Hanser E-Book
FRÖSCHE
Roman
Aus dem Chinesischen von
Martina Hasse
Carl Hanser Verlag
Die chinesische Originalausgabe erschien 2009
unter dem Titel 蛙 (Wa) bei Shanghai Wenyi Chubanshe
(Shanghai Literature and Art Publishing House) in Shanghai.
Die Übersetzung aus dem Chinesischen wurde mit Mitteln des Auswärtigen Amtes unterstützt durch litprom – Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e. V.
ISBN 978-3-446-24294-4
© Mo Yan 2009
Alle Rechte der deutschen Ausgabe
© Carl Hanser Verlag München 2013
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Das erste Buch
Das zweite Buch
Das dritte Buch
Das vierte Buch
Das fünfte Buch
Fröschequaken ohne Ende. Nachwort des Autors
Anmerkungen
Fast einen Monat ist es her, dass wir auseinandergingen, doch steht mir alles, was wir in meinem Heimatort zusammen erlebten, so deutlich vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Es hat uns zutiefst beeindruckt, dass Sie ohne Rücksicht auf Ihr fortgeschrittenes Alter die weite Reise übers Meer zu uns Hinterwäldlern unternommen haben, um sich hier bei uns auf dem Land mit unseren Literaturliebhabern einmal nach Herzenslust auszutauschen. Den einstündigen Vortrag, den Sie am Vormittag des zweiten Feiertags des Frühlingsfestes zum Thema Die Literatur und das Leben im Festsaal unseres Kreishotels hielten, haben wir bereits abtippen lassen, denn wir möchten, wenn Sie es uns Unwissenden erlauben wollen, Ihren Aufsatz in unserem kreisinternen Journal Froschgesang der China Federation of Literary and Art Circles veröffentlichen, damit alle, die an jenem Tag verhindert waren, Ihren hervorragend formulierten und lehrreichen Vortrag zumindest nachlesen können.
Am Vormittag des Neujahrstages statteten wir meiner Tante, die über fünfzig Jahre lang als Frauenärztin gearbeitet hat, gemeinsam einen Besuch ab. Obwohl sie nur Dialekt spricht, dazu auch noch viel zu schnell, so dass Sie nicht alles verstanden, hat sie – da bin ich mir sicher – bei Ihnen einen tiefen Eindruck hinterlassen. Während Ihres Vortrags am darauffolgenden Tag nannten Sie sie viele Male, um Ihre Ansichten zur Literatur zu erläutern. Sie berichteten mir, Sie sähen inzwischen vor ihrem inneren Auge Bilder einer Ärztin, die in höchster Eile unter Aufbietung ihrer gesamten Kräfte auf dem Fahrrad über den gefrorenen Fluss radelt. Einmal ist die Gestalt mit dem Arzttornister auf dem Rücken unterwegs, den schweren Regenschirm aufgespannt, die Hosenbeine hochgerollt, und kämpft sich durch ganze Heerscharen von anrückenden Fröschen. Dann wieder hält sie in einer Hand einen Säugling, die Ärmel blutverschmiert. Einmal lacht sie schallend, während sie dann wieder, die Zigarette im Mundwinkel, voller Trauer in Schwermut versinkt. Nachlässig gekleidet ist sie, diese Arztperson ... Und Sie berichteten mir, diese Gestalten würden zuweilen zu einer einzigen verschmelzen, ein anderes Mal wieder auseinanderdriften; eine Skulpturengruppe ein und derselben Person. Und Sie ermunterten die Literaturliebhaber bei uns im Kreis, sich doch meine Tante Gugu als Protagonistin vorzunehmen, um anrührende Werke zu schreiben, Romane, Gedichte, Theaterstücke.
Verehrter Freund, damit haben Sie unsere schöpferische Leidenschaft entfacht! Viele hier sind begierig, sich an dieser Aufgabe zu versuchen. Ein Bücherfreund des Kreiskulturhauses hat sich bereits an die Arbeit gemacht und einen Roman über eine Landfrauenärztin zu schreiben begonnen. Ich will ihm nicht in die Quere kommen, obwohl ich um ein Vielfaches genauer über meine Tante Bescheid weiß. Also lasse ich ihn den Roman schreiben und werde selbst ein Theaterstück über meine Tante verfassen. Lieber Freund, für mich waren unsere Gespräche am Abend nach dem Vortrag wie eine Eingebung. Mit welch einzigartigem Gespür Sie Sartre analysierten, wie detailliert Sie über sein Theater sprachen und wie hoch Sie ihn bewerteten! Ich werde ein so herausragendes Stück wieDie schmutzigen Hände oder Die Fliegen schreiben und für die gleichen erhabenen Ziele kämpfen wie Sartre. Ich werde mir Ihren Rat zu Herzen nehmen: mich nicht unter Zeitdruck setzen, ruhig und geduldig, wie ein Frosch auf einem Seerosenblatt, der auf die vorbeischwirrenden Mücken wartet. Wenn ich bereit bin, werde ich wie der Frosch, der nach der Mücke schnappt, blitzschnell aufspringen und die Schreibarbeit vollenden.
Als ich Sie zum Flughafen von Tsingtao brachte, baten Sie mich beim Abschied um regelmäßige handgeschriebene Briefe, in denen ich Ihnen vom Leben meiner Tante berichten solle. Obwohl Gugu bisher bei guter Gesundheit ist, kann man ihr Leben schon jetzt ein Drama nennen und ihm den Titel Brausende Wogen eines stürmischen Lebens geben. Es gibt so viel zu berichten, dass ich mir nicht vorzustellen wage, wie lang meine Briefe jeweils werden. Nehmen Sie mir das bitte nicht übel! Bitte gestatten Sie mir auch, mit meiner schlechten Handschrift einfach draufloszuschreiben, ohne Plan, immer so weit, wie ich es gerade schaffe. In unserem Computerzeitalter ist das Briefeschreiben Luxus. Und natürlich macht es Spaß. Ich wünsche mir, dass Sie eine altertümliche Freude empfinden, wenn meine Briefe Sie erreichen.
Ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit noch berichten, dass mein Vater mich heute anrief und mich wissen ließ, dass die alte krumme Ume auf unserem Hof, die Sie ein eigenwilliges Talent nannten, seit dem 25. des ersten Mondmonats tiefrot in voller Blüte steht. Unser Hof war an jenem Tag voller Leute, die gekommen waren, um sich an den Blüten zu erfreuen. Auch meine Tante war da. Mein Vater sagte, dass es an diesem Tag zu Neujahr dicke Flocken vom Himmel geschneit habe. Der rieselnde Schnee habe betörend nach den Umeblüten geduftet, von dem kalten Duft hätte man einen freien Kopf bekommen.
