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Das Naturgeschehen läuft aus sich selbst heraus gesetzmäßig ab.
(Straton von Lampsakos)

In der Natur ist kein Irrtum. Der Irrtum ist in Dir!
(Leonardo da Vinci)

Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammen hält.
(Johann Wolfgang Goethe)

Die Gesetze der Natur sind die unsichtbare Regierung der Erde.
(Alfred A. Montapert)

Günter Dedié

Die Kraft der Naturgesetze

Emergenz und kollektive Fähigkeiten durch spontane Selbstorganisation, von den Elementarteilchen bis zur menschlichen Gesellschaft

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Selbstorganisation und Emergenz

Konzept der Selbstorganisation und der Emergenz

Phasenübergänge

Weltbild mit oder ohne Emergenz?

2. Fundamentale Teilchen und Kräfte

Fundamentale Teilchen

Fundamentale Kräfte

Fermionen und Bosonen

3. Weltall und Sterne

Der Urknall und die Entstehung der Welt

Die Entstehung der Sterne

Die Entstehung der schweren Atomkerne

Die Erde

4. Fundamentale Prinzipien

Symmetrien und Erhaltungssätze

Energie und Wirkung

Entropie und Wahrscheinlichkeit

Das Relativitätsprinzip

5. Elementarteilchen und Atomkerne

Die Elementarteilchen

Die Atomkerne

6. Die Atome und die Quantentheorie

Der Aufbau der Atomhülle

Der Laser

Beugung am Doppelspalt

Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit

Die Unbestimmtheitsrelation

Die Quantenverschränkung

Quantentheorie und Emergenz

7. Chaotische Prozesse

Ursachen

Wetter und Klima

Die Mandelbrot- Menge

8. Die „klassische“ Physik

9. Feste Körper

Bindungen zwischen Atomen

Kristallgitter und metallische Bindung

Elektronenstrukturen

Magnetismus

10. Kollektive Quantenphänomene

Supraleitung

Suprafluidität

Extreme Genauigkeit kollektiver Effekte

Das Vakuum

11. Die Allgemeine Relativitätstheorie

12. Die Moleküle

Primäre chemische Bindungen

Sekundäre Bindungen

13. Die Entwicklung des Lebens

Makromolekulare Stufen und Viren

Die Entwicklung der Zellen

Die Ko-Evolution bei Symbiosen

Sexuelle Vermehrung und Kreuzung

Die Epigenetik

14. Von Einzellern zu höheren Lebewesen

Die große Umgestaltung

Zur Rolle der Pflanzen

Das Immunsystem

Nervensystem und Gehirn

Kollektives Verhalten bei Insekten

Kollektives und Moral-analoges Verhalten bei Wirbeltieren

15. Das Gehirn des Menschen

Zum Aufbau des menschlichen Nervensystems

Neuronales Netz und Lernen

Zum Aufbau des Gehirns

Zur Arbeitsweise des Gehirns

Das Gedächtnis

„Wie wirklich ist die Wirklichkeit“?

Automatische, unbewusste und bewusste Abläufe

Innovation und Inspiration

16. Die menschliche Gesellschaft

Alles wie in der Natur?

Die Evolution zum Homo sapiens

Ethische und moralische Grundlagen

Die spontane Sozialordnung und der Staat

Die unsichtbare Hand des Marktes

Kollektive Internet-Projekte

17. Rückblick und Ausblick

Anhang

Literatur

Bildnachweis

Glossar

Vorwort

Was haben ein Atomkern, das Kohlenstoffatom, das Wasser, eine Schneeflocke, der Magnetismus, das Wetter, die Entwicklung des Lebens, der menschliche Geist und die menschliche Sozialordnung gemeinsam? Sie alle können mit einem Prinzip erklärt werden, das Emergenz genannt wird. Und sie haben noch etwas gemeinsam: Es gibt für sie bis heute keine exakte wissenschaftliche Theorie. Was ist das, Emergenz? Auf den einfachsten Nenner gebracht: „Das Ganze ist mehr als seine Teile“. Etwas ausführlicher: Emergenz entsteht durch die spontane Selbstorganisation vieler gleicher oder auch unterschiedlicher Elemente aufgrund der Wechselwirkungen zwischen Ihnen. Dabei können Systeme entstehen, die völlig neue Strukturen und eine höhere Ordnung aufweisen, und deren kollektive Eigenschaften und Fähigkeiten ganz anders sind als die der Elemente.

