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Platon

Apologie des Sokrates

Übersetzung von Ernst Heitsch

Vandenhoeck & Ruprecht

Dr. Ernst Heitsch ist em. Professor für Klassische Philologie an der Universität Regensburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.
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Printed in Germany.

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

UTB-Nr. 4152
ISBN 978-3-8463-4152-0 (UTB-Bestellnummer)

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Inhalt

ERSTE REDE : ZUR VERTEIDIGUNG

ZWEITE REDE : ZUR BESTIMMUNG DER STRAFE

DRITTE REDE : AN DIE RICHTER

DRITTE REDE : AN DIE RICHTER

Nur wegen einer kurzen Zeit, ihr Männer von Athen, werdet ihr bei denen, [c] die unsere Stadt schmähen wollen, den Ruf haben und den Vorwurf, Sokrates umgebracht zu haben, einen weisen Mann – denn natürlich werden sie sagen, ich sei weise, wenn ich es auch nicht bin, sie, die euch Vorwürfe machen wollen. Hättet ihr nämlich nur kurze Zeit noch gewartet, wäre euch das von selbst zuteil geworden. Ihr seht ja doch mein Alter, daß es schon weit im Leben fortgeschritten und dem Tode nahe ist. Ich sage das aber nicht zu allen von euch, sondern nur zu denen, die gegen [d] mich für Todesstrafe gestimmt haben. Und zu eben diesen sage ich auch noch folgendes. Ihr glaubt vielleicht, ihr Männer, ich sei verurteilt worden, weil es mir an Worten fehlte, mit denen ich euch überredet hätte, wenn ich überzeugt war, alles tun und sagen zu müssen, um nur freigesprochen zu werden. Weit gefehlt. Zwar bin ich in der Tat infolge eines Mangels verurteilt worden, jedoch nicht an Worten, sondern an Dreistigkeit und Schamlosigkeit und weil ich vor euch nicht sagen wollte, was ihr am liebsten gehört hättet – wenn ich jammerte und klagte und vieles andere tat und sagte, das, wie ich behaupte, meiner nicht würdig ist, wie [e] ihr es ja von anderen zu hören gewohnt seid. Doch weder vorher glaubte ich, angesichts der Gefahr etwas Unwürdiges tun zu sollen, noch gereut es mich jetzt, mich so verteidigt zu haben. Nein, viel lieber will ich mit einer solchen Verteidigung zugrundegehen als mit jener am Leben bleiben. Denn weder vor Gericht noch im Kriege soll man, ob nun ich oder irgendein anderer, nur das im Auge haben, wie man unter Einsatz aller [39] Mittel dem Tode entkommt. Auch auf dem Schlachtfeld nämlich wird oft deutlich, daß einer dem Tod entgehen kann, wenn er die Waffen wegwirft und die Verfolger um Gnade bittet; und zahlreiche andere Mittel gibt es für jede Art Gefahr, dem Tode zu entgehen, wenn einer sich nicht scheut, alles zu tun und zu sagen. Nein, ihr Männer, dem Tod zu entgehen, das ist nicht schwer; viel schwerer ist es, der Schlechtigkeit zu entkommen; sie läuft nämlich schneller als der Tod. Und jetzt bin ich, weil langsam [b] und alt, von dem Langsameren eingeholt worden, meine Ankläger aber, da tüchtig und flink, von dem Schnelleren, der Schlechtigkeit. Und so treten wir jetzt ab, ich von euch zum Tode verurteilt, sie aber, meine Ankläger, von der Wahrheit überführt der Niedertracht und Rechtlosigkeit. Und ich lasse das Urteil über mich ergehen und sie ebenfalls. Und diese Dinge mußten vielleicht so ausgehen, und ich denke, es ist ganz gut so.

Als Nächstes aber möchte ich euch, die ihr gegen mich gestimmt habt, [c] einen Blick in die Zukunft werfen lassen. Stehe ich ja doch schon dort, wo Menschen noch am ehesten weissagen, wenn sie nämlich im Begriff sind zu sterben. Ich behaupte also, ihr Männer, die ihr mich getötet habt, daß alsbald nach meinem Tode eine Strafe über euch kommt, die, bei Zeus, viel schwerer ist als die, die ihr über mich mit meiner Tötung verhängt habt. Denn jetzt, als ihr das getan habt, wart ihr der Meinung, euch von der Rechenschaftsablage über euer Leben zu befreien, in Wirklichkeit aber wird das, wie ich behaupte, ganz anders kommen. Größer wird die [d] Zahl derer sein, die von euch Rechenschaft fordern, die ich bisher zurückgehalten habe, ihr aber gar nicht bemerkt habt; und sie werden um so heftiger sein, weil sie jünger sind, und euer Ärger wird größer sein. Denn wenn ihr glaubt, ihr würdet dadurch, daß ihr Menschen tötet, einen davon abhalten, euch Vorwürfe zu machen, daß ihr nicht richtig lebt, so denkt ihr falsch. Denn diese Art von Befreiung ist nicht sehr wirkungsvoll und auch nicht ehrenhaft; vielmehr ist die schönste und einfachste die, nicht andere zu beeinträchtigen, sondern an sich selbst zu arbeiten, möglichst gut zu werden. Das also weissage ich euch, die ihr gegen mich gestimmt habt, und damit verabschiede ich mich. [e]

Mit denen aber, die mich freigesprochen haben, möchte ich über das, was hier geschehen ist, gerne noch sprechen, solange die Beamten beschäftigt sind und ich noch nicht dorthin gehe, wo ich sterben soll. So bleibt denn, ihr Männer, diese Zeit noch hier; denn nichts steht im Wege, daß wir uns unterhalten, solange das möglich ist. Euch nämlich als meinen [40] Freunden möchte ich zeigen, was das, was mir jetzt widerfahren ist, eigentlich bedeutet. Denn mir ist, ihr Richter – euch nämlich nenne ich zurecht Richter – etwas Erstaunliches passiert. Die warnende Stimme des Daimonions nämlich, an die ich gewohnt bin, war in der ganzen früheren Zeit immer recht rege und widersprach durchaus auch bei geringen Anlässen,