Ihr Schüler Kaulquappe
Peking, 21. März 2002
Lieber Yoshito Sugitani san,
wissen Sie, bei uns ist es Brauch, den Kindern Namen von Körperteilen zu geben. Zum Beispiel Chen Nase, Wu Dickdarm, Sun Schulter ... Wie sich dieser Brauch entwickelte, weiß ich nicht. Ein Grund ist wahrscheinlich, dass man glaubte, ein Kind mit schlichtem Namen sei besser vor bösen Geistern und schlechtem Karma geschützt. Oder aber, dass die Mutter ihr Kind für ihr eigen Fleisch und Blut hielt und glaubte, dass es einem Körperteil von ihr entstamme. Heutzutage ist dieser Brauch aus der Mode gekommen. Die jungen Eltern wehren sich dagegen, den eigenen Kindern solch merkwürdige Namen zu geben. Sie bevorzugen die ungewöhnlichen und vornehmen Vornamen der Figuren aus den hongkong-chinesischen, taiwanischen und sogar japanischen und koreanischen Fernsehserien. Die ehemals nach Körperteilen Benannten haben fast alle neue Namen bekommen. Natürlich gibt es auch welche, deren Namen so geblieben sind – Chen Ohr und Chen Augenbraue zum Beispiel.
Der Vater der beiden ist Chen Nase, mein Klassenkamerad aus der Grundschule und mein bester Freund aus Kindertagen. Es war in der Zeit der großen Hungersnot, im Herbst 1960, als wir in die Dayanlan-Grundschule kamen. Alles, an das ich mich aus jenen Jahren erinnere, hat mit Essen zu tun. Auch die Geschichte vom Kohlenessen gehört dazu. Viele Leute meinen, ich würde irgendwelche Geschichten erfinden. Aber ich schwöre bei dem guten Namen meiner Tante, dass ich nicht lüge. Alles hat sich nachweislich so zugetragen.
Da gab es damals eine Tonne erstklassiger Kohlen aus dem Longkou-Kohlebergwerk. In ihren Bruchflächen konnte man sich spiegeln, so glänzten die. Ich habe nie wieder so glänzende Kohlen gesehen. Der Dorfkutscher Wang Bein kutschierte sie mit dem Pferdefuhrwerk aus der Kreisstadt ins Dorf. Er besaß ein eckiges Gesicht, einen breiten Nacken, und er stotterte. Jedes Mal, wenn er den Mund aufmachte, wurde er puterrot im Gesicht und bekam Stielaugen. Seine Kinder, Sohn Wang Leber und Tochter Wang Galle, gingen mit mir in eine Klasse. Sie waren Zwillinge, der Junge mit einem hünenhaften Körper, das Mädchen ein zierliches Püppchen. Wäre man gehässig gewesen, hätte man sie eine Zwergin genannt. Alle sagten, dass der Bruder im Mutterleib alle Nährstoffe alleine aufgesogen hätte, für die Schwester wäre nichts übriggeblieben, deswegen wäre sie so klein geblieben.
Es war Nachmittag, wir hatten gerade Schulschluss, als es ans Abladen der Kohlen ging. Alle Kinder standen mit den Schultaschen auf dem Rücken drum herum und schauten zu. Wang Bein stand mit einer Riesenschaufel auf dem Hänger und schaufelte die Kohlen herunter, die prasselnd übereinanderfielen. Als er sein um die Hüften geknotetes blaues Tuch losband, um sich damit den Schweiß vom Hals zu wischen, bemerkte er seine beiden Kinder. Er brüllte sie sofort an: »Ab nach Haus mit euch zum Heumachen!« Wang Galle rannte auf der Stelle los – ihr Körper schwankte, ihr fehlte das Gleichgewicht. Süß! Wie ein Kleinkind, das gerade laufen lernt. Wang Leber dagegen lief nicht, er wich zurück, duckte sich. Er war stolz auf den Beruf seines Vaters. Kein Grundschüler von heute kann das erhebende Gefühl von Wang Leber nachempfinden, selbst dann nicht, wenn der Vater Pilot ist und Jumbos fliegt.
Wenn die Pferde im schnellen Trab gingen, fuhr das große Fuhrwerk mit Getöse rasant daher, dass der Staub nur so aufflog. Vor der Deichsel hatte der Vater ein ausgemustertes Artilleriearmeepferd angeschirrt, das in der Truppe die schweren Geschütze gezogen hatte. Es hieß, dass es erfolgreiche Schlachten bestritten habe. Auf der Kruppe hatte es ein Brandzeichen. Als Riemenpferd ging vor dem Deichselpferd ein aufbrausender, störrischer Mulihengst, der sich auskannte mit Ausschlagen und Beißen. Trotz seines störrischen Wesens war das Muli erstaunlich stark und außergewöhnlich flink. Niemand sonst hätte dieses durchgedrehte Tier zu zügeln gewusst.
Viele beneideten Wang Bein um seinen Beruf, aber keiner traute sich in die Nähe des Mulis. Schon von weitem hatte jeder Respekt. Zwei Kinder hatte das Muli bereits gebissen, das eine war Yuan Backe, der Sohn von Yuan Gesicht, das andere war die kleine Wang Galle. Als das Muli einmal vor dem Fuhrwerk angespannt vorm Haus stand und der Kleine dort in der Hocke saß und spielte, hatte es ihm ein Stück Fleisch aus dem Kopf gebissen. Für uns war Wang Bein die Respektsperson überhaupt! Er maß einen Meter neunzig, war stark wie ein Bulle, eine hundert Kilo schwere Steinwalze hob er mit bloßen Händen hoch und stemmte sie mit gestreckten Armen über seinem Kopf. Was wir aber am meisten bewunderten, war seine zaubermächtige Peitsche. Als das Muli den kleinen Yuan Backe in den Schädel biss, zog Wang Bein sofort die Wagenbremse an, um breitbeinig auf dem Kutschbock stehend das Muli mit der Peitsche zu verdreschen. Jeder Peitschenhieb erzeugte einen hellen Ton und hinterließ einen blutigen Striemen auf der Kruppe. Zuerst schlug das Muli noch aus, aber die Peitsche drosch unverändert weiter auf es ein, so dass es am ganzen Körper zu zittern begann. Es kniete mit den Vorderbeinen am Boden, sein Kopf hing wie leblos herunter, mit dem Maul biss es in die Erde, um mit der Kruppe die harten Hiebe zu empfangen. Es war Backes Vater, der dem Ganzen ein Ende machte und einlenkte: »Wang, lass es gut sein, verschone das Tier!« Wang Bein hielt wutschnaubend inne. Yuan war Parteizellensekretär, besaß den höchsten Beamtenposten im Dorf. Seinem Wort widersetzte man sich nicht.
Als das Muli dann die kleine Galle biss, warteten alle wieder auf ein Spektakel. Aber Wang Bein tat keinen einzigen Peitschenhieb. Er griff nur einen Batzen von dem Haufen Branntkalk am Weg, presste ihn seiner Tochter auf den Kopf und trug sie nach Haus. Das Muli war davongekommen, an seiner Stelle hatten seine Frau einen Peitschenhieb und sein Sohn einen Fußtritt einstecken müssen. Wir zeigten mit dem Finger auf das braune Muli: Es war so dürr, dass ihm die Rippen zentimeterhoch hervorstanden, in seine Augengruben hätte ein Hühnerei gepasst. Sein Blick war voll Kummer, als bräche es jeden Moment in Tränen aus. Wir fanden es unvorstellbar, dass ein so gewaltiger Sturm aus einem so klapprigen Muli hervorbrechen konnte. Als wir debattierend dem Muli immer näher kamen, hielt Wang Bein mit dem Kohlenschippen ein und schrie uns scharf an. Wir machten uns sofort davon.
