Mit Berichten von Bestmännern
aus der Fischerei
Ein zentraler Aufgabenbereich des Bootsmanns: Der sichere Umschlag der Ladung
Kapitän Hans-Hermann Diestel
Vorwort
Aller Anfang ist schwer
Horst Köpcke
Vom Steward zum Bootsmann
Volker Fiedler
Mein Berufsziel war Schiffszimmermann
Jürgen Lange
Geschafft! – Endlich geschafft!!!
Manfred Tesenvitz
Von der Reusengemeinschaft zur DSR
Gerhard Ehrlichmann
Die Seefahrt begann auf der NORDSTERN
Jupp Sobotta
Als Uhrmacher zur See
Manfred Dhonau
Von der Fischerei zur Fährschifffahrt
Hendrik Raulf
Erste Reise mit Seekrankheit
Wolfgang Berndt
Vom Betonbaufacharbeiter zum Bestmann
Max Moldenhauer
Von Vietzkerstrand nach Wustrow
Franz Piasta
Vom Poeler Strand zum Fischkombinat
Michael Otten
Ohne Lehre zum Bestmann
Peter Dietrich
Erst abgelehnt, dann angenommen
Olaf Schröder
Vom Takler zum Bootsmann
Die Aufgaben eines Boots- oder Bestmanns
Volker Fiedler
Schwergutgeschirr und Kenterschäkel
Jürgen Lange
Beliebt oder unbeliebt
Manfred Tesenvitz
Tankreinigung und das Laden von Stämmen
Gerhard Ehrlichmann
Zement, Kartoffeln und Container
Jupp Sobotta
Rinder und Schwergut
Manfred Dhonau
Die täglichen Herausforderungen zwischen Saßnitz und Basra
Hendrik Raulf
Sicherheit und Teamwork
Michael Otten
Der Bestmann der Gegenwart
Peter Dietrich
Neue Technologien – neue Aufgaben
Arbeits- und Lebensbedingungen
Horst Köpcke
Der Steward als Jongleur
Jürgen Lange
Die komfortablen Skandinavier
Hendrik Raulf
Gesellschaftliche Arbeit
Wolfgang Berndt
Vom Logger zum Supertrawler
Franz Piasta
Ein Dach zum Schutz der Decksgang
Michael Otten
Internet und Fitnessraum
Peter Dietrich
Das »Eisenschwein« aus Newcastle
Die Schiffe und ihre Besonderheiten
Horst Köpcke
Von schaukelnden Kümos zu stabiler VÖLKERFREUNDSCHAFT und seefestem »Typ IV«
Volker Fiedler
Kleine und große Schiffe
Manfred Dhonau
Rollende Fährschiffe
Wolfgang Berndt
Fischen, kaufen und tricksen
Peter Dietrich
»Mopeds« und Schottel-Schlepper
Kapitäne
Jürgen Lange
Der Schranktrinker
Manfred Tesenvitz
Kapitän Zinn und Kollegen
Gerhard Ehrlichmann
Nur ein Kapitän fiel aus dem Rahmen
Jupp Sobotta
Vom Polit zum Kapitän
Hendrik Raulf
Großmutters Rat
Franz Piasta
Kapitäne – gerecht und fachlich gut
Michael Otten
Ruhige Kapitäne
Besondere Ereignisse
Horst Köpcke
Der Elektriker ging über Bord
Volker Fiedler
Bagger und Schwergutbaum in Bewegung
Jürgen Lange
Wieder einmal die Biskaya
Manfred Tesenvitz
Telefonkabel zerrissen und Leine in der Schraube
Gerhard Ehrlichmann
Zwischen Schute und Back
Jupp Sobotta
Grundberührung in der Irischen See
Manfred Dhonau
Leine über Bord
Hendrik Raulf
Rettung aus Seenot
Wolfgang Berndt
Endlos Wind und See
Franz Piasta
Schwarzer Frost
Michael Otten
Brücke unter Wasser
Peter Dietrich
LODOGA 3 auf dem Strand
Olaf Schröder
Durch Sturm und Eis
Das Ende
Volker Fiedler
Das unfreiwillige Ende meiner Seefahrt
Jürgen Lange
Die »Freiheit« und der Dienst
Gerhard Ehrlichmann
Die letzten Reisen
Manfred Dhonau
Die Auswirkungen der »Wende«
Hendrik Raulf
Das Ende vor Mosambik
Franz Piasta
Das traurige Ende
Kurzbiografien
Glossar
Danksagung / Bildnachweis
Die erste Funktion, die auf mich als 15-jährigen Lehrling auf meinem ersten Schiff, dem Dampfer WISMAR, Eindruck machte, war die des Bootsmanns. Ich hatte mich beim Ersten Offizier angemeldet, aber das war nur eine kurze Formalität. Die ersten einnordenden Hinweise, in Form von ein paar Tritten in den Achtersteven, verpasste uns Bootsmann Förster. Das wiederholte sich nicht im Verlaufe meiner Lehre, aber diese Form eines Hinweises habe ich dennoch nie vergessen. Er hatte große Hände, die er auch zu nutzen wusste. Seine Art, für Ordnung und Disziplin zu sorgen, hat mich nicht gestört, weil ich eine von diesen Faktoren bestimmte Verhaltensweise auf einem Schiff, in jeder Funktion, immer für notwendig gehalten habe. Förster stellte diese Anforderungen nicht nur an die Lehrlinge, sondern auch an die Matrosen, was denen durchaus nicht gefiel. Von Anfang an war der Bootsmann nicht nur für mich eine Respektsperson. Förster setzte nahtlos die Bemühungen der Lehrbootsleute Seefeld und Bolle fort, uns zum engagierten Arbeiten und zu einer straffen Disziplin zu erziehen.
