Die Autorin:
Angelika Monkberg ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die unter ihrem Realnamen bereits einige Veröffentlichungen im Bereich der Fantasy aufweisen kann. Sie lebt und arbeitet in Franken, der Region, in der auch ihr erster Roman für Elysion zum Teil spielt.
WWW.Elysion-Books.com
ELYSION-BOOKS TASCHENBUCH
BAND 4046
1. Auflage: Mai 2012
VOLLSTÄNDIGE TASCHENBUCHAUSGABE
ORIGINALAUSGABE
© 2012 BY ELYSION BOOKS, GELSENKIRCHEN
ALL RIGHTS RESERVED
Sämtliche Namen, Orte, Charaktere und Handlungen
sind frei erfunden und reine Fiktion der Autorin.
Alle Ähnlichkeiten mit Personen, lebend oder tot, sind Zufall.
UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinert
www.dreamaddiction.de
LAYOUT & WERKSATZ: Hanspeter Ludwig
www.imaginary-world.de
Lektorat: Jennifer Schreiner
ISBN 978-3-942602-25-9
Mehr himmlisch heißen Lesespaß finden Sie auf
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Für Marcus
Die Wiesen sahen matt aus. Hinter Creußen lag ab und zu sogar noch Schnee auf dem Bahndamm, aber es regnete nicht mehr. Gott sei Dank. Ich lief nicht gerne durch nasse Straßen zu einem Vorstellungsgespräch. Selbst mit Schirm bekam man von vorbeifahrenden Autos immer den einen oder anderen Dreckspritzer ab. Da schon lieber Frost.
Ich senkte die Augen wieder in das Buch.
Um die Mittagszeit schien sich der allgegenwärtige Nebel etwas zu heben. Der Horizont hellte sich auf, doch die ewige Nacht wich auch jetzt nicht ganz.
»Zum Hades mit diesem kalten Land! Wird es hier denn niemals Tag?«
Er zuckte mit den Schultern. Soweit er sich erinnerte, hatte ihm die Göttin diese Gegend genau so beschrieben. Die steilen Berghänge rechts und links, die schmale Wasserstraße, die sie bis tief ins Landesinnere geführt hatte.
Schmal war auch der Strand.
Zwei der Gefährten trugen die Schafe auf ihre Schultern, die Übrigen die anderen Gaben: Milch und Honig Wein und Mehl. Klares Wasser schöpften sie unterwegs aus einem Bach.
Voraus, wo das Flüstern des Meeres kaum noch zu hören war, gähnte im Fels ein schwarzes Loch.
Ein hohler Pfiff, die Welt rauschte in Dunkelheit hinein. Druck legte sich auf meine Ohren. Stimmen riefen mich in der Finsternis, ein vielstimmiger Chor. Mein Vater flüsterte: Kati? Hallo, Katinka!
In diesem Augenblick flammte die Deckenbeleuchtung im Eisenbahnwagen auf. Gleichzeitig wurde die Welt draußen wieder hell.
Winterhell.
Ich lockerte den Griff um das Buch.
Kein Grund zur Aufregung, der Regionalexpress hatte nur den ersten der sieben Tunnel auf der Strecke zwischen Hersbruck und Schnabelwaid passiert. Wenn der Zug in die schwarze Röhre einfuhr, staute sich die Luft. Das und dazu das Brüllen der Diesellok, die Echos im Tunnel, alle zusammen triggerte meine Psychose. Kein Wunder, dass ich wieder Stimmen hörte.
Nach den ersten Panikattacken hatten mich meine Eltern zum Test geschleppt. Doch ich war keine Psi, weder Hexe noch Heilerin. Dass ich an dunklen Orten ab und zu Stimmen hörte, bewies leider gar nichts. Nur Angst. Dumme, unerklärliche Angst.
Da kam schon das nächste verdammte schwarze Loch.
Ich mochte keine Tunnel. Überhaupt nichts, was dunkel war. Als Kind hatte ich meine Eltern einmal zu einem Umweg von mehreren hundert Kilometern gezwungen, weil ich die Reise durch den Tauerntunnel verweigert hatte. Damals hatte ich zum ersten Mal Stimmen gehört. Doch so richtig, so, dass ich die Worte verstand, hörte ich sie erst seit etwa achtzehn Monaten.
Vorher war das nur ein töchterlicher Spleen gewesen, mit dem meine Mutter lange nicht umgehen konnte. Ich wiederum wusste nicht, was ich mehr hasste: Die Erinnerung an den verpatzten Urlaub – oder meine erste Therapeutin Frau Kolbermeier, die mir die Angst vor der Dunkelheit dadurch zu nehmen versucht hatte, dass sie mich in ihrem Keller einsperrte. (So viel zu Hexen!)
Heiler hingegen … na ja, sie waren okay. Die meisten vermutlich schon.
Der dritte Tunnel kam. Jetzt, da ich darauf gefasst war, ging es besser. Zum Glück konnte ich meine Ängste inzwischen ganz gut vor meiner Umgebung zu verbergen.
Wenn nur die Abstände zwischen den Tunneln nicht dermaßen verflucht kurz gewesen wären! Kaum dem Einen entronnen, kam schon der Nächste. Mir brach der Schweiß aus. Doch Gott sei Dank, so angestrengt ich auch lauschte, ich hörte nur richtige Menschen sprechen. Die Pendler im Zug.
Der Regionalexpress glitt zurück ins Freie.
Bewaldete Hänge umgaben jetzt ein Dorf an einem kleinen Fluss. Kein namenloser Fjord im Land der Mitternacht, einfach Franken. Keine Irrfahrten.
Irrfahrten, also wirklich, ich hätte auch gerne einen blinden Seher nach meiner Zukunft befragt. Oder vielleicht meinen Vater. Doch ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich ihn bewusst hätte rufen sollen.
»Konzentrieren Sie sich auf Ihren Alltag, grübeln Sie nicht«, hatte mein letzter Therapeut gesagt, der wie meine Eltern zu den Rationalisten zählte.
»Es gibt weder Götter noch Engel, die Toten sind tot.«
Zu Zeiten Homers war man da noch anderer Meinung gewesen und ich hatte auch gewisse Zweifel. Doch wenn ich damit begonnen hätte, in meiner winzigen Einzimmerwohnung Altäre aufzustellen wie die Pantheisten, hätten meine Verwandten beim nächsten Besuch vermutlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Sie glaubten mir ja nicht einmal, dass ich ab und zu tatsächlich Dinge voraussah. Für die Bewerbung heute zum Beispiel hatte ich ein gutes Gefühl. So gut, dass ich mich sogar durch die Unterführung zum Bahnhof gewagt hatte.
Ich verstaute das Buch über die Reise ins Land der Kimmerer im Rucksack, und zog stattdessen die Kopie der Annonce heraus.
Armin Landgraf Hoch- und Tiefbau sucht Student/Studentin der Fachrichtung Kunst oder Architektur für circa 20 Stunden pro Woche, befristet. Bitte melden Sie sich persönlich mit Ihren Bewerbungsunterlagen 90459 Nürnberg, Hinterm Bahnhof, Parkplatz vor Restaurant Southside.
Rauschen, Finsternis, Tunnel fünf.
Ich erschrak.
