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Friede, Freude, Eierkuchen
Oder: Na logisch sind Liebesbeweise käuflich!

»IST ES NICHT TOLL, dass wir heute einen richtigen Mädels-Einkaufsbummel unternehmen?«, flötet Mum, während sie unsere Familienkutsche ins Parkhaus manövriert.

»Supercool«, bestätigt Tessa, und Mum strahlt zufrieden. Wenn sie sich da mal nicht zu früh freut! Wetten, dass meine kleine Schwester unsere Mutter im Lauf dieses Nachmittags in den Wahnsinn treiben wird?

Ich grunze bloß nichtssagend. Denn ich habe keineswegs vor, mit einer Nervensäge und Miss Familienrat zusammen shoppen zu gehen. Vielmehr bin ich im Einkaufszentrum mit meiner besten Freundin Jill verabredet. Aber wir wollen so tun, als wenn es ein zufälliges Treffen wäre …

»Ich möchte einen mit Glitzer. Oder mit Ponys drauf. Oder mit Glitzerponys«, plappert Tessa auf dem Weg vom Parkhaus zur Mall, ohne Luft zu holen – jedenfalls hört es sich so an.

»Ganz sicher kaufe ich dir keinen Glitzer-Schulranzen«, erwidert Mum streng, aber ich würde mein komplettes Juli-Taschengeld darauf verwetten, dass sie sich am Ende von Tessa breitschlagen lässt. Kaum zu fassen, wie abgeklärt die mit ihren sechs Jahren schon ist.

Ich dagegen bin mit fast vierzehn meistens nicht halb so cool. Gerade mache ich mir zum Beispiel Sorgen, dass Mum meinen Trick durchschaut. Tessa an meiner Stelle wäre das garantiert egal.

»Dann wenigstens einen Rucksack mit Manga-Motiv«, quengelt sie.

Mum wirft mir einen fragenden Blick zu.

»Mangas sind japanische Comics«, übersetze ich leicht genervt.

Irgendwie bin ich momentan dauernd leicht genervt – es sei denn, ich bin bei Nick. Dann bin ich natürlich überglücklich! Nick ist einfach toll – so nett und lustig und außerdem wahnsinnig gut aussehend. Unglaublich, dass wir jetzt schon seit fast einem Jahr zusammen sind …

»Hej, Henriette, das ist ja eine Überraschung!«, ruft plötzlich eine fröhliche Stimme. Jill lehnt Kaugummi kauend am Eingang einer Boutique und grinst uns an. »Hi Tessa, hallo Eva«, fügt sie hinzu.

Oh Mann! Auffälliger geht’s ja kaum noch.

Wir hatten vereinbart, dass sie so tun soll, als ob sie uns rein zufällig über den Weg laufen würde. Hier so offensichtlich auf mich zu warten und etwas von Überraschung zu faseln ist nicht gerade das, was ich mir darunter vorgestellt habe.

Vermutlich würde Mum auch tatsächlich Verdacht schöpfen, wenn Tessa nicht in diesem Moment einen Jubelschrei loslassen und völlig begeistert auf ein Schaufenster deuten würde, in dem Schulranzen ausgestellt sind. Zielsicher hat sie sich in das hässlichste Teil von allen verliebt. »Juhuuu, Manga-Ponys mit Glitzer«, quietscht sie aufgeregt.

»Vergiss es!«, sagt Mum, aber sie klingt nicht halb so entschlossen wie Tessa.

Ich grinse, denn ich ahne, wer diesen Kampf gewinnen wird. Allerdings möchte ich nicht dabei sein, wenn die Nervensäge und Miss Familienrat sich fetzen.

»Du, Henriette, hilfst du mir, einen Bikini auszusuchen?«, rettet mich Jill. »Mein alter ist total kindisch, ich brauche dringend einen neuen – schließlich werde ich die Sommerferien mehr oder weniger im Schwimmbad verbringen.«

Mum wirft mir einen halb verzweifelten, halb verständnisvollen Blick zu. »Zieht nur los«, sagt sie. »Wir treffen uns in zwei Stunden hier wieder. Okay?«

»Wie du meinst«, sage ich so lässig, wie ich nur kann, denn eigentlich denke ich: Yesssss! Es hat funktioniert!

