Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Weihnachten in der Küche

Putztag

Die Pokerrunde

Tanzen mit Cooper

Pfannkuchen

Kochen

Sonntagmorgen

Hoher Besuch für Naya

Waffentraining

Von Messern und Scheiden

Zoes Werkstatt

Gestrichene Szenen aus Verführung

Gestrichene Szene aus eisige Umarmung (Bd. 3)

Gestrichene Szene aus sengende Nähe (Bd. 6)

Lockruf des Verlangens (Bd. 10), gestrichene Szenen 1–7

Einsame Spur (Bd. 11), gestrichene Szenen 1–2

Gestrichene Szenen aus geheimnisvolle Berührung (Bd. 12)

Die Autorin

Die Romane von Nalini Singh bei LYX

Impressum

Cover

NALINI SINGH

Sehnsucht

des Augenblicks

Ins Deutsche übertragen von

Dorothee Danzmann

Zu diesem Buch

Berührende Kurzgeschichten und entfallene Szenen aus Nalini Singhs fantastischen Welten. Wie durch ein Fenster in der Realität erhascht der Leser einen Blick auf dramatische, stille und bewegende Momente im Leben ihrer liebgewonnenen Charaktere. Ein Leckerbissen für alle Fans der Gilde der Jäger und der Gestaltwandler-Serie.

Anmerkungen der Autorin

Die Kurzgeschichten aus dieser Sammlung gehören alle zu einer informellen Reihe, in der ich das Leben einiger Charaktere aus meinen Romanen näher unter die Lupe nehme, und zwar abseits der großen Ereignisse von Politik, Aufruhr und Krieg.

In diesen Geschichten stehen die sonst eher verborgenen Momente im Vordergrund. Sie sind wie kurze, heimliche Blicke durchs Fenster und beschreiben das Alltagsleben. Da bereitet jemand das Abendessen zu, jemand anderes sitzt mit Freunden beim Pokern, zwei tanzen am Himmel – die handelnden Personen in meinen Romanen erleben jeden Tag vieles, was wir in den Romanen nicht mitbekommen.

Ich finde es sehr schön, ein bisschen davon in Kurzgeschichten einzufangen, schnell mal vorbeizuschauen, um nachzusehen, was meine Leute so treiben. Jedes Wiedersehen macht unglaublichen Spaß, irgendwie lächele ich immer, wenn ich eine Kurzgeschichte beendet habe.

Hoffentlich gefallen euch diese flüchtigen Einblicke in das ganz normale Leben von Gestaltwandlern und Gildejägern ebenso gut wie mir.

Mit den besten Wünschen

Nalini

PS: Die Geschichten verraten teilweise Details, die in den Romanen erst nach und nach eine Rolle spielen. Aus diesem Grund habe ich bei jeder Geschichte dazugeschrieben, wann sie spielt, und wenn nötig Spoileralarm gegeben. Ihr könnt also selbst entscheiden, wie neugierig ihr sein wollt.

WEIHNACHTEN IN DER KÜCHE

Die Geschichte schiebt sich vor Fesseln der Erinnerung (Gestaltwandler Bd. 8). Handelnde Personen sind einige DarkRiver-Leoparden, darunter auch zwei Wächter. (Wächter stehen in der Hierarchie des Rudels gleich unter dem Alpha.)

Dorian war nicht nur als Architekt hoch qualifiziert, er zeigte noch dazu ein schon fast magisches Talent im Umgang mit Computern und besaß einen Flugschein. Er schoss so kaltblütig und treffsicher wie ein Scharfschütze, trainierte mit einem ehemaligen Medialen, einem Auftragsmörder, als Sparringpartner und war schon von mehr als einer Person als Ehrgeizling – vulgär Streber – bezeichnet worden.

Allerdings hatte keine dieser Personen ihn je im Kampf mit einem verstopften Abfluss erlebt.

»Mist!«, entfuhr es ihm jetzt bereits zum dritten Mal, als es immer noch aus dem Rohr auf sein Gesicht tropfte.

»Das zählt als Schimpfwort!«, bemerkte sein ihm assistierender Sohn, der mit einer Taschenlampe bewaffnet vor der Spüle kauerte und die dunkle Höhle darunter ausleuchtete.