Ein Bootsmann, der sein Fach verstand und die Decksgang, später die Komplexbrigade, im Griff hatte, blieb auch für mich als Kapitän eine Person, der meine Achtung gebührte.
Die alten Rostocker Fahrensleute hatten Richard Wossidlo erzählt, dass der Bootsmann so etwas wie die Polizei auf den Rostocker Schiffen war. Förster ist dieser Tradition durchaus gerecht geworden. Als ich im März 2010 an einer Offizierskonferenz einer großen Hamburger Reederei teilnahm, sagte ein Personalmanager: »Es ist sehr schwierig, eine Schiff ohne Kapitän zu fahren. Ohne Bootsmann ist es unmöglich.« Ich will diese Aussage nicht weiter kommentieren. Als Ausdruck der Wertschätzung für die Arbeit eines guten Bootsmannes hat sie jedenfalls ihre Berechtigung. Leider hat diese außerordentlich hohe Wertschätzung der Seeleute für diese Funktion nicht verhindert, dass erste Entwicklungen zu beobachten sind, die den Bootsmann – wie schon den Zimmermann vor ihm – aus der Struktur einer Besatzung eliminieren könnten. Als ich Kapitän Einarsen vom Hurtigruten-Schiff KONG HARALD fragte, ob ich seinen Bootsmann für dieses Buch interviewen dürfte, teilte er mir mit, dass es auf seinem Schiff gar keinen Bootsmann mehr gibt. Die Decksgang von sechs Matrosen arbeitet in zwei Schichten und wird direkt vom Ersten Offizier geführt. Im Sommer, wenn die Konservierungsarbeiten im Vordergrund stehen, erhöht dies die Belastung des Ersten erheblich. Manchmal, berichtet Kapitän Einarsen, schält sich einer der Matrosen als ihr Sprecher heraus. Das wäre aber auch keine Hilfe, weil es zwei Schichten gäbe.
Wann die Position des Bootsmanns in die Handelsschifffahrt eingeführt wurde, konnte ich nicht herausfinden. Aber schon Shakespeare verwendete 1611 in »The Tempest / Der Sturm« den Begriff Bosun und in späteren Ausgaben Bosu’n. Das ist erstaunlich, denn die sich aus dem ersten Begriff ergebende phonetische Aussprache, die wir auch an Bord unserer Schiffe verwendeten, wurde erst ab 1868 üblich. Die Stellung des Bootsmanns in der Handelsmarine hing vor allem von der Größe des Schiffes ab. Herausgehoben war sie in jedem Fall. Dies wurde dadurch unterstrichen, dass er auf den größeren Schiffen achtern beim Kapitän und den Offizieren wohnte. Genau diese Haltung machte auch Volker Fiedler in unserem Gespräch deutlich. Er sagte: »Du bist als Bootsmann immer dichter bei den Offizieren als bei der Mannschaft.« Auf den Rostocker Schiffen war der Bootsmann Achtergast mit eigener Kabine. Auf größeren Schiffen ging er auch keine Wache. War ein reiner Tagesdienst nicht möglich, ging er, wenn zwei Offiziere gemustert waren, mit dem Zweiten Offizier und bei nur einem Offizier (Stüermann) an Bord mit dem Schipper (Kapitän) Wache. Auf ganz kleinen Schiffen gab es weder Steuermann noch Bootsmann. Hier hatte der Bestmann die gehobene Stellung inne. Sonderstellungen hatten auch der Koch, wie könnte es bei der ewig hungrigen Meute auch anders sein, der Zimmermann, der Segelmacher und der Schmied. Den Segelmacher (Büdelneier) gab es nur auf größeren Schiffen. War der Herrscher über Nadel und Segelgarn nicht an Bord, übernahm der Bootsmann diese Aufgabe. Den Schmied gab es nur auf den Seglern aus Eisen oder Stahl.