Beispiele: Ein einzelnes Gold-Atom ist nicht gelb und glänzend, eine einzelne Zelle ist kein Tiger (frei nach Philipp W. Anderson)

Die Selbstorganisation ist in der Natur der Normalfall und nicht die Ausnahme, von den Elementarteilchen durch alle Ebenen der Welt bis hinauf zum menschlichen Geist. Sie schlägt als durchgängiges Prinzip eine Brücke zwischen der unbelebten und der belebten Natur, sie verbindet die materielle Welt mit der Welt des Geistes! Grundlage der Selbstorganisation sind in den materiellen Ebenen wie Physik und Chemie unmittelbar die Naturgesetze, die für die Elemente des jeweiligen Systems gelten. In den höheren Ebenen wie Biologie, Geist und Gesellschaft sind es die Wechselwirkungen zwischen deren Elementen, die ihrerseits emergente Systeme der Ebenen darunter sind.

Beispiel: Die Evolution basiert auf den komplexen reproduktiven Makromolekülen der organischen Chemie, die chemischen Bindungen, die die Moleküle zusammen halten, entstehen aus den Eigenschaften der Elektronenhülle der Atome. Und die Atome entstehen aus den Atomkernen und den Elektronen nach einem Naturgesetz, das Quantentheorie heißt.

In den wenigsten Fällen sind der Vorgang der spontanen Selbstorganisation sowie die Struktur, Eigenschaften und Fähigkeiten des dabei entstehenden emergenten Systems aus denen der Elemente berechenbar, im Detail erklärbar und erst recht nicht vorhersagbar. Man muss deshalb die Eigenschaften eines selbstorganisierten Systems durch Beobachtungen und Messungen erforschen. Mit deren Ergebnissen kann man dann in der Ebene des Systems und oberhalb derselben weiter arbeiten.

Beispiel: Aus dem Aufbau der Elektronenhüllen der Atome kann man die Regeln für die chemischen Bindungen empirisch erklären und damit die ganze große Welt der Chemie beschreiben. Diese Regeln sind in der Chemie aber schon lange vor der genauen Kenntnis der Atomhüllen gefunden worden. Die Stärke der Bindungen muss man allerdings auch heute noch messen, weil man die chemischen Bindungen nicht quantitativ berechnen kann.

In diesem Buch versuche ich, wichtige emergente Systeme unserer Welt unter dem Aspekt der Selbstorganisation durchgängig, überschaubar und verständlich darzustellen, soweit wie möglich anschaulich und mit Worten statt abstrakt und mit Formeln. Die anschauliche Beschreibung hilft beim Verständnis der Zusammenhänge in der Welt. Sie ersetzt natürlich nicht die fundierte wissenschaftlich Begründung der Systeme, hat aber den Vorteil, dass sie einfacher zu verstehen ist als die mathematischen Formeln und Beweise der Theorien vom „Inneren“ der Systeme.

Beispiele:

Man kann den Satz des Pythagoras für rechtwinklige Dreiecke anwenden, ohne seinen Beweis zu verstehen oder zu kennen. Man muss nur den Satz bzw. die Formel kennen und anwenden können.

Ein Programmierer muss die komplizierten Details eines Computers nicht kennen, oder die Unterschiede zwischen verschiedenen Computern, solange er eine Programmiersprache als vereinbarte Schnittstelle zwischen Mensch und Computer verwendet.

