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Das Buch

Kein Bewohner der Erde wird je den Tag vergessen, als von einer außerirdischen Zivilisation ein Raumportal in der Nähe der Erde installiert wurde. Plötzlich schienen sich unbegrenzte Möglichkeiten aufzutun. Doch das Staunen verwandelte sich bald in Schrecken, denn die feinseligen Horvath benutzten das Tor, um die Erde auszubeuten und die Menschheit zu unterjochen. Mittlerweile ist es den Menschen gelungen, die Horvath zurückzuschlagen und selbst zu einer Weltraummacht zu werden. Aber das aufstrebende Menschenreich ist dem Imperium der Rangora ein Dorn im Auge, die um ihre Vorherrschaft im All fürchten. Stück für Stück beginnen die Rangora, die Verbündeten der Menschen zu vernichten, und erneut ist die Menschheit in allerhöchster Gefahr. Zwischen den außerirdischen Invasoren und dem Ende der Welt jedoch steht die gewaltige Raumstation Troy – und das Letzte, womit die Rangora gerechnet haben, ist die Schlagkraft der Besatzung der Troy unter ihrem Anführer Tyler Vernon. Und so beginnt in den Tiefen des Alls eine Schlacht von epischen Ausmaßen …

Planetenkrieg – die neue große Action-Saga von Bestsellerautor John Ringo:

Erster Roman Planetenkrieg – Feindliche Übernahme

Zweiter Roman Planetenkrieg – Lebende Festung

Der Autor

John Ringo war Spezialist bei der US-Army, Meeresbiologe und ist Autor zahlreicher Science-Fiction-Romane sowie der weltweit erfolgreichen Military-SF-Serien Invasion und Die Nanokriege.

JOHN RINGO

PLANETENKRIEG
LEBENDE FESTUNG

Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe
CITADEL (TROY 2)
Deutsche Übersetzung von Heinz Zwack

Deutsche Erstausgabe 08/2012
Redaktion: Marcel Häußler
Copyright © 2011 by John Ringo
Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
ISBN: 978-3-641-08539-1
www.heyne-magische-bestseller.de

Für Jane Mary Morris Ringo
Geboren: 15. Dezember 1920, Brooklyn, New York
Gestorben: 13. Dezember 2009, Sautee-Nacoochee, Georgia
Weltreisende, Schriftstellerin,
Bon Vivant und unvergleichliche Mutter

Under a wide and starry sky
Dig a grave and let me lie.
Glad did I live and more gladly die
And I laid me down with a will.
Here be the verse you grave for me:
»Here she lies where she longed to be.
Home is the sailor, home from the sea.
And the hunter, home from the hill.«

Und wie immer:
Für Captain Tamara Long, USAF
Geboren: 12. Mai 1979
Gestorben: 23. März 2003, Afghanistan
Du fliegst jetzt mit den Engeln.

My eyes are closed I feel you’re far away
Far beyond that shining star
I know you’ll find what you’ve been fighting for
Far beyond that shining star.

»Glory to the Brave«
Hammerfall

1

»EINTREFFENDES BEREITS EINGETEILTES PERSONAL DER GELBEN LINIE FOLGEN!«, brüllte der Lautsprecher. »NICHT EINGETEILTES PERSONAL DER GRÜNEN LINIE ZUR EINTEILUNG FOLGEN. PERMANENTES PERSONAL DER BLAUEN LINIE FOLGEN! EINTREFFENDES BEREITS EINGETEILTES PERSONAL DER GELBEN LINIE FOLGEN …!«

»Sind wir eingeteilt oder nicht eingeteilt?«, erkundigte sich Spaceman Trainee Jack Yin und sah sich in dem Shuttle-Hangar um, in dem die Lautsprecherstimme widerhallte. Die Columbia II-Shuttles fassten sechzig Personen, bei denen sich Militärs und Zivilisten in etwa die Waage hielten. Aber falls irgendeiner von ihnen bereit war, einem frischgebackenen Rekruten den Weg zu weisen, war dies jedenfalls nicht zu erkennen, und fragen wollte keiner der drei.

»Sehe ich so aus, als würde ich das wissen?« Spaceman Trainee Sarin Chap hievte sich den Seesack auf die Schulter.

»Die Allergeringsten der Geringen brauchen nicht eingeteilt sein«, meinte Engineer Trainee Dana Parker. »Und da wir die Allergeringsten der Geringen sind, gehen wir zu ›Nicht eingeteilt‹.«

»Und wenn das nicht stimmt?«, fragte Sarin und schluckte.

»Dann wird man uns ausschimpfen«, erklärte Dana. »Und uns sagen, wo wir hingehen sollen.«

»Heh«, grinste Jack. »Weißt du, es gibt ja mehrere …«

»Geh einfach, Jack«, empfahl Dana.

Ihre erste klare Erinnerung war gehen. Gehen und Feuer.

Sie erinnerte sich vage, mit ihrer Mom und ihrem Dad irgendwo gewesen zu sein. Wenn sie später darüber nachdachte, war sie ziemlich sicher, dass es sich dabei um eine Shoppingmall gehandelt hatte. Und das war so ziemlich das Einzige, woran sie sich erinnerte, wenn sie an ihren Dad dachte. Die erste klare Erinnerung war das Gehen. Und das Feuer. Und der Geruch von Dingen, die nicht dafür gemacht waren zu brennen. Und ein seltsam roter Himmel. So als sollte er dunkel sein, aber er war rot wie Feuer, das unter der Asche brannte. Und Asche. Dünn. Leicht. Endlos.

Irgendwie erinnerte sie sich auch an die Busse. Und dass sie an Orten gewesen war, an die sie nicht gewöhnt war. In Hotels. In Zelten. Und dann erinnerte sie sich, dass sie zu ihrer Mom gesagt hatte, es sei schon in Ordnung, wenn sie weinte. Was überhaupt keinen Sinn ergab, wo doch ihre Mom die ganze Zeit weinte.

Dann waren sie auf der Farm von Onkel Don und Tante Marge gewesen.