Bootsmann Seefeld beim Appell auf dem Ausbildungsschiff THEODOR KÖRNER
In jedem Fall war der Bootsmann das Bindeglied zwischen dem Kapitän und den Offizieren sowie der unter der Back wohnenden Mannschaft. Im Normalfall war er ein ehemaliger Matrose, der, in der Flotte der DSR zum Beispiel, vor seiner Beförderung 24 Monate als Matrose gefahren sein sollte. Eine spezielle Qualifikation oder ein Patent, wie bei den nautischen Offizieren, war nicht erforderlich.
Bootsmann Volker Fiedler (Mitte) und Hans-Hermann Diestel (links) in einer Kammer des MS QUEDLINBURG
An Land hätte man den Bootsmann zu manchen Zeiten Vorarbeiter und zu anderen Brigadier genannt. Bei uns Lehrlingen war er vom ersten Tag an der »Boss«. Daran hatte sich auch nichts geändert, als ich auf meiner ersten Reise als Erster Offizier mit Volker Fiedler auf der QUEDLINBURG zusammenarbeitete. Die Aufgabenverteilung zwischen uns war noch so, wie sie unsere Vorfahren Wossidlo beschrieben haben. In der Regel stellte der Erste Offizier den Arbeitsplan für die Reise auf. Abhängig vom Wetter, den Anforderungen des Lade- und Löschbetriebes im Hafen und unvorhergesehenen Ereignissen wurde der Plan für den nächsten Tag abgesprochen. Kurz vor Feierabend kam der »Boss« zum Ersten auf die Brücke und berichtete über den Fortgang der Arbeiten. Am nächsten Morgen vor Arbeitsbeginn tat er dies auch, um mit dem Ersten mögliche Änderungen, die sich vor allem aus der Entwicklung des Wetters ergeben konnten, zu beraten. Natürlich hatte ein guter Bootsmann sowohl auf den Reiseplan als auch auf die Planung für den jeweiligen Tag erheblichen Einfluss. Er konnte durchaus Änderungen am Tagesplan vornehmen, wenn er dies für notwendig hielt. Die Gründe dafür würde er dem Ersten entweder bei dessen Rundgang oder abends auf der Brücke erklären.
Der Bootsmann war, wenn er über die erforderlichen Qualitäten verfügte, eine geachtete Persönlichkeit. Im Gefüge der Besatzung konnte er, bevor Kapitän und Offiziere überhaupt aufmerksam wurden, manches Problem klären. Das ging natürlich nur, wenn er über das entsprechende fachliche Können und über das notwendige Durchsetzungsvermögen verfügte. Einige wenige Bootsleute, die ich kennen gelernt habe, hatten weder das Durchsetzungsvermögen noch die das fachliche Können. Sie hielten sich selten lange in der Funktion.
In der Rostocker Fischerei war die Situation etwas anders. Dort war der Bootsmann, wie es mir Werner Lemcke schrieb, »ein Mann für alles«. Wolfgang Berndt vertritt die Auffassung, dass der Bestmann eine Weiterentwicklung des Bootsmanns ist. Er kannte keinen Bootsmann im Fischkombinat Rostock, der nicht vorher Bestmann gewesen wäre. Dies bestätigen die Berichte von Franz Piasta. Ältere Bestleute konnten, wenn ihnen die Arbeit als Bestmann zu schwer wurde oder ihnen die Gesundheit Probleme bereitete, die Funktion des Bootmanns übernehmen. Wie mir Kapitän Einarsen von der KONG HARALD berichtete, wird der Begriff »Bestmann« auch in der norwegischen Fischerei seit langer Zeit verwendet. Die Bezeichnung für diese spezielle Funktion ist also keine rein nationale. Bei den Russen und Bulgaren wurde der Bestmann »Trawlmeister« genannt. Hingegen bezeichneten ihn die Briten, US-Amerikaner und Kanadier als »First Hand«.
