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BIANCA IOSIVONI

HUNTERS

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SPECIAL UNIT VERLOREN

ROMANTIC SUSPENSE

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VERLOREN

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BIANCA IOSIVONI

©2015 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH
8712 Niklasdorf, Austria

Covergestaltung: ©jdesign.at
Titelabbildung: ©curaphotography, ©Senohrabek

ISBN-Taschenbuch: 978-3-902972-68-2
ISBN-EPUB: 978-3-902972-77-4

www.romance-edition.com

1. KAPITEL

Jede Entscheidung hatte Konsequenzen. Selbst die Kleinste, wie etwa, ob man pünktlich zum Weckerklingeln aufstand oder liegen blieb, zu Hause seinen Kaffee trank oder sich einen Coffee to go kaufte, hatte Folgen. Die größten Konsequenzen hatte es jedoch, wenn man sich dafür entschied, den Abend mit einem NSA-Agenten zu verbringen, und dieser Abend erst am nächsten Morgen endete.

Spät. So spät, dass man fast seinen Flug nach Hause verpasste.

Riley Beckett rannte durch das Terminal, während ihr Rucksack mit jedem Schritt gegen ihren Rücken polterte und die Laptoptasche an ihre Hüfte schlug. Vor der Anzeigetafel kam sie schlitternd zum Stehen, wodurch ihre Sneakers einen quietschenden Laut auf dem gewienerten Boden verursachten.

Fieberhaft überflog sie die Abflugzeiten auf der Tafel und fluchte innerlich. Vier Minuten, bis das Gate geschlossen wurde und ihr Flugzeug ohne sie starten würde. Da arbeitete sie drei Monate lang mit hochexplosiven Stoffen und führte kontrollierte Detonationen durch, doch was sie wirklich ins Schwitzen brachte, war die Tatsache, dass sie gleich ihren Flieger verpassen würde.

Riley sprintete los, vorbei an der Gepäckabgabe und bis zum Sicherheitscheck. Nacheinander warf sie Tasche, Rucksack und Jacke in die Kontrollbox, legte Armbanduhr und Handy ab und zog sich die Schuhe aus. Während die Kiste in der Durchleuchtungsanlage verschwand, marschierte Riley durch den Metalldetektor.

Ein Piepen vermischte sich mit ihren schnellen Atemzügen. Sie schloss die Augen. Natürlich. Als ob sie irgendwelche Waffen oder Sprengstoffe am Körper tragen würde. Dennoch stellte sie sich brav an die Seite und streckte die Arme aus, damit die Dame von der Flugsicherheit sie per Handsonde kontrollieren konnte.

In Gedanken zählte sie die Sekunden. Ein neuer Fall hielt die HUNTERS seit ein paar Wochen auf Trab und Riley wollte rechtzeitig vor Ort sein, um ihr Team zu unterstützen. Doch das würde sie nicht schaffen, wenn man sie am Flughafen wie eine potenzielle Terroristin behandelte.

»Seattle also, hm?«, fragte der männliche Mitarbeiter, der einen Blick auf ihr Ticket warf.

Riley nickte knapp.

»Privat oder beruflich?«

»Beides.« Sie drehte sich um und ließ sich von hinten abtasten. In der Kontrollbox piepte ihr Handy mit einer neuen Nachricht. Einmal. Zweimal. Situationen wie diese waren es, in denen Riley es bereute, nicht wie ihre Kindheitsfreunde Lexie und Logan Ryder zum Militär gegangen zu sein. Als Soldat hatte man diese Probleme auf Reisen nicht. Doch obwohl sie für die Hunting Unit for National Terrorism and Endangerment RiskS arbeitete, galt Riley für den Rest der Welt als Zivilistin. Oder in diesem Fall als mögliche Attentäterin, so lange wie diese Kontrolle dauerte.

»Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Flug.« Der Mann nickte ihr zu und die Mitarbeiterin mit der Handsonde trat zurück. Gott sei Dank.

Riley nahm ihre Sachen an sich und rannte in Socken zum richtigen Gate. Alle anderen Passagiere waren bereits eingestiegen, als sie es endlich erreichte und ihr Ticket einer irritierten Stewardess in die Hand drückte. Während diese ihre Unterlagen prüfte, schlüpfte Riley wieder in ihre Sneakers und eilte dann weiter ins Flugzeug.

Seufzend ließ sie sich in ihren Sitz am Gang neben einem der Notausgänge fallen und schloss die Augen. Geschafft.

Ein erneutes Piepen erinnerte sie daran, dass neue Nachrichten auf ihrem Handy auf sie warteten. Sie zog es aus ihrer Hosentasche und entsperrte den Bildschirm.

Wo steckst du? Seit du weg bist, ist Tyler noch unausstehlicher als sonst und Lex fängt an, sinnloses Zeug vor sich hinzubrabbeln … Oh, und der Kontrollraum ist in die Luft geflogen. Ich war’s nicht.

Riley biss sich auf die Unterlippe, kam jedoch nicht gegen das Grinsen an, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete. Das war so typisch Logan, dass sie ein wehmütiges Ziehen in ihrer Brust verspürte. Sie konnte ihn förmlich vor sich sehen, wie er mit den Füßen auf dem Tisch im Falcon’s Eye saß, der Bar, die das Team zur Tarnung betrieb, und diese SMS an sie schrieb.

Mein Flieger landet in 3h in Seattle. Haltet durch! Rettung ist unterwegs.

Sie schickte die Nachricht ab und öffnete die nächste.

Das mit dem Frühstück üben wir noch mal. Das Angebot meiner Leute steht weiterhin, aber denk nicht zu lang darüber nach. Spätestens bei unserem nächsten Essen will ich eine Antwort von dir. Daniel

Minuten vergingen, in denen die Stewardess die Fluggäste dazu aufforderte, sich anzuschnallen und ihr Handgepäck zu verstauen. Minuten, in denen Riley nur ihr Smartphone anstarren konnte, bis der Bildschirm schwarz wurde. Seit Tagen hatte sie an nichts anderes als an Daniels Angebot gedacht, ohne zu einer Entscheidung gekommen zu sein. Denn eine Entscheidung würde bedeuten, dass sich ihr ganzes Leben änderte – oder für immer gleich blieb.

Und Riley war für keine der beiden Varianten bereit.

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Wenige Stunden später hielt das Taxi am Pioneer Square in Seattle und Riley bezahlte den Fahrer. Die Smaragdstadt begrüßte sie mit tiefgrauen Wolken und Regenwetter. Riley zog den Kragen ihres dunklen Mantels hoch und überquerte die Straße im Eilschritt. Inzwischen war es Nacht geworden und das blaue Logo des Falcon’s Eye leuchtete in der Dunkelheit auf. Durch das Fenster erkannte sie Leeroy O’Connor hinter der Theke und blieb verblüfft stehen.

Der Berater, den ihnen das USSOCOM an die Seite gestellt hatte, war einer der ersten HUNTERS gewesen und verbrachte seine Zeit überall in der Zentrale – nur nicht als Barkeeper hinter dem Tresen. Ein schneller Blick durch den Raum verriet ihr, dass niemand vom Hauptteam anwesend war. Die beiden Kellnerinnen halfen aus, ohne zu ahnen, was sich mehrere Meter unter ihren Füßen befand.

