Der andere Tag hatte vom Morgen bis zum Abende gleichsam an der Schwelle der Nacht gelegen. Wie ein blasser Bechermund hing die Sonne in der Höhe und goß schwere Nebel über alles aus, daß die Erde zur Wolke im Gewölk wurde. Als ich die sanfte Lehne gen Wecknitz hinanschritt, sang der Turm von Naspenau mit seiner tiefen, alten Glocke Abendsegen. Die Klänge fielen kraftlos durch die Luft und erloschen im Grase. Nachdem die Erde den letzten Ton eingesogen hatte, kam ein Schimmer, eine machtlose Heiterkeit über sie. Freilich sah ich davon nichts als das schwache Leuchten der Wiesen ein wenig rechts und links vom Wege, denn ich ging gesenkten Auges hin und wollte meinen Blick erst im Birkenwäldchen zu dieser späten Schönheit erheben, um die volle Überraschung zu genießen. Indes ich so Fuß vor Fuß setzte und halbe Betrachtungen durch mich hinschwanden, näherte sich mir auf dem Wege das dumpfe Stoßen von Schritten. Da träumte ich versonnen in mich hinein: das könnte ja das Poltern sein, das dem Webstuhl eines Wecknitzer Häusleins entlaufen sei, weil es sich nicht mehr von dem plumpen Holze hin- und herschlagen lassen, sondern in die weite Welt laufen wollte, um dort auch etwas zu lernen.
Aber ich war nicht imstande, den sonderbaren Einfall zu Ende zu spinnen, denn das Poltern war mir ganz nahe gekommen und hielt dicht vor meinen Füßen. Ich hob lächelnd mein Gesicht, um zu erfahren, in was für einem Leibe es stecke und sagte fragend und überrascht: »Nun?« Es nahm mit ungewöhnlich langen Armen seine alte Mütze vom Kopfe, machte etwas wie eine Verbeugung und sagte dann: »Ach, Sie wern nämlich woll verzeihn, ich bin nämlich Plaschke aus der Wecknitz. Plaschke Thaddees.« Und weil es mir nicht gelang, das Lächeln zu unterdrücken, fuhr das Poltern fort: »Ich bin ein eenfacher Mann, freilich. Es is au nich wegen mir. Sie sein doch der Herr Lehrer Kastner aus Raspe, der de gestern bei unserm Herrn war?« Ich nickte. »Nu sehn Sie, do sein mer ja! Nämlich, meine Älteste, de Liese, is doch bei 'm aso fir Wirtschaftern, mecht ma sprechen. Na und das is Ihn ein komsches Mädel, vo der erschten Windel an, of deutsch gesagt. Sie hat Ihn aso een ganz andern Geist, wie mir Plaschke-Leute alle, daß ees wahrhaftig manchmal denken muß, sie zwirnt doppelt. Wissen Sie, aso koplischant und konzise is sie und auch mangolsch, mit eem Worte, versponnen. Da mochte unser Herr Lehrer ein Auge of sie gekriegt haben in der Schule. Und dernachern leid't er nich, daß sie spult, sorgt fir Kleeder. läßt sie das Kochen lernen in Siebenhuben beim Klemt-Gastwirt, alls. Nach, eene solche Guttäte soll ma sich doch suchen dahier in der Welt! Au sonst hilft er uns da und dort, wenns amal hapert. Mich schmeißt nämlich der Herrgott mit Kindern. Und Meine, nämlich gutt is sie ja, alle ponähr, nä, da mißt' ich liegen. Aber sie is doch, wie ma spricht, ein Pfriemer, dar de in Essig getaucht is. begiehts, beißt und sticht, manchmal tagelang. Was soll ma da machen?«
Plaschke hatte den Faden verloren und stach mit dem Stock im feuchten Sande des Weges umher. Dann sah er mich erwartungsvoll an.
»Sie wollten mir von Ihrer Tochter erzählen«, sagte ich und sah prüfend über ihn hin, über seinen vierschrötigen, zusammengesessenen Oberkörper, der auf langen, dürren Beinen balanzierte und auf sehr kurzem Halse einen ungemein ausdrucksvollen Kopf trug.
»Richtig, nee, nee. Ma vermärt sich aso. Ich bin nämlich hinterm Webstuhl afir, of gut Glücke naus geloffen, die is gleich hinter mir.«
»Die Liese?« fragte ich.
»Ebens, ebens. Sie will nämlich patuh nich mehr beim Herrn Lehrer blein, uf und darvo in de Welt nei.«
»Warum denn nun?« fragte ich weiter, weil Plaschke verstummte und ratlos an mir vorbei ins Leere sah.
»Ja, da kann ich nich gescheide aus ihr wern. Die verführt Reden, die kann keens verstehn. Und da dacht ich ebens, wenn Sie ihr den Kopp zurecht setzten. Sie sein gestudiert, und wie man hört, hält unser Herr Lehrer große Stücke vo Ihn. Da sagen Sie ihr, sie soll sich ihren Packs nehmen und soll wieder munder giehn. Nich wahr, Sie sein a so gut. Ich denke, Sie wern sie in den Birken treffen, und da nehmen Sie amol keen Blatt firs Maul. Sie kann doch nicht mir nischt dir nischt fortlaufen.«
»Was ich tun kann, will ich tun«, entgegnete ich dem armen Aufgeregten, der meine Hand ergriff, sie heftig preßte und dann mit den Worten: »Na, da dank ich Ihn recht schön. Ma muß halt das Leben kaun, und wenn eem de Zähne vollends gar ausbrechen«, an mir vorüber auf dem Wege nach Raspenau zu eilig fortstolperte. Seine Schritte klopften noch eine Weile durch den Dunst; dann verloren sie sich plötzlich, als seien sie von der Erde eingeschluckt worden. Daraus entnahm ich, daß er sich in einem Graben in den Hinterhalt gelegt habe, um seine Tochter abzufangen, wenn sie ja etwa, trotz meiner Einsprache, auf der Flucht bestehen sollte. Das war mir eine Beruhigung, und eiliger setzte ich meinen Weg fort. Die Birkenkronen, die erst als durchsichtiges Grüngewölk am Boden zu liegen schienen, schwebten, als ich die letzte Bodenfalte hinter mir hatte, nur wenige Schritte entfernt, gerade vor mir, gleich grüngoldigen Flammen auf den schwanken Alabasterleuchtern ihrer Stämme, denn eben wurden sie von dem schrägen Golde des letzten Lichtes getroffen. Und dort erspähte ich auch schon den dunklen Kopf Lieses. Sie saß auf einem begrasten Steine zwischen zwei Birken, leicht an einen der beiden Stämme gelehnt, das ziemlich umfangreiche Bündel neben sich. In der Haltung eines tief Versunkenen wandelte ich an die Wartende heran, das Gesicht abgewendet, als habe ich nur Äugen für den Flug Krähen, die über dem Wald des Feistelberges fort sich in dem Dämmern immer mehr verloren. Da grüßte mich auch schon ihre leise, wohllautende Stimme, und als ich mich umwandte, erhob sie sich in der ihr eigenen demütigen Art von dem Steine und bemühte sich in der Verlegenheit, das herabgeglittene helle Kopftuch aus dem Nacken über das reiche braune Haar zu ziehen.
