In der Buchreihe „Sternentänzer“ sind bisher erschienen:
Band 1: Das Rätsel um den weißen Hengst,
Band 2: Das geheimnisvolle Mädchen
Band 3: Weißer Hengst in Gefahr
Band 4: Caro unter Verdacht
Band 5: Rettung für Lindenhain
Band 6: Bedrohung für den weißen Hengst
Band 7: Letzter Auftritt des weißen Hengstes?
Band 8: Der unheimliche Pferdehof
Band 9: Zeit der Entscheidung
Band 10: Hoffen und Bangen in Lilienthal
Band 11: Silbersterns Geheimnis
Band 12: Abschied mit Folgen
Band 13: Caro und das Mädchen im Moor
Band 14: Ponys in Not
Band 15: Eine rätselhafte Vision
Band 16: Das Geheimnis der Schlossruine
Band 17: Caro und die weiße Stute
Band 18: Die Botschaft des weißen Hengstes
Band 19: Achterbahn der Gefühle
Band 20: Die geheimnisvollen Briefe
Band 21: Eine unglaubliche Entdeckung
Band 22: Ein verhängnisvolles Erbe
Band 23: Geister aus der Vergangenheit
Band 24: Die Magie des weißen Hengstes
Band 25: Voller Einsatz für Lina
Band 26: Verwirrung des Herzens
Band 27: Caro und das Geheimnis der alten Frau
Band 28: Aufregung um Stute Aziza
Band 29: Eine Reise voller Überraschungen
Band 30: Caro und der rätselhafte Dieb
Band 31: Der Eisprinz und die große Liebe
Band 32: Ein unglaublicher Verdacht
Band 33: Die verschwundenen Ponys
Band 34: Caro gibt nicht auf
Band 35: Gefährliche Zeiten auf Lindenhain
Band 36: Feuerprobe für die Liebe
Band 37: Wo ist Sternentänzer?
Caro und das Geheimnis
der alten Frau
Band 27
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Sternentänzer, Band 27 – Caro und das Geheimnis der alten Frau
© 2009 by Panini Verlags GmbH,
Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Verlagsleitung (Books/Kids): Gabriele El Hag
Redaktion: Birgitt Kehrer, Nicole Hoffart (verantw.)
Lektorat: Helga Kronthaler
Umschlag: tab indivisuell, Stuttgart
Fotos: © Gerd Altmann/PIXELIO; mauritius images; Sabine Stuewer Tierfoto
ISBN: 978-3-8332-1906-1
eISBN 978-3-8332-3108-7
www.panini.de
In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein, und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.
Es gibt so Tage, da scheint alles perfekt. Heute war so ein Tag für Carolin Baumgarten, genannt Caro. Zumindest hatte es ganz den Anschein. Es war ein schöner, warmer Frühsommertag, keine Wolke trübte den stahlblauen Himmel. Carolin kehrte gerade von einem langen Ausritt mit Sternentänzer, ihrem geliebten Araberhengst, zurück auf den Reiterhof Lindenhain.
Etwas außer Atem, aber mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen glitt sie im Hof vom Rücken ihres Pferdes und schlang die Arme liebevoll um seinen Hals. „Ach mein lieber Sternentänzer!“, seufzte sie dabei. „Das war einfach nur herrlich.“ Sie lehnte ihre erhitzte Wange gegen das weiche Fell des Schimmels. „Und das Beste ist, dass wir beide nun bald eine ganze Woche lang von morgens bis abends zusammen sein werden. Wir beide und meine zwei besten Freundinnen!“
Immer noch eng an Sternentänzer geschmiegt, sah Carolin die beiden Mädchen vor sich: Lina Schniggenfittich und Jennifer Rust. Gemeinsam hatten sie für die anstehenden Ferien einen Wanderritt geplant und bis ins Detail ausgearbeitet, mit den exakten Tagesstrecken, Entfernungen und Quartieren.
