Verflixt! Jojo und Max können sich nur noch heimlich treffen. Das ist ja sooo romantisch, schwärmt Jojos Freundin Lucilla. Doch Max findet das todlangweilig und will lieber mit seinen Jungs abhängen. Wirklich? Jojo glaubt ihm kein Wort und beginnt zu ermitteln ...
Eine Jojo-Geschichte
Freche Mädchen – freche Bücher
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© Thienemann Verlag GmbH
Hortense Ullrich redet gern, lacht gern und schreibt gern. Und zwar über alles, was das Leben an Lustigem und Komischem zu bieten hat. Sie schreibt einfach auf, was bei ihr zu Hause tagtäglich passiert. Allerdings nie die volle Wahrheit, denn die würde ihr ohnehin niemand glauben. Ihre Töchter Allyssa und Leandra sind die Vorbilder für Jojo und ihre Schwester Flippi. Jojos überbesorgte, kochunfähige Mutter hat rein zufällig große Ähnlichkeit mit der Autorin. Nur Hortense Ullrichs Mann und die beiden Hunde kommen ungeschoren davon. Noch. Acht Jahre verbrachte Hortense Ullrich mit ihrem Mann und ihren Kindern in New York, inzwischen lebt sie in Bremen.
»Hey, Jojo«, raunte mir Max zu, als ich aus dem Schulgebäude kam. Er stand am Eingang und hatte auf mich gewartet.
»Hey!«, grüßte ich leise zurück.
Er lief neben mir her, als ich das Gelände verließ, und flüsterte: »Ich war heute Morgen wieder pünktlich in der Schule. Und hab an jeder einzelnen Unterrichtsstunde teilgenommen.«
Ich strahlte ihn an. Das war eine eindeutige Liebeserklärung. Ich wäre ihm so gerne um den Hals gefallen.
»Glaubt ihr, wenn ihr flüstert, merkt niemand, dass ihr miteinander redet?«, fragte Lucilla, die uns eingeholt hatte und nun neben uns herlief.
Stimmt. Da hatte sie recht.
»Ich hab euch doch gesagt: Die Kommunikation läuft über mich.«
Max ergriff Lucillas Hand. Lucilla schüttelte sie empört ab.
»Was soll das?«
»Ich wollte Jojos Hand halten und wenn die Kommunikation über dich läuft, dann solltest du jetzt Jojos Hand nehmen.«
Ich musste kichern.
»Händchen halten gilt nicht als Kommunikation«, sagte Lucilla.
»Doch, das ist nonverbale Kommunikation«, meinte Max und grinste.
»Mach keinen Blödsinn, halte dich an den Plan«, sagte Lucilla. »Also, heute Nachmittag um drei bei mir. Meine Mutter geht kurz nach halb drei und kommt um sieben wieder.«
Dann beschleunigte sie ihren Schritt und zog mich mit sich. Ich drehte mich zu Max um und warf ihm einen bedauernden Blick zu.
