Andy Claus

Ben - der Fremdenlegionär

 

 

Himmelstürmer Verlag

   

   

   

   

Gewidmet Uwe & David

   

   

Die Zeit verwandelt uns nicht, sie entfaltet nur unseren tatsächlichen Charakter

Max Frisch

Inhalt

  • Teil 1
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
  • 11
  • Teil 2
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • Teil 3
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
  • 11
  • 12
  • 13
  • 14
  • 15
  • 16
  • 17
  • 18
  • Teil 4
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9

Teil 1

1

Kongo 2003

Die Nacht war undurchdringlich, jetzt, kurz vor Sonnenaufgang, schien es am dunkelsten zu sein. Der Wald lauerte wie ein großes, lebendiges Tier auf Ben, beobachtete ihn aus tausend Augen, während er seinerseits ebenfalls auf Wache stand. Gedämpfte Geräusche erreichten sein Ohr, sie vermittelten ihm so etwas wie Normalität. Das Glucksen des Mangrovensumpfes unter ihm, zurückhaltende Vogelstimmen, das nervige Sirren der ewig hungrigen Moskitos und dieser unterschwellig vibrierende Klang des Regenwaldes, an den sich das Ohr schnell gewöhnte. Die Tiere waren eine natürliche Alarmanlage, sobald sich etwas oder jemand näherte, würde er es durch sie erfahren. Trotzdem verließ er sich nicht darauf, sondern blieb wachsam, die Ohren ersetzten dabei sein durch die tropische Nacht außer Kraft gesetztes Sichtfeld.

Ben spürte die Feuchtigkeit des Mangrovensumpfes, den Schlamm, der sich an ihm festsaugte, sobald er seinen Standort wechseln wollte und so saß er, das Famas Sturmgewehr auf den Knien festhaltend, meist auf einer Mangrovenwurzel und bewachte den Schlaf seiner zehn Kameraden, die fest eingeschnürt in ihre Schlafsäcke und mit Moskitoschutz vor dem Gesicht unweit von ihm lagen. Sie mussten die beiden Boote weiter unten zurücklassen, die Motoren hätten sie verraten und selbst, wenn sie die Paddel benutzten, auf dem Fluss wären sie ein zu leichtes Ziel gewesen. An Bord der gut getarnten Pirogen befand sich alles, was sie entbehren konnten, weil es sie nur aufgehalten hätte, so zum Beispiel die Zelte und der größte Teil des Kochgeschirrs. Inzwischen waren sie bereits einen halben Tag lang zu Fuß unterwegs gewesen und gestern Abend auf das Rebellenlager gestoßen, das tief im Regenwald der kongolesischen Tiefebene versteckt lag.

Langsam wich die Nacht dem Morgengrauen, hier im Kongobecken schickte die Sonne einen eng begrenzten, orangefarbenen Nebel voraus, so dass es aussah, als brenne der Planet auf ansonsten gleichmäßig topasblauem Himmel. Vielleicht würde es ja ausnahmsweise mal nicht regnen. Ben wusste jedoch, das konnte sich jetzt in der Regenzeit von einer Minute auf die andere ändern, aber das war nicht weiter schlimm, denn an Nässe waren sie gewöhnt, sie drang bei solchen Einsätzen von überall auf sie ein. Warme Feuchtigkeit, die sie einatmeten, die sich auf ihrer Haut mit dem Schweiß paarte, das brackige Wasser, das durch ihre Kleidung drängte, Schlamm, der seit Tagen ihre Körper unter der Uniform überzog, in sämtliche Körperöffnungen und jede Pore drang, ohne die Möglichkeit, sich reinigen zu können.