Und dann ging ihre Mom auch »weg«, so hatten sie das gegenüber einer dreijährigen Waise aus dem zerbombten L. A. formuliert. Dass ihre Eltern weggegangen seien, als würden sie eine Weile Urlaub auf Hawaii machen oder so. Onkel Don und Tante Marge hatten selbst drei fast erwachsene Kinder und eine Schwester, die sich mit Bedacht an einer Stelle erhängt hatte, wo nur ihre Schwester sie finden würde, und ein neues Dreijähriges, das sie großziehen mussten, und sie hatten bloß gesagt: »Deine Mom musste weggehen. Du wirst eine Weile bei uns bleiben.«

An der Tür hing eine große Tafel mit der Aufschrift »Aufnahme uneingeteiltes Personal«. Dana schob die Tür auf und zwängte sich mit ihrem Seesack hindurch. Jack dachte nicht einmal daran, ihr dabei zu helfen. Das hatte er inzwischen gelernt.

»Engineer Trainee Parker«, sagte Dana. »Mit zwei Begleitern.«

Die Frau hinter dem Schreibtisch war Zivilistin, blond und, was nicht überraschend war, schwanger. Dana war sogar noch blonder und hatte hochgradiges Johannsen’s gehabt, bis die Ärzte der Space Navy ihr eine Genbehandlung verpasst hatten, und hatte es geschafft, auf der Highschool dank ausgeprägter Willenskraft und einer Menge kalter Duschen eine Schwangerschaft zu vermeiden.

»Übermitteln Sie mir Ihre Befehle«, sagte die Zivilistin und knabberte dabei an einem Keks. Sie sah auf ihren Bildschirm und seufzte. »Sie sind doch eingeteilt.«

»Ich hab’s euch gleich gesagt«, sagte Sarin.

»Gehen Sie den Korridor hinunter zu der Luke, auf der ›eingeteiltes Personal‹ steht.« Die Frau wies auf die Tür.

»Danke«, sagte Dana.

Jack stand noch an der Tür, was er dem Umstand verdankte, dass er sich nur mit Mühe in den kleinen Raum hatte zwängen können. Er riss sie auf und drückte sich noch dichter an die Wand, damit Sarin und Dana hinauskonnten.

»Wenn dieses Ding so riesengroß ist«, sagte Sarin, »warum in drei Teufels Namen ist dann alles so eng?«

Die Korridore waren schmal. Sie mussten sich an die Trennwand drücken, damit ein gehetzt aussehender Petty Officer sich vorbeizwängen konnte.

»Sehe ich so aus, als ob ich das wüsste?«, knurrte Dana und öffnete die Tür für eingeteiltes Personal.

Dieser Raum war groß und enthielt ziemlich unbequem aussehende Stühle für diejenigen, die das Pech hatten, warten zu müssen.

Es gab keine Schlange.

»Engineer Trainee Parker«, wiederholte Dana. »Mit zwei Begleitern.«

»Befehle?«, fragte der Petty Officer hinter dem Schreibtisch und sah dann auf seinen Bildschirm. »Hundertzweiundvierzigste Bootsstaffel. Nehmen Sie die violette Linie. Die führt zu den Büros der Eins-Zweiundvierzig.«

»Aye, aye, Petty Officer.« Dana drehte sich um. »Jack? Du bist mir im Weg.«

»’tschuldigung«, sagte Jack und trat zur Seite.

Sie nannten ihn »den sanften Ben«, nach der alten Fernsehserie. Er war ebenso blond wie Dana und deshalb, ehe er seine Genbehandlung bekommen hatte, ein Johannsen’s-Überträger gewesen. Er war etwa so groß wie ein Grizzly und sanft wie ein Lamm, es sei denn, man schüttete genügend Bier in ihn hinein. Dann freilich stellte sich heraus, dass er höchst unangenehm werden konnte. Das zeigte sich glücklicherweise auch, wenn Freunde Hilfe brauchten. Dana kam mit Schwierigkeiten gewöhnlich ganz gut zurecht, aber Jack in der Nähe zu haben, war nützlich.

Die drei waren auf verschiedenen Ausbildungsschulen gewesen, die sich den Standort McKinley teilten. Sie waren einander gelegentlich begegnet, hauptsächlich im Mannschaftsklub und in der Messe. Die beiden waren nicht die einzigen Typen, die sich angewöhnt hatten, der kleinen blonden ET zu folgen und sie wie Bluthunde zu beschnüffeln. Aber sie gehörten zu den Netteren, und deshalb war Dana ganz froh, dass man sie gemeinsam für den Einsatz eingeteilt hatte.

Nach dem Verlust von Diego, Jacksonville und Norfolk war McKinley so ziemlich der größte Stützpunkt der Space Navy in den USA. Er bestand aus einer Ansammlung schnell wachsender Plattenbauten, etwa fünfzig Meilen außerhalb von Wichita, Kansas, wo früher einmal eine Basis für Atomraketen gewesen war. Der zweitgrößte Stützpunkt der Space Navy in den USA lag bei Minot, North Dakota. Alle weiteren Stützpunkte, die auch nur einigermaßen in der Nähe einer Stadt lagen, darunter auch Kings Bay, Bremerton, Pearl und Great Lakes, waren entweder geschlossen oder gerade im Begriff, geschlossen zu werden. Die »nasse« Navy war auf eine Flotte schneller Fregatten zusammengeschrumpft, von denen die meisten entweder in Übersee oder in Key West stationiert waren. Es gab das Gerücht, man wolle sie in »Sea Guard« oder dergleichen umbenennen.

Dana war das ziemlich egal. Die einzige Navy, die ihr etwas bedeutete, war die, die dafür sorgte, dass nicht noch mehr Felsbrocken auf die Erde fielen, also die Space Navy. Die Space Navy, die vielleicht eines Tages so etwas wie Vergeltung üben würde für eine Mom und einen Dad, die weggehen mussten.

Die violette Linie schien geradezu endlos. Dana hatte keine Probleme damit, ihren Seesack zu tragen – er war nicht viel schwerer als ein Ballen Heu –, aber sie hatte den Eindruck, als ginge es eine Weile lang auf und ab und zur Seite, bis sie schließlich einen Korridor erreichten, wo eine große Tafel über der Luke verkündete: »Willkommen im Myrmidon-Land«.