Statt die Bar zu betreten, wählte Riley einen anderen Weg und umrundete das Backsteingebäude. Im Hinterhof angekommen, blieb sie abrupt stehen. Das Garagentor, hinter dem sich bestimmt ein Dutzend Autos verbargen, stand weit offen. Trotz des prasselnden Regens hörte sie das unverkennbare Dröhnen eines Motors aus dem Inneren. Zwei Sekunden später hielt ein grau-schwarzer Plymouth Barracuda mit knallig orangefarbenem Seitenstreifen neben ihr.

Die Beifahrertür wurde geöffnet und Logan Ryder lehnte sich über den Sitz. »Steig ein.«

Obwohl sie keine Ahnung hatte, was los war, folgte Riley der Anweisung, ohne Fragen zu stellen. Nicht weil es wie ein Befehl geklungen hatte, sondern weil sie Logan vertraute. Blind. Wenn man einander schon sein ganzes Leben lang kannte und zusammen in einer Spezialeinheit diente, lernte man unweigerlich, sich aufeinander zu verlassen.

»Was ist los?«, fragte sie, sobald sie die Tür zugezogen hatte und am Sicherheitsgurt herumfummelte. Tropfen fielen aus ihrem kurzen Haar, liefen ihr über den Hals und saugten sich in ihrem Mantel fest. »Wohin fahren wir?«

»Wir hatten einen Durchbruch im aktuellen Fall und nehmen die Kerle hoch. Tyler und die anderen sind schon unterwegs. Hier.« Logan griff zwischen sie in die Mittelkonsole und händigte ihr ein Tablet aus. Ihr Tablet, um genau zu sein. Obwohl es zur neuesten Generation gehörte und jedes denkbare und undenkbare technische Spielzeug beinhaltete, war es abgegriffen und wies einige Kratzer auf.

Riley schaltete es ein und überflog die Informationen auf dem Bildschirm, während sie sich aus ihrem feuchten Mantel schälte. Der Geruch von Regen, Leder und Logans Aftershave hing schwer in der Luft. Sie versuchte es auszublenden, um sich konzentrieren zu können.

»Wie war dein Flug?« Logan fuhr auf die Interstate 5 und warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. Trotz des Regenwetters in Seattle war er braun gebrannt und trug ein schwarzes T-Shirt mit dem aufgedruckten Handzeichen und Symbol der Rebellen aus Die Tribute von Panem.

Logan war einer der wenigen Menschen, die Riley nie einem bestimmten Typ hatte zuordnen können. Zwar stellte er oft die gute Laune und Lässigkeit eines Surferboys zur Schau, aber sie wusste, dass er in wichtigen Situationen den nötigen Ernst an den Tag legen konnte. Sein Haar war von der Sonne gebleicht und an den Seiten und am Hinterkopf kurz geschnitten. Seine Statur entsprach der eines Läufers, obwohl Logan nur rannte, wenn man ihn verfolgte – und selbst dann nahm er lieber einen seiner Sportwagen.

»Gut«, erwiderte Riley und lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf das Tablet in ihrer Hand. »Ich habe in den Nachrichten davon gehört.«

Eine bisher unbekannte, namenlose Hackergruppe steckte hinter mehreren Cyberattacken auf US-Behörden, darunter die Central Intelligence Agency und das Department of Defense. Es schien ein internes Leck zu geben, denn die Details des Falls, an dem die HUNTERS seit Wochen arbeiteten, waren vor wenigen Tagen an die Presse gelangt. Seither ging die Sache wie ein Lauffeuer durch die Medien. Manche sprachen von Cyberterroristen im Inland, andere vermuteten, dass Nordkorea dahinter steckte, wie bei dem Hackerangriff auf Sony Anfang des Jahres. Weitere Vermutungen erstreckten sich auf interne Manipulationen innerhalb der Behörden, Überläufer und Whistleblower. Der Name Snowden fiel nicht nur einmal in diesem Zusammenhang.

»Du meinst in Denver, während du Sachen in die Luft gejagt hast? Oder in Cambridge bei deinem Vortrag am MIT?« Trotz des neckenden Tonfalls glaubte Riley, einen leisen Vorwurf in Logans Stimme zu hören. Es war Monate her, seit sie zuletzt in der Zentrale gewesen war.

»Als ich mich in Miami Beach in der Sonne geaalt habe«, gab sie trocken zurück.

Von allen Teammitgliedern war Logan der Letzte, der das Recht hatte, ihr einen Vorwurf zu machen. Mister Ichverschwinde-sofort-nach-einem-abgeschlossenen-Fall.

Ohne seine Antwort abzuwarten, sah sie sich wieder die Personendaten an, die ihnen vorlagen. Die Gruppe war klein, sechs bekannte Mitglieder, die sich in oder um Las Vegas verschanzt hatten. Vermutlich war das auch das Ziel dieses Ausflugs.

»Hatten Sie Zugriff auf wichtige Dateien?«, fragte sie, während sie die Berichte der zuständigen Mitarbeiter der CIA und des DoD überflog.

»Ja.« Logan wechselte die Spur und überholte einige Autos. »Sie scheinen es auf Personalakten und Geheimaufträge abgesehen zu haben. Zwei verdeckte CIA-Missionen mussten aufgrund des Vorfalls abgebrochen werden. Und das DoD hat es nicht besser getroffen. Das hat den Leuten in Arlington sicher einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich wette, die haben endlich mal ihre Hintern bewegt, statt ständig nur an ihren verstaubten Schreibtischen zu sitzen.«

Riley zog ein Bein an und nagte an ihrer Unterlippe. Sie spürte Logans stechenden Blick auf sich, der vielmehr ihrem Schuh auf dem Ledersitz galt, als ihrem Gesicht.

Seufzend setzte sie sich wieder aufrecht hin. »Ich finde hier nichts zu irgendwelchen Nachrichten der Gruppe. Kein Wirwerden-das-System-ändern-Gerede? Nicht mal Nieder-mit-der-Geheimhaltung oder so etwas?« Sie schnalzte mit der Zunge. »Enttäuschend.«

»Nicht jeder Hacker will die Welt verändern, Ri.«

Leider wahr. Es gab genügend Leute, die ihre Fähigkeiten und ihren brillanten Verstand dafür nutzten, Chaos zu stiften und anderen zu schaden. Stichwort GNAA oder die Syrische Elektronische Armee. Hacktivismus, um etwas zu bewegen, schien viel zu sehr in den Hintergrund getreten zu sein.

»Ich wette, die Kerle haben noch nicht mal was vom Hackermanifest gehört, geschweige denn, es gelesen«, murmelte sie und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie fiel sofort wieder nach vorn und kitzelte ihre Nasenspitze.

»Irgendetwas ist anders an dir«, stellte Logan nach einer Weile fest.

»Du kennst mich seit mehr als zwanzig Jahren. Was soll auf einmal anders sein?«, erwiderte Riley, ohne aufzusehen oder sich etwas anmerken zu lassen. Doch gegen das plötzliche Pochen in ihrer Brust war sie machtlos. Sie krallte sich an ihr Tablet, um wenigstens diese Sache unter Kontrolle zu behalten.