»Atme bewusst, zähle bis zwanzig.« Die simplen Ratschläge der alten Bäuerin, die mich damals im Urlaub in Kärnten mitten auf der Straße angesprochen hatte, waren bis heute die einzigen, die mir wirklich halfen.
»Denk an etwas Schönes, mein Kind«, hatte die alte Frau gesagt. »Was du dir vorstellst, geht keinen Menschen etwas an. Oder wen.«
Aber diesen Teil hatte ich erst später verstanden.
Ich fragte mich bis heute, wie sie mir angesehen hatte, womit ich mich plagte. Vielleicht war die alte Frau eine Heilerin gewesen, oder einfach weise. Ich war keine Psi. Doch irgendetwas stimmte trotzdem nicht mit mir. Ich erkannte Hexen und Heiler, wann immer ich ihnen begegnete – man konnte sagen, ich roch sie. Obwohl das natürlich kein wirklicher Geruch war, er entstand nur in meinem Kopf. Doch ich täuschte mich darin nie.
Hexen verbreiteten einen üblen Geruch, Heiler rochen angenehm. Hansen wie frisches Brot. Nur gegen die Stimmen geholfen hatten die Stunden bei ihm leider nicht. Wenigstens nicht langfristig.
Ich atmete tief durch. Wenn ich angespannt war wie jetzt, wurden der Chor in meinem Kopf besonders schlimm. Ab nächster Woche war ich arbeitslos. Das ging vielen meiner Studienkollegen so, oder zumindest denen aus meiner Fakultät. Alle Geisteswissenschaftler, die ich kannte, schlugen sich mehr oder weniger nur durch.
Ich verkaufte zur Zeit Blumen, bei Blumen-Gärtner in der Passage am Zentralen Omnibusbahnhof. Doch das Geschäft ging schlecht, die Filiale schloss nächste Woche. So gesehen kam mir Armin Landgraf Hoch- und Tiefbau wie gerufen. Ich ging im Geist noch einmal durch meine Bewerbungsunterlagen. Lebenslauf mit aktuellem Foto, Magisterurkunde Universität Bonn, Zeugnis Technomuseum Mannheim, Zeugnis Magna-Mater Kunstpostkartenverlag, Zeugnis Bundesakademie Wolfenbüttel. Der Beschäftigungsnachweis von Blumen-Gärtner Bayreuth fehlte noch, obwohl ich schon seit einem Monat darauf drang. Zeugnisse für Aushilfskräfte stellte Frau Gärtner senior grundsätzlich nicht aus.
Ich hoffte, dass ich mir im Herbst endlich wieder Urlaub leisten konnte. Wenigstens einen kurzen, es mussten ja nicht gleich die Norwegischen Fjorde sein. Aber ein Billigflug, drei, vier Tage nach Wien zum Beispiel, das wäre schön.
Der Regionalzug rauschte aus dem letzten Tunnel. Ich lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe. Draußen weitete sich die Landschaft.
Armin Landgraf Hoch- und Tiefbau residierte »Hinterm Bahnhof«. Eine sprechende Adresse, die Straße hieß tatsächlich so. Ich entdeckte nach kurzem Suchen auch das Restaurant Southside, es lag ein wenig versteckt zwischen Bäumen. Die drei knallgelb lackierten Baucontainer davor verrieten, dass ich mein Ziel gefunden hatte. Der Weg vom Bahnhof bis hierher war wirklich nicht sehr weit.
Ich ging quer über den Parkplatz zu dem Container, auf dessen Schmalseite das Schild Büro klebte. Landgraf Hoch- und Tiefbau war mit einem Codeschloss mit Zahlenfeld gesichert, aber sonst war das hier eindeutig ein Provisorium. Ich kam mir in meinem Hosenanzug reichlich overdressed vor. Hoffentlich vermittelten wenigstens meine derbbesohlten Stiefel, dass ich auch für Baustellen taugte. Falls es dazu kam. Ich klopfte an.
Die Tür wurde aufgerissen, als hätte der Mann, der im Rahmen stand, schon auf mich gewartet.
»Kommen Sie herein!«
Er war irgendetwas zwischen Dreißig und Fünfzig, genau sah ich das wegen des wuchernden Bart- und Haupthaars nicht. Straßenköterblond, leicht angegraut, nicht größer als ich. Mein Gegenüber trug eine verwaschene Jeans und trotz der Winterkälte ein kurzärmliges Shirt.
»Was führt Sie denn zu mir?«
Er legte beide Hände auf den Werkzeuggürtel, den er um die Hüften trug. Es steckte aber nur ein einsamer Hammer darin.
»Ich wollte mich bewerben.«
»Wunderbar! Nehmen Sie doch bitte Platz.«
Er wies auf den Besuchersessel. Seine nackten Arme waren Gott sei Dank nur wenig behaart. Meiner Meinung nach mussten sich Männer nicht unbedingt den ganzen Körper rasieren. Aber einen Pelz hielt ich auch nicht für prickelnd.
»Also Frau …?«
Er setzte sich hinter den Schreibtisch und legte die Hände locker auf die voll beladenen Arbeitsplatte. Seine Hände und seine Fingernägel waren sauber. Und für den angenehmen Bariton konnte ich mich auch erwärmen.
»Katinka Friedrich. Sie suchen eine Kunststudentin. Nun, ich bin Magister.«
Ich warf einen schnellen Blick über den Schreibtisch. Keine Bewerbungsmappe zu sehen, aber ein ganzer Stapel Baupläne, ein aufgeklappter Laptop, ein Kaffeevollautomat, daneben ein benutzter Henkelbecher. Außerdem lagen auf der Arbeitsfläche ein zerkratzter Schutzhelm, ein Handy, ein Taschenrechner und eine altmodische Addiermaschine. Der Blick nach draußen verriet mir noch, dass ich mich nicht über den prompten Empfang zu wundern brauchte. Der Bürocontainer stand strategisch günstig platziert. Mein Gegenüber sah schon von Weitem, wer sich der Firma näherte.
Mir wurde unbehaglich bewusst, dass ich mit einem mir völlig fremden Mann allein war. Was mir reichlich spät einfiel. Ich sah mich unauffällig nach dem Fluchtweg um. Die ganze Längswand des Baucontainers nahm ein übervolles Bücherregal ein.
Wenn ich alles erwartet hatte: Das nicht.
Mein Gegenüber lachte leise.
»Sind Sie fertig mit der Musterung? Nein, keine Angst, ich weiß auch gerne, mit wem ich es zu tun habe. Räume verraten viel. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Wasser bitte, wenn das möglich ist.«
Mein Mund war ziemlich trocken.
»Gerne.«
Er stand auf, holte ein Glas aus dem Schrank an der Rückwand des Containers und die Flasche Mineralwasser aus dem Kasten auf dem Fußboden davor. Glas und Flasche wurden in bequemer Reichweite vor mir abgesetzt. Ich drehte am Verschluss, doch der saß bombenfest.
»Lassen Sie mich mal!«
Er öffnete die Flasche mit einer einzigen kräftigen Handgelenksdrehung, die den Plastikverschluss absprengte. Die Kappe flog im hohen Bogen vor meine Füße.
»Oh, verdammt!«
Er bückte sich schneller als ich, ich zog den Kopf gerade noch rechtzeitig zurück. Waschmittelparfüm kitzelte meine Nase. Der fast unvermeidliche Unterton Männerschweiß fehlte. Der Herr wusch sich.
