Impressum
Anschrift der Autoren:
Angela Luppen, Dipl.-Psych.
Praxis für Neuropsychologie und Kognitive Verhaltenstherapie
Badehaus I
Herforder Straße 45
D-32545 Bad Oeynhausen
E-Mail: info@praxis-luppen.de
Dr. Harlich H. Stavemann, Dipl.-Psych.
Institut für Integrative Verhaltenstherapie e.V.
Osterkamp 58
D-22043 Hamburg
E-Mail: stavemann@i-v-t.de
Printausgabe ISBN 978-3-621-28153-9
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.
Haftungshinweis: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich.
1. Auflage 2014
© Beltz Verlag, Weinheim, Basel 2014
Programm PVU Psychologie Verlags Union
http://www.beltz.de
Lektorat: Karin Ohms
Herstellung: Sonja Frank
Illustrationen: Claudia Styrsky, München
Reihengestaltung: Federico Luci, Odenthal
Umschlagbild: [manun/photocase.com]
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-621-28207-9
Inhalt
Vorwort
1Was ist bloß passiert?
1.1Das Gehirn
1.2Häufige Erkrankungen des Gehirns
1.2.1Schlaganfall
1.2.2Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
1.2.3Hirntumor
1.2.4Multiple Sklerose (MS)
1.2.5Entzündungen des Gehirns
2Bleibt das jetzt so?
Möglichkeiten der Genesung und der Therapie
2.1Neurologische Rehabilitation in Kliniken
2.2Neurologische Rehabilitation in ambulanten Praxen
3Akzeptieren, nicht resignieren:
Zusätzlicher Belastung durch unrealistische Genesungsziele vorbeugen
3.1Wozu braucht man Ziele?
3.2Was haben Ziele mit meinem Problem zu tun?
4Wo ist mein altes Ich?
Unfall- oder krankheitsbedingte bleibende Änderungen von Persönlichkeit und Verhalten
4.1Krankheitsbedingte Aktualisierung des Selbstbilds
4.2Mögliche Persönlichkeits- und Verhaltensänderungen
4.3Weshalb kann ich mich nicht an den Unfall erinnern?
5Ängstlich, ärgerlich oder verzweifelt?
Unnötig belastende Gefühle loswerden
5.1Welche Gefühle gibt es?
5.2Wodurch entstehen Gefühle?
5.3Psychisch krank machende Denkmuster
6Leiste ich nicht (mehr) genug?
7Ich bin nicht mehr »der/die Alte« – und nun? Alte Lebensziele an die neue Situation anpassen
8Schuldgedanken oder -vorwürfe
9Hilfe – mein(e) Partner(in) ist nicht mehr die/derselbe!
Was Angehörige wissen sollten oder: Hilfestellung für Angehörige
9.1Aufklärung über die Folgen der Erkrankung
9.2Erwartungen an den Betroffenen
9.3Umgang mit kognitiven Defiziten
9.4Wie viel Hilfestellung braucht mein Angehöriger?
9.5Umgang mit veränderten Rollen
9.6Wie viel Reha braucht der Mensch?
9.7Mein Partner zieht sich aus dem Freundeskreis zurück
9.8Mein Partner setzt nicht die richtigen Prioritäten
10Umgang mit Fachchinesisch:
Übersetzungshilfen für medizinische und psychologische Fachbegriffe
11Hier finden Sie Hilfe
Vorwort
Dieses Buch ist für von neurologischen Erkrankungen Betroffene und deren Angehörige geschrieben. Mögliche Diagnosen sind Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutungen, Multiple Sklerose, Hirntumoren usw.
Betroffene
Die hiervon Betroffenen wurden von einer Sekunde zur anderen, gewissermaßen »aus heiterem Himmel« aus dem normalen Leben gerissen.
Zunächst waren Sie hauptsächlich damit beschäftigt, zu überleben und möglicherweise das Essen, Laufen, Sprechen und Denken neu zu »erlernen«. Erst danach wird das Ausmaß der möglicherweise bleibenden Gesundheitseinschränkungen deutlich. Viele reagieren hierauf mit tiefer Verunsicherung und manche entwickeln in der Folge von neurologischen Erkrankungen auch psychische Probleme.