Der Kohlenhaufen vor der Schulküche wuchs beständig, der auf dem Hänger wurde kleiner und kleiner. Wir schnupperten alle gleichzeitig, denn jeder von uns hatte diesen ungewöhnlichen Duft wahrgenommen. Wie ein Kiefernfeuer! Oder wie im Feuer gebackene Kartoffeln! Unser Geruchssinn lenkte unseren Blick auf den glitzernden Kohlenhaufen. Wang trieb Pferd und Muli an und fuhr vom Schulhof. Diesmal rannten wir nicht wie üblich dem Fuhrwerk nach, sprangen hinten auf und riskierten einen Peitschenhieb auf den Kopf, sondern wir starrten nur den Kohlenhaufen an, während wir uns ihm Schritt für Schritt näherten.
Der Kantinenkoch Wang kam wankend mit zwei Eimern Wasser. Seine Tochter Renmei, die auch in unsere Klasse ging, wurde später meine Frau. Sie war eines der wenigen Mädchen, die einen gut klingenden Vornamen hatten und nicht wie wir nur nach Körperteilen gerufen wurden. Der Koch war ein Mann von Bildung. Er war ursprünglich Leiter der amtlichen Veterinärdienststelle unserer Volkskommune gewesen, aber wegen einer falschen Äußerung seines Postens verwiesen und aufs Land strafversetzt worden. Jetzt beäugte er uns argwöhnisch. Ja, glaubte er denn, wir würden die Kantine stürmen und über das Essen herfallen?
Er rief uns zu: »Ihr Hasenbälger, ihr Memmen, verschwindet! Hier gibt’s für euch nichts zu knabbern! Ab nach Haus mit euch, an die Brust eurer Mutter!«
Wir hatten ihn schon verstanden, seinen Ratschlag auch in Erwägung gezogen. Jedoch wussten wir genau, dass er uns nur beschimpfen wollte. Wir wurden doch nicht mehr gestillt! Wie sollte das angehen mit sieben, acht Jahren! Und wäre es wahr gewesen, so hätten unsere ausgemergelten Mütter, denen die dünnen Brüste schmal auf den Rippen klebten, bestimmt keine Milch mehr gehabt. Aber keiner von uns beschwerte sich bei ihm, denn wir Kinder krochen wie die Hobbygeologen über die Kohlen. Wie Hunde, die im Müll nach Essbarem suchen, schnüffelten wir die Kohlen ab.
Nun ist’s an der Zeit, dass ich mich bei Chen Nase und Wang Galle bedanke. Denn es war Chen Nase, der zuerst ein Stück Kohle hochnahm, zur Nase führte und mit kraus gezogener Stirn darüber zu grübeln anfing. Nase mit seiner großen Nase, über die wir uns immer lustig machten! Er dachte angestrengt nach, dann schlug er zwei Kohlen aufeinander, ein Ton, und sie zerschellten. Sie gaben einen intensiven Duft frei. Er las ein kleines Stück vom Boden auf, auch Wang Galle hob ein Stückchen auf. Er leckte vorsichtig daran, kostete, begann mit den Augen zu rollen und blickte uns an. Sie machte es ihm nach, leckte an der Kohle und schaute zu uns herüber. Dann blickten beide einander an, lächelten und begannen, als hätten sie sich abgesprochen, mit den Schneidezähnen vorsichtig daran zu knabbern, sie kauten und schluckten. Gleich bissen sie noch ein Stück ab, kauten aufgeregt und schluckten gierig. Chen Nases große Nase war gerötet und von kleinen Schweißperlen übersät, Wang Galles kleine Nase schwarz und mit einer dicken Schicht Kohlenstaub gepudert. Gebannt schauten wir ihnen zu. Wie geräuschvoll sie die Kohlen kauten. Dass sie sie tatsächlich schluckten! Hinunterschluckten! Mit leiser Stimme raunte Nase uns zu:
»Kameraden! Die schmecken!«
Mit schriller Stimme rief die Kleine: »Esst! Schnell, esst!«
Chen Nase griff sich wieder eine Kohle und biss herzhaft hinein. Die Kleine klaubte ein großes Stück auf und gab es an ihren Bruder Leber weiter. Wir machten es ihnen nach, schlugen die Kohle in Stücke, lasen sie auf, nagten erst ein Stückchen ab, kosteten und fanden, obschon es etwas sandig war, dass es gut schmeckte. Chen Nase gab bereitwillig Auskunft, streckte eine Hand mit einem feinen Stück Kohle in die Höhe und rief uns zu: »Kameraden, esst solche Stücke! Die schmecken prima.« Er zeigte auf das fast durchscheinende, bernsteinfarbene Etwas. »Die mit dem Pinienduft, die schmecken gut!«
Wir hatten im Naturkundeunterricht schon gelernt, dass die Kohle vor vielen Erdzeitaltern aus Wäldern, die tief in der Erdkruste vergraben ruhten, entstanden war. Den Naturkundeunterricht erteilte uns unser Schulleiter Wu Jinbang. Aber geglaubt hatten wir ihm nicht, unserem Naturkundebuch hatten wir auch nicht geglaubt. Denn der Wald war doch grün, wie hätte daraus schwarze Kohle werden sollen? Schulleiter und Schulbuch hatten uns einen gewaltigen Bären aufgebunden! Aber als wir den Pinienduft der Kohlen schmeckten, begriffen wir, dass wir nicht betrogen worden waren und dass es stimmen musste. Mit Ausnahme von ein paar Mädchen waren alle 35 Schüler unserer Klasse versammelt, und alle griffen sich ein Stück Kohle und nagten, knabberten, kauten und schluckten eifrig mit dem gleichen erregten Gesichtsausdruck. Es war wie Stegreiftheater, wie ein geheimnisvolles Spiel. Xiao Unterlippe drehte sein Stück Kohle in der Hand hin und her, aß aber nicht, sondern musterte es voller Verachtung. Er aß nicht, weil er keinen Hunger verspürte. Keinen Hunger hatte er, weil sein Vater das Getreide im Getreidespeicher verwahrte.
Der Kantinenkoch Wang war sprachlos, als er uns sah. Mit bemehlten Händen kam er aus der Küche gerannt. Himmel! Er hatte Mehl an den Händen! Gegessen haben in unserer Schulkantine damals nur unser Schuldirektor, der Drillmeister und zwei Kommunekader, die bei uns auf dem Land wohnten. Der alte Wang rief außer sich: »Kinder, was tut ihr da? Ihr esst doch nicht etwa ... Kohle? Kohle kann man doch nicht essen!«
Galle streckte ihre winzige Hand mit einem Stück Kohle hoch und rief mit feinem Stimmchen: »Onkel! Sie schmeckt so lecker! Hier, probier doch mal!«
Er schüttelte nur den Kopf: »Galle, meine Kleine! Wie ist es möglich, dass ein kleines Mädchen mit einem flegelhaften Haufen Buben solchen Blödsinn treibt?«
Die Kleine biss wieder von der Kohle ab: »Onkel, sie schmeckt wirklich lecker!«
Als sie es sagte, ging die Sonne glutrot im Westen unter. Die zwei Kader, die regelmäßig in der Schulkantine mitaßen, kamen mit dem Fahrrad auf den Schulhof gefahren und staunten nicht schlecht, als sie uns bei den Kohlen sahen. Der alte Wang ließ die Tragstange durch die Luft sausen. Er wollte uns damit vom Hof jagen, aber der Kommunekader Yan – er war ein Vizedirektor – verbot es ihm. Mit bitterböser Miene hob er Einhalt gebietend die Hand, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Kantine.