»Ach, das ist ja die Liese!« rief ich mit gut geheucheltem Erstaunen. »Wo wollen Sie denn noch so spät hin, nach Raspe oder wieder in die Schule? Da können wir ja zusammengehen.«
Sie bewegte verneinend den Kopf, und mit geschlossenen Augen sagte sie leise: »Nich nach Raspe und nich nach Hause. Ich habe plötzlich einen Gang, und es is möglich, ich komme zum Abende nich nach Hause, vielleicht auch morgen nich, ma weeß eben nich.«
»Und das Bündel, da neben Ihnen?« fragte ich.
»Das sein meine nötigsten Sachen«; antwortete sie, die Augen zu Boden geschlagen.
»Da wollen Sie wohl dem Herrn Lehrer fortlaufen?«
»Meinem Herrn? meinem Herrn?« fragte sie, und es klang wie erhaltene Beglückung. »Nee, aber ausweichen will ... will ich ... muß ich, nich auf lange.«
»Aber Liese ...«
Doch sie unterbrach mich, erhob ihr blasses, zartes Gesicht und heftete die großen Augen fest auf mich: »Gelt. Sie verstehn mich nich! Das glaub' ich schon. und ich wirde es auch nich gewagt haben, wenn ich nich wüßte, wie Sie mit meinem Herrn stehn. und daß Sie der eenzige Mensch sein, dem er vertraut da hier rum.«
»Hat es denn etwas gegeben?« fragte ich, da sie verstummte.
Sie errötete, glücklich lächelnd. »Ach. Sie meinen, er wäre böse of mich gewesen. Nee, das kann mein Herr nich. Aber sehn Sie, es reißt was Schweres an ihm. Er sagt nie was, zu niemandem. Aber ich hab's gefühlt, wie es auf ihn zukam, schon vorm Jahre, und nu is ganz über ihm. Ich weeß, er muß wohl fort von hier. Aber verstehn Sie, das halt' ich nich aus. Das könnt' ich nich ertragen, auf der Treppe zu stehn und zu sehn, wie er fortginge aus der Schule und aus Wecknitz. Sie müssen wissen, er hat an mir gehandelt wie ein zweiter Vater. Und deswegen zittre ich, wo ich geh' und steh', und es geht um mit mir bei helllichtem Tage. Deswegen will ich fort, irgendwohin in den Busch, wo die Menschen weit sein und ihre Häuser, wo ich nich amal den Rauch aus den Essen rich und keene Sonne seh', und da will ich liegen und warten, bis alles vorbei is, was ich nich versteh', und was doch sein muß. Dernachern will ich den Packs da nehmen und will wieder nundergehn zu meim Vater und will mich hinter den Webstuhl setzen, wo mich mein Herr hat afürgezogen. Und zwischen dem Poltern kann sich mei Auge dann und wann durchstehlen durch de Obstbäume zur Schule. Da wird wohl alles gehn.«
Um die Flügel ihrer dünnen, schönen Nase nestelte verhaltenes Weinen, und erschöpft sank sie auf den Stein zurück, faltete die Hände im Schoß und senkte Wieder das Gesicht.
Ich wollte fragen, ob sie ihren Herrn liebe, kam aber nicht dazu, sie mußte schon von meinem Gedanken getroffen worden sein, denn sie sagte unvermittelt: »Aber denken Sie nich etwan was anders. Ich hab's mit dem ersten Herrgottsleibe ein mich gelegt, daß ich ihm fir all sein Guttäte dienen will, aso lange sich eine Ader rührt in mir.«
»Aber warum gehen Sie denn fort?«
»Weil ich zitter; weil ich Angst Hab' und kann mir nich helfen, und wenn ich um ihn bleib', da könnt' er am Ende bloß aus Barmherzigkeit zu mir dableiben und doch nich mehr recht froh werden. Denn er hat schon amal, ich weeß ganz genau wegen mir, den Schröfel abbestellt und die Kiste wieder ausgepackt.
Nu hab' ich noch eene Bitte, Herr Lehrer, deshalb Hab' ich auch of Ihn gewart'. Gehn Sie nunder und sagen Sie meinem Herrn, Sie hätten mich getroffen, und das Plaschke-Mädel sei ein widerborstiges Ding, dumm und nich recht gescheidt und besteh' darauf, fortzulaufen. Reden Sie's ihm recht ein und helfen Sie ihm so viel wie möglich, daß er feste bleibt und fortgeht. Und nu gute Nacht ...«
Ihre Stimme schlug über. Sie wendete das Gesicht ab und riß mit zitternden Händen an dem Bündel herum.
»Aber liebes, törichtes Mädchen«, sagte ich tief ergriffen und zog ihre Hände von dem Bündel fort. »Liese, begreifen Sie nicht, daß Sie durch all das Ihren Herrn gerade dazu brächten, entgegen seiner Notwendigkeit zu handeln?« Dann setzte ich ihr auseinander, daß ihr Verschwinden im Dorfe nicht unentdeckt bleiben könne, daß die Aufregung, die darüber entstände, meinen Freund zwänge, hier auszuharren, um böse Gerüchte zu entkräften; daß er außerdem dazu getrieben würde von Furcht und Sorge um sie, und als ich geendet hatte, saß sie lange mit bedeckten Augen, und ihr junger Busen ging stürmisch auf und nieder. Endlich richtete sie sich auf.
»Gut, ich will mich zusammennehmen«, sagte sie mit einer tiefsonnigen Stimme. »Es ist schon finster. So komme ich wohl ungesehen zur Hintertür hinein in meine Küche. Ich danke Ihnen recht schön, Herr Kastner!«
Sie nahm ihr Bündel auf den Rücken und verschwand nach links zwischen den Stämmen.
Als ich aus dem Gewirr der Steige zwischen den Gärten glücklich den Zugang zum Schulhause gefunden hatte, hörte ich schon Fabers tiefe Stimme, die mit einem unförmigen Brummelbaß Zwiesprache hielt, die Treppe herunter auf mich zukommen. Etwas von dem alten Schneid lag in ihr, und nachdem auf ungelenken, schweren Beinen ein plumper Ballen mit Gemurmel, das als Fluch und Gruß gelten konnte, sich hart am Zaune an mir vorbeibugsiert hatte, stand Fabers hoher Schatten vor mir, und er legte grüßend die Hand auf meine Achsel, indem er sagte: »Ich dachte schon, du würdest nicht kommen.« Dem Davongehenden rief er zu: »Gute Nacht, Schröfel!«
»Entschuldige,« erwiderte ich, »ich habe mich unterwegs aufgehalten.«
»Ist dir etwa die Liese begegnet?« fragte er, und ich staunte, wie ruhig er war.
»Warum hätte mir ausgerechnet ›Fräulein‹ Plaschke begegnen sollen?«
Vorsichtig drückte ich mich an der Wahrheit vorbei.
»Weil ich sie seit etwa einer Stunde vermisse und im ganzen Hause nicht finden kann«, entgegnete er.
In demselben Moment stieß eine Holzkanne an die Tür, nach welcher hin wir langsam geschritten waren, und gleich darauf stieg Liese die Treppe herab und schritt auf den Brunnen zu.
