Umschlag

Eva Klingler, 1955 in Gießen geboren, lebt als Autorin in Karlsruhe und Selestat (Frankreich). Sie studierte Germanistik und Anglistik in Mannheim, absolvierte ein Volontariat beim Südwestrundfunk in Baden-Baden, arbeitete als Journalistin für Tageszeitungen, als Bibliotheksleiterin und als Dozentin in der Erwachsenenbildung. Die meisten ihrer zahlreichen Veröffentlichungen – oft Krimis – spielen in Baden oder im Grenzgebiet zum Elsass. Eva Klingler war Stipendiatin der renommierten »Reemtsma Stiftung für Nachwuchsautoren«. Im Emons Verlag erschien »Tod im Albtal«.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: mauritius images/age
Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch
eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
ISBN 978-3-86358-224-1
Der Badische Krimi
Originalausgabe

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Für Volker Schäfer, meinen Gitarristen, der mich auf unseren Lesungen seit Jahren virtuos begleitet!

Prolog

Sie fuhr bester Laune zu dem Treffen. Es würde sein wie immer. Sie würde bekommen, was sie wollte und was ihr zustand.

EINS

Gleich vorweg: Ich bin nicht besonders beliebt. Wäre ich eine Romanfigur, erhielte ich massenweise schlechte Bewertungen.

So bin ich kein Veilchen im Moose, nicht bescheiden, nicht sonderlich großzügig und nur eingeschränkt hilfsbereit. Nein, ich würde eben nicht nachts zur Autobahnraststätte fahren und irgendeine gestrandete Freundin abholen. Wenn sie Glück hatte, würde ich ihr ein Taxi rufen.

Dennoch besitze ich so etwas wie ein Gerechtigkeitsgefühl, und das sagt mir unüberhörbar, dass Mörder nicht frei herumlaufen sollten, sondern eingesperrt gehören. Schließlich entfernt man ja auch ein Hornissennest, wenn es sich in der Nähe des eigenen Schlafzimmers befindet.

»Hornissen sind nützliche Tierchen«, höre ich schon einige meiner biologisch-dynamischen Bekannten streng einwenden. So als ob es auch »gute« Mörder gäbe, die die Gesellschaft von unsympathischen Zeitgenossen befreiten.

Nicht so im Fall des einige Zeit zurückliegenden Todes der armen, harmlosen Friederike Schmied, die niemandem etwas zuleide getan hatte. Außer mir, denn sie hatte mein Geschäft als Stilberaterin ruiniert, das sich nach ihrem gewaltsamen Ableben nie mehr wirklich erholt hatte.

Außer vielleicht in Ländern wie Nicaragua und Sizilien gilt nämlich eine recht simple Regel: Baust du ein neues Gewerbe auf und einer deiner ersten Kunden wird in deinem Beisein ermordet, so kannst du das getrost als eine Art Todesurteil für dein junges Unternehmen betrachten und deine Kundenkartei löschen sowie das Notizbuch mit den nützlichen Telefonnummern verbrennen.

Aus. Finito.

Deiner Bankberaterin magst du aus dem Wege gehen und dich wieder darauf konzentrieren, eine brave badische Hausfrau zu werden, die nichts anderes im Sinn hat, als ihren Mann zu verwöhnen, die T-Shirts verwöhnter Töchter zu bügeln und die Wohnung zu putzen, was sie hierzulande »aufwische« oder, noch schlimmer, »nauswische« nennen.

Wie oben beschrieben war es mir vor etwa zwei Jahren mit meinem Geschäft ergangen, nur dass ich nicht zurück an den Putzeimer musste, da ich sowohl dafür als auch fürs Bügeln jemanden bezahle. Bliebe das Verwöhnen des Mannes, doch dies ist zumindest für mich keine sinnstiftende Angelegenheit.

Gerade hatte ich mich aus der Oberflächlichkeit meines Steueranwaltsgattinnendaseins befreit und als Einkaufsberaterin selbstständig gemacht, da wurde eine meiner ersten Kundinnen fein säuberlich in einer Ettlinger Umkleidekabine erwürgt aufgefunden. Und zwar während ich unweit davon wartete, dass sie mit ihrem neuen Unterhemd herauskäme.

Unsere hübsche Fachwerkkleinstadt Ettlingen versank in eine Art Schockstarre, und man begann, mich subtil zu meiden und zu schneiden. Ein Spielchen, das die bessere badische Gesellschaft, ein Überbleibsel der Beamten und Kleinadeligen aus der alten Residenz, hervorragend beherrscht.

Der Mord an Friederike war schließlich mit meiner Hilfe aufgeklärt worden, doch geblieben waren mir ein schlechter Ruf, eine latente Freude am Detektivspielen sowie die schwelende Liebschaft mit Kriminalkommissar Hagen Hayden. Hagen arbeitet als Kriminalbeamter auf dem Revier in Ettlingen und war seinerzeit mit dem Mordfall Friederike Schmied befasst gewesen.

Obwohl wir keineswegs Seelenverwandte, sondern im Gegenteil wie Feuer und Wasser beziehungsweise wie C&A und Armani waren, so schrammten wir doch haarscharf an einer Beziehung vorbei.

Und tun es noch. Vorsichtig. Lustvoll. Mit fast schüchterner Vorfreude auf das, was kommen könnte.

Unweigerlich eines Tages kommen musste.

Ich fragte mich selbst, warum ich nicht längst einfach ein paarmal mit ihm ins Bett gegangen war und meine Neugier auf seinen Körper, auf seinen Geruch, auf den Geschmack seines Schweißes nach dem Sex und nach dem Ausdruck in seinen Augen, wenn er mich hinterher in den Arm nahm, befriedigt hatte.

Womit die Sache im Normalfall erledigt wäre.

Ich hatte es nicht getan, weil er mir überdeutlich gesagt hatte, dass er keiner für nebenher war. Hagen war zu stolz für die Zweitbesetzung.

Trotzdem konnten wir nicht voneinander lassen.

So begegneten wir uns etwa um zehn Uhr morgens am Marktplatz im Café. Oder beim Spazierengehen mit Hagens hässlichem Hund, der mich mit seinen tiefen dunklen Augen immer ansah, als durchschaute er mich und meine uneingestandenen Wünsche. Diese Treffen schienen zufällig, doch sie waren es nicht. Wir stritten dann genussvoll. Redeten atemlos, als würde uns die Zeit zu kurz. Berührten uns und sehnten uns nacheinander.