Carolin band Sternentänzer fest und lief in die Sattelkammer, um das Putzzeug zu holen. Ob wir das alles mit auf unsere Tour nehmen müssen?, überlegte sie, während sie Sternentänzers Fell mit der Kardätsche bearbeitete. Sie schielte auf den Putzkorb. Ganz schön viel und ganz schön schwer! Liebevoll klopfte sie ihrem Pferd auf den Rücken. „Aber geputzt werden musst du ja schließlich, mein Schöner“, murmelte sie dabei. Andererseits übernachten wir ja stets auf Reiterhöfen. Dort müsste es eigentlich genug Putzutensilien geben ...
„Caro, hallo!“
Carolin fuhr herum. Hinter ihr stand Vicky, die Lebensgefährtin von Gunnar Hilmer, dem Besitzer des Reiterhofs. In einer Hand hielt sie einen Kalender, mit der anderen Hand schob sie den Kinderwagen, in dem die kleine Luisa lag, sanft hin und her.
„Hi, Vicky! Was gibt’s denn?“
„Ich erstelle gerade einen Plan für den Reitunterricht. Für die Schulferien haben sich erfreulicherweise etliche neue Reitschüler angemeldet“, erklärte Vicky eifrig.
„Cool“, freute sich Carolin.
„Ich würde dich in den Ferien gern für Unterrichtsstunden am Vormittag eintragen“, meinte Vicky und blätterte durch ihren Kalender. „Würde es dir montags und mittwochs passen?“ Seit Vicky mit dem Baby eingespannt war, gab Carolin häufiger Reitunterricht auf Lindenhain. Zum einen, um ein bisschen Geld zu verdienen, aber auch, weil es ihr großen Spaß machte.
„Klar doch“, nickte Carolin auch gleich begeistert. „Halt! Nee!“, setzte sie im nächsten Moment vehement nach. „Geht ja gar nicht! Ich bin ja in den Ferien gar nicht da!“
„Schade!“ Vicky blickte wieder in ihren Kalender und rümpfte dabei die Nase. „Hm, na ja, kann man nichts machen! Schlecht für uns, gut für dich. Aber das bekommen wir schon irgendwie geregelt.“ Sie sah auf. „Was hast du denn vor? Fährst du weg? Mit deiner Familie?“
„Nee, Vicky! Das werden die coolsten Ferien der Welt“, schwärmte Carolin und strahlte voller Vorfreude. „Ich kann es kaum noch erwarten. Ich freu mich schon so.“
„Klingt gut“, schmunzelte Vicky, beugte sich vor und steckte Luisa liebevoll den Schnuller wieder in den Mund, der gerade herausgepurzelt war. „Und auf was genau freust du dich denn?“
„Wir machen einen Wanderritt. Lina, Jennifer und ich. Eine ganze Woche lang. Wir drei Mädels. Ganz allein mit den Pferden. Das ist doch der Hammer, oder?“ Carolin tätschelte zärtlich den Hals ihres Pferdes. „Und mein geliebter Sternentänzer kommt auch mit.“
„Aha!“, machte Vicky zögerlich und schob den Kinderwagen etwas dynamischer hin und her. „Einen Wanderritt planst du ... mit Sternentänzer!“
„Genau“, bestätigte Carolin. „Und mit meinen besten Freundinnen Lina und Jennifer. Das wird superobermegagenial. So was wollte ich schon immer machen.“
„Drei Mädels, ein Pferd.“ Vicky blickte Carolin fragend an. „Wollt ihr denn alle drei auf Sternentänzer reiten?“, hakte sie wie beiläufig nach.
„Natürlich nicht“, kicherte Carolin so ausgelassen, als hätte Vicky den besten Witz der Welt gemacht. „ Jede von uns hat natürlich ihr eigenes Pferd. Wir reiten mit drei Pferden.“
„Aha!“, machte Vicky wieder. „Und mit welchen Pferden? Lina hat doch kein eigenes Pferd und Jennifer, soviel ich weiß, auch nicht.“
„Lina reitet auf Marhaba, und Jennifer kann ja Moritz nehmen. Mit dem Pony müsste sie ganz gut klarkommen, das kennt sie ja von den Reitstunden schon“, erklärte Carolin ganz selbstverständlich.