Bootsmann Reiner Otto und Hans-Hermann Diestel als Erster Offizier an Luke IV des MS FREUNDSCHAFT
Da sich bei den Fischern nun einmal alles um den Fisch dreht, rückt der Bestmann automatisch stärker in den Blickpunkt. Er ist der Spezialist auf dem Fangdeck. Ihm vertrauen Kapitän und Wachoffizier bei der Vorbereitung und beim Aussetzen des Fanggeschirrs. Ein kleines Loch im Steert und der Fisch schwimmt vorne ins Netz und hinten wieder raus. Darüber würden weder Kapitän noch Besatzung lachen können. Als Schichtleiter (zwölf Stunden Schicht bei den Rostockern) auf dem Fangdeck gehörten im Fischkombinat neben einem Netzmacher Matrosen, Leichtmatrosen und Lehrlinge zu seiner Gang. Die Anzahl der Bestleute variierte. Zwei waren auf jedem größeren Fangschiff angemustert, auf den kleineren Seitenfängern wie Logger und Trawler nur einer. An Bord eines Fang- und Verarbeitungsschiffs befand sich zusätzlich ein Bootsmann, dagegen auf den Transport- und Verarbeitungsschiffen sowie auf den Kühl- und Transportschiffen nur je ein Bootsmann.
Die Berichte der Boots- und Bestleute machen die Schwerpunkte ihrer Arbeit sehr deutlich. Stand in der Handelsschifffahrt die Ladung und erst danach der Werterhalt des Schiffes im Vordergrund, so existierte in der Fischerei neben dem Fisch fast keine Überlegung. Ganz besonders beeindruckt hat mich die Zielstrebigkeit, die in den Aussagen von Hendrik Raulf und Wolfgang Berndt deutlich wird. Allergrößte Hochachtung empfinde ich auch für ihre seemännischen Fähigkeiten, die sie bei der Ausübung ihres Berufes in den Stürmen, mit denen sich die Fischer zu allen Zeiten auf dem Nordatlantik herumschlagen mussten, entwickelten.
Während der Gespräche mit Boots- und Bestleuten aus der Handelsschifffahrt und aus der Fischerei wurde eine Gemeinsamkeit deutlich: der berechtigte Stolz auf die eigene Leistung und auf das eigene Schiff.
Für mich war es immer wieder erstaunlich zu hören, wie Boots- und Bestleute zur Seefahrt gekommen sind. Oft waren es Bekannte oder Familienmitglieder, die den entsprechenden Impuls gaben, sich um eine Anstellung bei der gewählten Reederei zu bemühen. Nicht nur bei den Bootsleuten, sondern auch bei den Schiffsingenieuren war es der eine oder andere Großvater, der bei der kaiserlichen Marine gedient hatte, oder die Nähe zum Wasser. Der Großvater entsprach sicherlich nicht unbedingt den Wünschen der Partei- und Staatsführung in der DDR, aber Seeleute wurden in erheblichem Umfang bei der sich schnell entwickelnden Deutschen Seereederei Rostock und bei den im gleichen Tempo wachsenden Fischkombinaten Rostock und Saßnitz benötigt. Familientraditionen gewährleisten oft die heute in der internationalen Schifffahrt so schmerzlich vermisste längere Verweildauer der Seeleute in der Flotte.
Auf die Seefahrt aufmerksam wurde ich durch meinen Großvater, der von 1914 bis 1918 bei der Kaiserlichen Kriegsmarine war und der an der Skagerrak-Schlacht teilgenommen hatte. Als Junge habe ich viele maritime Bücher und Berichte verschlungen.
