Bernhard Hoëcker, 1970 in Neustadt a.d. Weinstraße gestartet, sammelte nach dem Umweg über ein Volkswirtschafts-Studium seine ersten Comedy-Erfahrungen auf der Bühne. Er ist einer der bekanntesten Comedians im deutschen TV und hat neben vielen anderen Souvenirs auch den Deutschen Fernsehpreis und den Deutschen Comedypreis mit nach Hause genommen – fehlt nur noch der Goldene Kiwi.
Tobias Zimmermann, 1975 im Sauerland geborener Reisejunkie, lebt mit seiner Familie in Köln. Der studierte Musikethnologe, Besserwisser und Fernlandforscher ist für verschiedene Redaktionen tätig und bereits zum dritten Mal Bernhard Hoëckers Co-Autor.
AM SCHÖNSTEN
ARSCH
DER WELT
Bekenntnisse eines Neuseelandreisenden
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2012 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dr. Matthias Auer, Aulo Verlagsservice
Fotos im Innenteil:
Seite 14, 30, 50, 83, 103, 155, 188, 202, 208, 210, 215, 225, 235,
237, 241, 243, 244, 258, 259, 271 © Bernhard Hoëcker;
Seite 52, 55, 62, 82, 98, 104, 121, 128, 130, 134, 142, 148, 179,
182, 208, 231, 273, 277, 279, 283, 287, 295 © Renate Dittmann;
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Illustrationen im Innenteil: © Volker Dornemann, außer Seite 56 unbekannter Urheber via Wikipedia und Seite 89 unbekannter Urheber via www.nzetc.victoria.ac.nz
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Im Jahr 2011 traf es sich, dass einige findige Neuseeländer in Deutschland für ihr Land werben wollten. Man kam auf mich als Testimonial. Erst war mir nicht klar, warum. Aber dann erinnerte ich mich, dass ein Schulkamerad im Auswärtigen Dienst unseres Landes tätig ist. Dessen Frau unterrichtet Kinder in Botswana und hat dort eine argentinische Kollegin, deren Bruder in São Paulo an der neuseeländischen Botschaft arbeitet. Von dort ist es nicht mehr weit nach Wellington. Meine Abenteuerlust, auf dem letzten Stufentreffen Thema, wird er weitergegeben haben, und ein Mitarbeiter im dortigen Ministerium für Tourismus bekam Wind davon.
Oder die von den Neuseeländern beauftragte deutsche Werbeagentur hat den deutschen Prominentenmarkt erforscht. … Aber das halte ich für unwahrscheinlich.
Nach Neuseeland zu reisen, war schon immer ein Traum von mir, daher musste ich nicht lange nachdenken und sagte zu.
Ich ging davon aus, dass die ganze Kampagne, vor Ort gedreht würde. Der gesunde Menschenverstand brachte mich zu dem Schluss, dass man bei Werbung für so etwas wie einen Schokoriegel nicht dorthin reisen muss, wo Kakao angebaut wird. Den könnte man mir auch bequem vor die Haustür schütten. Aber mit einem Land geht das nicht so einfach … Ich musste also hin.
Es war eine Internet-Werbekampagne geplant, bei der die Besucher einer Website erst Vorschläge über Ziele und Aufgaben machen konnten, und sich anschließend für jeden Tag aus drei dieser Vorschläge durch Abstimmung ein Ziel ergab. Die Idee war, dass ich durchs Land reisen und – während ich so von Ort zu Ort, von Aufgabe zu Aufgabe tingelte – Neuseeland von möglichst vielen Seiten zeigen würde.
Das war eine Art des Reisens, die ich mir sehr gut vorstellen konnte. Schon immer bin ich gerne mit anderen unterwegs gewesen und ließ mich dabei von deren Ideen treiben, aber ein ganzes Land so zu erleben, das war noch eine Spur ausgefallener und damit spannender.
Ich liebe die Improvisation auf der Bühne – und erst recht im wahren Leben. Da ich weder an göttliche Vorsehung noch ans Schicksal oder eine andere Art von Vorbestimmung glaube, sondern den Zufall als essenziellen Bestandteil unseres Daseins sehe, war ich von der Idee der Werbeagentur also sehr angetan. Es reizte mich, dass so wenig Planung wie nur irgend möglich bei diesem Projekt vorgesehen war. Damit rannten die Werbemenschen bei mir offene Türen ein – auch wenn es zu jeder »spontanen« Idee ein mehrseitiges Paper gab, in dem alle möglichen Zufälle aufgeführt waren.
Ich halte es mit anderen Dingen auch so: Eines der Bücher, die ich gerade lese, sollte immer eines sein, das ich niemals selbst aussuchen würde.
Bis zur Abfahrt war noch viel zu tun. So fand etwa ein Fotoshooting statt, mit dessen Bildern die Internetwerbebanner gestaltet werden sollten.
Unterdessen starteten wir ein Gewinnspiel, bei dem die Besucher der Website Vorschläge für meine Aufgaben einreichen konnten. Diese kommentierte ich in einem Video- Blog.
Insgesamt kamen mehrere Tausend Vorschläge zusammen, die erst einmal sortiert werden mussten .
Erstens nach moralischer Machbarkeit: Wenn da ein Vorschlag lautete: »Laufe nackt durch Auckland und teste die Toleranz der Kiwis«, dann wurde das als moralisch zweifelhaft gestrichen.
Ein zweites Kriterium für die Beurteilung der Vorschläge war die technische Machbarkeit: »Absolviere einen Bungee-Sprung, aber ohne Gummiseil!«
Okay, machbar war das, aber wollte man danach Bilder von mir sehen?