Max zwinkerte mir zu und formulierte tonlos etwas, das hoffentlich so was heißen sollte wie: »Ich finde dich super und freue mich riesig auf heute Nachmittag.« Ich war nicht gut im Lippenlesen. Vielleicht sagte er auch nur: »Lucilla nervt.«
Damit täte er Lucilla aber unrecht. Sie war großartig. Nachdem meine Mutter mir den Umgang mit Max verboten hatte, weil sie ihn für einen schlechten Einfluss hielt, hatte Lucilla angeboten, dass wir uns heimlich bei ihr treffen könnten, wenn ihre Mutter nicht zu Hause ist. Dass Max einen schlechten Einfluss auf mich habe, war natürlich völlig übertrieben. Ich hatte doch nur in den letzten Wochen Schule geschwänzt, um mit Max in der Stadt herumzustreifen, hatte dadurch Unterricht versäumt und ein paar Klassenarbeiten verhauen. Na gut, vielleicht war er doch irgendwie ein schlechter Einfluss für mich. Aber er war sooo süß. Und cool. Sah umwerfend gut aus. Und setzte jede wilde Idee, die ihm grad in den Kopf kam, um. Es scherte ihn nicht, ob er dafür Ärger bekam oder nicht. Es war aufregend mit ihm. Ich war bis über beide Ohren in ihn verliebt. Und von allen Mädchen, die ihn reihenweise umschwärmten, hatte er mich erwählt. Dabei hatte ich ihn gar nicht umschwärmt. Aber vielleicht war das ja der Grund, weshalb er sich für mich interessierte. Egal. Jedenfalls war meine Mutter auf 180, als mein Schuleschwänzen aufflog, und da es mit Max zusammenhing, hatte sie mir kurzerhand verboten, mich mit ihm zu treffen. Eigentlich halte ich mich ganz gerne an mütterliche Verbote. Ich hasse es nämlich, ein schlechtes Gewissen zu haben, davon wird mir meist übel. Außerdem ist es ziemlich anstrengend, ständig Ausreden parat haben zu müssen und sich Geschichten auszudenken. Und in meinem Fall fliege ich eh meist auf, weil ich mich in mein Lügengespinst verstricke und mich dadurch selbst zu Fall bringe. Also bin ich ein relativ braves Mädchen.
Aber in diesem Fall war es etwas anderes. Ich war doch verliebt! Die Einzige, die dafür Verständnis hatte, war meine beste Freundin Lucilla. Sie war eine Romantikerin und wo immer sie eine Liebe in Gefahr witterte, war sie als Hilfs-Amor zur Stelle und rettete sie. Für Liebe muss man kämpfen, meinte sie. Sie hatte angeboten, dass wir uns heimlich bei ihr treffen könnten. Allerdings unter der Bedingung, dass Max ab jetzt die Schule ernst nimmt und sich auch ansonsten nichts zuschulden kommen lässt. Denn dann könnte ich einen überarbeiteten Max, den guten Max, meiner Mutter präsentieren und sie würde uns doch noch ihren Segen geben. Guter Plan.
Max hatte sich nach einigen Anlaufschwierigkeiten schließlich darauf eingelassen, mit der Begründung, das könnte doch ganz spannend und amüsant sein und es wäre für ihn auch neu, mal ernsthaft in die Schule zu gehen. Er sah es als Herausforderung. Ich sah es ehrlich gesagt als letzte Chance für ihn, denn er war bereits aus einer Privatschule und zwei Internaten rausgeflogen. Danach hatten seine Eltern ihn auf eine öffentliche Schule geschickt, denn ich glaube, die sind verpflichtet jeden zu nehmen. Er war Gott sei Dank auf meiner Schule gelandet, eine Klasse über mir. Leider in dem Jahrgang mit den echt coolen Mädchen. Aber gut. Er hatte trotzdem mich auserkoren.
»Ich denke wirklich, ihr solltet vermeiden, in der Öffentlichkeit miteinander zu reden«, meinte Lucilla zu mir, als wir allein waren. »Du weißt doch, dass deine Mutter ihn auf dem Radar hat.«
»Schule ist doch nicht Öffentlichkeit«, entgegnete ich.
»Na, ich bitte dich, öffentlicher geht’s gar nicht. Du willst doch unseren Plan nicht gefährden.«
Ich seufzte.
»Ich könnte Briefchen zwischen euch hin- und herreichen«, bot Lucilla an.
»Oder du gibst mir das Handy zurück, das er mal für mich besorgt hat.«
Max dachte, es wäre cool, wenn ich ein spezielles Max-Handy hätte, auf dem nur er mich anruft. Darum hatte er ein Handy für mich gekauft. Geld spielte bei ihm keine Rolle, seine Eltern waren superreich und er verfügte unbegrenzt über Taschengeld. Als meine Mutter das Handy bei mir entdeckt hatte und sich wunderte, hatte ich ihr gesagt, es gehöre Lucilla. Und in einem Anflug von schlechtem Gewissen hatte ich es Lucilla auch wirklich gegeben, weil ich dachte, das sei dann nicht allzu sehr gelogen.