Wie angenehm!
Er legte die Verschlusskappe auf die Tischplatte und ging zu seiner Seite des Schreibtischs zurück. Er hatte schöne breite Schultern, obwohl er für einen Mann verhältnismäßig klein war. In Highheels überragte ich ihn wahrscheinlich sogar um ein, zwei Zentimeter. Nicht schlimm und es stand natürlich überhaupt nicht zur Diskussion. Außerdem gab es Männer, die das mochten.
Bernie Ecclestone zum Beispiel.
Der Hintern von Ich-arbeite-bei-Armin-Landgraf-Hoch-und-Tiefbau war knackig. Ich versenkte die Augen blitzschnell in mein Glas, weil er sich ausgerechnet jetzt zu mir umdrehte. Nur eine halbe Sekunde später und mein Blick wäre automatisch auf seinem Schritt gelandet. Schon der Gedanke war peinlich.
Ich trank.
Er wartete, bis ich das Glas wieder absetzte.
»Nun, Frau Friedrich. Verzeihung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Armin Landgraf.«
Der Geschäftsinhaber selbst! Mein Herz tat einen erschrockenen Sprung.
Er reichte mir die Hand. Sein Griff war angenehm trocken und warm. Einen Ring trug er nicht. Aber darauf verzichteten ja viele Handwerker, wegen der Verletzungsgefahr.
Landgraf lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück.
»Sie möchten also für mich arbeiten. Dann lassen Sie mich doch mal einen Blick in Ihre Unterlagen werfen!«
»Bitte, gerne.«
Ich reichte die Mappe über den Schreibtisch.
»Keine Angst, ich halte Sie nicht lange auf. Das Wichtigste habe ich ja schon gesehen.«
Ich nahm noch einen Schluck Wasser und hielt mein Gesicht ruhig. Falls er das tatsächlich meinte, was er soeben gesagt hatte, überhörte ich es für den Anfang lieber.
Er blätterte. Landgrafs Augenbrauen gingen hoch. Viel zu schnell klappte die Mappe wieder zu. Er schob sie mir quer über den Tisch zurück.
»Respekt. Sie sehen viel zu jung für Ihre Vita aus.«
»Ich bin achtundzwanzig.«
»Das habe ich mir ausgerechnet.«
Ich ging nicht darauf ein, übersah zur Sicherheit auch den beinahe zärtlichen Blick. Landgraf sah aus wie ein Waldschrat, aber ein freundlicher. Mir wurde in dem Hosenanzug ziemlich warm.
»Verraten Sie mir das Thema Ihrer Magisterarbeit? Ganz kurz. Ich möchte nur wissen, auf welchem Gebiet Sie gearbeitet haben.«
»Die Architektur des Fin de Siecle in Stadt und Land. Dargestellt an Beispielen in Wien und Bad Gastein.«
»Nun, das passt leider überhaupt nicht.« Landgraf faltete die Hände. »Außerdem sind Sie für meine Zwecke deutlich überqualifiziert, Frau Friedrich. Zu teuer.«
Autsch!
Sollte ich etwa anbieten, für weniger Geld zu arbeiten? Für wie wenig überhaupt? Noch weniger als vierhundert Euro?
»… aber ich sage Ihnen einfach, wofür ich Sie brauche und dann entscheiden Sie selbst.«
Er drehte sich mehr zu mir.
»Ich habe einen Auftrag, das heißt: Ich kriege ihn, wenn das Konzept stimmt. Kennen Sie sich mit antiker Badekultur aus?«
»Leidlich.«
»Sehen Sie, Katinka – ich darf Sie doch Katinka nennen?«
»Bitte lieber Kati.«
Er nickte.
»Gerne. Wir haben vor zwei Jahren etwas außerhalb von Zirndorf eine Villa gebaut, vollkommen versteckt im Wald.« Landgraf grinste kurz. »Ich möchte nicht wissen, was Malchow Google Maps bezahlt hat, dass sie seinen Besitz auf den Satellitendarstellungen nicht darstellen.«
Ich sagte nichts.
Er rieb sich den Nacken. »Am besten erzähle ich Ihnen die ganze, traurige Wahrheit. Als der Wellnesstrakt im Rohbau stand, kam mir die Scheidung dazwischen. Meine Ex hatte den besseren Anwalt. Corinna und ich führen jetzt zwei getrennte Baufirmen.«
»Verstehe ich das richtig, dass Sie jetzt mit Ihrer Exfrau um den Auftrag konkurrieren?«
»Richtig.«
Darum also der Wunsch nach einer Kunststudentin, Landgraf wollte mit Expertenwissen punkten.
»Hat Ihr Kunde gesagt, welche Art antike Badekultur er sich wünscht?«
»Es soll wohl eine Art römische Therme werden. Glauben Sie, Sie können mir bei der Dekoration auf die Sprünge helfen? Ich kann Ihnen allerdings höchstens achthundert pro Monat bieten.«
Genial! Der Urlaub war gesichert. Wo durfte ich unterschreiben?
»Ich muss aber diese Woche noch für Frau Gärtner arbeiten.«
»Das kann ich abwarten. Sagen wir, wir treffen uns kommenden Montag am Hauptbahnhof unter der Zuganzeige. Können Sie den gleichen Zug wie heute nehmen?«
»Ja natürlich.«
»Sehr gut! Wir müssen einkaufen!«
Die Königsstraße in Nürnberg faszinierte mich jedes Mal wieder. Man trat aus dem Hauptportal eines gründerzeitlichen Bahnhofsgebäudes – von dem allerdings nach zwei Kriegen höchstens noch die Fassade original erhalten war – und erblickte gegenüber eine mittelalterliche Stadtmauer. Mit dem einzigen Nachteil, dass man nicht einfach den mehrspurigen Altstadtring überqueren konnte, sondern zurück in den Untergrund musste. Das störte mich. Aber an Armin Landgrafs Seite war die Königstorpassage gut zu ertragen. Außerdem quirlte hier das Leben. Menschen kamen und gingen, Imbissstände boten Bratwürste, Döner, Backwaren oder fristgepresste Säfte an. Alles war hell erleuchtet und Glasfassaden rechts und links führten zu Geschäften.
Trotzdem war ich heilfroh, als wir schon nach wenigen Minuten die Treppe erreichten, die uns an die Oberfläche zurückführte. Nürnberg war eine Hochburg der Rationalisten, aber sogar hier gaben einige Götterstatuen Passanten Gelegenheit zum Gebet. Ich verbeugte mich im Vorübergehen andeutungsweise und pauschal vor der mit Blumen bekränzte Ganesha-Statue, dem immerhin fast lebensgroßen Bronze-Merkur und dem schlichten Wanderstab (für Wotan, den großen Reisenden). Armin Landgraf tat es mir gleich.
»Glauben Sie an Götter, Herr Landgraf?«
“Nicht eigentlich.”
Also ein Indifferenter. Trotzdem gefiel mir die Respektsbezeugung. Ich fand sie angenehmer, als den vehementen Nicht-Glauben zuhause. Meine Mutter und mein Stiefvater Zachi, der bei der Kripo Mittelfranken arbeitete, akzeptierten gerade noch die Existenz von Psi, vermutlich gegen ihre eigentliche Überzeugung. Dass es einen oder mehrere Götter geben könnte, ging über ihren Horizont. Bei Zachi konnte ich das sogar noch verstehen. Er sah als Fahnder zu viele Opfer von Gewalt. Die vielen Tote, die Verbrechen auf der Welt, sie waren für meinen Stiefvater der klassische Gegenbeweis.