Es gab auch Vorschläge, die wir aufgrund der zeitlichen Begrenzung der Reise leider verwerfen mussten, wie den folgenden: »Nimm dir ein Kanu und fahre einmal um die Nordinsel.«
Es sollte eben alles an einem Tag zu schaffen sein.
Die verbliebenen Vorschläge wurden als eine Art Ortswolke über die Karte gelegt, auf der neun markante Basisorte ausgewählt wurden. Letztendlich blieben drei Vorschläge pro Tag und Camp übrig. Diese standen dann 24 Stunden zur Abstimmung, und wir erfuhren um 12h mittags (Ortszeit), für welchen Vorschlag sich die User in Deutschland entschieden hatten.
Im Oktober war es endlich so weit, und das Team für die Neuseelandreise wurde aufgestellt:
Ich, das war, beziehungsweise bin ich.
Renate, die als meine persönliche Agentin arbeitet und mich begleiten sollte. Damit war sie helfende Hand und Fahrerin, kümmerte sich um Maske und Kostüm und war eigentlich immer zur Stelle, wenn Hilfe gebraucht wurde. Außerdem hatte sie für alle im Team ein offenes Ohr. Tommy, der als Regisseur mitkam, um in Bild und Ton zu beweisen, dass ich die gestellten Aufgaben auch erfüllt hatte. Er besitzt einen sehr schrägen Humor, der mir sehr entgegenkommt. Gleichzeitig kann er auf unvergleichlich spontane Weise visuell Geschichten erzählen.
Alex, der Kameramann, der mit stoischer Ruhe alles filmen würde, auf das Tommy zeigte.
Elke, die als Werberin überhaupt erst auf die Idee gekommen war, diesen Neuseelandtrip mit mir umzusetzen. Sie würde ständig an ihrem Laptop sitzen, um jeden Geistesblitz sofort in die Elektronik einzufüttern.
Jakob, der ebenfalls in der Kreativabteilung der Werbeagentur sein Geld verdiente und meist eine der kleineren Kameras führte, um hier und da noch ein Detail einzufangen. Außerdem brachte er sich ständig mit neuen Ideen ein, die Tommy sehr zupass kamen, weil er sie dann als seine eigenen verkaufen konnte.
Claudia, die sich als Produktionsleiterin mit voller Energie auf die Organisation von Buchhaltung, Drehgenehmigungen und Logistik werfen würde.
Dann war noch Katie dabei: Als Mitarbeiterin von »Travel New Zealand« war sie der »Kunde« in persona und wachte mit Argusaugen darüber, dass die Ausführung unseres Auftrags zum Wohle ihres Landes geschah.
Und zu guter Letzt gehörte natürlich auch Tobi mit zum Team, der seit Langem mein Co-Autor, Techniker und Wissenslexikon zum Anzapfen ist. Leider konnte ich ihn nicht mit nach Neuseeland nehmen, da die Größe der Gruppe begrenzt war – und da ich eh schon zu viel Handgepäck dabeihatte, sah ich auch keine praktikable Möglichkeit, ihn mit zu schmuggeln. Aber im Geiste nahm ich ihn mit. Wir hatten schon so viele gemeinsame Touren hinter uns, dass mir seine fundierten Erklärungen und wortreichen Ermunterungen eigentlich immer im Ohr klingen.
Deshalb war ich auch sehr gespannt, ob er was zu meinem Reisebericht zu sagen hat. Und das hatte er.
ndlich ist es so weit! Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet. Neuseeland war immer schon mein Wunschziel, und nun bin ich da. Und es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte: Eine flauschige weiße Wolke steht am sonst azurblauen Himmel. Am Horizont kann ich Berge erkennen; schroffe Felsen, deren Spitzen mit Schnee bedeckt sind, recken sich gen Himmel. Davor ein See, auf dem ein paar Boote ihre Segel gehisst haben. Am rechten Ufer entdecke ich einige Maori, die vor einem ehrwürdigen, alten Versammlungshaus miteinander reden. Auf der linken Seite zieht sich ein unbeschreiblich grüner Wald den Berghang hinauf. So viele verschiedene Pflanzen habe ich noch nie auf einem Fleck gesehen! Vögel drehen ihre Kreise über dem dichten Blätterdach. Ich staune andächtig, der Anblick nimmt mich für einen Augenblick vollkommen gefangen. Ja, so schön ist Neuseeland.
Zumindest auf dem Bild direkt vor mir in der Ankunftshalle des Flughafens in Auckland.
Seit Wochen warte ich darauf, diese Landschaft zu sehen, diese Luft zu atmen, fremde Laute zu hören, lokale Spezialitäten zu kosten. Das Erste, was meine Ohren vernahmen, war jedoch die Lautsprecherdurchsage des Flugkapitäns nach der Landung, der erste Geruch das körpereigene Odeur von zwanzig Passagieren, die sich nach zehn Stunden Flug neben mir die Gangway hinunterbewegen. Das Erste, was ich schmecke, ist, ehrlich gesagt … nichts. Weil mein Mund nach 24 Stunden Klimaanlage so trocken ist wie ein drei Jahre altes Puddingteilchen. Und das Erste, was ich sehe, ist ein Hai. Direkt und in Überlebensgröße hängt er am Ausgang des Flughafens. Hätte es kein knuffiger Kiwi oder drolliger Pinguin sein können?
Zu mehr bin ich noch nicht in der Lage, denn es kommt mir vor, als ob mein ganzer Körper in Aufruhr wäre. Es drückt und ziept nach dem langen Flug allerorten, und ich habe das Gefühl, dass mein Gehirn »Voran, voran!« schreit, während meine Beine viel zu schwer sind, um sich überhaupt in Bewegung zu setzen. Und meine Augenlider scheinen mit diesen kleinen Edelstahlgewichten in Form bunter Früchte behängt zu sein, die meine Mutter gern im Sommer an die Tischdecke des Gartentischs klippste, um diese mit sanfter Kraft gen Erdmittelpunkt zu ziehen.
