Impressum

Klaus Möckel

Die Gespielinnen des Königs

Frankreichs berühmteste Mätressen

ISBN 978-3-86394-167-3 (E-Book)

ISBN 978-3-96521-211-4 (Buch)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 2000 im Verlag Das Neue Berlin.

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung des Gemäldes „Porträt der Madame de Pompadour“ von François Boucher

 

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Vorwort

Ist von Gespielinnen des Königs die Rede, denkt man vielleicht zuerst an leicht bekleidete Schönheiten, die sich auf samtenem Pfühl ihrem leidenschaftlich entflammten Herrscher hingeben. Oder man stellt sich elegante Damen in raschelnden Seidenkleidern vor, bereit zum stürmischen Tête-à-tête mit der entzückten Majestät; Bilder, die sich nicht von ungefähr ergeben: Im Bett errangen Mätressen aller Zeiten ihre nachhaltigsten Siege.

Doch die Rolle der Schönen, die meist aus dem hohen Adel stammten oder zumindest in diesen Stand erhoben wurden, erschöpfte sich keinesfalls im Liebesdienst. Wohl widmeten sie sich dieser Aufgabe mit Leidenschaft, zumal sie zum Dank dafür Gold, Edelsteine, kostbare Gewänder, Ländereien und prächtige Schlösser erhielten.

Sie glänzten aber auch in anderen Bereichen. Sie besaßen Bildung, brillierten mit Worten und mit ihrem gesamten Auftreten, verfügten über natürliche Eleganz. Bei Hof wurden sie zu wichtigen Persönlichkeiten; sie redeten in der Mode, in der Kunst und oft sogar in der Politik mit. Zur „Maitresse en titre“ ernannt, verstanden sie sich als Partnerin an der Seite des Königs und liebten den Herrscher meist wirklich.

Im Schutz des Monarchen konnten die jungen Damen ihren Besitzstand sichern und ihre Familien in einflussreiche Stellungen bringen. Über die Liebe zum König versuchten sie, Machtpositionen zu erobern, die Frauen ihrer Zeit sonst verwehrt waren. Zugleich waren sie aber in jeder Hinsicht von der Zuneigung des Herrschers abhängig, gerieten in größte Bedrängnis, wenn sie diese Gunst verloren oder der König aus dem Leben schied.

Um sich im höfischen Intrigenspiel zu behaupten, bedurfte es all ihrer Wachsamkeit und Intelligenz. Von den Königinnen, die sich gekränkt in die Rolle der betrogenen Gemahlin zurückzogen, wurden sie vornehm mit Madame angesprochen, insgeheim jedoch Hure genannt. War die Demütigung zu groß, geschah das manchmal sogar in aller Öffentlichkeit. Die Verschwendungssucht der Mätressen, die den Staat ein Vermögen kostete, wurde ihnen vom Volk verübelt und lieferte Neidern gute Argumente. Doch sie brauchten den Glanz, um bei Hof Anerkennung zu finden. Nur so konnten sie sich auf längere Zeit neben dem König behaupten.

Was den Rang bei Hof betraf, mussten sich die Favoritinnen der Herrscher den Königinnen, die für die Bewahrung der Thronfolge zuständig waren, unterordnen. An Glanz und Schönheit jedoch, oft auch an Reichtum und besonders an der Möglichkeit, den Monarchen zu beeinflussen, standen die Mätressen den Königinnen voran. Je nach Klugheit oder Raffinesse, nach Geschick oder Wendigkeit erhielten sie sich diesen unschätzbaren Vorteil auf möglichst lange Zeit. Sie versuchten nicht selten, ihre Stellung zu festigen, indem sie Kinder gebaren und den König dazu brachten, diese zu legitimieren.

Die berühmteste aller französischen Mätressen ist die Marquise von Pompadour; ihr ebenmäßiges Gesicht mit der hohen Stirn, der schmalen Nase und den wachen Augen schaut uns von den Einbänden vieler Abhandlungen und Werke über die Epoche Ludwigs XV. an.

Sie hatte es darauf angelegt, die Geliebte des Königs zu werden, und gelangte, als das erreicht war, zu beachtlichem Einfluss. Sie war gebildet und kunstbegabt, verschwenderisch und mitunter großherzig. Sie verstand es, Allianzen zu schmieden, und mischte sich – keineswegs zum Wohl des Landes – in die Politik ein. Als sie den Herrscher mit ihren Liebeskünsten nicht mehr zu erwärmen vermochte, schaffte sie es, ihre Stellung zu behaupten, indem sie ihm jüngere Gespielinnen zugestand.

Mit der Renaissance tauchen erstmals jene Damen aus dem Schatten der Geschichte auf, die als königliche Favoritinnen zu Macht und Ehren kamen. So gilt Agnès Sorel, die später mit entblößter Brust sogar auf einem Altargemälde dargestellt wurde und dem Leben Karls VII. entscheidende Impulse verlieh, als erste offiziell anerkannte Mätresse in Frankreich.

Die Schicksale bekannter französischer Mätressen, die in diesem Buch nachgezeichnet werden, sind eng mit den Kämpfen und Wechselfällen jener Jahrhunderte, den Religionskriegen und dem Niedergang des Ancien Régime, verbunden. Ihr Leben in Prunk und Überfluss stand häufig in schroffem Gegensatz zum Elend der niederen Schichten. Kriege und Hungersnöte im Verein mit Seuchen wie der Pest oder den Pocken dezimierten immer wieder die Bevölkerung.

Das Buch setzt im 15. Jahrhundert, dem Zeitalter der Jeanne d'Arc, ein und behandelt Lebensläufe bis hin zur Französischen Revolution. Die Gestaltung bewegt sich im Rahmen der geschichtlichen Überlieferung, ohne dass Fakten sklavisch aneinandergereiht werden. Einer anschaulichen Darstellung mögen die zum Teil etwas freier geformten Szenen und Dialoge dienen, genau wie die ins Geschehen verwobenen Anekdoten, die das Denken, Fühlen und Handeln der Protagonisten zeigen. Wie stets im Leben bilden Tragik und Komik, Intelligenz, Dummheit, ja selbst Verbrechen dabei ein Ganzes.

Das Buch handelt von Frauen zwischen größtem Ruhm und tiefster Verachtung, zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Leidenschaft und Resignation, für die es eine Ehre und mitunter ein Fluch war, die Geliebte des Königs zu sein, und genauso widersprüchlich sind ihre Wege. Bisweilen stark und selbstherrlich, dann wieder schwach und verlassen spiegeln sie „Glanz und Elend“ des höfischen Lebens wider, um den Titel eines bekannten Buches von Balzac abzuwandeln. Sie haben geliebt und gelitten, verschwendet, geherrscht und manchmal auch bereut. In ihrem Drang nach Besitz und Macht, aber auch mit ihrer Hoffnung auf erfüllte Liebe stehen sie für eine vergangene Zeit, die unserer Gegenwart dennoch nicht so fern ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.