Heute würden sie das Lager der Rebellen auskundschaften, sie hatten sich nach der Entdeckung am Vorabend für die Nacht hierher zurückgezogen. Das Unternehmen sah aus wie viele der vergangenen Operationen, es schien nichts Besonderes daran zu sein, aber Ben machte sich Sorgen. Er als Unteroffizier führte die Gruppe auf dieser Mission an und anders als bei früheren Einsätzen zweifelte er im Augenblick daran, dass sie es schaffen konnten, die vier französischen Botschaftsangehörigen, welche vor fast zwei Monaten von aufständischen Milizen aus Kinshasa entführt wurden, allein zu befreien. Er wusste, schon diese Zweifel durfte es gar nicht geben, in der Legion dachte man niemals an ein eventuelles Versagen. Es kam nur auf eine gute Planung und die fehlerlose Durchführung an, bereits vage Bedenken konnten den Ablauf empfindlich stören. Diesmal jedoch gab es seiner Meinung nach zu viele Faktoren, von denen sie nichts wussten. So zum Beispiel, um wen genau es sich handelte, der Bürgerkrieg gebar Krieger wie Kaninchen ihre Jungen. Sie hatten keine Ahnung davon, wie groß das Milizennest da vorne war, welche Bewaffnung die Aufständischen hatten und das Wichtigste - ob die Entführten tatsächlich in diesem Lager festgehalten wurden. Verhandlungen über ein Freikaufen kamen dieses Mal nicht in Frage, es war eine überstürzte, politische Entscheidung gewesen, die Botschaftsangehörigen zu befreien, und sie war zu plötzlich gekommen, um sich akzeptabel vorzubereiten. Aber das war nicht das erste Mal, er würde den Mangel an Informationen vor dem Angriff so gut wie möglich eingrenzen.

Ebenfalls nicht zum ersten Mal dachte Ben darüber nach, wie lange er das noch machen wollte. Er war mit 21 Jahren aus Islington, einem Stadtbezirk im Norden von London, weggegangen und sein Weg führte ihn gleich danach ins südfranzösische Aubagne, einem Vorort von Marseille, wo er sich bei der Légion Étrangère, der Fremdenlegion, bewarb und die Prüfungen bestand. Das war 1994 gewesen, seither hat er den Grunddienst von fünf Jahren absolviert und zweimal um zwei Jahre verlängert. Die Einzelkämpfer-Ausbildung in Régina, dem Trainingscamp der Fremdenlegion im Dschungel von Französisch- Guyana, der ehemaligen, französischen Strafkolonie, war härter als jede seiner abenteuerlichsten Vorstellungen davon, aber er ging auch durch diese grüne Hölle an der Grenze zu Brasilien und sie veränderte nachhaltig seine Sicht der Dinge. Er schaffte es relativ bald, zur Elite zu gehören, wurde Teil des Fallschirmjäger-Regiments und war in Calvi auf der französischen Mittelmeerinsel Korsika stationiert. Von dort aus lebte er sein Leben als Angreifer oder Befreier und lernte viele Teile der Welt kennen. Allerdings blieb das Blut immer rot und der Dreck schmeckte überall gleich bitter, so unterschieden sich die Schauplätze irgendwann kaum noch voneinander.

Nach sieben Jahren wurde er Carporal und hatte als einer der wenigen Ausländer Aussicht auf eine Offizierslaufbahn. Seither leitete er Spezialeinsätze innerhalb der Friedensmissionen in Bosnien, dem Kosovo und Afghanistan und hatte einiges gesehen und erlebt, das inzwischen seinen Kampfgeist torpedierte. Immer mehr verlor er über zerfetzten Körpern, Unrecht und Willkür den Glauben daran, helfend eingreifen zu können. Jeder Einsatz blieb ein Tropfen auf einen heißen Stein und es würde immer so weitergehen.