»Ich weiß es nicht genau.« Belustigung schwang in Logans Worten mit. Als sie den Kopf hob, begegnete sie seinem Blick. Ein Funkeln lag in seinen braunen Augen. »Vielleicht die Tatsache, dass du neuerdings ein Profi bist, was Sprengstoffe und Explosionen angeht?«

»Macht dich das etwa an?«

»Scheiße, ja.« Lachend rieb er sich über den Nacken.

Kopfschüttelnd wandte sie sich wieder ihrem Tablet zu, genauso machtlos gegen ihr Lächeln wie gegen ihr hämmerndes Herz.

Sie erreichten den abgeriegelten Flugplatz in der Hälfte der Zeit, die man normalerweise für diese Strecke benötigte. Logans lebensmüder Fahrstil und sein getunter Sportwagen machten es möglich. Nachdem sie sich ausgewiesen hatten, öffneten die wachhabenden Soldaten das Tor des Maschendrahtzauns, der mit Stacheldraht und elektrischer Spannung gesichert war.

Der Weg wurde von Lampen beleuchtet, die in den Nachthimmel ragten. Logan parkte am Rande des Flugplatzes und schaltete den Motor aus. Als sie ausstiegen, eilten bereits zwei weitere uniformierte Soldaten in ihre Richtung.

»Keine Kratzer!«, rief Logan und warf dem Dunkelhaarigen, der am nächsten war, seine Autoschlüssel zu.

Riley schulterte ihre Laptoptasche und drückte sich das Tablet an die Brust, um es vor dem peitschenden Regen zu schützen. Geduckt rannten sie zu dem grauen Militärhubschrauber, der bereits auf sie wartete. Sie erreichte ihn zuerst und betrat den Innenraum. Der Platz reichte problemlos für eine Truppe von zwanzig Leuten, doch hier drinnen befanden sich nur fünf Personen – sie selbst und Logan eingeschlossen.

Als Lexie sie bemerkte, sprang sie auf. Mit wippendem Pferdeschwanz kam sie auf Riley zu und zog sie fest in ihre Arme. Riley erwiderte die Geste und schloss die Augen, als ihr Lexies Duft in die Nase stieg. Zuhause. Das waren diese Menschen für sie, dennoch gesellte sich diesmal eine bittersüße Note zu der Wärme, die in ihrem Brustkorb aufstieg.

»Hey, du erdrückst sie, Schwesterchen«, rief Logan hinter ihr, als er in den Hubschrauber kletterte.

»Tut mir leid.« Lexie ließ sie sofort los, strahlte jedoch übers ganze Gesicht. Wie immer hing ihr der dichte Pony tief in die Stirn und in ihren Augen lag ein unternehmungslustiges Funkeln. »Ich bin nur so froh, Ri wieder zu haben.«

»Ich freue mich auch, zurück zu sein«, sagte sie, doch ein kleiner Teil in ihr zog sich bei diesen Worten schmerzhaft zusammen. Das Angebot meiner Leute steht, aber denk nicht zu lang darüber nach. Daniels Nachricht kam ihr erneut in den Sinn. Diesmal schob sie die Gedanken daran jedoch entschieden beiseite. Das hier war weder der richtige Ort noch die richtige Zeit dafür.

Als Nächstes war Valerie Reed an der Reihe, die sie in eine kurze, kräftige Umarmung zog. Obwohl Riley die ehemalige CIA-Agentin nicht so lang kannte wie Logan oder Lexie, war sie ein fester Bestandteil des Teams. Außerdem jemand, den sie vor einem Jahr beinah verloren hätten. »Hast du ordentlich Sachen in die Luft gejagt?«, fragte sie lächelnd.

»Leute!« Nur mit Mühe unterdrückte Riley ein Lachen. »Ihr tut ja geradezu so, als wäre ich ewig in einem buddhistischen Kloster in Tibet ohne Kontakt zur Außenwelt gewesen.«

Dabei war sie der Zentrale in Seattle nur für etwas mehr als drei Monate ferngeblieben. Doch das war drei Monate länger als jeder andere Ausflug ihrerseits in den letzten sechs Jahren gewesen.

Eine Bewegung aus dem Augenwinkel zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Am anderen Ende des Passagierraums saß ein Mann, den sie nicht kannte – zumindest nicht persönlich. Als er ihren Blick bemerkte, erhob er sich. »Hi.« Er kam mit ein paar großen Schritten auf sie zu und streckte ihr seine Hand entgegen. »Ich bin …«

»Garrett Winter«, unterbrach Riley ihn lächelnd und schüttelte seine Hand.

Von der Statur her ähnelte er Tyler Conway, dem Anführer der HUNTERS. Breite Schultern, definierte Armmuskulatur, kräftige Beine. Selbst den unbeweglichen Gesichtsausdruck schienen die beiden gemeinsam zu haben. Doch während Tyler Ruhe und Selbstsicherheit ausstrahlte, wirkte Garrett … gejagt. Ob von Erinnerungen oder einer realen Gefahr hatten Rileys Recherchen bisher nicht ergeben.

Jetzt wanderte ein Hauch von Überraschung über sein Gesicht, wenngleich darunter noch etwas anderes verborgen lag. Keine Feindseligkeit, sondern eine Spur von … Misstrauen vielleicht?

»Wie gesagt, ich war nicht in einem abgeriegelten Kloster meditieren. Willkommen im Team.«

Garrett nickte und mit dieser Geste schien er seine Entscheidung über ihre Vertrauenswürdigkeit getroffen zu haben, denn seine Skepsis verflüchtigte sich. »Danke. Willkommen zurück.«

»Anschnallen, Leute. Wir heben ab.« Tylers Stimme ertönte durch die Lautsprecher. Kaum ausgesprochen, dröhnte der Motor und die Rotorblätter über ihnen begannen sich zu drehen.

Riley setzte sich neben Lexie und zog an ihrem Anschnallgurt. Im selben Moment, in dem dieser einrastete, hob der Helikopter ab. Instinktiv klammerte sie sich an ihren Sitz, obwohl sie gerade erst einen Flug von Denver nach Seattle überlebt hatte. Lexie warf ihr ein beruhigendes Lächeln zu, das Riley nur halbherzig erwiderte. Im Gegensatz zu ihr war es die ehemalige Delta-Force-Soldatin gewöhnt, ständig in einem Helikopter im Außeneinsatz zu sein.

Von der gegenüberliegenden Seite des Passagierraums zwinkerte ihr Valerie zu, als würde sie ahnen, was in ihrem Kopf vor sich ging. Vermutlich konnte man es ihr vom Gesicht ablesen. Riley wandte den Blick ab. Trotz ihrer Nervosität entging ihr nicht, welchen Platz Logan vor dem Abflug gewählt hatte, nämlich nicht den neben seinem neuen Partner Garrett. Oh, oh. Gab es so früh schon Ärger im Paradies?

Lexie lehnte sich zu ihr. »Wir sind knapp drei Stunden unterwegs und brauchen deine volle Konzentration vor Ort. Also solltest du dich entspannen.«

Entspannen? Ein guter Witz.

»Du meinst, falls wir nicht vorher abgeschossen werden oder gegen einen Wolkenkratzer fliegen.«

»Da hat wohl jemand zu viel Call of Duty gespielt«, warf Logan ein und hob den Daumen.