I. Agnès Sorel: Auftritt einer schönen Dame

1

„Schamlos, dieses Weib! Dass sie es wagt, sich so vor dem Hof zu zeigen!“ Jean Juvénal des Ursins, Bischof von Laon und ein einflussreicher Staatsmann, kochte vor Empörung, „Ich bitte Euch, Majestät, wir dürfen das nicht länger dulden.“

Marie von Anjou, die fromme Königin, die sich meist dunkel kleidete und nach Ansicht einiger Höflinge ein Gesicht „wie ein Frettchen“ hatte, warf ihm einen resignierten Blick zu. Durch zahlreiche Geburten in langen Ehejahren war sie zudem dick geworden, was ihr Selbstvertrauen gewiss nicht stärkte. „Ihr habt ja recht, Monseigneur, Madame geht diesmal wirklich zu weit“, erwiderte sie leise. „Dabei war sie so züchtig im Denken, als sie zu uns kam, so bescheiden. Sie hat sich sehr verändert. Aber was soll ich dagegen tun? Meinem Gemahl scheint es zu gefallen.“

„Ich verstehe Euch nicht, Maman.“ Ihr Sohn Ludwig, der nicht weniger wütend war als der Geistliche, fasste seine Mutter ungestüm am Arm. „Begreift Ihr denn nicht, dass sie uns mit ihrem sittenlosen Auftreten provoziert und demütigt? Sie hat den König ganz unter ihren Einfluss gebracht. Widerlich, wie er um sie herumscharwenzelt.“

„Lasst mich los und sprecht nicht so respektlos von Eurem Vater. Was auch geschehen mag, er ist der Gebieter, und wir müssen uns seinem Willen fügen.“ Marie wandte sich schnell einer ihrer Hofdamen zu, um die Unterhaltung nicht fortsetzen zu müssen.

Die Dame, um die es in diesem Gespräch ging, schien von der Aufregung um sie herum nichts zu spüren. Sie war sich ihrer Schönheit bewusst und es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Spätestens seit der König sie zu seiner „Maitresse“, seiner offiziellen Geliebten, erwählt hatte. Ein solch offenes Bekenntnis wäre seinen Vorgängern nie in den Sinn gekommen. Natürlich hatten sich die Herrscher Frankreichs, um sich zu amüsieren oder um sich von ihren meist tristen, weil der Staatsräson geschuldeten Ehen abzulenken, schon immer die Frauen und Mädchen ins Bett geholt, die ihnen gefielen. Illegitime Nachkommen waren auch bisher nicht selten gewesen, und die eine oder andere Konkubine hatte es durchaus zu Reichtum gebracht. Aber vom König vor der Öffentlichkeit als Mätresse anerkannt und der Gemahlin nahezu gleichgestellt zu sein, das war neu und etwas Besonderes. Sie, Agnès Sorel, Tochter eines verarmten Provinzadligen und einer Frau aus nicht weniger bescheidenen Verhältnissen! Gut, sie hatte eine sorgfältige Erziehung genossen, war klüger und gebildeter als die meisten Höflinge ringsum, doch was bedeutete das schon, in dieser Zeit, diesem durch Kriege zerrissenen 15. Jahrhundert, in dem nach wie vor die Abstammung zählte. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass gerade ihr ein solcher Aufstieg beschieden war.

Neider allerdings gab es genug, und Agnès brauchte nicht erst in den mit Goldranken verzierten venezianischen Spiegel zu schauen, um zu wissen, was das Getuschel hinter ihrem Rücken, die feindseligen Blicke des Prinzen und des Bischofs von Laon besagten. Vielleicht hatte sie diesmal auch ein bisschen viel gewagt. Eng geschnittene Kleider mit extrem langen Schleppen, mit Brokatbesatz, feinen Spitzen und Zobelbordüren, das mochte noch angehen, selbst wenn sie die Gewänder von Gräfinnen und Herzoginnen an Pracht übertrafen. Aber es war ein Unterschied, ob man ein Dekolleté wählte, das bei aller Großzügigkeit den halben Busen bedeckt ließ, ob man ein Busentüchlein vorlegte oder ob man, wie sie heute, die Vollkommenheit der ganzen Brust zeigte.

Doch der König war sichtlich entzückt, also hatte sie das Richtige getan. Vor dem Hof hielt er sich zurück, die Etikette duldete keine Gefühle oder gar intime Berührungen in der Öffentlichkeit. Dennoch, wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er bestimmt ihre runden und trotz zweier Geburten noch vollen Brüste vor aller Augen mit den Händen umfasst. Agnès lächelte in sich hinein. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was geschehen würde, wenn er erst mit ihr allein im Schlafgemach war. Für Augenblicke spürte sie seine Finger auf ihrer nackten Haut und seinen Kopf, der sich tief in ihren Busen wühlte. Sie würde ihn aufs Lager ziehen, der Unterrock bis zum Nabel hochgerutscht, das perlenbesetzte Kleid aus Lyoner Seide längst abgestreift auf dem Fußboden. Oder er würde sie packen, auf die Bettstatt werfen und verwöhnen, denn wenn er auch kein schöner Mann war, so doch ein leidenschaftlicher Liebhaber, das gestand sie sich ein.

Ihre Tagträume wurden jäh unterbrochen. Wie um die passende Antwort zu geben, neigte Karl VII. sich ihr zu und flüsterte: „Ihr überrascht uns stets von Neuem, Madame, ich kann es gar nicht erwarten, diese wunderbaren Kleinode ganz für mich zu haben.“

„Ein wenig Geduld, Majestät, der Abend, den wir im Kreis der uns so teuren Freunde – das „teuer“ betonte sie – verbringen dürfen, hat ja gerade erst begonnen.“

Der König lächelte amüsiert. Auch das schätzte er an seiner Geliebten: ihre geistreiche und ironische Art.

Denn gewiss, Freunde waren an diesem Abend, den man wie üblich mit einem ausgiebigen Mahl, mit Tanz, Musik und Kartenspiel verbringen würde, durchaus zugegen, doch in sehr begrenzter Zahl. Jacques Coeur zum Beispiel gehörte dazu, vom kleinen Beamten und Lebensmittelhändler zum „Argentier en titre“, zum Königlichen Schatzmeister aufgestiegen, ein reicher, recht gut aussehender Mann, kürzlich erst von Karl geadelt, auch weil er die Feldzüge gegen die Engländer finanzierte, die noch immer große Teile des Landes besetzt hielten. Oder der Graf von Richemont, ein kluger Ratgeber und Stratege, der an allen Schlachten der letzten Jahrzehnte beteiligt gewesen war. Auch Pierre de Brézé war zu Gast, der Seneschall, der bereits an der Seite Jeanne d'Arcs gekämpft hatte. Aber konnte man den Grafen von Orléans dazurechnen, der, obwohl viele Jahre ein Gefangener der Engländer, heimlich mit deren Verbündetem, dem Herzog von Burgund, sympathisierte? Den dicken Herzog von Trémoille oder den stolzen Herrn von Alençon, beide wenig zuverlässig, hatten sie doch im Jahr 1440 gemeinsam mit Karls Sohn Ludwig wegen der unumgänglichen Heeresreform einen Aufstand gegen ihn gewagt? Er hatte sie besiegt und ihnen verziehen, aber er sagte sich, dass sie es sofort erneut versuchen würden, wenn er die geringste Schwäche zeigte. Ludwig, sein Sohn, allen voran.