Dieses Buch möchte über die möglichen Folgen und Therapiemöglichkeiten neurologischer Erkrankungen auf die geistige Leistungsfähigkeit, auf das Erleben und Verhalten informieren und Wege aufzeigen, wie man unnötigen, vermeidbaren psychischen Fehlentwicklungen vorbeugen kann.
Typische Fragen, die auftauchen können, sind zum Beispiel:
- Wieso ist mir das passiert, habe ich etwas falsch gemacht?
- Wieso erinnere ich mich nicht an den Unfall?
- Werde ich je wieder der/die Alte?
- Wie soll es beruflich und privat weitergehen?
- Ich bin nicht mehr so leistungsfähig, bin ich deshalb weniger wert?
- Darf ich die Hilfe anderer annehmen?
Unser Ziel ist es, Sie darin zu unterstützen, die unvermeidbaren Folgen Ihrer Erkrankung zu akzeptieren und dennoch im Rahmen Ihrer persönlichen Möglichkeiten und unter Berücksichtigung Ihrer persönlichen erreichbaren Ziele ein Leben zu führen, das von größtmöglicher Lebensqualität geprägt ist. Hierzu werden Sie Eigenverantwortung übernehmen und den Mut zur Selbstbestimmung aufbringen müssen.
Im Text werden auch einige Fachbegriffe erklärt. Diese sind durch einen Pfeil (Fachbegriff → …) gekennzeichnet. Eine Übersicht und Erklärung von Fachbegriffen, die in der neurologischen Rehabilitation häufig verwendet werden, finden Sie in Kapitel 10 am Ende des Buchs.
Angehörige
Selbstverständlich profitieren auch Angehörige von neurologisch Erkrankten von diesem Buch. Es verhilft Ihnen zu mehr Wissen über die Erkrankung und den sinnvollen Umgang damit. Zusätzlich beschäftigen wir uns in Kapitel 9 speziell mit den belastenden Auswirkungen auf die Angehörigen selbst, weil sich meist auch deren Leben grundlegend verändert: Der/die Betroffene braucht Ihre Hilfe und Unterstützung bei der Rückkehr in einen veränderten Alltag. Viele lieb gewordene Gewohnheiten, wie zum Beispiel gemeinsame sportliche Aktivitäten oder die Pflege eines gemeinsamen Freundeskreises können nicht mehr im gleichen Maße wie früher stattfinden. Sie haben möglicherweise zu verkraften, dass Ihr Partner/Ihre Partnerin sich anders verhält als früher, müssen Aufgaben übernehmen, die früher der Partner/die Partnerin ausgeführt hat usw.
Wir erörtern dazu in diesem Kapitel typische Fragestellungen von Angehörigen und möchten damit dazu beitragen, dass auch Sie die neue Situation psychisch gesund bestehen.
Bad Oeynhausen, Hamburg,
im Frühjahr 2014
Angela Luppen
Harlich H. Stavemann
1 Was ist bloß passiert?
Alle neurologischen Erkrankungen, mit denen wir uns in diesem Buch beschäftigen, haben eines gemeinsam: Sie betreffen in mehr oder weniger intensivem Ausmaß die Funktionsfähigkeit des Gehirns. Schauen wir zunächst, was das bedeuten kann.
1.1 Das Gehirn
Das Gehirn ist die Kommandozentrale des Körpers, hier kommen alle Informationen an, die über die verschiedenen Sinnesorgane aus der Umwelt oder aus dem eigenen Körper aufgenommen werden. Hier werden sie weiterverarbeitet und führen zu entsprechenden Reaktionen, wie zum Beispiel zur Flucht vor einer Gefahr oder zum Lachen über einen Witz.
Das Gehirn ist unter anderem zuständig für unser Denken, unser Gefühlsleben und für unser Verhalten. Ein Großteil der Hirntätigkeit bezieht sich auch auf Vorgänge, die unbewusst ablaufen, wie zum Beispiel die Regulierung unseres Stoffwechsels und der Herzschlagfrequenz.