Lexie schnaubte. »Schließ nicht von dir auf andere, Vin Diesel.«

»Hey, was willst du? Das letzte Straßenrennen habe ich gewonnen. Du warst dabei. Und nur weil mein Team deins bei Advanced Warfare geschlagen hat, musst du nicht unfreundlich werden.«

»Niemand mag Angeber.«

»Niemand mag Zicken«, gab Logan ungerührt zurück. Gleich darauf flog ihm eine Packung mit Kurzwaffenpatronen entgegen, die er mit einer Hand auffing und grinsend in der Tasche seiner schusssicheren Weste verstaute. »Danke.«

Riley konnte nicht anders, als zu lachen, während sie von einem zum anderen sah. »Jetzt weiß ich wieder, was ich in den letzten Monaten vermisst habe.« Und mit einem Mal fiel die ganze Anspannung ebenso von ihr ab, wie sie Staub und Pulverreste von ihren Händen abgewaschen hatte, nachdem sie eine erfolgreiche Sprengung durchgeführt hatte.

»Hört, hört«, rief Valerie, ohne von ihrem Buch aufzusehen.

Ohne Vorwarnung lehnte sich der Helikopter in einer Kurve zur Seite, wodurch Riley in ihren Sitz gedrückt wurde. Japsend klammerte sie sich an ihren Gurt.

»Sorry, Leute«, erklang eine neue Stimme über den Lautsprecher.

Riley starrte in die Runde. »Aiden sitzt am Steuer? Kann er so ein Ding überhaupt fliegen?«

»Das Ding ist ein Militärhubschrauber, keine Boeing 747.« Lexie grinste belustigt. »Du wärst überrascht, was Aiden alles damit anstellen kann.«

Bevor sie näher darauf eingehen konnte, öffnete sich die Verbindungstür zum Cockpit und Tyler Conway gesellte sich zu ihnen. Er nickte Riley zu. »Willkommen zurück.« Dann setzte er sich neben Garrett, der sich aus dem Geplänkel im Passagierraum herausgehalten und geschwiegen hatte. »Ri, du kannst deine Geräte dort hinten anschließen.« Er deutete auf das andere Ende des Hubschraubers, wo sich nicht nur eine Steckdose und weitere Anschlüsse befanden, sondern auch ein kleiner Tisch. »Wir brauchen einen genauen Überblick über die Lage, bevor wir zuschlagen und die Kerle hochnehmen.«

»Verstanden.« Mit nervösen Fingern öffnete sie ihren Gurt, nahm ihre Tasche und setzte sich so an die metallene Tischplatte, dass sie den gesamten Passagierraum im Blick hatte.

Während Tyler leise mit dem restlichen Team sprach, klappte sie ihr Notebook auf, legte das Tablet und ihr Smartphone daneben und verband alles mit der Technik des Helikopters. Ein Kabelsalat war das Ergebnis, dafür war sie so tief im System, dass sie Aiden problemlos die Steuerung wegnehmen und selbst Pilotin spielen könnte, wenn sie wollte.

Gruselige Vorstellung.

Als Erstes schickte sie die Satellitenbilder vom Zielort ans Cockpit. Sobald sie die Regenfront über Washington hinter sich gelassen hatten, erwartete sie eine klare Sicht über Nevada. Bisher hatten ihre Kollegen den Aufenthaltsort der Hackertruppe auf Las Vegas und Umgebung eingrenzen können. Jetzt lag es an Riley, die Koordinaten zu bestimmen. Sie verschränkte ihre Finger miteinander und ließ die Knöchel knacken, dann legte sie los.

Rund eine Stunde später hatte sie die IP-Adresse der Hacker entschlüsselt und den exakten Aufenthaltsort ermittelt. Die Kerle waren gut, sie hatten ihre Spuren gründlich verwischt, doch Riley war besser. Sie sandte die Koordinaten an Aiden ins Cockpit.

»Wir erreichen jetzt Las Vegas«, informierte er das Team per Lautsprecher.

Sobald der Hubschrauber über das Gebäude flog, in dem sie die IP-Adresse der Hackergruppe lokalisiert hatte, führte sie einen Wärmescan durch.

»Wie sieht’s aus?« Tyler war hinter sie getreten und warf einen Blick über ihre Schulter auf das Notebook.

»Sekunde.« Sie rief die Wärmebilder auf, zoomte heran und deutete darauf. »Siehst du das? Sie haben es sich im obersten Stockwerk gemütlich gemacht. Sechs Personen.«

»In einem Luxushotel?«

Riley zuckte die Schultern. »Anscheinend verdienen sie nicht übel mit ihren bisherigen Aktivitäten. Allerdings bezweifle ich, dass dies ihr dauerhafter Aufenthaltsort ist. Wer sich in Regierungsbehörden einhackt, bleibt besser ständig in Bewegung.«

»Vermutlich legen sie gerade eine Pause ein und hacken sich in die zentrale Pornobehörde, um wenigstens online etwas Spaß zu haben«, ließ Logan verlauten.

»Um sich Pornos im Internet anzusehen, braucht man keine Hackerkenntnisse. Aber ich bin beruhigt, dass du das nicht weißt.«

»Nicht? Shit.«

Grinsend drehte sich Riley zum Team um. »Alle Handys aus.«

Allgemeines Nicken war die Antwort, dicht gefolgt von Geraschel, als die Smartphones hervorgezogen und ausgeschaltet wurden. Als sie zu Tyler hochsah, entfernte er gerade Akku und SIM-Karte aus seinem Mobiltelefon.

»Gut.« Riley richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Geräte. »Ich will nicht, dass sie unsere Signale abfangen und euch kommen sehen.«

»Alles klar.« Tyler klopfte ihr auf die Schulter und wandte sich an das restliche Team. »Der Plan bleibt derselbe. Wir setzen Logan und Garrett weit genug entfernt ab. Ihr kommt auf schnellstem Weg zu diesem Hotel und schneidet ihnen den Fluchtweg nach unten ab. Dann landen wir auf dem Dach und starten die Aktion. Schnell, sauber und präzise. Wir wollen keine Gäste auf uns aufmerksam machen und die Kerle lebend erwischen, also ballert nicht einfach drauflos.«

»Warum siehst du mich dabei an?«, fragte Logan stirnrunzelnd.

»Weil du dich bei Advanced Warfare wie ein Amateur ohne Rücksicht auf Verluste durchgeschossen und nur deshalb gewonnen hast.«

Riley prustete leise, verbarg ihr Lachen jedoch hinter einem Husten. Dennoch entging ihr Logans kritischer Blick nicht.

»Erste Landung initiiert«, ertönte Aidens Stimme ein weiteres Mal durch den Innenraum.

Obwohl sich der Gurt eng um ihren Bauch und ihre Brust spannte, hielt sich Riley an einem Metallvorsprung in der Wand fest, als der Hubschrauber seinen Kurs änderte. Wider besseren Wissens spähte sie aus dem kleinen Fenster über dem Tisch. Ihr Magen überschlug sich. Unter ihnen glitzerten die Lichter von Las Vegas und brachten die Stadt zum Leuchten, als wäre es Tag und nicht mitten in der Nacht. Sie steuerten geradewegs den Landeplatz auf einem Hochhaus an, während die Gebäude um sie herum so nah zu sein schienen, dass sich die Rotorblätter in die verspiegelten Fronten bohren könnten.

Ein Ruckeln ging durch den Helikopter, sobald die Kufen den Boden berührten. Riley schluckte ihre aufkommende Übelkeit hinunter und zwang sich dazu, tief durchzuatmen. Wer hätte gedacht, dass man keine Flugangst in Flugzeugen, dafür aber in Hubschraubern haben könnte?