»Endlich«, sagte Sarin und schob sich seinen Seesack zurecht.

Sarin war nicht viel größer als Dana, er hatte schwarzes Haar und verblassende, aber unübersehbare Spuren einer einmal ausgeprägten Akne. So wie er mit seinem Implant umging, hatte Dana ihn gefragt, weshalb er nicht im IT-Bereich oder dergleichen tätig war.

»Das Examen habe ich absichtlich geschmissen«, hatte er erklärt. »Ich habe fünf Jahre für meinen Bruder gearbeitet und Kabel gezogen. Ich hab das jetzt satt.«

Die violette Linie ging noch ein Stück weiter, aber man konnte erkennen, dass sie endlich im »Myrmidon-Land« eingetroffen waren. Zum einen, weil die meisten Leute hier Space-Navy-Typen waren und von denen wiederum die meisten Fliegerkluft trugen.

Schließlich endete die Linie an einer Luke, und diesmal war es eine echte Luke. Und auf der stand: »142. Aufnahme.« Jemand hatte darunter ein von Hand beschriebenes Blatt mit dem Text »Die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren« geklebt.

»Lustig«, sagte Sarin.

»Ja.« Dana drückte den Knopf, der die Luke öffnen sollte. Aber es geschah nichts.

»Wer wagt es, sich den Toren zu näheren?« Die Stimme war ein »Com« in ihren Implants. Die Namensangabe war unterdrückt.

Als Dana das erste Mal ein Com empfangen hatte, war ihr das unheimlich gewesen. Die Stimme klang, als wäre sie im Kopf, war aber zugleich eine »echte« Stimme. Eine Art Telepathie. Andererseits machte das die Kommunikation über größere Entfernungen viel einfacher als Funk, da Hyperwellen schneller als das Licht waren.

Die Implant-Technologie der Glatun war immer noch selten und teuer. Sie wurde hauptsächlich vom US-Militär und anderen »fortschrittlichen« Militärorganisationen benutzt. Die Implants waren auch wesentlich mehr als bloß ein Super-Funk; sie fungierten als eine Art Smartphone, man konnte damit Video aufzeichnen, und zwar einfach, indem man etwas ansah, ebenso Audio, konnte Notizen aufrufen, sie als eine Art Handy benutzen und, nicht zuletzt, Verbindung mit anderen Computersystemen, dem Internet oder dem Hypernet aufnehmen. Und dann gab es noch physikalische Aspekte. Es gab diverse Upgrades und Verbesserungen, die man installieren konnte. Im Falle Danas schloss das ein »Space Package« ein, das einem bis zu sechs Stunden Aufenthalt in luftloser Umgebung ermöglichte, sowie Widerstandsfähigkeit gegenüber Toxinen und Strahlung, Luftkrankheit, Vakuum und Rauch verschaffte. Das bedeutete nicht, dass man sehr lange im Vakuum atmen konnte, aber man überlebte jedenfalls länger als jemand, der nicht über dieses Package verfügte.

»Engineer Trainee Parker meldet sich mit zwei Begleitern«, commte Dana.

»Sie dürfen eintreten, ET Parker«, sagte die Stimme. »Einer nach dem anderen.«

Die Außenluke öffnete sich, und Dana trat in eine Luftschleuse. Sie schloss die Luke hinter sich und sah dann auf die Anzeigen.

»Äh …«, sagte sie. »Auf der anderen Seite ist Vakuum?«

Es gab ein Knacken an dem Schott, und die Anzeige sprang auf grün.

»Versuchen Sie es jetzt.«

Die Luke öffnete sich nach außen. Wenn das wirklich ein Vakuum war, würde sie ohne Raumanzug den Holländer machen.

Sie überlegte kurz. Das war wieder einmal ein Test. Und in Tests war sie recht gut.

Unter der Hauptschalttafel der Luftschleuse ist das manuelle Testsystem. Manuelle Tests der Atmosphärenintegrität lassen sich …

Gott sei Dank war das eine Vorlesung gewesen, bei der sie aufgepasst hatte. Sie öffnete die Zugangsplatte und drehte den Knopf. Sofort wurde die Luft abgesaugt. Sie drehte den Knopf schnell wieder zurück.

Eine weitere Frage zu stellen, kam nicht in Betracht. Die würden ganz bestimmt einen Neuzugang nicht einfach umbringen. Jemand trieb da seine Spielchen mit ihr.

Sie drückte das Ohr an die Stahlwand. Ganz schwach konnte sie etwas hören, das wie ein kleiner Motor klang.

»Ich sag dir was«, meinte sie. »Ich mach jetzt die Luke auf, wenn dieser Witzbold seinen Staubsauger abschaltet.«

Die Luke auf der anderen Seite öffnete sich, und ein hochgewachsener Coxswain’s Mate Eins sah sie grinsend an. Sie war froh, dass sie aufgepasst hatte, als man die Rangabzeichen der Space Navy erklärt hatte. »Coxswain« war eine Bezeichnung, die noch aus den Zeiten der Windjammer stammte und bedeutete so etwas wie Schiffsführer. Um die Sache richtig kompliziert zu machen, war es sowohl eine Rangstufe wie auch eine Tätigkeitsbezeichnung. Der oder die Coxswain eines Shuttles musste also unbedingt diesen Rang bekleiden.

»Willkommen, Junior Weltraumadler«, sagte der Coxswain’s Mate. »Reinkommen! Reinkommen!«

In dem Raum saßen drei Leute, ein Bosun’s Mate – Dana erinnerte sich, dass das eine über tausend Jahre alte Rangstufe der British Royal Navy war und Personen bezeichnete, die technische Arbeiten auf Schiffen überwachten und meist kurz als »BM« angesprochen wurden –, ein Spaceman und der Coxswain, hinter ihren Schreibtischen. Letzterer winkte jetzt mit beiden Händen, als würde er ein Shuttle einweisen.