Meist reisten wir mit getrennten Autos an, und verlegen verabschiedeten wir uns, ohne dass wirklich etwas passiert war.

Ich trug für diese Anlässe meistens ganz schlichte, eher preiswerte Sachen von Jil Sander oder von Olsen: Hersteller, die ich normalerweise meide wie die Pest, da jedermann sie sich leisten kann und ich sie schon deshalb nicht haben will.

So wie die kleine Bluse von Marlene Birger für nur knapp einhundertfünfzig Euro, bei der es trotzdem ärgerlich gewesen war, dass der Ketchup von Hagens heiß geliebter und von mir verabscheuter Currywurst darauf gelandet war. Es war ein nettes Teil gewesen, und – mein Gott – man kann schließlich auch mal günstig kaufen.

Einmal waren wir zusammen zum Rhein gefahren. Wir hatten am Rappenwörtbad geparkt und waren spazieren gegangen. Wenn man die Augen schließt und nur hört, wie die Wellen glucksen und wie es riecht, dann kann man dort fast vergessen, dass dies hier nicht das Meer, sondern nur der Rhein ist und dass das pfälzische Ufer auf der anderen Seite schon zum Greifen nah erscheint. Doch ich liebe den Rhein und seine Promenaden in Basel, in Straßburg, in Mainz und in Düsseldorf, und das nicht nur, weil man in all diesen Orten gut einkaufen kann.

Es ist mehr. Dieser breite Fluss mit seinen vielgestaltigen Ufern ist für mich ein Symbol unserer Kultur und Lebensweise, mit jahrtausendealter Tradition von Handel und Wandel und der beruhigenden Gewissheit, dass all das auch mein Leben überdauern wird. Kaum jemand in meinem Kreis würde der oberflächlichen, hübschen Frau von Dr. Tobler überhaupt solche Gedanken zutrauen. Ich bin mir dessen bewusst, doch mein mieser Ruf stört mich nicht. Ich lebe mit ihm schon so lange, dass er mir vertraut ist wie ein alter Bekannter. Schlimmer wäre es für mich, wenn die Leute sagten, meine Schuhe passten nicht zum Outfit oder mein Pony sei nicht perfekt geschnitten.

Wir waren also am Rhein gewesen, und das nicht etwa bei schönem Wetter, nein, das wäre Hagen zu einfach. Der liebt die Herausforderung. Vielmehr war es gewittrig, stürmisch gewesen, Wolken spielten am Himmel miteinander Verstecken, und ein unruhiges Wellenspiel kräuselte das graue Wasser.

Mein Schal, ein Seidenteil von Gucci in Rostfarben und ein Mitbringsel aus Italien (es muss nicht immer Hermès sein, meine Damen!) war davongeflattert wie ein zerrupfter Vogel. Blitzschnell, mit der Reaktionsfähigkeit eines echten Polizisten, hatte Hagen ihn eingefangen und mir wieder um den Hals gelegt.

Die Geste hatte sich gut und behütend angefühlt. Eine Weile hatte er mich noch festgehalten, dann mit den Lippen meine Wange und meinen Hals gestreift. Ich hatte mich an seinen muskulösen Oberarm geklammert, doch er hatte sich energisch frei gemacht.

»Du bestimmst, wann es Zeit dafür ist!«, sagte er ernst. »Du kennst die Regeln.«

»Du hast sie gemacht«, erwiderte ich. »Du könntest sie also auch brechen.«

Er sah mich ernst an, streichelte mir kurz übers Gesicht, zeichnete die Konturen meiner Lippen nach.

»Es sind gute Regeln«, sagte er ruhig. »Sie haben sich bewährt. Erst musst du frei sein, dann sehen wir weiter.«

* * *

Zurückzukehren an Schminktisch und Herd war also nicht so einfach gewesen. Nicht etwa wegen des Geldes.

Mein Mann, meistens abwesend und gleichgültig, teilte sein Bett, aber vor allem sein Konto mit mir – das heißt, ich konnte mir kaufen, was ich wollte und was auch immer es kostete. Gestern erst waren eine schwarze, hautenge Cambio-Jeans in Größe 38 und ich an der Kasse eines Modehauses in Karlsruhe zum Nachteil meiner Kreditkarte zusammengetroffen.

Ein klassischer Fehlkauf übrigens. Cambio ist normalerweise perfekt in Hosen, doch zu Hause und in Ruhe in meinem Ankleidezimmer von hinten betrachtet, saßen sie etwas zu eng, was mir Sorgen bereitete. Ich hatte also zugenommen. Kein Wunder.

Meine Tochter weilte im Ausland, mein Mann war zwar körperlich anwesend, aber gedanklich weit weg, die Versuchung wartete in Ettlingens Polizeihauptquartier – das heißt, ich aß zu viel, um innere Leere und Konflikte zum Schweigen zu bringen.

Keine Kohlehydrate mehr nach zwölf Uhr mittags! Dieses eiserne Gesetz hatte ich in diesem Monat schon zweimal abends mit Pasta und einem Reisgericht in einem chinesischen Restaurant gebrochen.

Dass dies in Gegenwart meiner Bridgefreundinnen geschehen war, die keinen Anstoß daran nahmen, machte die Sache nicht besser. Es handelte sich dabei um ältere Damen, die sich weltweit ähneln in ihren weit geschnittenen Blusen und Kasacks zum Drüberhängen und denen es vermutlich egal ist, wie sie nackt aussehen.

Ich verabscheue diese Einstellung. Beinahe wie in der Unterschicht! Sich vollstopfen. Aufquellen. Und dann ab mit einer Tüte Chips vor den Fernseher. »Britt am Mittag« gucken. Ein RTL2-Leben. Ferngesteuert bis zur Verblödung.

Nicht mit mir!

Ich hatte immer eine vorbildhafte Figur gehabt, und ich plante auch, mein geschmackvolles Totenhemd von der Firma »Last Design. New York, Paris, London« in Größe 38 noch überstreifen zu können. Oder vielmehr würde man es mir überstreifen. Kein schöner Gedanke, wie jemand meine Arme und Beine bewegen würde wie die einer Puppe. Das Handgelenk roh abknickte, weil mir ja nichts mehr wehtat.

Doch bevor es so weit war, dass ich in meinem Luxussarg zur ewigen Ruhe käme, musste ich mich irgendwie beschäftigen.