 

Erst als Mum und Tessa in dem Taschenladen verschwunden sind, atme ich auf.

»Mensch, Jill, das war ja nicht gerade eine schauspielerische Glanzleistung«, sage ich spöttisch.

»Na und? Ich versteh eh nicht, warum du deiner Mutter nicht einfach sagst, dass du lieber mit mir shoppen gehst«, meint Jill schulterzuckend.

»Ganz einfach: Weil Mum garantiert drei Tage lang beleidigt wäre, wenn ich ihr das so knallhart gestehen würde«, erwidere ich. »Aber mit ihr losziehen geht wirklich gar nicht, sie hat einen grauenhaften Geschmack. Schau dir doch bloß ihre Öko-Latzhosen an. Wer, bitte schön, trägt denn heutzutage noch so was?«

Jill hat gut reden! Elin ist ja auch die coolste Mutter unter der Sonne. Ob das daran liegt, dass sie Schwedin ist, oder daran, dass sie Jill allein erzieht, oder ganz einfach daran, dass sie grundsätzlich so entspannt drauf ist, weiß selbst Jill nicht. Doch Tatsache ist: Ich habe meine Freundin schon sehr oft darum beneidet, wie wenig Verpflichtungen und Verbote es bei ihr zu Hause gibt – dafür aber jede Menge Spaß und so viel Fast Food, wie man sich nur wünschen kann.

»Wow, guck dir mal diese oberkrassen Stiefel an«, wechselt Jill urplötzlich das Thema. Sie ist vor einem Schuhgeschäft stehen geblieben und drückt fast ihre Nase an der Schaufensterscheibe platt.

»Ich dachte, du suchst nach einem Bikini.«

»Später. Erst mal muss ich diese Stiefel bestaunen. Verflixt, sind die teuer! Für beides reichen meine Ersparnisse nicht.«

»Dann lass uns weitergehen«, drängele ich, denn schließlich habe ich auch noch etwas zu erledigen. Ich suche nach einem Geschenk für Nick zu unserem ersten Jahrestag. Ich weiß schon, was ich ihm kaufen werde: einen silbernen Bilderrahmen in Herzform, in den ich ein Foto stecken möchte, das uns beide Arm in Arm zeigt. Ich bin selbst ganz gerührt von dieser Idee – ist sie nicht irrsinnig romantisch?

»Ha! Ich weiß, wie ich doch beides bekomme: Ich wünsche mir die Stiefel einfach zum Geburtstag«, holt mich Jill wieder ins Hier und Jetzt zurück. Sie zückt ihr Handy, fotografiert die Stiefel und schickt sie per WhatsApp an Elin.

»Du bist gut«, lache ich. »Unser Geburtstag ist doch erst in dreieinhalb Monaten!«

Und wenn ich unser Geburtstag sage, dann meine ich das wirklich genau so. Jill und ich sind nämlich exakt am selben Tag geboren. Unsere Mütter haben sich in der Schwangerschaftsgymnastik kennengelernt. Deshalb scherzen Jill und ich gerne, dass wir schon vor unserer Geburt befreundet waren und uns blind verstehen, weil wir uns damals von Bauch zu Bauch unterhalten haben.

Im Oktober werden wir also beide vierzehn. Das muss natürlich gefeiert werden! Momentan steht allerdings nur fest, dass wir eine gemeinsame Party planen wollen. Wie und wo die steigen soll, haben wir bisher nicht besprochen. Wie gesagt, wir haben ja auch noch genug Zeit bis dahin.

»Du wirst dich wundern, wie bald Oktober ist«, erwidert Jill mit todernster Miene.

»Jetzt hörst du dich an wie deine eigene Uroma«, kichere ich und wechsele dann das Thema: »Erst einmal gibt’s was ganz anderes zu feiern.«

Jill zieht eine Grimasse. »Ach ja, euer Jubiläum«, mault sie.

Meine beste Freundin findet es völlig übertrieben, so etwas zu feiern. Na ja, das liegt wohl daran, dass sie bis jetzt nie länger als drei Wochen mit einem Jungen zusammen war. Mir macht sie dauernd ein schlechtes Gewissen, weil ich angeblich zu viel Zeit mit Nick verbringe und zu wenig mit ihr unternehme.

