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Drei Jahre zuvor …
Crispin ist erst neun Jahre alt und seit zwei Tagen auf der Flucht, da er Ende September mitten in der Nacht von einem Schauplatz unerträglichen Schreckens geflohen ist. Er hat niemanden, an den er sich wenden kann. Diejenigen, die vertrauenswürdig sein sollten, haben sich bereits als teuflisch erwiesen, und es steht fest, dass sie auf seine Vernichtung aus sind.
Von den elf Dollar, die er zu Beginn seiner Flucht besaß, hat er inzwischen nur noch vier. Den Rest hat er für Essen und Getränke ausgegeben, die er Händlern mit Karren an Straßenecken abgekauft hat.
In der vorangegangenen Nacht hat er im Statler Park in einem Nest aus dichtem Gestrüpp geschlafen, denn er war zu erschöpft, um von den gelegentlichen Sirenen vorbeifahrender Streifenwagen oder kurz vor Morgengrauen vom Krach der Müllmänner, die die Abfalleimer im Park in ihren Wagen leerten, vollständig wach zu werden.
Am Montag verbringt er bei Tageslicht zwei oder drei Stunden mit einem Besuch in der Bücherei. Die Bücherregale sind ein Labyrinth, in dem er sich verstecken kann.
Furcht und Kummer haben ihn derart gepackt, dass er nicht lesen kann. Ab und zu blättert er in großen Reiseführern und sieht sich die Hochglanzfotos an, doch er hat ja keine Möglichkeit, an diese fernen sicheren Orte zu gelangen. Die Bilderbücher für Kinder, an denen er früher seinen Spaß hatte, kommen ihm gar nicht mehr lustig vor.
Eine Weile läuft er am Flussufer entlang und beobachtet ein paar Fischer. Das Wasser ist unter einem blauen Himmel grau, und die Männer erscheinen ihm ebenfalls grau, traurig und lustlos. Die Fische beißen nicht.
Den größten Teil des Tages schlendert er durch schmale Gassen, wo er es für unwahrscheinlicher hält, dass er denen begegnet, die ihn gewiss suchen. Hinter einem Restaurant fragt ihn eine Küchenhelferin, warum er nicht in der Schule ist. Ihm fällt keine gute Lüge ein, und so läuft er vor ihr davon.
Der Tag ist so mild wie schon der gestrige und die Nacht, aber plötzlich wird es kühl und dann am späten Nachmittag noch kühler. Er trägt ein kurzärmeliges Hemd, und die Gänsehaut auf seinen Armen könnte auf die kalte Luft zurückzuführen sein oder auch nicht.
Auf einem unbebauten Grundstück zwischen einem Drugstore und einem Dojo, wo Kampfsportarten trainiert werden, quellen aus der Sammeltonne einer wohltätigen Einrichtung gebrauchte Kleidungsstücke und andere Gegenstände. Crispin wühlt in diesen Spenden und findet einen grauen Wollpullover, der ihm passt.
Er nimmt auch eine dunkelblaue Strickmütze mit und zieht sie sich tief in die Stirn und bis über die Ohren.
Vielleicht wird ein neunjähriger Junge, der allein durch die Gegend zieht, durch den Versuch, sich zu tarnen, nur noch mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken. Er hat den Verdacht, dass die schlichte Mütze an ihm auffällig wirkt. Er kommt sich wie ein Clown vor. Trotzdem nimmt er sie nicht ab und wirft sie weg.
Er ist durch so viele schmale Gassen und Lieferantenzufahrten gelaufen, ist über so viele breite Straßen in so viele schummerige Seitenstraßen gerast, dass er sich nicht nur verlaufen, sondern die Orientierung komplett verloren hat. Die Wände von Gebäuden scheinen sich ihm in bedenklichen Winkeln entgegen zu neigen oder über ihm auseinanderzuklaffen. Das Kopfsteinpflaster unter seinen Füßen ähnelt großen Reptilienschuppen, als liefe er über den gepanzerten Rücken eines schlafenden Drachen.
Die Stadt, die schon immer groß war, scheint zu einer ganzen Welt geworden zu sein, so unermesslich wie feindselig.
Mit der Orientierungslosigkeit geht eine stille Verzweiflung einher, die Crispin zeitweilig dazu bringt zu rennen, obwohl er ganz genau weiß, dass ihm niemand dicht auf den Fersen ist.