Trotz des nasskalten Novembers, der Köln meteorologisch von der nördlichsten Stadt Italiens in die südlichste Metropole Norwegens verwandelt, wird mir ganz warm ums Herz, wenn ich deinen Bericht von der sommerlichen Rückseite der Erde verfolge, Bernhard.
Ich gebe reumütig zu: Tief drinnen versetzte es mir einen kleinen Stich, dich ohne meine treusorgende Begleitung ziehen zu lassen.
Mitten in der aufkeimenden Verzweiflung hatte ich noch versucht, mich als unverzichtbaren geisteswissenschaftlichen Beirat ins Neuseeland-Team zu befördern. Leider vermochte ich als nächstliegende Referenz nur auf meine musikethnologischen Arbeiten zum Thema mongolischer Epengesang zu verweisen, weswegen wohl niemand der verantwortlichen Marketing-Experten ein Budget für diese Position zur Verfügung stellen wollte. Bei allem Eifer hatte ich mich wohl unzureichend auf die zentrale Frage »Wofür?« vorbereitet.
Nachdem wir gemeinsam die Weltmeere durchschifft haben, mit einem Haufen Altmetall auf Rädern gen Orient gecruist sind und auch jüngst dem Hindukusch unsere Aufwartung machten, bleibt mir also bei dieser Exkursion nur der Blick ins Logbuch deiner Reise. Danke, dass du mich auf diesem Weg teilhaben lässt an deinem Abstecher in die Welt der Kiwis, Schafe, Hobbits und Werbeindustrie.
Apropos, was musste ich da in deinen ersten Zeilen lesen? An deinen Augen hingen Gewichte? Habt ihr versehentlich bei der CIA eingecheckt und seid mit Stopover Guantanamo Bay geflogen?
Ich gebe zu, dass die Müdigkeit mir nicht die Möglichkeit ließ, meine Gefühle in passende Worte zu kleiden. Aber natürlich baumelten an meinen Augen keine Gewichte herum. Dennoch fühlte es sich schon gegen Ende des Fluges so an. Vielleicht war auch einfach nur die Sensorik extrem sensibel und registrierte jeden kleinen Fehler. So wurde bereits das Zerbeißen der linken Zungenseite beim zweiten Tomatensalat über der Tasmanischen See zu einer äußerst schmerzhaften Erfahrung.
Das für deine Verhältnisse ungewohnt fleischabstinente Verkosten von Nachtschattengewächsen zehn Kilometer über dem Pazifik zwischen Australien und Neuseeland gibt mir die Gelegenheit, kurz darauf hinzuweisen, dass die Tasmansee namentlich an den Seefahrer Abel Tasman erinnert. Der Holländer war dort bereits in den Jahren 1642 und 1643 unterwegs und entdeckte neben Neuseeland auch Tasmanien. Er setzte allerdings nur an einem einzigen Tag den Fuß auf neuseeländischen Boden. Versuche, sich den Maori höflich vorzustellen und ganz nebenbei die Möglichkeiten einer schnellen Okkupation auszuloten, scheiterten und wurden von diesen mit der Massakrierung von vier niederländischen Matrosen beantwortet. Infolge dessen beschränkte sich Abel Tasman auf die Kartografierung von der sicheren See aus. Danach war erst mal 123 Jahre Sense mit europäischem Besuch auf Aotearoa. Der nächste und wagemutigere Entdecker kam mit der »Endeavour« längsseits gesegelt: Kapitän James Cook.
Am Flughafen wollen wir eigentlich schnellstmöglich durch die Passkontrolle und zum Gepäckband. Wie ich weiß, werden wir danach draußen in der Empfangshalle des Auckland International Airport von der Dame empfangen werden, die unsere Ansprechpartnerin im Land ist. Sie würde uns die zwanzig Kilometer in die Stadt hineinfahren, mit uns einige Besorgungen erledigen und dann 230 Kilometer weiter nach Paihia fahren, wo unsere erste Unterkunft liegt. Und das ist es, worauf ich mich freue, denn wie gesagt bin ich unglaublich gespannt darauf, das Land hinter den Flughafenmauern zu sehen, um herauszufinden, ob es so ist, wie ich mir es vorgestellt habe: Hobbits und Schafherden, Maoris mit Speeren und ein Segelschoner, der vor der Küste ankert.
Aber noch bevor wir so etwas wie eine Schlange am Einreiseschalter bilden können, werden wir erst einmal von den Zollbeamten aus der Gruppe der Fluggäste herausgefischt. Zu viel aufwändig aussehendes Gepäck: Koffer, versehen mit bunten Klebebändern, eine große Rolle fürs Stativ, eine kleine Tasche für Akkus, noch ein Koffer für Lampen, ein anderer für die Tonaufnahmegeräte. Um dem Kameramann kein Übergepäck aufzubürden, läuft das ganze technische Gepäck über die Tickets der gesamten Gruppe und so hat jeder neben den üblichen Reisetaschen und Handgepäckstücken einige technische Utensilien dabei.
Dennoch wird nur Kameramann Alex als Verantwortlicher abgeführt.
Von Zollbeamtinnen.
In meinem nächsten Leben will ich Kameramann werden.
Im Gegensatz zu dem, was man allseits über Erfahrungen bei Grenzübertritten in die Vereinigten Staaten hört, haben wir es hier mit sehr freundlichen Mitarbeitern des Staatsdienstes zu tun. Und von den elf Personen in Uniform sind neun weiblichen Geschlechts.