Dorian wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und die weißblonden Haare aus den Augen. »Und?«, flüsterte er mit einem kräftigen Ruck an der Rohrzange. »Verpetzt du mich?«

»Nee!« Keenan schüttelte den Kopf. Auch er sprach sehr leise. »Männer müssen zusammenhalten.«

»Genau!« Dorians Leopard grinste den Jungen von unten her dankbar an. Keenan war sein Sohn, in jeder Beziehung, bis auf die Gene. Und für Gene interessierte sich seine Katze nicht im Geringsten. Die wusste nur, dass dieses Junge ihr gehörte, dass es beschützt und großgezogen werden wollte. Vorsichtig ließ Dorian die Rohrzange sinken, wartete ergeben auf den nächsten Tropfen.

Der jedoch ausblieb.

»Schnell, lass uns abhauen!«, flüsterte er. »Ehe es sich das Rohr anders überlegt und das gute Benehmen wieder einstellt.« Er kam mit Kopf und Oberkörper unter der Spüle hervor und stand auf, flüchtete dann aber doch nicht sofort, sondern überprüfte brav mehrfach, ob auch wirklich alles so funktionierte, wie es funktionieren sollte. »Gute Arbeit, Kollege!« Lobend strich er Keenan über den Kopf. Das dunkle Haar seines Sohnes glitt ihm wie Seide durch die Finger. »Ich finde, wir haben uns einen oder zwei Kekse verdient.«

Ashaya, die besagte Kekse gerade auf dem der Spüle gegenüberliegenden Küchentresen mit Zuckerguss bestrich, blickte auf, wobei die Strahlen der frühen Nachmittagssonne die satte braune Haut ihres Gesichts hell erstrahlen ließen. »Keenan hat sich auf jeden Fall einen verdient, aber bei dir, du Wunderknabe, bin ich mir da nicht so sicher.«

Er ließ spielerisch schneeweiße Zähne aufblitzen. »Provoziere mich nicht, Frau, ich kann beißen!«

»Mir zittern vor Angst die Knie!« Lachend bückte sie sich, um den grinsenden Keenan an sich zu drücken, die umwerfenden blaugrauen Augen voller Leben und Licht.

»Verräter!« Kaum hatte Ashaya sich aufgerichtet, als Dorian sich den Jungen auch schon schnappte, um ihn neben dem Backblech mit den Keksen auf dem Tresen abzusetzen.

»Halt! Erst die Hände!« Ashaya säuberte ihren Sohn rasch mit einem feuchten Tuch, dann durfte er sich einen Keks aussuchen.

Dorian hatte sich inzwischen an der eben reparierten Spüle gewaschen und kam herüber, um Ashaya von hinten zu umarmen und die Lippen in den Locken über ihrem Nacken zu vergraben, bis sich der Knoten aufzulösen begann, zu dem sie die Haare am Morgen zusammengesteckt hatte. Dabei hatte er ihr zugesehen, während er mit Keenan auf dem Bett lag und der Kleine, noch im Pyjama, sich im Fernsehen Zeichentrickfilme angesehen hatte. Schon da hatte sich Dorian fest vorgenommen, Ashayas Frisur irgendwann im Laufe des Tages liebevoll wieder aufzulösen.

»Dorian!« Ashaya versuchte streng zu sein, konnte sich das Lachen aber nicht ganz verkneifen.

Weswegen ihr Gefährte auch keine Einsicht zeigte, sondern sich vielmehr daran machte, die ganze Lockenpracht zu lösen, bis sie sich wild in sämtliche Richtungen ergoss. »Hübsch!«, murmelte er und drückte das Kinn an ihre Schläfe. Sein Leopard war wie so oft entzückt darüber, wie lebendig Ashayas Haar sein konnte. Manchmal, wenn er in Leopardengestalt war und sie an einem offenen Feuer auf einer Lichtung neben ihm lag, schlug er mit der Pfote danach, nur um zu sehen, wie es hüpfte.

»Und jetzt gibst du mir sofort meinen Keks.« Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, drückte er sie fest an sich und knabberte zärtlich an ihrem Hals.