Kurz vor der Abenddämmerung begegnet er auf einer breiten Zufahrt, die zu ehemaligen Speicherhäusern aus Backstein mit Laderampen aus fleckigem Beton führt, dem Hund. In dem schräg einfallenden Licht der untergehenden Sonne wirkt er golden, als er an der Ostseite des Durchgangs entlang auf ihn zukommt.
Der Hund bleibt vor Crispin stehen und blickt mit zurückgelegtem Kopf zu ihm auf. Im letzten hellen Tageslicht sind die Augen des Tieres so golden wie sein Fell, die Pupillen klein und die Iris schillert.
Der Junge nimmt keine Bedrohung wahr. Er streckt eine Hand aus und der Hund reibt einen Moment lang seine Schnauze daran.
Als der Hund weitergeht, zögert der Junge, doch dann schlurft er hinter ihm her. Im Gegensatz zu dem, der ihm folgt, scheint das Tier zu wissen, wohin es geht und warum.
Gesprungene Betonstufen führen zu einer Laderampe hinauf. Die großen Rolltore sind geschlossen, aber eine schmale Tür erweist sich als unverschlossen und steht sogar einen winzigen Spaltbreit auf.
Der Hund drückt sie auf. Mit einem eleganten Schwung seiner weißen Rute verschwindet er dahinter.
Als er die Schwelle in die Dunkelheit überquert, zieht Crispin eine LED-Taschenlampe aus einer Tasche seiner Jeans. Die Taschenlampe lag früher in der Schublade seines Nachttischs. Er hat sie mitgenommen, als er in den ersten Minuten nach Mitternacht aus seinem Zuhause floh.
So scharf wie eine abgezogene Rasierklinge durchschneidet der weiße Strahl die Finsternis und zeigt einen seit langer Zeit leerstehenden fensterlosen Raum, der groß genug wäre, um als Hangar für Verkehrsflugzeuge zu dienen. Hoch oben befinden sich Dachspeicher und Laufplanken.
Alles ist mit grauem Staub überzogen. Rost, der so viele Schichten hat wie Blätterteig, löst sich in Flocken von Metalloberflächen.
Auf dem Betonfußboden verstreut liegen Rattenknöchelchen und die Panzer toter Käfer. Alte Spielkarten mit Schimmelflecken. Hier ein Bube im Profil, dort eine Herzdame und ein Kreuzkönig und da vier Sechsen, die nebeneinander ausgelegt sind. Zigarettenstummel. Zerbrochene Bierflaschen.
Die Taschenlampe findet eine Spinne, die auf einem durchhängenden Kabel herumkrabbelt, und projiziert ihren vergrößerten Schatten an eine Wand, wo sie hinaufkriecht wie ein Geschöpf aus einem dieser alten Filme über Insekten, die durch radioaktive Strahlung riesengroß geworden sind.
Ohne die Taschenlampe zu brauchen, findet der Hund seinen Weg um die verteilten Glassplitter herum. An einem Ort mit so vielen starken Gerüchen würden sich die meisten Hunde schnüffelnd von einem Geruch zum anderen bewegen, doch dieser hier hält seinen Kopf hoch erhoben und scheint wachsam.
Am nördlichen Ende des riesigen Raumes führen drei Türen in drei Büros, jedes mit einem Fenster, das den Blick auf das Innere des Lagerhauses freigibt. Zwei Türen sind geschlossen, die dritte ist angelehnt.
Hinter dem Spalt zwischen der dritten Tür und dem Türrahmen pulsiert bernsteinfarbenes Licht.
Crispin bleibt stehen, aber der Hund hält nicht an. Nach kurzem Zögern folgt der Junge dem Tier in den kleinen beleuchteten Raum.
Zwischen zwei Gruppen von dicken Kerzen – drei links von ihm, drei rechts – sitzt ein Mann, vielleicht Ende zwanzig, mit dem Rücken an der Wand und hat die Beine vor sich ausgestreckt.
Seine glasigen blauen Augen blicken starr, sehen jedoch nichts. Sein Mund hängt offen, doch er hat seinen Vorrat an Worten ausgeschöpft.
Neben einer Dreiergruppe von Kerzen liegt ein verrußter Löffel. Neben dem Löffel ein weißes Plastikpäckchen, aus dem ein weißes Pulver rieselt. Auf seinem Schoß liegt eine entleerte Injektionsspritze.