»Kommen Sie, kommen Sie, wir beißen nicht!«

»Jedenfalls nicht oft«, sagte der BM2 hinter dem Schreibtisch. Er war über irgendwelche Papiere gebeugt und offensichtlich von dem, was er las, nicht sehr erbaut.

»Äh …«, machte Dana. Die ersten beiden Male hatte sie es richtig hinbekommen, aber die Vakuumanzeige hatte sie irgendwie aus der Bahn geworfen. »Engineer Trainee Parker mit zwei Begleitern?«

»Willkommen, ET Parker«, sagte der Coxswain. »Ein erfreulicher Anblick für müde Augen. Jemand, der tatsächlich begreift, dass Rot Halt bedeutet. Warten Sie.« Er nahm den distanzierten Gesichtsausdruck eines Implantbenutzers an und bediente den Schalter eines kleinen Handstaubsaugers. »Halten Sie mal, ja?«, sagte er und reichte ihn Dana.

Im nächsten Augenblick trat Jack durch die innere Luke und sah sich um.

»Hey, Dana! Ist das, wo wir uns melden sollen?«

»Jetzt wird klar, weshalb ET Parker für die Leitung dieser Gruppe eingeteilt wurde«, sagte Coxswain’s Mate Keith Glass und musterte ihre Befehle. »Zwei von Ihnen sind gerade beim allerwichtigsten Test durchgefallen, der darüber entscheidet, ob jemand ein nützlicher Junior Space Eagle ist. Sie werden das nicht einmal, sondern immer wieder und wieder hören. Dies hier ist nicht die Erde. Dies ist die Troy. Die Erde ist von einer schützenden Schicht aus glücklicherweise atembaren Gasen umgeben, die man als At-mo-sphäre bezeichnet. Troy ist von etwas umgeben, das sich Va-ku-um nennt. Wenn jemand versucht, das zu atmen, tut es ziemlich weh. Zwei von Ihnen wollten das gerade ausprobieren. Hätten Sie das außerhalb dieser kontrollierten Umgebung versucht, würden Sie jetzt anschwellen wie gefriergetrocknete Trauben, und ich müsste dann wahrscheinlich die Bergung durchführen.

Da es leider immer noch viel zu wenige mächtige Master Space Eagles gibt, die schon genügend Zeit in dieser komischen Umgebung verbracht haben, die wir Weltraum nennen, hat man mich ausgewählt, um Ihr Einsatzbriefing durchzuführen. Sie haben gerade den ersten und den zweiten Teil absolviert. Der erste Teil war der Test, der zweite Teil war dieser Vortrag. Ich wiederhole: Immer. Luftschleusen. Integrität. Prüfen. Könnte jemand das bitte wiederholen?«

»Immer Luftschleusenintegrität prüfen, aye«, kam es wie ein Echo von den drei Neuen.

»Das klang sehr nach auswendig gelernt«, meinte Glass. »Aber wenn Sie die Luftschleusenintegrität nicht prüfen, werden Sie nicht lange genug leben, um mächtige Master Space Eagles, so wie ich einer bin, zu werden. Es liegt also ganz bei Ihnen. Ich brauche nicht einmal einen Brief an die Verwandten zu schreiben.

Jetzt zum dritten Teil des Aufnahmebriefings. Sie sind in die mächtige 142. Taktische Sturmstaffel eingetreten, die zum Ersten Troy-Bootsgeschwader gehört. Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass es kein zweites, drittes oder viertes Geschwader gibt. Wir sind das Erste Bootsgeschwader. Unsere Aufgabe ist sehr einfach und zugleich höchst kompliziert. Wir bringen die Post. Die Post – das können Lebensmittel, Vorräte, Schrottmetall, Geräte, echte Post oder, wenn wir großes Pech haben, Marines per Expressservice sein. Was auch immer wir transportieren, unsere Aufgabe ist es, für pünktliche Lieferung zu sorgen. Weder Schnee noch Asteroiden noch Laserfeuer werden uns daran hindern. Ich möchte, dass wir uns darüber hundertprozentig einig sind. Ganz gleich, ob Ihre Aufgabe darin besteht, dass die Boote funktionsfähig bleiben oder ob Sie sie fliegen – Ihr erster, letzter und einziger Job ist es, die Lieferung sicherzustellen.

Der vierte Teil ähnelt den drei ersten Teilen. Für das meiste, was wir hier tun, gibt es nur eine Methode, die sicherstellt, dass man überlebt. Eine andere Option gibt es nicht. Man macht es richtig, oder jemand stirbt. ›Gut genug‹, reicht nicht. Es gibt kein ›Für Behördenarbeit reicht es‹. Wenn Sie nicht bei allem, was Sie tun, Ihren Kopf einschalten, und zwar jede Sekunde, jede Minute, jeden einzelnen Tag – das ist sehr wichtig –, dann gehen Sie bitte zu BM Zwo Grumwalter und lassen sich Ihre Papiere geben und sich zur Army versetzen oder sonst wohin, wo das nicht so ist. Bitte tun Sie das, ehe Sie mich oder jemanden, den ich mag, umbringen. Im Augenblick gehören Sie noch nicht in diese Kategorie, aber die Wahrscheinlichkeit ist einfach gering, dass Sie sich bloß selbst umbringen, wenn Sie Mist bauen. Gibt es noch irgendwelche zweckdienlichen und intelligenten Fragen?«

Er sah die drei an und nickte.

»Gut. Ich hatte ohnehin nicht vor, sie zu beantworten. Das ist Aufgabe der Vorgesetzten in Ihrer Abteilung. Und die sind schon unterwegs, um sich ihre kleinen Lämmer zu holen. Gehet hin in Gewalt, um die Post zu liefern!«

»Das ist deine Koje.«

Sean Sumstine, Engineer Eins, machte es offenbar Spaß, die neue Rekrutin herumzuführen. Möglicherweise lag das daran, dass ihm das seinen normalen Dienst ersparte, aber Dana vermutete, es sei eher darauf zurückzuführen, dass er sie so mit seinem Hundeblick ansehen konnte.