Arbeit kam mir in diesem Zusammenhang allerdings nicht in den Sinn. Wozu auch?

Hat sich mal irgendjemand Gedanken darüber gemacht, dass Reichsein durchaus auch ein Fluch sein kann? Vor allem für schwache Charaktere, welche nur auf einem Strom von Einladungen und Teepartys dahintreiben, irgendeinem Ende entgegen.

Nun war ich aber kein schwacher Charakter, und deshalb würde ich schon etwas finden, das einen Hauch interessanter war, als morgens die Blumenerde auf Feuchtigkeit hin zu überprüfen und zuzusehen, wie meine Perle die Bilderrahmen abstaubt. »Bitte, Danusza, auch oben, sehen Sie, da … Ja, genau da, wo man nicht hinsieht.«

Es gab ja glücklicherweise in unseren Kreisen noch ausreichend andere sinnarme Tätigkeiten. In diesem Winter war der Job der Kassiererin in Ettlingens feinstem Tennisclub vakant geworden. Ich bräuchte nur die Hand danach auszustrecken, und er wäre mein.

Die Damen, die dort in weißen und lachsfarbenen Höschen und Röckchen herumturnten, waren zu fast hundert Prozent wohlhabende hauptberufliche Ehefrauen wie ich. Singles gab es nicht, und wenn, dann waren es Witwen, die sich zögernd auf diese Weise wieder ins gesellschaftliche Leben einklinkten.

Die zu den Ehefrauen gehörigen Männer waren vielfach Kunden meines Mannes, des Steuer(hinterziehungs)anwalts. Sie behandelten mich vorsichtig, denn wahrscheinlich nahmen sie an, ich wüsste alles über die schwarzen Konten ihrer Männer.

Was nicht der Fall war, denn mein Mann und ich pflegten gesprächehalber höchstens so engen Kontakt wie ich zu meiner seit Jahren vertrauten Eierfrau auf dem Markt. Deren starkes Pfälzisch verstand ich nicht immer, doch sie strahlte eine gewisse Herzlichkeit aus, die meinem Mann gänzlich abging.

Schon mit meinem Friseur Raoul in Achern teilte ich mehr Geheimnisse als mit meinem Ehemann. Beispielsweise, dass ich kürzlich sieben graue Haare in meinem strohblonden Haar entdeckt hatte. Entsetzt hatte ich es unter dem Vergrößerungsspiegel untersucht. Ich bin eine halbe Schwedin. Wir ergrauen nicht frühzeitig, sondern unser Blond wird einfach nur blasser.

»Es sind deine dummen Gene«, hatte Raoul geklagt. »Italiener und Schweden sollten haartechnisch gesehen keine Kinder zeugen. Italiener werden furchtbar schnell grau. Das hast du nun von deinen italienischen Vorfahren, Swentja!«

Zu spät! Meine Eltern hatten sich auf halber Strecke derart heftig ineinander verliebt, dass es für beide Teile nicht mehr möglich gewesen war, sich an das jeweils andere Ende von Europa zurückzuziehen.

Manchmal sehnte ich mich nach solch einer irrationalen Liebe. Dann dachte ich an Hagen, machte mir die Konsequenzen, die er forderte, klar und versuchte, schnell wieder vernünftig zu werden. Es gab für mich keine Alternative zu der Ehe, die ich führte.

Zurück zu meiner Notwendigkeit, mich irgendwie zu beschäftigen.

Ich hatte absolut keine Lust, Kassiererin im Tennisclub zu werden und Beiträge von Frauen einzutreiben, die zu dämlich waren, einen Dauerauftrag auszufüllen.

Ich selbst hatte übrigens höchst selten mit richtigem Geld zu tun.

Überall bezahlte ich mit Kreditkarten oder mit dem guten Namen meines Mannes, das heißt, es gab irgendwelche Konten, von denen diskret abgebucht wurde: Tiefgarage, Friseur, Fußpflege, Kosmetikerin, sogar beim Bäcker stempelte die ewig unausgeschlafen aussehende Verkäuferin eine Karte ab, die sie dann in ein Kästchen einordnete. Nur bei meinen schicken, gesellschaftlich erwünschten Besuchen auf dem Ettlinger Wochenmarkt vor dem Rathaus nehme ich Münzen in die Hand.

Ich war privilegiert, doch auch das wird zur Routine, und die machte sich in meinem Alltag breit wie ein grauer Hut, den ich jeden Morgen aufsetzte. Ich verbrachte keine Zeit, ich suchte nach Möglichkeiten, sie gewaltsam totzuschlagen.

Im Bridgeclub war die Position der Mittwochslady auszufüllen. Die letzte Mittwochslady war auf Mallorca an einem Herzinfarkt gestorben. Mittwochsladys organisieren den Spielort und die Verpflegung an den Mittwochnachmittagen, suchen den Blumenschmuck aus und laden ein. Letzteres ist eine diffizile Aufgabe, denn man kann sich kaum mehr Feinde machen als mit dieser idiotischen Einladerei.

Der Spruch »Viel Feind, viel Ehr« war jedenfalls nicht in Ettlingen entstanden, denn hier ist es keine Ehre, viele Feinde zu haben. Hier zählen die lächelnden Gesichter, die Anrufe und die Einladungen.

Auf der anderen Seite der Münze lauern janusköpfig allzu oft Neid und Kleinlichkeit. Und kalter, berechnender Snobismus.

Ganz allmählich wurden die Tage kürzer und kühler. Man konnte nicht mal mehr im Café Pierrod an der Martinskirche herumsitzen und warten, bis Bekannte vorbeikamen. Das Leben wurde ruhiger, und immer noch war kein Silberstreif einer Beschäftigung am Horizont zu sehen.

Jemand wie ich konnte sich nicht mal irgendwo bewerben. So etwas ginge sofort herum wie ein Kugelblitz in unserer kleinen elitären Welt. Ich war also zu ewiger Untätigkeit, ewiger Schönheit und ewigem Shopping verdammt.

Ich ertappte mich immer öfter dabei, wie ich in Karlsruhe und Baden-Baden durch die Läden streifte und mir überlegte, was ich denn noch brauchen könnte.

Etwa eine Handtasche!

Die Jagd nach der perfekten Handtasche ist für meinesgleichen eine lebenslange Aufgabe und so aussichtslos wie das Streben der Menschheit zu wissen, was vor dem Urknall war.

