Annette Broadrick, Maureen Child, Leanne Banks
BACCARA EXKLUSIV BAND 133
IMPRESSUM
BACCARA EXKLUSIV erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
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Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: kundenservice@cora.de |
Geschäftsführung: | Thomas Beckmann |
Redaktionsleitung: | Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Jennifer Galka |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
Erste Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg,
in der Reihe: BACCARA EXKLUSIV, Band 133 – 2015
© 2005 by Annette Broadrick
Originaltitel: „Double Identity“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Camilla Kneschke
Deutsche Erstausgabe 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BACCARA, Band 1382
© 2008 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „High-Society Secret Pregnancy“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Gabriele Ramm
Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BACCARA, Band 1561
© 2008 by Leanne Banks
Originaltitel: „Bedded by the Billionaire“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Kai Lautner
Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BACCARA, Band 1563
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733721855
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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John Crenshaws Telefon klingelte um sieben Uhr in der Früh und riss ihn aus dem Tiefschlaf. Er griff nach dem Hörer, ohne die Augen zu öffnen.
„Crenshaw“, murmelte er müde.
„Hier ist das Büro von Miss Kincaid. Einen Moment, bitte.“ Jackie Kincaid war Johns Vorgesetzte bei der National Security Agency.
John arbeitete seit vier Jahren beim Geheimdienst. Gleich nachdem er den Dienst in der Army quittiert hatte, wo er in einer Spezialeinheit gedient hatte, wollte ihn die Agency haben. Bis vor sechs Monaten war er dort im Außendienst gewesen. Dann hatte man ihn befördert.
Er hatte keinen blassen Schimmer, warum Jackie Kincaid ihn so früh morgens zu Hause anrief. Er setzte sich seufzend auf und schwang die Beine aus dem Bett.
„John? Hier ist Jackie. Tut mir leid, Sie um diese Zeit zu stören, aber gestern waren Sie nicht zu erreichen. Ich konnte nicht mal eine Nachricht hinterlassen.“
„Ich war in den letzten zwei Wochen an der Westküste und bin erst heute Nacht zurückgekommen.“
„Ich weiß, Sie haben diese Woche Urlaub, aber es hat sich etwas ergeben. Wir brauchen Sie.“
„Ein Personalproblem?“
„Nein. Sie müssen in zwei Stunden an einer Besprechung mit einem anderen Dienst teilnehmen.“
Er verzog das Gesicht. „Mit welchem?“
„DEA.“
„Die Drogenbehörde? Das soll wohl ein Witz sein.“
„Keineswegs. Können Sie rechtzeitig hier sein?“
John gähnte. „Sicher.“
„Großartig. Bis dann.“
John stand auf und streckte sich. Sein Körper war immer noch auf Pazifikzeit eingestellt, und das bedeutete, dass es für ihn jetzt vier Uhr nachts war.
Er ging in die Küche und setzte Kaffee auf. Im Bad stellte er dann fest, dass er einen neuen Haarschnitt bitter nötig hatte.
In Südkalifornien war er viel in der Sonne gewesen, sodass seine Haut jetzt tiefbraun und sein blondes Haar ausgebleicht war.
John duschte, rasierte sich, zog sich an und holte sich dann seinen Kaffee. Nach der ersten Tasse goss er den Rest in eine Thermoskanne, um ihn auf dem Weg zur Arbeit zu trinken.
Sein Porsche verbrachte viel mehr Zeit in der Garage als auf der Straße. John hatte sich auf ein paar freie Tage gefreut, um den Wagen mal so richtig ausfahren zu können. Dieses Auto war die Liebe seines Lebens, und warum auch nicht? Es wartete immer zu Hause auf ihn, wenn er kam, beschwerte sich nie darüber, dass er so spät dran war, verlangte keine Aufmerksamkeit und warf auch nicht sein Geld zum Fenster raus, wenn er weg war.
Als er den Motor startete, lächelte er unwillkürlich. Es klang fast wie das Schnurren einer Katze – Musik in seinen Ohren.
John fuhr zur Niederlassung der NSA und trank während der Fahrt seinen Kaffee. Als er angekommen war, ging er erst mal in sein Büro, um nach seiner Post zu sehen. Dann machte er sich auf den Weg zu Miss Kincaids Büro.
Ihre Assistentin sah gerade die Post durch und schaute auf, als John hereinkam. „Willkommen zurück. So braun gebrannt gefallen Sie mir noch besser. Ich wünschte, ich hätte nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag am Strand zu liegen.“
John hob eine Augenbraue. „Das wünsche ich mir auch. Aber ich habe einen Termin bei Jackie.“
„Gehen Sie gleich rein. Hm, diese Bräune steht Ihnen wirklich gut. Wahrscheinlich laufen Ihnen die Frauen in Scharen nach.“
Er grinste. „Das muss mir entgangen sein.“
Justine war Mitte dreißig, glücklich verheiratet und hatte drei kleine Töchter. Sie zog John immer damit auf, dass er ihre erste Wahl als Schwiegersohn wäre, wenn er bloß warten könnte, bis ihre Töchter erwachsen waren.
Er klopfte an Jackies Tür und trat ein.
Drei Männer und eine Frau saßen vor Jackies Schreibtisch. Sie drehten sich alle zu John um.
Einer der Männer stand auf.
Er war um die Fünfzig, und sein dunkles Haar wurde bereits grau. Wahrscheinlich trainierte er mehrmals in der Woche, denn er wirkte sehr fit. So wie er John musterte, entging ihm vermutlich überhaupt nichts, und John hätte sich am liebsten die Schuhe mal eben an den Hosenbeinen poliert.
„John, das ist Sam Watson von der DEA. Und dies sind drei seiner Agenten: Jerry Greene, Hal Pennington und Ruth Littlefield.“ Die Agenten standen auf, und John schüttelte allen die Hände.
„Nun da wir vollzählig sind, schlage ich vor, dass wir in den Konferenzraum gehen. Da haben wir mehr Platz.“ Jackie ging voraus.
Sobald alle am Konferenztisch Platz genommen hatten, sagte Jackie: „Sam, erklären Sie doch John, warum Sie ihn sehen wollten.“
Watson lächelte. Das verwandelte sein Gesicht völlig, und John kam zu dem Schluss, dass er wohl doch jünger war, als es auf den ersten Blick aussah.
„Danke, Jackie.“ Watson wandte sich an John. „Ich habe ein Problem mit meinem Büro in San Antonio. Einer meiner Männer wurde letzte Woche getötet, und es sieht so aus, als wäre ein anderer Agent dafür verantwortlich.“
„Verdammt, das ist hart.“ John drehte sich zu den anderen Agenten um. „Man muss sich doch wenigstens auf seine Kollegen uneingeschränkt verlassen können.“
Die drei machten eine finstere Miene.