Lucilla nickte. »Gute Idee, ich gebe dir das Handy wieder, dann könnt ihr euch SMS schreiben und so. Aber lass dich nicht erwischen damit.«
»Nein, ich pass auf. Ist ja nur für Notfälle.«
»Ach, das wird so romantisch heute Nachmittag, ich hab einen neuen Laden entdeckt, in dem sie Herzen aus rosa Schokolade haben. Damit werde ich den Tisch im Esszimmer dekorieren.«
Das Esszimmer in Lucillas Haus war unser offizieller Treffpunkt und Lucilla hatte es sich zur Aufgabe gemacht, dort alles für Max und mich romantisch zu dekorieren. Weder Max noch ich waren sehr begeistert davon. Uns fehlte dafür das Romantik-Gen. Max nannte es sogar einen Herzchen-Amoklauf und machte sich lustig darüber.
Dann sah sie mich erschrocken an. »Ich hab ja ganz vergessen Kuchen für euch zu backen. Lass uns noch schnell zum Supermarkt gehen, ich hol ’ne Backmischung.«
»Lucilla, das ist echt nicht nötig«, wehrte ich ab.
»Doch, ich mach es wirklich gerne. Ich hab eine neue herzförmige Kuchenform und außerdem will ich für Valentin und mich auch einen Herzchenkuchen backen.«
Valentin war Lucillas treu ergebener Freund. Sie teilten beide ihre Leidenschaft für Romantik, perfekte Beziehungen und das Leben in Hollywood. Valentin hatte für Lucilla seine Persönlichkeit aufgegeben – falls er je eine gehabt hatte, so genau konnte man das im Nachhinein nicht sagen – und schloss sich stets Lucillas Meinung an. Für sie war das ein Zeichen dafür, wie sehr er sie liebte. Streit und Meinungsverschiedenheiten kamen für Lucilla nicht infrage, das war dann keine harmonische Beziehung. Sie fanden sich gegenseitig stets wunderbar und benahmen sich auch so. Für Umstehende nicht immer leicht zu ertragen, als Paar überschritten die beiden die Grenze zum Kitsch. Valentin war auf einer anderen Schule, wofür ich sehr dankbar war, denn es bescherte mir zumindest kitsch- und romantikfreie Vormittage.
Bei mir lag das etwas anders. Nicht dass ich etwas gegen harmonische Beziehungen hätte, aber ich stand nicht wirklich vor der Wahl, denn die Jungs, mit denen ich bisher zusammen gewesen bin, hatten eine ausgeprägte eigene Meinung, die sich nicht immer mit meiner deckte. Also holperte ich stets mehr oder weniger durch Beziehungen, die auch meist vorschnell ein Ende fanden.
Damit Lucilla also ihren Kitsch-Kuchen backen konnte, machten wir den kleinen Umweg zum Supermarkt.
Neben dem Eingang stand meine kleine Schwester Flippi mit unserem Hausgast Señor Gonzales. Señor Gonzales war ein Hund, den wir von einer Kollegin meiner Mutter übernommen hatten, um ihn vor dem Tierheim zu retten, bis die Kollegin eine Wohnung gefunden hatte, in der Hunde erlaubt sind. Dass wir ihn Señor Gonzales genannt hatten, war ein Akt der Verzweiflung gewesen, denn nur auf diesen Namen reagierte er. Lag vielleicht daran, dass die Kollegin meiner Mutter ihn aus Spanien mitgebracht hatte und er nur spanisch klingende Namen mochte. Señor Gonzales war ein schreckhafter Geselle, den man nur mithilfe von Leberwurstbroten unter dem Couchtisch oder sonstigen Schutzeinrichtungen hervorlocken konnte. Die Öffentlichkeit scheute er, aber Flippi hatte so lange mit ihm geübt, bis er in der Lage war, seinen Platz unter dem Couchtisch zu verlassen und mit ihr spazieren zu gehen. Flippi hatte ihn sogar dazu gebracht, eine kleine Kinder-Fahrradtasche zu tragen. Nicht im Maul, sondern auf dem Rücken. Er sah nun aus wie ein Last-Esel, links und rechts hingen an beiden Seiten die Taschen herunter. Das war Teil ihrer neuesten Geschäftsidee. Sie bot älteren Leuten an, deren Einkäufe nach Hause zu transportieren.