In Frage kommende Taschen müssen sich immer an einem nicht existierenden Idealbild messen lassen: Sie sind zu klein, haben zu viele, zu wenige oder die falschen Fächer, das Leder ist zu weich, es fällt in sich zusammen, es ist zu starr und macht die Tasche zu schwer.

Die Verkäuferinnen eilen hektisch herbei, wenn ich das Papier, mit dem man sie stopft wie Weihnachtsgänse, herausnehme. Böse Blicke treffen mich angesichts des Häufchens Leder, das für vierhundert Euro dann noch bleibt.

Mir egal. Ich habe aufgegeben, mich dafür zu entschuldigen. Ich mache es wie die Queen: Never complain, never explain. Oh, ich mag diese würdevolle kleine Frau mit ihren immergleichen veilchenpastillenartigen Kostümen, die sitzen wie eine eiserne Uniform.

Gerade, als ich mich fragte, ob ich vielleicht doch meine Abneigung gegen den stechenden Geruch von Mottenkugeln überwinden könnte und im Diakonieladen als Verkäuferin Gutes tun sollte, fiel mir eine ungewöhnliche Annonce in den Badischen Neuesten Nachrichten ins Auge:

»Soziologin sucht für geplantes Buchprojekt modebewusste, intelligente Dame mittleren Alters.«

Ich fühlte mich angesprochen: Die modebewusste, intelligente Dame, das war ich. Das mittlere Alter klammerte ich aus.

Zwar hasste ich Chiffren – wer nicht? –, und doch antwortete ich nun dieser, weil die innere Leere in mir anfing, laut zu werden.

Und so stolperte ich geradewegs in meinen zweiten Mordfall.

ZWEI

Die Soziologin rief mich an einem Dienstag um halb acht Uhr abends an. Keine ungeschickte Zeit. Lang genug vor der Tagesschau. Hätte ich Kinder und Mann, wären sie jetzt schon abgefüttert. Doch ich war allein, denn mein Gatte weilte noch im Büro, wie oft in letzter Zeit.

»Mein Name ist Marion Gellert. Doktor Marion Gellert. Soziologin vom Institut EMSRA in Karlsruhe. Sie haben sich auf meine Annonce beworben. Vielen Dank. Allerdings haben Sie keinen Namen angegeben.«

»Natürlich habe ich einen Namen angegeben.«

Ein warmes Lachen.

»Gewiss. Aber nicht Ihren richtigen. Laura Sambrusio! Aus Ettlingen. Ich bitte Sie!«

»Wie kommen Sie denn darauf, dass ich nicht so heiße?«

»Sehr einfach. Es gibt keine Laura Sambrusio im Einwohnermeldeverzeichnis von Ettlingen, sehr wohl aber eine Laura Sambrusio in … Sizilien. Ich habe die Dame angerufen, sehr freundliche Frau übrigens, und sie hat mir gesagt, eine entfernte Verwandte von ihr wohne in Deutschland. Und zwar in Ettlingen. Ihr Name sei Swentja Tobler. Ich nehme nun also an, das sind Sie.«

Das raubte mir die Sprache. Mühsam beherrscht fragte ich: »Wie kamen Sie auf Sizilien?«

»Die Verteilung des Namens Sambrusio ist laut dem weltweiten Personenregister ›1,2,3 people‹ fast ausschließlich auf Sizilien beschränkt. In Kombination mit Facebook und dem Vornamen Laura hatte ich Glück. Es hätte natürlich auch anders ausgehen können, das gebe ich zu.«

»Und dann?«

»Dann hätte ich Sie eben einfach nach Ihrem echten Namen gefragt. Auch eine Option. Viele meiner Bewerberinnen geben zu Beginn falsche Namen an. Die meisten wählen ihren Mädchennamen, den sie offenbar mit Draufgängertum und der Freiheit assoziieren, die ihnen in der Ehe abhandengekommen ist.«

Die Stimme der Frau am anderen Ende der Leitung war kultiviert, dunkel und trotzdem sehr sachlich. Außerdem hatte sie recht. Auch ich fühlte mich freier und jünger mit meinem Mädchennamen.

Eine Frau, die sich für ihren Geburtsnamen schämt, mag das anders sehen. Die häutet sich, unterschreibt hastig auf dem Standesamt und denkt: »Gott sei Dank bin ich die Mischpoke los und bin ab jetzt jemand ganz anderes. Jemand Besseres!«

Später, viel später, sollte ich mich an diesen flüchtigen Gedanken erinnern.

Frau Dr. Gellert hatte ruhig in den Hörer geatmet und mir Zeit gelassen, ihre Entdeckung zu verdauen. Jetzt räusperte sie sich leise. »Sind Sie noch dran?«

Ich erinnerte mich, wer ich war, und erwiderte reserviert: »Gut, nachdem wir das geklärt haben … Ich schreibe tatsächlich nicht gerne auf Chiffre-Annoncen. Mein Mann ist in unserer Region bekannt, und ich in gewissem Sinne auch.«

»Verständlich. Ich habe auch kein Problem damit. Es haben sich dreizehn Frauen bei mir gemeldet. Sieben sind bereits ausgeschieden, da sie aus irgendwelchen Gründen nicht geeignet waren. Die anderen sechs habe ich angerufen. Sie sind die Letzte.«

Was wollte sie denn damit sagen? Die Letzte? Ich war gewohnt, immer und überall die erste Wahl zu sein.

Frau Gellert schien meine Gedanken lesen zu können.

»Das ist kein Qualitätsurteil. Aber T kommt nun mal ziemlich am Ende des Alphabets.«

Ich nickte. Vorsicht. Die Frau ist dir gewachsen, Swentja.

Man hörte ein Rascheln am Telefon. Dann fuhr sie fort: »Man verdient nicht viel. Es ist auch nur eine Honorartätigkeit«, fuhr sie mit ihrer ruhigen Stimme fort.

Kühl gab ich zurück: »Das Geld steht für mich nicht im Vordergrund.«

Sie lachte wieder sonor. »Erfreulich. Aber Sie bekommen trotzdem etwas. Treffen wir uns morgen in meinem Büro?«

Moment mal! Ich nehme nicht gern Anweisungen entgegen. Lasse mich nicht gern einbestellen. Sogar mein Zahnarzt richtete sich nach meinen Terminen.