Der rechte Ärmel seines karierten Hemds ist bis über die Ellenbeuge hochgerollt, wo vor einer Weile aus einem Einstich Blut gesickert ist. Offenbar hatte er Schwierigkeiten, die Ader zu finden.
Crispin fürchtet sich nicht vor der Gegenwart eines Toten. Er hat kürzlich viel Schlimmeres mit angesehen.
Mit einer Zielstrebigkeit, die typischer für einen Menschen wäre als für einen Hund, geht das Tier auf einen Rucksack zu, der hinter den Kerzen liegt, nimmt einen der Riemen zwischen seine Zähne und zerrt ihn von dem Leichnam fort.
Der Junge nimmt an, der Rucksack müsse Leckerbissen für das Tier enthalten. Auf seinen Knien durchsucht er die verschiedenen Fächer, findet jedoch keinen Hinweis darauf, dass der Tote das Tier jemals versorgt hat.
Ein prüfender Blick auf den staubbedeckten Boden und die wenigen Pfotenabdrücke verraten, dass der Hund nie zuvor hier gewesen ist, dass er sich von dem Geruch und nicht von seiner Erfahrung hat leiten lassen. Und dennoch …
Zwischen den schmierigen, weitgehend wertlosen Habseligkeiten des Verstorbenen entdeckt Crispin zwei Stoffbeutel voller Geldscheine, die zu festen Bündeln gerollt sind und von Gummiringen zusammengehalten werden. Es sind Packen aus Fünf-, Zehn- und Zwanzigdollarscheinen.
Das Geld ist mit ziemlich großer Sicherheit gestohlen oder auf andere Weise schmutzig. Aber es ist unwahrscheinlich, dass jemand, noch nicht einmal die Polizei, dahinterkommen wird, wem der Tote dieses Vermögen geklaut hat oder durch welche illegalen Aktivitäten er es erworben haben könnte.
Der Leiche eines einsamen Obdachlosen Geld abzunehmen kann doch bestimmt kein Diebstahl sein. Der Mann hat schließlich keine Verwendung mehr dafür.
Dennoch zögert der Junge.
Nach einer Weile spürt er, dass er beobachtet wird. Er schaut auf und rechnet fast damit, dass sich der Blick der Leiche auf ihn gerichtet hat.
Die Augen des Hundes leuchten im Kerzenschein, als er ihn mustert und leise, beinah erwartungsvoll, hechelt.
Crispin hat kein Versteck. Und wenn ihm ein Ort einfiele, den er aufsuchen könnte, dann hätte er derzeit nur vier Dollar, um dorthin zu gelangen.
Der Hund scheint dem Toten nicht gehört zu haben. Crispin wird ihn jedoch, ungeachtet seiner Herkunft, füttern müssen.
Er steckt die Packen Bargeld wieder in die Stoffbeutel und schnürt sie fest zu. Der Rucksack ist zu groß für ihn. Er wird nur das Geld an sich nehmen.
Auf der Schwelle sieht sich Crispin noch einmal um. Das Kerzenlicht erzeugt die Illusion von Leben in den toten Augen. Als der Widerschein der Flammen über das schlaffe Gesicht zieht, scheint der Rauschgiftsüchtige ein Mann aus Glas zu sein, wie eine Lampe, die von innen heraus leuchtet.
Während sie ihre Schritte durch das riesige Lagerhaus zurückverfolgen, bleibt der Hund stehen, um an einer der verschimmelten Spielkarten zu schnuppern, die auf dem Boden liegen. Es ist die Karosechs.
Als sie vorhin hier vorbeigekommen sind, haben an dieser Stelle vier Sechsen gelegen, eine von jeder Farbe.
Crispin inspiziert den weitläufigen dunklen Raum und richtet den Strahl seiner Taschenlampe forschend hierhin und dorthin. Niemand taucht auf. Keine Stimme droht ihm. Er und der Hund scheinen allein zu sein.
Der LED-Strahl, der auf den verschmutzten Boden fällt, kann die fehlenden Sechsen nicht ausfindig machen.
Draußen auf der Zufahrt ist der Himmel im Westen purpurrot, doch die Abenddämmerung leuchtet vorwiegend violett. Die Luft selbst scheint lila zu sein.
