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Kate Walker, Susan Napier, Melanie Milburne

ROMANA EXKLUSIV BAND 262

IMPRESSUM

ROMANA EXKLUSIV erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

Erste Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg,
in der Reihe: ROMANA EXKLUSIV, Band 262 – 2015

© 2009 by Kate Walker
Originaltitel: „Cordero’s Forced Bride“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Dorothea Ghasemi
Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe ROMANA, Band 1832

© 2008 by Susan Napier
Originaltitel: „Public Scandal, Private Mistress“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Gisela Blum
Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe ROMANA, Band 1782

© 2008 by Melanie Milburne
Originaltitel: „The Fiorenza Forced Marriage“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Irmgard Sander
Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe JULIA, Band 1898

Abbildungen: DeltaOFF / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733740238

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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Verführt von einem stolzen Spanier

1. KAPITEL

Entweder jetzt oder nie, denn eine andere Möglichkeit gibt es nicht, sagte Alexa sich entschlossen.

Irgendjemand musste es tun, und Natalie konnte es nicht. Bisher hatte sie dem Druck nicht standgehalten und würde auch diesmal genau das Gegenteil von dem sagen, was sie dachte. Sie würde sich damit einverstanden erklären, Santos Cordero zu heiraten, obwohl sie es nicht wollte, weil sie von Anfang an zu allem Ja gesagt hatte. Und damit würde sie sich jede Chance auf eine echte Beziehung und wahre Liebe verbauen. Jetzt befand sie sich auf dem Weg zum Flughafen, um ein neues Leben zu beginnen.

Als ihre ältere Halbschwester musste Alexa nun die Scherben zusammenkehren, indem sie sich bei Santos entschuldigte und ihm alles erklärte.

Der Chauffeur hatte sie gerade vor dem Haupteingang der Kathedrale Santa Maria de la Sede im Zentrum vor Sevilla abgesetzt, und bei der Vorstellung, Santos gleich gegenüberzutreten, ging Alexa unwillkürlich langsamer. Sie blickte zu dem Glockenturm hoch, der sich gegen den blauen Himmel abzeichnete, und atmete tief durch. Hinter ihr riefen die Paparazzi, die sich vor der Kirche versammelt hatten, und sie versuchte das Klicken der zahlreichen Kameras zu ignorieren, als sie die ausgetretenen Steinstufen hinaufschritt und dann den schmiedeeisernen Griff der großen Holztür umfasste.

„Das liegt jetzt alles hinter dir, Natalie“, sagte sie laut und schüttelte dabei energisch den Kopf. Doch sie merkte selbst, dass es ihr nicht die Kraft verlieh, die sie brauchte, um die Kathedrale zu betreten, Santos die Nachricht zu überbringen und danach alles zu regeln. Aber genau das musste sie tun.

„Komm schon, Alexa“, machte sie sich Mut. „Du weißt, dass du es tun musst!“

Sie seufzte resigniert, bevor sie sich zusammenriss und ihren Griff verstärkte. Außer ihr gab es niemanden, der dies erledigen konnte. Und wenn sie nichts unternahm, würde alles noch schlimmer werden. Natürlich würde es jetzt einen Skandal geben. Sie hoffte nur, sie konnte mit den Folgen fertig werden.

Vor lauter Nervosität hatte sie so feuchte Hände, dass ihr der Griff entglitt.

„Oh, verdammt!“, fluchte Alexa laut.

Da sie kein Taschentuch dabeihatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Hände an ihrem langen Kleid abzuwischen – ein Jammer um das teure rosa Modell, aber im Moment war es ihre geringste Sorge. Schließlich würde die Trauung, für die sie es gekauft hatte, nicht stattfinden.

Außerdem passte es überhaupt nicht zu ihr. Ihre Stiefmutter bevorzugte diesen glamourösen Look und hatte es für die Hochzeit ihrer Tochter ausgesucht – das gesellschaftliche Ereignis, das sie sich immer für diese erhofft hatte. Obwohl das Pink überhaupt nicht zu ihrem dunkelbraunen Haar und den gleichfarbigen Augen passte, hatte Alexa sich damit einverstanden erklärt. Sie hatte ihrer Stiefschwester nicht deren großen Tag verderben wollen, auch wenn sie fand, dass Santos nicht der Richtige für Natalie war.

Und nun lasse ich die Hochzeit platzen, überlegte Alexa mit einem Anflug von Schuldgefühlen, als sie wieder den Griff umschloss. Sie musste allen Mut zusammennehmen, um die Kirche zu betreten und es den Gästen zu verkünden.

Ihre Stiefmutter würde wahrscheinlich hysterisch werden. Ihr Vater – und Natalies – würde noch steifer und reservierter als ohnehin schon wirken. Und der Bräutigam …

Der Bräutigam …

Bei dem Gedanken an ihn schlug Alexa das Herz bis zum Hals. In dem Moment schwang die schwere Holztür auf und schlug an die Wand, woraufhin alle Gäste sich erwartungsvoll umdrehten.

Sie hatte keine Ahnung, wie der Bräutigam reagieren würde – wie Santos Cordero die Nachricht aufnehmen würde, dass seine Braut ihn vor dem Altar stehen ließ und auf dem Weg zu einem anderen Mann war. Doch allein bei der Vorstellung erschauderte sie, und ihr wurde eiskalt.

Bisher war sie dem Verlobten ihrer Stiefschwester erst einmal begegnet, und zwar kurz nach ihrer Ankunft vor zwei Tagen bei dem Festessen, zu dem er die ganze Familie anlässlich seiner Hochzeit in seine wunderschöne Villa außerhalb von Sevilla eingeladen hatte. Allerdings hatte sie schon viel von ihm gehört und den Einfluss bemerkt, den er auf ihren Vater ausübte, seitdem dieser Geschäfte mit ihm machte. Immer wenn sie ihn sah, wirkte er noch älter und hagerer und vor allem gestresster. Er war den Umgang mit Finanzhaien einfach nicht gewohnt, und Santos Cordero zählte zu den schlimmsten.

Dass man ihm den Spitznamen el bandido gegeben hatte, was so viel wie „der Räuber“ bedeutete, kam offenbar nicht von ungefähr. Soweit sie gehört hatte, wurde er seinem Ruf in vielerlei Hinsicht gerecht.

„Du musst ihn unbedingt sehen. Er ist einfach fantastisch! Und er hat Geld“, hatte Natalie verkündet und dabei so begeistert geklungen.

Zu begeistert, wie ihr nun klar wurde, als Alexa das Gespräch mit ihr noch einmal Revue passieren ließ und sich erinnerte, wie aufgesetzt es gewirkt hatte.