Doch wenn ich den Job haben wollte, musste ich wohl zumindest ein erstes Gespräch mit ihr überstehen.

Eine ungewohnte Situation. Die Ahnung, wie es wohl sein mochte, seinen Stolz hinunterschlucken zu müssen, um das Geld für eine Wohnung und für das tägliche Essen zu verdienen, überfiel mich jäh.

Und noch grausamer war die Erkenntnis, dass zwischen mir und dieser Lebenslage im Wesentlichen nur mein Mann als Schutzmauer stand. Das, was mir nach einer Trennung oder Scheidung zustünde, wäre bei meinem Lebensstandard in ein paar Jahren verbraucht.

Nicht zum ersten Mal beschloss ich, so viel wie möglich für mich privat zur Seite zu schaffen und eine Art geheime zusätzliche Altersversorgung anzulegen. Hier einen echten Ring zu kaufen, dort eine Eigentumswohnung auf meinen Namen eintragen zu lassen. Ich musste dabei allerdings vorsichtig zu Werke gehen, denn mein Mann ist der absolute Meister des Beiseiteschaffens. Und des Verhinderns des Beiseiteschaffens.

»Gut, ich komme. Wann?«

Frau Dr. Gellerts Büro befand sich in Karlsruhe in guter Lage neben dem ECE Einkaufscenter und damit für mich auf absolut vertrautem Terrain.

Die Umgebung des halbwegs akzeptablen Einkaufscenters selbst war allerdings in letzter Zeit zu einer bizarren Baustellenlandschaft geworden, durch die Fußgänger sich wie Hamster durch die Röhren und Klorollen ihres Käfigs kämpften, welche ein liebevoller Tierhalter täglich neu anordnete, um die Intelligenz seiner Nager zu schärfen.

An der seitlichen Flanke des Shoppingtempels erstreckte sich ein imposantes gläsernes Gebäude, Heimat für Büros, die moderne und schicke Sachen machten. Ein Marktforschungsunternehmen, ein Verlag, eine Galerie und Dr. Marion Gellert, EMSRA: Analysen und Umfragen.

Ganz unten, im Erdgeschoss, residierte eine noble Boutique, in der sich eine Einkäuferin offenbar austoben durfte und überall da orderte, wo es richtig teuer war. Schmuck. Schuhe. Taschen.

Ich entdeckte eine puderfarbene, durchsichtige Bluse im Schaufenster von Blacky Dress, die ich mir ganz gut zu meiner neuen mokkafarbenen Dreiviertelsommerjeans von Dr. Denim vorstellen konnte. Braune Beine und nudefarbene Ballerinas dazu, und in Ettlingen könnten sie sich wieder darüber aufregen, dass ich »schon wieder was Neues« anhabe.

Aber erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Ich läutete bei EMSRA, wurde angenehmerweise eingelassen, ohne ein peinliches »Ich bin die Sowieso« in die Gegensprechanlage blöken zu müssen. Mit einem Glasaufzug schwebte ich nach oben in den dritten Stock.

Frau Dr. Gellert kam mir schon an der Tür entgegen, was ebenfalls angenehm war.

Ja, was soll ich sagen?

Sie war eine dieser Frauen. Eine dieser Frauen, die mir Angst einjagen und neben denen ich mir kindlich und unreif vorkomme, obwohl ich normalerweise ein Selbstbewusstsein habe, das durch fast nichts zu erschüttern ist. Dies ist ein unbezahlbares Erbe meiner stolzen Südtiroler Mutter, die ihr ganzes Leben unerschütterlich daran geglaubt hatte, dass sie etwas ganz Besonderes und zu Höherem bestimmt sei.

Doch diese Situation hier war anders.

Frau Dr. Gellert hatte einen Doktortitel und wahrscheinlich ein passendes Leben dazu. Ein akademisches, ein berufliches, ein »Ich-brauche-keinen Mann«-Leben. Das strahlte sie mit jeder Pore aus.

Dabei war sie mollig, eindeutig hatte sie einen zu dicken Po und sehr kräftige Oberschenkel. Die Frau musste übermenschliche Probleme haben, eine gut sitzende Hose zu finden. Oberhalb des Gürtels blieb die Erscheinung zwar weiblich, wurde aber insgesamt zierlich und verlieh ihr die Anmutung einer archaischen Fruchtbarkeitsgöttin.

Ansonsten war sie auf eine ruhige und gelassene Weise ziemlich hübsch. Als sie mich begrüßte, meinte ich einen leichten bayerischen Akzent zu hören, der für Männerohren bestimmt sexy klang.

»Nehmen Sie Platz, Frau Tobler. Wasser? Kaffee? Tee? Nichts. Gut. Mein Name ist Marion Gellert. Ich leite die Außenstelle der Universität München in Karlsruhe. Wir untersuchen Alltagsgewohnheiten, die letztlich zu einer Neubewertung des Konsumverhaltens im 21. Jahrhundert führen.«

Ich nickte, als verstünde ich. Sie lächelte und fuhr fort.

»Eine vierzigjährige Frau kauft heute öfter einen Bikini als eine Kittelschürze. Banal, nicht wahr? Aber dahinter steckt ein gesellschaftlicher Erdrutsch. Tatsächlich haben sich gerade Bedürfnisse und Verhalten der mittleren Generation auf den Kopf gestellt.«

»Mein bedürfnisbedingtes Verhalten bleibt immer gleich«, äußerte ich. »Ich erfülle es: oft und teuer.«

»Ich sehe es«, sagte sie sachlich. »Sie sind gut gekleidet.«

Gut?

Ich war perfekt gekleidet. Eine Boss Black-Hose, Slipper von Natural Feet aus Hirschleder und eine weiße Bluse von Betty Barclay. Lederjacke Marc Cain und dazu passender Lederriemchenschmuck. Schlichtes Understatement und dezente Eleganz für einen Tagesanlass wie diesen.

Kaum würde irgendein Fräulein Marion Gellert wissen, dass die Perlchen an den Schnüren echt waren. Was war sie denn schon? Irgendein Mädel von irgendeiner Uni, das arbeiten musste, weil es kein Mann für sie tat.

»Die Perlchen an den Schnüren da sind echt, nicht wahr?«, meinte sie lässig, stand auf und holte einen Block.