»Genau«, sage ich fröhlich. Von Jills blöder Eifersucht auf Nick lass ich mir doch nicht die Laune verderben!

Als wir am Rahmengeschäft vorbeikommen, will ich schnell hineinsausen, um den silbernen Herzrahmen zu erstehen, aber Jill hat keine Lust, mit reinzukommen.

»Ich warte im Café Chica auf dich«, sagt sie und fügt dann versöhnlich hinzu: »Soll ich schon was für dich mitbestellen?«

»Eine Eisschokolade«, sage ich und betrete den Laden.

Ein ganzes Jahr, denke ich, während die Verkäuferin den Rahmen aus der Vitrine holt. Ist das nicht Wahnsinn? Unfassbar, dass ich mir noch vor einem Jahr kaum vorstellen konnte, einen Freund zu haben – jedenfalls keinen echten. Zwar war ich damals ständig verliebt, aber ich habe mich immer damit begnügt, still und heimlich für einen Jungen zu schwärmen. Übrigens für permanent wechselnde Angebetete. Das hat sich gründlich geändert, als Nick auftaucht ist. Jetzt schwärme ich bloß noch für ihn, und das nicht mehr heimlich, sondern unheimlich! Und Nick schwärmt natürlich genauso für mich. Wir sind ein süßes Paar, findet Oma Lydia.

Was Nick mir wohl zum Jahrestag schenken wird? Darauf bin ich schon megagespannt. Bestimmt hat er sich auch etwas voll Romantisches für mich ausgedacht. In Gedanken erstelle ich rasch eine Liste der Top-5-Geschenkideen für Verliebte und nehme mir vor, heute Abend einen Blogartikel darüber zu schreiben, dass man Liebesbeweise sehr wohl kaufen kann:

  1. Eine Kette mit Herzanhänger, in den unsere Anfangsbuchstaben eingraviert sind. Die würde ich nicht mal beim Duschen ablegen!

  2. Ein selbst gekochtes Menü – natürlich bei Kerzenlicht und an einem schön gedeckten Tisch. Meinetwegen darf es auch ein Fertiggericht sein (das wär mir sogar am allerliebsten).

  3. Eine Einladung ins Kino – und zwar exakt dorthin, wo es vor einem Jahr zwischen uns gefunkt hat. Mannomann, wenn ich an die innerlichen Stromschläge denke, als sich unsere Hände im Popcorn-Eimer berührten …

  4. Ein Fotoprint-Kuschelkissen mit Nicks Bild darauf. Dann könnte ich ihn jede Nacht umarmen. Hach!

  5. Ein Freundschaftsring – einer für ihn und einer für mich. Damit jeder sieht, dass wir zusammengehören. Ich glaube, ich werde verrückt, wenn es das ist!

 

Wenn ich sagen müsste, worüber ich mich am meisten freuen würde, dann käme ich jetzt ganz schön ins Grübeln. Aber zum Glück muss ja Nick entscheiden, was er mir schenkt. Vielleicht hat er sich sogar noch etwas viel Tolleres einfallen lassen?

 

Jills Apfelstrudel und meine Eisschokolade werden gerade serviert, als ich mich neben Jill in den Korbsessel plumpsen lasse. Ich erzähle ihr von meiner Liste und dass ich über romantische Geschenke bloggen will, doch sie wirkt nicht besonders begeistert.

»Dauernd schreibst du über solche Kitschthemen, alles ist immer Friede, Freude, Eierkuchen«, mault sie.

»Mein neues Blog hat schließlich den Titel Liebe für Anfänger – Jette V. berichtet live vom schönsten Gefühl der Welt«, antworte ich im Flüsterton. Nicht, dass am Ende noch jemand lauscht und mein Pseudonym knackt. Bisher wissen nur ganz wenige Menschen, dass Jette V. niemand anders ist als Henriette Vogelsang aus Berlin – nämlich nur Jill, Oma Lydia und das Team vom ORANGE-Verlag in Hamburg, das gerade dabei ist, aus meinem ersten Blog Alles, was Mädchen wissen sollten, bevor sie 13 werden – Jette V. berichtet live aus der Pubertät ein Buch zu machen. Aber auch das ist topsecret! Und natürlich furchtbar aufregend …