Freilich, er würde keine Schwäche zeigen. Er wusste, dass man ihn für wankelmütig hielt, doch seit Agnès ihm die nötige Kraft gab, war er stärker als je zuvor. Ihm war gleich, was die Höflinge sagten oder dachten. Diese Frau hatte ihm die Vorsehung geschickt; er betete sie an.

Die Tafel im großen Speisesaal war gedeckt – im Schein der Fackeln und zahlreicher kerzenbestückter Leuchter trugen Bedienstete geschäftig große Platten mit Wild und Geflügel herbei, erlegt in den umliegenden Wäldern. Dazu silberne Schüsseln mit Süßspeisen und anderen Köstlichkeiten, sogar die ersten Erdbeeren des Jahres wurden gereicht. Der König sprach den Gerichten tüchtig zu, ebenso dem Wein von der Loire. Bisweilen richtete er das Wort an seine Gemahlin oder an einen der Höflinge. Sein Hauptaugenmerk aber galt der jungen Geliebten; ihr blinzelte er immer wieder zu. Er hatte eine große Überraschung für sie, die er ihr freilich erst später verraten würde, wenn sie allein waren.

2

Agnès Sorel war die zweite Frau, die dem Leben dieses eher mittelmäßigen Königs entscheidende Impulse verlieh. Wie ein Wetterschlag war die Liebe zu ihr über ihn hereingebrochen. „Wer ist dieser Engel?“, hatte er, innerlich zutiefst berührt von ihrer Unschuld und Schönheit, seine Begleiter gefragt, als er ihr, die sich im Gefolge der Herzogin von Lorraine befand, zum ersten Mal begegnet war. Marie von Anjou, ebenfalls von der jungen Frau fasziniert, machte den Fehler, sie als ihre Ehrendame an den königlichen Hof zu holen, wobei Karl durchaus nachhalf. Er, ansonsten so wenig entscheidungsfreudig, wusste in diesem Fall genau, was er wollte. Vorbei die Zeit flüchtiger Liebschaften, schneller Eroberungen beim Besuch seiner Städte und Burgen. Kaum war Agnès in Reichweite, stellte er ihr so ungestüm nach, dass die Achtzehnjährige in Gewissensnot geriet und zögernd ihre Herrin um Rat fragte. Die Königin, bestimmt nicht angetan von dem Gedanken an eine so junge und hübsche Rivalin, riet ihr dennoch, seinem Begehren nachzugeben. Sie solle die Augen niederschlagen und stillhalten. Für Frankreich sei es besser, der Herrscher bekäme sie ins Bett als eine von diesen leichtfertigen, falschen Kreaturen, die ihn nur ausnehmen wollten und auf Abenteuer versessen wären. „Wäre ich der König, hätte ich Euch ebenfalls erwählt.“

Agnès fügte sich also, war aber – da es nun schon geschehen sollte – klug genug, die Lage für sich und ihre Familie zu ihrem Vorteil zu nutzen. Ihre vier Brüder wurden nach und nach an den Hof geholt und dienten dort sogar in der Leibwache.

Liebte sie den Mann mit den kalten, wimpernlosen Augen und der langen Nase im ansonsten wenig markanten Gesicht, der sich weder durch ein stattliches Äußeres noch durch besondere Fähigkeiten hervortat und ihr, obwohl erst Mitte dreißig, zudem reichlich alt erscheinen musste? Anfangs ganz bestimmt nicht, aber die Zuneigung Seiner Majestät, des Königs, war eine große Ehre. Er schien sich ernsthaft in sie verliebt zu haben, und vielleicht brauchte er sogar jemanden wie sie. Schon einmal hatte sich ihm eine starke und kluge Frau zur Seite gestellt; Jeanne d'Arc, jenes mutige Mädchen aus der Provinz, das ihn damals, vor noch gar nicht so langer Zeit, erst seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt hatte.

3

In der Tat, bevor Jeanne d'Arc ihm Würde und Macht zurückerobert hatte, war der König im Grunde ein Nichts gewesen. Der armselige Herrscher über ein Handtuchreich südlich der Loire – nach dem Vertrag von Troyes 1420 sogar Vasall des englischen Königs Heinrich VI., wenn er das auch nicht anerkannte. Von allen Seiten bedrängt und an der eigenen Abstammung zweifelnd. Von seinem Vater verlassen, der im Wahn die eigenen Gefolgsleute erschlagen hatte, und von seiner zwischen den Fronten taktierenden Mutter verraten. Erst Jeanne, die von himmlischen Stimmen geführte Jungfrau, hatte ihn durch ihren unerschütterlichen Glauben, dass allein er Frankreichs wahrer König sei, und mit ihrem großen Mut aus seiner Lethargie gerissen.

Agnès war noch ein Kind gewesen, als Jeanne d'Arc das belagerte Orléans befreit und danach Karl VII. in Reims zum König gekrönt hatte. Auch als die tapfere Jungfrau 1431 in Rouen auf dem Scheiterhaufen als Hexe verbrannt wurde, wusste das Mädchen wenig von den Kämpfen und Grausamkeiten ihres Jahrhunderts.

Dennoch, der patriotische Gedanke hatte durch Jeannes Siege gewaltig an Kraft gewonnen. Waren die Engländer, die das Land auspressten und endgültig in Besitz zu nehmen drohten, nicht vor ihr davongerannt wie die Hasen? Dabei hatte Karl die Jungfrau schmählich im Stich gelassen, hatte nichts getan, um sie vor ihrem schrecklichen Tod zu bewahren. Nachdem er durch sie doch noch zum König geworden war, hatte er ihren Siegen weitere hinzugefügt. So hatte er die Burgunder gezwungen, das Bündnis mit Heinrich von England aufzukündigen, und 1436 sogar die Stadt Paris zurückerobert.

Im Kreis der Herzogin von Lorraine, einer Schwägerin des Königs, wurde man ohne Zweifel sehr eindringlich mit diesen Ereignissen konfrontiert. Agnès blieb davon nicht unberührt. Mitunter, wenn ihr Karl in seinen politischen Entscheidungen zu unentschlossen schien, hielt sie ihm ihre Visionen vor. „Als ich noch ein Kind war, weissagte mir ein Astrologe, dass ich einst den strahlendsten Herrscher der Christenheit zum Geliebten haben würde. Sollte es sich um Heinrich VI. von der Insel handeln, der viel zielstrebiger ist als Ihr?“ Karl, zugleich eifersüchtig und abergläubisch, ging in sich. Was seine engsten Ratgeber nicht erreicht hätten, schaffte sie, die junge und schöne Mätresse.