Ich war mir da nicht ganz so sicher. Ich lief an Landgrafs Seite durch die Stadt, vorbei an Burger-King, der in einem quasi unversehrten Haus aus der Gründerzeit des vorletzten Jahrhunderts residierte und vorbei an Sankt Klara (es gab in Nürnberg immer noch aktive christliche Gemeinden). Damit war es aber mit der Altbauherrlichkeit aus. Auf dem Weg zum Hauptmarkt öffnete sich zwar der Blick auf die Burg über der Altstadt, gleichzeitig aber auch auf einen ganzen Block zum Teil wenig sensibler Neubauten der Neunzehnsechziger des zwanzigsten Jahrhunderts. Rechtsanwälte, Finanzberater, Ärzte und Architekten residierten in ihnen. Ich las in der Leiste der Büroschilder eines Eingangs den Namen Corinna Landgraf. Innenarchitektin.
»Ihre Frau?«
»Ex!« Landgraf drehte kaum den Kopf nach dem Schild. »Zum Glück gehen mich ihre Mietkosten nichts mehr an.«
Ich wusste noch nicht recht, was ich von meinem neuen Chef halten sollte. Landgraf trug auch heute abgeschabte Jeans und ein verwaschenes Shirt, sein Parka stand trotz der Kälte offen. Dazu der zerzauste Bart und die unordentliche Haarmasse auf seinem Kopf. Er sah aus wie ein Penner.
»Wo gehen wir eigentlich hin, Herr Landgraf?«
»Nennen Sie mich doch bitte Armin, Kati. Alle meine Mitarbeiter tun das.«
»Amerikanische Verhältnisse«, rutschte mir heraus. Aber ich erntete zum Glück nur ein Zwinkern.
»Waren Sie mal drüben?«
»Mit meiner Halbschwester, Salma.«
Ich merkte, dass Landgraf direkt auf ein Modegeschäft zu steuerte. Jean-Paul Gallus, Damen- und Herrenmoden.
»Wollen Sie sich einen Anzug kaufen?« Ups, schon wieder meine vorschnelle Zunge!
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Aber Sie brauchen ein passendes Outfit für den Termin bei Malchow.«
»Was ist gegen meinen Hosenanzug einzuwenden?!«
Wir standen mitten in der offenen Ladentür. Ein schneller Blick ins Innere verriet mir, dass bereits eine Angestellte auf uns zu schritt. Landgraf, das heißt, ich sollte ihn ja Armin nennen, presste sacht meinen Oberarm. »Missverstehen Sie mich nicht, Kati. Wir haben es beide leichter, wenn Sie Malchows Erwartungen entsprechen.«
Ich war sprachlos. Er sah aus wie ein Penner, aber ich musste mir sagen lassen, dass mein Hosenanzug für seinen betuchten Kunden nicht genügte! Mich beschlich wie schon beim Vorstellungstermin der unangenehme Verdacht, dass mich Landgraf weniger wegen meiner Kompetenz eingestellt hatte, als wegen meiner zugegeben guten Figur.
Er sah mir das Missvergnügen offenbar an. »Vertrauen Sie mir, Kati. Es geht los.«
»Guten Tag, Herr Landgraf! Was darf ich für Sie tun?« Die Angestellte von Jean-Paul Gallus Herren- und Damenmoden begrüßte ihn wie einen alten Bekannten. Offenbar sein Stammgeschäft.
»Ich brauche ein Kleid für meine Mitarbeiterin.«
Wenigstens stellte er mich nicht als seine neue Freundin vor. Ich schälte mich aus der dicken Winterjacke. Modegeschäfte waren alle chronisch überheizt, damit sich die Kundinnen beim Anprobieren in Unterwäsche nicht erkälteten. Außerdem war dieser Laden wie alle Altstadthäuser schrecklich tief und ohne die indirekte Beleuchtung weiter hinten sicher stockfinster. Leider führte uns die Angestellte von Jean-Paul Gallus genau dorthin.
»Und was schwebt Ihnen vor, Herr Landgraf?«
»Ich dachte an ein Etuikleid.«
Sein Blick glitt an mir herab. »In Schilf oder Grau, gerne mit passendem Blazer. Welche Größe haben Sie, Kati?«
»Zweiundvierzig«, antwortete ich, obwohl mir normalerweise Vierzig passte, notfalls sogar Achtunddreißig. Aber bei der aktuellen körperbetonten Mode war das Utopie.
»Darf ich?«
Die Verkäuferin legte mir beide Hände in die Taille. Sie nickte, als bestätigte das ihren Verdacht.
»Ich glaube, Ihrer jungen Dame passt Vierzig, Herr Landgraf. Vielleicht sogar noch Achtunddreißig. Wenn Sie beide bitte hier auf mich warten wollen? Ich suche Ihnen etwas heraus.«
Sie schritt davon.
Ich funkelte Landgraf böse an.
»Ich werde mich nicht in ein Kleid zwängen, in dem ich gerade mal atmen kann! Und wenn Sie weiter über meinen Kopf hinweg mit der verhandeln, fahre ich auf der Stelle nach Hause, Herr Landgraf!«
»Nennen Sie mich doch bitte Armin. Ja, das sehe ich auch so, sehr ungehörig von der Dame. Ich entschuldige mich für sie. Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir uns trotzdem setzen?«
Er zeigte auf eine kleine Sitzgruppe.
Ich blickte mich um. Und stellte fest, dass ich die Schaufenster und damit das Tageslicht schon jetzt nicht mehr sah. Der Laden war wirklich sehr tief.
»Was haben Sie? Sie atmen ein bisschen flach, Kati.«
Armin betrachtete mich besorgt.
»Es ist nichts weiter. Mir geht es gut.«
Das war gelogen, ich fühlte mich alles andere als wohl. Aber ich wollte es hinter mich bringen. Wer weiß, wo mich Landgraf sonst noch hinschleppte.
Die Angestellte kam auch schon mit einigen Kleidern im Arm zurück. Alle in den von Armin gewünschten Farben Grau oder Schilf, damit war ich sehr einverstanden. Ich war blass und dunkelhaarig, gedeckte Töne passten zu meinem Typ.
»Sie haben ein Auge für Farben, Armin.«
»Als Bauunternehmer kommen Sie heute nicht mehr weit, wenn Sie Kunden nicht auch im Punkt Farbe am Bau beraten können«, sagte er.
Wir folgten der Verkäuferin zu einer der Umkleidekabinen. Ich mit sehr gemischten Gefühlen.
»Rufen Sie bitte, wenn Sie Hilfe mit den Kleidern brauchen!«
Die Frau zog den Vorhangstoff zu.
Als erstes las ich die Preisetiketten. Die Vertrautheit zwischen der Angestellten und Landgraf zeigte Wirkung, ob allerdings die beabsichtigte, hinterfragte ich lieber nicht. Vielleicht bekam mein neuer Chef als Stammkunde Rabatt.