Unsere Augen trafen sich. Meine sagten: »Respekt!« und ihre: »Hast du was anderes erwartet?«

Und sie wusste, dass die Antwort lautete: »Eigentlich schon. Eine wie du, hm!«

Ein stummer Frauendialog, den Männer niemals verstehen würden.

Aber Marion Gellert verstand ihn, und ich verstand ihn, und wir beide akzeptierten unsere Arbeitsgrundlage: Sie war die Frau, die im Leben steht, und ich war das reiche Mädchen, das mit den Zündhölzern spielt.

»Gut, dann wollen wir mal in den Besprechungsraum gehen.«

Ich folgte ihr.

Manchmal überlege ich, wie die Geschichte weitergegangen wäre, hätte ich mich damals einfach umgedreht und den Raum verlassen.

Eva Mondrian wäre natürlich trotzdem umgebracht worden, aber vielleicht hätte es keiner gemerkt.

Doch ich drehte nicht um, und ein Stein kam ins Rollen, der auf seinem bösen Weg nach unten Menschenleben mit sich riss.

* * *

»Ich habe übrigens jetzt vorübergehend so etwas wie einen kleinen Job. Und wenn ich mich bewähre«, Letzteres ließ ich ironisch klingen, als habe ich es nicht nötig, mich irgendwo zu bewähren, »dann bekomme ich vielleicht noch mehr Aufträge.«

»Einen Job?«

Mein Mann ließ die BNN sinken. »Hast du dir das gut überlegt? Selbst wenn ich alle legalen und illegalen Tricks anwende, kommt steuertechnisch gesehen nicht viel dabei rum.«

»Es geht mir mehr um eine sinnvolle Beschäftigung. Oder willst du, dass ich aus lauter Langeweile fremdgehe.«

»Bitte, Swentja!« Eine schmeichelhafte kleine Schärfe hatte sich in den geschäftsmäßigen Ton meines Mannes eingeschlichen – Folge der Erinnerung an die Szene an meinem Krankenhausbett nach der Entlarvung von Friederike Schmieds Mörder. Und an Hagens Kampfansage in seine Richtung.

Mein Mann hatte kurzfristig befürchtet, lieb gewordene Marktanteile im Bereich Persönliches gingen ihm verloren.

Doch er hatte Glück gehabt.

Ich bin ein verwöhnter Luxusfeigling und keine moderne badische Effi Briest, die ihr sicheres Leben aufgibt, um fortan in elenden Verhältnissen lebend von der Erinnerung an ihren Liebhaber zu zehren. Aber auch keine Nora, die doof in ihrem Puppenhaus sitzt und wartet, dass ihr Mann mit seinem kleinen Eichhörnchen spielt. Aufopferung käme mir ebenso wenig in den Sinn wie ein unnötiges tragisches Ende.

Wenn überhaupt, identifizierte ich mich in der Literatur mehr mit Scarlett O’Hara aus »Vom Winde verweht«. Deren Liebesgeschichte hatte zwar auch kein glückliches Ende genommen, aber immerhin war sie keine sentimentale Kuh gewesen, und sie hatte sich finanziell abgesichert.

Zurück zu meinem erstaunten Mann.

»Und was«, erkundigte er sich mit mühsam aufgebrachtem Interesse, »arbeitest du diesmal?«

»Ich soll Koffer untersuchen.«

»Du wirst am Zoll tätig?«

»Nun, die Uniformen dort entsprechen nicht meinem Geschmack, das solltest du wissen. Nein, meine Auftraggeberin untersucht gepackte Koffer von verschiedenen Leuten. Sie haben alle das gleiche Ziel: ein Wochenende in Berlin. Und sie sollen die Sachen einpacken, von denen sie annehmen, sie brauchen sie dort. Anhand dieser Koffer untersucht dieses Institut das unterschiedliche Freizeit- und Konsumentenverhalten.«

»Hört sich eigenartig an. Bringt das was?«

»Die Koffer sind nur ein Baustein in dem wissenschaftlichen Verfahren. Viele Leute haben sich auf eine entsprechende Anzeige gemeldet, und ein paar wurden repräsentativ ausgesucht. Die packen jetzt in genormte Koffer, was sie auf eine echte Reise mitnehmen würden.«

»Geben die sich denn dann Mühe? Ich meine, wenn es gar nicht wirklich nach Berlin geht …«

Mein Mann ist misstrauisch. Allem und jedem gegenüber. Nur nicht mir gegenüber, ist es eigentlich niemals gewesen. Mich betrachtete er mehr als etwas wie sein Auto. Gut gewartet und poliert. Warum also sollte es nicht fahren? Außer, wenn vorübergehend ein Störfall eintrat. Hagen war dieser Störfall gewesen.

Mein Mann wartete ab, ob Handlungsbedarf bestand. So lange ließ er mich gewähren.

Sanft lächelte ich ihn an. Es konnte nicht schaden, ihm ab und zu das Gefühl zu geben, sein Rat sei hier zu Hause geschätzt. Er war zwar naiv, aber nicht dumm und hatte den Instinkt eines geschulten Buchhalters.

»Da hast du recht. Aber um eine authentische Situation herzustellen, gewinnt am Ende des gesamten Projektes einer eine echte Reise nach Berlin.«

»Na ja, also wenn ihr meint.«

Es hörte sich an wie: Dann spielt mal schön.

Ich konnte es ihm nicht verdenken.

Eigentlich hatte ich zwar gehofft, er würde mich ein wenig ernster nehmen, nachdem ich sozusagen in einem gefährlichen Alleingang Friederikes Mörder gefunden hatte. Doch hatte ich leider im Dienste der Wahrheit gleichzeitig unsere Kreise einer geachteten Persönlichkeit beraubt, und das hatte ihm wiederum missfallen.

Ettlingen ist eine hübsche, aber eine kleine Stadt, und bedeutende Persönlichkeiten werden hier nicht am Fließband gemacht. Da drückt man schon mal ein Auge zu, wenn sich ein Prominenter danebenbenimmt.

Mit fein dosierter Ironie fuhr ich fort:

»Aus den Dingen, die die Leute mitnehmen oder auch nicht mitnehmen, kann man ihr Freizeitverhalten und ihre Interessen ableiten. Haben sie sich extra für ein besonderes Wochenende etwas Neues und Schickes gekauft, und wenn ja, wo? Wieviel Geld ist ihnen eine solche Reise wert, und gibt es Unterschiede nach Alter und Wohnort? Diese Koffer sind wie das Spiegelbild ihrer Seele. So wie du eben nur das neueste Börsenblatt, dein Handyladegerät und zwei bügelfreie Hemden sowie einen Slip und ein paar Socken einstecken würdest.«

»Hm«, sagte mein Mann. »Wieso? Braucht man noch mehr?«

Ich suchte nach einer Spur von Selbstironie in seinen Worten, doch ich fand keine.