„Ich muss jemanden hinschicken, der für uns verdeckte Ermittlungen anstellt. Und auf der Suche nach einem geeigneten Mann, dem ich vertrauen kann, bin ich auf Sie gestoßen. Sie haben ja jahrelang undercover gearbeitet.“
„Das stimmt.“
„Und Sie stammen aus Texas.“
John grinste. „Das kann ich kaum leugnen.“
„Ich habe außerdem erfahren, dass Ihre Familie dort gut bekannt ist.“
„Na ja, wir sind ziemlich zahlreich.“
„Sie wären der ideale Mann für mein Vorhaben.“
John wartete.
„In den letzten Monaten haben wir Ermittlungen über eine Familie namens Patterson angestellt. Ihnen gehört eine Import/Export-Firma, und wir vermuten, dass es sich dabei um eine Tarnfirma handelt, die Waffen, Drogen und andere illegale Waren in die Vereinigten Staaten schmuggelt. Gregg, der Agent, der gestorben ist, sammelte Beweise gegen die Pattersons. Sie scheinen uns immer einen Schritt voraus zu sein, egal was wir unternehmen, also haben sie offenbar einen Informanten in unseren Reihen. Bei verschiedenen Razzien haben wir nichts gefunden, und man hat uns vorgeworfen, unschuldige Geschäftsleute zu belästigen.“
Watson goss sich aus einem Krug Wasser ein. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, fuhr er fort.
„Zwei Tage vor seinem Tod hat Gregg Kontakt mit mir aufgenommen und dabei seinen direkten Vorgesetzten übergangen. Er sagte, er hätte zwei Agenten in Verdacht. Offenbar wären wesentliche Informationen nicht weitergegeben worden. Er wollte herausfinden, was da los war. Ich habe ihn gebeten, mir Bescheid zu geben, sobald er mehr weiß. Das war das Letzte, was ich von ihm gehört habe. Zwei Tage danach kam er bei einem Autounfall um.“
„Das klingt, als hätte bei dem Anruf noch jemand mitgehört.“
„So sehe ich das auch. Ich habe so getan, als würde ich an einen Unfall glauben, und die Agenten dort angewiesen, die Nachforschungen einzustellen. Die Pattersons müssen jetzt also annehmen, dass niemand mehr hinter ihnen her ist.“
John verzog das Gesicht. „Wie komme ich da ins Spiel?“
„Wir brauchen jemanden, der engen Kontakt zu der Familie Patterson aufnehmen kann, ohne Verdacht zu erregen. Nachdem ich Ihre Akte gelesen hatte, habe ich Jackie gefragt, ob ich Sie für ein paar Monate ausleihen kann. Jerry, Hal und Ruth stammen aus dem Büro in Virginia. In Texas kennt sie niemand. Sie werden mit Ihnen zusammenarbeiten.“
John kratzte sich am Kinn. „Es ist eine Weile her, seit ich zuletzt verdeckt ermittelt habe.“
„Ich bezweifle, dass Sie ihren Job verlernt haben. Sie waren verdammt gut.“
„Wenn ich Sie richtig verstehe, soll ich in San Antonio als ich selbst auftreten, Kontakt mit der Familie Patterson aufnehmen und Beweise für illegale Aktivitäten sammeln.“
„Genau.“
„Haben Sie eine Vorstellung, wie ich nah an diese Leute herankommen soll?“
„Allerdings. Zu der Patterson-Familie gehört auch eine unverheiratete fünfundzwanzigjährige Tochter. Wenn sie sich mit ihr treffen, wird der Rest der Familie sich an Ihre Gegenwart gewöhnen und keinen Verdacht schöpfen.“
„Sie wollen, dass ich mit ihr anbändle?“
„Richtig.“
„Was ist, wenn sie kein Interesse hat?“
„Oh, bei Ihrem Charme, Ihrem Aussehen und der Tatsache, dass sie aus einer sehr bekannten texanischen Familie stammen, wird es Ihnen sicher nicht schwerfallen, ihr Interesse zu wecken. Danach müssen Sie improvisieren. Je öfter Sie sie sehen, umso besser.“
John sah erst Jackie an, dann die anderen. Ruth sah amüsiert aus. „Ich mag ja ein guter Undercover-Agent sein, aber wenn es um Charme und gutes Aussehen geht, fehlt mir doch einiges. Ich bin wirklich kein Ladykiller.“
„Dann sollten Sie besser lernen, einer zu werden“, meinte Watson. „Denn so werden Sie dort auftreten. Wir haben ein großes Haus für Sie vier gemietet.“
John musterte seine Hände. „Ein Ladykiller soll ich also sein, ja?“
„Sie werden ein Playboy sein, der viel zu viel freie Zeit hat. Lassen Sie sich mit schönen Frauen sehen und treten Sie als Kunstmäzen auf.“
„Kunst? Das soll wohl ein Witz sein?“
„Die Tochter – sie heißt Carina – ist Pianistin. Sie war im dritten Studienjahr auf der berühmten Juilliard School, als ihr Vater krank wurde. Da ist sie nach Texas zurückgekehrt und hat sich in San Antonio ein Apartment gemietet. Im nächsten Jahr will sie ihr Studium wieder aufnehmen. Sie müssen Interesse an Musik zeigen, Geld spenden und sich etwas ausdenken, wie Sie an sie herankommen. Eine enge Freundschaft mit ihr ist unbedingt nötig, wenn wir die Familie hinter Gitter befördern wollen.“
„Ist Carina an dem Schmuggel beteiligt?“
„Schon möglich. Auch das sollen Sie herausfinden.“
John nickte. „In Ordnung. Ich tue mein Bestes.“
„Gut.“ Sam stand auf. Jackie, John und die drei Agenten taten das ebenfalls. Watson stellte seinen Aktenkoffer auf den Tisch, klappte ihn auf und reichte John eine dicke Akte. „Hier sind die Unterlagen über die einzelnen Familienmitglieder.“
„Wann soll ich anfangen?“, fragte John.
Sam lächelte. „Gestern?“
John nickte. „Verstanden.“
Sechs Monate später
John bemerkte sie, sobald sie den Ballsaal betrat.
Carina Patterson war klein und zierlich. Sie trug ein kurzes, knallrotes, ärmelloses Kleid, das sich von ihrer hellen Haut und ihrem dunklen Haar effektvoll abhob. Der Lippenstift passte genau zum Kleid.
Sie war in Wirklichkeit viel schöner als auf den Fotos, die John von ihr hatte. Er beobachtete, wie sie sich mit mehreren Gästen unterhielt und fand, dass ihre lebhafte Art und ihr strahlendes Lächeln wesentlich zu ihrer Schönheit beitrugen.
Er genoss es, ihr zuzusehen, als sie den Raum durchquerte. Es war, als würde sie sich zum Rhythmus einer Musik bewegen, die nur sie selbst hören konnte.