Mit einem Typen allein in einem Quartier zu sein, löste bei ihr einige recht unangenehme Erinnerungen aus, aber Dana beschloss, bei Sean nach dem ersten Eindruck zu gehen. Er war ein netter Kerl. Im Gegensatz zu einigen anderen seiner Artgenossen, die sie in der Ausbildung kennengelernt hatte.

Das Quartier war wesentlich besser, als sie erwartet hatte, ein Raum für zwei Personen, mit eigener Toilette. Und, wie es schien, noch nicht besetzt. Es gab zwei Pritschen und zwei Wandschränke, aber die beiden Pritschen waren nicht gemacht, die Matratzen steckten noch in ihren Plastikhüllen, und die Wandschränke waren leer. Und, das hatte Sean ihr schon vorher erklärt, die Räume konnten zwei Leute bis zu sechs Tage ohne äußere Unterstützung am Leben erhalten. Das wollte sie wirklich nicht ausprobieren.

»Du kannst dir deine Seite aussuchen«, sagte Sean. Er war klein, eins fünfundsechzig vielleicht, mit brünettem Haar. Sie konnte sich die Frage sparen, ob er Johannsen’s gehabt hatte. Nicht dass das für Kerle ein Problem wäre. Die kamen gewissermaßen alle schon mit Johannsen’s auf die Welt. Sie bezeichneten das als »männlich sein«. »Wir … äh …«

»Haben hier nicht viel Miezen«, sagte Dana und stellte ihren Seesack ab. Als Sean sie beim Geschwader abgeholt hatte, hatte er Anstalten gemacht, ihr damit behilflich zu sein. Sie hatte ihn bloß angefunkelt.

»Ich, äh, hätte nicht ›Miezen‹ gesagt«, sagte Sean. »Aber, klar. Lass deinen Seesack einfach hier. Als Nächstes kriegst du jetzt deinen Anzug. Und dann hast du bis zur nächsten Wache frei.«

»Wann fang ich an …«, sagte Dana und zuckte die Achseln. Trotz all der Kurse, die sie gemacht hatte, war sie nicht sicher, worin ihr Job eigentlich bestand. »Wann fang ich zu arbeiten an?«

»Ich komme dich zur nächsten Wache abholen«, sagte Sean. »Thermo hat im Augenblick wachfrei, deshalb weiß ich nicht einmal, wie du eingeteilt bist.«

»Thermo?«, sagte Dana.

»Entschuldigung«, meinte Sean. »Das ist Engineering Mate Eins David P. Hartwell. Hinter seinem Rücken wird er ›Thermo‹ genannt, weil er es geschafft hat, einen unserer ersten Myrmidons genau in einen SAPL treiben zu lassen. Der war auf verteilten Strahl geschaltet, und der Myrm ist bloß irgendwie … geschmolzen.«

»O mein Gott«, sagte Dana. »War die …«

»Es war keine Crew an Bord«, beruhigte sie Sean. »Und man hat ihn schließlich abgeschrieben, allerdings nach einer Unmenge Störfallsauswertungsberichten. Es war wirklich nicht seine Schuld. Er rechnet aber nicht damit, in nächster Zeit befördert zu werden. Jedenfalls ist er der Maschinenmaat der Division und Chef von uns kleinen Schraubenschlüsselakrobaten. Und da er wachfrei hat, hat man mir gesagt, dass ich dich rumführen soll.«

»Also … wo krieg ich meinen Anzug?«, fragte Dana.

»Da stell dich mal auf einen laaaangen Fußmarsch ein«, grinste Sean.

»Hier finde ich mich nie zurecht«, klagte Dana.

Ihrem Gefühl nach waren sie bereits eine Meile weit gegangen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass das auch nur annähernd auf einer geraden Linie gewesen war. Da waren vier Aufzüge, zwei Rolltreppen, einige Treppen und mehr Korridore gewesen, als sie zählen konnte, und dann noch zwei Grav-Gänge. Die waren zwar neu, aber auch nicht viel anders als die Laufbänder auf Flughäfen. Sie war einfach Sean gefolgt und hatte sich bemüht, nicht zu sehr wie ein Neuling auszusehen.

»Du würdest dich wundern«, sagte Sean. »Mir ging’s genauso, als ich hierherkam. Aber keine Sorge, du kriegst das schnell mit. Und wenn du dich gar nicht mehr auskennst und nichts Dringendes zu erledigen hast, kannst du ja Paris fragen, wo du gerade bist.«

»Paris?«, fragte Dana, als sie durch eine große, bereits offene Luke traten, über der »Abteilung Umweltanpassung« stand.

»Das ist die KI von Troy.« Sean trat an die Theke. Der Typ dahinter war älter, wohl um die Dreißig, und hatte einen kleinen Bauch. Ganz offensichtlich ein Zivilist. »Neuzugang.«

»Schon klar«, sagte der Mann nach einem Blick auf seinen Bildschirm. »Engineer Trainee Dana Parker?«

»Hier«, meldete sich Dana.

»Helm«, sagte er und holte einen von einem Regal. »Stiefel, Handschuhe und Anzüge dort hinten.«

Sean deutete auf drei Klappen an der Wand, die erstaunlicherweise die Aufschriften »Stiefel, Handschuhe, Anzüge« trugen. Sie klappte sie auf und zog die Anzugteile heraus.

»Und das war’s schon«, meinte Sean. »Danke.«

»Kein Problem.« Der Mann blickte endlich von seinem Bildschirm auf. »Pass auf, dass die Dichtungen immer gut in Schuss sind. Und wenn du noch einen persönlichen Rat willst, dann achte immer darauf, dass der Katheter geschmiert ist.«

»Jawohl, Sir«, sagte Dana und wurde dabei etwas rot.

