HORROR FACTORY ist eine Reihe von Horror-Kurzromanen – von der klassischen Geistergeschichte über den modernen Psychothriller bis hin zur Dark Fantasy. Alle Romane sind deutsche Erstveröffentlichungen. Unter den Autoren sind sowohl bekannte Namen als auch Newcomer. Die Geschichten sind jeweils in sich abgeschlossen, auch wenn sie in einzelnen Fällen mehrere Folgen umfassen.
HORROR FACTORY wird herausgegeben von Uwe Voehl.
HORROR FACTORY erscheint monatlich.
Wolfgang Hohlbein: Pakt mit dem Tod
Christian Endres: Crazy Wolf – Die Bestie in mir
Christian Montillon: Der Blutflüsterer
Timothy Stahl: Teufelsbrut
Uwe Voehl: Necroversum: Der Riss
Manfred Weinland: Das Grab – Bedenke, dass du sterben musst!
Michael Marcus Thurner: Die Herrin der Schmerzen
Malte S. Sembten: Der Behüter
Robert C. Marley: Die Todesuhr
Christian Endres: Rachegeist
Oliver Buslau: Glutherz
Christian Weis: Tief unter der Stadt
Michael Marrak: Epitaph
Timothy Stahl: Unheilige Nacht
Uwe Voehl: Necroversum- Der Friedhof
Michael Marrak: Ammonit
Malte S. Sembten: Nähte im Fleisch
Jörg Kleudgen: German Gothic
Vincenct Voss: Ich bin böse!
Christian Montillon: Höllenblick
Oliver Buslau: Die Akte Necropolis
Die Bestie ist zurück!
»Ein blutiges Roadmovie. Es packt dich an der Gurgel und zerreißt dir das Herz!«
Diesmal muss sich Werwolf Jackson Ellis nicht nur gegen das Tier in seinem Inneren oder diverse Häscher durchsetzen: Er übernimmt auch die Verantwortung für einen weiteren Crazy Wolf. Dabei hat der junge Danny keinen Schimmer, wer der Fremde ist, der ihm nicht einmal dann von der Seite weicht, als sie von den Behörden gesucht und von kaltblütigen Jägern verfolgt werden …
Christian Endres lebt als freier Autor in Würzburg. Er schreibt regelmäßig für die Zitty Berlin, den Tagesspiegel, phantastisch!, deadline, Geek!, Das Science Fiction Jahr und viele mehr. Im Comic-Bereich betreut er als Redakteur u. a. die deutschen Ausgaben von Spider-Man, Batman, Avengers, Hellboy und Conan. Er wurde bereits mehrfach mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet. Innerhalb der HORROR FACTORY veröffentlichte Christian Endres bereits das E-Book »Crazy Wolf – Die Bestie in mir«.
Crazy Wolf: Bestien auf der Flucht
Das Erste, was ich spüre, ist die Hitze.
In der Luft.
Im Boden.
Auf der Haut.
Im ganzen Körper.
Fühlt sich an, als läge ich in einem Brennofen.
Als würde ich nur aus Fieber und Schweiß bestehen.
Dazu kommen der Staub, der Sand, die Steine und der Dreck.
Sie sind ebenfalls heiß, und auch sie sind überall.
Im Haar und im Bart.
In den Ohren und den Augen.
Der Nase und dem Mund.
Im Arsch und noch ganz woanders.
Überall.
Richtig miese Nummer.
Aber ich will mich nicht beschweren.
Die Gluthitze, der Schweiß und der ganze Rest sind trotz allem noch immer besser als die Kälte, die sich eben noch erbarmungslos durch meine Knochen und meine Eingeweide gefräst hat.
Besser als die eiskalte Finsternis, mit der ich gerade noch wie mit einem Raubtier gerungen hab.
Was auch immer mir das gebracht haben mag.
Hinter den geschlossenen Augenlidern tobt ein Sandsturm aus Erinnerungsfragmenten, die keinen Sinn ergeben.
Kann das Puzzle ums Verrecken nicht zusammensetzen.
Krieg die Geschichte einfach nicht mehr auf die Reihe.
»Marlowe«, sage ich da allerdings und hoffe, dass das heisere Krächzen keinen der über mir kreisenden Bussarde dazu veranlasst, mir einen Antrag zu machen.
Obwohl ich keinen Schimmer habe, was das Wort bedeutet, spendet es mir ungeheuer viel Trost.
Immerhin etwas.
»Marlowe«, wiederhole ich daher angestrengt, während ich gleichzeitig versuche, mich zu erinnern.
Strenge mich an, bis es wehtut.
Doch der Geistesblitz bleibt aus.
Der Funke springt nicht über.
Dafür legt sich ein Schatten auf mich.
Zu groß für einen der geflügelten Aasfresser.