Um diese vielfältigen Aufgaben bewältigen zu können, ist das Gehirn mit seinen 100 Milliarden Nervenzellen darauf angewiesen, jederzeit mit ausreichend Sauerstoff versorgt zu werden. Hierfür sind eine ungestörte Sauerstoffzufuhr durch die Atmung und ein funktionierender Kreislauf, also ein reibungsloser Transport des Sauerstoffs zum Gehirn über das Blut, notwendig.
Bei einem Kreislaufstillstand, wie er zum Beispiel im Rahmen eines Herzinfarkts vorkommen kann, kann kein Sauerstoff über das Blut zum Gehirn transportiert werden. Schon nach wenigen Minuten kommt es dann zu einem Sauerstoffmangel und in der Folge zum Absterben von Gehirnzellen. Je mehr Gehirnzellen dabei absterben, umso größer sind die Konsequenzen in Form von Ausfallerscheinungen. Diese können sich zum Beispiel in Gedächtnis-, Sprach- oder Bewegungsstörungen zeigen oder auch in Wesensveränderungen.
Mögliche Beeinträchtigungen bei Hirnschädigungen
Bei jeder Erkrankung oder Verletzung des Gehirns kann es zu typischen Beeinträchtigungen kommen:
- Halbseitenlähmung des Arms, des Beins (Fachbegriff → Hemiparese) oder des Gesichts (Fachbegriff → Facialisparese)
- Störungen der Bewegungsabläufe (Fachbegriff → Apraxie)
- Empfindungsstörungen (zum Beispiel Kribbeln in klar umgrenzten Körperpartien, Fachbegriff → Sensibilitätsstörung)
- Sprach- und Sprechstörungen (Fachbegriffe → Aphasie, → Dysarthrie)
- Schluckstörungen (Fachbegriff → Dysphagie)
- Dreh- oder Schwank-Schwindel, verbunden mit Übelkeit und Erbrechen
- Sehstörungen (zum Beispiel Doppelbilder oder Gesichtsfeldeinschränkungen, Fachbegriffe → Diplopie, → Hemi- und Quadrantenanopsie)
- Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit in den Bereichen Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis, Wahrnehmung/räumliche Leistungen, Denken, Planen und Handeln
- psychische Veränderungen (zum Beispiel Fachbegriff → Depressionen)
1.2 Häufige Erkrankungen des Gehirns
Nachfolgend betrachten wir die häufigsten Schädigungen des Gehirns, die zu neurologischen Störungen führen und die oben aufgeführten Konsequenzen nach sich ziehen können.
1.2.1 Schlaganfall
Beim Schlaganfall führen plötzlich auftretende Durchblutungsstörungen im Gehirn zu einem Sauerstoffmangel in den Nervenzellen. Es gibt verschiedene Formen von Schlaganfällen.
Hirninfarkt. Am häufigsten, in ca. 80 Prozent der Fälle, sind es Hirninfarkte, bei denen die Adern, die das mit Sauerstoff angereicherte Blut transportieren, verengt sind oder sich ganz verschließen. So kann das Blut nicht mehr zu bestimmten Hirnregionen gelangen. Die Nervenzellen dieser Hirnregion werden nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, können deshalb nicht mehr reibungslos funktionieren und beginnen abzusterben.
Abhängig davon, welche Hirnregion nicht versorgt wird, führt dies zu ganz typischen Ausfallerscheinungen (siehe obige Übersicht S. 12).
Hirnblutung. Seltener kommt es zu Hirnblutungen, weil ein Blutgefäß im Gehirn einreißt oder platzt und Blut ins umliegende Hirngewebe sickert. Dadurch erhöht sich einerseits der Druck im Schädel und andererseits werden bestimmte Hirnregionen nicht mehr richtig mit Blut versorgt, weil ja die geplatzte Ader nicht mehr ihre ursprüngliche Aufgabe erfüllen kann. Auch hier können in den betroffenen Hirnregionen dann Nervenzellen ihre Funktion nicht mehr reibungslos erfüllen und beginnen, wegen mangelnder Sauerstoffversorgung abzusterben.
!