»Ach, da ist sie ja«, rief Faber. »Liese!«
»Ja, Herr«, antwortete das Mädchen leise. »Guten Abend, Herr Kastner!«
»Wo sind Sie denn? Seit einer Stunde sind Sie verschwunden«, fragte er mit dringender Güte.
»Entschuldigen Sie, Herr, ich war of eenen Augenblick bei der Gerth Mile drüben an der Lehne.« Damit verschwand sie im Hause.
Am Brunnen angekommen, blieb Faber stehen und sagte mehr zu sich als zu mir: »Gott, ja! es kann ja sein, warum denn nicht!«
»Wie kommst du darauf, verzeihe, wenn ich überhaupt frage, anzunehmen, die Liese könnte davongehen?«
»Ach, eigentlich sage ich das aus einer puren Empfindung heraus, und dann wäre das auch nach ihrem seltsamen Wesen in der letzten Zeit denkbar. Überhaupt ist sie ein Geschöpf, das nur aus Seele und Liebe zu bestehen scheint«, redete er versonnen.
»Also doch Liebe?« fragte ich.
»Ja, wie ich sie um der paar Fähnchen und um der wenigen Hilfe willen wahrhaftig nicht verdient habe. Sie lebt nur für mich. Je tiefer dieser letzte Zwiespalt über mich kam, um so größer wurde ihre Angst. Da läuft ihr dann allerhand über den Weg. Zum Beispiel heut nachmittag erst. Ich höre sie eilig den Flur hin zur Haustür laufen, und wie ich eine Weile nachher herauskomme, lehnt sie am Türpfosten, schreckensblaß und mit geschlossenen Augen. Rein wie in Bewußtlosigkeit. Und als ich sie mit Mühe wachgeschüttelt habe, öffnet sie die Augen und sieht mich groß und schmerzverwundert an. Nach vielen Bemühungen bekomme ich's endlich aus ihr heraus: Sie habe stark und eigen jemand an die Haustür klopfen hören, so daß es sie aus der Küche hinausgetrieben habe, und als sie laufend die Tür erreicht habe, steht da ein hochbetagter Greis, ausgerüstet wie ein Wanderer, über den Brunnen gebeugt und trinkt aus der hohlen Hand Wasser. Als er seinen Durst gelöscht hat, dreht er sich nach ihr um und nickt ihr freundlich zu, in der Art, als solle sie herabkommen und mit ihm gehen. Aber sie kann kein Glied rühren, ein solches Entsetzen kommt über sie, denn der Greis trägt ganz meine Züge, verwittert und vertieft vom hohen Alter, aber unverkennbar. Auch Haltung und Gebärde machen ihn ganz zu meinem weißhaarigen Abbild. Er lächelt ihr in gütiger Größe zu, darauf wandelt er, bedachtsam den Stab setzend, den Gang hinunter und verschwindet zuletzt zwischen den Gärten, wie aufgesogen von Grün und Licht.«
Nun verstand ich, was Liese mit dem »Umgehen« gemeint hatte, sagte aber Faber auch jetzt noch nichts davon, sondern fragte: »Und was denkst du darüber?«
»Was soll man denken, wo denken zu nichts führen kann?« antwortete er nach einigem Überlegen. »Vielleicht hat Liese wirklich hellseherisch den Ausgang meines und ihres Lebens geschaut. Denn der Mann ihres Gesichtes hat wirklich in meinem Leben existiert und existiert noch, wenn auch als überwundene Macht. Unser Inneres wurzelt in der Zeitlosigkeit. Wir haben es nicht allein, wir haben es mit allen und dem All gemein. Vornehmlich aber mit jenen, die mit uns eines Sinnes sind. Aus diesem Grunde allein kann ihr Wissen um mein Geheimstes gestiegen sein, da ich natürlich ihr nie davon gesprochen habe. Ja, vor diesen Tiefen des Daseins ergreift den Schwindel, vor dem sie sich auftun!«
Faber stand, den Kopf erhoben, und atmete stürmisch, als glänze ihm eine Erscheinung. Und jetzt, da er zu reden begann, klang seine Stimme von Glück zitternd. »Kästner,« rief er stürmisch aus, »mein lieber, einziger Freund, so wäre es möglich, daß auch in diesem schwarzen Schatten meine Erlösung läge, wie der Samen in der Erde! Ich, der Halbzerbrochene, könnte wirklich noch als Mann der hohen Warte enden, gleich ihm!?«
»Welche Schatten meinst du und welchen Mann?« fragte ich, weil Faber wie im Hinhorchen verstummte. Da fiel die Verklärung wieder von ihm ab. und er antwortete: »Ach, laß nur! Die Wasser meines Lebens sind in Fluß geraten, und bald wirst du meine rätselhaften Worte verstehen lernen. Es stößt mich wohl von selbst bis dahin. Und viel zu früh muß ich vielleicht erkennen, daß der Blitz, der mich eben erschüttert hat, eine Täuschung gewesen sei. Aber das ist mir doch unumstößlich klar; das Gespinst, das mein Leben und das Leben dieses kleinen Mädchens verbindet, ist ohne eines Menschen Zutun, wie uranfänglich geflochten. Denn vom ersten Tage meines Hierseins, erst fern und immer näher umschwebt mich diese schmetterlingsflüglige Seele. Wie oft, in der Schulzeit noch, hat sie sich unbemerkt ins Haus eingeschlichen, um die Nacht auf der Schwelle meiner Tür zu schlafen. Wie es über sie fiel, so wird es wieder von ihr sinken. Nein. Nein. Die voreiligen Willensmenschen! Was ich muß, das werde ich tun, und wen das Leben fängt, den kann sein Wille nicht befrei'n.«
»Komm,« sagte er dann nach längerem Schweigen, »es wird kühl hier. Droben brennt die Lampe. Wir müssen uns sputen. Ich fürchte, die heutige Nacht wird länger als die erste.«
In langen Sprüngen stürmte er die Bodenstiege hinauf. und als ich hinter ihm eintrat, hatte er der kleinen Stube schon einen Anstrich von Ordnung gegeben. Die paar Stühle standen an die Wand gedrückt, der eine war in die Ecke zwischen dem rechten Fenster und den Kleiderschrank geschoben. Daneben auf dem Fensterbrett standen eine Flasche mit Wasser und ein Glas.
»Willst du dich an das Fenster setzen?« fragte ich.
»Ja«, entgegnete er. »Ich glaube, in dem halben Dämmern, in dieser Abgeschlossenheit komme ich leichter zu der Empfindung einsamer Sicherheit, und dein Aufmerken stört weniger. Ich genieße die Kraft deiner mitgehenden Seele, ohne von dem Gericht deiner Blicke da und dort doch verwirrt zu werden. Ich denke, wir tragen das Sopha und den Tisch auch noch etwas nach dem Ofen hin.«
»Wie du willst«, sagte ich, ein wenig gedrückt.
»Du bist doch nicht beleidigt? Sieh.« sprach er rasch und überzeugend, »ich erzähle doch eigentlich wegen mir, vor dir, nicht für dich, und je mehr du unsichtbarer Miterleber bist, um so sicherer bauen sich die Notwendigkeiten meines Lebens in mir auf. – Leidende sind nun mal schon grillig«, fügte er lächelnd hinzu, als alles stand, wie er es sich dachte, und sah mich mit Augen an, die um Schonung baten.