»Der Hund ist nicht hier, Kid«, sagt außerdem eine vertraute Stimme, die nach Whiskey und Zigaretten und langen Nächten an der Bar klingt. »Du musst es ausnahmsweise mal alleine packen.«
Es kostet mich unendlich viel Kraft, das Kinn zu heben und die verklebten Augen zu öffnen.
Ich blinzle gegen den Staub und das gleißende Licht an.
Stück für Stück arbeitet sich mein verschwommener Blick gegen die grelle Sonne an der Schattengestalt nach oben.
Spitze Cowboystiefel.
Schwarze Lederhose.
Dunkles Hemd.
Tätowierte Arme.
Indianer-Schmuck an Handgelenken und Hals.
Lange, glatte Haare mit grauen Strähnen.
Noch bevor ich die Adlernase und das gegerbte, verlebte Gesicht erreiche, weiß ich, wer da über mir aufragt.
Der Name ist plötzlich einfach da.
Dead Crow.
Mein Mentor und bester Freund.
Als mir klar wird, dass Dead Crow schon eine ganze Weile tot ist, fällt mir auch alles andere wieder ein.
Der ganze gottverdammte Rest.
Jede schreckliche Erinnerung.
Jede grausame Einzelheit.
Jedes fiese Detail.
Eine regelrechte Flut in der Wüste.
Zu viel auf einmal.
Und letztlich ist es wie immer, wenn ich den Wolfspelz abgestreift habe und Stück für Stück wieder so weit zu Jackson Ellis geworden bin, wie es mir eben möglich ist.
Am Ende weiß ich jedes Mal mehr, als mir lieb ist.
***
Ihr wollt wissen, wieso ich nackt in der Wüste von Nevada hocke und mich mit meinem toten Indianerfreund unterhalte?
Also schön.
Hier die Kurzfassung.
Weil selbst nach meinen Maßstäben ein paar unfassbar beschissene Jahre hinter mir liegen.
»Dachte, du bist fort«, sage ich zu Dead Crow, der geduldig abwartet, bis es mir endlich gelungen ist, mich in eine einigermaßen aufrechte Position zu wuchten.
Das Sprechen fällt mir noch immer schwer.
Fühlt sich an, als wären meine Zunge und meine Zähne doppelt so groß.
Mindestens.
Dead Crow blickt in die Leere, während der warme Wüstenwind hollywoodreif an seinem Haar zupft.
»War grad in der Nähe«, antwortet mein alter Freund schließlich bedächtig.
Ich runzle die Stirn und fahre mir durch das viel zu lange Haar und den viel zu dichten Bart.
Juckt wie die Hölle.
Fast so schlimm wie der Sand in meinem Hintern.
»Wenn ich mich recht erinnere, hast du mir bei unserem letzten Abschied die Freundschaft gekündigt«, sage ich.
Dead Crow schüttelt den Kopf.
»Ich kann unsere Freundschaft nicht kündigen, Kid. Ich hab dir damals nur gesagt, dass ich dir nicht dabei helfe, wenn du dein Leben freiwillig vor die Hunde werfen willst.«
»Nett formuliert.«
»Danke.«
»Aber es war unfreiwillig.«
»Du hättest bloß rechtzeitig aufhören müssen.«
Ich denke an das, was man mir angetan hat.
»Ging nicht«, sage ich entschieden, und eine Weile spricht keiner von uns beiden mehr was.
Hoch über uns kreischt ein enttäuschter Bussard, der sich um sein Mittagessen betrogen fühlt.
Oder sein Date.
Dead Crow durchbricht als Erster das Schweigen.
»Wer ist der Junge?«, fragt er und nickt in Richtung des schlanken Körpers, der vor uns bewegungslos am Boden liegt.
»Lange Geschichte.«
»Ich hab Zeit.«
»Und ich Durst. Und Hunger.«
»Wir alle haben unsere Probleme, Kid.«
»Du bist also noch immer ein Zen-Indianer.«
»Und du hast mir noch immer nicht verraten, wer der Junge ist.«
Ich klopfe Sand und Dreck von den Knien.
Fühl mich bescheuert mit meinem besten Stück, das dazwischen über dem Wüstenboden baumelt.
Ein Königreich für eine Hose.
»Kid?«
Ich schließe kurz die Augen und sortiere meine Gedanken.
Überlege, wo ich anfangen soll.
Was ich Dead Crow erzählen möchte.
Was ich schon aussprechen kann.
Woran ich noch nicht denken möchte.
Der Sandsturm hat viel aufgewirbelt.
»Du hattest recht«, beginne ich irgendwann. »Nachdem du weg warst, ging’s nur noch bergab.«
»Dachte ich mir schon«, erwidert Dead Crow ohne Häme.
Ich verziehe das Gesicht und kratze eine der vielen beißenden Stellen an meinem verschwitzen, panierten Körper.