John stand mit mehreren wichtigen Persönlichkeiten von San Antonio an der Bar, konzentrierte sich aber nur halb auf das Gespräch. Alles im Saal schien zu glänzen – von dem teuren Kronleuchter bis zu den erlesenen Juwelen der Frauen. Das allgemeine Stimmengemurmel übertönte die leise Musik des kleinen Orchesters.
„John, wir können Ihnen gar nicht genug danken für das, was Sie heute für das Symphonieorchester getan haben“, sagte Graham Scott, der Bürgermeister von San Antonio. „Es musste so lange ums bloße Überleben kämpfen.“
„Es freut mich, dass diese Wohltätigkeitsveranstaltung so viel eingebracht hat“, antwortete John. „Mit dem Erlös aus den Kartenverkäufen und der stillen Auktion müsste das Symphonieorchester seine Ausgaben für das kommende Jahr decken können.“
„Als wir zuerst über diese Veranstaltung gesprochen haben, dachten wir, wir müssten die Kosten, die dabei entstehen, vom Erlös abziehen“, erklärte Glenn Kingston, ein Geschäftsmann. „Aber durch Ihre Großzügigkeit kommt jetzt das gesamte eingenommene Geld dem Symphonieorchester zugute. Dadurch stehen wir tief in Ihrer Schuld, Crenshaw.“
John grinste. „Keine Sorge. Ich kann es mir leisten.“
Die anderen drei Männer lachten. Natürlich konnte er das. Immerhin war er ein Crenshaw.
Seit John in San Antonio eingetroffen hat, hatte er sich bemüht, ein Image als reicher, spendabler Playboy aufzubauen. Er hatte Kunstausstellungen, Museen und Konzerte besucht und dafür gesorgt, dass er immer mit einer schönen Frau gesehen wurde, bei jeder Veranstaltung mit einer anderen. Dadurch war ziemlich oft ein Foto von ihm in der Zeitung erschienen.
Inzwischen war sein Ruf gefestigt. Nicht einer dieser Männer hielt besonders viel von seinem Lebensstil. Aber sie alle stellten sich gut mit ihm. Keiner wollte sich mit einem Crenshaw anlegen, selbst wenn dieser keinen großen Ehrgeiz hatte. Deshalb wurde er überall empfangen und war auch im Country Club zugelassen worden, wo er mit mehreren Mitgliedern Golf spielte.
Jetzt wurde es Zeit, sich an Carina heranzumachen.
Er beobachtete sie weiter, als sie zu ihrem Tisch ging. Ein Mann und eine Frau saßen bereits dort, und John erkannte Carinas Eltern. Er wartete auf eine Pause im Gespräch. Dann fragte er lässig: „Wer ist denn diese dunkelhaarige Frau in dem roten Kleid?“ Er deutete auf Carina.
Clint Jackson, ein Lokalpolitiker, antwortete: „Das ist Carina Patterson. Sie ist die einzige Tochter von Christopher Patterson. Er und seine Frau Connie lassen sich nur selten auf Veranstaltungen sehen. Ich bin froh, dass sie hier sind.“
John tat so, als müsste er nachdenken. „Der Name sagt mir nichts. Wer ist er denn?“
„Bis zu seinem Schlaganfall vor ein paar Jahren war er sehr aktiv. Seine Firma importiert Waren aus aller Welt. Möbel, Teppiche, Statuen, so was in der Art. Wegen seiner Krankheit hat er das Geschäft seinen Söhnen Al und Ben übergeben.“
„Carina sieht ihrer Mutter sehr ähnlich. Sie haben beide so etwas Exotisches.“
„Connie Patterson stammt aus einer reichen Familie in Mexico City“, erklärte Clint. „Es heißt, Chris habe sich damals auf den ersten Blick in sie verliebt.“
„Kein Wunder. Sie sieht eher wie Carinas Schwester als wie ihre Mutter aus. Und Carina ist umwerfend. Wissen Sie, ob sie liiert ist?“
„Ich glaube nicht“, sagte Clint. „Aber für den Fall, dass Sie ihr Glück versuchen wollen, möchte ich Sie warnen. Al und Ben sind einige Jahre älter als Carina und haben einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Sie können zweifellos sehr unfreundlich werden, wenn ihr jemand wehtut.“
„Sie glauben, ich genüge ihren Ansprüchen nicht?“, fragte John amüsiert.
„Das habe ich nicht behauptet.“ Clint schmunzelte. „Immerhin sind Sie ein Crenshaw. Aber Sie haben den Ruf, sich mit ziemlich vielen Frauen zu treffen. Sehen wir den Tatsachen ins Gesicht. Sie sind ein toller Fang, und die Frauen werfen sich Ihnen an den Hals.“ Er grinste. „Meine Frau meint, Sie würden wie ein Filmstar aussehen und hätten auch die entsprechende Ausstrahlung. Ich kann das selbst nicht beurteilen, da Sie nicht mein Typ sind.“
John lachte. „Das ist gut zu wissen.“
„Aber wenn Al oder Ben glauben, Sie würden Carina an der Nase herumführen, dann können Sie was erleben.“
„Verstanden. Könnten Sie mich jetzt bitte vorstellen?“
„Sicher.“ Während sie den Raum durchquerten, sagte Clint: „Wie ich sehe, lassen Sie sich nicht so leicht abschrecken.“
„Ich lasse mich gar nicht abschrecken.“
Mehrere Leute hielten John auf, weil sie ihm für seine Großzügigkeit danken wollten. Er lächelte, schüttelte Hände und dankte allen, dass sie gekommen waren. Als sie endlich den Tisch der Pattersons erreichten, sah John, dass Carinas Brüder und deren Frauen nun ebenfalls da waren.
„Guten Abend, Chris.“ Clint reichte Patterson die Hand. „Ich freue mich, Sie hier zu sehen.“
Patterson hob seine linke Hand und griff damit nach Clints. „Das hätte ich nicht versäumen wollen.“
„Ich möchte Ihnen gern John Crenshaw vorstellen. Er hat einige Hebel in Bewegung gesetzt, damit dieser Abend ein Erfolg wird.“ Er drehte sich zu John um. „John, es ist mir eine große Freude, Ihnen Christopher Patterson, seine Frau Connie, seine Tochter Carina, seinen Sohn Alfred, dessen Frau Marisa, und seinen Sohn Ben und dessen Frau Sara vorstellen zu können.“
John hatte nicht damit gerechnet, so viel Glück zu haben. Dass er jetzt die gesamte Familie auf einmal kennenlernte, war es wert, so viel Geld und Zeit in diese Wohltätigkeitsveranstaltung investiert zu haben. Und abgesehen davon war es auch für einen guten Zweck gewesen.