Thema erledigt. Es war nichts Wichtiges, was ich machte. Er war beruhigt.

* * *

Die Reaktionen auf meine Berufstätigkeit hätten mir eigentlich zu denken geben sollen.

Marlies Rubenhöfer, meine robuste, etwas zu mollige Freundin, die mit ihrer Familie und ihrem zotteligen Hund im idyllischen Moosalbtal lebt, schüttelte den Kopf.

»Du willst Geld verdienen! Warum denn das? Sag bloß, die goldene Kreditkarte deines lieben Mannes verliert an Glanz für dich. Seit der Geschichte mit Friederike hast du dich verändert.«

»Du meinst, ich bin noch besser?«

»Du solltest dein Selbstwertgefühl auf dem Markt in feinen Eingrammdosen verkaufen. Es wäre ein Bestseller. Du analysierst also die Koffer von Leuten, die so tun, als ob sie nach Berlin fahren. Was wäre denn in deinem Berlin-Koffer? Nur, damit ich mal wieder was von der Styling-Queen lernen kann.«

Ich dachte nach und gab eine ehrliche Antwort: »Nichts. Er wäre leer. Ich bringe doch keine Provinzklamotten in die Hauptstadt. Ich würde dort shoppen gehen, bis zum Ladenschluss der angesagtesten Berliner Designer. Und darüber hinaus. Gewürzfarben kommen in der nächsten Saison. Und Seide. Davon haben die hierzulande noch nie etwas gehört.«

Marlies seufzte. »Okay. Das glaube ich dir sogar. Jedenfalls viel Spaß.«

Viel Spaß wünschte mir auch Hagen. Und wie üblich waren seine Wünsche mit liebevollem Sarkasmus durchwirkt. Wir saßen wie zwei verlorene, frierende Vögel oben im Kurpark von Waldbronn an einem See und sahen seinem Hund zu, wie er sich dreckig machte.

»Koffer analysieren?« Hagen lachte. »Das heißt, wenn einer Kondome dabei hat, will er vö… Sex haben. Und wenn eine kein Unterhöschen eingepackt hat, dann sagt das auch was aus.«

»Typisch, dass du gleich an so was denkst. Keine Frau, nicht mal eine, die wirklich nur an Sex denkt, geht ohne Slip aus dem Haus. Das sind reine Männerphantasien. Sie würde nämlich untenrum frieren und sich eine Blasenentzündung holen.«

»Ich habe nur versucht, ein plastisches Beispiel zu finden.«

»Es ist dir gelungen. Gehen wir Kaffee trinken, bevor ich erstmals in dieses Institut gehe? Übermorgen? In Karlsruhe? Am Marktplatz?«

Hagen zögerte. Das kannte ich schon. Sein Zögern gehörte zu unserem Ritual.

Zum Schluss würde er doch nachgeben. Weil er in mich verliebt war. Weil er mich haben wollte. Meine Güte, ich kannte dieses Schachspiel mit Männern seit Jungmädchentagen, und normalerweise beherrschte ich die Züge perfekt. Hagen leider auch.

»Ich muss erst meine … Bekannte fragen«, kam es nach einer Weile. Er sah dabei in die andere Richtung. Richtung Wald.

Ich setzte mich aufrecht hin. »Bekannte! Was denn für eine Bekannte?«

Bekanntlich hatte es sich die biblische Todsünde der Eitelkeit bei mir sehr gemütlich gemacht. So konnte ich mir kaum vorstellen, dass ein Mann, den ich am langen Bändel führte und der in der Hoffnung lebte, eines Tages mit mir zusammen auf dem gleichen Bettlaken aufzuwachen, sich einfach anderweitig umsehen könnte.

»Eine Bekannte eben. Wir sind noch dabei, uns näher kennenzulernen. Ich weiß nicht, wann sie diese Woche Zeit hat.«

»Und wieso musst du sie fragen, wenn wir einen Kaffee trinken? Ganz abgesehen davon – sie würde es sowieso nie erfahren, oder treibt sie sich etwa tagsüber in Karlsruhe herum?«

»Gut möglich.«

»Was macht sie denn? Führt sie Hunde aus? Verkauft sie Hot Dogs am Straßenrand?«

»Sie überwacht den ruhenden Verkehr.«

»Was??« Eine Politesse! Oh Gott. Die Räder stehen nicht mal still, schon tauchen diese strengen Frauenzimmer scheinbar aus dem Nichts auf und heften triumphierend kleine Zettel an Windschutzscheiben von Autos, die sie sich selbst niemals leisten könnten.

»Reg dich ab. Wir kennen uns noch nicht lange, und es ist noch nichts Festes. Ich bin eben dabei, mich umzusehen. Aber sie ist nett. Im Gemeindevollzugsdienst gibt es sehr wohl auch –«

»Schon das Wort hört sich an, als sei sie Gefängniswärterin. Hat sie die Hauptschule gut hinter sich gebracht? Weiß sie, wer Shakespeare ist und dass Mozart nicht nur Kugeln gemacht hat? Hagen, bitte! Das kann nicht sein. Wir … wir reden später darüber.«

»Du bist ein unerträglicher Snob!«

»Ja, aber du magst das an mir, nicht wahr?«

»Nein!«, sagte Hagen kurz, und wieder einmal wusste ich, dass es einfach verdammt schwierig war mit ihm.

Aber ohne ihn noch mehr.

* * *

Es war vorgesehen, dass ich die Koffer im Institut und dort in einem Nebenraum untersuchen sollte.

Ich hatte unterschreiben müssen, dass man mich filmte, während ich den Inhalt der Koffer genauer untersuchte.