Und bevor er wieder anfängt und fragt, wer der Junge ist, der wie eine Mischung aus Mowgli und einem abgestürzten Peter Pan im heißen Wüstensand liegt …
Er ist mein Sohn.
***
Wie durchquert man eine Wüste?
Ich hab keinen Schimmer, was die Bibel rät.
Deshalb mach ich es auf die einzige Art, die für mich Sinn ergibt.
Schritt für Schritt.
Ich weiß noch, wie Dead Crow mir hier ganz in der Nähe und in teilweise ganz schön schmerzhaften Lektionen beibrachte, den Wolf zu beherrschen.
Das war, bevor der verrückte alte Indianer sich in Vegas den goldenen Schuss setzte, von mir in der staubigen Einöde verbrannt wurde und ich zurück nach Seattle ging.
Dead Crow war fort, und ich und der Wolf waren wieder allein.
Ich und die Bestie, die mir seit meinem zwölften Geburtstag so viele Schwierigkeiten macht.
Danke, Dad.
Toller Genpool.
Ich erinnere mich auch noch an die Vollmondnächte in Seattle, die ich trotz Dead Crows Training in einem Titanstahlkäfig verbracht hab.
In einem schalldichten Kellerraum, bewacht nur von meinem vierbeinigen Kumpel Marlowe.
Das alles scheint ein Leben weit weg zu sein.
Keineswegs perfekt, doch es hat weitgehend funktioniert.
Besonders der zweite Anlauf in Seattle.
Dead Crows Lektionen machten es leichter.
Ich hatte meine Routinen und Sicherheiten.
Einen Job.
Kollegen.
Eine Freundin.
Es lief.
Mit Problemen, aber es lief.
Bis zu meiner Begegnung mit einer viel zu schönen Frau.
Sie gehörte zu einer Bande abgefuckter Spinner, die mich als eine Art Zuchtrüden missbrauchen wollten.
Ich entkam den abartigen Psychos als Wolf, verbrachte jedoch gut anderthalb Jahre in der Dunkelheit, während die Bestie mit der Verwandtschaft durch die kanadische Wildnis zog und das Wolfsleben in vollen, blutigen Zügen genoss.
Da helfen auch Dead Crows Lektionen nichts.
Wenn der große, böse Wolf komplett die Oberhand hat, werde ich in die eisige Schwärze meiner Gedanken zurückgedrängt und bin höchstens noch ein passiver Beobachter im Winterschlaf.
Höchstens.
Durch Glück und Zufall hab ich damals noch mal eine Chance gekriegt und oben in Kanada die Kontrolle zurückerlangt.
Leider fiel mir nichts Besseres ein, als den Wolf bei nächstbester Gelegenheit gleich wieder von der Leine zu lassen, um mich mit seiner Hilfe an den kranken Pennern zu rächen, die mir so gut wie alles genommen hatten.
Die Bestie ließ sich kein zweites Mal bitten und verbannte mich von Neuem in die Finsternis.
Vermutlich weiter denn je.
Ich habe so eine Ahnung, dass noch mehr Zeit als beim letzten Mal vergangen ist.
Dass ich den Pelz länger trug denn je.
Will gerade lieber nicht zu intensiv darüber nachdenken.
Fühlt sich so schon alles beschissen genug an.
Ich konzentriere mich auf meine Schritte.
Mache einen nach dem anderen.
Als ich endlich den Rand der Wüste erreiche, ist es bereits Nacht, und der Junge ist noch immer bewusstlos.
Dank meiner scharfen Sinne nehme ich seinen Herzschlag wahr und weiß, dass er nur noch etwas Zeit braucht.
Alles in Ordnung.
Soweit man das eben sagen kann, wenn man ohne Klamotten und Wasser und mit einem nackten Jungen in den Armen unter einem endlosen Sternenhimmel durch die Wüste wankt.
Es wird kälter.
Ich bin halb wahnsinnig vor Hunger und Durst.
Alles tut mir weh.
Meine Seele ist so wund wie der Rest meines Körpers.
Und der Wolf schleicht unruhig unter der Oberfläche herum und überlegt, ob er bald wieder eine Chance kriegt.
Egal.
Die Devise bleibt dieselbe.
Einen Schritt nach dem anderen.
Vor mir tanzen die bunten Lichter von Las Vegas, das erst in der Nacht richtig zum Leben erwacht.
Seine wahre Gestalt zeigt.
Die Stadt sieht aus wie eine Marskolonie.
Eine von Menschenhand geschaffene Oase right in the middle of nowhere.
Das glitzernde Hangover-Mekka all jener, die das alltägliche System mal für ein paar Tage bescheißen wollen.
Die Hauptstadt des Scheins und der Illusionen.
Schon witzig, dass es hier noch weniger Hunde als Bäume gibt und dass nun gleich zwei Wölfe die Party-Stadt betreten, in der so gut wie alles künstlich ist.