„Es freut mich sehr, Sie alle kennenzulernen.“ Er schüttelte Hände.
Carina schaute auf. „Ich danke Ihnen für den heutigen Abend.“
„Gern geschehen, Miss Patterson.“ Er zwinkerte ihr zu. Das erschreckte sie zuerst ein bisschen, aber dann lächelte sie.
So weit, so gut.
Aus dem Augenwinkel sah John, dass Al ihn nicht aus den Augen ließ. John tat so, als würde er es nicht bemerken. Schließlich kehrten er und Clint zur Bar zurück, holten sich neue Drinks und gingen dann zum Haupttisch.
Das Dinner war erstklassig, und die Reden waren glücklicherweise kurz.
Danach ging das Orchester von leiser Hintergrundmusik zu Showsongs über, um die Anwesenden zum Tanzen zu ermuntern. John entschuldigte sich bei den anderen Leuten an seinem Tisch und ging zu dem der Pattersons. Dort saßen jetzt nur Mr und Mrs Patterson.
„Mr Patterson, sind Sie damit einverstanden, wenn ich Ihre Frau zum Tanzen auffordere? Ich verspreche auch, nicht mit ihr davonzulaufen, obwohl die Versuchung groß ist.“
Patterson schmunzelte. „Natürlich dürfen Sie mit ihr tanzen. Aber vergessen Sie nicht, dass ich sie zuerst gesehen habe.“
John drehte sich zu Connie Patterson um und merkte, dass sie rot geworden war. „Darf ich um diesen Tanz bitten?“
Sie nickte, und John reichte ihr die Hand. Sobald sie auf der Tanzfläche waren, sagte Connie: „Sie haben viel dazu beigetragen, den heutigen Abend zu einem Erfolg zu machen, Mr Crenshaw. Wir sind Ihnen alle sehr dankbar.“ Sie hatte einen leichten Akzent.
John lächelte. „Bitte nennen Sie mich John.“
„Wenn Sie mich Connie nennen.“
„Gern. Danke. Sie tanzen übrigens sehr gut.“
Jetzt lächelte sie ein bisschen traurig. „Chris und ich haben bis zu seinem Schlaganfall sehr viel getanzt. Ich weiß, dass er es genauso vermisst wie ich. Es war nett von Ihnen, mich aufzufordern.“
„Glauben Sie mir, es ist mir ein Vergnügen.“ Das Orchester ging jetzt zu einem neuen, ähnlichen Song über. „Kommt Ihr Mann noch eine Weile länger allein zurecht?“
Sie schaute zum Tisch hinüber. „Er ist nicht allein. Carina ist wieder da.“
Sie beendeten den Tanz und gingen zu Carina und ihrem Vater.
„Du hast wundervoll getanzt, Liebling“, sagte Patterson zu seiner Frau. „Bitte nutz diese Gelegenheit und mach dir keine Sorgen um mich.“
Sie setzte sich neben ihn. „Ich bin im Moment zu sehr außer Atem, um noch weiter zu tanzen.“ Sie lächelte John zu. „Noch mal vielen Dank.“
„Gern geschehen.“ John wandte sich Carina zu. „Miss Patterson, darf ich um diesen Tanz bitten?“
Carina sah, wie ihre Mutter strahlte, und sagte: „Ja.“
Sobald sie aufgestanden war, nahm John ihre Hand und führte sie auf die Tanzfläche. Sie war kleiner als ihre Mutter und reichte ihm kaum bis zur Schulter.
„Es war nett von Ihnen, meine Mutter aufzufordern“, sagte sie nun. „Sie geht nicht mehr viel aus.“
„Sie hat erwähnt, dass sie und Ihr Vater früher viel getanzt haben.“
Carinas Augen glänzten, als sie sich daran erinnerte. „Ja. Es war wunderbar, ihnen zuzusehen. Sie hatten großes Talent und haben sich zusammen bewegt, als wären sie eins. Bestimmt vermissen sie es sehr.“
„Wann hatte Ihr Vater denn den Schlaganfall?“, fragte John.
„Vor zwei Jahren. Er war immer so aktiv und gesund, dass keiner von uns auf so etwas vorbereitet war. Ein paar Tage lang schwebte er in Lebensgefahr, aber er hat einen starken Willen. Er hat alles getan, was er konnte, um sich so fit wie möglich zu halten.“
„Wie ich gehört habe, hat er ein erfolgreiches Importunternehmen“, sagte John lässig.
„Meine Brüder haben es übernommen. Sie halten ihn auf dem Laufenden, aber unter ihrer Führung ist die Firma sogar gewachsen.“
„Es muss eine Erleichterung für ihn sein, dass er sich auf die beiden verlassen kann.“
„Er spricht nie von seiner Krankheit. Dass er jetzt im Rollstuhl sitzt, betrachtet er ganz nüchtern.“ Carina blickte zu ihrem Tisch hinüber. „Wir sind alle sehr stolz auf ihn.“
„Wie ist es mit Ihnen? Gehen Sie oft aus?“
Sie lächelte wehmütig. „Eigentlich nicht.“
„Würden Sie für mich eine Ausnahme machen?“
Sie sah ihn überrascht an. „Sie bitten mich um eine Verabredung?“
„Ja. Wie jedem anderen Mann hier sind Sie mir sofort aufgefallen, als Sie hereingekommen sind. Ich muss zugeben, dass ich Clint überredet habe, mich Ihnen und Ihrer Familie vorzustellen. Ich würde Sie wirklich gern wieder sehen.“
Der Song ging zu Ende, und ein neuer begann. John tanzte weiter, und Carina sagte nichts davon, dass sie an ihren Tisch zurückwollte.
„Was haben Sie denn im Sinn?“, fragte sie schließlich.
Er fing an zu lachen. „Das ist aber eine schwerwiegende Frage. Meine Absichten sind ganz unschuldig. Das versichere ich Ihnen. Wir könnten essen gehen, vielleicht am nächsten Samstag, falls Sie da noch nichts vorhaben.“
Sie entspannte sich ein bisschen. „Das klingt harmlos genug.“
„Ich gebe Ihnen mein Pfadfinderehrenwort, dass Sie bei mir sicher sind.“
Er machte ein paar Drehungen, und Carina folgte seiner Führung wie ein Profi.
„Sie können aber gut tanzen“, stellte sie dann fest.