In einer Tierhandlung an der Monroe Avenue kauft er ein Halsband und eine Leine. Von jetzt an wird der Hund das Halsband ständig tragen, damit er nicht den Eindruck eines Streuners erweckt. Crispin wird die Leine nur auf öffentlichen Straßen benutzen, wo das Risiko besteht, die Aufmerksamkeit eines Tierkontrollbeamten auf sich zu ziehen.
Er kauft auch eine Tüte Hundekuchen mit Johannisbrotmehl, einen Fellpflegekamm mit Metallzinken und einen Trinknapf, der sich zusammenfalten lässt.
Vor einem Sportgeschäft bindet er den Hund an einen Laternenpfahl und lässt ihn allein, um hineinzugehen und einen Rucksack von der Größe zu kaufen, wie ihn Kinder brauchen, um Bücher zur Schule und wieder nach Hause zu tragen. Er packt die Stoffbeutel mit dem Geld und seine Einkäufe aus der Tierhandlung hinein.
Zum Abendessen gibt es für beide Hotdogs von einem Straßenverkäufer. Coke für den Jungen, in eine Flasche abgefülltes Wasser für den Hund.
Bei einem Kramladen, der sich auf Zauberartikel und alle Arten von Spielen spezialisiert hat, bleibt Crispin ein oder zwei Minuten vor der Auslage stehen. Er beschließt, ein Kartenspiel zu kaufen, obwohl er nicht sagen könnte, warum.
Als Crispin den Hund an einen Fahrradständer binden will, öffnet der Besitzer des Ladens die Tür, woraufhin das silberhelle Läuten einer Ladenglocke ertönt. Er sagt: »Komm rein, Junge. Hunde sind hier willkommen.«
Der Besitzer ist ein älterer Mann mit weißem Haar und buschigen weißen Augenbrauen. Seine Augen sind grün und funkeln wie Pailletten. Er trägt an verschiedenen Fingern insgesamt sechs Smaragdringe, die alle ebenso grün sind – aber keiner funkelt so sehr wie seine Augen.
»Wie heißt dein Hund?«, fragt der alte Mann.
»Er hat noch keinen Namen.«
»Lass ein Tier nie zu lange namenlos«, erklärt ihm der alte Mann. »Wenn es keinen Namen hat, ist es nicht geschützt.«
»Geschützt wogegen?«
»Gegen jeden bösen Geist, der beschließen könnte, sich seiner zu bemächtigen«, erwidert der alte Mann. Er lächelt und zwinkert, doch etwas in seinen fröhlichen Augen verrät, dass er nicht scherzt. »Wir schließen in fünfzehn Minuten«, fügt er hinzu. »Kann ich dir dabei helfen, etwas zu finden?«
Ein paar Minuten später, als Crispin das Kartenspiel bezahlt, steigt eine weißhaarige Frau die Kellertreppe hinauf und kommt mit einer großen, aber anscheinend nicht schweren Kiste Waren durch eine offene Tür. Ihr Lächeln ist so warmherzig wie das des Ladenbesitzers, der vielleicht ihr Ehemann ist.
Als sie den Hund sieht, bleibt sie stehen, legt den Kopf zur Seite und sagt: »Mein Junge, dein vierbeiniger Freund hat eine Aura, an der sich kein frommer Erzbischof messen könnte.«
Crispin hat keine Ahnung, was das bedeutet. Aber er bedankt sich schüchtern bei ihr.
Während die Frau damit beschäftigt ist, eine Vitrine mit Zauberartikeln aufzufüllen und der alte Mann einem anderen Kunden ein dreidimensionales Puzzle erklärt, entschließt sich Crispin zu einer kühnen Tat, die ihn selbst überrascht. Mit dem Hund geht er, unbemerkt von den Ladenbesitzern, auf die offene Tür zu und die Treppe in den Keller hinunter.
Unten befindet sich ein Lagerraum mit Reihen von freistehenden Metallregalen, die mit Waren vollgestopft sind. Dort gibt es auch ein kleines Bad mit einem Waschbecken und einer Toilette.
Der Junge und der Hund suchen hinter der letzten Regalreihe Schutz. Hier kann man sie von der Treppe aus nicht sehen.