Ich reichte ihm wortlos und herzlich die Hand. Dann suchte ich die heilste Stelle auf dem klippenreichen Sofasitz. Er war einen Schritt zurückgetreten und stand, halbabgewendet, in der Stube, den Kopf sinnend geneigt.
»Du bist mir gestern abend die Angabe der Gründe schuldig geblieben, die deinen Vater zu dem unvermittelten Bruch mit dem Tischler Rinke geführt haben«, begann ich, um ihn weiter zu führen.
»Ich weiß schon, ich weiß,« sprach er suchend, »ja, sicher wollte mein Vater seinen Freund nicht für immer von sich treiben, sondern ihn nur in seiner Weise zum Aufgeben ehrloser Pläne zwingen. Daß das Zerwürfnis zum ewigen Bruch der beiden Männer führte, daran war neben der gehässigen Hartnäckigkeit des Tischlers die Stimmung jener Zeit schuld, in die es fiel.«
Mit leisen, überlegenden Schritten war Faber, während er diese Worte sprach, an seinen Platz hinter den Schrank gegangen. Dort saß er einige Minuten schweigend, ein Bein über das andere geschlagen, zurückgelehnt, daß ich nichts von ihm sah, als seine überlangen Füße.
Dann begann er mit ruhiger Stimme weiterzuerzählen:
»Ein neuer Geist rumorte im Lande. Die Eisenbahnlinie war ausgebaut und sah nachts mit den roten Lichtern ihrer Signalmasten bis zu unsern Fenstern. Der Zug rollte an der Stadt vorüber, und an stillen Tagen dröhnte sein Keuchen bis auf den Marktplatz von Heisterberg. Die scheuen Dohlen des grauen Wartturmes aber stoben gackernd aus den Mauerritzen und umkreisten lange die plumpe Spitze, die den Doppeladler trug. Die alte Gemächlichkeit war auf Nimmeraufstehen aus ihrer Ruhe gerüttelt worden, und der neue Lauf der Dinge, der sonst nur gute Freunde zu läßlichem Streit am sicheren Ofen geführt hatte, wuchs sich immer mehr zu einer besorgniserregenden Angelegenheit aller aus. Er lockte dem Bauer das Gesinde vom Hofe, zauberte Fabriken um die Stadt, machte die Armen begehrlich und dreist, die Besitzenden anmaßend und hart. Das behäbige breitbeinige Dahertreten verschwand; hastig, mit gebeugtem Rücken, wie im Stoß, rannte das Leben hin. Die schmaltürigen Läden der Krämer gingen ein. Die meisten rissen die kleine, heisere Klingel von der Wand. Prunkvolle Schaufenster blühten über Nacht auf und waren oft nach Wochen schon geschlossen. Der Hammer des Verganters pochte bis tief in die Nacht. Das weite, neue Reich erbebte unter dem Geschrei überhitzter Massen, und der dumpfe Marschschritt der Arbeiterbataillone warf sein leises Echo bis in die holprigen Straßen unseres Bergstädtchens. Mit dieser Auflösung alter Verhältnisse und Begriffe ging, sicher auch in meiner neuen Heimatsstadt, eine gewisse Verirrung der Sitte. Denn von jeher, wie ich weiß, stand sie in dem Ruf, das Bedürfnis nach Moral dann und wann durch einen tollen Exzeß besonders in Punkto Liebe auffrischen zu müssen. Und so benutzten die Söhne der angesehensten Familien jene Zeit, in einem abgelegenen Hause mit ihren Mädchen zu Gelagen zusammenzukommen, die mit einem Tänzchen im Adamskostüm schlossen.
Genug, die wenigen, die von dem Bahnbau und überhaupt von der ganzen neuen Zeit nur Schlimmes erwartet hatten, behielten recht. Die Schar der Furchtsamen und Besorgten wuchs. Aber niemand wußte eigentlich recht, wer an den allgemeinen Nöten die Schuld trug. Man mußte wenigstens einen Namen haben, ein Schlagwort, das wie eine Fahne alle Elemente der Ordnung um sich scharte. Endlich hatte man es gefunden: die Sozialdemokraten waren die Anstifter all der Schäden.
Und so blind die Vielen sich anfangs der Gewalt des Umschwunges hingegeben hatten, so unbesehen stolperten sie auch in die summarische Verurteilung der Verwandlung und ahnten nicht, daß die Sozialdemokratie nur einen winzigen Bruchteil dessen darstellte, was untötbar seine Keime gebärend in alles Leben streute und überlegten nicht, daß die sozialdemokratische Anschauung nicht allein durch den wirtschaftlichen Umschwung veranlaßt, sondern auch eine notwendige Folge des zentralisierten Polizeistaates, der Kasernierung einer Nation durch Generationen, der allgemeinen Volksschule und nicht zum geringsten des christlichen Bekenntnisses sei. Man beging den Fehler, in den die Masse dem Neuen gegenüber scheinbar naturnotwendig immer verfallen muß, man maß die auftauchende Bewegung nach dem Unbehagen, das ihre Verwirrungen verursachten. Sozialdemokrat wurde ein Sammelname für Unglauben, Unzucht, Betrug, Raub und Diebstahl. Und die Bürger glaubten in Wahrheit für das Dasein Gottes, die Unschuld ihrer Töchter, gegen die verwerflichen Neigungen ihrer Söhne und die ärgerliche Anmaßung des Gesindes zu kämpfen, wenn sie sich gegen diesen inneren Feind erhoben. Unsere beiden Kapläne versammelten die Wohlgesinnten in der Hinterstube einer Konditorei am Ring und nannten diesen Verein, der wöchentlich geheimnistuerische Zusammenkünfte abhielt, Kasino. Der Bürgermeister Schrader, als Organ der exekutiven Polizeigewalt und Kriegervereinshauptmann, erließ geschwollene Aufrufe zum Krieg gegen den Umsturz. Kein Geburtstag, kein Schweineschlachten ging ohne Kaiserhoch ab. Überall setzte man an Stelle des schmucklosen Rechtssinns schneidiges Draufgängertum; lärmender Patriotismus verdrängte die selbstverständliche Vaterlandsliebe. Aber es blieb bei diesem künstlichen Taumel der Loyalität nicht allein, man bemühte sich, des Gespenstes der neuen Zeit in einem Menschen von Fleisch und Bein habhaft zu werden, um auf seine Brust das Mal der Schande zu heften, nachdem man sie so gründlich durch Thesen und Resolutionen verdammt hatte.