„Danke. Meine Mutter wäre sehr stolz, wenn sie das hören könnte. Ich war nicht gerade einer ihrer besten Schüler, aber ich komme zurecht.“
Carina legte den Kopf schief. „Sind Sie zufällig Musiker? Sie haben einen natürlichen Rhythmus, wie die meisten Musiker.“
Er lachte. „Ich fürchte nein. Das einzige Instrument, das ich beherrsche, ist das Radio.“
Sie stöhnte. „Und trotzdem fördern Sie die Künste.“
„Man muss kein Priester sein, um die Kirche zu unterstützen.“
Sie lachte, und er fand, dass das herrlich klang. „Ein gutes Argument.“
Die Musik brach ab. Das Orchester machte eine Pause. „Würden Sie mir Ihre Telefonnummer geben?“, fragte John. „Dann rufe ich Sie später in der Woche an.“
Sie holte eine Karte aus der winzigen Tasche, die an ihrer Taille hing. „Hier stehen meine Nummer zu Hause und die von meinem Handy drauf. Ich bin samstags immer bei meinem Eltern, also werden Sie mich dort abholen müssen.“
„Das lässt sich machen.“ Während John ihr den Stuhl zurechtrückte, sagte er leise: „Ich freue mich darauf, Sie wieder zu sehen.“ Dann wandte er sich an Chris und Connie. „Es war schön, Sie kennenzulernen. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“
Darauf reagierten beide sehr freundlich. John ging weg.
Als die Veranstaltung zu Ende war, war er mehr als bereit, nach Hause zu fahren.
Auf dem Weg zu seinem Sportwagen redete er noch mit ein paar Bekannten. Dann fuhr er auf dem Highway in Richtung Norden. Das Haus, das die DEA gemietet hatte, lag in den Bergen. Von dort hatte man eine tolle Aussicht.
Es war nur eine zweistündige Fahrt bis zu der Ranch von Johns Familie, aber er war noch nicht oft dort gewesen. Seine Eltern wussten, dass er einen Geheimauftrag hatte, und stellten keine Ansprüche. Aber er vermisste sie. Jetzt beschloss er, öfter hinzufahren.
Das Grundstück war von einer dicken, hohen Mauer umgeben. John gab den Zahlencode ein und wartete, bis das Tor aufging. Dann fuhr er weiter und parkte in der Garage, die groß genug für drei Autos war. Die anderen Wagen waren da. Die Agenten schliefen inzwischen wahrscheinlich. John selbst war auch sehr müde.
Im Haus ging er als Erstes in den Überwachungsraum, wo man auf mehreren Bildschirmen das Grundstück sah. Überall waren Kameras versteckt. Hier standen außerdem mehrere Computer, mit denen sie Daten sammelten, Berechnungen anstellten und Instruktionen entgegennahmen.
John griff nach dem Telefon und tippte eine Nummer ein. Am anderen Ende der Leitung wurde schon nach dem ersten Klingeln abgenommen. Ohne auf eine Stimme zu warten, sagte John: „Ich habe heute Kontakt hergestellt. Scheint, als wären wir drin.“
John öffnete die Akte über die Familie Patterson. Sie enthielt so viele Einzelheiten, dass er wahrscheinlich mehr über die Familie wusste als die einzelnen Mitglieder übereinander.
Er wusste, dass Alfredo de la Cruz Patterson in Houston eine Geliebte hatte, der er ein Penthouse bezahlte.
Er wusste, dass Benito einen großen Teil seiner Zeit im Ausland verbrachte, wo er Waren kaufte und verkaufte. Sie mussten allerdings noch genau herausfinden, was er kaufte und von wem.
John hoffte, dass nur die beiden Brüder in das Schmuggelgeschäft verwickelt waren und dass der Rest der Familie keine Ahnung davon hatte. Es wäre eine Schande gewesen, Christopher Patterson festnehmen zu müssen.
John stand auf und streckte sich. Dann schaltete er das Licht aus und ging nach oben ins Bett. Er fühlte sich gut. Endlich hatte er Kontakt hergestellt, und Carina war bereit, mit ihm auszugehen.
Am Donnerstag darauf traf Carina sich mit ihrer Schwägerin Marisa in einem ihrer Lieblingscafés.
„Danke, dass du mich eingeladen hast“, sagte Marisa. „Ich muss mit jemandem reden, dem ich trauen kann.“
„Hast du Probleme mit Al?“ Carina trank einen Schluck von ihrem Kaffee.
„Ich glaube, wir haben gar nichts anderes mehr. Ich überlege, ob ich mich scheiden lasse.“
Carina griff nach Marisas Hand. „So schlimm?“
„Er behandelt mich jetzt schon seit Monaten wie Luft, und das ist eigentlich schlimm genug. Aber jetzt sind ihm sogar die Kinder gleichgültig geworden, und es bricht mir das Herz zu sehen, wie sie sich um seine Aufmerksamkeit bemühen und er sie immer wieder abweist.“
Der sechsjährige Christopher war das erste Enkelkind und nach seinem Großvater benannt worden. Seine Schwester Tina Maria war vier. Carina liebte beide über alles, ebenso wie Beth, die Tochter von Ben und Sara.
„Ich glaube, da ist eine andere Frau im Spiel“, erklärte Marisa leise.
„Aber nein, bestimmt nicht“, widersprach Carina. „Wie kommst du denn auf so was?“
„Er behauptet, er wäre dauernd unterwegs, um Waren zu kaufen, aber das hat er früher doch immer Benito überlassen. Sara meint, dass Benito auch immer noch das Meiste tut. Ich habe sogar daran gedacht, einen Privatdetektiv zu engagieren.“
„Sei vorsichtig“, riet Carina ihr. „Alfredo kann sehr wütend werden. Ich möchte nicht, dass er dich verletzt.“
„Ich habe ihm gestern Abend gesagt, dass ich mich scheiden lassen will. Da hat er nur gelacht und gefragt, ob ich ein höheres Haushaltsgeld herausschlagen will. Er nimmt mich nicht einmal mehr ernst.“
„Was würdest du denn tun, wenn es wirklich eine andere Frau gäbe?“
Marisa seufzte. „Ich würde akzeptieren, dass meine Ehe gescheitert ist, und mit den Kindern wegziehen. Meine Mutter wünscht sich schon lange, dass ich sie in Dallas besuche. Vielleicht werde ich das tun.“
„Ich will, dass du und die Kinder glücklich seid, Marisa. Und ich habe ein schlechtes Gefühl, weil ich dich Alfredo damals vorgestellt habe.“
Zum ersten Mal an diesem Morgen lächelte Marisa. „Du hast mich doch nicht gezwungen, ihn zu heiraten. Das habe ich ganz allein entschieden.“ Sie aß ein Stück von ihrem Kuchen. „Es tut mir leid, dass ich dir das aufladen muss. Du bist ja nicht nur meine Freundin, sondern auch Alfredos Schwester. Und eigentlich will ich nicht, dass du zwischen die Fronten gerätst.“
„Sei nicht albern. Du und ich sind ja schon seit der Highschool befreundet. Daran wird sich nichts ändern, auch nicht durch eine Scheidung.“
„Sag deinen Eltern nichts, solange ich mich noch nicht entschieden habe. Jedenfalls glaube ich, dass ich eine Weile weg muss, um über alles nachzudenken. Ich bin froh, dass die Sommerferien schon angefangen haben. Vielleicht werde ich Chris für das nächste Schuljahr in Dallas anmelden.“
„Tu, was du tun musst, Marisa. Und denk daran, dass ich immer für dich da bin.“ Carina schaute für einen Moment weg. „Keine von uns schneidet besonders gut ab, was Männer angeht, was?“
„Immerhin hast du gewusst, dass Dan dich liebt.“
„Ach ja? Hatte er deshalb in der Nacht, als er getötet wurde, eine Frau bei sich? Es war dumm von mir zu denken, er würde mich lieben und nicht bloß den Namen Patterson. Al hätte ihn nie eingestellt, wenn er nicht mein Verlobter gewesen wäre. Das weißt du.“
„Ich schätze, du hast recht. Alle Männer sind Mistkerle, und ohne sie sind wir besser dran.“ Marisas Gesicht blieb ganz ausdruckslos.