»Ich dachte, du wolltest Wissenschaftsjournalistin werden«, stichelt Jill weiter. »Liebesbeweise aus dem Rahmenladen sind nicht besonders wissenschaftlich, findest du nicht?«

Na ja, da hat sie nicht so ganz unrecht. Andererseits …

»Mein Schwerpunkt ist jetzt nicht mehr Biologie, sondern mehr Psychologie und Soziologie. Ich schreibe eben über alles Mögliche, was mit Liebe, Gefühlen, Hormonen und Beziehungskram zu tun hat. Und dazu gehören logischerweise auch romantische Geschenke«, verteidige ich mich. »Das sind die Themen, für die sich meine Leserinnen nun mal interessieren. Das beweisen die vielen Kommentare.« Und um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, schlürfe ich laut den Rest meiner Eisschokolade aus.

Während Jill wie eine Wilde auf ihrem Smartphone rumdrückt (wahrscheinlich hat Elin geantwortet, die Stiefel seien viel zu teuer), denke ich darüber nach, dass ausgerechnet Nick noch immer nichts von meinen Blogs und meinem Pseudonym Jette V. weiß, geschweige denn von meinem Buch. Vielleicht wäre es ja der größte Liebesbeweis von allen, ihn endlich einzuweihen?

 

Nachdem wir im Café bezahlt haben, gehen wir in die Boutique Chérie, in der es Unterwäsche und Bademode in allen erdenklichen Farben und Mustern gibt. Jill lässt sich total viel Zeit und probiert so ziemlich jeden Bikini an, der in ihrer Größe vorrätig ist. Am Ende schwankt sie zwischen einem blau-weiß gemusterten und einem pink-türkis gestreiften. Ich könnte wirklich nicht sagen, welcher ihr besser steht, alle beide sind einfach obercool und passen voll gut zu ihrer gebräunten Haut und ihren hüftlangen, hellblonden Halbschwedinnen-Haaren.

»Sie haben Glück, diese Modelle sind reduziert«, verkündet die Verkäuferin. Das lässt sich meine Freundin natürlich nicht zweimal sagen – sie nimmt beide.

Anschließend trödelt Jill noch ein bisschen herum. Obwohl sie jetzt hat, was sie wollte, fängt sie schon wieder an, sämtliche Ständer mit Bikinis durchzuschauen.

Ich mahne zur Eile. »Wir sollten so langsam in Richtung Treffpunkt gehen.«

Jill lacht. »Manchmal bist du einfach viel zu brav für diese Welt. Wetten, dass deine Mutter unpünktlich ist? Schließlich hat sie Tessa dabei. Wir haben also noch genug Zeit, auch für dich einen neuen Bikini auszusuchen. Wie wär’s zum Beispiel mit diesem?«

»Bist du irre? Lila und Silber mit rosa Pailletten? Heiße ich etwa Tinkerbell und bin eine Fee?«, rufe ich empört aus. »Wenn, dann nehm ich den hier!«

An Jills breitem Grinsen erkenne ich, dass sie mich gerade ausgetrickst hat. Aber egal, sie hat ja recht – meine Badesachen vom letzten Sommer sind mir längst zu klein geworden. Immerhin bin ich im Laufe des vergangenen Jahres mindestens fünfzehn Zentimeter gewachsen!

Ich greife nach einem hübschen Modell in verschiedenen Grüntönen, die sehr gut zu meinen braunen Locken und meinen hellblauen Augen passen, wie mir mein Spiegelbild wenig später bestätigt. Was es mir außerdem zeigt: An meinem Kinn erblüht gerade ein Pickel. Hilfe! Auch das noch ...

Ansonsten bin ich mit meinem Anblick einigermaßen zufrieden. Wer mich vor einem Jahr zum letzten Mal gesehen hat, würde mich wohl nur an meiner Stupsnase wiedererkennen. Meine Haare sind, ebenso wie alles an mir, ordentlich gewachsen. Von jungenhafter Figur kann nicht mehr die Rede sein, auch wenn ich immer noch sehr schlank bin und bestimmt keinen Gedanken an irgendwelche Diäten verschwenden muss.