In einem Punkt hatte ihre Schwester jedoch recht gehabt: Santos war wirklich atemberaubend und einer der attraktivsten Männer, denen Alexa bisher begegnet war – groß und muskulös, mit pechschwarzem Haar und markanten Zügen und auf anziehende Weise gefährlich.

Letzteres war ihr bewusst geworden, als sie ihm die Hand schüttelte und ihn dabei ansah. Sein Händedruck war fest, sein Lächeln unverbindlich gewesen, aber seine grauen Augen hatten unvergleichlich kalt gewirkt. Prompt hatte ein Prickeln sie überlaufen, und dann war ihr abwechselnd heiß und kalt geworden, als hätte sie Fieber und Schüttelfrost. Nachdem sie eine höfliche Floskel gemurmelt hatte, hatte sie sich abgewandt und versucht, ihm den restlichen Abend aus dem Weg zu gehen. Dennoch hatte sie seinen Händedruck die ganze Zeit zu spüren geglaubt, und ihr Körper hatte nach seinem durchdringenden Blick unvermindert geprickelt.

„Alexandra?“

Es dauerte einen Moment, bis Alexa ihren Vater registrierte, der neben dem Eingang stand und auf Natalie wartete. Diese hatte ihn überredet vorzufahren, statt sie im Wagen zur Kirche zu begleiten, wie es der Tradition entsprochen hätte.

„Alexandra …“

„Was ist passiert?“

Das aufgeregte Gemurmel der Gäste angesichts der Tatsache, dass nicht die Braut, sondern die erste Brautjungfer erschienen war, verstummte bei der scharfen Frage, die der Bräutigam vom Altar aus stellte.

„Was ist passiert?“, wiederholte er, woraufhin Alexa ihn unwillkürlich ansah.

In dem Smoking auf der Dinnerparty hatte er schon überwältigend gewirkt, aber nun wurde ihr richtig schwindelig, denn er trug einen Frack mit Weste und einer eleganten Krawatte. Sobald ihre Blicke sich begegneten, schien es ihr, als wären Santos und sie allein auf der Welt. Die anderen Gäste und die festlich geschmückte Kirche mit den flackernden Kerzen und den kunstvollen Blumengestecken rückten in den Hintergrund, sodass sie nur noch sein markantes Gesicht und den Ausdruck in seinen Augen wahrnahm.

„Sagen Sie es mir!“, forderte Santos Cordero sie in autoritärem Tonfall vom anderen Ende der Kirche her auf.

Trotzig warf Alexa den Kopf zurück und beobachtete, wie er daraufhin die Augen zusammenkniff und flüchtig die Lippen zusammenpresste.

„Por favor“, fügte er so scharf hinzu, dass es für sie wie ein Schlag ins Gesicht war.

Das ist keine Bitte, sondern ein höflich verpackter Befehl, überlegte sie wütend. Am liebsten hätte sie etwas gekontert oder sich abgewandt und die Kathedrale verlassen. Sie konnte ihm auch die Wahrheit ins Gesicht sagen und beobachten, wie sein arroganter Ausdruck verschwand und Santos nicht mehr ganz so selbstsicher wirkte.

Dann besann sie sich allerdings auf ihre gute Erziehung. Außerdem verspürte sie einen Anflug von Mitgefühl.

Santos Corderos mochte ein überheblicher Mistkerl sein, aber er war auch der Bräutigam. Er war an diesem Tag hierhergekommen, um ihre Halbschwester Natalie zu heiraten.

Dieselbe Natalie, die ihr Hotelzimmer fluchtartig verlassen hatte und sich nun vermutlich schon am Flughafen befand – bei dem Mann, den sie ihren eigenen Worten zufolge wirklich liebte.

Und es mir überlässt, Santos alles zu erklären.

Die Kehle war ihr plötzlich wie zugeschnürt, und nur einen Moment lang gestattete sie sich den Gedanken an Flucht. Das hier war nicht ihr Problem. Sollte doch jemand anders diesem arroganten Spanier eröffnen, dass seine Braut es sich anders überlegt hatte …

Aber es gab niemanden.

Am anderen Ende der Kirche bemerkte sie ihre Stiefmutter in dem smaragdfarbenen Kleid und mit dem farblich dazu passenden Hut, die unruhig auf ihrem Platz hin und her rutschte und zu argwöhnen schien, dass etwas gründlich schiefgelaufen war. Und ihr Vater …

Nein, Alexa wagte es nicht, ihren Vater anzusehen, weil er sicher vermutete, dass sie schlechte Nachrichten überbrachte. Wahrscheinlich würde er einen Wutanfall bekommen, was sie auf keinen Fall riskieren wollte.

„Señorita …“

Nun klang seine Stimme sanft, aber als sie Santos Cordero anblickte, merkte sie, wie angespannt er war. Wenn sie jetzt etwas Falsches sagte, würde er explodieren und seine ganze Wut an ihr auslassen.

Dies war der Santos Cordero, den man ihr geschildert hatte, el bandido, dessen Ruf ihm selbst bis nach Yorkshire vorausgeeilt war.

Als ihr Vater ihr zum ersten Mal sagte, er würde mit ihm über ein Geschäft verhandeln, hatte er so aufgeregt und zuversichtlich geklungen, dass er durch diese Verbindung ein Vermögen verdienen würde, was das Ende all seiner finanziellen Probleme bedeutet hätte. Doch schon nach kurzer Zeit hatte sich abgezeichnet, dass der erhoffte Erfolg sich nicht einstellte und es nur Stress gab. Während der Vorbereitungen zu Natalies Hochzeit waren seine Sorgen allerdings in den Hintergrund getreten …

„Warum sind Sie hier? Ich nehme an, Sie wollen mir etwas mitteilen.“

Bemüht, seinen sarkastischen Tonfall zu ignorieren, der sie wie ein Peitschenschlag traf, atmete Alexa tief durch.

„Ich muss mit Ihnen reden“, brachte sie hervor und registrierte dabei, dass sie so atemlos klang, als wäre sie die Strecke von Natalies Hotelzimmer zur Kathedrale gelaufen. „Bitte …“, fügte sie hinzu, als Santos sie finster betrachtete.

„Dann reden Sie.“ Er machte eine überhebliche Geste. „Ich kann es kaum erwarten.“

Das hätte er ihr kaum deutlicher zu verstehen geben können. Und sie würde es ihm sagen. Aber nicht jetzt und nicht hier. Ungefähr sechshundert Gäste blickten sie nun neugierig an und verfolgten fasziniert das Drama, das sich vor ihnen abspielte.

Obwohl ihr das Herz bis zum Hals klopfte, zwang Alexa sich, auf ihn zuzugehen. Dabei überlegte sie fieberhaft, wie sie am besten beginnen sollte, doch alles erschien ihr entweder zu albern, zu unbeholfen oder schlichtweg falsch. Und sie konnte ohnehin keinen klaren Gedanken mehr fassen, sobald sie ihm ins Gesicht sah und sein kühler Blick sie traf.