4

Die Überraschung sollte sich als ein wahrhaft großzügiges Geschenk erweisen. Der König folgte seiner Geliebten ins Schlafgemach, wo sie ein breites Bett auf geschnitzten Beinen erwartete, mit flandrischem Leinen über weichen Matratzen, das ihre gemeinsame Glut aber nur wenig kühlen konnte. Der verheißungsvolle Anblick ihres Dekolletés hatte Karl entflammt und er hatte sein Begehren seit Stunden zügeln müssen. Nun küsste er sie stürmisch am ganzen Körper, während sie unter seinen Berührungen wohlig aufkreischte. Wären Beobachter zugegen gewesen, wie es üblich war, wenn Prinzen und Prinzessinnen in der Hochzeitsnacht ihre Ehe „in natura“ vollzogen – und damit gültig machten –, hätten diese vielleicht notiert, wie kraftvoll der König zwischen ihre Lenden stieß und dass er dies im Verlauf der Nacht mehrmals wiederholte. So war es fast Morgen, als er preisgab, was er als Geschenk für sie erdacht hatte.

Nein, diesmal waren es keine Perlen oder Edelsteine, keine Brokatkleider, kostbaren Ringe oder Armbänder, mit denen er sie sonst überhäufte: Es handelte sich um etwas viel Größeres.

Das Schloss Beauté-sur-Marne, in der Nähe von Vincennes, sollte ihr Eigen werden! Es war von einem seiner Vorgänger, Karl V., im vorigen Jahrhundert erbaut und zu dessen Zeit als Herrschaftssitz genutzt worden. Beauté, Schönheit, dieses Wort passe zu ihr, schwärmte der König, zu ihren blauen Augen, zu ihrem herrlich weißen Teint, zu ihrem Haar von der Farbe reifen Weizens, zu ihrer Figur, so grazil und schlank, aber doch mit allen Rundungen ausgestattet, die das Weib verführerisch machten, zu ihrem hohen und zugleich fülligen Busen, den heute ja nicht nur er habe bewundern dürfen, zu ihrer Art, die Frisur kunstvoll aufzutürmen und die Schleppe zu tragen, kurz, zu ihrer ganzen Erscheinung. Beauté, das sei es, was sie mit dem Schloss verbände, und es stehe ihr wohl an, nach diesem schönen Wohnsitz die Demoiselle de Beauté genannt zu werden.

Sie lagen noch auf zerwühlten Kissen, deshalb konnte Agnès sich ihm nicht zu Füßen werfen, auch nicht den tiefsten ihrer Hofknickse machen. Sie fasste nur nach der Hand des Königs, bedeckte sie still mit Küssen und drückte auf diese Art ihre Ergriffenheit aus. „Majestät, Eure Güte überwältigt mich. Ihr seid über alle Maßen großzügig, ich weiß nicht, was ich sagen und wie ich Euch danken soll.“

„Das wisst Ihr durchaus, Madame, Ihr dürft es mir immer von Neuem beweisen“, erwiderte der Monarch.

 

An einem der nächsten Tage ritten sie gemeinsam nach dem wenige Kilometer von Paris entfernten Herrensitz, inspizierten die Gemächer, Säle und Gärten, die noch aus Zeiten Karls V. stammende Bibliothek, die mit wertvollen Büchern ausgestattet war, schauten von den Wällen auf das unten liegende kleine Dorf und die ausgedehnten Wälder. Seit man 1444 in Tours Frieden geschlossen hatte, war im Land eine gewisse Beruhigung eingetreten. Die Engländer brauchten eine Kampfpause, sie hatten ihre Verluste mit knirschenden Zähnen hingenommen. Auch Karl nutzte die Zeit, um seine Kräfte zu sammeln, neue Befestigungen zu bauen, Legionäre anzuwerben, das Heer zu reformieren, die Finanzen zu ordnen. Da es dem geschundenen Volk etwas besser ging, der Handel mit Italien und dem Orient florierte, die Ernten günstig ausfielen, konnte er es sich erlauben, neue Steuern zu erheben. Seine Räte unterstützten ihn, indem sie geschickt die Stimmung gegen die noch immer in der Normandie hausenden Feinde nutzten.

Agnès aber nahm nicht nur auf den König Einfluss, den sie stets von Neuem anstieß, wenn er in seinen Anstrengungen für Frankreich nachlassen wollte, sie wirkte auch auf seine Räte ein. Teilte ihre Meinung durch Jacques Coeur mit, der das Geld beschaffte, durch Pierre de Brézé und einen anderen ihrer Günstlinge bei Hof, den Edelmann Étienne Chevalier. Bei der Verteilung der Finanzen kam sie keineswegs zu kurz, zudem erhielt sie vom König reichlichen Landbesitz. Ihre Gegner warfen ihr Verschwendung vor, verbrauchte sie doch Unmengen kostbaren Stoffs für ihre prächtigen Kleider und die bis zu acht Meter langen Schleppen, Gold, Perlen und Edelsteine für ihren Schmuck, Silber für ihr Tafelgeschirr. Ließ sie doch die wertvollsten Wandbehänge, kostbar verzierte Truhen und Stühle fertigen, die man sich denken konnte. Aber sie übte auch Mildtätigkeit gegenüber Armen und Waisen, stellte Geld für religiöse Zwecke zur Verfügung und schonte das eigene Vermögen nicht, wenn es um die Befreiung Frankreichs ging.

„Dass Ihr mich so reich beschenkt, wird die Neider nicht friedlicher stimmen“, sagte die junge Frau nachdenklich, nachdem sie alles in Augenschein genommen und gewürdigt hatte.

„Was kümmern uns die Neider, die hat es immer gegeben; sie sollen es nicht wagen, Euch anzugreifen!“

Agnès wusste, dass es nicht ganz so einfach war. Die Feinde traten nicht offen gegen sie auf, vor allem nicht, solange Karl am Hof weilte. „Ludwig“, sagte sie, „der Prinz, er hasst mich.“

„Ach, Unsinn, er liebt es, den Rebellen zu spielen. Ihr wisst, dass er einen schwierigen Charakter hat.“

Agnès wollte kein Öl ins Feuer gießen, deshalb schwieg sie. Sie erzählte nicht, dass Ludwig sie nach einem Streit geohrfeigt hatte, ihr jüngst mit dem Schwert in der Hand wutentbrannt bis an die Lagerstatt gefolgt war, um ihr zu zeigen, wo sie „hingehöre“. Wenn er anwesend, der König aber unterwegs war, hielt sie sich deshalb der Sicherheit wegen in ihren Räumen auf. Ein Menschenleben war in diesen Zeiten nicht viel wert, und sie wollte sich nicht vorstellen, was geschehen könnte, wenn ihr Geliebter und Beschützer von einem seiner Feldzüge einmal nicht zurückkehrte.

Sie schob die trüben Gedanken beiseite, heute war wirklich kein Tag dafür. „Das Schloss ist ein Juwel, aber wir werden es wohnlicher machen müssen“, sagte sie.