„Aha!“, machte Vicky nun zum dritten Mal. „Habt ihr das mit Gunnar besprochen?“
„Was denn?“ Carolin hatte überhaupt keine Ahnung, worauf Vicky hinaus wollte. Sie ahnte nicht im Geringsten das Unheil, das drohte.
„Na ja, dass ihr zwei Lindenhain-Pferde für eine Woche entführen wollt?“, erklärte Vicky.
„Nee“, antwortete Carolin. Sie war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass es völlig in Ordnung sei, die Pferde auszuleihen. Nicht eine Sekunde hatte sie daran gezweifelt. Nicht eine Sekunde hatte sie daran gedacht, dass das eventuell nicht möglich sei.
„Hm!“ Vicky kratzte sich am Kopf. „Tut mir wirklich leid, Caro. Aber ich fürchte, das wird vermutlich nicht gehen. Gerade in der Ferienwoche haben wir nun jede Menge Andrang. Wie gesagt, wir haben etliche neue Reitschüler, und da brauchen wir natürlich auch jedes Pferd hier auf Lindenhain für den Schulbetrieb.“
Das Lächeln gefror augenblicklich auf Carolins Gesicht. Völlig entsetzt starrte sie Vicky an. Konnte, mochte nicht glauben, was sie eben gehört hatte. Das wird vermutlich nicht gehen ..., hallte es nur noch in ihrem Kopf. Mehr konnte sie in diesem Moment nicht denken.
„Tut mir echt leid, Caro.“ Vicky hatte Carolins Entsetzen bemerkt. Sie machte eine Kopfbewegung in Gunnars Richtung, der gerade mit dem Auto auf den Hof rollte. „Da kommt Gunnar. Am besten ist wohl, du besprichst das auch noch mal mit ihm.“
„Hi, ihr drei Hübschen!“ Gunnar war inzwischen ausgestiegen und kam gut gelaunt auf sie zu. Er küsste Vicky zur Begrüßung auf die Wange und beugte sich dann über den Kinderwagen. „Na, meine Süße, du wirst ja jede Minute hübscher“, flötete er mit zärtlicher Stimme in den Wagen. Er war ganz vernarrt in seine kleine Tochter.
Carolin stand einfach nur wie gelähmt da und sagte nichts.
Dann wandte sich Gunnar an sie. „Was ist denn los, Caro? Du siehst aus, als hättest du eben einen Geist gesehen“, grinste er und klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter. „Aber ich bin’s nur, Gunnar, keine Sorge!“
Carolin brachte immer noch keinen Ton heraus. Sie schluckte nur, versuchte, den Kloß in ihrem Hals wegzuschlucken, und blickte Gunnar mit großen Augen an.
So ernst, dass jetzt auch Gunnar ernst wurde. „Was ist denn los mit dir, Caro?“
„Ich fürchte, wir haben ein Problem“, mischte sich nun Vicky ein. „Caro und ihre Freundinnen Lina und Jennifer wollen in den Ferien einen Wanderritt machen und hatten vor, Marhaba und Moritz mitzunehmen. Ich habe Caro aber gerade erklärt, dass wir die zwei Pferde in der Ferienwoche wohl leider nicht entbehren können, da wir zahlreiche Reitschüler haben. Oder was meinst du, Gunnar?“
„Und damit fällt unser Pferdetrip ins Wasser“, murmelte Carolin tonlos vor sich hin und fühlte sich wie bei einem Weltuntergang.
Gunnar spürte ihre abgrundtiefe Enttäuschung, schaute von Carolin zu Vicky und wieder zurück. „Hm ... na ja!“, begann er dann zögernd. „Caro, ich kann im Moment dazu nichts sagen. Wir müssen erst mal abwarten, wie viel Anmeldungen noch reinkommen ... Aber grundsätzlich ist es schon so, dass wir die Lindenhain-Pferde als Schulpferde einsetzen. Wenn sie nicht gebraucht werden, ist es gar kein Thema, sie euch mitzugeben. Da ich sie ja bei euch in guten Händen weiß, aber ...“
„Schon okay, Gunnar“, winkte Carolin ab. Sie griff nach Sternentänzers Zügel und brachte den Schimmel mit hängendem Kopf zum Stall. Keine Pferde, kein Wanderritt. Alles umsonst. Alle Pläne für den Papierkorb, der ganze Kampf für gar nichts. Todunglücklich trottete Carolin die Stallgasse entlang zu Sternentänzers Box und erinnerte sich daran, wie viel Mühe es gekostet hatte, von ihrer Mutter die Erlaubnis für diese Ferienwoche zu bekommen.