In diesem Moment erschien Santos ihr noch größer und muskulöser als bei ihrer ersten Begegnung. Der elegante Anzug unterstrich seine breiten Schultern, die schmalen Hüften und die langen Beine, und sein weißes Hemd bildete einen faszinierenden Kontrast zu seinem dunklen Teint.

„Können wir irgendwohin gehen, wo wir ungestört sind?“, fragte sie unsicher, woraufhin er den Kopf neigte und leicht die Stirn runzelte, als hätte er sie nicht ganz verstanden.

„Perdon?“

Nun machte er einen Schritt auf sie zu, sodass sie sehen konnte, wie seine muskulöse Brust sich bei jedem Atemzug hob und senkte. Sie glaubte sogar seine Körperwärme zu spüren, und sein Aftershave, das sich mit seinem ureigenen Duft mischte, stieg ihr in die Nase. Ihr Herz pochte jetzt noch wilder, aber diesmal stellte sie schockiert fest, dass es nicht nur vor Angst war, sondern weil sie instinktiv auf seine animalische Anziehungskraft reagierte. Und das war das Letzte, was sie wollte, denn dieser Mann hatte ihrer Familie bisher nur Probleme bereitet.

„Können wir bitte irgendwohin gehen, wo wir ungestört sind?“

Alexa zwang sich, die Worte zu wiederholen, diesmal energischer und etwas lauter, obwohl es nur für seine Ohren bestimmt war.

„Irgendwohin, wo wir allein sind.“

„Allein?“

Santos blickte sie so finster an, dass sie verlegen errötete.

„Ich heirate gleich, Señorita.“

„So habe ich es nicht gemeint!“, zischte sie. „Und Sie …“

Entsetzt verstummte sie. Noch konnte sie ihm nicht sagen, dass er nicht heiraten würde. Nicht so. Genauso wenig wie sie es ihm hier vor allen Gästen mitteilen konnte.

Denn er wäre sicher am Boden zerstört. Schließlich hatte er Natalie gebeten, ihn zu heiraten und seine Frau zu sein, in guten wie in schlechten Zeiten …

„Wir müssen uns unbedingt unterhalten“, brachte Alexa hervor und hoffte, er merkte nicht, wie heiser ihre Stimme klang.

„Soso, glauben Sie.“ Skeptisch und mit unverhohlener Verachtung blickte er auf sie herab. „Sie glauben, ich müsste Ihnen zuhören. Aber Sie tauchen hier einfach auf, ohne mir etwas zu erklären, und erwarten von mir …“

„Ich versuche doch, es Ihnen zu erklären!“, unterbrach sie ihn verzweifelt.

Merkte er denn nicht, wie wichtig es war? Dass sie hier nicht ohne einen triftigen Grund einfach hereinmarschiert wäre?

Nein, überlegte sie. Er merkte überhaupt nichts. El bandido wäre nie auf die Idee gekommen, dass seine Braut ihn vor dem Altar stehen lassen könnte. Er vertraute darauf, dass sie erscheinen würde, denn schließlich hatte er ja alles arrangiert.

Seine Arroganz brachte sie so auf die Palme, dass Alexa an sich halten musste, um ihm nicht die Wahrheit entgegenzuschleudern.

„Ich glaube, es wäre Ihnen lieber, wenn wir irgendwo unter vier Augen reden würden.“

„Mir wäre es lieber, wenn ich wenige Minuten vor meiner Hochzeit nicht mit einer anderen allein wäre. Können Sie sich vorstellen, was die Klatschpresse daraus machen würde?“

„Oh, um Ihren Ruf brauchen Sie keine Angst zu haben. Ich versichere Ihnen, dass ich keine Absichten …“

Alexa verstummte, als sie seinem zynischen Blick begegnete. Dachte Santos Cordero wirklich, sie wollte seinen Ruf ruinieren? Was mochte er für ein Leben führen, dass er so misstrauisch war? Glaubte er, sie würde ihm später damit drohen, sich an die Presse zu wenden und intime Einzelheiten auszuplaudern, wenn er ihr kein Geld zahlte?

Nein, es würde sicher keine intime Situation werden …

Bei der Vorstellung ließ sie den Blick unwillkürlich zu seinem Mund schweifen, den immer noch ein zynisches Lächeln umspielte. Er war so sinnlich … Prompt setzte ihr Herz einen Schlag aus. Allein bei dem Gedanken daran, ihn zu küssen, schrillten bei ihr sämtliche Alarmglocken.

„Ich möchte gar nicht wissen, was für Absichten Sie haben …“

Seine eisigen Worte brachten sie unvermittelt in die Gegenwart zurück, und sie konnte nun zumindest erahnen, warum ihre Halbschwester beschlossen hatte, ihn nicht zu heiraten.

„Sie sind wirklich unmöglich!“, brauste Alexa auf. „Ich versuche nur, Ihnen eine peinliche Situation zu ersparen.“

„Alexandra …“

Offenbar entschlossen einzugreifen, kam jetzt ihr Vater auf sie zu. Er war aschfahl, und sowohl sein Tonfall als auch die Tatsache, dass er sie nicht mit ihrem Kosenamen ansprach, waren ein einziger Vorwurf.

„Alexandra, bitte …“

Abrupt blieb er stehen, als Santos die Hand hob. Offenbar erlebte dieser es nicht oft, dass man ihn als unmöglich bezeichnete.

„Wenn Sie wirklich Angst haben, können wir die Tür offen lassen, sodass man Ihre Schreie hört, wenn ich …“

Nun war sie zu weit gegangen. Falls sie ihn zu einer Reaktion hatte bewegen wollen, war es ihr gelungen. Mehr als das sogar. Er hatte die Fassung verloren, wie das kalte Funkeln in seinen Augen und seine zusammengepressten Lippen bewiesen.

Und plötzlich klopfte ihr Herz aus einem anderen Grund schneller. Während sie sich vorher einigermaßen sicher gefühlt hatte, schien es ihr nun, als hätte sich die Erde unter ihr aufgetan und würde sie verschlingen.

Ihr Mund war ganz trocken, und ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Nervös befeuchtete sie sich die Lippen.

„Glauben Sie mir, es wäre besser, wenn wir allein reden würden – da drinnen vielleicht …“

In Panik deutete sie auf eine Tür, die, wie sie annahm, zur Sakristei führte.

Sie hatte keine Ahnung, wie sie reagieren sollte, wenn Santos einfach stehen blieb. Doch ehe sie sich darüber den Kopf zerbrechen konnte, streckte er die Hand aus und umfasste mit eisernem Griff ihren Arm.