Zwei junge Burschen wurden vom Tanzsaale abgeführt und in der Folge zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie in der Trunkenheit den Kaiser beleidigt hatten. Gekränkte Frauen bezichtigten ihre Männer, verlassene Mädchen ihre ungetreuen Liebhaber. Jedes selbständige, freie Urteil machte verdächtig. Allenthalben erwachte ein schleichendes, horchendes Wesen, und nur jene waren befriedigt, deren Wohlergehen sich beim Anblick der Bedrängnisse anderer steigert, die nur der Fanatismus beglückt und jene, die so voll Niedrigkeit sind, daß sie um zeitlicher Vorteile willen ihre Grundsätze verschachern. Mein Vater hielt sich abseits von diesem Treiben und ließ sich durch nichts verleiten, hinter seinem Werktisch hervorzukommen, ja; mit einem deutlichen Zwang ließ er des Dorn-Schusters weitschweifige Berichte über alle Vorgänge in der Stadt über sich ergehen und stand nur von Zeit zu Zeit, wie um seine Geduld zu lüften, auf, um unter einem höhnischen Auflachen einen Rundgang durch die Stube anzutreten. Stets auch ließ er uns alle im Unklaren, ob er über die hanebüchene Torheit der Erzählung oder die Gutgläubigkeit des Erzählers in diese spottende Lustigkeit ausbrach. Nie aber legte er der Langatmigkeit Dorns die geringste Fessel an. Denn neben der schmerzvollen Verwunderung über die »neumodische Zeit« beschwerte allerhand häusliche Sorge des Armen Gemüt, und wenn er auch in Scham mehr darum herredete, so hatten wir alle es bald heraus, daß sein Junge, der Robert, nicht gut an seiner Stelle tue. Er war von seinem Vater, dem wegen geistiger Enge alles Außergewöhnliche und Ferne kostbar erschien, als Kellnerbursche nach Wien verdingt worden und hielt nun durch allerhand unziemliche Streiche seiner Eltern Kummer in stetem Atem. Kam auch der arglose Schuster über seines Einzigen Entgleisungen unschwer hinweg, so wurde sein Weib davon um so tiefer bedrängt, die, von Natur aus menschenscheu, sich immer mehr in Kleinmut verlor. So saß Dorn an manchen langen Abenden und schwatzte Himmel und Erde durcheinander, von niemand gestört, von niemand angeregt. Nur wenn er auf des Rinke-Tischlers seltsamen Aufschwung zu sprechen kam, empfand ich ein Aufhorchen meines Vaters. Ohne im mindesten die Gebärde der Gleichgültigkeit zu versehen, saß er da und schob dann und wann mit der Spitze seines Fußes etwas beiseite, in keinem Worte des Zerwürfnisses mit seinem Freunde gedenkend, ob der Schuster auch oft genug sich verwunderte, den Krummen gar nicht mehr bei uns zu treffen.
Er ist heraufgekommen, pflegte mein Vater in scheinbar gütigem Gleichmut zu sagen, hat das Haus voll Leute und muß die Ohren steif halten, seit ihm alle kirchlichen und städtischen Arbeiten übertragen worden sind. Ich sah ihn erst heute da und da, und wenn sich der Dunst in seinem Kopf gelegt hat, kommt er von selbst wieder und setzt sich auf die Bank hier hinter den Tisch. Auf diese Weise brachte er es dahin, daß Dorn jedesmal ahnungslos seinen Windsack weiter ausbeutelte. Aber wenn des Schusters tappsender Schritt sich aus dem Hausflur auf die Straße verloren hatte, verharrte mein Vater lange in tiefen Gedanken auf seinem Platz in der Sofaecke. Die Pfeife ging ihm aus, und trüber Ernst grub Falten in sein Gesicht. Vielleicht verließ ihn in diesen Augenblicken der Glaube ganz, es könne ihm je gelingen, den Verirrten mit der Treue seines unerschrockenen Herzens aus den schmachvollen Verwickelungen zu lösen.
Mir frühwachem Knaben waren seit jener Kampfesnacht die bunten Schatten vom Auge geglitten, und meine junge Seele nahm teil an dem Gram der Alten. Denn seit die Wirbel der tollen Monde sich ganz in mir zur Ruhe gerast hatten, ging ich wieder im Banne stiller Betrachtsamkeit. Brach von Zeit zu Zeit auch die kaum überwundene Ungebärdigkeit in mir durch, so war ich doch meist wie sonst: fügsam, fleißig und gut.
Da setzte der Kampf meiner Eltern gegen ihr Schicksal ein, an dem mein Leben einen so tiefen Anteil nehmen sollte, während meine beiden Geschwister fast nur wie nahe Fremde darunter litten.
Ich war Ministrant geworden und hatte mich unlustig eines Morgens um sechs Uhr unter dem steifgefrorenen Deckbett hervorgewunden. Zitternd vor Kälte entzündete ich das Lichtstümpfchen auf dem Mehlkasten und begann dann nach meinen Unterhosen zu suchen, die nirgends zu finden waren. Nach wenigen oberflächlichen Bemühungen weckte ich unsanft meine Schwester und machte ihr harte Vorwürfe über die Unordnung. Natürlich nahm sie die Störung mit gehöriger Entrüstung auf, und wir befanden uns bald in einem erregten Streit, bei dem meine Schwester so in Nachteil geriet, daß sie in lautes Weinen ausbrach, dem ich mit leisem Pfeifen und Singen sekundierte. Die Unterbeinkleider hatten sich endlich unter meinem Bett gefunden, und ich war im Begriff, mit dem Licht die Kammer zu verlassen. Da rüstete sich die kleine Flamme zum Erlöschen. Ich stellte den Leuchter wieder auf den Mehlkasten zurück, um dem letzten Ringen des Lichtes zuzusehen. Kurz vor dem Erlöschen brennt jede Flamme eine Weile gleichmäßig, wie mit einem zitternden Lächeln, um dann mit immer schwächer werdendem fieberndem Auffahren in die Nacht zu hüpfen. Diese Stille war eben über das kümmerliche Licht gekommen. Die Hände auf die Knie gestemmt, stand ich vor dem Mehlkasten. Jetzt – jetzt – jetzt, sagte ich in Gedanken; aber das Flämmchen kämpfte tapfer. Mit ganz leisem, doch hörbarem Jappen fuhr es immer auf, als schnappe es in Todesangst nach Luft. Da – ganz finster war es! Ich war tief betroffen, als mich plötzlich Nacht umfing und starrte einige Augenblicke auf die Stelle, wo eben das Licht noch leise gezittert hatte. Ein fernes Mitleid mit irgend etwas machte mich traurig ernst. Ich zog die Zehen der nackten Füße von den eisigen Dielen, streckte die Hände vor mich und tappte der Tür zu. Meine Schwester schlief schon wieder. Ihr ruhiges Atmen wurde nur manchmal von einem Stoßen ihrer Brust erschüttert, sonst war es ganz still. Ich hatte mich an die Stiege fortgegriffen und stand am ersten Stufen. Da hörte ich auf der unteren Treppe Schritte heraufkommen, mühselig, behutsam. Ich bückte mich, um zu erkennen, wer es sei. Ein schwaches Dämmern schwankte auf dem unteren Flur auf und nieder, an der Wand entlang, über eine Tür und einen daneben stehenden gelben Schrank. Dahinter wandelte ein blasser Lichtkreis, wie ihn Laternen mit runden Scheiben werfen. Nun stand meine Mutter in der Haltung eines tiefgebeugten Menschen vor der Tür auf dem zweiten Flur, stellte die Laterne vor sich auf den Boden, sah starr in den schmutzig-gelben Schein und fuhr sich dann unter schwerem Aufatmen mit der Hand über die Stirn. Ein heißer Schmerz stieg in mir auf, und wie ein Stein flog ich die Treppe hinunter an ihren Hals. »Mutterle, sei nich böse. Ja? Gelt, sei wieder gut«, flüsterte ich.