Carina lachte, und Marisa lachte mit. Nachdem sie den Kuchen aufgegessen und mehr Kaffee bestellt hatten, sagte Carina: „Wahrscheinlich ist das keine gute Zeit, es zu erwähnen, aber ich habe wohl am Samstagabend eine Verabredung mit John Crenshaw.“
Marisa starrte sie ungläubig an. „Er hat dich gefragt, ob du mit ihm ausgehen willst?“
„Tu nicht so schockiert. Er hat mich gefragt, als wir auf der Wohltätigkeitsveranstaltung miteinander getanzt haben.“
„Ich finde noch viel schockierender, dass du darauf eingegangen bist. Und dass du es jetzt erst erwähnst, obwohl du es schon tagelang weißt. Also, du schlägst aber auch gleich richtig zu. John Crenshaw ist einer der bekanntesten Frauenhelden der Stadt. Wie viele Herzen mag er schon gebrochen haben, seit er hierher gezogen ist?“
Carina schüttelte den Kopf. „Das spielt keine Rolle. Meins wird er nicht brechen. Seit Dans Tod habe ich bloß in meinem Apartment gesessen und mich selbst bemitleidet. Es ist Zeit weiterzuleben und zu akzeptieren, dass ich nun mal einen schlechten Geschmack habe, was Männer angeht. John ist für mich so was wie der erste Schritt. Dadurch gebe ich sozusagen bekannt, dass ich wieder auf dem Markt bin.“
„Ich kenne zwei Frauen, die mit ihm ausgegangen sind. Sie haben beide das Gleiche erlebt. Er hat sie ein paar Mal getroffen. Sie haben sich gut verstanden, hatten Spaß, und dann hat er sie einfach nicht mehr angerufen, ohne erkennbaren Grund. Er hat keiner von ihnen etwas erklärt. Als Nächstes haben sie dann gehört, dass er sich mit einer anderen getroffen hat. Er ist offenbar nicht der beständige Typ.“
„Gut. Genau das will ich ja auch. Ich gebe zu, dass ich etwas geschmeichelt bin, weil er mich überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Eigentlich scheint er doch auf große Blondinen zu stehen. Ich war noch nicht mit vielen Männern verabredet, und außer mit Dan war es mir mit niemandem wirklich ernst. Deshalb fehlt mir einfach die Erfahrung, was Verabredungen angeht.“
„Ganz zu schweigen von einem Sexleben.“
Carina grinste. „Das auch. Womöglich werde ich nicht viel Widerstand leisten, wenn Mr Crenshaw beschließen sollte, mich zu verführen.“
„Vielleicht brauche ich ja auch einen Freund“, meinte Marisa. „Ich scheine gar kein Sexleben mehr zu haben.“
Sie sahen sich an und fingen wie auf Kommando an zu lachen.
Dann wechselte Carina das Thema, und sie sprachen die restliche Zeit über das Symphonieorchester.
Nach einer Weile sah Marisa auf die Uhr. „Zeit, die Kinder abzuholen. Erzähl mir, wie deine Verabredung gelaufen ist, ja?“ Sie standen auf und gingen zur Tür.
„Das mache ich. Grüß die Kinder von mir.“
Marisa seufzte. „Natürlich.“ Auf dem Bürgersteig blieben sie noch mal stehen. „Weißt du, Carina, manchmal habe ich das Gefühl, Al gar nicht zu kennen. Er ist so anders als der Mann, den ich geheiratet habe.“
Carina drückte ihr die Hand. „Ich weiß, dass du die richtige Entscheidung treffen wirst.“
Als Carina sich am Samstag für ihre Verabredung mit John fertig machte, überlegte sie, wie der Abend wohl verlaufen würde. Würde John sie furchtbar langweilig finden?
Carina sank auf ihr Bett und strich über die bestickte Decke, die ihre Großmutter vor einigen Jahren für sie in Mexiko hatte anfertigen lassen. Dann schloss sie die Augen und dachte an John, an seine blonden, teuer gepflegten Haare und diese tollen blauen Augen.
Er war viel größer als sie. Danny hatte sie bloß um ein paar Zentimeter überragt, wenn sie hohe Absätze getragen hatte. Aber John reichte sie selbst mit ihren High Heels kaum bis zur Schulter.
Er war so sanft mit ihr umgegangen, fast als hätte er Angst, sie könnte zerbrechen. Aber wenn er sie besser kennenlernte, würde er schnell entdecken, dass sie alles andere als zerbrechlich war. Sie hielt sich mit Tai Chi und Yoga fit.
Natürlich war John attraktiv. Und reich. Und eine Art Playboy. Aber es machte Carina wirklich nichts aus, dass er mit so vielen Frauen ausging, denn sie war ja nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung.
Carina sah auf die Uhr. John würde bald hier sein, und sie wollte ihn nicht warten lassen. Womöglich würde er auch gar nicht auf sie warten wollen. Wahrscheinlich hatte er eine ganze Liste von Frauen, die er kurzfristig anrufen konnte, um sich mit ihnen zu treffen. Carina lächelte über diese Vorstellung. Würde sie selbst auch bald auf dieser Liste stehen?
John hielt vor dem Tor des Patterson-Besitzes, der im Bezirk Alamo Heights lag. Einige dieser alten Herrenhäuser gehörten seit Generationen denselben Familien.
John drückte auf einen Klingelknopf, und sofort meldete sich eine männliche Stimme: „Identifizieren Sie sich bitte.“
„John Crenshaw. Ich möchte zu Carina Patterson.“
Nach einer kurzen Pause ging das schmiedeeiserne Tor auf. John fuhr hindurch und die Einfahrt hinauf bis zum Haus.
Das Grundstück der Pattersons nahm einen ganzen Block ein. John bemerkte zwei andere Häuser, vermutlich Gästehäuser. Der Besitz war so groß, dass auch ein Golfplatz noch bequem Platz gefunden hätte.