„Sie wollen reden?“ Seine Stimme verriet unverhohlenen Zorn, und sein Akzent war noch deutlicher zu hören als vorher. „Dann los.“

Er führte sie zu der Tür, auf die Alexa gezeigt hatte, und öffnete sie. Nachdem er sie hineingeschoben hatte, schloss er die Tür, indem er einfach dagegentrat. Dass er sich in einer Kirche befand und außerdem mit ihr allein war, schien ihn in diesem Moment nicht mehr zu kümmern.

Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte er sich an die Tür. Falls sie vorher geglaubt hatte, er würde streng wirken, wurde Alexa nun eines Besseren belehrt, denn seine Züge waren hart und verrieten mühsam unterdrückten Zorn.

Nach einem Blick auf seine goldene Armbanduhr verkündete er: „Sie haben drei Minuten, um mir zu erklären, was das alles soll. Und es sollte glaubhaft sein, sonst …“ Er verstummte vielsagend, woraufhin sie unwillkürlich schauderte. „Und? Was gibt es so Wichtiges?“

„Ich …“

Zweimal setzte sie an, und beide Male versagte ihr die Stimme. Sie durfte ihm nicht ins Gesicht sehen, aber wegzublicken half genauso wenig. Wie sollte man einem Mann eröffnen, dass sein Leben von diesem Moment an ganz anders verlaufen würde, als er es sich vorgestellt hatte?

Nein, sie konnte ihm unmöglich in die Augen sehen.

„Sie haben schon dreißig Sekunden vergeudet“, höhnte Santos dann. „Noch zweieinhalb Minuten, und ich gehe wieder zurück und …“

„Natalie kommt nicht!“

Die Worte brachen einfach aus ihr heraus. Es gibt keinen richtigen und schon gar keinen einfachen Weg, es zu sagen, überlegte sie. Also hatte sie es ihm an den Kopf geworfen und hoffte nun, sich schnell zurückziehen zu können, bevor er seine Wut an ihr ausließ.

„Natalie kommt nicht. Sie hat es sich anders überlegt.“

Erstaunlicherweise reagierte Santos nicht so, wie Alexa es befürchtet hatte. Sein bedrohliches Schweigen war allerdings noch schlimmer für sie. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und sie hätte schreien mögen.

„Sie hat es sich anders überlegt?“, wiederholte er schließlich, als würde er entweder seinen Ohren nicht trauen oder die Bedeutung ihrer Worte nicht verstehen. „Erklären Sie es mir!“, befahl er dann scharf.

Er wollte es offenbar nicht anders. Sie hatte versucht, besonnen und fair zu sein, aber so etwas kannte Santos Cordero entweder nicht oder wusste es nicht zu schätzen.

„Natalie kommt nicht zur Hochzeit. Sie möchte Sie doch nicht heiraten.“

„Wo, zum Teufel, ist meine Braut?“, fuhr er sie an.

Dabei blickte er sie noch finsterer an als vorher, und trotz seines eisigen Tonfalls spürte sie, dass er sich nur mühsam beherrschte.

„Warum ist sie nicht hier, bei mir, vor dem Altar?“

„Oh bitte!“

Mehr konnte sie wirklich nicht ertragen. Dass er seinen Zorn an ihr ausließ, war eine Sache, doch die Worte meine Braut waren einfach zu viel.

Meine Braut. Es klang nicht nach großer Liebe, sondern einfach nur besitzergreifend.

„Es tut mir leid, aber sie wird nicht kommen und vor dem … dem …“ Da sie so gestresst war, konnte Alexa nur nervös auf die Tür deuten, vor der er stand. Da draußen warteten alle darauf, dass die Zeremonie endlich begann.

„Sie kommt nicht. Sie wird Sie nicht heiraten. Sie ist zum Flughafen gefahren und wird inzwischen schon in der Abflughalle sein. Sie will in die USA – mit dem Mann, den sie wirklich liebt und den sie wirklich heiraten möchte.“

„Sie ist weg.“

Das war eine Feststellung, so eisig und präzise, dass Alexa zusammenzuckte. Noch nie hatte sie sich so schrecklich gefühlt wie in diesem Augenblick, und dies war nicht einmal ihr Kampf, den sie ausfocht. Doch sie hätte niemals zulassen können, dass ihre Schwester Santos Cordero heiratete, denn diese war so unglücklich gewesen.

„Ihre Schwester … ist vor ihrer eigenen Hochzeit davongelaufen.“

Die Art und Weise, wie er die Worte Ihre Schwester aussprach, bewirkte, dass ihr Herz sich schmerzhaft zusammenkrampfte. Aber sie wagte es nicht, es zu analysieren und herauszufinden, was sich wirklich dahinter verbarg. Sie hatte auch keine Zeit mehr, denn sie hatte ihre Mission fast erfüllt. Sie hatte Santos die Wahrheit gesagt und hoffte nur, sie konnte jetzt so schnell wie möglich von hier verschwinden.

„Sie hat mich sitzen lassen – wegen eines anderen Mannes?“

„Ich fürchte, ja.“

„Das hätte sie nicht tun sollen.“

„Ich weiß, und es tut mir leid – sie hätte es Ihnen früher sagen und Ihnen gestehen müssen, dass Sie sie nicht genug liebt, um Sie zu heiraten. Sicher sind Sie verletzt …“

Ihre Worte überschlugen sich fast, doch Alexa verstummte schockiert, als sie seine Reaktion bemerkte. Statt wütend zu werden, wie sie erwartet hatte, lachte er. Benommen und ungläubig zugleich stand sie da und blickte ihn starr an.

Er warf den Kopf zurück und lachte laut. Es war ein humorloses, zynisches Lachen, das sie schaudern und ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„Santos?“, fragte sie zögernd, während sie sich fragte, ob sie überhaupt zu ihm durchgedrungen war.

Hatte sie in ihrer Nervosität vielleicht einen Fehler gemacht und nicht überzeugend geklungen? Glaubte er womöglich, das Ganze wäre ein schlechter Witz?

„Santos, haben Sie gehört, was ich gesagt habe? Verstehen Sie doch …“

„Oh ja, das habe ich, belleza, und ich verstehe nur zu gut. Ihre Schwester hat ihr Versprechen gebrochen und mich verlassen, und Sie müssen jetzt die Scherben zusammenkehren. Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum Sie denken, dass es mich interessiert.“

2. KAPITEL

„Was?“

Alexa blinzelte verwirrt, während sie die Bedeutung seiner Worte, aber vor allem Santos’ Reaktion zu verstehen versuchte. Nachdem sein Lachen sie schon überrascht hatte, erschien ihr seine Aussage fast unwirklich. Statt wütend, traurig oder verbittert zu reagieren, weil die Frau, die er heiraten wollte, ihn vor dem Altar stehen ließ, gab er sich zynisch, ja, fast gleichgültig.