Sie neigte sich und berührte mit kalter Lippe meine Stirn. Dann schob sie mich einen Schritt von sich und sagte endlich, jede Silbe hart und bitter betonend: »Sie haben deinen Vater beschimpft. – Meinen stolzen, herrlichen Mann«, setzte sie, sich selbst vergessend, hinzu.
»Wer?« rief ich, »ich spuck' ihm ins Gesicht! Ich weiß ...«
Verweisend hielt sie mir den Mund zu und zog mich fort, die Stiege hinab.
Drunten trafen wir den Vater, der halb angekleidet auf- und abging.
»Range, was hast du für einen Lärm gemacht?« schnaubte er mich an.
Seine Stimme donnerte noch, klang aber doch wie eingezwängt, und durch das halboffene Hemd sah ich seine behaarte Brust in heftigen Stößen arbeiten.
Mit gesenktem Kopfe stand ich vor ihm, und etwas wie ein Verlangen nach Schmerz und Demütigung wurde in mir wach. So hob ich in scheuer Bitte mein Auge. Aber er verstand meinen Stolz nicht, sondern berührte mit der Hand verzeihend meinen Scheitel und sagte unter beißendem Lachen zu meiner Mutter: »Nun, ich muß es eben wegkratzen.«
Die Laterne in der Hand, verließ er schütternden Schrittes die Stube. Als ich hinter ihm drein wollte, fing mich die Mutter mit schmeichelnden Armen auf.
»Aber ich will sehen, was Vater wegkratzt«, sagte ich hastig.
»Laß sein, das ist nicht für ein Kind«, sprach sie traurig.
»Ist es etwas sehr Böses? Hund? – Luder? – Zigeuner? – Noch schlimmer?« fragte ich, mich überstürzend.
Meine Mutter nickte schmerzvoll und sagte, mir die Haare aus dem Gesicht streichend: »Das verstehst du noch nicht.«
»O ja,« bettelte ich. »Mutter, wir haben ja schon Dezimalbruchrechnung.«
»Ach Gott, ach Gott, mein armer Junge«, antwortete sie widerstrebend. »Du darfst es aber niemand sagen, auch Peter und Resa nicht. Es steht draußen an der Wand neben der Tür mit Farbe geschrieben: ›Hier wohnt ein Sozialdemokrat‹.«
»Ist das noch mehr wie Teufel?« fragte ich erschreckt.
Da schloß sie mit einem langen Kuß meinen Mund. Allein ich war doch tief bekümmert. Beim Ministrieren betete ich tiefandächtig für meine Eltern und bat Gott inständig, er möge den strafen, der die abscheulichen Worte an unser Haus gemalt hatte.
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Mein Gebet war umsonst. Gott schützte weder meine Eltern, noch strafte er den Übeltäter. Etwa acht Tage darauf, Montag früh, sammelte sich vor unserm Hause eine Menge Menschen an, zischelten miteinander, stießen sich in die Seite und sahen dann wieder an der Wand hinauf. »Haha,« schrien die Gassenjungen, »Sozialdemokrat!« Ja, es stand wieder an der Wand, dasselbe wie vor acht Tagen, nur hatte der Erbärmliche, wohl weil er bemerkt hatte, daß seitdem alle Morgen in der finstern Frühe die Wand in Manneshöhe mit der Laterne abgeleuchtet worden war, mit Aufopferung seine Verleumdung über die Haustür gemalt, so daß sie unserer Wachsamkeit entgehen mußte. Der Skandal an sich und die freche Pfiffigkeit des Unbekannten versetzten den Schwarm der Gaffer in die vergnügteste Laune, auch in die Fenster der gegenüberliegenden Häuser drängten sich neugierige Gesichter. Aus allem ging hervor, wie wenig Sympathie mein Vater genoß, der, einer landfremden Familie mit unerforschlicher Vergangenheit entsprossen, ernst und schweigsam seinem Haus und Geschäft lebend, sich so ganz den faden Eitelkeiten der kleinen Stadt fern hielt. Und während draußen die schadenfrohe Neugier sich erschöpfte und wieder entzündete, durchmaß mein Vater sinnend die Stube. Kein Wort kam von seinen Lippen. Er trug das bleiche Gesicht zur Erde geneigt und fuhr sich von Zeit zu Zeit hastig an seinen Schnurrbart. Da wagte endlich meine Mutter ihn zu erinnern, daß es notwendig sei, Anstalten zur Entfernung der ärgerlichen Worte zu treffen. Doch das versetzte ihn in Zorn: Er wolle sich nicht ein zweites Mal narren lassen, hinausgehen und unter dem Gelächter des Packs das Gekritzel von der Wand schaben. Außerdem sei das Sache der Polizei, die die Bürger zu schützen habe und durch lässige Handhabung des nächtlichen Wachtdienstes sich mitschuldig an der Infamie eines Schurken gemacht habe. Nun ward er mich gewahr, der, in eine Ecke gedrückt, beklommen alles verfolgte. Mit rauhen Worten wies er mich zur Schule, und als ich ihm die Hand zum Abschied reichen wollte, schob er mich von sich. Meine Mutter gab mir einen Kuß und flüsterte mir zu: »Gott mit dir, mein Junge!«
Mit fressender Scham im Herzen wand ich mich durch den Menschenknäuel und floh zur Schule. Als ich die Klasse betrat, schrie mir alles entgegen: »Sozialdemokrat!« Mir war aller Mut abhanden gekommen; ich weinte mit zusammengebissenen Zähnen in mich hinein und wagte kaum aufzublicken. Plötzlich stand vor mir der Sohn eines Gerichtssekretärs, ein langaufgeschossener, blasser Junge mit sonnensprenkligem Gesicht, roten Haaren und widerlichen Augen. Ich hatte ihm in meinen wilden Wochen bei einem Klassenaufruhr mein Tintenglas auf den steifgebügelten Sommeranzug geworfen, weil er sich stets zu den Reichen hielt und in den Häusern der Vornehmen herumdienerte, während er den Handwerkerkindern ein hochfahrend abstoßendes Wesen zeigte.
»Seid mal ruh'g, Jungens!« schrillte seine dünne Stimme in den Lärm. Mit einem Male war es still.
»Du, Bürschchen,« sagte er und beugte sich zu mir. »du, weißt du, daß du der Sohn eines Diebes und Räubers bist? Ins Rettungshaus gehört sowas, ins Zuchthaus!« Damit hieb er mir eine Ohrfeige herunter.
»Du lügst, lügst, lügst!« heulte ich in Qual, und mein eisenbeschlagenes Lineal sauste so wuchtig über seinen Schädel, daß das Blut spritzte. Die ganze Klasse stieß einen einzigen Schreckensschrei aus. Dann sprang man auf mich ein. Wütend um mich hauend, gelang es mir, die Tür zu erreichen und auf den Flur zu entfliehen. Hier prallte ich auf den Lehrer. Er packte mich am Arm, und als er das Blut an dem Lineal bemerkte, kam blinder Zorn über ihn, daß er mich an den Haaren unter Schimpfworten in die Klasse zurückzog.