 

Jill behält natürlich mal wieder recht: Als wir am Treffpunkt ankommen, ist von Mum und Tessa weit und breit nichts zu sehen. Anstatt mich darüber zu freuen, bin ich stinksauer. Keine Ahnung, warum. Paps meint, ich wäre furchtbar launisch in letzter Zeit, und sogar Oma findet, mein Pubertätsgezicke wäre manchmal ganz schön anstrengend.

Als ob ich die Einzige wäre, die manchmal die Nerven verliert. Im Übrigen kann ich nichts dafür – die Hormone sind schuld. Außerdem sind es meistens die anderen, die mich auf die Palme bringen. Im Moment zum Beispiel Jill mit ihrem Rechthabergesicht. Natürlich auch Mum, weil sie unpünktlich ist und uns hier blöd rumstehen lässt. Vor allem aber bin ich auf das Schicksal wütend, das es wohl gerade auf mich abgesehen hat. Oder warum in aller Welt taucht ausgerechnet hier und jetzt der Badezimmerblockierer auf?

»Hi, ihr zwei Hübschen!«, brüllt uns mein großer Bruder Levin schon von Weitem entgegen. Und ich frage mich, ob er vielleicht Drogen genommen hat, denn normalerweise würde er sich eher eine Woche lang weder duschen noch einparfümieren, als mich hübsch zu nennen.

Als er näher kommt, wird mir klar, dass er mich komplett links liegen lässt. Das mit den zwei Hübschen war nur so dahergeredet, um sich bei Jill einzuschleimen.

Aber da hat sich mein Herr Bruder geschnitten: Jill lässt ihn eiskalt abblitzen, und seine Frage, was sie denn in der Boutique Chérie gekauft habe, ignoriert sie einfach. Dass ich ebenfalls eine Tüte aus diesem Laden in der Hand habe, scheint er nicht zu bemerken. Krass, Levin hat nur Augen für Jill.

Er lässt sogar die Gelegenheit sausen, mich wegen eines Einkaufs in einem Unterwäscheladen für Damen aufzuziehen. Normalerweise würde er jetzt wieder auf dieser Melonen-Geschichte herumreiten: Er hat mich einmal dabei erwischt, wie ich mir die Früchte ins T-Shirt gestopft habe, um zu prüfen, wie ich mit einem Riesenbusen aussehe und ob man damit überhaupt noch gerade stehen kann – aber da war ich natürlich viel jünger und naiver als heute!

»Darf ich dich zu einer Cola einladen?«, säuselt Levin jetzt und schmachtet Jill an. Es ist superpeinlich! So langsam wird es wohl Zeit, die Flucht zu ergreifen – oder sich fremdzuschämen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob leibliche Brüder als fremd gelten …

Jill dreht ihm den Rücken zu und zieht eine Grimasse. So wechselhaft sie auch ist, was ihre Berufswünsche betrifft, so beständig ist sie in ihrem Groll auf den Badezimmerblockierer.

»Sag mal, riechst du das auch? Hier müffelt’s irgendwie … nach Bockmist. Bockmist mit Veilchenaroma«, sagt sie und tut so, als schaue sie sich nach der Quelle dieses Gestanks um.

Ich pruste vor Lachen – weniger wegen Jills darstellerischen Fähigkeiten (auch wenn sie zurzeit auf dem Ich-will-Schauspielerin-werden-Trip ist) als vielmehr wegen Levins dämlichem Gesichtsausdruck und natürlich der Erinnerung an den Streich, den ich ihm damals gespielt habe: Als er Jill nach einem einzigen Date (inklusive Kinobesuch und einem Kuss) abserviert hat, war ich so stinksauer auf ihn, dass ich den kompletten Inhalt seines Kleiderschranks mit Veilchenwasser besprüht habe.

Dazu muss gesagt werden, dass Levin bekannt dafür ist, seine Freundinnen öfter zu wechseln als seine Socken. Keine Ahnung, was die Mädchen alle an ihm finden. Tsss. Normalerweise ist es mir ja egal, ob mein Bruder ein Herzensbrecher oder ein Einsiedler ist, aber wenn er meine beste Freundin unglücklich macht, bekommt er es mit mir zu tun!