Das bedeutet: Schlaganfälle sind Notfälle!
Um die Chance auf eine komplette Genesung zu erhöhen und den im Gehirn verursachten Schaden möglichst gering zu halten, sollten die medizinische Untersuchung und Behandlung des Betroffenen zügig beginnen.
Vorgehen bei Schlaganfällen
In manchen Krankenhäusern gibt es Stationen, die auf die Behandlung von Schlaganfällen spezialisiert sind (Fachbegriff → Stroke-Unit).
Zunächst geht es darum, die Atmung und einen ausreichenden Sauerstoffgehalt im Blut zu gewährleisten.
Der direkte Nachweis des Schlaganfalls erfolgt über eine → Computertomographie (CT) oder Kernspintomographie (Fachbegriff → Magnetresonanztomographie [MRT]) des Kopfes.
Bildhafter Nachweis von Schlaganfällen
→ Computertomographie (CT). Eine Computertomographie liefert Schichtaufnahmen des Kopfes, die mithilfe von Röntgenstrahlen und eines Computertomographen erstellt werden. Ein Computertomograph ist ein röhrenförmiges Gerät, in das der Betroffene auf einer speziellen Liege hineingeschoben wird. Die einzelnen Aufnahmen gibt das Gerät an einen Computer weiter, der sie auswertet und als Bild anzeigt. Um die Organe und Blutgefäße besser darzustellen, kann der untersuchende Arzt ein Kontrastmittel spritzen.
→ Magnetresonanztomographie (MRT). Die Magnetresonanztomographie kommt ohne Röntgenstrahlen aus. Auch mit der MRT kann man Schnittbilder des menschlichen Körpers erzeugen. Der Betroffene wird auf einer Liege in eine Röhre hineingeschoben, die von einem starken Magnetfeld umschlossen wird. Die physikalischen Grundlagen dieses Verfahrens sind für den Laien sehr kompliziert und werden daher an dieser Stelle nicht im Einzelnen erläutert. Auch bei dieser Untersuchungsmethode wird ein Kontrastmittel gespritzt. Es gelangt über das Blut in den ganzen Körper. In den Schichtaufnahmen ist es wegen seiner helleren Farbe gut zu erkennen. So ist es möglich, Blutgefäße vom umliegenden Gewebe abzugrenzen. Das Kontrastmittel sammelt sich oft vermehrt in Tumoren. Diese kann man auf den Aufnahmen dann gut erkennen. Häufig eingesetzt wird die MRT beim Verdacht auf Entzündungen, Geschwulste oder Verletzungen am Gewebe.
Behandlung des Schlaganfalls
Auf den durch diese Untersuchungsmethoden erstellten Bildern des Gehirns kann der Arzt genau sehen, wo der Schlaganfall passiert und wie groß das geschädigte Gebiet ist.
Sollte eine Ader teilweise oder ganz durch ein Blutgerinsel verstopft sein, kann dieses durch ein Medikament, das in den Blutkreislauf gespritzt wird, aufgelöst werden (Fachbegriff → Lysetherapie). Diese Therapie ist nur innerhalb der ersten Stunden nach dem Hirninfarkt möglich und in der Regel nur durch Spezialisten durchführbar.
Bei Hirnblutungen wird operiert, wenn der Druck im Schädel zu sehr steigt. Wenn möglich, wird die Blutungsquelle durch verschiedene Operationstechniken verschlossen.
Außerdem geht es auch immer darum, einen weiteren Schlaganfall zu verhindern. Deshalb wird im Krankenhaus nach Risikofaktoren gesucht: In Frage kommen zum Beispiel Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, verengte Arterien (das sind die Adern, die das mit Sauerstoff angereicherte Blut transportieren) im Hals oder Kopf, Herzfehler, Veränderungen der Gefäßwände, Diabetes mellitus (»Zuckerkrankheit«).
Doppler-Sonographie. Mit Hilfe einer Ultraschalluntersuchung der Adern (Doppler-Sonographie) kann der Arzt untersuchen, ob die Gefäße im Hals oder Gehirn verengt sind. Die Doppler-Sonographie ist eine spezielle Ultraschall-Untersuchung, mit der die Fließgeschwindigkeit des Blutes in den Gefäßen gemessen wird. So lassen sich Gefäßverengungen entdecken.