Am nächsten Tag knabberten wir beim Unterricht die ganze Zeit über Kohle. Wir saßen mit geblähten Backen, den Mund voll mit rabenschwarzer Kohle und Kohlekrümeln in den Mundwinkeln. Nicht nur die Jungs, auch die Mädchen, die nicht beim Kohlenabladen dabei gewesen waren, aßen sie unter Anleitung der kleinen Galle. Renmei, der Tochter des Kantinenkochs – meiner späteren ersten Frau – schmeckte sie am besten. Jetzt fällt mir gerade ein, dass sie damals bereits Parodontose gehabt haben muss, hatte sie doch beim Kohlenessen immer den ganzen Mund voller Blut. Unsere Lehrerin Yu schrieb ein paar Zeilen an die Tafel, wandte sich um und musterte uns eindringlich. Sie befragte zuerst ihren eigenen Sohn, unseren Klassenkameraden Li Hand: »Hand, was esst ihr da?«
»Wir essen Kohlen, Mama.«
»Lehrerin, wir essen Kohlen! Möchten Sie auch probieren?«
Das hatte Wang Galle in der ersten Reihe gerufen und die Kohle hochgehalten. Ihr lautes Rufen ähnelte dem Fiepen von Kätzchen. Lehrerin Yu kam vom Katheder herunter und nahm die ihr dargebotene Kohle, hielt sie sich unter die Nase, um daran zu riechen und sie genau zu betrachten. Es verging eine lange Zeit, in der sie keinen Ton sprach. Dann gab sie die Kohle zurück und fuhr fort:
»Liebe Kinder, heute nehmen wir Lektion sechs durch. Die Fabel vom Raben und vom Fuchs. Der Rabe hatte einen Käse gestohlen und bildete sich viel darauf ein. Er flog damit auf einen Baum. Da kam der Fuchs vorbei. Der sprach zum Raben: ›Rabe, Sie singen ja bestens! Welch wunderschöner Klang! Ertönt Ihr Gesang, sollten alle Vögel auf der Welt stille schweigen!‹ Dem Raben verdrehten die Schmeicheleien des Fuchses so den Kopf, dass er den Schnabel aufsperrte, um ... O weh! Der fette Käse fiel hinunter und landete im Rachen des Fuchses.«
Dann übte unsere Lehrerin mit uns zusammen das Lesen der Fabel im Chor. Sie las vor, dann waren wir an der Reihe, mit unseren Mündern voll rabenschwarzer Kohle.
Lehrerin Yu besaß Bildung, hatte aber ihrem Sohn, so wie es bei uns auf dem Land Brauch ist, einen traditionellen Namen gegeben. Yu Hand schaffte später die Hochschuleintrittsprüfungen, so dass er Medizin studieren konnte. Nach dem Examen kehrte er zurück aufs Land und arbeitete bei uns im Kreiskrankenhaus als Chirurg. Als Chen Nase beim Häckseln vier Finger in den Schredder bekam, konnte Yu Hand ihm drei davon retten und wieder annähen.
Warum besaß Chen Nase eine so ungewöhnlich große Nase, die sich so deutlich von unseren Nasen unterschied? Das wird sicherlich nur seine Mutter aufschlussreich erklären können.
Nases Vater Chen Stirn war der einzige bei uns im Dorf, der zwei Frauen hatte. Er war belesen und kannte viele Schriftzeichen. Vor der Befreiung, dem Sieg der Kommunistischen Partei, hatte die Familie dreißig Morgen bestes Ackerland besessen, dazu eine Schnapsbrennerei und in Harbin ein Handelshaus. Seine Hauptfrau stammte aus unserem Dorf und gebar ihm vier Töchter. Vor der Befreiung hatte Chen Stirn längst das Weite gesucht, aber dann, es war um das Jahr 1951, hatte ihn Yuan Gesicht zusammen mit zwei Volksmilizionären in der Mandschurei aufgespürt, festgenommen und zurückgebracht. Seine Frau und die vier Töchter waren bei uns auf dem Land geblieben, denn er war allein abgehauen. Als er zurückkam, hatte er eine fremde Frau bei sich. Sie hatte gelbe Haare und blaue Augen, ich schätze, sie war damals Anfang dreißig. Alina war ihr Name. Im Arm hielt sie einen gefleckten Hund, einen Dalmatiner wahrscheinlich. Weil Chen Stirn sie schon vor 1949, also vor Gründung der Volksrepublik, geheiratet hatte, durfte er seine zwei Frauen vor dem Gesetz behalten. Bei uns im Dorf gab es ein paar arme Schlucker, die sich keine Frau leisten konnten. Sie erzürnten sich darüber maßlos und verlangten – halb im Scherz, aber sie schienen es dennoch ernst zu meinen –, dass Stirn ihnen eine seiner beiden Frauen abgeben solle. Stirns Gesichtsausdruck war Lachen und Weinen zugleich. Anfangs wohnten alle unter einem Dach, aber weil es zu Streit und Handgreiflichkeiten kam, keiner mehr ob des dauernden Lärms eine Auge zutun konnte, willigte Yuan Gesicht ein, dass die Zweitfrau in das kleine Seitenhaus neben der Schule zog. Das Schulgebäude hatte ursprünglich den Chens gehört und war einst die Schnapsbrennerei gewesen. Das Seitenhaus hatte ihnen auch gehört. Stirn einigte sich mit den beiden Frauen darauf, dass sie dort abwechselnd wohnen sollten. Dem gefleckten Hund der Frau mit den gelben Haaren aus Harbin machten die Dorfhunde den Garaus. Als er starb, war Alina hochschwanger und gebar kurz darauf Chen Nase. Man munkelte deswegen, dass der Säugling der wiedergeborene Dalmatiner sei. Und wirklich besaß er eine ungewöhnlich gute Nase. Vielleicht ist an dem Gerücht etwas dran. Meine Tante, die damals ihre Ausbildung zur Hebamme in der Kreisstadt schon beendet hatte – man hatte sie in neuen Methoden der Geburtshilfe ausgebildet –, war wieder zu uns aufs Land versetzt worden und ab 1953 die für uns zuständige Fachhebamme.