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie sich Logan und Garrett abschnallten, ihre Waffen prüften und sich für den Einsatz bereit machten.

»Passt auf euch auf!«, rief sie, obwohl das sicher nicht ihre erste und auch nicht ihre letzte Mission sein würde. Doch es war etwas anderes, das Team von der Kommandozentrale aus zu koordinieren oder selbst vor Ort zu sein.

Logan hielt an der Tür inne und zwinkerte ihr gut gelaunt zu. »Immer.« Dann war er fort und der Helikopter erhob sich ein weiteres Mal in ungeahnte Höhen.

»Alles okay?« Lexie setzte sich neben sie, als sie wieder in der Luft waren.

Riley nickte schnell. Es war lächerlich, sich Sorgen zu machen. Dies war eine seltene Situation für sie, aber nicht ihr erster Außeneinsatz. Und die anwesenden Personen machten all das definitiv nicht zum ersten Mal.

Tyler öffnete eine Metallkiste an der Wand und händigte zusätzliche Munition aus. »Lexie, du und Aiden bleibt bei Riley und sichert das Dach. Ich will nicht, dass einer der Kerle entkommt. Val? Du kommst mit mir.«

»Verstanden.« Sie klappte das Buch zu und legte es beiseite. Anschließend zog sie einen Haargummi hervor und band sich das lange braune Haar zu einem Knoten zusammen.

»Ich besorge den Lageplan.« Riley wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Tablet zu. »Der Wärmescan wird die ganze Zeit weiter laufen, sodass ich euch im Blick habe und warnen kann, falls etwas schief geht.«

»Sehr gut.« Tyler schob sich den Kommunikationsknopf in sein Ohr. »Dann bleibt uns nur noch, auf Logans und Garretts Zeichen zu warten.«

2. KAPITEL

Es tat gut, Riley zurück im Team zu haben. Obwohl sie nur kurz miteinander gesprochen hatten, fühlte sich alles um ihn herum wieder vollständig an. Als hätte ein wichtiger Teil gefehlt, der jetzt zurückgekehrt war und seinen ursprünglichen Platz eingenommen hatte. Ohne Riley war es erschreckend leer in der Zentrale gewesen. Nicht nur einmal hatte sich Logan dabei ertappt, wie er in den Keller hinuntergegangen war, um sie im Kontrollraum zu besuchen. Ohne besonderen Grund, einfach nur, um ihr etwas zu erzählen oder ihr Gesellschaft zu leisten. Und jedes Mal, wenn die Türen aufglitten, um ihn hineinzulassen, hatte ihn ihre Abwesenheit mit voller Wucht getroffen.

Zusammen mit Garrett Winter nahm er vom Hubschrauberlandeplatz aus die Treppe hinunter ins oberste Stockwerk. Das Gebäude, in dem sie sich befanden, beherbergte ein Casino ebenso wie ein Hotel, doch das hier war Las Vegas. Vermutlich würden sie ganz in schwarz, bewaffnet und mit Kevlarwesten kaum auffallen. Entweder hielt man sie für Sicherheitsleute oder für einen Teil des Abendprogramms.

Logan steuerte die Tür zur Etage an, während Garrett an ihm vorbeipreschte, dann jedoch abrupt stehen blieb.

»Was hast du vor?«, fragte Garrett, die Stimme wachsam und die Stirn irritiert gerunzelt.

»Wonach sieht es denn aus?«, gab Logan ungerührt zurück. »Ich nehme den Fahrstuhl. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich freiwillig fünfzehn Stockwerke hinunterrenne, wenn es nicht sein muss.«

Garretts Stirnrunzeln vertiefte sich, aber er schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab. Logan sah ihm nur kurz nach, dann riss er die Tür auf. Das hatte man davon, einen AFSOC-Soldaten ins Team aufzunehmen. Im Gegensatz zu Garretts Einsätzen beim Air Force Special Operations Command handelte es sich hierbei um eine Mission einer verdeckten Einheit. Nach fast zehn Jahren bei den HUNTERS waren Tarnung, Undercover und Unauffälligkeit praktisch Logans zweite Vornamen geworden. Na gut, Unauffälligkeit vielleicht nicht, aber der Rest auf jeden Fall.

Entschlossen, sich von seinem neuen Kollegen und Partner nicht von seiner Routine abbringen zu lassen, stieg er in den Fahrstuhl und drückte den Knopf für die Tiefgarage. Sie waren mindestens zwei Blocks von ihrem eigentlichen Ziel entfernt und mussten schnellstmöglich dorthin kommen. Vermutlich wollte Garrett auch diese Strecke laufen, statt zu fahren. Verrückter Mistkerl.

Auf dem Weg hinunter spielte eine Klaviermusik im Aufzug, die perfekt zu dem Paar passte, das sich im siebten Stock zu ihm gesellte. Die Frau war in ein funkelndes rotes Abendkleid gehüllt, der Mann in einen schwarzen Smoking. Logan legte Zeige- und Mittelfinger an die Stirn und salutierte zur Begrüßung. Sie wirkten irritiert, nickten jedoch respektvoll und zogen sich in eine Ecke des quadratischen Raums zurück, als würden sie gleich mit einer Schießerei rechnen.

Ein Schmunzeln trat auf seine Lippen. Winter verpasste eindeutig etwas.

Im Erdgeschoss stieg das Paar aus. Als sich die Fahrstuhltüren ein weiteres Mal öffneten, befand er sich in der Tiefgarage und Logan verließ den Aufzug. Mit einem kurzen Rundumblick verschaffte er sich eine Übersicht über die Sicherheitskameras in seinem näheren Umkreis. Die Mission musste schnell gehen, bevor die Hackerclowns erneut den Standort wechselten. In Seattle hatten sie gerade noch genug Zeit gehabt, auf Rileys Rückkehr zu warten, nicht aber, in Las Vegas alles für den Einsatz vorzubereiten. Doch nur, weil ihnen kein Wagen zur Verfügung stand, hieß das nicht, dass Logan keinen beschaffen konnte.

Er marschierte durch die Reihen und visierte einen schwarzen Flitzer an, einen Maserati GranTurismo, neu und glänzend wie frisch vom Hersteller. Wenn seine Einschätzung korrekt war, befand sich die Fahrerseite im toten Winkel einer Kamera, also konnte er problemlos …

»Was zum Teufel machst du da?«

Garretts Stimme ließ ihn herumfahren. »Shit, hast du sie noch alle?« Logan hob das kleine Werkzeugetui auf, das ihm aus der Hand geglitten war, als er nach seiner Pistole gegriffen hatte. »Wonach sieht es denn aus? Ich organisiere uns einen Wagen.«

»Soll heißen, du klaust einen Wagen.«

»Borgen. Ich borge ihn mir aus.«

»Du brichst das Gesetz, Ryder.«

»Es geht um die nationale Sicherheit. Und wenn unser Land in Gefahr ist, kann ich auch einen Maserati knacken, um die Bösewichte zu fassen.« Behutsam schob er den Dietrich in das Schlüsselloch. Dieses Schmuckstück brauchte eine sanfte Behandlung. Kratzer hatte es nicht verdient – und erst recht keine negative Einstellung wie die seines neuen Partners.