Wird eine Ursache für den Schlaganfall gefunden, kann diese entsprechend behandelt werden, zum Beispiel indem der Betroffene einen »Blutverdünner« einnimmt. Häufig findet man aber auch keinen konkreten Auslöser des Schlaganfalls.
1.2.2 Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
Ein Schädel-Hirn-Trauma wird durch äußere Gewalteinwirkung auf den Schädel herbeigeführt, etwa durch einen Sturz oder einen Verkehrsunfall. Durch diese Gewalteinwirkung prallt das Gehirn gegen die Innenseite des Schädels. An dieser Aufprallstelle und an der genau gegenüberliegenden Seite entstehen Hirnprellungen (Fachbegriff → Kontusionen), die sich auch bei der Untersuchung mit den oben beschriebenen bildgebenden Verfahren CT und MRT zeigen.
Folgen des Schädel-Hirn-Traumas
Wenn dabei Adern verletzt werden, treten an einzelnen Stellen Blutungen auf. Stoffwechselprodukte, die weitere Hirnsubstanz schädigen können, werden freigesetzt. Neben diesen klar umgrenzten Verletzungen können auch ungeordnete, nicht scharf begrenzte Verletzungen von Nervenfasern im Inneren des gesamten Gehirns auftreten. Man spricht dann von diffusen Schädigungen. Die Verletzungen sind nur leicht und fast nicht sichtbar, aber über das gesamte Gehirn verteilt. Sie entstehen dadurch, dass beim Aufprall des Kopfes Rotations- und Beschleunigungskräfte entstehen, die dazu führen, dass einzelne Teile des Gehirns gegeneinander rotieren. So kommt es zu Zerreißungsverletzungen. Diese Art von Verletzung kann man in der CT in der Regel nicht erkennen. Hierfür ist eine MRT notwendig.
Eine häufige Komplikation, die meist erst nach einigen Stunden auftritt, ist das Anschwellen des Gehirns. Das ist deshalb gefährlich, weil das Gehirn aufgrund des knöchernen Schädels keinen Platz hat, sich auszudehnen. Durch die Raumverengung im Kopf entsteht ein erhöhter Druck. Dies führt zu einer Verschlechterung der Durchblutung und damit der Sauerstoffversorgung des Gehirns, weil die Nervenzellen und die Adern zusammengepresst werden. In solchen Fällen entscheiden sich die Ärzte häufig, ein Stück der Schädeldecke (vorübergehend) zu entfernen, um ein lebensbedrohliches Ansteigen des Hirndrucks zu verhindern.
Bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma liegt der Betroffene meist einige Tage bis Wochen in einer tiefen Bewusstlosigkeit, aus der er dann nicht erweckbar ist (Fachbegriff → Koma).
Behandlung des Schädel-Hirn-Traumas
Die eigentlichen Verletzungen durch das Schädel-Hirn-Trauma sind zunächst nicht behandelbar. Vielmehr geht es darum, Komplikationen zu vermeiden. Deshalb muss der Betroffene genauestens auf der Intensivstation überwacht werden. Der Kreislauf muss stabilisiert werden und es kann notwendig sein, den Betroffenen zu beatmen. Der Hirndruck wird beobachtet, um im Notfall eine Operation zum Druckabbau vorzunehmen.
1.2.3 Hirntumor
Hirntumore sind Geschwulste oder Gewebswucherungen innerhalb des Schädels. Sie können von unterschiedlichen Gewebearten im Schädelinneren, zum Beispiel von den Hirnhäuten ausgehen. Entsprechend gibt es sehr viele verschiedene Arten von Hirntumoren. Sie bleiben oft über lange Zeit unbemerkt, weil sie keine oder keine typischen Symptome hervorrufen.