Die Dörfler widersetzten sich den neuen Geburtshilfemethoden, weil die alten Wehmütter böse Gerüchte streuten. Wenn man nach neuen Methoden entbinde, würden die Säuglinge windkrank.1 Warum die Wehmütter solche Gerüchte streuten? Weil durch die neuen Entbindungsmethoden ihre Einnahmequelle versiegte. Für eine Entbindung wurden ein reichliches Essen im Hause der Wöchnerin, dazu zwei Handtücher und zehn Hühnereier bezahlt. Kam man auf die Wehmütter zu sprechen, fing meine Tante sofort an, mit den Zähnen zu knirschen, so hasste sie diese alten Weiber. Die Tante sagte, unzählige Neugeborene und Gebärende seien unter den Händen dieser Hexen gestorben. Entsetzliche Schreckensbilder blieben mir von ihren Schilderungen im Gedächtnis, von üblen Mundgeruch verbreitenden Wehmüttern mit langen Fingernägeln und teuflisch grün blitzenden Augen. Tante berichtete, sie würden den Bauch der Gebärenden mit dem Nudelholz bearbeiten. Sie mit einem Lumpen knebeln! Als würden die Babys durch den Mund kommen. Und sie könnten nicht ansatzweise sezieren, wüssten gar nichts über die Anatomie des weiblichen Körpers. Bei schweren Geburten würden sie mit bloßen Händen im Geburtskanal herumfuhrwerken und blind herausziehen, was sie gerade zu packen kriegten. Das Kind samt Gebärmutter wäre auch schon von so mancher dieser Hexen herausgezogen worden. Lange Zeit hätte ich, wenn ich einen hätte aussuchen müssen, den man exekutieren sollte, spontan geantwortet: eine Wehmutter. Später konnte ich nach und nach begreifen, warum meine Tante so radikale Ansichten vertrat. Barbarische, rückständige Wehmütter gab es ohne Zweifel, aber genauso gab es solche, die nach jahrelangen Erfahrungen die Geheimnisse des weiblichen Körpers ergründet hatten und die sich sehr gut auskannten. Meine eigene Großmutter war schließlich auch eine Wehmutter, sie handelte nach dem Prinzip: möglichst wenig, besser gar nicht in naturgegebene Vorgänge eingreifen. Sie liebte das Sprichwort Der reife Apfel fällt allein vom Baum und vertrat die Meinung, eine gute Wehmutter spricht der Gebärenden zuerst einmal Mut zu, sie unterstützt sie, und wenn das Kind dann draußen ist, durchtrennt sie mit der Schere die Nabelschnur, pudert sie mit Ätzkalk, verbindet sie und fertig. Doch meine Großmutter war bei uns im Dorf nicht wohlgelitten, die Leute sagten über sie, dass sie faul sei. Wehmütter, die immer alle Hände voll zu tun hatten, außen zerrten, innen im Geburtskanal rumorten, laut schrien und, gleich der Gebärenden, von Kopf bis Fuß schweißüberströmt waren, waren bei den Leuten beliebt.
Meine Tante ist die Tochter meines Großonkels, des älteren Bruders meines Großvaters. Er war Feldarzt bei der Achten Route-Armee. Er hatte zwar seine Ausbildung zum Arzt der chinesischen Medizin gemacht, lernte aber in der Armee unter Henry Norman Bethune die westliche Medizin kennen. Bethunes Tod infolge einer Blutvergiftung traf meinen Großonkel so schwer, dass er lebensbedrohlich erkrankte. Er bat um Heimaturlaub, um seine Mutter ein letztes Mal zu sehen, denn er glaubte sterben zu müssen. Seine Einheit bewilligte den Urlaub, um seine Krankheit zu kurieren. Als er zu Hause eintraf, war meine Uroma auch tatsächlich noch am Leben. Er hatte seinen Fuß kaum über die Schwelle gesetzt, da stieg ihm auch schon der köstliche Duft süßer Mungobohnensuppe, die über dem Feuer brodelte, in die Nase, denn meine Uroma hatte eilig den Wok geschrubbt und Mungobohnen aufgesetzt, und sie hatte sich nicht dabei helfen lassen. Mit dem Krückstock hatte sie ihre Schwiegertochter vom Herd ferngehalten. Mein Großonkel setzte sich auf unsere Türschwelle und wartete ungeduldig.
Meine Tante Gugu erzählte uns, dass sie sich, obschon sie damals noch so klein war, an jenen Tag erinnern konnte und dass sie sich nicht getraut habe, ihn »Vater« zu rufen, als die Mutter sie dazu drängte, sondern sich hinter deren Rücken versteckte. Von klein auf hatte sie tagtäglich Mutter und Oma über den Vater reden hören. Aber als sie ihn endlich zu Gesicht bekam, war er ihr wie ein Fremder erschienen. Wie er so auf der Schwelle gesessen habe, erzählte sie mir, habe meines Onkels Gesicht wächsern ausgesehen, lange Haare habe er gehabt, und an seinem Hals habe sie die Flöhe krabbeln sehen. Aus seiner zerlumpten Jacke sei überall die Baumwollwatte hervorgequollen. Und sie sagte, ihre Oma, also unsere Uroma, habe bitterlich geweint, während sie die Mungobohnen kochte. Der Großonkel habe es nicht erwarten können und sofort, nachdem die Suppe fertig war – obwohl man sich doch die Zunge an einer heißen Suppe verbrennt –, die Schale zum Mund geführt und schnell zu trinken begonnen. Die Uroma habe gemahnt: »Trink nicht so hastig, mein Sohn, im Topf ist noch genug.«
Meine Tante meinte, ihres Vaters Hände hätten gezittert, und erst nachdem er auch die zweite Schale ausgetrunken hatte, habe das Zittern aufgehört. Schweiß sei ihm von den Wangen und aus den Koteletten getropft. Seine Pupillen hätten sich wieder mit Leben gefüllt, sein Gesicht sei wieder durchblutet worden. Meine Tante erzählte weiter, sie habe es in seinem Bauch schwer rumoren gehört, so laut wie bei einem Kollergang. Nach zwei Stunden sei er aufs Klo gegangen und habe dort einen solchen Durchmarsch gehabt, dass es ihm fast die Gedärme mit herausgetrieben hätte. Danach sei es mit ihm langsam bergauf gegangen, und nach zwei Monaten sei er zum Bäumeausreißen fit gewesen.
Ich entgegnete, dass ich in den Geschichten aus dem Gelehrtenwald 2 Ähnliches gelesen hätte, und Gugu fragte zurück: »Was sind denn die Geschichten aus dem Gelehrtenwald?«
Ich darauf: »Das ist ein Klassiker der chinesischen Literatur«, worauf mir Gugu entgegnete: »Na, wenn das sogar schon in den klassischen Werken der Literatur so steht, glaubst du’s mir ja wohl!«
Nach seiner Genesung sollte mein Großonkel wieder zurück zur Truppe in das Taihang-Gebirge, aber meine Uroma bat ihn: »Mein Sohn, ich habe keine paar Tage mehr zu leben. Bleib bitte noch, bis ich sterbe.«
Meine Großtante mochte nichts sagen, deswegen schickte sie ihre Tochter vor: »Papa, Mama sagt, wenn du unbedingt gehen musst, dann mach mir vorher wenigstens noch einen kleinen Bruder.«
Aber da pochten die Soldaten der Achten Route-Armee des Liautung-Militärgebiets3 schon an die Tür und wollten ihn zur Mobilmachung mitnehmen. Mein Großonkel war ja Schüler des berühmten Henry Norman Bethune und hochgeachtet. Er erklärte: »Ich gehöre zu den Stützpunkten der Region Shanxi, Chahar, Hebei«, aber die Männer widersprachen.