»Zuckerjunkie!« Kopfschüttelnd reichte sie ihm einen dick mit Zuckerguss überzogenen Schokoladenkeks. »Bitte sehr, die perfekte Mischung aus Junkfood und Nährstoffen, denn ich habe Mehl mit einem Vitaminzusatz und pflanzliches Protein verwendet. Keine Angst!« Sein misstrauischer Blick war ihr nicht entgangen. »Das kriegst du gar nicht mit. Der Keks schmeckt, wie er soll – nach Schokolade, Zucker und Fett.«

Immer noch vorsichtig versuchte er es erst einmal mit einem kleinen Bissen. Ashaya hatte recht, der Keks schmeckte köstlich. »Okay, dann also erst einmal kein Entzug der Backerlaubnis.« Dorian fragte sich wieder einmal, wieso seine Gefährtin, die leidenschaftliche Wissenschaftlerin, sich ausgerechnet der durch und durch häuslichen Tätigkeit des Backens mit solcher Begeisterung verschrieben hatte. »Warum kochst und backst du eigentlich so gern?«, fragte er, sanft an einer ihrer Locken zupfend, während Keenan auf dem Tresen saß und die Beine baumeln ließ und den Guss von seinem Keks leckte.

»Weil das etwas Kreatives ist, und weil es mir guttut, mich mehr damit zu beschäftigen.« Letzteres war eine unbewusste Anspielung auf die Tatsache, dass ihr solche spielerischen Vergnügungen nicht vergönnt gewesen waren, solange sie sich in den eisernen Fängen des Medialnetzes befunden hatte. »Allerdings handelt es sich hierbei um Kreativität mit festen Regeln, denn jedes Rezept hat seine genau berechneten Zutaten. Man darf zwar experimentieren, so viel man will, aber wie erfolgreich man damit ist, lässt sich sofort an den Resultaten ablesen. Am Herd zu stehen beruhigt mich, macht mich glücklich.«

»Nicht nur dich! Eigentlich sind es ja wohl Keenan und ich, die sich glücklich schätzen dürfen.« Plus der eine oder andere Kumpel aus dem Rudel mit feiner Nase für die Speisekarte dieses Hauses – schon seltsam, wie oft gerade in dieser Beziehung richtig gerochen wurde.

Dorian nahm sich noch einen Keks, küsste Ashaya auf die Wange und lehnte sich neben Keenan an den Tresen. »Deine Kekse sind sogar noch leckerer als die von Tamsyn.« Tamsyn war die Heilerin des Rudels.

»Charmeur!« Ein entzücktes Lächeln. »Warte, bis du siehst, was ich gleich heute Morgen fabriziert habe, während ihr zwei euch Zeichentrickfilme angesehen habt.«

Neugierig beobachteten Dorian und Keenan, wie Ashaya die Abdeckung von einer Ablage am anderen Ende des Tresens hob, um ein Tablett mit bunten Cupcakes zu präsentieren. Sie suchte zwei aus und reichte jedem von ihnen einen, jeweils begleitet von einem Kuss auf die Wange. »Für meine zwei starken und allseits begabten Männer.«

Dorian spielte gerade mit dem Gedanken an einen etwas erwachseneren Kuss, als im hellen Rechteck der offenen Hintertür ein vertrautes Gesicht auftauchte. »Riecht es hier etwa nach Keksen?« Kit kam hereingeschlendert, die Hände in den Hosentaschen, den Blick unverwandt auf das Gebäck geheftet.

Ashaya brachte den muskelbepackten jungen Mann mit warnend ausgestrecktem Zeigefinger zum Stehen. »Ein Keks und ein Cupcake – mehr nicht!«

»Okay, okay!« Er schnappte sich beides und streckte die Hand aus, um Keenan die Haare zu zerzausen, eine Aufgabe, die bei seinen eigenen kastanienbraunen Locken bereits der Wind draußen erledigt hatte. »Hallo, kleiner Mann. Warum sitzt deine Mama so auf ihren Keksen?«

»Seine Mama teilt ihre Kekse nur sparsam aus, weil sie für morgen sind«, erklärte Ashaya mit strenger Stimme, die allerdings durch die Zuneigung in ihrem Blick Lügen gestraft wurde. »Sie sind für die Weihnachtsfeier des Rudels bestimmt, und so langsam begreife ich auch, warum Tammy meinte, ich sollte lieber gleich die doppelte Menge backen.«

Kit, der sich auf die an die Spüle anschließende Arbeitsplatte gesetzt hatte, vernichtete seinen Cupcake mit zwei Bissen. Es war noch nicht lange her, seit Dorian diesen Rekruten eigenhändig aus einer Bar hatte werfen müssen, weil er stockbetrunken gewesen war. Und kurz davor hatte er gemeinsam mit einem anderen Wächter einen Kampf unterbinden müssen, in dessen Verlauf Kit einem Rudelgefährten zu einer blutenden Nase verholfen hatte. Seitdem war der junge Mann in vielerlei Hinsicht erwachsener geworden, sodass er inzwischen zu den verlässlichsten jungen Soldaten des Rudels gehörte. Man konnte sich mittlerweile nicht nur auf seine körperliche Stärke verlassen, sondern ebenso auf seinen Charakter und seine Loyalität.