Als Ines zum ersten Mal davon erfahren hatte, war sie strikt dagegen gewesen. „Drei Mädels allein mit ihren Pferden unterwegs, das geht ja wohl gar nicht!“, hatte sie gemeckert! Doch zusammen mit Lina und Jennifer hatte Caro es schließlich geschafft, ihre Mutter zu überzeugen. Zu dritt hatten sie einen so detaillierten Plan ausgearbeitet, dass Ines jede Station des Wanderritts kannte. Mit der Besitzerin eines Reiterhofs hatte sie dann sogar telefoniert und sich bestätigen lassen, dass es durchaus öfters vorkam, dass Jugendliche bei ihr ohne Eltern übernachteten. Als Carolin außerdem hoch und heilig versprochen hatte, sich täglich mindestens einmal zu melden, hatte Ines Baumgarten am Ende doch ihre Zustimmung gegeben.
Und jetzt das! Verdammt! Carolin trat nach einem Büschel Stroh. Daran, dass Gunnar etwas dagegen haben könnte, ihnen die Pferde auszuleihen, hatte sie im Traum nicht gedacht. Niemals!
Wie betäubt lehnte sich Carolin in Sternentänzers Box gegen die Wand und schloss die Augen. Mühsam schluckte sie die aufkommenden Tränen hinunter. Verdammt! Plötzlich spürte sie Sternentänzers weiches Maul an ihrer Hand. Seine Tasthaare kitzelten sie leicht, und Carolin musste wider Willen ein wenig lächeln. Ihr Pferd war ihr ganzes Glück und schaffte es immer wieder, sie aufzumuntern – selbst wenn sie noch so traurig war. Darüber hinaus war Sternentänzer kein gewöhnliches Pferd. Er war nämlich nicht nur wunderschön, sondern besaß auch eine magische Gabe.
„Ach Sternentänzer!“ Carolin raffte sich auf und schlang die Arme um seinen Hals. „Lina und Jennifer werden wahnsinnig enttäuscht sein, genau wie ich“, murmelte sie in die prächtige Mähne. „Und ich bin ganz allein selber schuld. Stimmt natürlich, ich hätte vorher unbedingt mit Gunnar sprechen sollen. Ich bin echt so dämlich ...“ Inzwischen kullerten leise Tränen über ihr Gesicht und benetzten auch Sternentänzers Fell.
Mit einem Mal hob Sternentänzer seinen Kopf und wieherte leise. Einmal, zweimal – es schien fast, als hätte der Hengst genau verstanden, worum es ging, und wolle sie aufmuntern.
„Ach Sternentänzer, wenn ich dich nicht hätte“, seufzte Carolin. „Ich weiß schon ... du hast ja recht. Selbstmitleid bringt mich kein Stück weiter. Ich muss Lina und Jennifer anrufen, bevor sie weitere Pläne machen. Am besten gleich.“ Sie zog ihr Handy aus der Tasche. „Aber was genau soll ich ihnen sagen? Dass ich durch meine Dämlichkeit alles verdorben habe?“ Aller Mut verließ Carolin, und trotz schlechtem Gewissen entschied sie, die Freundinnen erst am nächsten Tag zu informieren. Carolin versorgte Sternentänzer noch mit Futter und Wasser und drückte ihm zum Abschied einen Kuss auf die Nüstern, dann verließ sie die Box. Betrübt schlich sie nach draußen, über den Hof zu ihrem Fahrrad.