»Wir sind doch alle Kommunisten, es ist völlig belanglos, wo wir stationiert sind. Jemanden wie Euch, alter Wan, brauchen wir dringend. Wir wollen Euch in jedem Fall! Kommandant Xu hat uns aufgetragen, wenn wir Euch mit einer von acht Mann getragenen Sänfte nicht bewegen, sollen wir Euch gefesselt zu ihm bringen, dann gilt eben: erst mal Waffengewalt und danach die Ehrungen. Der Kommandant wird ein Bankett zu Euren Ehren geben!«
So kam es, dass mein Großonkel in Liautung das Xihai-Untergrund-Militärkrankenhaus der Achten Route-Armee gründete.
Das kleine Hospital befand sich wirklich unter der Erde! Ein unterirdischer Gang führte an den unterirdischen Zimmern vorbei, die sich mit den Türen zum Gang hin öffneten: ein Raum, in dem die Instrumente sterilisiert wurden, ein Behandlungsraum, ein Operationsraum und die Krankenzimmer.
Das ganze Hospital ist noch an Ort und Stelle erhalten. Auch die achtundachtzig Jahre alte Wang Xiulan aus dem Dorf Zhujia in Yutuan aus unserem Gaomiland, die bei meinem Großonkel damals als Krankenschwester arbeitete, ist kerngesund und immer noch dort. Nicht wenige Krankenzimmer besaßen eine Tür, die direkt zum Brunnenschacht nach draußen aufging. Ein junges Mädchen, das sich beim Wasserholen hinabbeugte und in den Brunnen schaute, weil der Wassereimer plötzlich wie von Geisterhand festgehalten wurde, erblickte dort unten im Schacht einen Grimmassen schneidenden Krankenhauspatienten, einen jungen Soldaten der Achten Route-Armee.
Dass mein Großonkel ein Meister seines Fachs war, hatte sich in Liautung schnell herumgesprochen. Die Granatsplitter, die beim Kommandanten Xu unter dem Schulterblatt festsaßen, hatte mein Großonkel herausoperiert. Den Kaiserschnitt bei der Frau des Politkommissars Li hatte er auch gemacht. Mutter und Kind verdanken ihm ihr Leben. Selbst der japanische Kommandant Sugitani, der sich damals in Pingdu aufhielt, hatte von den medizinischen Erfolgen meines Großonkels gehört. Er ritt ein großes englisches Warmblut, als er seine Soldaten in einen Säuberungsfeldzug führte. Er ritt auf ein Minenfeld und wurde mit seinem Pferd in die Luft gesprengt. Sein Pferd gab er auf und rannte um sein Leben. Doch mein Großonkel holte das Pferd vom Schlachtfeld und operierte es. Gruppenleiter Xia nahm es sich zum Reitpferd, als es wieder gesund geworden war. Doch es bekam Heimweh, biss seinen Strick durch und rannte nach Pingdu zurück. Als Sugitani sah, dass ihm sein Lieblingspferd entgegengaloppiert kam, freute er sich so über alle Maßen, dass er sogleich einen chinesischen Spion schickte, der herausfand, dass die Achte Route-Armee ohne sein Wissen ein Hospital gebaut hatte und dass der leitende Chefarzt, Wan Liufu, eine Koryphäe seines Fachs, das totgeglaubte Ross operiert und wieder zum Leben erweckt hatte. Kommandant Sugitani, selber Mediziner und aus einer Arztfamilie, war sofort von seinem Kollegen eingenommen und gedachte, meinen Großonkel im Zuge der Kapitulation zu sich zu holen. Er nahm sich unseren Drei-Reiche-Roman zum Vorbild und heckte den gleichen bösen Plan aus, schickte seinen Geheimdienst zu uns nach Gaomi und ließ meine Urgroßmutter, meine Großtante und meine Tante nach Pingdu entführen. Er hielt sie dort fest, um sodann einen Boten mit einem Brief zu meinem Großonkel zu schicken.
Mein Großonkel stand wie ein Fels zur kommunistischen Partei. Sugitanis Brief las er, zerknüllte ihn und warf ihn fort. Politkommissar Li wurde am Eingang zum Krankenhaus auf das Papierknäuel aufmerksam, hob es auf und brachte es zum Militärstützpunkt von Liautung. Gemeinsam mit Kommandant Xu schrieb er Sugitani einen Brief, worin er ihn eine Memme schimpfte. Wenn er es wage, Mutter, Frau und Tochter von Wan Liufu auch nur ein Haar zu krümmen, könne er sich darauf verlassen, dass er und Xu alle Truppen des Militärgebiets Liautung zusammenziehen und Pingdu mit Waffengewalt einnehmen würden.
Die Tante erzählte, drei Monate lang habe sie zusammen mit meiner Urgroßmutter und Großmutter in Pingdu gewohnt, zu essen und trinken hätten sie genug bekommen, man habe ihnen nichts zuleide getan. Sugitani sei ein blasshäutiger Jüngling mit weißer Hornbrille, dazu dünnem Schnurrbart gewesen, wohlerzogen, gebildet, mit akzentfreiem Chinesisch. Die Urgroßmutter habe er mit »verehrte gnädige Frau«, die Großtante mit »werte gnädige Frau« angeredet. Sie habe ihn sehr gut leiden können, so erzählte sie, wenn wir unter uns waren. In der Öffentlichkeit aber ließ sie dergleichen nicht verlauten, da hieß es nur immer, sie, ihre Mutter und ihre Oma hätten bei den Japanern Folterqualen ausgestanden, sie seien bedroht und genötigt worden, doch hätten sie allen Qualen ohne Klagen standgehalten.
Bester Sugitani, die Geschichten über meinen Großonkel sind so zahlreich, dass ich auch nach drei Tagen und Nächten nicht damit fertig werde. Ein andermal mehr davon. Nur von seinem Heldentod will ich noch berichten. Meine Tante erzählte, dass ihn, als er in dem unterirdischen Krankenhaus einen Kriegsverletzten operierte, ein feindlicher Giftgasangriff tötete, er verschied auf dem Gang. In den Materialien zur Literatur und Geschichte, die die Politische Konsultativkonferenz auf Kreisebene regelmäßig herausgibt,4 steht dasselbe geschrieben. Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich jedoch, der Großonkel habe acht Handgranaten im Gürtel stecken gehabt und sich mit dem Muli auf den Weg nach Pingdu gemacht, um als »einsamer Held« Mutter, Frau und Tochter zurückzuholen. Unglücklicherweise sei er dabei in ein Minenfeld der Volksmiliz aus Zhaojiagou geraten. Ein Bursche aus Xihai namens Xiao Oberlippe, der früher als Krankenpfleger im Xihai-Hospital die Krankentragen geschleppt hatte, verbreitete diese Version als erster.