»Dein Hobby gefällt mir!« Kit biss in den Keks und bedachte Ashaya mit dem trägen Lächeln, das Dorian nur zu gut kannte und von dem er wusste, dass Kitt damit mehr als ein Mädchen in die Büsche hatte locken können. »Dieser Keks ist auf jeden Fall umwerfend!«

»Vergiss es!« Ashaya lachte. »Denk dran, ich lebe mit einer Katze zusammen! Charme verfängt bei mir nicht, an den bin ich gewöhnt.«

Kit knurrte Dorian mit finsterer Miene an. »Eine feine Art, uns anderen die Show zu stehlen.«

»Such dir deine eigene Frau, Kitten.«

Kit knurrte empört – er hörte diesen Spitznamen nicht mehr gern –, woraufhin Keenan, dem ein Tropfen Zuckerguss an der Nase klebte, sehr süß und ein bisschen frech lachte. Dorian packte den Kleinen im Nacken und tat so, als würde er ihm den halb gegessenen Cupcake stehlen wollen – als ihm verschiedene wohlvertraute Gerüche in die Nase drangen, gefolgt vom Lärm kleiner Füße auf den trockenen Kiefernnadeln draußen.

Gleich darauf musste er Keenan loslassen, um Noor in die Arme schließen zu können, die wie eine Wilde ins Haus gestürmt kam, die Rattenschwänzchen mit knallig orangefarbenen Schleifen hochgebunden. Er drückte dem kleinen Mädchen einen dicken Kuss auf die Wange, ehe er es neben Keenan auf den Tresen setzte. Die beste Freundin seines Sohnes strahlte ihn an, die wunderschönen dunklen Augen ohne Furcht und Falschheit.

»Möchtest du?« Keenan hielt Noor seinen Cupcake hin.

Sie nickte begeistert, biss ab und verstreute Krümel auf der Latzhose, die sie über ihrem hübschen blauen Pullover trug. »Lecker!« Als Ashaya ihr einen Cupcake mit lila Zuckerguss reichte, bedankte sie sich entzückt und wandte sich sofort wieder Keenan zu. »Probier mal! Deiner ist grün, der hier schmeckt bestimmt anders.«

»Meinst du?« Keenan hatte so seine Zweifel, aber als Noor wortlos nickte, biss er zu. »Schmeckt nach Weintrauben!«

Über den Köpfen der beiden Kleinen traf Dorians Blick auf den von Ashaya, und er wusste, was sie gerade dachte. Dasselbe wie er nämlich – wie schön es war, zwei solch besondere, einzigartige Kinder dabei beobachten zu dürfen, wie sie sich benahmen wie die Babys, die sie ja auch noch waren. Keenan und Noor sollten behütet aufwachsen und sich geliebt fühlen, dafür sorgte das ganze Rudel, es war ihnen allen eine Ehre und ein Privileg. Die außergewöhnlichen Gaben der Kleinen sollten sich in ihrem natürlichen Tempo entwickeln können.

»Hey!«, meldete sich noch eine männliche Stimme von der Tür her. »Wieso bekommen die Kurzen hier Kuchen?« Jons ernste, violette Augen, die einen überraschenden Kontrast zu seinem weißgoldenen Haar bildeten, blickten finster. »Hast du Kuchen bekommen?«, wollte der Teenager von Kit wissen.

Kit hatte ihm gerade als Antwort ein durch und durch selbstgefälliges Grinsen geschenkt, als hinter Jon Talin und Clay auftauchten. Dorians Wächterkollege und dessen Gefährtin folgten dem Jungen in die Küche, wo sie am Tresen vorbeigingen und sich auf der anderen Seite zwei Hocker schnappten, während sich Jon neben Kit an die Spüle lehnte.