Er war erst neunundzwanzig, galt jedoch als sehr umsichtig und erfahren, seine Kameraden fürchteten und achteten ihn und jeder von ihnen vertraute ihm blind. Ben hatte bisher noch keinen einzigen Mann verloren, aber auch wenn jemand seiner Gruppe verletzt wurde, kreidete er sich das an, auch deswegen hatte sich in letzter Zeit eine Wandlung in ihm vollzogen. Oft zweifelte er den Sinn befohlener Aktionen an, während er früher nicht darüber nachdachte, sondern einfach nur funktionierte. Er war kritischer geworden und das machte ihm Sorgen. Wann würde die nötige Vorsicht einer riskanten Angst weichen? Wann würde er Feinde sehen, die nicht da waren und überreagieren oder Gefahren umgehen wollen? Die Legionärsparanoia war nichts Ungewöhnliches nach so vielen Jahren, aber sie hatte immer falsche Entscheidungen im Schlepptau und die forderten Opfer. Er hatte sich vorgenommen, beim kleinsten Anzeichen auszusteigen, noch ehe er jemanden in Gefahr bringen konnte. Manchmal jedoch zweifelte er daran, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, denn inzwischen war die Legion seine Heimat und er konnte sich ein Leben außerhalb kaum vorstellen. Er fing damals wie alle mit dem Erlernen von fünfhundert französischen Vokabeln an, um eine Grundverständigung zu sichern. Inzwischen sprach er die Sprache perfekt, hatte seinen französischen Pass, einen neuen Namen und je nachdem, wie die Sache ausging, Anspruch auf einen Platz im Altersheim oder dem Ehrenfriedhof der Legion, etwas anderes war nie geplant. Trotzdem hatten sich in den letzten Jahren Zweifel eingeschlichen, er fühlte sich oft ausgebrannt. Bald stand wieder die Entscheidung über Verlängerung oder Austritt an und er war sich zum ersten Mal nicht sicher, was er tun würde.

Jetzt veranlasste ihn der Grund, warum er ursprünglich zur Legion gegangen war, nur noch zu einem ironischen Grinsen. Als er siebzehn war, hatte ein ganz eigener, besonderer Kampf begonnen, gleich nachdem er sicher war, schwul zu sein. Das war nichts, was er akzeptieren konnte und so entwickelte sich in den vier Jahren, bis er 21 wurde, der hoffnungsvolle Trugschluss, bei der Fremdenlegion würde der Drill ihn zu einem perfekten Mann machen, was immer er sich darunter auch vorstellte. Er glaubte tatsächlich, die harte Schule, durch die er gehen musste, konnte ihn auch sexuell auf den für ihn richtigen Weg bringen. Mittlerweile wusste er, dass dem nicht so war. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Anderssein zu akzeptieren und er tat das, indem er seiner Sexualität den kleinstmöglichen Raum einräumte. Niemand der Kameraden wäre auch nur entfernt auf die Idee gekommen, dass er schwul war. Bis auf käufliche, im Geheimen stattfindende Kontakte außerhalb der Legion, wo in heruntergekommenen Kneipen der Pastis 2 Euro und ein wenig Entspannung und Erleichterung 30 Euro die Stunde kosteten, schob er sein Schwulsein zur Seite. Dies allerdings konnte auch nicht verhindern, dass Kameraden zu Freunden wurden und er sich bereits zweimal wirklich verliebt hatte. Das zu unterdrücken fiel ihm weitaus schwerer, aber er schaffte es, indem er sich auf seine Aufgaben konzentrierte.

Unterdessen fanden die ersten, warmen Sonnenstrahlen ihren Weg durch das dichte Dach der Mangrovenbäume, die Luft begann schon wieder, sich aufzuheizen, bald würde das Atmen schwerfallen. Der Regenwald erwachte, die Vogelstimmen wurden lauter, er hörte die ersten Rufe der Bonobo-Affen. Er konnte seine in ihren grünen Kokon verpackten Kameraden endlich wieder sehen, dicht beieinander schliefen sie noch. Ihre Köpfe ruhten auf den Rucksäcken, die alles enthielten, was sie zum Überleben brauchten. Sie verließen sich auf ihn und das konnten sie blind.

Ben rutschte von der Wurzel hinein in das knietiefe, schmutzige Wasser voller Leben, streckte seine klammen Glieder und machte ein paar Bewegungen, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Ein leises Plätschern begleitete ihn, während er einige Schritte ging. Aus der Richtung, in welcher das Lager lag, waren Schüsse zu hören - auch die Rebellen begannen einen neuen Tag. Sie schienen sich sicher zu fühlen.