Ich zog mich bis auf BH, Höschen und Strümpfe aus und mühte mich in das erste Kleid. Jetzt wusste ich, was »wie angegossen« hieß. Der Stoff spannte sich wie eine zweite Haut um Busen, Bauch und Po. Außerdem war das ein Kleid für laue Sommerabende. Wir hatten aber immer noch März. Ich zupfte am Ausschnitt. Wenn ich bei dem kühlen Vorfrühlingswetter damit bei Malchow auftauchen sollte, wollte ich wenigstens einen Schal.
Einzig die Farbe und das schimmernde Material fand ich beide gleichermaßen schön. Ich strich über den Stoff. Weich und schmiegsam, wie Seide. Aber trotzdem!
Ich zog das Kleid über den Kopf, gab es der Angestellten durch den Vorhangspalt zurück.
»Warum haben Sie sich nicht wenigstens ansehen lassen!« Landgrafs warmer Bariton erklang dicht neben mir. Er stand offenbar direkt hinter dem Vorhang.
»Zu spät! Jetzt müssen Sie warten, bis ich das nächste angezogen habe.«
Kurz darauf trat ich mit dem anderen Modell ins Freie. Dieses zweite Kleid saß kaum lockerer. Es hatte den bescheidenen Vorteil, dass es mit einem passenden Bolero kam, aber dafür kosteten beide Teile zusammen mehr als das Dreifache des ersten Modells. Der Stoff fühlte sich auch nicht ganz so angenehm an.
»Und wenn ich das erste Kleid in Größe zweiundvierzig nehme und meinen eigenen Wintermantel darüber trage? Ich habe einen sehr schönen aus Kamelhaar.«
»Bringen Sie den auf jeden Fall morgen mit. Ich möchte nicht, dass Sie auf der Fahrt zur Malchow-Villa frieren.«
Armins Blick lag fast liebevoll auf meinem bloßen Arm. Mir stieg eine leichte Gänsehaut auf.
»Können Sie das erste Kleid bitte noch einmal anziehen? Damit ich wenigstens weiß, was ich versäume.«
Er bat mich sehr freundlich, außerdem sekundierte ihm die Angestellte. »Das Material gibt nach, wenn man es etwas länger trägt, durch die Körperwärme. Es ist ein Seidenmischgewebe mit fünf Prozent Elastan. Und Sie haben wirklich die Figur dazu.«
»Na schön!«
Als ich wieder aus der Ankleidekabine kam, sah ich in dem viel größeren Spiegel des Ausstellungsraums eine mir fremde Frau. Das Kleid besaß unter dem Busen eine Reihe Abnäher, die meine Brüste herausmodellierten. Der Stoff umspannte meine Taille und die Hüften wie bei einer altägyptischen Göttin. – Oder einer erstklassigen Hure. Man sah sogar meinen Schamhügel.
Armin Landgraf betrachtete mich lange. »Malchow wird begeistert sein.« Seine Stimme klang heiser.
»Nun, dann kann ich mich ja wieder umziehen!« Ich griff nach dem Vorhang der Umkleidekabine, in der Absicht schleunigst darin zu verschwinden. Gut, irgendwo heiligte der Zweck wahrscheinlich die Mittel. Und natürlich schmeichelte mir, dass mein Anblick Landgraf die Luft nahm. Lieber Himmel, er hätte aus Stein sein müssen, bei diesem Kleid!
Er war aber leider nicht der einzige im Raum. Wir hatten Zuschauer und mindestens einem wuchs eine Beule in der Hose.
Landgraf blaffte: »Hier gibt es nichts zu sehen!«
Im gleichen Moment ging das Licht aus. Ich griff in der schwarzen Finsternis nach dem ersten, das ich erwischte. Es war ein Metallrohr, vielleicht der Rahmen der Umkleidekabine. Ich bekam keine Luft.
Jemand rief: »Macht doch mal einer wieder das Licht an!« Menschen hasteten in meiner Nähe. Eine Frau quietschte. Der Vorhang der Garderobe rauschte. Viele Stimmen raunten und flüsterten um mich. Jemand blies in mein Ohr. Kati? Hallo, Katinka!
Ich schrie, griff blind um mich.
»Kati!?«
Ich kollidierte mit einem Körper. Ich klammerte mich an ihn. Spürte seine Erektion. Der Unbekannte presste sich gegen meinen Schamhügel.
»Ruhig, Kati!« Armin Landgrafs Stimme.
Dasselbe Waschmittel wie vor einer Woche im Baucontainer. So nah an Landgrafs Körper bekam ich heute aber auch noch seinem eigenen Duft in die Nase. Er roch sehr männlich, angenehm männlich. Seine Finger kneteten meine Oberarme.
Endlich ging das Licht wieder an.
Landgraf hob mich wie eine Puppe hoch, trug mich quer durch den ganzen Laden bis zur Ausgangstür, stieß sie auf und half mir auf seinen Armen hinaus. Die Helligkeit des grauen Vormittags war ein Segen.
»Sie können mich ruhig wieder auf die Füße stellen!« Mir klapperten die Zähne. Mir blieb gar nichts übrig, als mich an Landgraf zu schmiegen. Ich brauchte seine Wärme.
»Geh es wieder?«
Mir war immer noch speiübel. Aber Landgrafs Geruch und seine Körperwärme beruhigten mich, und so ließ ich es zu, dass er mich wieder in den Laden zurückschob.
»Sie hätten mir ruhig sagen dürfen, dass Sie unter Klaustrophobie leiden, Kati. Jean-Paul Gallus hat auch einen Internetshop.«
Ich musste bei allem Elend lachen.
»Muss das Kleid unbedingt sein?«
»Nein, dieses hier ganz sicher nicht mehr. Kati, Sie glauben gar nicht, wie leid mir der Vorfall tut. Wenn ich auch nur im Entferntesten geahnt hätte …«
Er ließ mich los. Leider. Aber auch ich sah, dass die Angestellte, die uns bedient hatte, außer Atem auf uns zu eilte. »Bitte entschuldigen Sie, eine unerklärliche technische Panne. Ihnen ist doch hoffentlich nichts geschehen?!«
Landgraf sah mich an. Wir sagten beide wie aus einem Mund: »Nein!«
»Haben Sie das Modell noch einmal auf Lager? Vielleicht in einer anderen Farbe? Ich möchte nicht, dass Frau Friedrich ständig an den Stromausfall erinnert wird, wenn sie es trägt.«
Die Angestellte nickte eifrig. »Ich werde gerne nachsehen. Selbstverständlich.«
»In Ordnung?« fragte Landgraf.
Es war nicht in Ordnung, ganz und gar nicht. Aber ich trug einen Arbeitsvertrag über drei Monate in der Tasche und wer A sagte, musste auch B ertragen. Ich schwor mir, mich am Bender-Institut in Freiburg vorzustellen, sobald ich bei Landgraf fertig war. Und wehe, sie sagten, sie hätten noch nie gehört, dass jemand die Toten hören konnte!
»Kann ich mich jetzt endlich wieder umziehen?«
»Ich halte Wache.«
Er blieb tatsächlich vor der Umkleidekabine stehen. Das war gut, denn ich schielte alle fünf Sekunden nervös zur Deckenbeleuchtung. Sie blieb an. Trotzdem fühlte ich mich erst wieder halbwegs wohl, als ich in Hosen und Pulli steckte.
Die Angestellte kam in dem Moment mit dem Ersatzkleid, da ich die Vorhänge der Umkleidekabine zur Seite schlug.