„Es interessiert Sie nicht? Aber …“

Ungerührt zuckte Santos die Schultern und strich sich dann mit beiden Händen durchs Haar, als würde er nach einem langen, anstrengenden Tag endlich abschalten.

Seine Züge hingegen wirkten keineswegs entspannt, denn er presste die Lippen zusammen, und an seiner Wange zuckte ein Muskel. Und das Funkeln in seinen grauen Augen erinnerte sie an ihre erste Begegnung mit ihm, als sie fand, er hätte die kältesten Augen überhaupt.

„Erwarten Sie etwa, dass ich mich verhalte, als hätte Ihre Schwester mir das Herz gebrochen? Als hätte ich meine große Liebe verloren und als wüsste ich nicht, wie ich jetzt weiterleben soll?“, fragte er zynisch. „Da liegen Sie völlig falsch. Ich werde so weitermachen wie bisher. Ihre Familie hingegen dürfte Schwierigkeiten haben, wieder auf die Beine zu kommen. Sie …“

Er verstummte, als jemand von außen energisch an die Tür klopfte.

„Alexandra? Alexa?“ Es war ihr Vater, der ziemlich besorgt klang. „Ist alles in Ordnung? Was geht da vor? Cordero, was …?“

„Warten Sie!“, rief Santos scharf, ohne den Blick von Alexa abzuwenden. „Wir kommen gleich und erklären alles. Oder vielmehr …“ Er sah sie so durchdringend an, dass sie sich noch verletzlicher fühlte. „Sie werden es tun.“ Sein sanfter Tonfall täuschte nicht darüber hinweg, dass dies ein Befehl war. „Sie werden Ihrem Vater – Ihrer Familie – erzählen, was passiert ist.“

„Aber ich …“ Einen Moment lang versagte ihr die Stimme. „Das ist jetzt nicht mehr meine Aufgabe. Sie …“

Auf keinen Fall konnte sie in die Kirche zurückkehren und allen sagen, warum sie hier war. Dass Natalie die Flucht ergriffen hatte und die Trauung, die in der Klatschpresse als Hochzeit des Jahres angekündigt worden war, nicht stattfinden würde. Es hätte eine Verbindung aus neuem Reichtum und altem Adel sein sollen, denn Santos war Unternehmer und hatte es bereits zum Milliardär gebracht, während Natalie als Lord Stanley Montagues Tochter einem alten Geschlecht entstammte. Santos, der aus einfachen Verhältnissen kam und sich mit viel Fleiß, Ehrgeiz und Köpfchen an die Spitze gekämpft hatte, sollte in eine der angesehensten englischen Adelsfamilien einheiraten. Aus diesem Stoff waren Märchen gemacht, vor allem wenn die Braut eine Schönheit und der Bräutigam so attraktiv war, dass ständig Fotos von ihm und irgendwelchen Begleiterinnen in den einschlägigen Magazinen auftauchten.

„Ich glaube nicht …“, setzte Alexa wieder an. Sie fühlte sich noch verlorener als in dem Moment, in dem sie den Gang hinunter auf Santos zugegangen war, der sie eisig betrachtet hatte.

Sie wusste nicht, was sie ihm sagen oder wie sie ihm alles erklären sollte, zumal alles ganz anders gelaufen war, als sie erwartet hatte. Schließlich fand sie sich nicht jeden Tag in einer Situation wie dieser wieder.

Doch er hörte ihr gar nicht zu. Jetzt kam er auf sie zu. Mit eisernem Griff umfasste er ihren Arm, sodass seine Finger sich schmerzhaft hineinbohrten, und drehte sie zur Tür herum.

Sie werden es tun“, verkündete er schroff. „Ihre Familie hat mein Leben schon genug durcheinandergebracht, also …“

Er wurde durch erneutes Klopfen und die Stimme ihres Vaters unterbrochen, die diesmal schärfer klang.

„Alexandra, was ist da los?“

„Nichts … Ich meine, es ist alles in Ordnung“, brachte Alexa hervor, als Santos sie drohend anblickte. „Wir … wir kommen jetzt, und dann … erkläre ich alles.“

Da er sie jetzt mit sich zog, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

„Lassen Sie mich gefälligst los!“, fuhr sie ihn an. „Okay, ich musste Ihnen die schlechte Nachricht überbringen, aber es gibt ein Sprichwort, das heißt, dass man den Boten nicht dafür verantwortlich machen soll. Natalie ist diejenige …“

„Ihre Schwester ist nicht hier.“

Er sagte es leise und sah sie dabei nicht an. Im nächsten Moment riss er die Tür auf.

„Also lassen Sie Ihren Frust nicht an mir aus! Sie können mich nicht einfach so mitschleifen …“

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie nicht aufgepasst und stolperte nun in den ungewohnt hochhackigen Pumps über einen der unebenen Steine. Zuerst dachte sie, sie würde das Gleichgewicht verlieren, doch er verstärkte seinen Griff und hielt sie aufrecht.

„Reißen Sie nicht so an meinem Arm!“

„Ich habe nur verhindert, dass Sie hinfallen.“

Warnend funkelte er sie an, aber sie musste trotzdem an sich halten, um nichts zu entgegnen. Wie hatte das Ganze ihr so entgleiten können? Sie hatte ihm nur die Nachricht überbringen wollen und fand sich nun in der Opferrolle wieder, denn Santos schleifte sie in die Kirche, ohne dass sie wusste, worum es hier ging. Denn es musste mehr dahinterstecken, so viel war sicher.

„Dann lassen Sie es gefälligst“, konterte Alexa sarkastisch. „Ich komme sehr gut allein zurecht.“

„Schon möglich“, stieß er so leise hervor, dass weder ihre Stiefmutter in der ersten Reihe noch ihr Vater, der vor den Stufen zum Altar stand, es hörten. „Aber ich möchte nicht, dass Sie hinfallen und mir die Schuld geben. Außerdem will ich verhindern, dass Sie wie Ihre Schwester einfach die Flucht ergreifen.“

„Was würde es für eine Rolle spielen, wenn ich es täte?“

Einen Moment lang war sie versucht, ihm gegen das Schienbein zu treten, doch sein warnender Blick hinderte sie daran. Ein grimmiges Lächeln umspielte seine Lippen, als er mit ihr vor dem Altar stehen blieb.

„Alexa“, begann ihr Vater erneut, verstummte allerdings, sobald Santos ihn anfunkelte.

„Ladies und Gentlemen …“

Santos musste nicht einmal besonders laut sprechen, um sich Gehör zu verschaffen, weil bei ihrem Erscheinen alle verstummt waren. Alle blickten sie an, einige verwirrt, andere, wie ihre Stiefmutter und ihr Vater, ausgesprochen angespannt. Und wieder fragte Alexa sich, was hier vor sich ging.