In meinem nächsten Leben möchte ich dann doch lieber direkt Zollbeamter in Neuseeland werden.
Vielleicht habe ich auch besonderes Glück und komme dort in die Abteilung für Schuhsohlenreinigungsfachsachbearbeiter – so wie der Mann, der zur größten Herausforderung unserer Einreise werden sollte.
Denn nachdem das Röntgengerät die zwischen Unterhose und Netzwerkadapter verpackten Wanderlatschen in Renates Rucksack herausgefiltert hat, muss ich sie sofort auspacken.
Als ich die Schuhe sehe, erinnere ich mich wieder daran, dass Renate und ich noch im Flugzeug über sie gesprochen hatten.
Mit dem Einreiseformular in der Hand habe ich mich in den Gang gelehnt, um die hinter mir sitzende Renate akustisch zu erreichen.
»Ich hab hier bei ›Do you have hiking-shoes?‹ jetzt mal ›nein‹ angekreuzt«, vergewisserte ich mich. »Die sind ja bei dir im Rucksack.«
»Ich hab hier bei ›Do you have hiking-shoes« auch ›nein‹ angekreuzt«, antwortete sie. »Weißt du, wenn du einmal ›ja‹ sagst, musst du dauernd Sachen erklären. Kriegt eh keiner mit, und es geht dann schneller.«
Während ihr Wort »erklären« in der Erinnerung mit dem Echo »… klären … klären … klären« in meinem Kopf verhallt, werde ich plötzlich des Schildes gewahr, das 400 Neuseeland-Dollar als Strafe für falsch deklarierte Einreisegüter anbietet.
Der Mann hinter dem Durchleuchtungsgerät wirft einen genauen und wenig später sogar tiefschürfenden Blick auf mein Profil. Also das meiner Schuhe. Er findet ein kleines Stück Lehm. Und das ist strengstens verboten.
Natürlich hatte ich die Schuhe im Vorfeld bereits benutzt. Alleine schon deswegen, weil ich aus Gründen der Bequemlichkeit das ganze Jahr über in Wanderschuhen herumlaufen könnte.
Ein paar Tage vor Antritt der Reise hatte ich meine Lieblingsfußbedeckung schweren Herzens Renate ausgehändigt, weil sie mich darum bat. Da sie auf dieser Reise nicht nur meine Agentin, sondern auch meine persönliche Begleitung ist, verlasse ich mich vollkommen auf sie.
Ich neige dazu, mein Leben hin und wieder aus den Augen zu verlieren, und so ist es sehr gut, jemanden an meiner Seite zu wissen, der alles unter Kontrolle hat. Das fängt bei so Dingen an wie Terminen, geht weiter bei Telefonnummern, Adressen und Zeitplanungen, und bei diesem Projekt bis hin zur Gesichtsretusche. Sprich: Sie kümmert sich um die Maske, also pudern, abdecken und entglänzen. Und natürlich darum, meine Garderobe und das Styling zu organisieren. Außerdem ist Renate für Erinnerungen à la »Denkst du an xyz?« zuständig. Dabei ist »xyz« durch alles Mögliche zu ersetzen wie: »das Interview geben«, »den Hund füttern« oder »Tobi abholen«.
Leider hat sie im Falle meiner Treter das »xyz« nur durch »die Schuhe vorher mir geben« ersetzt und dabei vergessen »aber vorher sauber machen« zu sagen. So kamen die Volllederwanderletten in den Genuss ihrer persönlichen Reinigung, als ihr auffiel, dass sich noch der ein oder andere Krümel Erde auf den Sohlen befand.
Ein kleines Stück europäischen Erdbodens muss ihr dabei entgangen sein. Versteckte es sich doch knapp unterhalb des linken Ballens.
»MMMhhhh…«, murmelt der Mann in Uniform. »Maybe there is a plant …«
Stirnrunzelnd nimmt er den Schuh unter die Lupe, um ihn auf Pflanzenreste zu untersuchen. So genau habe ich mir die Fußbekleidung noch nie angesehen, und ich hoffe, dass der Hersteller keine geheimen Botschaften in Schuhsohlen versteckt. Wer weiß, auf welch schräge Ideen Illuminaten so kommen.
»Yes, maybe there are plants«, sagt er noch einmal und blickt vom Schuh hoch.
Ich begreife nicht vollständig, welcher Setzling auf solch engem Raum eine Heimat finden könnte.
»I have to clean it«, sagt er.
Dann geht er mit dem Schuh in den hinteren Bereich der Zollkontrolle und beugt sich mit ihm über eine Mülltonne. Aus der Entfernung sehe ich, wie er mit spitzen Fingern die drei deutschen Sandkrumen herauspopelt.
Als er zurückkommt, sagt er freundlich, das habe er gerne gemacht und die 400 Neuseeland-Dollar seien dann fällig.
Also, normalerweise. Heute habe er aber seinen »I-Like-Germans-Day«.
Wir lachen, und ich bin froh, diese erste Klippe umschifft zu haben.
Nachdem es mir ausgesprochen merkwürdig vorkam, dass der Neuseeländer Zölle auf dein gebrauchtes Wanderschuhwerk erhebt, das (wie ich weiß) seinem Gesamtzustand nach zu urteilen auch dem Ötzi gehört haben könnte, musste ich erst einmal gründlich im Netz recherchieren, um diesen Teil deines Berichts in seiner Gesamtheit zu erfassen. In Wirklichkeit geht es wohl vielmehr um den Schutz der heimischen Fauna vor fiesen Zivilisationskrankheiten wie der Maul- und Klauenseuche. Zeitgemäß reist der gemeine Virus heutzutage offensichtlich lieber mit dem Flugzeug, heimelig eingekuschelt im Profil land- und forstwirtschaftlich kontaminierter Besohlung, anstatt sich in verlottertem Nagegetier auf eine längere Schiffsreise zu begeben.