Neuerdings ist er aus unerfindlichen Gründen übertrieben freundlich zu ihr und versucht immer wieder, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Warum kann er Jill nicht einfach in Ruhe lassen? Sie hat damals, als er sie abserviert hat, schon genug gelitten. Für heute gibt er es zum Glück auf und zieht ab, demonstrativ lässig mit einem Jo-Jo spielend und pfeifend.

»Schau mal, was ich hier habe«, kräht in diesem Moment ein schrilles, allzu bekanntes Stimmchen, das ich sofort als Tessas identifiziere. Im Galopp kommt sie auf uns zugestürmt, wobei sie sich mehrmals umdreht, damit wir ihren nagelneuen Schulranzen bestaunen können. Natürlich ist es der mit den Glitzer-Manga-Ponys. Ich hätte wirklich drauf wetten sollen!

Auf dem Heimweg grinse ich bis über beide Ohren. Mum, die Gesundheitsfutterfanatikerin, Grammatikverbesserin, Kulturliebhaberin, XXL-Gärtnerin und Inhaberin des Bioladens Rapunzels Schatztruhe, hat in Tessa ihre Meisterin gefunden. Wer erzieht hier eigentlich wen? Mensch, das wäre doch mal ein tolles Diskussionsthema in Mums heiß geliebtem Familienrat …

Und was kommt als Nächstes? Gibt es bei uns womöglich eines Tages aufgebackene Tiefkühlpizza zum Abendessen? Dann fress ich aber ’nen Besen!


Einjähriges
Oder: Ich liebe Überraschungen! Eigentlich ...

»NA, BURKI, sieht das cool aus, oder sieht das megacool aus?«, frage ich und halte den Herzbilderrahmen mit Nicks und meinem Foto darin hoch. Burkhard, unser eigentlich hochintelligenter Jack-Russell-Terrier, gähnt gelangweilt und wirft sich dann auf den Rücken, um sich genüsslich auf meinem Teppich zu schrubbeln.

»Du Blödmann«, schimpfe ich, »du hast ja keine Ahnung von der Liebe.«

Burki hört auf, sich zu wälzen, und glotzt mich an, als wollte er sagen: Aber du, Zweibeinerin Henriette? Hast du wirklich Ahnung davon?

»Pah«, mache ich und strecke ihm die Zunge raus. Dann packe ich den Bilderrahmen in Geschenkpapier ein und binde eine knallrote Schleife darum.

Obwohl ich mir dabei richtig viel Zeit lasse, ist es erst halb zwei, als ich damit fertig bin. Mist. Wie soll ich nur die Zeit bis zu meinem Treffen mit Nick totschlagen? Wir sind um drei verabredet. Und wenn die nächsten anderthalb Stunden nicht wie durch ein Wunder so schnell verfliegen, als hätte jemand auf Schnellvorlauf gedrückt, muss ich leider vor lauter Nervosität durchdrehen!

Zum bestimmt fünften Mal an diesem Mittag stelle ich mich vor den Spiegel und checke mein Outfit.

Ich denke kurz darüber nach, mir noch rasch die Haare zu waschen, aber das habe ich heute früh erst gemacht. Meine Locken fallen mir weich über den Rücken und glänzen dank der Haarkur, die mir Oma geschenkt hat, so schön wie nie zuvor.

Okay. Ich muss mir etwas anderes überlegen, um die unendlich zähe Stunde zu überbrücken, bis ich mich auf den Weg zu Nick machen kann.

Mein Blick streift den weißen Laptop auf meinem Schreibtisch. Da fällt mir mein Blogbeitrag von neulich ein. Der über die romantischen Geschenke. Als ich zuletzt nachgesehen habe, gab es dazu keine Kommentare. Vielleicht hat sich das ja mittlerweile geändert? Die Leserinnen meines alten Blogs haben sich noch nicht so ganz an den neuen Namen gewöhnt. Ich hoffe aber, dass sie mir nach und nach alle zu Liebe für Anfänger folgen. Alles, was Mädchen wissen sollten, bevor sie 13 werden passt einfach nicht mehr zu mir. Schließlich werde ich schon bald vierzehn!