Flippi war im Gespräch mit einer älteren Dame, die ihren Dackel vor dem Laden »parken« wollte. Flippi hatte uns noch nicht gesehen, da sie mit dem Rücken zu uns stand. Ich gab Lucilla ein Zeichen, Flippi nicht anzusprechen. Ich wollte hören, was sie da wieder ausbaldowerte.
»Schätzchen, für ein halbes Pfund Butter brauche ich wirklich keine Hilfe. Das kann ich alleine nach Hause tragen«, sagte die Dame zu Flippi.
Flippi schien sehr enttäuscht, aber natürlich gab sie nicht auf. Sie nahm erneut Anlauf.
»Aber was ist mit Ihrem Hund?«, fragte sie.
»Den muss ich nicht tragen, der kann alleine laufen.«
»Das meine ich doch nicht. Wollen Sie ihn wirklich ganz alleine hier draußen lassen?«
»Eigentlich schon. Er ist es so gewöhnt.«
»Aber haben Sie noch nicht von Hundenappern gehört?«
»Hundenapper?«
»Kidnapper, spezialisiert auf Hunde.«
»Was?«
»Ja. Es gab in der letzten Zeit eine Serie von Hunde-Entführungen.«
»Das ist ja furchtbar!«
»Allerdings. Wenn Sie wollen, passe ich auf Ihren Hund auf.«
»Wirklich?«
»Klar. Ich hab auch einen speziell für solche Fälle ausgebildeten Schutzhund dabei.« Sie wies auf Señor Gonzales, der ängstlich zusammengekauert neben ihr saß. »Wenn es hart auf hart kommt, verteidigt er Ihren Hund.«
Die ältere Dame sah Flippi an, verbiss sich ein Lachen und meinte dann freundlich: »Das ist eine ganz hervorragende Idee. Du passt auf meinen Waldi auf und wenn ich wieder rauskomme und er noch da ist, gebe ich dir einen Euro. Okay?«
»Nun, ich hätte es selbstverständlich auch kostenlos gemacht …«
Das war so was von gelogen! Flippi will für alles Geld, selbst dafür, dass sie nichts tat, wie etwa unserer Mutter nicht zu sagen, dass ich es gewesen war, die vergessen hatte, die Verandatür zu schließen, und wir deshalb bei unserer Rückkehr ins Haus zwei Katzen vorgefunden hatten, die es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht hatten.
Flippi fuhr fort: »… aber wenn Sie darauf bestehen, nehme ich es gerne an.«
Die Dame lächelte Flippi noch einmal an und ging in den Laden.
Flippi hatte diese Wirkung auf Erwachsene, sie fanden Flippi süß, obwohl sie sie meist durchschauten.
»Du bist so was von dreist«, begrüßte ich meine Schwester.
»Hey, Gurkennase«, grüßte sie zurück. Da meine Nase ganz und gar nicht einer Gurke ähnelte, wusste ich, dass es nur eine willkürliche Beleidigung war und ich nicht darauf eingehen musste.
Lucilla schätzte das Gespräch zwischen Flippi und der älteren Dame anders ein. Sie war naiv und glaubte an das Gute. Selbst wenn es sich um Flippi handelte. »Das ist total lieb von dir«, sagte sie zu Flippi.
Flippi grinste bloß. »Ich hab ein Herz für Hunde.«
»Führst du auch Hunde aus? Unsere Nachbarin ist nämlich auf der Suche nach jemandem, der nachmittags mit ihrem Hund spazieren geht.«
Flippi sah Lucilla mit höchstem Interesse an.