Meine Fahrenszeit begann 1959. Zuvor hatte man versucht, mich und andere Kollegen in Tessin während der Lehre als Bäcker für die bewaffneten Kräfte der DDR zu werben. Daraus wurde nichts, weil ich in meinen Bewerbungsunterlagen einen Schwager, der in Westberlin der sogenannten Stumm-Polizei angehörte, nicht erwähnt hatte. In einer Art Trotzreaktion bewarb ich mich dann bei der DSR, weil ich unbedingt zur See fahren wollte. Ich bekam sofort die Bewerbungsunterlagen und nach sieben Monaten, im Mai 1959, fing ich auf der THOMAS MÜNTZER an.
Als ich aufstieg, lag das Schiff, das die DSR als Gebrauchttonnage gekauft hatte, in Ballast an der Pier. Damals wusste ich noch nicht einmal, was Ballast bedeutet. Auch wenn ich eine vage Vorstellung von einem Schiff hatte, die Dimensionen der THOMAS MÜNTZER überraschten mich doch. Ich fing als Steward an, später, als durch den Ankauf weiterer Schiffe mehr Personal in der Kombüse benötigt wurde, musterte man mich zum Kochsmaaten um. Die Reederei wollte mich eigentlich auf einen Kochlehrgang schicken, der aber verzögerte sich, und da ich mich sowieso mehr für den Decksbereich interessierte, wurde ich Umschüler.
In meiner Freizeit als Steward und Kochsmaat hatte ich mich häufig an den Arbeiten der Decksgang beteiligt. Ich war jung, brauchte nachmittags keinen Schlaf und half deshalb beim Rostklopfen. Einer meiner Kapitäne hatte das beobachtet und brachte mich auf den Gedanken, umzusatteln. Ich antwortete, dass es dafür ja wohl keine Möglichkeit gäbe. Er sagte nur: »Lat mi man moken.« Innerhalb eines Dreivierteljahres legte ich meine praktische Matrosenprüfung ab, gut vorgebildet durch meine »Freizeitbeschäftigung«. Die Theorie beherrschte ich auch, habe aber, warum weiß ich nicht mehr, an keiner theoretischen Prüfung teilgenommen. Sowohl die Qualifizierung zum Matrosen als auch die Beförderung zum Bootsmann, auf dem »Typ-IV«-Schiff BERLIN, erfolgten ziemlich schnell.
MS BERLIN im Mittelmeer
Bei irgendeiner Sichtung meiner Kaderakte stellte die Arbeitskräftelenkung viele Jahre später fest, dass Bootsmann Köpcke keine theoretische Matrosenprüfung abgelegt hatte. Diese Prüfung holte ich an Bord nach. Probleme gab es lediglich beim politischen Thema. Der Politoffizier hatte eine derart schwierige Aufgabe ausgewählt, dass ich damit nicht klar kam. Der Kapitän verwarf das Thema und gab mir ein anderes, das ich dann erfolgreich abhandelte.
Zur Seefahrt kam ich über meinen Cousin, der erst auf Kümos und später auf den Schiffen der Alttonnage fuhr. Ich wollte ursprünglich als Zimmermann anheuern. Deshalb absolvierte ich in Malchin eine entsprechende dreijährige Lehre. Als ich mich bei der Reederei bewarb, erhielt ich den Rat, zum Verholkommando der Neptunwerft zu gehen, um weitere Grundlagen für die Arbeit auf See zu erwerben. Dem bin ich gefolgt. Ich machte die Probefahrten der Schiffe mit und arbeitete bei den Taklern der Werft.
Ein Grund für die damals erhaltene Empfehlung war offensichtlich: Die Reederei hatte noch kein Schiff für mich. Man kann sagen, dass mich Frau Teufel von der Arbeitskräftelenkung für etwa ein Dreivierteljahr bei der Werft parkte. Das zog sich bis 1961 hin. Dann stellte mich die DSR ein, obwohl noch immer nicht genügend Schiffe zur Verfügung standen. Ich kam zunächst in die Lagerhalle am Kabutzenhof in Rostock. Im Sommer wurden wir bei Bedarf für Erntearbeiten freigestellt. Dieses Los traf mich allerdings nur einmal. Dann schickte mich die Reederei als Decksmann auf die BERLIN. Jener »Typ IV« lag gerade in der Werft in Warnemünde. Meine erste Reise ging nach China. Das zweite Mal fuhr ich auf der BERLIN dann schon als Matrose. Erst später beorderte mich die Reederei auf die J. G. FICHTE, um die theoretische Ausbildung und die Prüfung für den Matrosenbrief (u. a. auch für den Rettungsboots- und Feuerlöschmann) zu absolvieren.