Er stapfte an die Stelle, wo sein Rucksack lag und zog seine Wasserflasche heraus. Er trank und warf sich etwas von dem kostbaren, sauberen Nass ins Gesicht, benetzte seinen Nacken und die höchstens fünf Millimeter langen, dunklen Haare. Sein scharfer Gesichtsschnitt mit der Adlernase und dem vorspringenden Kinn sprach von einer Unnachgiebigkeit, die alle für sein Naturell hielten. Aknenarben in der Haut verstärkten den Eindruck des Haudegens, er ließ sie von einem Dreitagebart überwuchern, so dass es nicht weiter schwierig war, auch stärkere, menschliche Gefühle tief in seinem Inneren zu verstecken. Der Blick in seine eisgrauen, immer ein wenig verkniffen wirkenden Augen, ließ niemanden auf die Idee kommen, in Ben nach etwas anderem zu suchen als nach dem Legionär, für den nur der Kampf und seine Kameraden wichtig waren. Jemand hatte einmal gesagt, er sei das lebende Vorbild für die Superhelden amerikanischer Comics und Ben fand, manchmal war es von Vorteil, sich das menschliche Schubladendenken inklusive aller Klischees zu Nutze zu machen.

„Kurwa ...“, er hörte die ersten Worte an diesem Tag und grinste. Es gab keinen Anschiss oder Fluch in der Legion, der nicht mit dieser Bezeichnung begann, die im Polnischen Nutte bedeutete. Zwei seiner Kameraden waren gleichzeitig erwacht und gerade dabei, sich aus der Umklammerung der Schlafsäcke zu befreien.

„Was Neues?“

Die ersten Informationen wurden ausgetauscht und ziemlich schnell waren alle wach. Brummig, aber in Windeseile wurde Ordnung gemacht, dann kochten sie Wasser und gossen es auf das Kaffeepulver, tranken und aßen Brot aus eingeschweißten Verpackungen und wussten aus Erfahrung, das war einer der besseren Tage einer Mission, fast schon luxuriös. Oft genug mussten sie sich ihr Essen selbst fangen, auf den Einsätzen fern ab jeglicher Zivilisation konnte es auch schon mal aus Schlangen, Spinnen und allem, was das Wasser zu bieten hatte, bestehen. Es war nicht leicht, Fische mit der Machete zu jagen, aber immerhin machbar und manchmal, je nachdem wie hold ihnen das Glück war, erlegten sie auch ein Wildschwein.

Ben hatte im zweiten Teil der Nacht, als er Wache schob, genug Muße gehabt, das weitere Vorgehen zu planen. Er hatte freie Hand, was nichts weiter hieß, als dass die Auftraggeber selbst nicht die geringste Ahnung hatten, was zu tun war und er die volle Verantwortung trug. Aber das war nicht wirklich etwas Neues.

In Zweiergruppen würden sie das Rebellencamp von allen Seiten auskundschaften, Ben selbst hatte Raúl, einen feingliedrig wirkenden, aber unglaublich zähen und flinken Burschen an seiner Seite. Es war der sechste Einsatz, den sie zusammen durchzogen, sie waren inzwischen ein perfekt eingespieltes Team und Freunde. Julien, mit 22 das jüngste Mitglied der Gruppe, musste bei der Ausrüstung zurückbleiben und über Tag Reusen aus Schilfrohr flechten, die er dann am Flachufer der Mangroven auslegen sollte, um das Abendessen zu fangen. Das passte ihm gar nicht, was jedoch nichts an der Entscheidung änderte. Elf war nun einmal nicht durch zwei teilbar, Ben konnte niemanden allein losschicken und drei Legionäre in einem Spähtrupp wurden zu leicht entdeckt. Am späten Nachmittag wollten sie sich wieder hier treffen, damit aus den Einzelbeobachtungen ein Bild werden konnte und vielleicht schafften sie es, die Geiseln bereits am nächsten Morgen dort herauszuholen.

Noch einmal wies Ben darauf hin, wie wichtig es war, unentdeckt zu bleiben und jeder Konfrontation auszuweichen, denn flog ein Team auf, waren auch die anderen in Gefahr und die Milizen würden nicht lange fackeln. Natürlich war ihm klar, dass die Männer das selbst wussten, aber er hielt es für besser, es abschließend erneut zu bekräftigen. Sie trennten sich noch am Platz, Ben und Raúl hielten sich direkt am Wasser und marschierten los. Der seichte See nicht versickertes Regenwasser, der sich weiter unten mit dem Kongofluss vereinigte, war warm und beige vom Schlamm, Schlingpflanzen und Wurzeln waren natürliche Fallen, die ein schnelles Voranschreiten verhinderten, aber zumindest hielt kein Gebüsch sie auf. Ihre ständigen Begleiter, die Moskitos, hielten reiches Mal, aber die Männer verließen sich auf ihre Malariatabletten, eine andere Wahl hatten sie nicht.