In diesem Sinne ist eine anschauliche Beschreibung der Grundbegriffe, Strukturen, Eigenschaften und Fähigkeiten der Systeme in der Natur eine Schnittstelle zwischen der Wissenschaft und dem naturwissenschaftlichen Grundwissen, das heute jedermann haben sollte. Vielleicht ist sie sogar Teil eines sog. Königswegs, dessen Fehlen zur Physik, Chemie, Evolution usw. oft beklagt wird. Und damit ein ganz wesentlicher Bestandteil der abendländischen Kultur! Für jedes selbstorganisierte System werden die Elemente herausgearbeitet, aus denen es aufgebaut ist, und die Wechselwirkungen, die zur spontanen Selbstorganisation seiner Elemente führen. Die kollektiven Eigenschaften und Fähigkeiten des Systems werden durch Beispiele veranschaulicht. Begleitend dazu wird die für das jeweilige System in der Wissenschaft geltenden Theorie oder Hypothese kurz bewertet.

Es ist eine Art Bestandsaufnahme der selbstorganisierten Systeme, und soll die große Kraft der Naturgesetze plausibel machen, auch im Vergleich zur menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Ich kann dabei nicht mit dem Wissen der Spezialisten in der Forschung mithalten, versuche aber, die oft weit voneinander entfernten Spezialgebiete unter dem Aspekt der Selbstorganisation zu einem Gesamtbild zusammen zu bringen. Die Hierarchie der selbstorganisierten Systeme beginnt in der Materie, setzt sich fort bei den Lebewesen und reicht hinauf bis in die geistige Ebene des Gehirns und zur Funktion der menschlichen Gesellschaft. Sie ist das Ergebnis einer höchst dynamischen Entwicklung in der Natur in der Vergangenheit, die sich auch in der Gegenwart und der Zukunft weiter fortsetzt. Nach Ilja Prigogine sind wir „… die Kinder des Zeitpfeils, der Evolution, und nicht seine Urheber“. Es ist für mich äußerst eindrucksvoll, was die Natur dabei aus sich selbst heraus geschaffen hat. Für unsere menschlichen Fähigkeiten der Erkenntnis ist das oft nicht im Detail nachvollziehbar. Das Ergebnis dieser Selbstorganisation ist unsere Welt, die wir mit Bewunderung betrachten und mit Respekt behandeln sollten. Wir Menschen haben uns zwar von vielen Zwängen und Einschränkungen der Natur unabhängig gemacht, bleiben den Naturgesetzen aber trotzdem direkt oder indirekt unterworfen.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Im Kap. 1 werden die wichtigen Konzepte und Begriffe der Emergenz erläutert. Ab Kap. 2 ist die erste Hälfte des Buchs dem Wirken der Emergenz in der unbelebten Natur gewidmet, und ab Kap. 13 die zweite Hälfte ihrem Wirken in der belebten Natur und in der menschlichen Gesellschaft. Wegen der Breite und Vielfalt der Themen habe ich nicht so geläufige Begriffe, die wichtig sind und in mehren Kapiteln vorkommen, in einem Glossar zusammengefasst. Im Text sind sie beim ersten Auftreten durch Schrägschrift gekennzeichnet.

Ich danke meiner Frau Kuni für ihre große Geduld mit ihrem Phantom am Laptop, das mehr als ein Jahr sehr oft abwesend war, obwohl es anwesend war. Sie hat mich auch beim abschließenden Lektorat sehr unterstützt. Meinen Freunden Frans van de Laarschot und Reinhold Dries, meinem Kollegen Alois Höchtl, sowie Herrn Prof. Gerhard Vollmer danke ich für wertvolle Anregungen. Mein ganz besonderer Dank gilt aber Herrn Prof. Josef H. Reichholf, der mich als Neuling in der schreibenden Zunft beraten, unterstützt und gefördert hat.

Günter Dedié, im März 2014