John parkte vor dem Haus aus der Vorkriegszeit und stieg aus. Noch bevor er die Stufen zur Veranda hinaufgestiegen war, ging die Tür auf. Der Mann im Eingang sah eher wie ein Expolizist als wie ein Butler aus.
„Guten Abend, Mr Crenshaw“, sagte er. „Carina ist im Musikzimmer. Gehen Sie dort an der Treppe vorbei. Dann ist es die erste Tür rechts.“
Die Halle war so breit wie das Haus. Eine geschwungene Treppe führte in den ersten Stock hinauf. John blickte nach oben und bemerkte eine Glaskuppel.
Als er die Tür des Musikzimmers erreichte, sah John Carina am Flügel sitzen, mit dem Rücken zu ihm. John blieb stehen und hörte zu. Weil in Carinas Akte stand, wie leidenschaftlich sie sich für Musik interessierte, hatte er in den letzten Monaten ein paar Konzerte besucht. Nun stellte er beeindruckt fest, dass Carina sehr gut spielte, obwohl er persönlich Countrymusic bevorzugte.
Und nun hatte er sich als Förderer der Schönen Künste einen Namen gemacht.
Sein Vater und seine drei Brüder würden ihm vermutlich nie glauben, dass er inzwischen durchaus die Fähigkeiten und das Talent von Musikern zu schätzen wusste, selbst wenn das Instrument keine Gitarre war.
An einer Seite des Raumes führten Terrassentüren in einen üppigen Garten hinaus, und die Blumen dort bildeten einen farbenfrohen Hintergrund für den Flügel und die Pianistin. John wartete, bis sie mit ihrem Stück fertig war, und klatschte dann. Carina drehte sich überrascht zu ihm um und stand auf. „John, verzeihen Sie mir bitte, dass ich so unhöflich war. Helmuth hat mir nicht gesagt, dass Sie hier sind. Und ich fürchte, ich vergesse immer die Zeit, wenn ich spiele.“
„Dann kann ich Helmuth für seine Nachlässigkeit nur danken. Wenn er es Ihnen gesagt hätte, hätte ich Sie nicht spielen hören. Und Sie waren atemberaubend … ich meine, Ihr Klavierspiel …“ Nun griff er nach Carinas Händen. „Sie haben sehr kleine Hände, dafür, dass Sie so wunderschöne Musik machen.“
„Glauben Sie mir, ich wünschte, sie wären größer. Ich musste mein Leben lang arbeiten, um diesen Nachteil auszugleichen.“
„Wollen wir gehen?“
An der Haustür wartete bereits Helmuth. „John, ich möchte Ihnen gern Helmuth Gregorian vorstellen“, sagte Carina. „Helmuth war schon bei unserer Familie, bevor ich geboren wurde.“
John streckte die Hand aus. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“
Helmuth schüttelte ihm die Hand und nickte. Offenbar machte er nicht viele Worte.
Als Carina den Wagen sah, riss sie die Augen weit auf. „Das ist ja ein tolles Auto, Mr Crenshaw.“
„John. Ich heiße John.“
„Wie lange haben Sie den schon?“, fragte Carina, als er ihr beim Einsteigen half. Danach machte er die Tür zu und ging auf die Fahrerseite. Während er startete, antwortete er: „Ein paar Jahre.“
„Er sieht ganz neu aus. Anscheinend pflegen Sie ihn gut.“
Er grinste. „Das ist eins meiner vielen Laster.“
Nachdem sie die Straße erreicht hatten, erklärte er: „Ich habe einen Tisch in einem Restaurant mit einer schönen Aussicht reserviert. Wir werden in ungefähr einer halben Stunde dort sein. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden.“
Carina tätschelte den weichen Ledersitz. „In diesem Wagen könnte ich wochenlang herumfahren.“
„Das ist gut zu wissen. Wenn ich also eines Tages beschließen sollte, Sie zu entführen, werden Sie nicht allzu viel Widerstand leisten?“
„Das käme wohl darauf an, warum Sie mich entführen.“
„Oh, Sie können sich darauf verlassen, dass das aus unanständigen Gründen geschehen würde.“
Sie lachte. „Dann würde es mir wahrscheinlich nichts ausmachen.“
Sie lehnte sich zurück. John hatte den Eindruck, dass sie sich entspannte, und das war gut. Erste Verabredungen waren immer schwierig. Und in diesem Fall machte der Grund, warum John mit ihr ausging, es noch komplizierter.
Sie fuhren eine Weile schweigend durch die Stadt.
„Erzählen Sie mir etwas über sich“, bat Carina John schließlich. „Ich weiß eigentlich nur, dass Sie aus Texas stammen und ein Mitglied der bekannten Crenshaw-Familie sind.“
John fand die Frage vernünftig, und er wollte sich so dicht wie möglich an die Wahrheit halten. „Ich bin dreißig Jahre alt. Ich bin gern im Freien und kann mir nicht vorstellen, den ganzen Tag in einem Büro zu sitzen.“ Das stimmte.