„Caro!“ Gunnar stand im Eingang zum Haupthaus und winkte sie zu sich. „Kommst du mal, Caro?“
Einen winzigen Moment keimte in Carolin Hoffnung auf. Hat er es sich vielleicht doch anders überlegt? Rasch lief sie zu ihm. „ Ja, was gibt’s?“
Zögerlich schob Gunnar seinen Cowboyhut in den Nacken. „Na ja, du ... es tut mir echt leid, Caro. Ich weiß, dass die Enttäuschung für dich sehr groß ist. Aber es klappt wohl eher nicht, ich hab grad nochmals die Unterrichtspläne gecheckt. Sorry, ich wünschte, ich könnte dir was anderes sagen.“
Carolins Hoffnung fiel zusammen wie ein Kartenhaus. „Schon gut, Gunnar“, winkte sie ab. „Ist schon in Ordnung. Ich muss jetzt nach Hause, tschüss“, fügte sie dann hinzu und wandte sich traurig ab. Sie wollte ihre Enttäuschung nicht zeigen, nicht ungerecht sein. Zu oft hatte ihr Gunnar schon in allen Lebenslagen geholfen, sich immer als verlässlicher Freund erwiesen. Nun konnte er eben nicht anders.
„Tschüss, Caro“, sagte Gunnar ebenso geknickt und ging ins Haus.
Carolin schwang sich auf ihr Rad und fuhr los. Sie legte den Kopf in den Nacken und spürte, wie der Fahrtwind ihre tränennassen Wangen trocknete. Das werden ja tolle Ferien! Zu Hause statt unterwegs mit Pferden und Freundinnen! Super! Voller Frust trat sie in die Pedale.
Kurz bevor sie in den Ahornweg einbog, wo sie mit ihrer Mutter Ines Baumgarten, ihrem Stiefvater Dr. Joachim Sander und dessen Sohn Thorben wohnte, hatte sie auf einmal eine Idee. Wir machen unseren Trip trotzdem! Ja klar, mit dem Rad! Warum denn nicht? Ist zwar nicht ganz das Gleiche, aber besser als gar nichts! Immerhin sind wir dann zusammen unterwegs. Nur eben auf Drahteseln statt auf Pferden.
Carolin stellte ihr Rad vor dem Haus ab. Alles andere kann bleiben, wie es ist. Macht bestimmt auch Spaß, versuchte sie sich mit aller Gewalt einzureden, während sie die Haustür aufschloss. Schließlich geht es ja vor allem darum, gemeinsam was zu unternehmen. Dass wir drei eine Woche zusammen unterwegs sind, darum geht es ja! Genau, nickte Carolin vor sich hin. Das wird bestimmt auch toll. Ganz toll! Obwohl sie sehr genau wusste, dass es nicht im Mindesten dasselbe war.
Der nächste Morgen war trüb wie Carolins Stimmung. Es war zwar warm, aber den Himmel bedeckten hellgraue Wolken, die Sonne wollte nicht so richtig durchkommen. Nach dem Weckerklingeln wälzte sich Carolin unwillig aus dem Bett. Als sie den Kleiderschrank öffnete, hätte sie ihn am liebsten sofort wieder zugeschlagen. Denn ganz unten stand ihr großer Rucksack – bereit, um für den Wanderritt gepackt zu werden.
„Das ist so gemein, da freut man sich wie verrückt, bereitet alles vor, und dann so was ...“, murmelte Carolin, stinksauer auf die ganze Welt, aber eigentlich und vor allem auf sich selbst. Sie zog eine Hose und ein Shirt aus dem Schrank und schloss ihn wieder. „Ich freu mich nie wieder auf etwas, nie wieder!“ Sie machte sich rasch fertig und ging mit schleppenden Schritten nach unten.
„Guten Morgen, mein Schatz“, empfing ihre Mutter sie gut gelaunt in der Küche. Ines war schon ausgehfertig angezogen, es roch nach Kaffee und aufgebackenen Brötchen. „Magst du lieber Müsli oder Brötchen mit Schokocreme?“
„Gar nichts“, knurrte Carolin.
„Hast du schlecht geschlafen?“, forschte Ines nach.
„Nein“, antwortete Carolin kurz angebunden.