Santos hingegen wirkte völlig unbeeindruckt, während er ruhig und selbstsicher weitersprach, als würde er die Tischrede halten.

„Es gibt eine geringfügige Änderung …“

Geringfügig?

Schockiert drehte Alexa sich zu ihm um. Wie konnte er die Geschehnisse nur mit derart banalen Worten beschreiben?

Doch er ignorierte ihre Bestürzung und redete genauso beherrscht weiter.

„Die Hochzeit fällt aus.“

„Nein …“

Sichtlich entsetzt wich ihr Vater einen Schritt zurück, und ihre Stiefmutter wurde noch blasser und schlug sich die perfekt manikürte Hand vor den Mund, als müsste sie einen Schrei unterdrücken.

„Was …?“

Das war wieder ihr Vater, dem es offenbar schwerfiel, mehr als nur ein Wort über die Lippen zu bringen und die Frage zu stellen, die ihn am meisten beschäftigte. Selten hatte Alexa ihn so aufgewühlt erlebt, und ihrer Meinung nach reagierte er viel zu extrem. Sicher wäre es peinlich für ihn, die Trauung abzusagen und den Klatsch im Bekanntenkreis und die Kommentare in der Presse über sich ergehen zu lassen.

Aber es war immer noch besser, als wenn Natalie einen großen Fehler machte, indem sie einen Mann heiratete, den sie nicht liebte, oder? Die Hochzeit jetzt abzusagen wäre nicht so schlimm, wie kurze Zeit später eine – in jeder Hinsicht – kostspielige Scheidung zu finanzieren. Für ihren Vater schien es allerdings ein Weltuntergang zu sein …

Alexa hatte keine Gelegenheit mehr, sich den Kopf über diese Dinge zu zerbrechen, weil Santos sie in dem Moment nach vorn zog, sodass sie direkt vor ihm und den Gästen gegenüberstand.

„Natalie kommt nicht“, verkündete er kühl. „Sie hat mich sitzen lassen. Ihre Schwester hat mir die Nachricht überbracht, und jetzt wird sie Ihnen alles erklären.“

Er schob sie nach vorn, und sie wusste, jetzt war der Augenblick der Wahrheit gekommen.

Aber was war die Wahrheit? Plötzlich wusste sie es nicht mehr genau. Natalie hatte Santos nicht mehr heiraten wollen. Nur warum hatte sie sich überhaupt darauf eingelassen? Bevor Alexa darüber nachdenken konnte, ergriff ihr Vater wieder das Wort.

„Alexandra? Was ist hier eigentlich los?“

„Sagen Sie es ihm“, drängte Santos schroff, als sie zögerte. „Sagen Sie es den Gästen.“

„Ich fürchte, San… Señor Cordero hat recht …“

In der großen Kirche klangen ihre Worte seltsam hohl, beinah unheimlich. Wenigstens klingt meine Stimme fester, als ich erwartet habe, dachte Alexa. So als wüsste sie, wovon sie sprach.

„Natalie hat es sich anders überlegt. Sie glaubt, es wäre nicht richtig, ihn zu heiraten, denn sie liebt einen anderen.“

Wenigstens das konnte sie aus Überzeugung sagen. Flüchtig ließ sie den Moment Revue passieren, in dem Natalie in ihrem Hotelzimmer auf dem Bett gesessen und starr ihr Brautkleid angeblickt hatte, aschfahl und mit Tränen in den Augen.

„Ich dachte, ich könnte es tun, Lexa“, hatte sie hervorgebracht. „Ich wollte es ja auch … Aber jetzt geht es nicht mehr. Wäre ich John nicht begegnet, hätte ich Santos geheiratet, doch es hat alles verändert.“

„Dass sie Ihnen so viele Umstände bereitet hat, tut ihr sehr leid … Doch sie wollte es lieber jetzt beenden als eine Ehe eingehen, in der sie nicht glücklich geworden wäre …“

„Und sie war zu feige, selbst zu kommen und es mir ins Gesicht zu sagen?“

Sein drohender Tonfall veranlasste Alexa, Santos anzusehen. Das kalte Funkeln in seinen grauen Augen und der bittere Zug um seine Lippen ließen sie schaudern. Dass Natalie sich außerstande gesehen hatte, ihm gegenüberzutreten, konnte sie ihr wirklich nicht verdenken. Und wenn sie ihn so erlebte wie in diesem Moment, war ihr völlig rätselhaft, warum Natalie ihn überhaupt hatte heiraten wollen.

„Nein“, bestätigte Alexa unbehaglich. Natalie hatte es nicht einmal gewagt, ihrer Mutter und ihrem Vater die Wahrheit zu sagen. „Es tut mir leid.“

Santos nickte unmerklich, was vermutlich heißen sollte, dass er ihre Entschuldigung annahm. Ansonsten deutete allerdings nichts darauf hin, denn seine Miene war genauso hart wie vorher. Und sie hatte sich Sorgen gemacht, dass er verletzt sein könnte!

Dieser Mann wirkte, als würde nichts seinen Panzer durchdringen und sein Herz rühren. Momentan sah er nicht einmal so aus, als hätte er überhaupt ein Herz.

„Und wo ist Natalie jetzt?“

Alexa richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Vater, der wie erstarrt dastand, die Hände zu Fäusten geballt.

„Auf dem Weg zum Flughafen – nein …“ Ein flüchtiger Blick auf ihre Armbanduhr bestätigte ihre Vermutung. „Sie muss jetzt in der Abflughalle sein.“

„Oh nein! Natalie!“

Petra Montague, ihre Stiefmutter, reagierte genauso, wie Alexa es erwartet hatte. Mit bebenden Händen fasste sie sich an die Wangen, und ihre rot lackierten Fingernägel bildeten einen harten Kontrast zu ihren großen blauen Augen, in denen nun Tränen schimmerten.

„Was hat sie bloß getan? Was hat sie vor?“

„Pst, meine Liebe.“ Seine Worte klangen eher wie ein Vorwurf, als Stanley zu ihr ging, um ihre Hände zu nehmen und sie anzublicken. „Petra, nicht …“

Alexa machte einige Schritte auf sie zu, blieb dann allerdings stehen, weil sie wusste, dass ihre Stiefmutter sich nicht von ihr trösten lassen, sondern sie eher zurückweisen würde. Diese sah Stanley nun verzweifelt an, während sie seine Hände drückte.

„Sicher ist es so besser, als wenn Natalie später gemerkt hätte, dass sie einen großen Fehler gemacht hat“, bekräftigte Alexa.

Sie ist wirklich gut, dachte Santos, nachdem er beobachtet hatte, wie Alexandra ein Stück nach vorn ging und dann zögerte. Fast hätte er geglaubt, dass sie die Wahrheit sagte und selbst von ihrer Geschichte überzeugt war.