»Ich habe das Modell leider nur noch in der Farbe Nude!«
Ich fluchte innerlich. Ton in Ton mit meiner blassen Haut wirkte das Kleid mit Sicherheit noch obszöner. Aber mir war inzwischen schon alles egal.
»Von mir aus! Ich habe sogar passende High-Heels.«
Armin Landgraf schnalzte mit der Zunge. »Ja wunderbar! Dann mache ich den Termin bei Malchow gleich für morgen Vormittag fest!«
Ich deutete das Licht in den Augen meines neuen Chefs lieber nicht.
Ich lief eilig durch den Westtunnel, die Stofftasche mit High-Heels, Föhn und Schaumfestiger in der einen, den Schminkkoffer in der anderen Hand. Der Gedanke, mich für Landgrafs Firma aufzutakeln, schmeckte mir immer noch nicht. Doch wenn ich mich schon darauf einließ, dann richtig.
Es war ein sonniger, fast schon warmer Tag. Mir ging es gut. Die Bahnfahrt war heute kein Problem gewesen, vielleicht gewöhnte ich mich durch die tägliche Wiederholung noch an die Tunnel. Oder mein neuestes Mantra half. Genau wie die alte Frau in Kärnten vor vielen Jahren zu mir gesagt hatte: Ich konnte vieles gegen meine Angst nutzen, ein Gedicht oder ein Gebet, Musik. Aber mir halfen immer noch am besten warme Gedanken.
Er war ein Netter, mein neuer Chef. Landgraf musste heute morgen vor dem Termin bei Malchow noch irgendwohin, deshalb hatte er mir gestern sogar den Zugangscode zu seinem Büro anvertraut, damit ich nicht in dem Kleid herfahren musste.
Ich tippte die Zahlen ein und drückte die Klinke. Als erstes drehte ich die Steuerung der Gasheizung hoch. Landgraf durfte hier gerne den Eisbären Gesellschaft leisten, doch wenn ich mir von der arktischen Temperatur im Raum einen Schnupfen fing, nützte ich ihm gar nichts.
Ich zog mich um, frisierte und schminkte mich. Es wurde Neun und halb Zehn, aber mein neuer Chef kam nicht. Um Zehn reichte es mir. Ich zog die High-Heels wieder aus, strich die Sitzfalten aus dem Kleid und ging auf Strümpfen zu Landgrafs Bücherwand.
Alle Achtung, es waren fast nur Kunstbildbände oder Werke über Kunst. Gotik, Romanik, Renaissance. Dazu Antike, rauf und runter, Mykene, Knossos, Kykladen. Zuletzt fiel mir ein großer Band über die Caracalla-Thermen in Rom in die Hände. Gerade das Richtige für Landgrafs Bauvorhaben! Ich las mich fest. Und erschrak prompt gewaltig, als die Tür des Baucontainers plötzlich aufging. In der Öffnung stand ein mir völlig fremder Mann.
Verdammt, ich hatte vergessen abzuschließen. Hoffte ich unbewusst, Landgraf möge mich halbnackt überraschen? Kaum mehr möglich, das Kleid verbarg sowieso so gut wie nichts. Außerdem hatte er mich schon gestern darin gesehen. Allerdings nicht in der Farbe Nude.
Dem Fremden verschlug das Kleid jedenfalls die Sprache. Wir schwiegen uns eine gute halbe Minute lang an. Er war aber auch ein sehr erfreulicher Anblick. Sein Anzug saß wie maßgeschneidert, dazu trug er teure, blitzblanke Schuhe. Er war doch hoffentlich nicht Landgrafs betuchter Kunde, Malchow?
Aber dann bewegte er sich. Auf einmal kam er mir vertraut vor. Ich brachte nur das Gesicht nicht unter. Er hatte ein Grübchen am Kinn und eine kleine halbmondförmige Narbe neben dem Mund, die sein Lächeln auf sympathische Weise schief zog, als es breiter wurde. Er grinste wie ein Lausbub.
»Aber Kati!«
Guter Gott, Landgraf, glatt rasiert und mit einem Superhaarschnitt. Durch die vielen Wirbel auf seinen Kopf wirkte sein Haar immer noch ein bisschen verwuschelt. Aber er sah richtig gut aus. Jung.
»Allmächtiger! Sie hätte ich jetzt wirklich fast nicht erkannt.«
Landgrafs Schultern sackten.
Scheiße!
Ich hatte es versaut.
Es war ohnehin nicht klug. Man fing nichts an, mit seinem Chef. Ich schlüpfte eilig in die High-Heels. Wie ich es mir gedacht hatte: Ich überragte ihn darin um einen halben Kopf.
»Entschuldigung«, sagte ich lahm.
»Ist schon okay. Wollen wir?«
Er half mir in den Mantel.
Wir fuhren schweigend durch Nürnberg. Landgraf, weil er auf den Verkehr achten musste. Ich, weil ich mich nichts zu sagen traute. Wie mein Stiefvater immer sagte: »Wenn du mit einem Kerl nicht reden kannst, halt einfach den Mund.«
Wahrscheinlich ein guter Rat. Und ein Frustrierender. Immer, wenn mir ein toller Mann über den Weg lief, war er entweder verheiratet, mein Chef, oder nicht interessiert.
»So – wir sind fast da!«
Wir bogen hinter Zirndorf in ein Waldstück ein. Die Bäume verbargen Malchows Besitz tatsächlich vollständig. Noch als wir das Außentor passiert hatten und die lange, von einer Mauer aus gestutzten Eiben umgebene Rampe hinauf fuhren, konnte ich nicht glauben, was vor mir auftauchte: Eine toskanische Villa.
Malchows Haus stand wie eine Vision auf einem Hügel mitten im flachen Nürnberger Land. Orangen und Wandelröschen in Kübeln dekorierten den Wendekreis für Gästeautos. Wenn es nachts weiter so kalt blieb, musste man die Pflanzen vor dem Erfrieren retten.
Landgraf stellte sein Auto auf einer von versenkten Pollern markierten Stelle ab.
»Unter uns ist die Einfahrt in die Garage. Das Haus steht auf einem aufgegebenen Keller.«
Die Betonung, die er dem Wort gab, verriet mir, dass der Hügel, auf dem nun die Villa thronte, früher als Sommerlager einer Brauerei gedient hatte. Vor der Erfindung der künstlichen Kühlung hatte man sich überall in Franken künstlich in Felsen geschlagene Höhlen zunutze gemacht. Im Winter war bei starkem Frost Eis aus Teichen gesägt und in solchen Kellern eingelagert worden, die dann bis in den Juli oder August hinein das Bier in den Felsenkellern kühl gehalten hatte. Meist waren auf solche Keller noch Bäume gepflanzt worden, zwischen denen man an heißen Tagen in einem Biergarten sitzen konnte.
»Hat es hier einst Kastanien gegeben?«, fragte ich.
»Ja. Schade drum«, sagte Landgraf, »aber wir mussten sie roden. Malchow wollte diese Rampe und die Eibenhecke und zur Gartenseite eine Kaskade. Nichts sollte den Eindruck vom schönen Süden stören.« Er zuckte mit den Schultern. »Der Kunde ist König.«
Sechs korinthische Säulen trugen einen Portikus, auf dessen Stufen ein Butler wartete. Ein zweiter Angestellter eilte zu unserem Wagen, öffnete Landgraf die Fahrertür. »Darf ich Ihren Mercedes in die Garage hinunterfahren, Herr Landgraf?«
»Gerne! Kommen Sie, Kati.«
Wir gingen auf die Villa zu, während Auto und Angestellter in die Tiefe versanken.