Ich stand am Katheder, und es war mir, als sterbe ich ab, nicht aus Furcht, nein, aus Scham. Es kam eine Starre über meinen Nacken, vor den Ohren sauste es. Mein ganzes Fühlen war ein hilfesuchender Schrei, und ich weiß sehr wenig von dem Strafgericht, das über mich erging. Der Schuldiener prügelte mich, und der Lehrer verbot meinen Mitschülern, mit mir zu verkehren. Dann setzte er mich auf die letzte Bank zwischen zwei verlauste Betteljungen. Mehr weiß ich nicht. Es ist ungerecht! – wühlte es in mir. Die unschuldig erduldete Schmach brachte Ekel, Haß und Verachtung über mich. Blöde und stumpf hockte ich auf meinem Strafplatz. Zuletzt schlief ich vor Ermattung ein. Erst der Schlußgesang der Klasse weckte mich. Als letzter verließ ich das Zimmer und gelangte auf menschenleeren Gäßchen nach Hause.
Die Aufschrift war, Gott sei Dank, weggekratzt. Ein Maurer stand auf der Leiter und strich die beschädigte Stelle mit gelber Farbe. In meiner wilden Zeit hatte ich den Mann öfter als einmal öffentlich verhöhnt. Man kannte ihn in der ganzen Stadt unter dem Namen Spuck-Beck. Er trug den Kopf krampfhaft nach links gedreht und schielte, wie um dieses Übel wettzumachen, mit beiden Augen stark nach rechts. Vor dem Sprechen zog er jedesmal geräuschvoll den Speichel im Munde zusammen, spuckte, durch die Zähne zischend, aus und setzte dann, ein langes, gedankenvolles »Mm« vorausschickend, polternd ein.
Als er mich sah, hängte er den langgestielten Maurerpinsel an einen Leitersprossen, schlürfte, spuckte aus und schrie dann: »Mmm, – de Schule schon aus, Jüngla?« Erschreckt richtete ich mein Gesicht zu dem Fragenden empor. Bei dem Wort »Schule« kam ein Gefühl tiefster Hilflosigkeit und Verlassenheit über mich. Meine Augen waren starr auf den über mir Stehenden gerichtet und sahen doch ins Leere hinaus. Ich konnte mich nicht vom Fleck rühren. Endlich löste sich der Krampf, und der mühsam zurückgehaltene Jammer brach durch in einem Schluchzen, das den ganzen Körper schüttelte. So floh ich in die Wohnstube und sank, mein Gesicht in die Hände vergrabend, vor einem Stuhle in die Knie. Als gelte es die Rettung aus großer Gefahr, schrie ich nur immer: Ach Gott, o je, o je!
Hinter meinem Rücken war es eine Weile ganz still. Wann aber fuhr mich mein Vater an, wegen des Gewimmers. Aber ich war doch nicht fähig, mich zu halten, sondern weinte, wenn auch leiser, weiter in meine Hände hinein. Nach einigem Warten sagte mein Vater. Ja. Gut. Essen wir weiter! Hastig setzte das Geklapper der Messer und Gabeln wieder ein; dazwischen schwirrten klingend die Teller; keiner sprach, der Sitte unseres Hauses gemäß, ein Wort. Dann das gemurmelte Tischgebet. Poltern: »Wohl gespeis' ham?« Gesellen und Lehrjungen trappten zur Tür hinaus.
Eine Weile hörte ich dann nur die Mutter bekümmert atmen. Wein Vater schritt überlegend hinter mir hin und her. Die Uhr pickte sorglos. Die Schritte des Sinnenden wurden kürzer und lauter; endlich blieb er mit einem Ruck stehen und sagte: »Na, ein Junge kniet nich! Steh' auf und sprich, was hast du wieder ausgefressen? Nu!«
Mit lieben Armen half die Mutter mir Zögerndem auf. »Geh, Kind,« sprach sie dabei gütig, »sag's dem Vater, was dir fehlt oder was es ist.«
Ich muß wohl einen erbarmungswürdigen Anblick geboten haben mit dem kummerblassen Gesicht, dem stumpfen Blick und der schlaffen Gestalt, durch die die letzten Wellen des Schmerzes in bebenden Stößen fuhren, denn die Stimme meines Vaters war ungewöhnlich sanft, als er ermutigend sprach: »Nun, red' nur, Franz!« Und ich schüttete vor dem Rat dieser beiden treuen Herzen meinen Schmerz aus. Da ich geendet hatte, holte mein Vater, als schöpfe er ihn aus einem Brunnen, mühsam Atem und hielt ihn eine Weile drohend an. Dann platzte er donnernd heraus: »Junge, ist das auch wahr, was du gesagt hast?«
»Vater, wahrhaftig meiner Leib und Seele, so wahr ich Ministrante bin!« beteuerte ich und sank ihm in die Knie. Da legte sich seine harte, große Hand auf meinen Scheitel und mir war, als wälze sich eine große stumme Last, eine Quader auf mein junges Herz, daß ich vor Bestürzung still war.
»Pfui«, sagte mein Vater. »Hast du's gehört. Weib? Soll ich das Schnupftuch auch auf den Fleck legen? Das Geschwür stech' ich auf! Keinem hab' ich aufs Bein getreten!«
Und als meine Mutter doch noch zum Guten reden wollte, schnitt er ihr das Wort ab: »Egal! Es muß ein Ende gemacht sein. Ich schlage an die Tür der Schule, der Pfarre und des Rathauses!«
Er verließ die Stube und kehrte nicht lange darnach zum Ausgang gerüstet wieder zurück, gab noch diese und jene geschäftliche Anordnung, fragte mich, ob der Pfarrer Zimbal Schulrevisor sei, strich sich vor dem Spiegel den Schnurrbart zurecht und ging mit dem grimmig-lustigen Ausruf: Nu kann's losgehen! von dannen.
Allein es half nichts. Der Lehrer setzte mich zwar an den alten Platz, blieb aber lieblos, ja abstoßend zu mir. Der Pfarrer zeigte seine Abneigung anders. Im Kommunionunterricht zog er mich auffällig oft zu Antworten heran und erklärte dann mit Erbarmung und Liebe: Ja, ja, armer Faber, lerne, lerne! Sei fleißig im Weinberge des Herrn! Du hast das Licht der Religion und die Gnade Gottes ganz besonders notwendig. Von solchen Worten kam ich mir wie bespien vor, und eine Feindseligkeit gegen den Geistlichen, die meinem frommen Herzen wehe tat, kam in mir auf.
Selbst von der Kanzel herab warf dieser Gottesmann eines Sonntags seine giftigen Pfeile. Ich saß mit meinem Vater in der Kirche und hörte seiner Predigt über den guten Hirten zu. Er beschäftigte sich mit den Pflichten des Priesters seinen Pfarrkindern gegenüber. So kam er auch auf die »teuflische neuzeitliche Bewegung unter den Kindern der Welt« zu sprechen; diesen »wahren Knappen Belials«. Seine Stimme ward stark, dröhnend; er schlug leidenschaftlich auf den gepolsterten Rand des Predigtstuhles und hob dann beschwörend die Hände gen Himmel.