»Wir haben keine Zeit für diesen Mist«, knurrte Garrett.

»Willst du lieber ein Taxi nehmen?« Ein Klicken ertönte und Logan strich über den schwarzen Lack. Braves Baby. Dann richtete er sich auf und öffnete die Tür. »Steig ein oder lass es bleiben. Ich für meinen Teil fahre zu den Koordinaten.«

Hinter sich hörte er ein Fluchen, doch kaum, dass er im roten Fahrersitz dieses Luxusschlittens saß, wurde die Beifahrertür geöffnet. Garrett wirkte noch immer nicht begeistert, äußerte seinen Protest jedoch nur mit Schweigen.

Damit konnte Logan leben.

Es bedurfte mehrere Sekunden, bis Logan den Wagen kurzgeschlossen hatte. Er war eindeutig aus der Übung. Als er sich wieder aufrichtete, ignorierte er den stechenden Blick seines Partners, der ihm Gerichtsprozesse und Bußgelder versprach. Stattdessen parkte er schwungvoll aus und folgte der Markierung, die sie aus der Tiefgarage führte. Der Motor schnurrte wie ein Kätzchen, die Sitze waren mit butterweichem Leder überzogen und das Lenkrad schwebte förmlich durch seine Hände. Verdammt. Er brauchte dringend eine Gehaltserhöhung, um sich ebenfalls ein solches Baby zuzulegen.

Sie verließen die Tiefgarage mit quietschenden Reifen und fädelten sich nahtlos in den nächtlichen Verkehr der Wüstenstadt ein. Die beleuchteten Hotels und Casinos auf dem Strip rauschten an ihnen vorbei. Der Nachbau des Eiffelturms, das Bally’s Hotel und Casino, in dem Logan vor Jahren schon mal gewesen und einen Haufen Geld verloren hatte, Restaurants, Liquor Stores und ein Riesenrad. Diese Stadt war wirklich durchgeknallt.

Hupen, das Kreischen von Bremsen und das Jaulen von Motoren ertönte hinter ihnen, während Logan ein Auto nach dem anderen überholte. Sein Blick war konzentriert geradeaus gerichtet, seine Bewegungen mit schlafwandlerischer Sicherheit. Wie immer, wenn er hinterm Steuer saß, verschmolzen der Wagen und er zu einer Einheit. Schade nur, dass dies kein Rennen, sondern eine Mission war.

Im richtigen Moment bog Logan ab und fuhr zum Einsatzort, den Riley ihnen genannt hatte. Oder vielmehr darunter, denn er stellte den Maserati in der Tiefgarage des Luxushotels ab. Noch während er ausstieg, zog er den Kommunikationsknopf aus seiner Westentasche und schob ihn sich ins Ohr.

»Wir sind am Zielort«, gab er dem Team per Funk Bescheid und suchte Garrets Blick. Sein Partner nickte ihm stumm zu.

»Alles klar«, antwortete Aiden. »Landung wird eingeleitet. Haltet euch bereit.«

»Verstanden.«

Seite an Seite marschierten sie durch die Tiefgarage, in der es nach Benzin und Motoröl roch. Hier unten fand man keine klapprigen Pick-ups, sondern erstklassige Mercedes, schnittige Sportwagen und robuste SUVs, die wie gemacht für eine Fahrt durch die Wüste waren.

Wenige Minuten später befanden sie sich achtzehn Stockwerke höher und nahmen ihre Positionen ein. Logan bewachte den Fahrstuhl, Garrett die Tür zum Treppenhaus. Eine Feuerleiter an der Fassade gab es nicht. Der einzige Weg nach draußen führte an ihnen vorbei oder über das Dach – und dort landete der Hubschrauber gerade. Das Brummen drang durch die dicken Wände, bis es gleich darauf verstummte.

»Showtime«, murmelte Logan und befestigte den Schalldämpfer am Lauf seiner Pistole. Ganz in schwarz gekleidet, mit einer schusssicheren Weste und genügend Munition, um eine halbe Armee auszuschalten, wirkte er in diesem luxuriösen Hotelflur völlig deplatziert. Wenigstens war der teure Teppich bereits dunkelrot, sodass es niemandem auffallen würde, wenn sie ihn ruinierten.

Er nickte seinem Partner zu und wartete. Valerie und Tyler mussten inzwischen auf dem Weg sein. Es juckte ihm in den Fingern, selbst vor Ort zu sein und direkt eingreifen zu können. Auch mit einem Scharfschützengewehr ein Gebäude weiter zu stehen und alles im Blick zu behalten, wäre jetzt angenehmer, als nur darauf zu warten, dass er zum Einsatz kommen durfte.

Der Anführer der HUNTERS und seine Partnerin tauchten am Ende des Flurs auf und verschwanden um die Ecke. In Gedanken zählte Logan die Sekunden, dann hörte er, wie die Tür eingetreten wurde und Tyler die Truppe dazu aufforderte, sich zu ergeben.

Logan umfasste seine M9 fester.

Schreie ertönten. Rufe. Schüsse.

»Shit.« Instinktiv riss er die Pistole hoch.

Ein Mann kam um die Ecke gerannt und blieb abrupt stehen, als er in den Lauf von Logans Waffe sah. Er konnte nicht viel älter sein als Logan selbst, Ende zwanzig oder Anfang dreißig vielleicht, hatte schwarzes Haar und einen gebräunten Hautton. Blitzschnell drehte er sich auf dem Absatz um. Doch statt den Weg zurückzurennen, den er gekommen war, trat er eine Tür ein, die in eines der Hotelzimmer führte.

Logan fluchte lautlos und näherte sich der Tür bedachtsam. »Wir haben einen Flüchtigen.«

»Sichert die Ausgänge«, kam es von Tyler. »Hier ist alles unter Kontrolle.«

Garretts Stimme erklang über den Knopf in seinem Ohr.

»Gesichert!«

Mehr brauchte Logan nicht. Vorsichtig spähte er in das erleuchtete Zimmer. Ein junges Paar stand vor Schreck in der Ecke neben dem Bett. Auf dem Teppichboden lagen die Scherben des bodenlangen Fensters. War der Hacker etwa gesprungen?

Logan näherte sich der zerbrochenen Scheibe und sah hinaus. Er konnte nichts Verdächtiges in der Gasse unter ihnen ausmachen, entdeckte jedoch eine Gestalt, die über das gegenüberliegende Dach hetzte.

»Ihr wollt mich doch verarschen«, knurrte er und maß den Abstand zwischen den Gebäuden mit seinen Blicken. Drei bis vier Meter lagen dazwischen und führten in die Tiefe.

Mit zusammengebissenen Zähnen lief Logan zurück zur Tür, schob seine Pistole in das Schulterholster, atmete ein – und rannte los. Neben ihm schrie die fremde Frau auf, doch er blendete ihre Worte aus. Immer schneller steuerte er auf das Fenster zu, stieß sich ab und sprang über den Abgrund.

Blut rauschte in seinen Ohren. Die Luft blieb ihm im Halse stecken. Einen Herzschlag lang fühlte er sich daran erinnert, wie er einmal in Neuseeland beim Bungee Jumping von einer Brücke gesprungen war. Das Gefühl war dasselbe. Befreiend. Panisch. Furcht und Freude, Erleichterung und Terror krachten gegeneinander wie meterhohe Wellen gegen die Steilklippen einer Küste. Damals hatte ihn ein Seil festgehalten, jetzt schwebte er ohne jede Sicherung achtzehn Stockwerke über dem Boden in der Luft.