Noor erbot sich, ihren Cupcake mit ihm zu teilen, was ihr ein überraschend süßes Lächeln eintrug. »Ist schon okay, Prinzessin«, sagte Jon liebevoll. »Iss ihn ruhig allein, er gehört dir.«

Dorian fing Clays Blick auf. »Schön, dich zu sehen.«

Der Wächter mit den grünen Augen hob die Hand, und die beiden Männer stießen die Fäuste aneinander.

»Ich wollte für die Party einen Kuchen backen«, sagte Talin zu Ashaya, »aber das ist mir gründlich misslungen. Er ist in der Mitte total zusammengefallen. Völlig ungenießbar. Ich wollte ihn schon wegwerfen …«

Kit gab einen halb erstickten Laut von sich.

»… aber dann ist Jon damit abgehauen.« Ein verschmitzter Seitenblick auf den Teenager, den Talin und Clay als Adoptivsohn in ihre Familie aufgenommen hatten.

Während sich Ashaya Jon zuwandte, stahl Clay leise und geschickt wie eine Katze zwei Cupcakes, von denen er dem Teenager einen zuwarf. Ashayas Kopf fuhr herum – aber der dunkelhäutige Wächter spielte die Unschuld vom Lande und schien die Süßigkeit auf dem Tresen vor sich noch nie im Leben gesehen zu haben.

Dorian musste ein Lachen unterdrücken. Clay war immer so ernst gewesen, seinem Leoparden auf gefährliche Art und Weise so eng verbunden, dass alle sich schon Sorgen gemacht und befürchtet hatten, er würde der Dunkelheit nicht entkommen können. Ihn jetzt wie ein großes Kind spielen zu sehen, ließ Dorians eigenen Leoparden mit weit offenem Maul grinsen, sodass seine glänzend weißen Zähne zum Vorschein kamen.

Mit verdächtig zuckenden Lippen hob Ashaya die Hände. »Wie ihr wollt! Aber wer hier meine Kekse und Cupcakes vernichtet, der muss beim Verzieren der Reserve helfen!«

Noor und Keenan hatten in ihrer für Erwachsene schier unverständlichen Privatsprache miteinander geplaudert, klatschten bei Ashayas Drohung aber freudig in die Hände. Schon bald herrschte in der Küche ein gemütliches Durcheinander aus Farbe, Zucker und Lachen. Jon und Kit erklärten sich gutmütig bereit, den Kleinen am Küchentisch bei ihren Kreationen zu assistieren, wobei dieses Angebot beileibe nicht so großzügig gedacht war, wie es klang, denn die Hälfte des von der kleinen Gruppe bearbeiteten Backwerks verschwand in den unergründlichen Mägen der jungen Männer. Und Ashaya bot Talin an, ihr beim Anrühren eines Kuchens zu helfen, der unter Garantie nicht zusammenfallen würde.

»Mit dem Rezept habe ich sogar schon mehrfach herumexperimentiert«, erklärte sie, während sie es heraussuchte.

Talin ließ die Schultern kreisen. Sie trug das gelbbraune Haar mit einer Schleife zurückgebunden, die dieselbe Farbe hatte wie die Schleifen in Noors Rattenschwänzen, nur dass Talins Schleife ein wenig schief geraten war, als hätten winzige Hände sie gebunden. »Okay! Dann zeig mir mal, wie ich es anstellen muss.«

Während sich Ashaya und Talin unterhielten, besorgte Dorian Kaffee für sich und seinen Freund und setzte sich neben Clay auf die andere Seite des Küchentischs. »Wer hätte das wohl«, murmelte er in einer Tonlage, die unter dem Klang der menschlichen Stimme lag und nur von Clay allein gehört werden konnte, »vor ein paar Jahren gedacht?«

Der Blick des Wächters ruhte auf der Frau, die seine Gefährtin geworden war. »Ich glaube, damals wusste ich noch nicht einmal, wie man von so etwas träumt. Große Träume – das kannte ich nicht.«

»Du sagst es.« Auch Dorian hatte sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, so geliebt zu werden. Geliebt, bis diese Liebe wie ein ruhiger Pulsschlag Teil von ihm geworden war, bis das Herz von Ashaya fest und sicher in seinem eigenen Herzen ruhte. Und dann Keenan – woher hätte er denn auch wissen sollen, was es bedeutete, Vater zu sein? Was es für ein Gefühl war, wenn ein unschuldiges Kind einem volles Vertrauen schenkte? Manchmal erschütterte es ihn immer noch, das Wissen um die Gaben, die ihm zuteil geworden waren.