„Wo wurden Sie geboren? Wo sind Sie zur Schule gegangen? Erzählen Sie mir etwas über Ihre Familie. Und warum haben Sie mich zum Dinner eingeladen?“
Er lachte. „Die letzte Frage ist einfach zu beantworten. Weil Sie mir sofort gefielen und ich Sie besser kennenlernen will. Warum habe ich nur das Gefühl, dass Sie ein Interview mit mir führen?“, neckte er sie dann. „Werde ich morgen in der Zeitung einen Artikel über mich lesen?“
Carina lachte. „So schnell geht das hier nicht. Wahrscheinlich erst nächste Woche.“
„Oh, dann ist es ja in Ordnung.“ Sie ließen jetzt die Innenstadt hinter sich, und der Verkehr ließ nach. „Ich wurde in einer Kleinstadt geboren, von der Sie vermutlich noch nie gehört haben. New Eden. Das liegt ungefähr hundert Meilen nordwestlich von hier. Etwa im Jahre 1840 hat einer meiner Vorfahren dort Land gekauft. Mein Vater ist der älteste von vier Brüdern, und er hat vier Söhne.“
„Oh. Haben seine Brüder genauso viele Kinder?“
„Nicht ganz. Mein Onkel Jeffrey hat zwei Söhne, Jordan und Jackson. Onkel Josh hat drei Söhne: Jeremy, Justin und James. Und Onkel Jerome hat drei Söhne: Jed, Jesse und Johnny.“
„Puh. Das sind eine Menge Namen mit J. Und wie kommt es, dass alle rein männliche Familien haben?“
„Na ja, in früheren Generationen gab es auch mal ein paar Töchter, aber nicht viele. Und mein ältester Bruder Jake hat ebenfalls eine Tochter. Heather.“
„Erzählen Sie mir etwas über Ihre Brüder.“
„Also, Jake ist fast vierunddreißig. Er ist der Rancher der Familie. Letzten Herbst hat er die Tochter des Vorarbeiters geheiratet. Ashley. Sie erwarten ihr erstes Kind. Heather stammt aus seiner ersten Ehe. Jared ist Geologe und hat ein paar Wochen nach Jake ebenfalls geheiratet. Er ist zweiunddreißig. Anfang des Monats war ich bei einer Willkommensparty für ihn. Er war gerade aus Saudi-Arabien zurückgekommen, und es hat uns sehr erleichtert zu hören, dass er nicht wieder hinfliegen wird. Ich selber bin der dritte Sohn. Mein jüngerer Bruder Jason ist in der Delta Force.“
„Ist er verheiratet?“
„Nein. Er und ich genießen unsere Freiheit zu sehr, um sie in absehbarer Zeit aufzugeben.“
„Sie sind also ein waschechter Texaner.“
„Ja. Ich bin auch in New Eden zur Schule gegangen, und gleich nach dem Abschluss bin ich zur Army gegangen. Mein Vater und der Sheriff haben darauf bestanden.“
„Der Sheriff? Was hatten Sie denn getan?“
„Nichts allzu Ernstes, aber ich war wohl auf dem besten Weg, auch größere Straftaten zu begehen. Zumindest befürchtete das mein Dad. Ich hatte ein paar Freunde, die gern Unsinn anstellten. Und für eine Kleinstadt sind wir wohl ein bisschen zu weit gegangen. Wir haben uns Bier besorgt, sind in unseren Autos die Main Street runtergerast und haben unseren Lehrern Kopfschmerzen beschert. Mein Vater fand, dass ich etwas Produktiveres anstellen sollte, als Straßenschilder zu klauen, die Vorgärten der Leute mit Klopapier zu dekorieren und illegale Autorennen zu fahren. Es war von Disziplin die Rede.“
„Ein jugendlicher Straftäter, ja?“ Carina grinste.
„Jedenfalls war ich nahe dran.“
„Und dann sind sie zur Army gegangen.“
„Genau.“
„Und danach?“
John lächelte ihr zu. „Als ich wieder draußen war, habe ich mir geschworen, da nie wieder reinzugeraten.“ Das war die erste große Lüge. Es hatte ihm bei der Army gefallen, und er hatte eine Menge über sich selbst gelernt. Zum Beispiel, dass er unter Druck erst so richtig aufblühte. Die Army hatte ihm das College finanziert, und nach seinem Abschluss war er Offizier geworden. Danach war er immer weiter befördert worden, und wahrscheinlich wäre es so weitergegangen, wenn die NSA ihn nicht abgeworben hätte.
„Ein bisschen zu viel Disziplin, nehme ich an“, sagte Carina.
„Etwas in der Art. Jetzt wissen Sie alles über mich.“
„Wieso sind Sie nach San Antonio gezogen?“
„Mein Onkel Josh hat mich gebeten, ein bisschen nach seinem Besitz in dieser Gegend zu sehen. Von ihm kenne ich übrigens das Restaurant, in das wir jetzt gehen. Ich war seitdem noch mehrmals dort. Das Essen ist großartig und die Aussicht überwältigend.“
Sie schwiegen wieder eine Weile. „Jetzt sind Sie dran“, meinte John schließlich. „Erzählen Sie mir etwas über sich.“
„Im Vergleich zu Ihrem war mein Leben wirklich langweilig“, fand sie.
John lächelte nur.
„Ich wurde in San Antonio geboren, bin hier zur Schule gegangen, habe eine Weile in New York studiert und bin dann wieder nach Hause gezogen. Das war es auch schon.“
„Sie haben Ihre Musik nicht erwähnt.“
„Das liegt wohl daran, dass sie so ein fester Bestandteil von mir ist, dass ich gar nicht darüber nachdenke. Genauso wie meine grünen Augen und mein dunkles Haar gehört sie einfach zu mir.“
„Und haben Sie auch vor, mit Musik Karriere zu machen?“
„Ich hoffe es. Ich habe noch ein weiteres Studienjahr auf der Juilliard School vor mir, bevor ich mein Examen machen kann. Ab Herbst bin ich wieder dort.“
„Das ist gut. Aber ich bin froh, dass ich Sie vorher kennengelernt habe.“
John wartete ab, ob sie wohl ihren Verlobten erwähnen würde. Daniel Bowie war vor vierzehn Monaten bei einem Verkehrsunfall südlich von San Antonio getötet worden. Im Polizeibericht stand, dass er mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und dann von der Straße abgedrängt worden war. Das Auto hatte sich mehrfach überschlagen, und Bowie war sofort tot gewesen. Man hatte nie herausgefunden, wer ihn abgedrängt hatte und ob das absichtlich geschehen war. Der Fall wurde nie ganz aufgeklärt.
Doch Carina sagte nichts darüber. „Wie steht’s mit Brüdern oder Schwestern?“, fragte John schließlich.
„Sie sind meinen beiden Brüdern ja bei der Wohltätigkeitsveranstaltung begegnet. Alfredo ist sechzehn Jahre älter als ich und Benito vierzehn Jahre älter. Sie sind so früh weggezogen, dass ich mich gar nicht daran erinnern kann, je mit ihnen in einem Haus gewohnt zu haben. Al neigt dazu, mich zu beschützen, was ich etwas irritierend finde ich meinem Alter. Aber er kümmert sich um alle in der Familie. Mein Vater ist heilfroh, dass Al die Firma übernommen hat, als er selbst sie nicht mehr leiten konnte.“
„Arbeitet Ihr Bruder Ben auch dort?“
„Ja. Seine Frau Sara beschwert sich immer darüber, dass er so oft auf Geschäftsreise ist, aber jemand muss das ja übernehmen. Al hat hier genug zu tun. Ich rate Sara immer, ihn zu begleiten, aber bisher ist sie zu Hause geblieben.“
„Haben Sie Nichten und Neffen?“
„Zwei Nichten und einen Neffen. Chris und Tina Maria sind Als und Marisas Kinder. Sara und Ben haben ein Baby. Beth.“
„Und Sie? Wünschen Sie sich auch eine Familie?“
Carina antwortete nicht sofort. „Ich liebe Kinder“, sagte sie schließlich. „Und irgendwann möchte ich auch eine Familie, aber zuerst will ich mein Studium zu Ende bringen und mal sehen, wohin mich das führt.“
„Sie sind also genauso frei wie ich.“
„Da bin ich nicht so sicher. Ich bezweifele, dass wir viel gemeinsam haben.“
Er warf ihr einen forschenden Blick zu, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. „Wieso sagen Sie das?“