Die erfolgreichen Lehrgangsteilnehmer wurden auf die Flotte verteilt. Ich hatte das große Glück, dass mich die Reederei auf die in der Warnowwerft liegende DRESDEN, ein Schwesterschiff der BERLIN, schickte. Also marschierte ich an Bord und machte die folgende Reise als Matrose mit. Anschließend wurde ich zum Kabelgattsmatrosen umgemustert und nach zwei oder drei weiteren Reisen zum Bootsmann befördert. Das war am 27. November 1965.
MS QUEDLINBURG im Hafen von Moa, Kuba
Auf der DRESDEN blieb ich sechs oder sieben Jahre. Unter Kapitän Leidig waren wir vor allem im Fernostdienst eingesetzt. Kurz bevor die DRESDEN außer Dienst gestellt wurde, stieg ich ab. Dann fuhr ich auf einer Reihe von Schiffen des »Typs XD«, darunter die QUEDLINBURG, auf der wir uns zur Indienststellung in der Warnowwerft getroffen hatten, die SCHWARZBURG und die BLANKENBURG. Auf der BOIZENBURG kam ich mit Kapitän Ulf Levermann zusammen, der mich und andere Besatzungsmitglieder später mit auf die LEIPZIG nahm. Mit Levermann fuhr ich gemeinsam, bis er auf einer Reise in Indonesien starb. In meinen letzten Berufsjahren wurde ich bis 1994 auf der LEIPZIG und COTTBUS eingesetzt. Zum Schluss konnte ich auf fast 30 Jahre Bootsmann zurückblicken. Das war dann auch genug.
Im Dezember 1959, kurz vor Weihnachten, befand ich mich auf dem Weg zum Bahnhof, als ich, wie fast jeden Morgen, den Postboten traf.
Jedes Mal hoffte ich, dass er den ersehnten Brief brächte. An jenem Tag holte er langsam und umständlich einen Umschlag aus seiner großen Tasche hervor. Mit bangem Gefühl öffnete ich denselben noch auf dem Bahnsteig und tatsächlich, ein sehnlicher Wunsch ging in Erfüllung. Meine Bewerbung war angenommen! Die Freude war groß. 1956, nach dem Ende meiner Schulzeit, war mir nämlich nichts anderes übrig geblieben, als in Rostock bei der renommierten Schlachterei Timm zu lernen. Bereits im letzten Lehrjahr hatte ich mich mit meinem Freund Paul Brüshaber bei der DSR beworben. Meine Liebe zur Seefahrt war durch meine beiden Brüder geweckt worden, die seit Mitte der 1950er-Jahre zur See fuhren. Nun hatte ich endlich den Eintritt in mein neues Leben geschafft und der Fleischerberuf an Land war für mich erledigt.
Einige Tage später suchte ich zum ersten Mal meine neue Firma auf, damals noch in der Langen Straße, im früheren Gebäude des Wasserstraßenamtes. Gleich daneben befand sich das »National«, das früher wohl jeder Rostocker als den Treffpunkt der Seeleute kannte. Ich sprach also vor und wurde eingestellt, wenn auch nicht als Decksmann, wie ich mir wünschte, sondern als Kochsmaat-Fleischer. Nun gut, sagte ich mir, Seefahrt ist Seefahrt und der Einstieg ist erst einmal geschafft.
Am 4. Januar 1960 konnte ich auf die SCHWERIN aufsteigen, die im Ölhafen von Wismar lag. Nach dem Beladen und der Bebunkerung führte meine erste Reise über Antwerpen nach China. Für einen absoluten Neuling war das natürlich etwas ganz Besonderes!
Nach ca. vier Monaten Fahrt wurde auf der Heimreise vom Mittelmeer an nur noch mit zwei Maschinen gelaufen: Die SCHWERIN sollte den neugebauten Überseehafen in Rostock offiziell einweihen und erst am 30. April 1960, dem Vorabend des »Internationalen Tages der Arbeit«, eintreffen. Dieses Ereignis war für die DDR von so enormer Bedeutung, dass kein Geringerer als Walter Ulbricht zur Einweihung kam. Wie sich jeder vorstellen kann, erforderte Ulbrichts Besuch an Bord der SCHWERIN einen immensen Sicherheitsaufwand. Etwa die Hälfte der Besatzung musste bereits auf Rostock-Reede absteigen, um Kammern für den Tross des Staatsratsvorsitzenden bereitstellen zu können.