Ines lehnte sich gegen den Küchentisch, verschränkte die Arme und betrachtete ihre Tochter prüfend. „Die Ferien sind in Sicht, ich hab deine Reiterferien erlaubt, eigentlich müsstest du total gut drauf sein? Du müsstest vor Freude im Viereck hüpfen.“
Schön wär’s!, schnaubte Carolin innerlich und schwieg. Ich könnte vor Wut auf den Boden stampfen, Mam! Sie setzte an, um ihrer Mutter von den neuen Entwicklungen zu erzählen, schloss dann aber doch wieder den Mund. Eigentlich hatte sie keine Lust, jetzt mit Ines darüber zu reden und ihr zu beichten, dass der heiß ersehnte Ausflug nun ausgerechnet an den Lindenhain-Pferden scheitern würde. Carolin schnappte sich eines der frisch aufgebackenen Brötchen, die noch so heiß waren, dass sie sich daran die Finger verbrannte. Mit einem „Autsch!“ ließ sie es zurück in den Brotkorb fallen. Es gab Tage, da ging einfach alles schief. Da holte man sich sogar eine Brandblase von aufgebackenen Brötchen.
„Musst noch ein kleines bisschen warten“, meinte Ines.
Carolin winkte ab. „Ich hab eh keinen Hunger und muss los zur Schule.“ Sie ging in den Flur und schnappte sich ihre Jacke und ihre Schultasche. „Tschüss, Mam!“
„Tschüss, Caro! Schönen Tag!“, rief Ines und blickte ihr vom Türrahmen aus höchst verwundert nach.
Carolin riss ihr Fahrrad herum und schwang sich auf den Sattel. „Eine Radtour wird bestimmt auch genial“, murmelte sie auf dem Weg zur Schule fast gebetsmühlenartig immer wieder vor sich her. Ein bisschen kam sie sich vor wie auf dem Gang zum Schafott. Angestrengt versuchte sie, sich vorzustellen, wie sie und ihre Freundinnen mit dem Rad unterwegs waren. Wie sie vergnügt nebeneinander herfuhren, lachten, sich unterhielten, Spaß hatten – doch immer wieder schob sich ein Bild von den Pferden dazwischen. Immer wieder sah sie Sternentänzers Kopf vor sich. Eine Ferienwoche ohne meinen Sternentänzer, das kommt auch noch dazu ... Nee! ... Aber ich kann doch die Mädels nicht enttäuschen und ganz absagen. Ach Manno! Jetzt haben wir noch extra Pferdehöfe zum Übernachten rausgesucht, dachte sie in einem Moment. Na und?, zwang sie sich im nächsten zu denken. Mit den Rädern ist es dort bestimmt genauso cool! Und wenn wir dann mal Sehnsucht nach Pferden haben, können wir uns um die Pferde auf dem Reiterhof kümmern! Bestimmt können wir auf denen auch mal reiten. Genau, nickte Carolin vor sich hin. Wir können sogar mit vielen verschiedenen Pferden ausreiten. Vielleicht wird ja alles noch viel cooler! Vielleicht können wir ja noch andere Ausflüge einplanen. Vielleicht gibt es ja Freizeitparks oder so in der Nähe, wir können zum Baden gehen ...
Carolin näherte sich dem Bahngleis, das Lilienthal in zwei Hälften teilte. Die Bahnschranke gehörte zu ihren Orakeln. Eine geschlossene Schranke bedeutete, dass ein schlechter Tag bevorstand, eine geöffnete Schranke deutete auf einen guten Tag hin. Nun stand die Schranke ganz weit offen. Was soll das denn? Höchst verwundert sauste Carolin hindurch. Ein bescheuerter Tag mit lauter schlechten Nachrichten – und die Schranke ist auf? Passt ja nicht wirklich zusammen!
Wenige Minuten später huschte Carolin ins Klassenzimmer – rechtzeitig vor Unterrichtsbeginn. Der Platz neben ihr war noch leer. Lina, die neben ihr saß, war noch nicht da.
Auch Jennifer, deren Platz etwas weiter vorne war, saß noch nicht auf ihrem Stuhl. Carolin ließ sich nieder und knetete angespannt ihre Finger. Oh Mann! Ich wünschte, ich hätte es schon hinter mir. Jennifer und Lina werden so enttäuscht sein, ging es ihr durch den Kopf.