»Hat sich Tamsyn schon wegen des Baums bei dir gemeldet?«, fragte Clay in das freundschaftliche Schweigen zwischen den beiden Männern hinein.

Dorian grinste. »Ja. Die Zwillinge haben letztes Jahr das Kabel der Lichterkette zerkaut, sagt sie. Ich soll eine neue besorgen.« Ihre Heilerin hatte vor zwanzig Jahren damit angefangen, jedes Jahr für das Rudel einen riesigen Weihnachtsbaum aufzustellen. Eine Tradition, an der sie trotz aller Verluste, großem Leid und durch alle Zeiten hindurch festhielt.

Während Clay gutmütig und belustigt den Kopf schüttelte, deutete Dorian verstohlen auf Jon. »Wie macht er sich so?« Der Junge hatte Dinge durchleben müssen, an denen erwachsene Männer zerbrochen wären.

»Er hat sich eingelebt, einige feste Freundschaften geschlossen.« In Clays Stimme schwang leise, aber unüberhörbar ein gewisser Stolz mit. »Und er ist einfach toll, was Noor betrifft. Sie sieht in ihm ihren großen Bruder. Punkt. Und er klettert sogar mit ihr in das Baumhaus, das ich für sie gebaut habe, und trinkt Tee mit ihren Puppen. Obwohl es für ihn wirklich kein Kinderspiel ist, sich da hineinzuzwängen.«

Dorian lachte leise. Er war ebenso stolz auf den Jungen, wie Clay es war. Jon hatte Unglaubliches erleben müssen – niemand hätte ihm übel genommen, wenn er Angst davor gehabt hätte, sich um das verletzliche Herz eines Kindes zu kümmern. Aber er hatte das Hässliche, das ihm angetan worden war, zu überwinden vermocht, er konnte wieder lachen. Und das zeugte von einer Stärke, die ihm in den kommenden Jahren noch oft zugutekommen würde.

»Dazu hat Kylie mich auch immer gezwungen«, sagte er leise, froh, endlich über die Schwester sprechen zu können, die er verloren hatte, ohne dass ihn gleich ohnmächtige Wut überkam. Dass sie nicht mehr da war, schmerzte ihn immer noch sehr, aber inzwischen konnte er sich auch wieder an die guten gemeinsamen Zeiten erinnern, und manchmal stellte er sich vor, wie sehr Kylie es genossen hätte, Keenans Tante und Ashayas Schwägerin zu sein. »Wenn wir Tee getrunken hatten, durfte ich aussuchen, was wir als Nächstes spielen, und ich habe ihre Puppen zusammen mit meinen Actionfiguren in den Urwald geschickt.« Den Puppen seiner Schwester war bei den Krokodilen und Anakondas jedes Mal Schreckliches zugestoßen, sie waren aber brav immer wieder auferstanden, um sich in neue Abenteuer zu stürzen.

»Weißt du was?« Clay klang ehrlich überrascht. »Das hatte ich bis eben vergessen, aber als wir noch Kinder waren, haben Tally und ich immer aus winzigen Tassen Tee miteinander getrunken. Sie hatte eine von diesen Stoffpuppen und nahm die ganze Sache ziemlich ernst – jedenfalls durfte ich erst an meiner Tasse nippen, wenn die Puppe ihren Tee getrunken hatte.«

Der große und oft stille Clay, der höflich und geduldig wartet, bis eine Puppe ihren Tee getrunken hat? Die Vorstellung brachte Dorian zum Lachen. »Frauen! Was tun wir nicht alles für sie!«

»Da wir gerade von Frauen sprechen …« Clay senkte erneut die Stimme. »Jon scheint sich ziemlich in Rina verguckt zu haben. Er könnte also auftauchen, wenn du mit ihr trainierst. Spring nicht zu hart mit ihm um, ja?«

Dorian seufzte. Rina war Kits ältere Schwester und eine der stärksten und eigensinnigsten Soldatinnen im Rudel. »Selbst wenn er ein erwachsener Mann und kein Jugendlicher wäre, würde sie ihn doch bei lebendigem Leib verspeisen!«