Dieser komische Vogel war später für die Lagerung des Getreides im Brigadekornspeicher zuständig. Eine Zeit lang war er in aller Munde, weil er ein neues Rattengift erfunden hatte, und wurde sogar in der Zeitung erwähnt, die seinen plumpen bäurischen Vornamen gleich ein wenig verschönerte. Später stellte sich heraus, dass die Pestizide, aus denen sein so wirksames Rattengift gemischt wurde, von Amts wegen längst strengstens verboten waren. Er und meine Tante sind verfeindet. Deswegen kann man ihm keinen Glauben schenken. Er sagte mal zu mir: »Dein Großonkel hatte da wohl einen ungesunden Hang zum individualistischen Heldentum, er hielt sich nicht an Anordnungen der Einheit, sondern ließ seine schwerverletzten Krankenhauspatienten im Stich, um sich mit aus Pataten gebranntem Fusel den nötigen Schneid für seine Heldentat anzusaufen. Mit dem Ergebnis, dass er in die Minenfelder der eigenen Leute lief.«
Xiao Oberlippe bleckte die gelben Zähne. Mit Schadenfreude bedeutete er mir: »Deinen Großonkel und sein Muli hat es in tausend Stücke zerrissen. Zwei Körbe voll haben sie aufgesammelt, so haben sie ihn zurückgebracht, Arme, Hufe alles kreuz und quer reingeschüttet in einen Sarg und fertig. Aber der Sarg war nicht schlecht. Den hatten sie bei einem Großbauern in Lancong konfisziert.«
All das verriet ich meiner Tante, die riss ihre hübschen Mandelaugen auf und stutzte: »Wart’s ab, ich werde diesem Bastard eigenhändig die Eier abhacken!«, und mir zugewandt, keinen Zweifel duldend, fuhr sie fort: »Und wenn du niemandem mehr was glaubst, mein Kind, aber eins steht fest, dein Großonkel ist ein Held des antijapanischen Widerstands und Märtyrer der Revolution!«
Er ist auf dem Märtyrerfriedhof vom Yinglingshan-Berg begraben, in der Gedenkhalle haben sie sein Skalpell und seine Halbschuhe ausgestellt – englische Lederschuhe –, die ihm Henry Norman Bethune auf dem Sterbebett schenkte.
Sugitani-san,
die Geschichte meines Großonkels habe ich nur flugs erzählt, aber über meine Tante möchte ich in Ruhe berichten.
Meine Tante, ich nenne sie Gugu, wurde am 13. Juni 1937 geboren, nach dem Mondkalender am fünften Tag des fünften Mondes. Als kleines Kind wurde sie mit Kosenamen Duanyang gerufen, als Schulmädchen hieß sie bei allen Wan Herz. Der Großonkel hatte ihr ihren Namen gegeben, zum einen zollte er damit unseren Bräuchen Respekt, zum andern hatte der Name noch einen tieferen Sinn. Gleich nachdem mein Großonkel sein Leben fürs Vaterland gegeben hatte, erkrankte meine Urgroßmutter und starb in Pingdu. Unser dortiger Militärbezirk konnte meine Großtante und Tante nur mittels seiner Agenten und unter größten Anstrengungen aus den Fängen der Japaner befreien. Nachdem beide wieder in die durch die Kommunisten befreiten Gebiete gebracht worden waren, kam meine Tante in die Kangri-Grundschule und meine Großtante in die Näherei, von der sie Stoffschuhsohlen zum Nähen mit nach Haus bekam. Nach der Befreiung hatten Kriegshinterbliebene wie meine Tante, zumal wenn die Gefallenen, wie mein Großonkel, Märtyrer des Volkes waren, enorme Möglichkeiten. Sie konnten Karriere machen, studieren, konnten weg vom Land in die Stadt ziehen. Gugu machte jedoch keinen Gebrauch davon, denn sie wollte ihre Mutter, die es nicht übers Herz brachte, aus der Heimat fortzugehen, nicht allein zurücklassen. Die leitenden Kreiskader fragten Gugu, was sie werden wolle, und sie erwiderte: im gleichen Beruf wie ihr Vater arbeiten und ihres Vaters Werk weiterführen. Deshalb durfte sie unsere staatliche medizinische Fachschule in Gaomi besuchen. Mit sechzehn hatte sie bereits ihren Abschluss und begann als Ärztin in der Krankenstation unseres Gesundheitsamts zu arbeiten. Als vom Gesundheitsministerium auf Kreisebene ein Kursus Moderne Entbindungsmethoden angeboten wurde, wählte unsere Krankenstation meine Tante für die Kursteilnahme aus. Der Kursus wurde zum schicksalhaften Wendepunkt, das heilige Hebammenhandwerk sollte von nun an ihr gesamtes Leben bestimmen. Sie habe insgesamt 10 000 Säuglinge auf die Welt geholt, sagte sie, den ersten am 4. Neujahrstag 1953, den letzten zu Neujahr des vergangenen Jahres. Die Babys, die sie gemeinsam mit einer Kollegin auf die Welt geholt habe, habe sie bei dieser Rechnung nur halb gezählt. Lieber Freund, diese Zahl hat sie Ihnen auch persönlich genannt. 10 000 Babys sind vermutlich leicht übertrieben, aber 7000 oder 8000 sind es in jedem Fall. Sieben Lehrlinge hatte sie. Darunter ein Mädchen, das auf den Spitznamen Xiao Shizi hörte, was »Kleiner Löwe« bedeutet. Sie hatte krauses Haar, eine platte Nase, einen eckigen Mund und das Gesicht voller Pickel. Sie vergötterte meine Tante so sehr, dass sie, wenn Gugu ihr befohlen hätte, ein Kind zu töten, ohne viel Federlesen das Messer gezogen und zugestoßen hätte.
Ich erwähnte schon, mit welch vehementer Ablehnung die Landfrauen bei uns im Frühling 1953 den neuen Methoden der Geburtshilfe begegneten. Die Wehmütter taten mit ihren diffamierenden Lügenmärchen hinter dem Rücken meiner Tante ein Übriges. Obwohl sie erst siebzehn war, verfügte sie über außergewöhnliche Erfahrungen. Dies und ihre glänzende, goldwerte Herkunft machten sie bei uns in Nordost Gaomi zu einer höchst einflussreichen, von allen bewunderten und angesehenen Persönlichkeit. Dazu kam, dass auch ihr Äußeres außergewöhnlich war. Ich will gar nicht von ihrer Kopfform, ihrem Gesicht, ihrer Nase und den Augen anfangen, allein ihre Zähne waren unvergleichlich! Bei uns in Gaomi haben wir häufig eine Fluorüberversorgung, Alt und Jung haben deswegen gelbe Zähne. Wahrscheinlich, weil Gugu lange in Liautung gelebt, dort frisches Quellwasser aus dem Gebirge getrunken und bei der Achten Route-Armee noch dazu das Zähneputzen gelernt hatte, waren ihre Zähne von dem giftigen Fluor verschont geblieben. Wie haben wir immer ihren Mund voller strahlend weißer Zähne bewundert! Besonders die jungen Mädchen haben sie immer beneidet!
Das erste Baby, das sie holte, war Chen Nase. Sie fand nur schade, dass es das Balg eines Großgrundbesitzers war, wo sie sich doch vorgestellt hatte, beim ersten Mal die Nachkommenschaft eines Revolutionärs auf die Welt zu holen. Aber um damals der neuen Methode der Geburtshilfe eine Chance zu geben und die alte durch die neue abzulösen, hatte sie weder Zeit noch Wahl, sich ein würdiges Erstes auszusuchen.