Das gegenüberliegende Dach kam näher. Instinktiv zog er die Arme an den Körper, als der graue Beton immer mehr seines Gesichtsfelds einnahm. Als er sich abrollte, knackte etwas in seiner Schulter und ein scharfer Schmerz zog sich durch seinen Rücken. Egal. Dafür war keine Zeit. Logan sprang auf die Beine, zog seine M9 hervor und rannte über den Platz.

»Stehen bleiben!«, brüllte er, doch der Idiot schien ihn nicht zu hören oder schlichtweg zu ignorieren.

Er steuerte die einzige Tür auf dem Dach an, riss sie auf und verschwand im Inneren.

Logan blieb davor stehen. In der einen Hand hielt er seine Pistole schussbereit, mit der zweiten öffnete er langsam die Tür. Zwar glaubte er nicht, gleich in ein Feuergefecht zu geraten, aber seine Ausbildung lag ihm zu tief im Blut, um anders zu handeln. In seinem Job war Vorsicht immer besser als Nachsicht.

»Der Flüchtige ist im Nebengebäude und nimmt die Treppe nach unten«, informierte er die HUNTERS und zog die Metalltür auf.

Kein flüchtiger Hacker. Dafür entdeckte er Stufen, die in schwindelerregende Tiefe führten.

»Wir sichern die Ausgänge«, antwortete Tyler sofort, als hätte er nur auf diese Meldung gewartet. Es folgten keine Befehle, Logan wusste auch so, was er zu tun hatte.

»Bundesagenten!«, rief er durch das Treppenhaus. »Stehen bleiben!«

Zwei Stockwerke weiter unten nahm er eine Bewegung wahr. Dieser dämliche Drecksack hetzte noch immer die Stufen hinunter. Sollte er nicht langsamer sein, wenn sein Hintern für gewöhnlich an einem Stuhl klebte und sein Blick an einem Monitor?

An der nächsten Kurve stützte sich Logan mit einer Hand auf das Geländer und sprang eine halbe Etage tiefer. Er landete auf den Beinen und vollführte denselben Stunt ein zweites Mal. Inzwischen lag nur noch ein Stockwerk zwischen ihnen. Doch im Gegensatz zu diesem Hacker drohte ihn seine Kondition im Stich zu lassen. Wie Feuer brannte jeder Atemzug in seiner Brust und Lunge. Sein Puls hämmerte und Adrenalin raste durch seine Adern.

»Logan?« Rileys weiche Stimme drang durch das Rauschen in seinen Ohren. »Der Kerl hat das Treppenhaus verlassen und befindet sich jetzt eine Etage unter dir. Ich habe die Überwachungskameras angezapft und ihn auf dem Schirm.«

Erleichterung durchflutete ihn. Wenn Riley den Flüchtigen per Sicherheitskamera beobachtete, würde er ihnen nicht entwischen. Logan mobilisierte seine Kräfte und riss die Tür zum siebten Stockwerk auf. Im Flur entdeckte er niemanden. Ein grauer Teppich dämpfte jeden Laut seiner Schritte. An den Wänden hingen reiche Gemälde und meterhohe Spiegel. Von dem Hacker keine Spur.

»Wo ist er, Ri?«

»Rechts von dir, den Gang runter«, kam umgehend die Antwort.

Logan bog ab, ohne sich umzusehen. Riley hatte die Funktion seiner Augen und Ohren übernommen und er vertraute ihren Fähigkeiten. Vielleicht sogar mehr als seinen eigenen.

»Jetzt nach links«, befahl sie. »Du hast ihn gleich.«

Er folgte ihrer Anweisung, verlangsamte sein Tempo jedoch und umfasste seine M9 mit beiden Händen. Schritt für Schritt näherte er sich seiner Zielperson und stellte sie mitten im Hotelflur. Umgeben von einem kitschigen Blumengemälde und einem Spiegel mit Goldrahmen. »Keine Bewegung!«

Der Flüchtige erstarrte. Ein, zwei Sekunden lang schien er mit sich zu ringen, dann wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Am anderen Ende des Gangs tauchte Garrett Winter auf, die Waffe gezogen und auf den Hacker gerichtet.

Fluchtweg abgeschnitten.

Das musste auch der Mann feststellen, der jetzt langsam die Hände hob und sie an den Hinterkopf legte.

Logan packte seine Pistole ein und setzte sich in Bewegung. Aus der Nähe bemerkte er, dass der Kerl einen halben Kopf kleiner war als er selbst, noch dazu ziemlich schmächtig. Dennoch dirigierte Logan ihn gegen die Wand, wo dieser sich mit beiden Händen abstützte, während er ihn nach Waffen abtastete und Garrett weiterhin auf den Verdächtigen zielte. Sobald die Durchsuchung abgeschlossen war, holte Logan seine Handschellen hervor und zog erst den einen Arm des Hackers auf dessen Rücken, dann den anderen. Nacheinander rastete das Metall ein.

Auftrag ausgeführt.

Logan hob den Kopf und nickte seinem neuen Partner zu. Garrett Winter und er waren von Anfang an nicht miteinander warm geworden. Doch eine Sache hatte er heute gelernt: Er musste diesen Kerl nicht mögen, um mit ihm zusammenarbeiten zu können. Und das hier, diese Festnahme, war ein Musterbeispiel für gutes Teamwork.

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Home sweet home. So gern Logan seine Zeit außerhalb der Zentrale verbrachte, so sehr mochte er das Gefühl des Zuhauseseins, das sich jedes Mal einstellte, wenn er zurückkehrte. Selbst wenn das um fünf Uhr morgens nach einer Mission und einem mehrstündigen Flug in einem Helikopter war.

Nacheinander fuhren sie in die Garage ein, in der zusätzlich zu seinem blauen Ford Mustang und Lexies Yamaha Fazer weitere Autos der Teammitglieder standen. Logan parkte nach den anderen ein und schaltete den Motor aus. Dann sah er zu Riley hinüber, die neben ihm auf dem Beifahrersitz eingeschlafen war. Nur ihretwegen hatte er sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen gehalten und einen sanfteren Fahrstil an den Tag gelegt, als er es gewohnt war. Normalerweise wären sie die Schnellsten und damit auch die Ersten in der Zentrale gewesen. Stattdessen waren sie die Letzten.

Riley saß ruhig da, Gesicht und Oberkörper ihm zugewandt, während ihre rechte Hand ihr heiß geliebtes Tablet noch immer fest umklammert hielt, als wäre es ihr größter Schatz. Eine schokoladenbraune Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht und schmiegte sich an ihre Wange. Sie wirkte blass und unter ihren Augen hatten sich Schatten gebildet. Dennoch hob und senkte sich ihre Brust so gleichmäßig, als läge sie in ihrem eigenen Bett, statt in seinem Wagen zu sitzen.

Langsam lehnte sich Logan zu ihr. Er wollte sie behutsam wecken, doch seine Finger schienen ein Eigenleben zu entwickeln und schoben die vorwitzige Haarsträhne hinter Rileys Ohr. Die Berührung ließ sie die Nase kräuseln und er glaubte, einen leisen Laut zu hören, ein kurzes Seufzen, aber sie wachte nicht auf.