»Lucilla, das ist genial. Zum Dank werde ich aufhören über dich zu lästern.«
»Du lästerst über mich?«
»Jetzt nicht mehr.«
»Danke«, freute sich Lucilla.
Ich verdrehte die Augen und zog Lucilla in den Laden.
Als ich mittags nach Hause kam, war meine Mutter in der Küche und deckte den Tisch.
»Wo ist Flippi?«, fragte ich. Mal sehen, was für eine Geschichte sie meiner Mutter aufgetischt hatte.
»Sie ist mit Señor Gonzales unterwegs, sie kommt gleich wieder.«
Ach, die Wahrheit, sieh mal an.
»Ich bin wirklich froh, dass sie sich jetzt so sehr um den Hund kümmert«, sagte meine Mutter.
»Ja, das tut ihm bestimmt gut.«
»Und meinen Nerven. Denn nun liegt sie mir nicht mehr ständig mit ihrer Schneckenzucht in den Ohren. Sie hat sie zwar nicht aufgegeben, aber das Interesse lässt merklich nach. Ich hoffe, sie wächst da jetzt endlich mal raus.«
Wird sie nicht. Solange wir das eklig finden, wird sie daran festhalten. Wir hatten schon Kampf- und Killerschnecken im Haus, deren Fähigkeiten sich nicht von den Anti-Liebeskummerschnecken oder Romantikschnecken (Spezialzüchtung für Lucilla) unterschieden, obwohl Flippi unermüdlich versucht, das ihren Kunden weiszumachen. Kunden. Ja, sie verkauft ihre Schnecken. Und wenn man nicht über längere Zeit mit ihren Verkaufsgesprächen belästigt werden will, kauft man ihr am besten ganz schnell eine Schnecke ab und man hat Ruhe. Allerdings nur so lange, bis sie wieder eine neue Sorte trainiert hat. Gute-Laune-Schnecken etwa. Oder Weihnachtsschnecken. Flippi schreckt vor nichts zurück.
»Wo ist Oskar?«
»Bei einem Anwalt.«
»Auweia. Was hat er angestellt?«
»Nichts. Also, keine Ahnung. Ich hoffe nichts. So ein Anwaltsbüro hat ihn angerufen und gefragt, ob er wohl mal vorbeikommen könnte.«
»Wenn man sich strafbar gemacht hat«, überlegte ich, »wird man doch zum Polizeipräsidium bestellt und nicht in ein Anwaltsbüro.«
»Es gibt ja auch Zivilklagen. Klagen, die ohne Polizei abgehandelt werden. Schadensersatzklagen oder so.«
»Wer würde Oskar denn verklagen? Oskar ist viel zu nett.«
Meine Mutter schien immer noch beunruhigt. Grundlos. Hoffte ich zumindest, denn Oskar ist wirklich der netteste Mensch, den ich kenne. Er war ganz sicher nicht in Schwierigkeiten. Oskar ist der Ehemann meiner Mutter und für uns der beste Vater, den man sich wünschen kann. Mit unserem leiblichen Vater haben wir keinen Kontakt, er hatte sich kurz nach Flippis Geburt auf Nimmerwiedersehen verabschiedet. Oskar war als Aushilfsvater eingesprungen und nach unendlich langer Zeit hatte meine beziehungsgeschädigte Mutter dem Werben von Oskar nachgegeben und ihn geheiratet. Ein echter Glücksfall für Flippi und mich, denn Oskar brachte Vernunft und Ruhe in diese nervige und chaotische Familie. Und warmes genießbares Essen. Eine Novität für uns.
Oskar und meine Mutter arbeiten beide für das Theater, er als Bühnenbildner, sie als Kostümbildnerin. Um ein vorbildliches Familienleben zu führen, bemühen sie sich beide, stets über Mittag nach Hause zu kommen, damit wir gemeinsam essen können. Was nur ein Genuss ist, wenn Oskar kocht. Für meine Mutter ist Kochen nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln, sie hat unendlich viele Möglichkeiten entdeckt, wie man Essen ruinieren kann. Und Flippi und ich unendlich viele Ausreden, uns vor ihrem Essen zu drücken.