Aber das konnte natürlich nicht sein. Sie musste die ganze Zeit gewusst haben, dass ihre Schwester ihn sitzen lassen würde. Warum hätte sie ihre Ankunft in der Kirche sonst so perfekt getimt, dass niemand Natalie hinterherfahren und sie zurückholen konnte?

Die ganze Familie steckte unter einer Decke. Und er war dumm genug gewesen, ihnen zu vertrauen, und hatte zum ersten Mal in seinem Leben eine Fehlentscheidung getroffen.

Als Hochzeitsgeschenk für deine Braut … Noch immer hörte er Petra Montagues flehende Stimme. Du möchtest doch nicht, dass dein Schwiegervater auf der Straße landet …

Dios! Was hatte er sich nur dabei gedacht? Noch nie zuvor hatte er etwas bezahlt, bevor das Geschäft unter Dach und Fach war. Diesmal allerdings war er nur etwas unvorsichtig gewesen, und die verdammten Montagues hatten es ausgenutzt.

„Ihr möchtet doch bestimmt, dass Natalie glücklich ist.“

„Das wäre sie mit Santos geworden!“, jammerte Petra. „Wir alle hätten uns sehr gefreut!“

„Sie war aber nicht glücklich“, wandte Alexa ein. „Sie hat sich nur nicht getraut, etwas zu sagen, nachdem ihr die Hochzeit geplant hattet.“

Nun, da er ein wenig seitlich von ihr stand, sah er sie nur im Profil. Und plötzlich konnte er den Blick nicht mehr von ihr abwenden.

Ihre Stiefmutter hatte sie als unscheinbar, altmodisch und langweilig beschrieben. Doch schon auf der Dinnerparty hatte er sie ganz anders gesehen. Im Gegensatz zu ihrer jüngeren Schwester, die mit dem blonden Haar und den strahlend blauen Augen als Schönheit galt, war Alexa brünett und hatte braune Augen. Außerdem war sie nicht nach dem letzten Schrei gekleidet gewesen, sondern dezenter, aber nicht langweilig oder gar altmodisch.

Und selbst die übertriebene Hochsteckfrisur, die sie heute trug, konnte nicht von ihrem klassischen, klaren Profil ablenken. Die zarte, fast durchscheinende Haut und die langen, gebogenen Wimpern verliehen ihrem Äußeren eine zusätzliche Faszination.

Und obwohl sie nicht ganz so groß und etwas schlanker war als Natalie mit ihren sehr weiblichen Rundungen, zog sie ihn unwiderstehlich an. Nicht nur ihr Äußeres, sondern auch ihre Haltung und die Ruhe, die sie ausstrahlte, zogen ihn in ihren Bann.

Bei ihrer ersten Begegnung war Alexa so kühl und distanziert gewesen, dass er sie sofort unsympathisch fand. Den Ausdruck in ihren Augen hatte er auf seinem Weg nach oben so oft gesehen. Er erinnerte ihn daran, dass er aus der Gosse kam und man ihm seine Herkunft immer noch ansah. Er hatte sich geschworen, es sich nie wieder gefallen zu lassen, und sich in dem Augenblick gesagt, dass er sich viel stärker zu Natalie hingezogen fühlte.

Jetzt war er sich allerdings nicht mehr so sicher.

„Eins ist jedenfalls sicher“, hörte er sie nun mit ihrer sanften Stimme leise sagen. „Es wird heute keine Hochzeit geben. Ich konnte einfach nicht zulassen, dass Natalie es durchzieht.“

Konnte nicht … Immer wieder gingen ihm die Worte durch den Kopf und ließen bei ihm alle Alarmglocken schrillen. Ich konnte einfach nicht zulassen, dass Natalie es durchzieht.

Verdammt, fluchte Santos im Stillen. Sie hatte die ganze Zeit mitgemacht. Sie hatte gewusst, dass Natalie ihr Versprechen nicht halten würde, und ihr dabei geholfen zu fliehen.

Und ihn vor allen Gästen gedemütigt.

„Ich bedaure, dass Sie alle den weiten Weg umsonst gemacht haben, aber Sie haben gewiss Verständnis. Und jetzt bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren.“

Während sie sprach, machte sie einen Schritt nach vorn, als Beweis dafür, dass sie genau das tun wollte – den Gang hinuntergehen und die Kirche verlassen.

„Wenn Sie bitte alle aufstehen würden …“

„Nein!“

Auf keinen Fall würde er zulassen, dass sie sich einfach aus der Affäre zog und den Scherbenhaufen zurückließ, für den sie und ihre Familie verantwortlich waren. Das Gefühl, dass man ihn hereingelegt und ausgenommen hatte, löschte jeden klaren Gedanken aus und veranlasste ihn zu handeln. Blitzschnell streckte Santos die Hand aus und packte Alexa am Arm, um sie zu sich umzudrehen. Natalie war ihm entwischt, aber ihr würde es nicht gelingen.

Die Montagues schuldeten ihm eine Menge – und wer dafür bezahlte, interessierte ihn nicht. Sollte die andere Tochter damit anfangen.

Zuerst allerdings musste er dafür sorgen, dass sie nicht weglief.

„Nein“, wiederholte er noch energischer. „Sie gehen nirgendwohin. Sie kommen mit mir.“

„Warum?“

Wieder spielte Alexa mit dem Gedanken, Santos gegen das Schienbein zu treten, denn er hielt sie mit eisernem Griff fest und blickte herablassend auf sie herunter. Da sie jedoch nicht mit ihm allein war, riss sie sich zusammen und begnügte sich damit, ihn zornig anzufunkeln und zu hoffen, dass er ihr ihre abgrundtiefe Abneigung auch anmerkte.

„Warum, in aller Welt, sollte ich Sie begleiten?“

„Weil ich Sie darum bitte“, erwiderte er und lächelte dabei zu ihrer Verblüffung.

Plötzlich wirkte er so verändert, dass sie ihn ungläubig ansah. Eben noch arrogant und tyrannisch, war er jetzt ausgesprochen anziehend.

Und es funktionierte, wie sie sich widerstrebend eingestehen musste, denn ihr Herz pochte wie wild. Sie wollte sich nicht die Blöße geben, auf den routinierten Charme eines Verführungskünstlers hereinzufallen, aber sie konnte einfach nicht anders. Als das Lächeln seine sinnlichen Lippen umspielte und seine grauen Augen zu funkeln begannen, schmolz ihr Widerstand dahin und wich einer Flut von ganz und gar weiblichen Empfindungen.

„Hören Sie …“

Seine deutlichen Worte und die ausholende Geste lenkten die Aufmerksamkeit aller Gäste auf sich, doch sein Blick galt ihr allein. Und die Wucht, mit der er sie traf, brachte Alexa völlig aus dem Gleichgewicht, bevor sie auch nur die Chance hatte, sich etwas zu sammeln.