»Soll ich Ihnen etwas gestehen?«, sagte Landgraf leise. »Ich habe den Termin gestern deshalb so schnell festgezurrt, weil ich Angst hatte, Sie überlegen sich das mit dem Kleid.«
»Ach, Sie haben bemerkt, dass es eine Zumutung ist?«
»Kati, Sie sehen super darin aus. Malchow wird es lieben. Aber keine Angst: Er ist bloß Voyeur.«
Na, das beruhigte mich ja unheimlich. »Was macht Malchow eigentlich, dass er sich diese Wohnumgebung leisten kann?«
»Er hat – glaube ich – noch nie etwas gemacht.«
Also Geld geerbt. Mir war ein wenig bang, aber der hagere Mann mit dem graumelierten Haar, der uns mit ausgebreiteten Armen entgegen eilte, begrüßte Landgraf wie seinen besten Kumpel.
»Armin! Schön, dass Sie da sind!«
Fehlte nur noch der Bruderkuss.
Aus nächster Nähe wirkte Malchow etliche Jahre älter und verbrauchter als mein Chef. Die eisblauen Augen allerdings waren hellwach. »Wen bringen Sie mir denn da, Armin?!«
Malchow zog mich ohne Umstände die letzten Stufen zu sich hinauf. Landgraf räusperte sich. »Darf ich vorstellen: Kati Friedrich, meine neue Mitarbeiterin - Peter Malchow.«
Die eisgrauen Augen prüften ausführlich meine Figur.
»Gratuliere, Armin. Ich sehe gerne ein so attraktives Paar.« Malchows Blick ruhte jetzt auf meinen Brüsten. »Kommen Sie doch herein!«
Ich gab dem Butler meinen Mantel. Von irgendwo aus der Tiefe der Villa wehte mich eine Aura an, die mich seltsam an die Atmosphäre damals im Haus von Frau Hexe Kolbermeier erinnerte. Es war in diesem Fall mehr Moder und Schimmel, mit einem Unterton von Verwesung, der mein Herz kurzzeitig zum Rasen brachte. Wobei der oder die Psi, die ich spürte, natürlich nicht im eigentlichen Sinn roch. Ich klassifizierte Hexen und Heiler nur für mich nach Düften, weil ich sie auf diese Weise wahrnahm. Wie andere Menschen vielleicht Zahlen als Farben, was ja auch in dieser Form nicht stimmt.
Auf alle Fälle hatte der Herr der Villa aber keine Manieren. Malchow saugte mir das Kleid mit Blicken quasi vom Körper. Ich ignorierte ihn, musterte lieber ausgiebig die Eingangshalle. Man hätte glauben können, dass wir in der Walhalla in Kehlheim standen. Das Atrium war dem Portikus ebenbürtig. Marmorintarsien, soweit das Auge blickte. Licht kam von hoch oben ganz klassisch, nur dass die Deckenöffnung hier anders als in der Antike üblich ein Flachdach aus Glas gegen Kälte und Regen abschloss. Angenehm war die Temperatur darunter trotzdem nicht. Meine Brustwarzen verhärteten sich trotz Push-up Bra unter der dünnen Seide des Etuikleides zu Knospen. Malchow registrierte es mit einem süffisanten Lächeln. »Kommen Sie, Kati!«
Er nahm meine Hand, die ich ihm nicht gern überließ und führte mich an der riesigen Palme aus vergoldetem Metall vorbei, die in der traditionellen Zisterne unter dem Lichtschacht des Atriums stand. »Hier entlang, bitte.«
Ich folgte ihm notgedrungen auf klickenden High-Heels zu einer mit Kupferblech verkleideten Doppelflügeltür. Malchow riss sie auf. »Herein in meine gute Stube!«
Der Raum nahm die ganze Länge der Villa ein. Er besaß mehr Säulen als die Alhambra und war eiskalt. Wie eine Gruft. Die ganze rechte Seite und die Stirnwand bestanden aus Glas. Möglich, dass der Garten im Sommer ein Traum war. Im Augenblick sah ich von der von Landgraf erwähnten Kaskade nur ein halb zugefrorenes, rechteckiges Wasserbecken vor der verhältnismäßig schmalen Terrasse. Was sich tiefer im Gelände verbarg, blieb unsichtbar.
Auch hier lag ein Geruch nach Moder und Schimmel, gewürzt mit einer Prise von etwas Medizinischem über allem. Er verstärkte sich noch um echtes Hexenaroma, Katzenpisse und verfaulte Kartoffeln peinigten meine Nase, während ich an Landgrafs Seite Malchow weiter in seine Hallenlandschaft hinein folgte. Linkerhand lagen etliche Türen in einer Wand, deren Anstrich in Ocker und Erdrot ziemlich Licht schluckte. Irgendwo dort, hinter einer der Türen oder in einem Seitentrakt des Hauses, wartete eine Hexe. Ich war mir sicher.
Landgraf merkte nichts. Er ging dicht an meiner Seite – wofür ich ihm sehr dankbar war – und gluckste vergnügt. Mein Chef deutete unauffällig mit dem Kinn auf die tiefblauen Säulen, die die Raumdecke trugen. »Malchow hat Corinnas Farbkonzept verändert.«
»Die ursprüngliche Gestaltung war von Ihrer Ex?«
Er nickte.
Wie immer die Villa vorher ausgesehen haben mochte, jetzt war der riesige Raum in vier Bereiche geteilt. Malchow führte uns an einem großen Esstisch vorbei. Auf einem der zwölf Stühle saß ein kleines Mädchen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Sie wirkte im ersten Moment so lebensecht, dass ich erschrak.
Landgraf legte mir die Hand auf den Arm und flüsterte: »Einer seiner Spleens. Malchow hat mehrere solcher großen Puppen. Ich hätte Sie vorwarnen sollen.«
Wir gingen weiter, durch eine Konferenz- oder Arbeitszone mit mehreren Flachbildschirmen und zu einer Gruppe aus vier vergoldeten Säulen mit ebensolchem Baldachin, die die Raummitte betonten. Malchow ließ sich auf einem der dort stehenden, dunkelroten Sofas nieder. Er räumte einige Seidenkissen aus Saribrokat zur Seite und klopfte einladend auf die Polsterung. »Setzen Sie sich doch bitte zu mir!«
Ich ignorierte seine Bitte – falls sie denn an mich gerichtet gewesen war. Malchow war genau die Sorte, die solche Fallen stellte. Ich nahm mit sorgfältig geschlossenen Schenkeln neben Landgraf Platz. Eigentlich höchst albern, Malchow konnte unter meinem Rock sowieso nichts sehen. Ich trug einen Stringtanga in der Farbe Nude und darüber eine hautfarbene, blickdichte Strumpfhose. Aber ich machte solche Spielchen schon aus Prinzip nie mit.