Als sie die Nachricht von der nahenden Niederkunft Alinas erreichte, schulterte sie schnurstracks ihren Arzttornister, schwang sich aufs Fahrrad – Räder waren bei uns damals eine Seltenheit – und sauste wie der Blitz los; für die fünf Kilometer von der Krankenstation bis zu uns ins Dorf brauchte sie nur zehn Minuten. Die Frau des Dorfparteizellensekretärs Yuan Gesicht, die damals am Ufer des Kiaolai-Flusses beim Wäschewaschen war, hat mit eigenen Augen gesehen, wie Gugu in voller Fahrt über die kleine Steinbrücke preschte. Ein Hund, den Gugu beim Spielen an der Brücke überraschte, geriet so in Panik, dass er kopfüber ins Wasser stürzte.
Mit dem Arzttornister in der Hand rannte sie in das Seitenhaus, das Alina bewohnte. Die Dorfwehmutter Tian Guihua war schon zur Stelle, eine spitzmündige Alte mit eingefallenen Wangen, schon damals Mitte sechzig und heute – Erleuchte uns Amithaba! – längst zu Erde zerfallen. Tian Guihua gehörte zu den energisch eingreifenden Hebammen. Sie hockte bereits auf Alina und drückte mit vollem Gewicht auf deren kugeligen Bauch, als Gugu zur Tür hereintrat. Die Alte litt an chronischer Bronchitis, ihr krächzendes Keuchen mischte sich mit dem gellenden Schreien der Gebärenden – man meinte, im Zimmer würde ein Schwein abgestochen –, es war eine tragisch heroische Atmosphäre. Der Grundbesitzer Chen Stirn kniete vor der Wand und stieß immer wieder heftig mit dem Kopf dagegen, wie ein hochschnipsender Schnellkäfer sah er aus, dazu murmelte er undeutlich einen Singsang.
Ich bin oft bei Chen Nase gewesen, ich weiß, wie es bei ihm zu Hause aussieht. An den niedrigen Gang im Seitenhaus grenzen zwei kleine Zimmer, die Türen zum Gang haben. Wenn man zur einen Tür hineintritt, steht man quasi vor dem Herd, an der Stirnseite ist eine sechzig Zentimeter hohe Zimmerwand aufgemauert, auf deren Rückseite sich der Herd in den aus Lehm gebauten Kang fortsetzt, auf dem alle schlafen.
Als Gugu zur Tür hineinstürmte, konnte sie alles überblicken, was dort geschah. Sie war sofort wutentbrannt. Sie schmiss ihren Tornister in die Ecke und war mit einem Riesensatz bei der Alten, mit der Linken griff sie deren linken Arm, mit der Rechten deren rechte Schulter, und schon hatte sie sie mit einem kräftigen Ruck unter den Kang befördert. Die Alte stieß sich den Kopf am Nachttopf, der zu Bruch ging, so dass die Pisse über den Boden schwappte. Den Raum erfüllte alsbald ein feuchter, streng riechender Dunst. Aus der Platzwunde am Kopf der Wehmutter strömte dunkles Blut, keine wirklich bedrohliche Verletzung, dennoch schrie sie schrill wie am Spieß. Bei so einem Schreien erschrickt jeder normale Mensch zu Tode, Gugu aber keine Spur, denn sie war welterfahren. Sie hatte schon allerhand gesehen!
Sie stand vor dem Kang und maßregelte Alina, während sie sich ihre Gummihandschuhe überstreifte: »Du hörst zuerst mal mit Schreien und Weinen auf. Das hilft uns jetzt nicht weiter. Wenn du überleben möchtest, hör gut auf meine Anweisungen und tu genau das, was ich dir sage.«
Alina war wie vom Donner gerührt. Sie kannte Gugus glorreiche Herkunft und sagenumwobene Vergangenheit sehr wohl. Gugu sagte: »Du bist eine Spätgebärende, und dein Kind liegt in Querlage. Normalerweise kommen die Kinder zuerst mit dem Kopf, deines streckt zuerst einen Arm raus, der Kopf liegt im Leib.«
Später zog sie Chen Nase damit auf, dass er, bevor er es gewagt habe, den Kopf herauszustrecken, erst mal die Hand nach draußen aufgehalten habe. Nase antwortete immer: »Ich habe um Essen gebettelt.«
Gugu bewahrte einen kühlen Kopf, obschon es doch ihre erste Geburtshilfe war. Weil sie gewissenhaft war, erzielte sie ein hundertprozentig gutes Ergebnis, auch wenn das, was sie bisher gelernt hatte, nur die Hälfte war. Sie war die geborene Hebamme, sie tat vom Kopf her immer intuitiv das Richtige und auch ihre Hände hatten das richtige Gefühl für diesen Job. Alle, die ihr bei der Geburtshilfe zugesehen oder ihr Kind mit ihr bekommen hatten, lagen ihr bewundernd zu Füßen. Meine Mutter sagte mir später: »Die Hände deiner Tante sind eben anders, Hände normaler Leute sind mal kühl, mal heiß, mal steif, mal schweißnass, aber die deiner Tante sind sommers wie winters immer weich, immer kühl, aber nicht so eine teigige Weichheit, sondern, wie soll ich sagen ...«
Mein kluger großer Bruder antwortete: »Meinst du wie eine Nadel in der Baumwollwatte? Weiche Haut mit hartem Kern?«
»Genau das wollte ich sagen«, meinte meine Mutter. »Sie hatte auch keine eisig kalten Hände, es war, wie soll ich sagen ...«
Wieder ergriff mein Bruder das Wort: »Außen kühl, innen warm, eine Kühle wie Seide oder teure Jade.«
»Genauso ist es«, erwiderte meine Mutter, »schon das Auflegen der Hände mildert die Beschwerden des Kranken gleich um mehr als die Hälfte.«
Gugu wurde von den Dörflern – fast kann man sagen – in den Stand einer Göttin erhoben.
Alina hatte immer Glück gehabt. Und, was besonders zählte, sie war nicht dumm. Als meine Tante die Hand auf ihren Bauch legte, konnte sie einen Energiefluss spüren. Später erklärte sie allen Leuten, meine Tante hätte das Auftreten eines Generals gehabt. Verglichen mit ihr war die neben dem Pisspott hockende Alte eine Witzfigur. Mit Tantes medizinisch versierter Art und ihrem Eindruck schindenden Auftreten schüchterte sie ein und motivierte zugleich. Die Gebärende Alina schöpfte wieder Hoffnung und Mut. Der sie zerreißende Schmerz trat in den Hintergrund. Sie hörte mit Weinen auf, hörte auf Gugus Anweisungen, ging bei Gugus Bewegungen mit und hatte ihren großnasigen Säugling alsbald geboren.
Chen Nase atmete nicht, als er zur Welt kam. Also hielt Gugu ihn mit dem Kopf nach unten und klopfte ihm auf Brust und Rücken, bis er endlich ein Schreien hören ließ. Er hatte ein Stimmchen wie ein Kätzchen.