Crispin macht sich keine Sorgen, der Hund könnte bellen und ihre Anwesenheit verraten. Er weiß bereits, dass er und dieses Tier auf eine geheimnisvolle Weise aufeinander eingespielt sind. Er löst die Leine vom Halsband, rollt sie zusammen und legt sie beiseite.
Nach einer Weile werden vom oberen Treppenabsatz aus die Lichter ausgeschaltet. Die Tür dort oben schließt sich. Ein paar Minuten lang hallen Schritte über ihnen, aber schon bald ist alles still.
Sie warten im Dunkeln, bis sie sicher sein können, dass der Laden für die Nacht geschlossen ist. Schließlich machen sie sich auf den Rückweg durch den Lagerraum und an den Metallregalen entlang zum unteren Ende der Treppe.
Crispin ist blind, aber der Hund vielleicht nicht. Der Junge tastet am unteren Ende der Treppe nach dem Lichtschalter. Der Hund, der auf seinen Hinterbeinen steht, findet ihn zuerst, und die Deckenbeleuchtung geht an.
In einem Regal entdeckt Crispin einen Stapel gesteppter blauer Umzugsdecken. Aus ihnen macht er sich in einer Ecke auf dem Boden ein Bett.
Während Crispin die Gummiringe von den Geldbündeln streift und die geglätteten Scheine nach ihrem Wert in drei Stapel sortiert, verfüttert er ein paar von den Keksen, die er in der Tierhandlung gekauft hat, an den Hund.
Gemeinsam zählen sie ihr Vermögen. Crispin verkündet die Gesamtsumme – »Sechstausendsiebenhundertfünfundvierzig Dollar« – und der Hund scheint mit seinen Berechnungen einverstanden zu sein. Er rollt das Geld wieder zu festen Bündeln zusammen und packt die Scheine in die Stoffbeutel.
Sie werden nicht verhungern. Mit so viel Geld werden sie in der Lage sein, sich lange Zeit zu verbergen und jede Nacht einen anderen Unterschlupf zu finden.
Erschöpft lässt sich der Junge auf den Deckenstapel zurücksinken. Der Hund rollt sich neben ihm zusammen, den Kopf auf dem Bauch des Jungen.
Crispin krault den Hund zart hinter den Ohren.
Bevor der Schlaf ihn übermannt, denkt der Junge an den toten Rauschgiftsüchtigen mit dem weit offenen Mund und den gelben Zähnen im Kerzenlicht. Er erschauert, aber schließlich kapituliert er vor seiner Ermattung.
Im Traum liegt Crispins jüngerer Bruder auf einem länglichen Tisch aus weißem Marmor. Seine Hände und Füße sind an Stahlringe gekettet. Ein harter grüner Apfel ist in seinen Mund gezwängt und dehnt schmerzhaft seine Kiefer. Der Apfel wird von einem elastischen Riemen, der auf dem Hinterkopf des Jungen festgezurrt ist, an Ort und Stelle gehalten. Seine Zähne stecken tief in der Frucht, aber er kann sie nicht durchbeißen und die Teile ausspucken.
Der erhobene Dolch hat eine bemerkenswerte geflammte Klinge.
Wie eine schimmernde Flüssigkeit tröpfelt Licht an der Schneide hinab.
Die Muskelstränge im Hals von Crispins Bruder sind angespannt. Die Arterien schwellen und pochen, während sein Herz gewaltige Blutströme durch seinen Körper jagt.
Der Apfel erstickt seine Schreie. Er scheint sich aber auch an seinem eigenen Speichelfluss zu verschlucken.
Crispin erwacht schweißgebadet und ruft den Namen seines Bruders: »Harley!«
Im ersten Moment weiß er nicht, wo er ist. Aber dann wird ihm klar, dass er sich unter dem Geschäft für Zauberbedarf und Spiele befindet.
Du kannst das Geschehene ungeschehen machen und sie immer noch retten.
Diese Worte raunen durch seinen Kopf, doch sie erscheinen ihm als bloßes Wunschdenken.
Als das Grauen nachlässt, weiß er, dass er den perfekten Namen für den Hund gefunden hat. Es ist ein Name, der das Tier gegen jeden böswilligen Geist schützen wird, den es danach verlangen könnte, in es einzudringen.
»Harley«, wiederholt Crispin leise. Er nennt den Hund nach seinem verlorenen Bruder. »Harley.«
Der Hund leckt zart, aber beharrlich, seine Hand.