Folgen von Hirntumoren
Der Hirntumor nimmt im Schädel (zusätzlich zum Gehirn) Platz weg und verdrängt Teile des Gehirns. Hierdurch erhöht sich der Druck innerhalb des Schädels, weil der Schädelknochen nicht nachgeben kann. Etwa die Hälfte der Betroffenen mit einem Hirntumor klagen über Kopfschmerzen beim Bücken, Aufrichten oder Pressen. Diese Kopfschmerzen entstehen dadurch, dass der Druck im Gehirn noch weiter verstärkt wird.
Kopfschmerzen sind aber kein typischer Hinweis auf einen Hirntumor. Sie können aus den unterschiedlichsten Gründen auftreten und in den allerseltensten Fällen ist die Ursache ein Hirntumor!
Das wichtigste Frühsymptom bei Hirntumoren sind epileptische Anfälle (→ Fachbegriff). Jeder dritte Hirntumor-Betroffene bekommt solche Anfälle. Tritt im Erwachsenenalter zum ersten Mal ein epileptischer Anfall auf, so ist ein Hirntumor die häufigste Ursache. Es kann aber auch zu Veränderungen im Verhalten oder im Wesen des Betroffenen kommen. Manche Betroffene zeigen kein Interesse mehr an Dingen, die sie sonst interessiert haben. Sie sind antriebslos und wirken abgestumpft oder reagieren schnell gereizt und aggressiv. Irgendwann im späteren Verlauf kommt es zu typischen Symptomen, die auf eine Erkrankung des Gehirns hinweisen, wie beispielsweise Gangunsicherheit, Gleichgewichtsstörungen, Lähmungen, Sehstörungen, Sprachstörungen, räumliche Orientierungsstörungen, Verlangsamung, Schläfrigkeit.
Behandlung von Hirntumoren
Ist der Tumor gut zugänglich, das heißt, befindet er sich an einer Stelle im Gehirn, wo durch eine Operation keine größeren Ausfallerscheinungen zu erwarten sind, empfehlen die meisten Ärzte, den gesamten Tumor chirurgisch zu entfernen. Wenn das nicht möglich ist, kann es auch sinnvoll sein, lediglich Teile des Tumors operativ zu entfernen. Das Ziel solcher Operationen ist eine Linderung der Symptome und eine Verbesserung der Lebensqualität des Betroffenen.
Meistens wird für die Operation der Schädel geöffnet (Fachbegriff → Kraniotomie): Ein Teil des Schädelknochens wird entfernt, um das Operationsfeld freizulegen und den Chirurgen den nötigen Platz für die teilweise oder vollständige Entfernung des Tumors zu verschaffen. Anschließend wird das Knochenstück ersetzt.
Manchmal reicht es auch aus, statt der Öffnung des Schädels nur ein kleines Loch in die Schädeldecke zu bohren, um Instrumente ins Gehirn einzuführen. Oder es wird über die Nase ein Zugang zum Gehirn hergestellt.
Oft wird die Operation mit Bestrahlung und Chemotherapie kombiniert.
1.2.4 Multiple Sklerose (MS)
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine der häufigsten organischen (= körperlich bedingten) Nervenkrankheiten. Sie beginnt typischerweise zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr; es gibt aber auch Neuerkrankungen bei jüngeren Menschen oder Menschen zwischen 40 und 60 Jahren. Frauen erkranken etwa im Verhältnis 3 : 2 häufiger als Männer. Die Multiple Sklerose ist eine Entmarkungskrankheit: Die Nervenbahnen im zentralen Nervensystem sind von Markscheiden umgeben, um Informationen schneller weiterleiten zu können. Die Nervenbahnen sind vergleichbar mit Nachrichtenkabeln, die Markscheiden mit Isoliermaterial. Bei der Multiplen Sklerose wird dieses Isoliermaterial an den verschiedensten Stellen im Körper durch Entzündungen angegriffen. Man nennt diese Stellen »Herde«.
Folgen der Multiplen Sklerose
Durch die Entzündungsherde kommt es zu einer Unterbrechung der zügigen Weiterleitung von Nervenimpulsen, was ganz unterschiedliche Symptome auslöst, je nachdem, wo die Weiterleitung unterbrochen wird. Die Herde können sich völlig zurückbilden. Es kann aber auch sein, dass die Markscheiden dauerhaft vernarben. Dann kommt es zu einer → Sklerose.