„Wendet Euch an Jacques Coeur, Ihr habt alle Freiheiten.“

5

Die Zeit relativen Friedens, der durch Kämpfe hier und dort freilich stets seine Brüchigkeit zeigte, verbrachte Karl, so oft es ging, bei seiner Mätresse. „Ich möchte immer an Eurer Seite sein, bei der Messe, bei Tisch, in Eurem Schlafgemach“, raunte er ihr zu. „Ihr lehrt mich Dinge, die unsere Königin nicht einmal zu denken wagt.“

Aber nicht nur ihre Pfirsichhaut, ihre grazile Gestalt, alles andere an ihrem Körper reizte ihn, sondern auch ihre Sauberkeit, ihre Kultur und ihre Klugheit. Agnès badete wöchentlich mehrmals, mischte Rosen- oder Veilchenblüten ins Badewasser und pflegte ihren Körper mit duftenden Essenzen. In freien Stunden zog sie sich in die Bibliothek zurück, um in alten Handschriften zu stöbern. Welche andere Schönheit am Hof befasste sich schon mit so etwas! Sie besaß das beste Geschirr, die gediegenste Bettwäsche. Sie verstand es, ihn zu verwöhnen und geistreich zu unterhalten. In den Häusern, Schlössern, Festungen, in denen sie sich lange Wochen vergnügten, in Chinon, Huismes, Beaulieu-les-Loches oder Mehun-sur-Yèvre, empfing sie ihn, wenn er von der Jagd zurückkehrte oder die Kompanien seiner Bogenschützen inspiziert hatte. Im Winter wärmten sie einander am flackernden Kaminfeuer, im Sommer fächelten ihnen der Wald und die Flüsse Kühle zu. Sie liebten sich leidenschaftlich, wenngleich die Mätresse im Laufe der Zeit mehr Raffinesse entwickeln musste, um die Glut zu erhalten. Mehrfach wurde sie schwanger. Die drei Töchter, die sie von Karl bekam, wurden von ihm als königliche Bastarde anerkannt. So stärkte jede der Geburten ihre Stellung und erhöhte ihren Einfluss bei Hof.

In diesen Jahren kehrte auch Jean Fouquet, der berühmte Maler, von Italien nach Frankreich zurück. Er kam an den Hof, wo sich Agnès seiner annahm. Erst kurz zuvor hatte er ein Bild des Papstes Eugen IV. gefertigt, der kein besonderer Freund Karls war, hatte der König ihm doch das Recht auf die Einnahmen der französischen Kirche beschnitten. Nun malte er Karl selbst. Der Herrscher stellte sich in einem pelzverbrämten roten Umhang in Positur, den prachtvollen königlichen Hut auf dem Kopf. Dennoch sah er wenig hoheitlich aus, daran konnte auch sein gedankenvoller Blick nichts ändern, der zugleich Erhabenheit ausdrücken sollte.

Sie schafft es nicht ganz, meine kleine Majestät, dachte seine Mätresse fast mitleidig, wenn sie ihren Geliebten bei seinen Versuchen betrachtete, sich Haltung zu geben. War sie beim Malen aber anwesend, dann entging ihr nicht, dass der Meister, sosehr er sich auch seinem Werk hingab, mehr auf sie als auf das eigentliche Modell, den König, schaute.

6

In der Normandie flackerten die Kämpfe wieder auf. Noch hatten dort die Fremden das Sagen, und der Widerstand gegen sie, seit Jeanne d'Arcs großen Feldzügen nie ganz erloschen, verstärkte sich. Obwohl die Engländer ihren letzten französischen Besitz mit harter Hand festzuhalten versuchten, mussten sie weitere Niederlagen einstecken. Für Karl gab es in dieser günstigen Situation kein weiteres Abwarten. Es galt, sich zu rüsten. Der Sieg und damit das Ende eines Krieges, der lange vor seiner Zeit begonnen hatte und inzwischen fast hundert Jahre dauerte, schien zum Greifen nahe.

Der König, den man nun den Siegreichen nannte, brach auf, um im Norden Rouen zu erobern. Doch der Kampf gestaltete sich schwierig, das Wetter war miserabel, der Widerstand der Engländer hartnäckig. Agnès, zum vierten Mal hochschwanger, beschloss, ihn zu überraschen und folgte ihm nach Mesnil an der Seine, das in der Nähe dieser Stadt lag. Im kalten Monat Februar brachte sie dort ihr Kind zur Welt. Auch diesmal war es eine Tochter, und alles schien sich zum Guten zu fügen, als die Mätresse unvermutet schwer erkrankte. Ein „Flux de ventre“, ein schrecklicher Durchfall, war durch keine Medizin zum Stehen zu bringen.

Was, um aller Heiligen willen, war das? Ein Leiden, bisher versteckt und mit einem Mal zum Ausbruch gekommen? Eine neue, unbekannte Seuche, der unbarmherzigen Pest gleich, die immer wieder im Land wütete, eine Entzündung oder gar Gift? Die Ärzte standen dem Fall völlig ratlos gegenüber. Im Schloss der Äbtissin von Jumièges, wo man die so schwer Erkrankte mit Aderlässen und anderen völlig ungeeigneten Mitteln zu retten versuchte, wachte Karl hilflos an ihrem Bett. Seine Mätresse quälte sich unsäglich, stöhnte, schrie. Immerhin, sie schaffte es, ihre Sünden zu bereuen und so nach damaliger Vorstellung ihre Seele zu retten. Es gelang ihr noch, mehrere Testamentsvollstrecker zu ernennen. „Fi de la vie“ soll sie ein paarmal gesagt haben, „Lausiges Leben“. Dann, schon auf dem Weg in eine andere Welt, flüsterte sie: „Wie wenig unser Körper doch wert ist. Er ist besudelt, stinkt nach Zerbrechlichkeit.“

Agnès Sorel starb zwei Tage nach der Geburt ihres Kindes, am 11. Februar des Jahres 1450; der Säugling überlebte sie nur kurz.

7

Jean Fouquet, der Hofmaler, betrachtete prüfend das Werk, das er für sein bisher bestes hielt, ein hohes zweiflügliges Altargemälde auf Holz. Links stellte es die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind im Arm dar – eine kostbare Krone auf dem Kopf, die eine Brust ganz entblößt –, rechts einen jungen Edelmann, der bewundernd zu ihr herüber- und aufblickte. „Es ist getan“, murmelte er, „ich glaube, sie hätte sich erkannt und wäre zufrieden gewesen.“

„Das wäre sie“, erwiderte Étienne Chevalier, der Edelmann, der auf dem anderen Flügel des Kunstwerks abgebildet war. „Ihr sanfter Blick, ihre weiße, schimmernde Haut, die Krone mit den Edelsteinen, ihr anschmiegsames Gewand, ihr prachtvoller Busen – das alles ist so einmalig. Ihr seht mich immer wieder aufs Neue erschüttert über ihr jähes Verlöschen.“

„Ihr habt Madame Sorel angebetet“, stellte Fouquet fest.

„Ihr nicht? Sie gehörte ganz dem König, doch was für ein göttliches Geschöpf.“

„Ihr wisst, dass nicht alle so dachten. Sie hatte viele Feinde am Hof, Prinz Ludwig zum Beispiel.“

„Zählt Ihr etwa auch zu denen, die ihn verdächtigen, durch Gift nachgeholfen ...“

„Um Himmels willen, sprecht leise“, unterbrach ihn der Maler erschrocken. „Nein, ich doch nicht. Obwohl dieser unverhoffte und grausame Tod allen, die sie kannten, ganz unerklärlich bleibt.“

„Und unerklärlich bleiben wird, wahrscheinlich für alle Zeiten“, ergänzte Chevalier.