Dass Oskar also nicht da war, war eine wirklich schlechte Nachricht, denn es bedeutete, dass meine Mutter gekocht hatte. Ich sah auf die Schüssel, die bereits auf dem Tisch stand. Könnte Auflauf sein. Das erkannte ich nicht am Inhalt, sondern an der Form der Schüssel.
Vorsichtshalber sagte ich gleich: »Ich hab keinen Hunger.«
»Ich weiß nicht, was ich wieder falsch gemacht habe«, jammerte sie und sah kopfschüttelnd auf das Essen.
»Ich geh dann schon mal in mein Zimmer, Hausaufgaben machen«, teilte ich ihr mit, um der Aufforderung: »Probier doch mal«, zu entgehen.
»Das ist schade. Ich hab nämlich Pizza bestellt. Den Auflauf konnte ich euch wirklich nicht anbieten.«
Ich blieb an der Tür stehen.
»Pizza?«
»Ja.«
Mein Hunger meldete sich laut und deutlich.
»Pizza«, wiederholte ich noch mal. Wie bekam ich jetzt die Kurve von keinem Hunger zu Bärenhunger?
»Also, wenn du dir die Mühe gemacht hast, extra Pizza zu bestellen, wäre es ja wirklich nicht in Ordnung, wenn ich nichts essen würde.«
»Ist schon in Ordnung, wenn du keinen Hunger hast. Aber setz dich doch zumindest zu uns.«
»Na ja, wenn ich schon mit euch am Tisch sitze, kann ich ja auch was essen.«
Flippi kam zur Tür rein, Señor Gonzales sauste ins Wohnzimmer unter den Couchtisch.
Flippi warf einen Blick auf den Inhalt der Auflaufform und einen Blick zu meiner Mutter: »Du hast gekocht?«
Als meine Mutter nickte, meinte Flippi: »Danke, hab schon gegessen.«
»Ich hab Pizza bestellt«, sagte meine Mutter.
»Prima, ich hab Hunger.«
Flippi hielt nicht viel von Umwegen. Sie setzte sich an den Tisch.
Der Pizzabote klingelte.
Um halb drei machte ich mich auf den Weg zu Lucilla. Ich war superaufgeregt und konnte es kaum erwarten, Max zu sehen. Ich hatte ihn jetzt zwei Tage nicht gesehen, weil wir uns ja nur dann treffen konnten, wenn Lucillas Mutter arbeitete. Also nur von Montag bis Freitag, zwischen drei und sechs.
Nach kurzer Zeit stellte ich fest, dass Flippi, Señor Gonzales im Schlepptau, auf der anderen Straßenseite hinter mir herlief.
Ich blieb stehen, sie ging weiter. Ich wechselte die Straßenseite und lief hinter ihr her.
Als ich sie eingeholt hatte, stellte ich sie zur Rede: »Hey, wieso verfolgst du mich?«
Flippi sah mich mitleidig an. »Also, ich weiß ja nicht, ob du eine Karriere als Privatdetektiv anstrebst, falls ja, hast du noch eine Menge zu lernen. Lektion 1: Bei Verfolgungen läuft man hinter jemandem her. Nicht vor ihm.«
»Bitte?«
»Ich laufe vor dir her, also verfolge ich dich nicht. Okay?«
Hm. Klang logisch. Aber dennoch war ich misstrauisch.