»Ungefähr alle zwei Tage werden Druckverlustübungen abgehalten«, erklärte der Zivilist. »Wenn du darauf achtest, dass der Katheter immer geschmiert ist, dann brauchst du nicht nach dem Gel zu suchen, wenn du in Eile bist.«

»Jawohl, Sir«, sagte Dana ein zweites Mal. »Vielen Dank, Sir.«

»Ich sag das auch den Kerlen, Miss«, erklärte der Mann und nickte ihr zu. »Guten Tag.«

»Stiefel und Handschuhe kommen in den Helm«, sagte Sean und stopfte die Handschuhe hinein. »Der Helm kommt mit dem Halsring nach oben unter deinen linken Arm. Der Anzug«, fuhr er fort und warf ihn ihr über die Schulter, »soll auf lockere Weise über der rechten Schulter getragen werden. Das zeigt allen, dass du ein richtiger Junior Space Eagle bist.«

»Ja, Techniker.« Dana unterdrückte mühsam ein Lächeln. Aber als sie sich dann den Leopardenanzug so zurechtgeschoben hatte, dass er nicht rutschte, fühlte sich das tatsächlich recht flott an.

»Was der Anzugtyp da gesagt hat, hat was für sich«, meinte Sean, als sie wieder im Korridor waren. »Aber wir steigen ständig in die Anzüge und wieder raus, deshalb tut man das ohnehin. Wenn du meinen Rat …«, er verstummte und wurde rot.

»Sean.« Dana runzelte die Stirn. Er war Engineer, sie war nur Trainee, also noch in der Ausbildung. Aber das jetzt hinter sich zu bringen, war eine gute Idee. »Ich weiß, dass es beim Militär wegen Johannsen’s heutzutage nicht viele Frauen gibt. Wo doch die Horvath ständig auf uns einprügeln, ist keine Zeit, die Mommy zu spielen. Und wenn man Johannsen’s hat, und das hatte ich, muss man praktisch einen Keuschheitsgürtel tragen, wenn man nicht schwanger werden will. Aber ich hab eine Genbehandlung bei mir machen lassen und keine vier Kinder gekriegt, ehe ich mit der Highschool fertig war, und ich bin hier, um meinen Job zu tun. Ich bin anders gebaut als ihr Kerle, aber das hat nichts zu besagen. Ich bin nicht gleich beleidigt, wenn einer eine anzügliche Bemerkung macht. Ich bin mit vier Vettern auf einer Farm aufgewachsen. Wenn ich bei deren Witzen nicht das Kotzen gekriegt habe, dann wirst du das auch nicht schaffen. Und ihr Gerede erst. Falls du mir zu nahegetreten bist, wirst du es daran merken, dass ich anfange, darüber zu reden, wie einem mit Johannsen’s PMS zumute ist.«

»Autsch«, sagte Sean. »Ist angekommen.«

»Du wolltest also gerade einem verdammt unnützen Neuling irgendwelche Weisheiten über Weltraumanzüge vermitteln«, sagte Dana. »Ja, ich weiß, was ein VUN ist. Und ich weiß auch, dass ich ein verdammt unnützer Neuling bin. Du hast also gesagt … wenn ich deinen Rat will, wie man einen Anzug trägt …?«

»Ja.« Sean nickte. »Wir verbringen etwa die Hälfte jeder Wache in den Anzügen. Wir haben noch keine Hangars für die Myrmidons. Wir hängen an einem Außendorn.«

»Außerhalb der Troy?«, fragte Dana, und ihre Augen wurden groß.

»Nein, nein«, beschwichtigte sie Sean. »Wir sind im Haupthangar. Das ist eine Art … also, vom Eingang zum Hangar sieht es aus wie ’ne Spritze, du weißt schon, wie die Ärzte sie haben, ’ne Spritze mit Warzen. Das ist ein Stahlrohr, das die an die Wand geschweißt haben. Nach der Zählung von heute Morgen hängen da fünfzig Shuttles dran. Wenn wir also eine Außeninspektion machen müssen …«

»Und das geschieht standardmäßig einmal täglich«, fiel Dana ihm ins Wort.

»Genau. Also, das muss man im Anzug machen. Also heißt es die ganze Zeit, rein in den Anzug und wieder raus. Du bist noch nicht Anzug-qualifiziert, also wirst du dafür eine Quali machen müssen, ehe man dich für die Arbeit einsetzen kann. Aber nach der Quali heißt’s für dich auch die ganze Zeit raus und rein. Und deshalb … empfehle ich dir immer, immer, immer vor der Wache ein Ei zu legen. Du kannst auch im Anzug ein Ei legen, aber das ist ziemlich unangenehm. Und genauso unangenehm ist es, den Fäkalbehälter zu warten. Und aus dem Anzug rauszukommen, ist auch beschissen, besonders wenn du es eilig hast. Also leg dein Ei vorher. Wenn du von dem Katheter eine Entzündung bekommst, dann spiel nicht den Helden. Geh zum Sanitäter. Und überprüf deine Dichtungen. Überprüf sie einmal, überprüf sie zweimal und dann überprüf deine beschissenen Dichtungen ein drittes Mal. Überprüf sie jeden Tag nach Fremdkörpern, jede Stunde, bevor du den Anzug anziehst, jedes Mal, wenn du auch bloß dran vorbeikommst. Und beim Anziehen solltest du dich von einem Kumpel checken lassen, wenn das möglich ist. Wenn nicht, dann tu das selbst, wenn es geht. Und, um es noch einmal zu wiederholen, überprüf deine beschissenen Dichtungen!«

»Ich entnehme deinen Worten, dass du es mit Neuen zu tun hattest, die ihre Dichtungen nicht überprüft haben?«, meinte Dana schmunzelnd.

»Das kommt darauf an, wie man Neulinge definiert«, sagte Sean und drückte Knopf 32 in einem Aufzug. »Die haben uns einen Chief Petty Officer geschickt, der geradewegs aus der ›Wir machen dich zum Weltraum-Chief‹-Schule kam.«

»Gibt’s so was?«, staunte Dana.

