm benannt.

Redaktion eClassica