Vielen ist gewiss noch das Bild der über die Toppen geschmückten SCHWERIN, die in den Überseehafen einläuft, in Erinnerung. Ich bin stolz, bei einem so einmaligen Erlebnis an Bord dabei gewesen zu sein.
Ich fuhr noch zwei weitere Ostasien-Reisen als Kochsmaat auf der HALLE. Auf diesem »Typ IV« lernte ich Hans-Hermann Diestel kennen, der dort als junger Matrose an Bord war und mir ein guter Freund über all die Jahre bleiben sollte. Nach diesen Reisen folgten zwei auf der HALBERSTADT, die uns nach Kuba und Jamaika führten.
Nun endlich hatten Frau Teufel und Frau Hagemann von der Arbeitskräftelenkung ein Einsehen: Ich wurde zum Decksmann auf der KARL-MARX-STADT umgemustert. Die Arbeit machte mir von Anfang an Freude, sie war immer mein eigentliches Ziel. Das seemännische Handwerk wurde mir nicht vom Bootsmann, sondern vom Dritten Nautischen Offizier Peters vermittelt. Große Unterstützung erhielten wir Umschüler von Eckard Chinow, Ernst-Dieter Lange und »Meisting« Burmeister, die damals bereits als Vollmatrosen gemustert waren und später als Kapitäne fuhren. Kapitän unseres Schiffes war Hans Albert Wachtel, ein angenehmer Mensch. Er konnte jedoch sehr, sehr laut werden, wenn er morgens beim Betreten der Brücke feststellen musste, dass der Kursschreiber ganz erhebliche Abweichungen vom Normal-Kurs anzeigte. War dies doch ein Indiz dafür, dass der »Herr Rudergänger« kurzzeitig vom Schlaf übermannt worden war.
Seefahrerfamilie Lange (links Jürgen Lange)
Nach zwei Fahrten musste ich plötzlich absteigen. Die J. G. FICHTE lag in Warnemünde in der Werft, die DSR nutzte die Gelegenheit und führte auf diesem Schiff für alle Umschüler einen theoretischen Lehrgang zum Erwerb des Matrosenbriefes durch. Anschließend wurden wir wieder auf Schiffe verteilt, um unsere praktische Matrosenprüfung abzulegen. Ich hatte das seltene Glück, zwei Reisen auf dem Dampfschiff THÄLMANN PIONIER mitmachen zu dürfen. Jenes Schiff wird mir nachhaltig in Erinnerung bleiben! Auf der ersten Reise, im Mittelmeer, legte ich die Matrosenprüfung ab.
Jetzt fühlte ich mich als vollwertiger Seemann.
Mein erstes Schiff als Vollmatrose war das 500 t große Küstenmotorschiff PEENEMÜNDE. Jeder, der auf einem Großschiff gefahren ist, kann sich vorstellen, welche Umstellung das für mich war. Allen, die keinen Vergleich haben, möchte ich sagen: Der Job auf einem kleinen Schiff ist bedeutend härter und anstrengender.
Inzwischen schrieben wir das Jahr 1965. Die DSR war eifrig dabei, den Flottenbestand durch Neubauten und durch den Ankauf von Alttonnage-Schiffen, vorrangig aus Norwegen, Schweden und Dänemark, zu erweitern. Dementsprechend große Probleme hatte die Arbeitskräftelenkung, die Schiffe bei ihrer Indienststellung zu besetzen. Im Januar 1965 kam ich als Vollmatrose auf die im Afrikadienst fahrende UNSTRUT.
Offensichtlich war man mit meiner Arbeit zufrieden, denn auf der zweiten Reise konnte ich die Urlaubsvertretung für den Stammbootsmann übernehmen. Der legendäre Adolf Zinn, unser Kapitän, ließ mich vor Reiseantritt durch den Ersten Nautischen Offizier Willbrand auf die Brücke zitieren. Es war seine Gewohnheit, jeden Offizier bzw. Unteroffizier durch ein persönliches Gespräch besser kennen zu lernen. Auch diese Prüfung scheine ich bestanden zu haben: Nach der Rückkehr schickte mich die Reederei auf die WEISSERITZ – mein erstes Stammschiff als Bootsmann.