Malchows Augen glitzerten. »Kommen wir zum Geschäft: Corinnas Gestaltung des Wellnessbereichs gefällt mir nicht mehr. Zu steril. Reißt den Seitenflügel komplett ab. Ich dachte an drei Grotten, je eine für die Sauna eine für die Dusche, dazu einen Ruheraum mit großzügiger Spielwiese.« Er zwinkerte mir zu. »Vielleicht die Grotten im Dreieck angeordnet, in einem Mittelraum könnte eine Bar stehen. Nixen und Nymphen sollen sich dort wie zu Hause fühlen.«
Malchows Blick saugte sich bei diesem Satz an meinen Brüsten fest. Aber das ließ mich vollkommen kalt. Der ganze Mann ließ mich kalt. Zweifellos erregte ihn meine kaum verhüllte Nacktheit. Wen hätte sie nicht? Landgraf streifte mich genauso oft mit Blicken. Ich bemerkte jedoch und das gefiel mir gar nicht, dass Malchow mich benutzte, um Landgraf auf die Palme zu treiben. Auf den ersten, flüchtigen Blick saß mein Chef entspannt breitbeinig neben mir. Aber seine Kiefer mahlten. Männer und ihre Machtspielchen!
»Sie werden beide das Hotel Tenebre in Rom nicht kennen. Es ist, wie soll ich sagen, ziemlich exklusiv. Vor allem der Wellnessbereich im Souterrain lässt keine Wünsche offen.« Malchows Hand glitt in seinen Schritt. Er blickte uns beide seufzend an. »Sie beide sind wirklich ein attraktives Paar. Kurz und gut, am liebsten hätte ich eine Eins zu Eins-Rekonstruktion. Fliegen Sie hin, sehen Sie sich das Tenebre an, messen Sie die Grotten aus oder was Sie sonst für nötig erachten. Sobald Sie zurück sind, machen Sie mir ein Angebot!«
Landgraf nickte.
»Okay. Dann begießen wir das.« Malchow griff neben sich, zu dem Sektkübel, der auf einem Tischchen bereit stand. »Ach, Kati, gehen Sie doch bitte zum Essbereich. Im Sideboard auf der Serviceseite stehen Sektgläser.«
Mir war klar, dass mir beide Männer auf dem ganzen langen Weg durch die Wohnlandschaft auf den Hintern starrten. Ich ignorierte die unheimlich lebensechte Mädchenpuppe am Tisch und ging am Sideboard in die Knie, um die Sektgläser heraus zu nehmen. Als ich wieder hochkam, sah ich, dass auf der Ablagefläche aufgeschlagen ein Bildband lag. Die linke Seite zeigte eine der Fotografien kleiner Mädchen, die Lewis Carroll im 19. Jahrhundert aufgenommen hatte.
Ein schneller Blick in die Sitzgruppe verriet mir, dass Malchow mit meinem Chef konferierte. Was er sagte, schien Landgraf deutlich zu verstimmen. Sie achteten nicht auf mich. Ich riskierte es, blätterte schnell zum Titelblatt des Bildbands.
Little Girls, las ich, All Nymphs of Lewis Carroll.
Eine seltsame Lektüre für einen Finanzhai.
Ich legte das Buch aufgeschlagen wieder zurück.
»Kati? Haben Sie die Gläser gefunden?«, rief Malchow quer durch den Raum.
Ich hielt drei Stück hoch, damit er sie sehen konnte und ging zu Landgraf und Malchow zurück. Die Hexenaura hing noch immer im ganzen Raum. Sie wurde auf dem Weg zu Malchow aber wieder schwächer. Was vielleicht daran lag, dass Malchow reichlich Aftershave verwendete. Es war mir vorhin noch nicht dermaßen aufgefallen. Er dünstete das Zeug regelrecht aus. Dass ich ihn derart ins Schwitzen brachte, konnte doch eigentlich nicht sein.
Doch weil ich auch ein böses Mädchen war, beugte ich mich weit vor, als ich die Sektgläser abstellte, gestattete Malchow tiefen Einblick zwischen meine Brüste. Ich war mir sicher, dass ich früher oder später die Quittung dafür bekommen würde, entweder von ihm oder von meinem Chef. Tatsächlich machte Armin Landgraf ein Gesicht, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. Fast tat er mir leid. Gleichzeitig ärgerte ich mich aber auch kräftig, über beide. Zum Teufel mit dem ganzen Tag. Wozu hatte ich Kunstgeschichte studiert? Supermodel hätte gereicht.
Malchow stand auf, um uns zuzuprosten. »Auf gute Zusammenarbeit!«
Wir stießen an. Landgraf trank den Sekt in einem Zug aus. Er knallte das Glas hart auf den Tisch. »Dann wollen wir Sie aber nicht länger aufhalten, Herr Malchow. Sie haben heute sicher noch andere Termine.«
»Natürlich. Corinna wartet in meinem Arbeitszimmer. Kommen Sie, Kati! Ich begleite Sie beide noch hinaus.«
Landgrafs Gesicht glich nun erst recht einem Gewitter. Er marschierte mit Siebenmeilenschritten Richtung Ausgang und riss mich mit. Ich stolperte und wäre mit den High-Heels sicher gestürzt, hätte mir mein Chefs nicht blitzschnell den Arm um die Taille geschlungen.
»Verzeihung!«, sagte Landgraf. Aber es klang nicht danach.
Malchow amüsierte sich prächtig. Er umarmte und küsste mich zum Abschied auf die Wange. Mein Chef wartete wenig erbaut. Kaum, dass er Malchows Butler Zeit ließ, mir in den Mantel zu helfen.
»Sind wir soweit, Kati?«
Landgraf sprang in den bereitstehenden Wagen. Der Butler half mir hinein, ich war noch nicht richtig angeschnallt, da gab mein Chef schon Vollgas.
»Herr Landgraf …«
»Ich heiße Armin!«
»Entschuldigung, Armin. Malchow wollte Sie nur provozieren.«
»Schon klar!« Danach schwieg er. Ich wusste nicht, ob er sich über Malchow ärgerte oder über mich. Oder kam die Laus, die Landgraf über die Leber gelaufen war, daher, dass seine Ex bei Malchow wartete, vermutlich um ebenfalls den Auftrag zu ergattern? Ich traute mich nicht zu fragen.
Armin Landgraf blieb auf dem ganzen Rückweg mürrisch. Wir waren schon fast am Bahnhof, bis sich der Strich, der die Lippen meines Chefs ersetzte, endlich wieder entspannte.
»Entschuldigung, Kati. Dass Malchow Sie von oben bis unten mit den Augen abklaviert hat, habe ich vermutlich verdient. Wären Sie bereit, trotzdem mit mir nach Rom zu fliegen? Auf meine Kosten?«
»Wenn Sie das für nötig halten?«
»Ja, verdammt! Der Auftrag bringt mir zwei Millionen.«
Dafür brachte Landgraf mich also ins Spiel: Für zwei Millionen Euro. Damit Malchow, der offensichtlich auf einen Typ Frau in bestimmten Klamotten abfuhr (mich) auf ihn als Geschäftspartner ansprang. Mein Fachwissen spielte bei dem Auftrag offensichtlich überhaupt keine Rolle. Ich kochte während der ganzen Bahnfahrt nach Bayreuth. So sehr, dass die Stimmen in den Tunneln keine Chance bei mir hatten. Aber Wut war bei meiner Psychose noch nie eine Hilfe gewesen. Ich bekam natürlich in der Nacht die Quittung. Alpträume plagten mich:
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