Wow, tatsächlich: Es gibt gleich mehrere Kommentare, stelle ich zufrieden fest, als ich die Seite aufrufe. Einige der Namen kenne ich sehr gut, andere sind neu. Gespannt lese ich, was meine Leserinnen zu der Liste der Top-5-Geschenkideen für Verliebte geschrieben haben:

Mein Freund hat gerade neulich so ein Fotoprint-Kissen für mich machen lassen!, erzählt TeenageQueen. Das war das tollste Geschenk, das ich je bekommen habe! Sogar auf die Klassenfahrt hab ich dieses Kissen mitgenommen. Es war mir egal, was die anderen dazu gesagt haben.

Ich nicke zufrieden. TeenageQueen ist eine meiner treuesten Leserinnen, und dass sie wirklich schon mal etwas von meiner Liste bekommen hat, freut mich ganz besonders.

Auch MissMusic kenne ich inzwischen recht gut. Sie kommentiert:

Mein Freund hat mal ein Gedicht für mich geschrieben. Das fand ich ziemlich romantisch, obwohl das Gedicht totaler Mist war und der Freund sich eine Woche später verabschiedet hat ...

 

Hallo Jette, ich habe dein Blog eben erst entdeckt und bin total begeistert. Leider habe ich noch keinen Freund, aber wenn ich mal einen habe, hoffe ich sehr, dass er mir eines Tages etwas von deiner Liste schenkt. Du hast wirklich soooo tolle Ideen!, hat eine gewisse Pippilotta gepostet.

 

Und PrincessX kommentiert: Das wäre ja schlimm, wenn echte Liebesbeweise käuflich wären. Ich glaube, dass wahre Gefühle keine Geschenke brauchen, um sie zu bestätigen. Vielleicht ist ja mit der Beziehung was nicht in Ordnung, wenn man so auf Schmuck und ähnlichen Schnickschnack abfährt?

Huch! Was ist denn das für eine? PrincessX, den Namen muss ich mir merken. Ich hoffe, sie stänkert hier nicht weiterhin rum. Wenn ihr meine Themen nicht gefallen, muss sie Liebe für Anfänger ja nicht lesen. Bestimmt gibt es auch Blogs für Liebende, denen es genügt, sich gegenseitig die Haare zu flechten und den Nacken zu massieren!

Stopp, Henriette! Du musst aufhören, dich über negative Kommentare zu ärgern! Als Journalistin wirst du später ständig Kritik ausgesetzt sein. Da solltest du drüberstehen.

Ich beschließe, mich nicht länger über PrincessX aufzuregen, und werfe einen letzten kritischen Blick in den Spiegel.

Hilfe! Was ist denn das da auf meiner Stirn? Etwa schon wieder ein fetter Pickel??? Wieso ist mir der denn vorher gar nicht aufgefallen?

Nachdem ich die dicke Pustel mit Salbe behandelt und mir die Haare etwas weiter in die Stirn gekämmt habe, damit man die fiese Entzündung wenigstens nicht sieht (vor allem: damit Nick sie nicht sieht), mache ich mich auf den Weg.

Am Fahrradschuppen stoße ich auf Levin. »Na, Schwesterlein. Unterwegs zu Jill?«

Ähm – was soll das denn jetzt? Ist der Badezimmerblockierer neuerdings irgendwie besessen von ihr? Was will er denn eigentlich von Jill?

»Warum fragst du?«, erwidere ich, weil ich keine Lust habe, ihm von meinem Jahrestreffen mit Nick zu erzählen. Er würde sich ja doch nur darüber lustig machen. Große Brüder sind echt die Pest!

»Och, nur so«, meint Levin und setzt ein diabolisches Grinsen auf, so als plane er, Jill zu entführen oder sie an skrupellose Menschenhändler zu verscherbeln.

»Na ja, viel Spaß«, sagt er dann und trollt sich.

Ich schaue ihm hinterher und staune über meine eigene gruselige Phantasie. Doch dann schwinge ich mich aufs Rad, und kaum bin ich um die nächste Ecke gebogen, denke ich nur noch an den wundervollsten Jungen der Welt …

Ganz im Ernst: Nick Jelinek ist der süßeste, coolste, klügste, netteste Junge, der mir je begegnet ist. Er könnte jedes Mädchen als Freundin haben, sogar die mit blonder Wallemähne, rundem Apfelpo und richtigem Busen. Aber nein, er hat sich für mich entschieden. Manchmal kann ich es selbst kaum fassen!

SaphirblauPitch Perfect