Nach einer Stunde sagten ihnen Kompass und Karte, dass sie die Richtung ändern mussten, um seitlich an das Camp heranzukommen, der Weg war nun abhängig vom Zuschlagen mit der Machete, um überhaupt weiterzukommen. Manchmal mussten sie durch Wassergräben kriechen, das Sturmgewehr mühsam aus dem Wasser haltend, robbten sie Meter für Meter unermüdlich weiter. Ihre mit Tarnfarbe und Dreck beschmierten Gesichter unter den Helmen lebten nur durch die Augen, die eigentümlich klar und sauber glänzten.

Ben hörte das verhaltene Keuchen seines Kameraden hinter sich. Jeder Atemzug fiel in dieser feuchten Schwüle schwer, erst recht, weil sie sich mit der Ausrüstung so leise wie möglich fortbewegen mussten. Trotzdem konnten sie die Warnschreie der unsichtbaren Tiere, das Zirpen, Kreischen und Rufen nicht verhindern, die Wächter des Waldes hatten keine Ahnung von guten oder schlechten Absichten, sie reagierten auf jeden Eindringling.

Nach zwei Stunden hatten sie das Rebellenlager direkt vor sich, jedenfalls zeichneten sie das unter Zuhilfenahme des Kompasses am Vorabend so in die Karte ein und der unterschwellige Lärm zeugte von der Richtigkeit. Sie hörten Dieselmotoren, Stimmen und sogar Fetzen von zeternder Musik. Der Boden wurde trockener, das Areal vor ihnen lag etwas erhöht und schließlich kamen sie direkt an eine von Menschenhand in die Vegetation gerodete Lichtung. Etwa zehn Meter vor ihnen ragte ein Palisadenzaun auf, der etwa mannshoch in die Höhe wuchs. Die dazu verwendeten Baumstämme waren knotig und schief, ihr oberes Ende angespitzt, das Holz kaum verwittert. Lange konnte es dieses Lager demnach noch nicht geben. Von ihrer Deckung aus konnten die beiden Männer zwei Wachtürme sehen, jedenfalls war das der Sinn der Gestelle, die aussahen wie zweimeterfünfzig hohe Barhocker, zu deren Sitzfläche eine krumme Leiter aus armdicken Ästen hinaufführte. Die Türme waren besetzt, auf jedem saß ein bis an die Zähne bewaffneter, dunkelhäutiger Mann im Kampfanzug. Einer der beiden hatte den Ursprung der scheppernden Musik bei sich, ein altes, verbeultes Radio stand neben ihm auf der Plattform und er beschäftigte sich ständig mit der verbogenen Antenne.

Ben und Raul zogen sich wieder in den Wald zurück und schlugen sich parallel zum Zaun weiter durch das Dickicht, wobei lärmende Motoren von innerhalb des Camps ihre Geräusche überdeckten. Die meisten Tiere hatten sich von diesem durch Menschen besetzten Ort zurückgezogen, zurzeit bestand also kaum die Gefahr einer Entdeckung durch sie.

Sie fanden heraus, dass der Palisadenzaun nicht das ganze Camp umschloss, sondern nur einseitig in einer Länge von ungefähr zwanzig Metern. Wahrscheinlich waren die Rebellen mit dem Bau noch nicht fertig, denn es lagen noch unverarbeitete Holzstöße herum. Sie sahen drei Palmhütten und einen Unterstand, in dessen Schutz zwei rostige Dieselgeneratoren vor sich hin lärmten. Schwarze, fingerdicke Leitungen durchzogen das Lager von den Generatoren aus, provisorisch hingen sie an den Hütten oder lagen auf dem Boden herum bis hin zu den vier starken, recht neu aussehenden Scheinwerfern, die an den vier Ecken des Lagers an Pflöcken aufgestellt wurden. Mitten auf dem Platz zwischen den Hütten befand sich ein etwa 3 x 2 Meter großer Bambuskäfig, der allerdings leer war, die Tür stand offen. Das war ein Fingerzeig, bewies jedoch nicht, dass sich die französischen Geiseln hier irgendwo befinden mussten, die Männer konnten auch Wilderer sein. Dagegen sprach allerdings am massivsten, dass es insgesamt drei Wachtürme gab und die Posten darauf mitgerechnet, zählte Ben 16 Männer mit Handfeuerwaffen und Handgranatenbeuteln am Gürtel, Patronengurten über der Schulter und einige Schnellfeuergewehre lehnten griffbereit an der Wand der rechten Hütte. Es sah nicht so aus, als rechneten die Rebellen derart vorbereitet nur mit dem Angriff einer Horde Bonobos.