„Der König ist untröstlich“, sagte Fouquet, „er scheint schrecklich zu leiden. Aber er wird keine Untersuchungen anstellen lassen.“

„Er wird dafür sorgen, dass sie die höchsten Ehren erhält. Man spricht davon, dass er sie nachträglich zur Herzogin ernennen will.“

„Man erzählt auch, dass er ein prächtiges Grabmal für sie in Auftrag gegeben hat. Zu fertigen aus schwarzem und weißem Marmor.“

„In ein oder zwei Jahren wird er sich dennoch mit einer neuen Geliebten trösten“, fügte Chevalier fast unhörbar hinzu.

Fouquet widersprach nicht. Er wusste, dass der andere recht hatte. Sie schwiegen einen Augenblick, dann ergriff der junge Edelmann erneut das Wort. „Agnès wird weiterleben“, sagte er mit dem Brustton der tiefsten Überzeugung. „Im Bildnis dieser schönen Jungfrau, auch wenn Eure freie Gestaltung einige empört! Ich werde dafür sorgen, dass es den gebührenden Platz bekommt, Meister! Sie hat mich zu einem ihrer Testamentsvollstrecker ernannt und ich werde das Altargemälde der Kirche Notre-Dame in Melun übergeben. Dort wird das Volk zu ihr aufblicken, und dort soll es auf alle Zeiten an sie erinnern.“

II. Françoise de Châteaubriand: Und keiner weint mir nach

1

Jean de Montmorency-Laval, Graf von Châteaubriand, durchmaß das Zimmer seiner Gattin mit großen Schritten. „Ich kann mir denken, was diese Einladung bedeutet, Teuerste, ich kann es mir denken. Es sei eine Ehre, meint Ihr, wenn uns der König extra einen Boten schickt und sich auf diese Weise an mich erinnert? Also gut, meinetwegen, eine Ehre mag es sein. Aber will er wirklich mich sehen? Man kennt doch die Sitten am Hof, den freizügigen Umgang miteinander, um es zurückhaltend auszudrücken. Nein, nein, die Sache gefällt mir nicht!“

Die Gräfin, eine brünette Schönheit, hochgewachsen und mit dreiundzwanzig um einiges jünger als ihr Mann, war offensichtlich weniger aufgeregt als ihr Gemahl. Ruhig ordnete sie die Falten ihres gebauschten, um die Taille eng geschnürten und mit Silberfäden durchwirkten Seidenkleides, das ihre Figur so vorteilhaft betonte. „Könnt Ihr nicht endlich einmal stehen bleiben, Monsieur?“, fragte sie.

Der Graf hielt abrupt inne. „Ihr habt recht, es gilt, Gelassenheit zu bewahren. Ich muss mir etwas einfallen lassen.“

„Wenn uns der König nach Amboise bittet, dürfen wir nicht einfach ablehnen. Außerdem soll es dort sehr schön sein.“ Vor den Augen der jungen Frau tauchte bereits das prächtige Schloss am Fluss Loire auf, hoch über dem Strom, mit seinen Terrassen, Türmen und Balkonen, mit seinem kunstvoll verzierten Mobiliar und den von italienischen oder flämischen Künstlern gewebten, kostbaren Teppichen.

Ihr Ehemann holte sie in die Wirklichkeit zurück. „Schön ist es hier auch“, erklärte er schulmeisterlich. „Falls Ihr unter diesem Wort nicht amüsant versteht. Wegen all der Turniere, der Bälle und unsittlichen Spiele, die neuerdings am Hof veranstaltet werden.“

Sie wusste durchaus, was er meinte. Von Franz I. erzählte man sich aufregende Dinge. Dass er junge Edelleute an den Hof holte, mit denen er prunkvolle Feste feierte, dass er in großer Gesellschaft häufig Reisen zu seinen verschiedenen Schlössern unternahm, dass er in Spiel und Kampf glänzte, und vor allem, dass er es verstand, die Frauen zu verwöhnen.

Eine leichte Röte stieg in ihre Wangen, als sie betont gleichgültig erwiderte: „Aber mir könnte gar nichts passieren, Teuerster, denn Ihr wärt ja bei mir, würdet auf mich aufpassen. Außerdem würde unsere Anwesenheit am Hof gewiss Eurem Fortkommen dienen.“

Das erste Argument schien den Grafen nicht zu überzeugen, das zweite aber fiel auf fruchtbaren Boden. „Das stimmt“, sagte er, „meine Fähigkeiten würden in Amboise viel eher ins Auge fallen.“

„Ein bisschen Abwechslung könnte uns beiden gewiss nicht schaden.“

Das sah Laval, zumindest was seine Frau betraf, anders. Nervös an seinem Lederwams zupfend, warf er ihr einen abschätzenden Blick zu. „Ich glaube, dass Ihr wirklich genug Abwechslung habt, Madame, und ich spreche nicht bloß von Euren Handarbeiten. Haben wir nicht die Jagd, das Karten- und Schachspiel, waren wir nicht erst kürzlich in der schönen Stadt Nantes? Ich will Euch das Vergnügen, die Hohe Gesellschaft kennenzulernen, keineswegs vorenthalten, doch alles zu seiner Zeit. Der König hat eine Einladung geschickt, die wir nicht gut ablehnen können, das ist richtig. Deshalb werde ich zunächst allein dorthin reiten. Ich will mich am Hof umsehen und, hoffentlich auch in Eurem Sinne, herauszufinden suchen, welche Absichten Seine Majestät wirklich verfolgt.“

Es war um das Jahr 1518. Françoise de Châteaubriand, 1495 geboren, die aus dem berühmten Geschlecht der Foix stammte und mit vierzehn mit dem Grafen verheiratet worden war, musste sich der Entscheidung ihres Gemahls beugen. Zwar hatte sie ihren Stolz, setzte sogar hin und wieder ihren Willen gegen ihn durch, doch sie wusste, dass zu viele Widerworte nur das Gegenteil bewirken würden. War es nicht Gesetz, dass sich die Ehefrau ihrem Gatten unterzuordnen hatte? Und vielleicht war er ja sogar im Recht. Vergnügen war das eine, sittenloses Verhalten, wie es hinter vorgehaltener Hand dem leichtlebigen König nachgesagt wurde, etwas ganz anderes.

2

Jean de Laval rüstete sich also für den Besuch am Hof. Er ließ von den Zimmerfrauen die mit Schnitzereien verzierte, schwere eichene Reisetruhe packen, wählte die Pferde aus und die Bediensteten, die ihn begleiten sollten. Natürlich würde Seine Majestät fragen, weshalb die geschätzte Gattin nicht mitgekommen sei, und er musste sich eine Ausrede überlegen. Doch die würde er schon finden, dazu war noch genügend Zeit.