»Ja, so was gibt’s«, nickte Sean. »Wo glaubst du wohl, dass wir all unsere Chiefs herkriegen? Man sollte ja meinen, dass ein Chief Petty Officer nach zwanzig Jahren in der Space Navy gelernt haben sollte, dass man auf Details achten muss.«

»Und das hat er nicht?«, fragte Dana. »Ich meine, ein Chief?«

»Er hat beschlossen, einen Inspektionsgang zu machen, um sich zu vergewissern, dass ›die Wartungsaufgaben vorschriftsmäßig durchgeführt wurden‹«, sagte Sean. »Mit anderen Worten heißt das, dass ›die Leute keinen Mist bauen‹. Ich darf darauf hinweisen, dass niemand im Vakuum Mist baut. Glaub mir, ich bin ein Meister im Mist bauen, und selbst ich treib mich nicht einfach im Haupthangar rum. Aber ich schätze, dass die Jungs auf den Flugzeugträgern oder so sich in den Rettungsbooten verstecken. Keine Ahnung, ich war nie in dem Verein, den die Oldies die ›echte‹ Navy nennen. Aber er wusste, dass sich irgendjemand irgendwo herumtreiben würde, und das Naheliegendste war offensichtlich, sich im Haupthangar im Vakuum zu verstecken, um, ich weiß ja auch nicht, bei null G Karten zu spielen oder so was Ähnliches!«

»Und er hatte seine Dichtungen nicht durchgecheckt?«, sagte Dana.

»Wir wissen, dass das seine Absicht war, weil er …« Sean hielt kurz inne, als sie den Fahrstuhl verließen. »… weil er ungelogen ein Stimmlog hinterlassen hat.« Seine Stimme wurde tiefer, klang jetzt salbungsvoll. »›Sechzehn-dreißig Backbordwache, führe Inspektion durch, um sicherzustellen, dass Wartungsaufgaben standardgemäß durchgeführt werden.‹«

»Äh …« Dana riss die Augen auf. »Und welchen Sinn hat es, ein Stimmlog zu hinterlassen? Sollen wir denn nicht ein Log über das führen, was wir tun?«

»Niemand außer totalen Nerds, und sonst wirklich niemand, hinterlässt ein persönliches Log«, sagte Sean. »Ich meine, berichtest du denn regelmäßig, was du den ganzen Tag über tust? ›2230 auf Troy eingetroffen, 2243 Shuttle Geschwader 142 zugeteilt, 2247 Ei gelegt …‹ Ich meine, echt – was soll das? Wir sind doch nicht bei Star Trek?«

»Äh«, machte Dana, als sie auf ein Gravband stiegen.

»Nein. Um meine eigene Frage zu beantworten«, fuhr Sean fort, »das ist nicht die Enterprise, das ist die Troy. Und die ist nicht dafür da, um in Galaxien vorzudringen die nie ein Mensch zuvor gesehen hat, damit Schmierenschauspieler einen Job kriegen. Unsere Aufgabe ist es, hier an der Tür zu sitzen und jeden, der durch das Tor kommt und den wir nicht mögen, zur Sau zu machen. Und noch ein Rat, wir hinterlassen keine persönlichen Stimmlogs. Aber in diesem Fall hatten wir zum Glück keine größere Untersuchung nach Artikel 32, als man Chief Petty Officer Buckley im Haupthangar als Holländer aufgefunden hat. Worauf ich mit dieser kleinen Anekdote hinaus will – du solltest immer deine Dichtungen durchchecken. Und dein Navopak …«

»Navigations- und Atmosphäresystem?«, riet Dana.

»Stimmt. Alle nennen das Navo. Achte darauf, dass die Kondensatoren geladen sind, achte darauf, dass du Dio hast …«

»Di … o?«

»’tschuldigung«, sagte Sean und seufzte. »Wahrscheinlich hat die Space Navy einen derartigen Abkürzungsfimmel, dass wir uns jetzt alle Mühe geben, da mitzuhalten, Di-oxygen-Moleküle. O2

»Oh.« Dana bekam allmählich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

»Zwei«, sagte Sean und grinste. »Kapiert? O – 2? Mono ist nicht gut, und Trio auch nicht. Dio macht dich schlau. Nicht zu wenige Atome, nicht zu viele. Geraaaade richtig.«

»Okay.« Dana grinste. »Monatomischer Sauerstoff ist tatsächlich eine recht hässliche Angelegenheit. Und Trio ist … Ozon.«

»Nio bedeutet Spaß«, sang Sean und machte dabei ein paar Tanzschritte. »Sio macht dich traurig. Und Suo ist sehr, sehr schlecht.«

»Ich versuch gar nicht erst, das zu kapieren.« Dana schob sich den Anzug auf der Schulter zurecht.

»Wir befördern gelegentlich Zeug, das einem mächtig Angst macht«, meinte Sean. »Wir haben einfach nicht genügend Transportkapazität, und die Ladebuchten sind noch nicht alle fertig. Also machen wir viel ›leichtere‹ Arbeit, wie die Oldies das nennen. Holen die Ladung von Frachtern ab und bringen sie in die Hangars. Der Coxswain muss dann die Ladung bestätigen, und das bedeutet, dass er zumindest eine Ahnung vom MSB hat.«

»Materialsicherheitsbericht«, sagte Dana.

»Stimmt«, lobte Sean. »Nio: Nitrogendioxid. Mit anderen Worten, stickstoffhaltig. Man kann das Zeug schnüffeln, wenn man ein Junkie-Typ ist, aber in dem Zustand ist das Zeug flüssig, und da ist es wirklich schliiiiiimmm. Siliziumdioxid haben wir bis jetzt noch nie befördert. Das ist ein Abfallprodukt bei der Stahlproduktion im Schweretrichter, aber es reimt sich. Suo ist Schwefeldioxid, das haben wir schon befördert, und es ist ganz besonders widerwärtig. Wenn das in Brand gerät, kann man die Luken öffnen und zusehen, wie es im Vakuum brennt. Vermutlich wäre das ganz schön cool … So viel zum Thema Mist bauen«, fuhr er fort, als sie durch eine weitere Luke traten.