Geschafft, alle haben die Pass- und Zollkontrolle hinter sich. Alex mit dem Kamera-Equipment, ich mit den Schuhen und Renate mit mir. Hinter uns her juckeln Jakob und Claudia von der Werbeagentur, die ganz brav und mit einem beständigen Lächeln im Gesicht überall gewartet haben. Vor dem Ausgang treffen wir auf Tommy, unseren Regisseur, der bereits einen Tag zuvor angereist ist. Mit ihm haben wir einen kreativen Mann im Team, der schon große Fernsehproduktionen gemeistert und die Größten der Branche vor der Kamera hatte: Chili das Schaf, Briegel der Busch und Bernd das Brot.
Tommy hatten wir kurz zuvor schon fast abgeschrieben, denn er hätte um ein Haar gar nicht ins Land einreisen dürfen. Diese Schreckensnachricht hatte uns – gepriesen sei der Flughafen-Hotspot – bereits beim Zwischenstopp in Singapur auf den mobilen Endgeräten erreicht:
Von: Tommy Krappweis
An: Bernhard Hoecker
[bernhardinneuseeland@bernhardhoecker.de]
Gesendet: Dienstag, 1. November 2011 16:12
Es ist immens wichtig, dass ihr Jungs und Mädels sehr klar wisst, was ihr in Neuseeland zu tun beabsichtigt. Nicht, damit ihr wisst, was ihr hier tut, sondern damit die Kollegen des hiesigen Bundesgrenzschutzpolizeidingens das wissen.
Ich habe nämlich mit diesen Kollegen eine laaange Zeit verbracht – einfach nur aufgrund der Tatsache, dass man auf dem Einwanderungszettelchen als Zweck der Einreise »vacation« oder »work« ankreuzen kann.
Ich habe »vacation« angekreuzt, aber nicht damit gerechnet, dass der Beamte an der Passkontrolle mir die Frage stellen würde: »So, wo geht’s denn für Sie von hier aus hin und was machen Sie dann dort, Thomas?«
»… hmmmweißnochnichsogenau …«, antwortete ich überrumpelt.
Angesichts unseres Konzeptes ist das ja auch die Wahrheit, aber er musste das natürlich komplett anders verstehen. Ab ging’s zum Verhör.
Erst einmal blieb ich bei der Behauptung, ich sei hier, um »vacation« zu machen. Schließlich wusste ich ja nicht, ob es mein Problem vergrößerte, wenn herauskäme, dass ich unsere Arbeit in Neuseeland verheimlicht hatte. Andererseits konnte ich auch nichts Substanzielles über den launigen »holiday trip« erzählen, den ich mit meinem Kreuzchen bei »vacation« vorgeschoben hatte. Genauso wenig konnte ich eine Urlaubsanschrift nennen, geschweige denn einen Ort, den ich aufzusuchen begehrte, noch was ich mir dort ansehen würde oder was mich überhaupt an Neuseeland interessiert. Wer mich kennt, der weiß, dass mich gar nichts interessiert, weil ich einfach kein neugieriger oder wissbegieriger Mensch bin. Ich will arbeiten und dabei Spaß haben. Alles andere ist mir egal.
Dann fragte mich der Verhörkollege, wie ich mich eigentlich im Land fortbewegen wolle. Darüber hatte ich mir natürlich keine Gedanken gemacht, weil ich ja nicht wirklich auf Urlaubsreise war.
Also erzählte ich ihm, dass ich beabsichtige zu fliegen, entweder mit Flugzeug oder Helikopter, und natürlich auch mal mit dem Zug. Spätestens nach dieser Aufzählung angeblich flugfähiger Verkehrsmittel hielt mich der Mann für a) einen Halbidioten, b) einen Lügner oder c) gefährlich. Bin ich alles nicht, wobei ich mir bei a) seit der Befragung nicht mehr so sicher bin. Auf jeden Fall war ich d) müde.
Und in diesem Zustand begann ich diese bizarre Situation sogar zu genießen. Also nicht wirklich. Aber das Ganze kam mir auf einmal so absurd vor, dass ich lachen musste. Das war jedoch der Situation nicht dienlich. Im Gegenteil. Das brachte den Beamten auf eine weitere Möglichkeit: e) Drogenmissbrauch meinerseits.
Es war meiner Lage jedenfalls nicht dienlich, dass ich anfing zu lachen, oh nein, ganz im Gegenteil. Denn die einzig stichhaltige Erklärung für mein Verhalten war nun: Drogenmissbrauch.
Nun ja, die Vacation-Geschichte wurde immer dünner, und so gab ich sie schließlich schweren Herzens auf. Nach einer aufrichtigen Entschuldigung bemühte ich mich dann nach Kräften zu erklären, warum ich wirklich hier war.
Das jedoch klang für den armen Kerl in der Uniform noch viel unglaubwürdiger als meine bisherigen Lügenkonstrukte.
Nach einer ziemlich langen Pause sah er mich an und sprach dann langsam und ohne zu blinzeln, was mich durchaus beeindruckte.
»Okay, Thomas. Sie wollen mir erzählen, dass Sie einen ›deutschen Comedian‹ … filmen … während er … quer durch unser Land ›gevoted‹ wird? Können Sie das beweisen? Und wenn das alles seit einem Jahr geplant wurde, warum ist Ihr Flug erst vor wenigen Tagen gebucht worden? Ich meine, was für eine Art von ›Organisation‹ ist das denn bitte?«
Ich erzählte ihm, warum wir den Flug so oft hatten verschieben und neu buchen müssen und dass ich Probleme mit meinem Reisepass gehabt hatte. Spätestens dabei muss dem Beamten aufgegangen sein, dass er vor dem fleischgewordenen Verhör-Albtraum saß.