Er wusste allerdings auch, dass der König nicht so schnell aufgeben würde. Kein Zweifel, dass es Franz I. in erster Linie um seine schöne Ehefrau ging – und wenn dem so war, würde der Herrscher alles daransetzen, sie nach Amboise zu holen. Deshalb brauchte er eine Absicherung. Bevor der Graf aufbrach, ließ er seine Gemahlin noch einmal zu sich rufen. „Zum Abschied, Madame, möchte ich Euch ein Geschenk machen.“ Er überreichte ihr einen kostbaren Ring.

Die Gräfin zeigte sich nicht ganz so beglückt wie erhofft, bemühte sich aber um ein Lächeln. „Der Ring ist sehr schön, Monsieur“, erklärte sie. „Ich werde ihn tragen und dabei an Euch denken.“

„Das ist liebenswürdig von Euch, ich hatte es nicht anders erwartet. Doch so war es, ehrlich gesagt, nicht gedacht. Mit diesem Schmuckstück hat es eine besondere Bewandtnis. Seht her, ich besitze ein zweites Exemplar, das dem ersten bis ins Kleinste gleicht.“

„Ihr habt diesen Ring in doppelter Ausführung anfertigen lassen?“, fragte die Schöne erstaunt.

„So ist es, und ich verfolge damit einen bestimmten Zweck. Ihr sollt das Kleinod nicht tragen, sondern an einem sicheren Ort aufbewahren. Das zweite Exemplar dagegen werde ich mit mir in die Residenz nehmen. Und nun hört mir genau zu: Nur drei Personen, nämlich Ihr, ich und der Bedienstete, dem ich den Auftrag für den Goldschmied gab, wissen Bescheid. Dieser alte Diener aber ist sehr zuverlässig und angehalten, das Geheimnis nicht zu verraten. Er wird zudem mit mir an den Hof kommen, wo ich ihn beaufsichtigen kann.“

„Wenn ich Euch recht verstehe, soll auch ich niemandem von den Ringen erzählen“, erwiderte Françoise. „Doch weshalb nicht?“

„Weil es unser besonderes Zeichen der Verständigung sein wird. Ein geheimes Zeichen. Ich bin mir nämlich sicher, dass Ihr vom König noch weitere Billetts mit Einladungen erhalten werdet. Gebt ausweichende Antwort, solange Euch nicht das Doppel dieses Kleinods ausgehändigt wird. Erst dann, und nur dann, dürft Ihr mir an den Hof folgen.“

Seine Gattin hatte verstanden. Sie konnte das herrliche Schloss Amboise und die dort zu erwartende Kurzweil für lange Zeit abschreiben. „Denn in diesem Fall besteht keine Gefahr mehr für meine Wohlanständigkeit!“, entgegnete sie zugleich verstimmt und spöttisch.

„So ist es. Ihr braucht Euch darüber nicht lustig zu machen.“

„Immerhin lasst Ihr Euch meine Tugend allerhand kosten“, sagte kühl die Gemahlin.

„Ich denke nicht, dass Ihr mir daraus einen Vorwurf machen solltet“, erwiderte der Graf.

3

Franz I. war erst drei Jahre zuvor, 1515, zum König gekrönt worden, doch er galt bereits als Held. Er war für die damalige Zeit sehr groß, einen Meter achtzig mindestens, er war kräftig und beim Schlagballspiel oder in den Ritterturnieren schwer zu besiegen. Wenn er sich in prachtvoller Kleidung, mit dem lammfellgefütterten kurzen Überrock, einem Seidenwams, das sein Wappen mit dem Salamander trug, und einem Barett, an dem bunte Reiherfedern steckten, dem Volk zeigte, wurde er begeistert bejubelt. Er war jung, von heiterem Gemüt und wohl auch tapfer. So soll er einmal seine Furchtlosigkeit bei einer Schauveranstaltung bewiesen haben, als ein wilder Eber die Umzäunung durchbrach und auf die Tribünen mit den hochedlen Gästen zustürmte. Während die meisten der adligen Damen und Herren erschrocken zur Seite wichen, schrien oder sogar ängstlich die Flucht ergriffen, trat Seine Majestät dem mächtigen Tier entschlossen entgegen und erledigte es mit einem gezielten Stoß seines Degens.

Aber nicht nur aus diesen Gründen genoss der junge Monarch hohes Ansehen, sondern vor allem, weil er gleich zu Beginn seiner Herrschaft in der Schlacht von Marignano bei Mailand einen bedeutenden Sieg errungen hatte. Anlass für den Feldzug waren Erbansprüche der französischen Könige auf italienische Fürstentümer wie Neapel, Venedig oder eben Milano. Schon seine Vorgänger, Karl VIII. und Ludwig XII., hatten südlich der Alpen Krieg geführt, doch ihre Siege waren nicht von langer Dauer gewesen. Zwar hatte man reichlich Beute gemacht, ganze Wagenzüge voller Möbel, Teppiche, Tapisserien, Gold- und Silbergeschirr, Schnitzereien aus Elfenbein, Alabaster, Jade und was sonst noch alles herbeigeschafft, doch die Verluste an Menschen und Material waren gleichfalls hoch gewesen, und die erzwungenen Verträge hielten nicht lange.

Dennoch hatten die zweifelhaften Unternehmungen seiner Vorgänger auch etwas Gutes. Italien bildete in jener Zeit das Zentrum geistigen und kulturellen Aufschwungs. Das Gedankengut der Renaissance, das sich von dort ausbreitete, wurde nach Frankreich herübergebracht, löste mittelalterliche Zwänge, führte auch hier zu freieren Sitten und einem offeneren Blick.

Franz I. stellte sich ganz in diese noch junge Tradition. Er zeigte sich aufgeschlossen für neue Ideen, holte Poeten, Maler und Bildhauer an seinen Hof, förderte die Architektur und die Wissenschaft. Nach seinem Sieg bei Mailand hatte Leonardo da Vinci dem König einen mechanischen Löwen gebaut, der sich vor ihn hinkniete und Lilien, die Blume seines königlichen Wappens, ausstreute. Später holte der Monarch den vielseitigen Künstler an die Loire, genau wie dessen Landsmann Benvenuto Cellini, den berühmten Bildhauer und Goldschmied.

Doch vor allem war der sinnenfreudige König ein Freund der Frauen. Er lud Adlige aus allen Teilen seines Landes nach Amboise ein und versorgte sie mit Pensionen, wenn sie nur ihre hübschen Gattinnen oder Töchter mitbrachten. Er umgab sich mit jungen Schönheiten, seiner „kleinen Bande“, die es als Ehre betrachteten, alleine oder zu mehreren sein Bett zu teilen. Der Venezianer Matteo Dandolo schrieb über ihn, dass er „als großer Jäger sowohl des Wildes als auch der Weiber“ gelte, „freigiebig, was Geschenke an die Damen des Hofes“ angehe. Weniger freundlich fiel dagegen der Kommentar des bekannten französischen Memoirenschreibers Brantôme aus, der anmerkte: „König Franz liebte damals zu unbeherrscht und zu viel; er hatte es bald mit der einen, bald mit einer anderen, denn in jenen Tagen wurde ein Mann nicht als besonders galant angesehen, wenn er nicht wahllos überall herumhurte.“

Die Königin Claude, die nicht gerade hübsch und zudem sehr schüchtern war, fand in seinem freudvollen Alltag weniger Beachtung. Wohl gebar sie ihm eine Reihe von Nachkommen, konnte aber wegen der häufigen Schwangerschaften an vielen Festlichkeiten und Ehrungen nicht teilnehmen. Immerhin wurde eine Pflaume, die Reineclaude, nach ihr benannt.