Es gibt keine feststehende Entwicklung der Symptome, vielmehr kann der Verlauf der Multiplen Sklerose sehr unterschiedlich sein. Man unterscheidet zwei Verlaufsformen: »schubweise« oder »chronisch-progredient« (progredient = voranschreitend).
Schubweiser Verlauf. Beim schubweisen Verlauf bilden sich innerhalb von wenigen Tagen Symptome, die über Tage bis Wochen bestehen bleiben, sich dann aber wieder (manchmal unvollständig) zurückbilden. Die Abstände zwischen den Schüben betragen mehrere Monate oder Jahre.
Chronisch-progredienter Verlauf. Beim chronisch-progredienten Verlauf gibt es schubartige Verschlimmerungen, es kommt aber nicht zwischen den Schüben zu einer (teilweisen) Erholung der beeinträchtigten Funktionen.
Typische Funktionsstörungen sind Augenmuskellähmungen mit Doppelbildern oder Entzündungen des Sehnervs (Fachbegriff → Optikusneuritis), die dazu führen, dass man vorübergehend wie durch einen Schleier sieht. Gelegentlich kommt es zu Blickbewegungsstörungen. Es können Lähmungen oder Beeinträchtigungen der Feinmotorik, Steifigkeit des Ganges, allgemeine Mattigkeit und rasche Ermüdbarkeit (Fachbegriff → Fatigue-Syndrom), Missempfindungen wie zum Beispiel Taubheit, Pelzigkeit, oder Kribbeln in Händen und Füßen auftreten. Häufig kommt es auch zu Blasenstörungen.
All diese Symptome können auch bei anderen Erkrankungen auftreten und sind daher nicht spezifisch für die Multiple Sklerose.
Die Entmarkung kann auch das Gehirn betreffen und dann ähnliche Symptome verursachen wie die bisher beschriebenen Hirnerkrankungen.
Behandlung der Multiplen Sklerose
Die Ursachen der Multiplen Sklerose sind bisher nicht vollständig geklärt. Daher gibt es auch noch keine Therapie, die die Ursachen bekämpft und damit heilend ist. Dennoch sind sich die Mediziner einig darüber, dass möglichst zügig eine medikamentöse Therapie begonnen werden sollte, um den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen. Grundsätzlich werden zwei medikamentöse Therapieformen unterschieden, die in der Regel miteinander kombiniert werden:
- Schubtherapie. Im akuten Schub werden in der Regel über wenige Tage Infusionen mit hochdosierten Kortikosteroiden (das sind künstlich hergestellte Kortisonpräparate) gegeben. Diese »Stoßtherapie« führt dazu, dass die Entzündung eingedämmt wird.Die Schubtherapie hat keinen Einfluss auf den langfristigen Verlauf der MS-Erkrankung.
- Langzeittherapie. Mit Hilfe sogenannter »Immunmodulatoren« soll das fehlgeleitete Immunsystem reguliert werden. Man nennt diese Therapieform daher auch »immunmodulatorische Basistherapie«. Durch diese Präparate (z.B. Interferone) wird die Ausschüttung bestimmter entzündungsfördernder Botenstoffe gedrosselt. Dies führt dazu, dass die Bildung weiterer Entzündungsreaktionen im Gehirn gehemmt wird. Es treten weniger Schübe auf, wodurch das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt wird.Betroffene reagieren sehr unterschiedlich auf einzelne Medikamente. Daher ist es wichtig, zusammen mit dem behandelnden Neurologen auf den einzelnen Betroffenen abgestimmte Therapiestrategien zu entwickeln.
Symptomatische Therapie. Im Rahmen der symptomatischen Therapie sollen verschiedene Beschwerden (Symptome) gelindert werden. Bei eingeschränkter Gehfähigkeit ist möglicherweise eine krankengymnastische Behandlung sinnvoll, bei Gedächtnisstörungen die Vorstellung bei einem Neuropsychologen usw. So vielfältig wie die Symptome der Multiplen Sklerose sind auch die Behandlungsmethoden (siehe hierzu genauer Kapitel 2).