„Die Hochzeit findet nicht statt, aber davon müssen wir uns doch nicht den Tag verderben lassen, oder? In meinem Haus ist alles für den Empfang vorbereitet. Meine Angestellten und die Mitarbeiter vom Partyservice haben tagelang gearbeitet. Es wäre eine Sünde, alles wegzuwerfen.“

Noch einen Moment lang sah Santos ihr in die Augen, und die Botschaft, die in seinem Blick zu liegen schien, machte sie schwindelig. Dann wandte er sich wieder den Gästen zu und setzte erneut sein charmantes Lächeln auf.

„Wie Señorita Montague ganz richtig festgestellt hat, haben viele von Ihnen einen weiten Weg hinter sich. Was für ein Gastgeber wäre ich, wenn ich Sie zurückfahren lassen würde, ohne dass Sie etwas getrunken oder gegessen hätten? Ich lade Sie alle in meine Villa ein. Auch wenn kein Hochzeitsempfang mehr stattfindet, sollen Sie meine Gastfreundschaft erfahren.“

Alexa traute ihren Ohren kaum. Noch vor wenigen Minuten hatte Santos in der Sakristei zu ihr gesagt, es interessierte ihn nicht, dass Natalie ihn verlassen hatte. Aber konnte er jetzt wirklich aus der Kirche gehen, als wäre nichts geschehen, und seine Gäste zu sich nach Hause einladen?

Der Mann mit dem kalten Blick, den sie zuerst kennengelernt hatte, wäre durchaus dazu in der Lage gewesen. Doch wie stand es um den mit dem verführerischen Lächeln? Und welcher von den beiden war der wahre Santos Cordero?

„Sie … wollen uns dort sicher nicht haben“, brachte sie hervor. „Die Montagues sind wohl die Letzten, die Sie jetzt sehen möchten …“

Abrupt verstummte sie, als er sie wieder anlächelte. Diesmal wirkte es allerdings verstörend kalt.

„Ganz im Gegenteil, Sie sind mehr als willkommen.“

Hatte sie es sich nur eingebildet, oder hatte er das Sie besonders betont? Bestimmt meinte er nicht nur sie allein.

„Sicher sind Sie bereit, mir über die Zeit hinwegzuhelfen, die ich jetzt ohne meine Braut verbringen muss.“

Nun hatten seine Worte etwas Drohendes, und prompt bekam Alexa eine Gänsehaut.

„Ich glaube nicht …“, wehrte sie ab, doch er ignorierte sie und sprach einfach weiter.

„Und ihre Stiefmutter wäre sicher dankbar, wenn sie sich erst einmal zurückziehen könnte, bevor sie sich den Paparazzi stellt.“

„Den Paparazzi?“

Die hatte sie ganz vergessen. Tatsächlich hatte sie nur daran gedacht, wie sie die Nachricht am besten überbringen sollte. Alles Weitere hatte sie sich gar nicht ausmalen wollen.

„Ja, natürlich.“

Diesmal war sein Lächeln richtig eisig. Die Wärme, die sie vorher durchflutet hatte, wich einem Gefühl der Leere, und plötzlich hatte Alexa Angst vor der Zukunft, obwohl sie es nicht ergründen konnte.

„Sie glauben doch nicht etwa, dass die Reporter sich eine Sensationsstory wie diese entgehen lassen würden, oder? Die Hochzeit des Jahres ist geplatzt. Solche Geschichten sind ein gefundenes Fressen für die Presse. Und man wird Ihre Familie nicht in Ruhe lassen.“

Santos ließ den Blick zur ersten Reihe gleiten, wo Petra noch immer nach Fassung rang und Stanley, der genauso mitgenommen wirkte, sie zu trösten versuchte. Wieder erschauerte Alexa. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihre Stiefmutter vor den Kameras und später beim Anblick der Fotos in den Zeitungen durchdrehen würde.

„Und das könnten Sie verhindern?“

„Ich habe einige Männer engagiert, die dafür sorgen, dass die Paparazzi nicht zu dicht herankommen. Außerdem wartet draußen eine Flotte von Wagen, mit denen die Gäste zu mir gefahren werden.“

Schweigend nickte sie. In einer dieser Limousinen mit getönten Scheiben war sie zur Kirche gekommen. Und sie hatte auch die Sicherheitsleute davor bemerkt, die dafür sorgten, dass nur geladene Gäste zum Eingang gelangten.

„Und warum sollten Sie das für uns tun?“

„Offenbar habe ich meine eigenen Gründe dafür, dass morgen nicht alle Skandalblätter über die geplatzte Hochzeit berichten. Sobald wir bei mir sind, können wir alle aufatmen.“

Aufatmen. Das klang wirklich verlockend, denn erst jetzt wurde ihr bewusst, wie angespannt sie war. Ihre Muskeln schmerzten, und ihre Schläfen begannen zu pochen.

„Dann nehme ich Ihr Angebot an. Ich sage meinem Vater Bescheid und begleite ihn und Petra zu einem der Wagen.“

„Nein. Miguel kümmert sich darum.“

Mit einer Hand gab er einem Mann, der sich diskret im Hintergrund aufhielt, ein Zeichen, während er sie mit der anderen zurückhielt. Diesmal verschränkte er jedoch die Finger mit ihren, sodass seine Körperwärme sich auf sie übertrug und ihr Blut in den Adern zu pulsieren begann. Ihre Haut prickelte, und ihr Mund war plötzlich so trocken, dass sie unwillkürlich die Lippen befeuchtete.

Da Santos auch einen Schritt nähergekommen war, schien sein Duft sie zu umfangen und machte sie ganz benommen. Ihr Herz pochte noch wilder, und sie atmete tief durch, weil sie das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen.

„Sie gehen mit mir.“

Das war keine Bitte, sondern ein Befehl, denn sein Tonfall duldete keinen Widerspruch. Außerdem verstärkte Santos seinen Griff, bevor er mit ihr den Gang entlangschritt.

Eigentlich müsste ich mir jetzt Sorgen machen oder sogar ein bisschen Angst haben, dachte Alexa flüchtig, während sie neben ihm hereilte. Und vielleicht empfand sie sogar beides.

In diesem Moment wollte sie jedoch kein Aufsehen erregen, indem sie sich weigerte, ihn zu begleiten. Für diesen Tag hatte sie schon genug Stress gehabt.

Zumindest in einem Punkt hatte Santos recht: Die Paparazzi würden bald mutmaßen, dass irgendetwas nicht stimmte, wenn die Braut nicht auftauchte, und sich dann auf die Gäste stürzen. Je eher sie von hier verschwanden, desto besser.