Man darf Franz vielleicht zugutehalten, dass auch er mit der Ungeliebten – wie seit Jahrhunderten üblich – aus staatspolitischen Gründen verheiratet wurde.

4

Der Graf von Châteaubriand hatte sich nicht getäuscht. Als er dem König seine Aufwartung machte, kam die erwartete Frage. „Ihr seid allein angereist, Monsieur? Ich hoffte, auch Eure bezaubernde Gattin willkommen zu heißen.“

„Sie bittet tausendfach um Vergebung, Sire, und ich mit ihr. Aber Ihr wisst, wie launisch Frauen mitunter sind. Sie brachte es nicht übers Herz, unsere schöne Bretagne zu verlassen.“

„Nicht einmal, um uns ihren Anblick zu gönnen?“ Der König sah ihn scharf an.

Laval wurde unsicher. „Ich bitte erneut um Nachsicht, Sire. Aber ich kann nichts anderes sagen. Sie liebt die Natur, unsere grünen Wälder, die Hügel, Täler, Wiesen. Und nicht zuletzt unser Schloss.“

„Hat man der Gräfin nicht erzählt, wie wundervoll mein Schloss ist? Auch haben meine Baumeister den Auftrag, es zu vergrößern und noch prächtiger zu gestalten.“

Laval merkte, dass seine Ausflüchte den König wenig überzeugten, doch ihm war nichts Besseres eingefallen. Hätte er behaupten sollen, dass Françoise unpässlich sei? Dadurch hätte er nur einen kurzen Aufschub erwirkt, und das genügte ihm nicht.

Laval kam ins Stottern. Selbstverständlich hätte man ihr die Vorzüge von Amboise oder Blois gerühmt und sie überhaupt für die Reise zu gewinnen versucht. Doch die Gemahlin könne, wenn sie etwas nicht wolle, sehr starrköpfig sein.

„Starrköpfig sind wir, wenn es sein muss, gleichfalls.“ Der Herrscher nahm es anscheinend mit Humor. „Nun gut, lassen wir der Gräfin die nötige Zeit.“ Und er fügte hinzu: „Hat man Euch schon Eure Gemächer zugewiesen, Graf? Ich hoffe, dass ich wenigstens auf Euch zählen kann, wenn wir morgen den Hirsch jagen. Bis dahin lebt wohl und erholt Euch von den Strapazen der Reise.“

Er war entlassen. Alles in allem war er glimpflich davongekommen, und auch das Gespräch war günstig verlaufen; er war sich nicht einmal mehr sicher, ob das Interesse des Königs an seiner Frau über die normale Neugierde hinausging. Wiewohl der Herrscher ja andererseits darauf verwiesen hatte, dass auch er hartnäckig sein konnte. Der Graf nahm sich vor, abzuwarten und die Augen offen zu halten.

Doch er hatte sich getäuscht, denn Franz I. war durchaus an der dunkelhaarigen Schönheit interessiert. Nichts gegen die koketten Blondinen um ihn herum, aber ein wenig Abwechslung tat bisweilen not. Dass sich die Dame weigerte, an seinen Hof zu kommen, reizte ihn umso mehr.

Der König beschloss, der Gräfin von Châteaubriand ein persönliches Schreiben zu schicken, und zweifelte nicht daran, dass sie nun seinem Wunsch folgen würde. Doch auch von ihr erhielt er eine höfliche Ablehnung. Des Herrschers Verwunderung wuchs. Laval, der es nicht anders erwartet hatte, rieb sich die Hände, und die Höflinge begannen, das Spiel mit Anteilnahme zu verfolgen. Das da konnte spannend werden.

Franz I. sah sich bei seiner Ehre gepackt. Er begriff, dass Laval ihn an der Nase herumführte – wahrscheinlich gab es zwischen den Eheleuten eine Verabredung. Aber welche? Man musste an die Lakaien des Grafen herantreten, um mehr zu erfahren. Er beauftragte seine Dienstboten, sich umzuhören. Zunächst ohne Erfolg, das Personal seines Gastes behauptete, nichts über ein Abkommen zu wissen. Bis die Horcher herausbekamen, dass ein Vertrauter des Grafen offenbar doch eingeweiht war.

Man darf sich den königlichen Hof zu Beginn des 16. Jahrhunderts durchaus als eine Art Bienenstock vorstellen, in dem es von Edelleuten unterschiedlicher Couleur, von oft noch jungen Chevaliers, Comtes, Ducs und den dazugehörigen hübschen oder auch weniger hübschen Hofdamen wimmelte. Noch größer war die Zahl der Diener, der Leibwächter und Kammerherren, der Köche, Gärtner, Wildheger, Falkner, Pferdeknechte, Hundehüter, unzähliger Beauftragter für Leib-, Tisch- und Bettwäsche, für den Schmuck oder die Teppiche. Es gab Zofen, Wäscherinnen, Näherinnen, Zimmer- und Kindermädchen. Dazu kamen mehrere Chirurgen und sonstige Ärzte, zahlreiche Beichtväter – zwei allein für den König –, Priester, Musiker, Tanzlehrer, Maler und sogar Architekten. Die Edelleute, die am Hofe zu Gast waren, brachten ihr eigenes Personal mit, und schließlich gab es die Händler und Bauern, die aus den umliegenden Städten und Dörfern kamen, um ihre Waren anzubieten. In diesem riesigen Taubenschlag, wo jeder seine Stellung behaupten, mit seinem Stand glänzen, seinen Reichtum zeigen wollte, war mit Geld fast alles zu erreichen.

Weshalb es nicht verwundert, dass auch das Geheimnis der Eheleute Laval letztendlich enthüllt wurde. Zwar brauchte man einige Zeit und gewiss etliche Goldstücke, um den Diener zur Preisgabe seines Wissens zu bewegen, am Ende jedoch verriet er seinen Herrn. Während sich der Graf noch ganz und gar in Sicherheit wiegte, den Ring für wohlverwahrt hielt, war schon eine zweite Kopie in Arbeit. Der Mann, dem er vertraute, hatte das wertvolle Schmuckstück kurzzeitig ausgeliehen, so dass der Goldschmied es originalgetreu nachbilden konnte.

Der nächsten Einladung war der Ring beigefügt, und nun hatte Françoise keinen Grund mehr, zu Hause zu versauern. Ihr Mann glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als sie am Hof erschien. Doch er konnte seiner Gemahlin keine Vorwürfe machen, musste der Entwicklung ihren Lauf lassen.