1.2.5 Entzündungen des Gehirns
Die Ursache für Entzündungen des Gehirns sind in den allermeisten Fällen Infektionen mit Viren (zum Beispiel Herpes- oder Grippeviren), in selteneren Fällen Infektionen mit Bakterien (zum Beispiel Staphylokokken oder Streptokokken) oder Parasiten (zum Beispiel Pilze).
Folgen von Entzündungen des Gehirns
Die Betroffenen leiden unter grippeähnlichen Symptomen, wie Kopfschmerzen, Fieber und Mattigkeit. Hinzu kommen, je nachdem welche Hirnregionen betroffen sind, die oben schon beschriebenen neurologischen Ausfälle wie Sprach- oder Sehstörungen, Lähmungen, Bewusstseinsstörungen.
Behandlung von Entzündungen des Gehirns
Die Ärzte sind bemüht, möglichst schnell herauszufinden, welcher Erreger die Entzündung verursacht hat, um den Betroffenen gezielt medikamentös behandeln zu können. Hierzu werden Blut und Gehirnflüssigkeit (Liquor) untersucht. Virusinfektionen werden medikamentös mit »Virustatika«, bakterielle Infektionen mit Antibiotika behandelt. Wenn der Keim nicht eindeutig bestimmt werden kann, bekommt der Betroffene eine Kombination dieser Medikamente.
In den meisten Fällen erholen sich die Betroffenen innerhalb weniger Wochen wieder vollständig. In seltenen Fällen können dauerhafte Schädigungen des Gehirns entstehen, die dann ähnlich behandelt werden, wie zum Beispiel die Schäden nach einem Schlaganfall.
2 Bleibt das jetzt so?
Möglichkeiten der Genesung und der Therapie
Nach der Akutbehandlung im Krankenhaus stellen sich Betroffenen in der Regel zwei wesentliche Fragen:
- »Wie kann ich das Risiko einer erneuten Erkrankung oder einer schnellen Verschlechterung meines Zustands gering halten?«Mit dieser Frage beschäftigen wir uns in den Kapiteln 3, 5, 6 und 7.
- »Welche Therapiemöglichkeiten gibt es zur Verbesserung der (Rest-)Defizite?«Dieser Frage gehen wir jetzt nach.
In der Regel ist nach einem der in Kapitel 1 beschriebenen Vorfälle eine neurologische Rehabilitationsbehandlung angezeigt. Das Ziel der Reha besteht darin, den Betroffenen die Rückkehr in ihr gewohntes privates Umfeld (Wohnung, Familie, Freundeskreis, Hobbys) und eventuell auch in den alten Beruf zu ermöglichen.
2.1 Neurologische Rehabilitation in Kliniken
Es gibt die Möglichkeit einer »stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme«. Das heißt, man lebt für einige Wochen in einer Reha-Klinik und erhält in verschiedenen Abteilungen Einzel- und Gruppentherapien.
Inhalte der Reha
Der Schwerpunkt kann darin liegen, die Bewegungsfähigkeit wieder zu erlangen. Dazu erhält man zum Beispiel Krankengymnastik.
Oder man lernt in der Ergotherapie, sich trotz der Halbseitenlähmung allein zu waschen und anzuziehen, sich Mahlzeiten zuzubereiten und Hilfsmittel wie zum Beispiel einen Rollstuhl oder Badewannenlifter zu benutzen.
Bestehen Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit wie zum Beispiel Konzentrations- und Gedächtnisstörungen oder psychische Beeinträchtigungen wie etwa depressive Verstimmungen oder Ängste, erhält man eine neuropsychologische Behandlung.
In der Sprachtherapie kümmert man sich um die Verbesserung von Sprechen und Verstehen, Lesen und Schreiben sowie um eine verständliche Aussprache.
In der Sporttherapie geht es um den Aufbau verlorengegangener körperlicher Fitness.
Natürlich werden die Therapien dieser verschiedenen Fachrichtungen auch miteinander kombiniert und an die Bedürfnisse der einzelnen Betroffenen angepasst.
Ziele der Reha