„Caro!“ Mit einem strahlenden Lächeln, wehenden Haaren und fliegenden Röcken kam Lina ins Klassenzimmer gestürmt. Lina Schniggenfittich war ein Naturkind, trug wie immer mehrere Röcke übereinander, dazu eine Bluse und derbe Schnürstiefel. Ihre schönen grünen Augen funkelten. „Sag mal, brauch ich eigentlich noch was für unseren Reittrip? Gerte, Sattel, Gurt, Helm?“ Lina knallte ihre Tasche auf den Tisch.
Mist! Carolin fuhr sich mit beiden Händen durch die kurzen braunen Haare, wie sie es immer tat, wenn sie nervös oder unruhig war. Linas überschwängliche Vorfreude machte das Geständnis gleich noch viel schwerer.
Lina ließ sich auf ihren Platz plumpsen. „Ich kann’s echt kaum noch erwarten, bis wir endlich losziehen. Das wird so der Hammer!“
Ich muss es ihr sagen! Jetzt! Carolin holte tief Luft. „Du, Lina ...“
In diesem Moment kam auch Jennifer angerauscht, baute sich ähnlich begeistert mit blitzenden Augen vor Carolins und Linas Bank auf. „Hi, ihr zwei! Ich hab gestern zwei Stunden Gymnastik gemacht, um meine Oberschenkel zu trainieren. Damit ich nicht gleich nach dem ersten Tag im Sattel mit Muskelkater schlappmache und nicht mehr mit euch mithalten kann ...“
Los, jetzt mach schon, sag es ihnen! Carolin schnaufte tief durch und nahm all ihren Mut zusammen. „Aus unserem Wanderritt wird leider nichts“, platzte sie heraus. So, nun war es draußen!
„Wie? Was?“, wunderten sich Lina und Jennifer im Chor.
Lina schaute sie verdutzt an. „Hat deine Mam jetzt doch was dagegen? Ich dachte, es sei alles gebongt?! Sie hatte es doch schon erlaubt?“
„Nee, das heißt ja. Es ist alles gebongt, sie hat es erlaubt“, sagte Carolin ausweichend.
„Was ist denn dann?“, hakte Jennifer verständnislos nach. „Wieso wird denn dann aus unseren Ferien nichts? Das check ich jetzt grad nicht.“
„Doch, aus den Ferien wird schon was“, erklärte Carolin angespannt.
„Aber?“
„Aber nicht aus dem geplanten Wanderritt.“
„Versteh ich nicht“, wunderte sich Lina. „Du sprichst in Rätseln. Was meinst du mit Ferien, aber kein Wanderritt?“
„Also, ich hab mir überlegt, dass wir ja eigentlich auch eine Radtour machen könnten“, fügte Carolin dann schnell hinzu.
Lina und Jennifer sahen die Freundin an, als hätte sie soeben vorgeschlagen, die Ferien am Nordpol in Schnee und Eis zu verbringen.
Lina fand als Erste die Sprache wieder. „Warum das denn?“
„Na ...“, begann Carolin etwas hilflos. „Weil Jennifer zum Beispiel noch nicht so gut reiten kann.“ Sie wandte sich an Jennifer. „Du hast ja eben selbst gesagt, dass du Bammel vor Muskelkater hast. Und wir daher auf Pferden nur langsam vorwärtskommen würden.“
Empört stemmte Jennifer die Hände in die Hüften. „Moment mal, du tust ja gerade so, als ob ich nur Schritt reiten könnte. Aber so empfindlich bin ich auch wieder nicht. Das mit dem Oberschenkeltraining hab ich doch nur zum Spaß gesagt. Außerdem kann Rad fahren auch ziemlich anstrengend sein.“
„Ich finde auch, dass du ganz schön übertreibst, Caro“, kam Lina ihr zu Hilfe. Misstrauisch beäugte sie Carolin. „Sei ehrlich, das allein kann niemals der Grund sein?! Nie im Leben!“