Da ich ja weder einen Drehplan noch das Konzept in Papierform bei mir trug und im Verhörzimmer mein Handy nicht benutzen durfte, war ich nicht in der Lage, meine Behauptungen durch Daten zu untermauern.
Und ich war inzwischen so müde, dass ich in einen tiefen Schlaf fiel, während mehrere Beamte sich um einen Laptop scharten, um dort auf meine mehrfachen Buchstabierversuche hin nach Bernart Hoceckker zu googeln, der New Zealand besucht.
Nachdem sie Bernhard endlich im Netz gefunden und mein Gepäck gründlich mit allen möglichen Geräten durchleuchtet hatten, um doch noch eventuell Verbotenes zu finden, erklärte mir ein freundlicher Sicherheitsangestellter, dass ich das Kreuzchen doch richtig gesetzt hatte. »Work« wäre nur dann zutreffend, wenn ich das Geld direkt in Neuseeland verdient hätte.
Aha.
Außerdem gab man mir mit auf den Weg, dass das Hobbit-Set nicht weit sei, und ich solle doch auf jeden Fall irgendwas dort filmen. Sei toll da. Echt. Amazing. Marvellous. Brilliant.
Nachdem das ausgestanden ist, bleibt mir vorerst nur eines zu tun: Ich werde endlich schlafen gehen.
Neben Tommy, der inzwischen einigermaßen ausgeruht aussieht, steht eine junge Frau. Das muss die Mitarbeiterin des neuseeländischen Tourismusverbands sein. Sie scheint sehr nett, begrüßt uns freundlich in gemächlichem Englisch, damit wir sie verstehen können. Ich kann aus später noch zu nennenden Gründen an dieser Stelle nicht verantworten, ihren Namen zu nennen. Nur so viel: Sie hat lange Haare, und diese sind nicht blond.
»You won sam Fashing Chaps?«, fragt sie dann freundlich.
Leichte Verwirrung macht sich in der Runde breit. Okay, zwei von uns kommen aus Köln, aber direkt mit dieser Faschingsnummer um die Ecke zu biegen, finde ich dann doch zu direkt. Und was sollen wir mit arschfreien Beinkleidern fürs Reiten? Wir fragen nach.
»No, Fashing Chaps!«, sagt sie geduldig.
Hm… irgendwie hat die Wiederholung nicht zu mehr Information innerhalb des Aussagekomplexes geführt.
Doch zum Glück haben wir jemanden dabei, der sprachlich Erste Hilfe leisten kann: Katie. Obwohl erst 24 Jahre alt, ist sie als Mitarbeiterin des neuseeländischen Tourismusverbandes mit unserem Reisevorhaben betraut, was bedeutet, dass sie jede Bildeinstellung und jedes Wort über Neuseeland mit skeptischem Blick überwachen soll. Außerdem hat sie ständig ein Handy am Ohr, um die Logistik des gesamten Unterfangens zu regeln.
Jetzt allerdings nicht. Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht erwartete auch sie uns bereits und kann nun die Worte der anonymen Langhaarigen sofort übersetzen. Damit wird neuseeländisches Englisch zu verständlichem Englisch:
»Fish and Chips!«, erklärt Katie und verschränkt die Arme vor der Brust.
Somit wissen wir, dass es ihr nicht ums alberne Verkleiden geht, sondern dass sie sich Sorgen um unser leibliches Wohl macht. Wir lehnen dankend ab.
Dann sagt Renate, dass es aber sehr schön sei, hier in Aotearoa. »What?«, sagt die Anonymisierte.
»Aotearoa!«, wiederholt Renate
Der neuseeländische Blick zeigt sehr viel Unverständnis, das schon fast Bedauern mit den »armen Deutschen« ausdrückt.
Aotearoa ist der Maori-Name für Neuseeland. Zumindest der unter den Maori wohl am weitesten verbreitete. In deren Mythologie entdeckte die Tochter des legendären Stammesfürsten Kupe am Horizont ein weißes Etwas, als sie mit ihrem Vater im Schiff auf Entdeckungsreise war. Sie erhob die Stimme und rief: »He, ao! He, ao!« Was so viel bedeuten sollte wie: »Eine Wolke, eine Wolke!« Also bildete sie sich vermutlich zwei Wolken ein. Gut, nach langer Zeit auf See fällt es einem wahrscheinlich schwer, Dinge als das wahrzunehmen, was sie sind. In Wahrheit hatte sie nämlich statt zwei Wolken eine Insel erspäht: die Great Barrier Insel, heute noch Aotea genannt, was wiederum »weiße Wolke« bedeutet.
Dieses Wissen hätte ich bei einer Mitarbeiterin der neuseeländischen Tourismusbranche eigentlich als bekannt vorausgesetzt, insbesondere, da sie, wie wir kurz zuvor erfahren haben, aus Auckland stammt, das nur knapp 90 Kilometer von der Great Barrier Insel entfernt ist.
Wir verzichten auf Nachfragen und begeben uns zu den fahrbaren Untersätzen, die zu unserem neuen Fuhrpark gehören.
Für den gesamten Aufenthalt haben wir ein Wohnmobil und ein normales Auto zur Verfügung. Ersteres, um auf längeren Strecken halbwegs bequem unterwegs sein und arbeiten zu können, das andere, um Mobilität höheren Grades zu erreichen.