Das Geräusch vieler sich unterhaltender Menschen schlug ihnen entgegen und dazu Essensgeruch. Dana lief das Wasser im Mund zusammen, und sie sah sich überrascht um. Das sah aus wie …

»Die Fressgasse«, sagte Sean mit einer weit ausholenden Handbewegung. »Die verdanken wir Apollo Mining und LFD, Abteilung Einkaufszentrum.«

Auf den ersten Blick wirkte die Fressgasse riesig, sie erhob sich sechs Stockwerke hoch über die unterste Ebene, auf der sie gerade standen. Aber dann stellte Dana fest, dass nur die unterste Etage in Betrieb war. Ein Stück weit entfernt verlief eine schräge Wand, an der sie nicht vorbei sehen konnte, aber es wirkte, als wäre dahinter zusätzlicher Raum.

»Es gibt ein Einkaufszentrum?«, fragte sie.

»Und ihre Augen leuchteten in der leidenschaftslosen Leidenschaft des Shopping«, grinste Sean. »Nicht in dem Sinn, nein. Noch nicht. So etwas ist für Phase Zwei geplant. Im Augenblick wohnen auf der Troy etwa dreitausend Militärangehörige und etwa die gleiche Zahl Zivilisten. Da würde sich ein richtiges Einkaufszentrum nicht rentieren. Wenn die Sektion Eins die volle Kapazität erreicht hat … dann reicht das auch für ein Einkaufszentrum. Es geht das Gerücht um, dass wir zuerst einen WalMart bekommen sollen, aber das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Im Augenblick gibt es bloß die Fressgasse und ein paar unabhängige Läden, die Zivilkleidung und so verkaufen, und einen winzig kleinen Publix-Supermarkt. Aber gemäß der mir von Engineering Mate Zwo Johnson erteilten Vollmachten und dem Befehl ›Besorg der Neuen einen Anzug und führ sie herum und so‹, erkläre ich, dass jetzt in der Fressgasse Mittagspause ist. Ich werde mir einen Döner holen. Wir treffen uns drüben bei der lila Raupe.«

Die »lila Raupe« erwies sich als ein Informationsplakat über die Ogutorjatedocifazhidujon …, der Name war zwei Zeilen lang. Nach einer Weile sah er so aus, als bestünde er bloß mehr aus einer willkürlichen Folge von Buchstaben. Dem Plakat nach handelte es sich bei ihnen um »eine friedliche Rasse, die sich um Gastfreundschaft in jeglicher Ausprägung« bemüht.

In einem der Kurse in ihrer Ausbildung hatte Dana gelernt, dass die Ogut-Zivilisten dazu neigten, in anderen Gemeinwesen Arbeit in der Hotellerie, der Gastronomie, dem Gartenbau, der Pflege und dergleichen zu übernehmen. Und dies allein schon um einen Vorwand zu haben, das Ogut-Imperium zu verlassen. Die Ogut-Regierung war alles andere als gastfreundlich. Es handelte sich um eine erbliche Monarchie, die überwiegend von ihrer Aristokratie geführt wurde. Während der multilateralen Gespräche, die zur Abtretung des Epsilon-Eridani-Systems an die Horvath geführt hatten, hatten sich die Ogut ein gutes Stück der Ormaturwelten als »Protektorat« einverleibt. Und der Kursleiter hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass das ziemlich genau dasselbe bedeutete wie der »Schutz«, den die Horvath einmal der Erde geboten hatten. »Einen verdammt hübschen Planeten habt ihr da, wäre schade, wenn ein Felsbrocken darauf fallen würde.«

Dana hatte eingeräumt, dass sie Hunger hatte und sich im Sushi House einen doppelten Fleisch-Teriyaki besorgt. Jetzt fragte sie sich, wo das Fitnesscenter sein mochte. Dass das nicht zu Seans Version von »sie herumführen« gehören würde, stand für sie ziemlich fest.

»Also …«, sagte sie, als Sean sich zu ihr setzte. »Sagen wir, es käme zu einem Druckabfall. Ich habe meinen Anzug. Was wirst du tun?«

»Siehst du die roten Exit-Schilder?«, erwiderte Sean. »Die führen zu Notfallüberlebenszentren. Das sind meistens die Toiletten. Die sind gegen Druckabfall abgedichtet, und dort gibt es Fächer mit Notfallausrüstung, die sich bei Atmosphäreverlust öffnen. Wir nennen sie Leichensäcke. Wenn du auf die angewiesen bist, bist du nämlich wahrscheinlich bereits auf dem besten Weg, eine Karbonskulptur zu werden. Aber im Augenblick sind wir etwa vierhundert Meter vom Haupthangar und einen guten Kilometer von der Außenseite entfernt. Irgendwie mache ich mir um Druckverlust keine Sorgen. Wenn wir dagegen in den Quartieren sind, bin ich schön vorsichtig.«

»Troy ist noch nicht einmal offiziell in Dienst gestellt, oder?«, erkundigte sich Dana.

»Nee«, bestätigte ihr Sean. »Bis jetzt haben die erst eine Laserröhre und ein Lenkwaffenrohr geschnitten. Die sind noch im Teststadium. Die Indienststellungszeremonie ist in etwa drei Monaten, und schon heute drehen alle beinahe durch. Da kannst du mit einer Menge Bonzen rechnen. Militär und Zivil.«

»Das wird ja dann wohl eine Mordsaktion«, sagte Dana. »Und ich kann mir denken, dass sich schon einige von euch überlegen, wie man da rumgeistern kann?«

»Daran arbeiten wir bereits …« Ein Schatten huschte über Seans Gesicht, als ärgerte ihn etwas. »Geht klar, Bosun’s Mate. Bin immer noch dabei, ihren Anzug zu besorgen. Roger. Wird erledigt. Aye, aye.«

»Problem?«, wollte Dana wissen.

»EM Zwo Johnson wollte gerade wissen, weshalb es so lang dauert, ›dich rumzuführen und so‹.« Sean nahm sein Tablett. »Insbesondere, da uns beide anscheinend seit einer Weile keiner gesehen hat. Ich hoffe, du bist eine schnelle Esserin.«

»Ich bin fertig«, meinte Dana. »Bekomme ich Ärger?«

»Du hast bloß deine Befehle befolgt«, sagte Sean und kippte die Reste auf seinem Tablett in den Abfall. »Und wenn niemand einen Besuch in der Fressgasse erwähnen würde, wäre das wahrscheinlich eine gute Idee.«