Stunden waren über die Auskundschaftung vergangen, irgendwann wurde es Zeit, zurückzugehen. Ben und Raúl waren das vorletzte Team, das ankam, allein Anatolij und Jewhen, zwei Ukrainer aus dem gleichen, kleinen Dorf irgendwo am Schwarzen Meer, alte Hasen, die Wert auf ihre eigenen Namen und die russische Staatsbürgerschaft legten, waren noch nicht wieder eingetroffen.

Mit den Informationen der anderen und der genauen Lageschreibung vervollständigte Ben die Skizze des Rebellencamps. Es gab insgesamt fünf Palmhütten, eine Art Vorratslager für Dosen und Flaschen, eine Munitionsbaracke und westlich des Lagers einen kleinen Hubschrauberlandeplatz. Eine der Hütten wurde von zwei Männern ständig bewacht, es waren also mindestens 18, Ben rechnete jedoch vorsichtshalber mit mehr. Die bewachte Hütte wies außerdem deutlich auf Gefangene hin.

Sie aßen die gefangenen Fische und Flusskrebse, und endlich trafen auch Anatolij und Jewhen ein. Sie hatten keine neuen Informationen zum Camp, wären jedoch beinahe entdeckt worden und mussten deshalb abwarten, bis wieder Ruhe einkehrte, bevor sie sich auf den Rückweg machen konnten.

Sie besprachen, dass sie im Morgengrauen des nächsten Tages angreifen würden, sie mussten so viele Männer wie möglich einzeln und still ausschalten. Das hieß, sie würden sich schon gegen 4 Uhr auf den Weg machen müssen. Doch es kam anders.

Lautes Rufen riss die Legionäre gegen zwei Uhr in der Nacht aus dem Schlaf. Als Ben die Augen öffnete, wurde er genau wie die anderen von mehreren, starken Stablampen geblendet. Die Lichter hüpften auf und ab, begleitet von Gebrüll, das nur den Grund hatte, sie einzuschüchtern. Die dunkelhäutigen Männer im Hintergrund trugen Kampfanzüge und Ben kombinierte sofort, was geschehen war. Anatolij und Jewhen waren nicht beinahe entdeckt worden, sie wurden entdeckt. Man hatte sie abziehen lassen, war ihnen jedoch gefolgt. Die Erkenntnis dessen nützte ihm jetzt jedoch gar nichts.

Wo war Raúl? Er hatte die erste Wache in dieser Nacht übernommen. Bens Gedanken waren glasklar, die Routine gab ihm die Möglichkeit, ihre Chancen auszuwerten und etwas sagte ihm, dass Letztere gleich Null waren. Er versuchte, zu erkennen, wie viele Männer da hinter dem Vorhang aus Licht standen und gleichzeitig, sich aus dem Schlafsack zu befreien, als auch schon die ersten Schüsse fielen. Einer der Rebellen war vorgetreten und schoss auf die wehrlos in den Schlafsäcken liegenden Legionäre, bewegte das Schnellfeuergewehr dabei in einer Linie weiter, durchschoss so Körper, Köpfe und andere Körperteile. Das Ergebnis der vielen Kugeln blieb neun Mal gleich, die Männer im Schlafsack wurden kurz durchgeschüttelt und fielen dann zurück auf den Boden, wo sie regungslos liegen blieben. Auch Ben spürte die Einschüsse als harte Schläge, wenn auch keinen direkten Schmerz, erbrach Blut und verlor gleich anschließend das Bewusstsein.