Renate steigt mit Elke, der Werberin, die sich diese ganze Kampagne ausgedacht hat, und der immer lächelnden Claudia, die für die Aufnahmeleitung vor Ort verantwortlich ist, ins Wohnmobil, mit dem sie ein paar Besorgungen machen wollen: Lebensmittel, Getränke und was man sonst noch so unterwegs braucht. Die langhaarige Neuseeländerin (ich halte sie bewusst immer noch anonym, um ihre Persönlichkeitsrechte zu schützen!) schickt sich unterdessen an, noch etwas zu tun, das sie nicht beherrscht. Autofahren. Das allerdings ahnen Tommy, Katie, Alex und ich noch nicht, als wir zu ihr in den Schicksalswagen steigen. Wir wollen ins Stadtzentrum fahren, um einen Kostümverleih aufzusuchen.
Das macht mich glücklich. Selbst in der Ferne bleibst du deinen rheinischen Wurzeln treu. Die erste Anlaufstelle ist nicht etwa ein maorischer Kulturverein, sondern das örtliche »Rent a Faschingskostüm«. Herrlich! Hattest du gar die Absicht, den Menschen auf der anderen Seite der Erde deine Vorlieben für karnevalistisches Brauchtum nahezubringen und hast nur dein Lappenclown-Kostüm in der Heimat vergessen? Oder war es deine Absicht, dir schon mal für den nächsten Rosenmontagsumzug ein Maori-Kostüm zu besorgen? Fellumhang, Spucke-Tattoo fürs Gesicht und Plastik-Speer. Das ist doch eine dieser wundervollen Traditionen in eurem Karneval, die sich mir als narrenfern sozialisiertem Mitglied der Gesellschaft nur schleppend vermitteln: sich stilsicher als wilde Eingeborene maskieren und simultan vier Tage Komasaufen. Drei Mal Aotearoa Alaaf!
Es mag verwundern, warum man in einem fremden Land, in einer anderen Hemisphäre angekommen, erst mal in einen Kostümverleih latscht. Aber teilweise waren bereits im Vorfeld Ideen zur visuellen Umsetzung der eingereichten Vorschläge entstanden, die durch eine optische Anpassung meinerseits, sprich: eine zur Situation passende Verkleidung, auf witzig getrimmt werden sollten.
»das sieht lustig aus«, meint Tommy übrigens jedes Mal, wenn ich einwerfe, dass dies einfach albern ist. Und das sagt er in seiner unnachahmlich geduldigen, ruhigen, aber kompromisslosen und komplett von Dynamik befreiten Sprechart, die ich hier durch fehlende Satzzeichen und Kleinschreibung kenntlich mache.
Jeder normale Mensch würde sagen: »Du stellst dich JETZT dortHIN, sonst habe ich kei-ne-Mög-lich-keit, dich ins Bild zu kriegen!« und dabei unterschiedliche Lautstärken, Geschwindigkeiten und Silbenbetonungen zu einer Satzmelodie formen.
Tommy hingegen wiederholt die Worte einfach so lange in ein und derselben Tonlage, bis ich gehorche:
»du stellst dich jetzt dorthin sonst habe ich keine möglichkeit dich ins bild zu kriegen«
»Aber, Tommy, da ist alles nass.«
»du stellst dich jetzt dorthin sonst habe ich keine möglichkeit dich ins bild zu kriegen«
»Tommy, ich habe Sonne im Gesicht und muss blinzeln.«
»du stellst dich jetzt dorthin sonst habe ich keine möglichkeit dich ins bild zu kriegen«
»Tommy, dass ist mitten auf der vierspurigen Schnellstraße …«
»du stellst dich …«
Die Bilder sind am Ende natürlich grandios.
Die Fahrt zum Kostümverleih beginnt damit, dass die persönlichkeitsgeschützte Fahrerin im Mietwagen sitzt und nicht starten kann, weil der Schlüssel nicht aus seinem Plastikverschluss herauskommt. Alex, unser Kameramann, hilft ihr schließlich, den Metallstift aus dem Plastikknubbel herauszuprökeln. Spätestens daran erkenne ich, dass der Wagen mit Startautomatik versehen ist. Es bedarf keines Schlüssels mehr, aber zur Not ist einer im Plastikgehäuse verkeilt. Deshalb konnten wir den Wagen auch öffnen, ohne einen Knopf zu drücken und uns über das Dü-Düd zu freuen; der Wagen erkennt einen einfach nur durch »Nähe«. Selbst im Besitz eines Wagens, der mit einer solchen Technik ausgerüstet ist, meine ich nur: »Versuch doch mal den Startknopf …«
»… ja, rechts …«
»… da steht Start/Stop drauf …«
»… richtig! Erst die Bremse …«
»… den Automatikhebel auf P …«
Na also, geht doch. Nachdem wir glücklich auf der Straße sind, piepst es im Auto. Die Frau am Steuer bittet uns darum, die Gurte anzulegen. Aber hat das Piepsen wirklich mit dem Rücksitz zu tun? Ich gebe zu, in Neuseeland ist alles anders, da ist in unserem Sommer Winter, während unserer Nacht Tag, und die fahren links. Warum sollte da der Gurtwarner nicht auch nur für hinten gelten? Schließlich sind Fahrer und Beifahrer schon angeschnallt. Aber selbst nachdem wir drei uns in laienhaftem Bondage probiert haben, piepst es weiter. »Schnallt euch bitte an!«, wiederholt die Aotearoa-Begriffs- Ignorantin ihre Aufforderung etwas nervös.
Okay, nachgesehen, Gurtstecker und Gurtsteckplätze neu zugeordnet.
Pieeep!
Irgendwann löst sie dann endlich die Handbremse.
Zu guter Letzt versucht die junge Frau noch, den Wagen einer Versicherungsleistung zuzuführen. Beim Ausparken auf dem Parkplatz des örtlichen Kostümverleihs.