»Ha, o der frechen Gemeinheit dieser Gesellen«, rief er etwa. »Denn, wenn durch die Vorsehung Gottes Licht in die verborgenen Höhlen ihrer Seele fällt, wenn treue Christen in der Betrübnis ihres frommen, einfältigen Herzens dieses gottabgewandte Leben an den Pranger stellen und öffentlich, wenn auch geschützt, auf sie weisen, um sich ihrer Bosheit nicht auszuliefern, dann, oh, dann nimmst du, Lästerer, um dich den Mantel der gekränkten Biederkeit und dringst mit harten Worten in die geweihte Klause der Priester des ewigen Gottes.«
Seine Stimme schnappte über. Es entstand eine Bewegung unter den Zuhörern; viele wendeten die Köpfe nach meinem Vater, dem also Geschändeten. Der reckte sich starr auf. Die Züge seines Gesichtes wurden hart wie Stahl. Dann schoß er zu seiner ganzen Größe auf und heftete einen Augenblick sein Gesicht voll tiefster Verachtung auf den Pfarrer, der nur eine Bankzeile von uns entfernt war und bei dem Anblick des drohend Aufgerichteten erbleichte, weil er fürchten mochte, mein Vater würde sich zu einer Entgegnung hinreißen lassen. Aber der ging, ohne ein Kreuz zu schlagen, erhobenen Hauptes hinaus, und die tausend Augen der Gemeinde schillerten in Schadenfreude hinter ihm her. Mein Herz trieb mich dem Beschimpften nach. An der Stiege, welche von dem Bauernchor in das Schiff der Kirche herunterführte, blickte er sich nach dem scheuen Trippeln um, das seinem Schritt folgte, und eine trauervolle Freude erhellte die Starrheit seines Antlitzes. Am Weihkessel ging er, abgewandten Gesichtes, vorbei. Ich aber griff hinein und besprengte mich mit dem geweihten Wasser. Wie ich mich umwandte und hinausschlüpfen wollte, schrie der Pfarrer Zimbal eben dröhnend: »Auf, tuet euch weit auf, ihr Tore des ewigen Heils, auf daß die Pest des Unglaubens von dir weiche, du gute und sehr gute Herde des göttlichen Hirten!«
Da wischte ich draußen im Lichte der Sonne das heilige Naß von meiner Stirn, denn ich wollte sein wie mein Vater. Der aber eilte ohne Umsehen weiter und betrat seit diesem Sonntage keine Kirche mehr. Er versuchte auch nicht, den Pfarrer Zimbal wegen Mißbrauches der Kanzel zur Rechenschaft zu ziehen oder wenigstens zu erforschen, wessen geheime Wühlarbeit seit Wochen und Monden seinem Leumund so schadete. Er lebte still und aufrecht hin, nur eifriger tätig als sonst, als sei nichts vorgefallen, was ihn innerlich angehe. Denn es gibt eine tugendhafte Mannesschwäche. Das ist die aus edlem Stolz. Mein Vater besaß sie. Bei diesem Mann der wortarmen Entschiedenheit gab es nichts Dekoratives, nichts Halbes. Jede Tat, ja jede Äußerung bis herab zur Geste sprang mit urwüchsiger Gewalt unmittelbar aus seinem Wesensmittelpunkte. Keinen Vorhalt, kein tastendes Präludium sandte sein Wollen voraus. Bis in den kleinsten Zug fertiggefeilt schob seine verschlossene Seele endlich den Entschluß ans Licht, hart und unwiderruflich. Ihm war die Zähigkeit der Kleinen fremd, dem als recht Erkannten unter kluger Benutzung der Verhältnisse bei seinen Mitmenschen Geltung zu verschaffen. Sein Edelstreben befaß keine Modulation. Verteidigung und Angriff bestanden bei ihm aus einem, dem Hieb. Wohl aus Ehrfurcht vor sich und den Menschen war es ihm unmöglich, mit dem Schmutz und der Verschlagenheit seiner Gegner zu rechnen, denn Gemeinheiten machen den Helden wehrlos aus Ekel.
Darum kam auch nichts als ein bitteres Lächeln in seine Züge, als einige Tage nach seiner Flucht aus der Kirche die Polizei bei ihm Haussuchung nach sozialistischen und anarchistischen Büchern und Briefen hielt. Mit kalter, verachtungsvoller Höflichkeit geleitete er den Beamten zur Tür hinaus. Kein Wort der Genugtuung kam über seine Lippen, daß man auch nicht ein verdächtiges Papierschnitzel gefunden hatte. Mit hocherhobenem Haupte stand er noch immer da, und wenn er auch dann und wann in ein düsteres Fernsein verfiel, so rettete sich sein Auge doch immer wieder in das blitzende Leuchten, und wie je schütterten seine Schritte über Flur und Stiege.
Behaglich und gesammelt saß er nach leidenschaftlich-fleißigem Tagewerk in seiner Sofaecke und ließ, vom Sinnen zurückkehrend, sein Auge wohl über den Tisch wandern, der nun einsamer stand als sonst. Denn seit hinter jedem Schritte meines Vaters das Zischeln lief, waren so nach und nach all die Schwätzer und Stuhlwärmer ausgeblieben. Nur der Dorn-Schuster hatte sich fester auf seiner Bank eingenistet. Stets betrat er mit bekümmerter Miene unsere Stube, und stets kam doch die alte, kindhafte Aufgeräumtheit über ihn beim Anblick meines unberührten Vaters, der ruhig jeden Versuch seiner märigen Güte, dem »niederträchtigen Volke«, insbesondere aber dem Rinke-Tischler, eins zu versetzen, zurückwies, im übrigen aber geduldiger und aufmerksamer des Schusters komische Mutmaßungen über die große Wendung der Zeit ertrug. Ja, tauchte aus der Seele des Aufgeregten, der die ganze Welt nur durch seine Schusterkugel betrachtete, ein treffender Gedanke, so beteiligte sich mein Vater mit einem langen Blick, einer zustimmenden Geberde oder kurzen Bemerkung sichtbar an dessen Kummer. Verlor sich Dorn gar – und es geschah fast immer – in seine Familiensorge, dann blühte im Gesicht meines Vaters ein tiefes, ehrlich-schönes Mitleid, wenn er es auch vermeiden gelernt hatte, ihm Räte zu erteilen oder ein zu herzliches Erbarmen zu zeigen. Denn der gütige Mensch war zu keiner Strenge gegen seinen ungeratenen Jungen zu bringen, dessen Leichtsinn schon zu Veruntreuungen übergegangen war, sondern er drohte, beschwor, klagte, vertuschte und bezahlte, um am Ende in eine fast wirre Verstörtheit zu verfallen, während sein kleinmütiges Weib tagelang von sinnloser Angst durch die Finsternis der Dachkammern getrieben wurde und dann wie in Todesgier sich aus schwindelnd hohen Fenstern neigte. Erzählte das Dorn, so griff mein Vater herzlich nach dessen großen, mehligweißen Händen, die zuckend auf dem Tische lagen, und hielt sie, bis in dem Gesichte des Armen das Zittern vergangen war. Immer verließ uns dann der Schuster in halber Gebeugtheit, und mein Vater begleitete ihn, die Rechte wie schützend auf seine Schulter gelegt, bis an die Haustür. Dort wartete er, bis der Schatten des Davongehenden im schwarzen Torbogen des Wartturmes verschwunden war, und kehrte mit Schritten zurück, die wie Aufstampfen klangen, und einem Gesicht, in dem bittere Entschlossenheit wetterleuchtete.
Zu bittere