Der Anblick der schlafenden Riley in seinem Wagen hatte eine seltsame Wirkung auf ihn. Er spürte ein Ziehen in seinem Oberkörper, direkt unter dem Brustbein, und seine Finger kribbelten, als wollten sie sich erneut verselbstständigen. Am liebsten hätte er Riley weiterschlafen lassen oder sie nach oben in ihr Zimmer getragen, während er sie gleichzeitig vor allen Blicken und Fragen beschützte. Doch alle anderen Teammitglieder waren noch wach und rannten durch das Haus, also fiel diese Option leider flach.

»Ri …« Seine Hand verharrte über ihrer Wange in dem Impuls, ihr mit den Knöcheln darüber zu streichen. Stattdessen senkte er sie und legte sie auf ihre Schulter. »Wach auf, kleine Hackerfee. Der Weihnachtsmann hat sich ins System gehackt und deine ganze Seriensammlung gelöscht.«

Sie presste die Lippen aufeinander, als müsste sie gegen ein Lächeln ankämpfen, und schnaubte leise. »Gar nicht wahr«, nuschelte sie und schmiegte das Gesicht in den Ledersitz. »Meine Serien sind auf einer externen Festplatte gesichert, die nicht mal der Weihnachtsmann knacken kann.«

»Wollen wir wetten?« Logan drückte ihre Schulter – dann musste sein Verstand unter einer kurzen Funktionsstörung leiden, denn er beugte sich zu seiner Kollegin hinüber und brachte seinen Mund dicht an ihr Ohr. »Mach die Augen auf, sonst stellt er ungezogene Dinge mit dir an.«

Es war nicht seine Absicht, dass seine Stimme auf einmal eine Spur tiefer und rauer klang, doch die Gänsehaut, die sich nach diesen Worten auf Rileys Hals ausbreitete, war es wert. Sie riss die Augen auf und starrte ihn an.

Er konnte nicht genau erkennen, ob sie schockiert, empört oder möglicherweise amüsiert war. Vielleicht war es eine Mischung aus allem und noch mehr. Aber im Gegensatz zu ihr war er nicht dazu in der Lage, sein Grinsen zu unterdrücken.

»So bekommt man also deine ungeteilte Aufmerksamkeit«, neckte er sie. »Das werde ich mir merken.«

Statt einer Antwort boxte sie ihm gegen den Oberarm, wie sie es schon getan hatte, als sie noch Kinder gewesen waren. Nur war sie damals rot geworden und hatte sich verschämt abgewandt, statt ihm auf den Kopf zuzusagen, was für ein Spinner er war. Irgendwann im Laufe der letzten ein, zwei Jahre hatte sich das geändert. Riley hatte sich verändert, war frecher und selbstbewusster geworden.

So auch jetzt, als sie kopfschüttelnd ihre Sachen zusammenpackte und ihn – wie so oft – in seine Schranken wies. »Meine Aufmerksamkeitsspanne für dich ist in etwa so lang, wie du brauchst, um ein Viertelmeilenrennen zu gewinnen.«

Überrascht zog er die Brauen in die Höhe und überging ihren Sarkasmus. »Woher kennst du meine Zeiten? Du warst nie dabei, wenn ich gefahren bin.«

Einen Herzschlag lang zögerte sie und biss sich auf die Unterlippe, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt, dann zuckte sie mit den Schultern. »Lexie hat es irgendwann mal erzählt und ich habe ein gutes Zahlengedächtnis.«

Das hatte sie in der Tat und es gab keinen Grund, an dieser Erklärung zu zweifeln. Dennoch fühlten sich ihre Worte wie eine Lüge an. Wie eine Ausrede. Als wollte sie ihn nicht wissen lassen, dass sie sich dafür interessierte, was er in seiner Freizeit trieb. Aber warum?

Bevor er weiter darüber nachdenken oder gar nachhaken konnte, öffnete Riley die Tür und stieg aus. Nach ein paar Schritten verschwand sie durch die Verbindungstür und wurde vom Hauptgebäude verschluckt.

Logan folgte ihr nicht, sondern blieb in seinem Wagen zurück. Allein mit seinen Gedanken und dem merkwürdigen Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben.

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Noch am selben Tag stand Logan abends an vorderster Front – was in diesem Fall hinter dem Tresen im Falcon’s Eye bedeutete. Die Bar war Tarnung und Hobby zugleich. Es gab sie länger, als Logan im Team war und sie gehörte genauso zu den HUNTERS wie die Zentrale ein Stockwerk tiefer oder die Tunnel unterhalb der Stadt.

Nachdem sie die Hackerbande aufgegriffen hatten, war die Besprechung kurz ausgefallen. Die Akte wurde geschlossen und sie durften in den Bereitschaftsdienst gehen, sobald jeder von ihnen seinen Bericht geschrieben hatte. Alles Betteln und Nörgeln hatte nichts gebracht. Lexie wollte nicht einmal gegen Geld seinen Bericht schreiben. Also saß Logan noch immer hier fest und nutzte seine Schicht in der Bar, um die Schreibarbeit vor sich her zu schieben.

»Ein Wodka Tonic mit den besten Empfehlungen des Barkeepers«, sagte er und stellte den Cocktail vor der attraktiven Brünetten ab. Er zwinkerte ihr zu, bevor er sich der nächsten Bestellung widmete.

»Jetzt weiß ich wieder, warum du so selten für die Bar eingeteilt wirst«, kommentierte Lexie trocken neben ihm. »Du flirtest mit der Kundschaft.«

»Falsch«, verbesserte er sie und warf ihr den Shaker zu. »Ich sorge für Kundschaft.«

Seine Schwester rollte mit den Augen, ließ das aber unkommentiert. Obwohl sie sich selten bei etwas einig waren, war Logan dennoch froh, sie um sich zu haben. Sie hatten sich so lang angeschwiegen und den Kontakt zueinander gemieden, dass Logan ihn jetzt vielleicht etwas zu oft suchte.

»Logan!«

Stirnrunzelnd wandte er sich an Lexie. »Was ist?«

»Wenn du nur die Frauen bedienst und mir die ganzen Kerle überlässt, tu ich dir weh.« Ihre Aussage war keine leere Drohung. Das hatte sie ihm zeit seines Lebens mit unzähligen blauen Flecken bewiesen.

Logan schnaubte, tauschte den Platz mit ihr und ging ans andere Ende der Theke. Dort lehnte ein Mann, den er nie zuvor im Falcon’s gesehen hatte, am Tresen. Groß, Anzugträger, adrett zurückgekämmtes Haar. Ein geschniegelter Geschäftsmann. Das waren ihm die liebsten Kunden. Für gewöhnlich beschwerten sie sich dreimal und ließen ihre Bestellung viermal zurückgehen. Er unterdrückte ein Seufzen und beugte sich zu dem Fremden. »Was darf’s sein?«

Der Kerl wirkte überrascht, als hätte er in einem Lokal wie diesem nicht damit gerechnet, vom Barkeeper nach seinem Getränkewunsch gefragt zu werden. Als er sich ihm zuwandte, registrierte Logan die geraden Gesichtszüge seines Gegenübers. Langes Gesicht. Dünne Nase. Schmale Lippen. Kein Bart.