Als sie rückwärts fährt, wundere ich mich, dass das hinter uns stehende Fahrzeug im Bildschirm, der im Armaturenbrett integriert ist, immer größer wird. Die Rückfahrkamera, eine an sich gute Erfindung, scheint hier allerdings mit einer automatischen Vergrößerung zu arbeiten, die das zu vermeidende Objekt näher ranholt.
Es dauert eine Sekunde, bis mir klar wird, dass sie einfach nur sehr schnell auf den Wagen zufährt, der hinter uns steht.
»Stopp!«, rufe ich, und der Sachschaden ist gering.
Die zwei Versuche, uns nach der Einkaufstour im fließenden Verkehr umzubringen, lasse ich mal weg.
Etwas mitgenommen treffen wir uns alle später auf einem großen Parkplatz wieder und fahren in Kolonne mit dem Wohnmobil und unserem SUV ins Hotel nach Paihia. Einzige Sehenswürdigkeit, die wir unterwegs ansteuern: eine Raststätten-Toilette. Aber selbst die sind hier schön in die Landschaft eingebettet.
Wie angenehm, nach 50 Minuten Zug zum Flughafen, 12 Stunden Flugzeug, 4 Stunden Wartehalle, nochmals 9 Stunden Flug und 2 Stunden Autoskooter durch Auckland endlich entspannt mit dem Wohnmobil über die engen kurvigen Straßen Neuseelands zu fahren. Vier Stunden lang. Ich kann es gar nicht mehr deutlich wahrnehmen, denn ich bin zu müde, um meine Augen schnell genug zu fokussieren. Aber der total euphorische Jakob ruft ständig: »Schau mal hier!« und »Da!« und: »Sieht das da nicht toll aus?«
Nachdem wir uns im Hotel etwas ausgeruht haben, findet
nur noch ein kurzes Abendessen mit Besprechung des nächsten Tages statt.
Durch einen Nebel von verzerrter Wahrnehmung dringen lediglich Satzfetzen in mein Bewusstsein.
»… Sonne und Wind, das passt …«
»… den Hubschrauber schräg über den Strand …«
»… kriegt der nicht hin …«
»… erklärst du ihm das …?«
Ich habe keinen Hunger. Immerhin verweigert mein Körper des Nächtens und insbesondere morgens die Nahrungsaufnahme. Und da ihm keiner mitgeteilt hat, dass es bereits Abend ist, wähnt sich der Metabolismus durch den Jetlag noch am Vormittag. So schaffe ich noch nicht einmal einen halben Salat, finde schnell den Weg ins Hotelzimmer und kippe einfach ins Bett.
Oh, welch Ungemach dir doch widerfuhr! Während ich, herbstlich gestimmt, tagelang durch tiefe und triste Pfützen zwischen Supermarkt und Schreibtisch pendelte, blieb dir nur diese physisch und psychisch extrem fordernde Reiserei. Einen ganzen Tag lang musstest du dich in der Business Class einer der nettesten Airlines verlustieren und vermutlich in diversen VIP-Lounges der Flughäfen herumlümmeln. Dann durftest du es dir auf der Rückbank eines großzügig bemessenen Reisegefährts bequem machen und, gegen die Ermattung ankämpfend, aus dem Fenster die großartige Landschaft der traumhaften Inselwelt begutachten. Sei dir meines Mitgefühls gewiss! Falls du dein Leben ändern möchtest, ich kann ja schon mal eine Anzeige aufgeben: »Erfolgsmüder Comedian und Globetrotter sucht neues Betätigungsfeld, vornehmlich von zu Hause.«
ndlich ein Tag, der vergeht, ohne dass wir große Strecken zurücklegen müssen. Ich freue mich, dieses Land heute nicht nur durch Autofensterglas zu besichtigen, sondern es anzufassen, anzuspüren oder einfach auch mal anzuriechen.
Heute geht es direktemang zu meiner ersten Aufgabe. Da wir ja Werbung für Neuseeland machen, gibt es einige sprachliche Restriktionen, an die ich mich während der Aufnahmen halten muss. Ein eisernes Gesetz besagt also, dass das, was ich hier mache, natürlich nicht als »Aufgabe« oder »Pflicht« bezeichnet werden darf, weil das nicht nach Freiwilligkeit klingt, sondern nach Zwang. Elke und Jakob von der Werbeagentur lauschen ganz genau, ob das, was ich sage, neuseelandtourismusgerecht ist.
Im Laufe der vergangenen Wochen habe ich mich daher durch hartes Training von vielen sprachlichen Wendungen verabschieden müssen, die mir lieb und teuer waren:
»Heut muss ich …«
Möööp! Du musst nicht, du willst.
»Weil Peter X. das gewünscht hat, mache ich …«
Mööööp! Nicht weil er das gewünscht hat, weil du dir das wünschst …
»Soll ganz toll sein …«
Mööööööp! Soll nicht, ist!
Also begeben wir uns zur ersten Aufga… möööp! – zur ersten Herausforderung: »Leg am Ninety Mile Beach mit Handtüchern deinen Namen in den Sand!«
Ja, das hätte ich schon immer mal machen sollen … äh, wollen. Aber jetzt mal unter uns: Ich hasse Strand. Der besteht aus Sand. Und Sand hängt nachher überall am und im Körper.
Aber von den über 4000 Vorschlägen waren für jeden Tag eben drei ausgewählt worden, die rein zeitlich und räumlich möglich waren. Und dann haben die User in Deutschland in den 24 Stunden vorher per einfachem Voting darüber abgestimmt, was ich genau zu tun habe. Wir machen uns also auf den Weg zur 115 Kilometer entfernten Westküste.