»Wo willst du hin?«
»Ich muss dir darauf nicht antworten, aber ich bin heute friedlich gestimmt, also: zu Lucilla.«
»Nein! Das geht nicht!«, rief ich erschrocken. »Ich geh jetzt zu Lucilla.«
»Und? Gibt es ein Gesetz, das besagt, dass Lucilla pro Tag nur von einer einzigen Person besucht werden darf?«
»Nein, aber … du kannst jetzt nicht … ich will doch …« Dann fiel mir endlich was Sinnvolles ein: »Lucilla hat keine Zeit für dich, weil sie mit mir verabredet ist.«
»Ach Gott, mach doch nicht so einen Aufstand. Keine Panik. Ich will mit ihr keine Romantik-Rezepte austauschen, oder was immer ihr beide sonst so macht. Sie muss mir nur den Namen ihrer Nachbarin sagen, weil ich der anbieten will, als Hundesitter zu arbeiten.«
Ich entspannte mich sichtlich. Dann fiel mir plötzlich ein: Was, wenn Flippi mitkriegt, dass Max ebenfalls bei Lucilla auftaucht? Sie kannte Max und wusste von dem Verbot meiner Mutter. Sie würde die richtigen Schlüsse ziehen und mich erpressen. Ihr Schweigegeld würde mein Taschengeld bei Weitem übersteigen. Ich müsste mir einen Job suchen, um ihren Forderungen nachzukommen.
Panik! Was tun?
Schneller gehen, damit wir auf alle Fälle vor Max da waren. Und schon war es ein Vorteil, dass er es nicht so mit Pünktlichkeit hatte. Er kam meist zu spät und wenn die Sterne mir gewogen waren, war Flippi schon wieder verschwunden, bis er kam.
Aber halt, nicht zu schnell gehen, Lucillas Mutter musste ja schon weg sein. Unsinn, ich kann doch Lucilla jederzeit besuchen, ich hänge doch ständig bei ihr rum oder sie bei mir. Mann, diese Heimlichkeiten machten mich schon wieder ganz wuschig. Egal. Ein paar Wochen noch, maximal Monate, und wenn sich die ersten Ergebnisse von Max’ guter Lebensführung gezeigt hatten, würde ich bei meiner Mutter einen neuen Vorstoß wagen und das Gespräch wieder auf Max bringen, diesmal auf Max den Musterknaben.
Also, Tempo doch steigern. Ich ging schneller.
Hm. Flippi steigerte ihr Tempo nicht. Aber gerade bei ihr war es ja wichtig, dass sie vor Max da war und flugs wieder weg. Ich musste sie dazu bringen, sich zu beeilen.
»Wollen wir einen Wettlauf machen?«
Flippi sah mich ungläubig an, dann sagte sie: »Haha. Für einen Moment dachte ich, du meinst das ernst.«
»Na ja, irgendwie schon. Ich meine, so joggingmäßig, Sport treiben, etwas für unsere Gesundheit tun.«
»Nein, danke, ich tu schon was für meine Gesundheit, wenn ich dir jetzt nicht länger zuhöre.«
Beeindruckte mich nicht. Ich hatte ein Ziel.
»Aber nach dem Essen soll man sich bewegen. Soll gut für die Verdauung sein.«
»Ja, aber das heißt Verdauungsspaziergang. Und nicht Verdauungswettrennen.«
»Trotzdem könnten wir schneller gehen.«
»Kannst du gerne machen. Tschüss.«
Nun ärgerte ich mich, dass ich gesagt hatte, ich ginge zu Lucilla. Denn wenn ich nicht bei Lucilla war, konnte es ja egal sein, ob Flippi Max dort sah oder nicht. Hm. Also wenn ich auf Nummer sicher gehen wollte, dann musste ich mir jetzt schnell etwas einfallen lassen.
»Sag mal, Flippi, was ist eigentlich heute für ein Tag?«
Sie sah mich genervt an. »Also pass auf: Das ist jetzt die letzte Frage, die ich dir beantworte, danach wechsle ich die Straßenseite und werde so tun, als würde ich dich nicht kennen. Okay?«
»Okay. Also, was für einen Tag haben wir heute?«
»Montag.«
Ich schlug mir vor die Stirn und rief: »Ich bin aber auch ein Schussel! Ich bin doch erst morgen mit Lucilla verabredet.«
Ich machte auf der Stelle kehrt und ging wieder zurück. Ich würde Flippi genug Vorsprung geben und heute einfach etwas später zu Lucilla gehen.