Marion Gellert legte die Fingerspitzen aneinander und erklärte mir geduldiger als nötig: »Es geht uns darum, wie viel Zeit Sie den einzelnen Gegenständen jeweils widmen. Wir messen Ihre Augenbewegungen mit Hilfe eines Sensors. Vorher müssen wir Ihre Augen aber auf dem Testobjekt mit Hilfe eines computergesteuerten Verfahrens justieren. Okay?«

Sie führte mich in einen Raum mit Bildschirmen und Computern und Kabeln, von denen sie einige an eine Art Kopfhörer anschloss, den sie mir aufsetzte. Ich musste dann auf einen Musterkoffer starren, dabei tanzten Lichtpunkte vor meinen Augen, die ich fokussieren sollte. Ich kam mir vor wie beim Augenarzt.

»Eigentlich ist mir das nicht recht!«, sagte ich entschlossen. »Was machen Sie hinterher mit den Aufnahmen?«

»Sie werden ausgewertet, doch Ihr Gesicht wird geschwärzt, und Ihre Stimme – sollten Sie etwas murmeln – wird verfremdet.«

»Hm.«

Sie lächelte. »Auch wenn es Ihnen schwerfällt, es zu glauben, Frau Tobler. Aber Ihre Person ist in dieser Angelegenheit nur eine Nebensache.«

Ich lächelte säuerlich.

Nun folgten die genaueren Anleitungen.

Ich sollte die einzelnen Gegenstände aus den Koffern holen, sie ansehen, feststellen, worum es sich handelte, den Zweck und den Anlass, zu dem man es brauchte, auf einem Computervordruck notieren und so genau wie möglich angeben, wo und wie man den Gegenstand kaufen konnte und was er ungefähr kostete.

Sodann sollte ich den Zustand des Kleidungsstücks oder der anderen Utensilien bewerten, ob sie neu waren oder gebraucht, altmodisch oder sehr aktuell und welches Alter und welches Geschlecht meiner Meinung nach den Koffer gepackt hatte … Letzteres eine müßige Feststellung angesichts BHs oder Schiesser Feinripp-Slips mit Eingriff.

Zu meinen Aufgaben gehörte es auch, den Lesestoff der Testperson unter die Lupe zu nehmen und einzutragen, ob es sich um Magazine, Bücher, Reiseliteratur oder Comics handelte. Innerhalb dieser Grobkategorien gab es noch diverse Untergruppen, die mir in Form einer Liste ausgehändigt würden.

Ich kam mir wie ein Stasispitzel vor, denn ich sollte die Bücher und Zeitschriften auch noch auf Notizen und Anmerkungen hin überprüfen. »Das zeigt die individuellen Präferenzen der Probanden.«

»Wie haben Sie denn so viele Leute gefunden, die bereit waren, Ihr Innerstes nach außen zu kehren?«, fragte ich.

»Was glauben Sie wohl?«, fragte Gellert in typischer Psychologenmanier zurück.

»Geld?«, seufzte ich. Ach, diese unteren Schichten. Immer in Geldnot. Immer über ihre Verhältnisse leben und Sachen kaufen, die sie sich nicht leisten können.

»Haben Sie es denn wegen der Bezahlung gemacht?«, fragte sie schon wieder provozierend zurück.

»Nein!«

»Eben. Die meisten von denen auch nicht. Sie fanden es interessant, ein Studienobjekt zu sein. Im Mittelpunkt eines wie auch immer gearteten wissenschaftlichen Interesses zu stehen. Vor allem die Damen, und da insbesondere die nicht mehr ganz so jungen Damen, die dabei sind, langsam unsichtbar zu werden. Vor allem für die Männerwelt. Aber mehr sollte ich nicht preisgeben, meinen Sie nicht auch?«

»Wie Sie wollen.«

Ich nickte gelassen, doch in Wahrheit erschreckten mich ihre Worte, denn irgendwann würde es sogar mir so gehen.

Für Männeraugen alt und damit unsichtbar werden! Und dann?

Damit ich nicht unter Druck geriet, hatte ich pro Tag zwei Koffer, einen morgens und einen weiteren mittags zu öffnen.

Ich bekam ein Zimmer im Institut und konnte Kaffee und Mineralwasser bei einer studentischen Hilfskraft bestellen.

Um neun Uhr morgens legte ich los. Schnapp. Die Schlösser eines schlichten Köfferchens mit bunten Aufdrucken von Fotos von Shakira und Justin Bieber öffneten sich.

Der erste Koffer musste also einem jungen Mädchen gehören. Nahezu alles stammte von H&M, New Yorker und Primark.

Das Mädchen hatte offenbar nicht viel Geld, denn es waren alles billige Sachen. Nur Modeschmuck und T-Shirts für 6,95 und 7,95. Nicht, dass sie wirklich schlecht aussahen. Mit der passenden Figur waren sie okay, und sie hatte S. Also war sie eine 36.

Ich durchsuchte ihre anderen Sachen. Ein buntes Mäppchen mit ihren Schminkutensilien. DM-Ware. P2 und Misslyn. Wahrscheinlich war sie picklig, denn es waren Abdeckstifte in mehreren Farben vertreten.

Berlin? Sie wollte doch nach Berlin. Ich wühlte, doch ich fand keinen seriösen Reiseführer. Nur einen Stadtplan von Berlin, ein schmales, schon benutztes Heftchen, das hauptsächlich die U-Bahnlinien zeigte. Gewiss ausgeliehen von einer Freundin.

Sie hatte tatsächlich ein kleines Päckchen Kondome mit Erdbeergeschmack eingepackt sowie ein witziges, winziges Ding mit Zahnbürste und Zahnpasta, alles in Miniatur, mit dem man sich unauffällig, wo auch immer, vermutlich in der Disco, die Zähne putzen konnte.

In die wirklich angesagten Läden in Berlin, etwa in die Disco am Gendarmenmarkt, würde sie in diesen Fetzen sowieso nicht eingelassen werden. Niemand hatte ein feineres Auge als die Türsteher in Großstadttanztempeln.

Ansonsten befanden sich Tampons, Slipeinlagen, zwei Nighties und ein Bikini im Koffer. Mit spitzen Fingern hob ich einen mokkafarbenen Pullover von Esprit hoch, der so roch, als sei er oft getragen und selten gewaschen worden. Vielleicht hatte sie ihn sogar von jemandem geliehen.

Wie mir verordnet worden war, sah ich mir den Stadtplan von Berlin nun genauer an. Es handelte sich um ein Ding namens Fun-Map, in dem mit roten Glühbirnen offenbar die Discos und die angesagten Clubs markiert waren sowie die Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel in der Nähe.

Sonst befand sich nichts Gedrucktes in ihrem Koffer.

Ein Deo und ein Parfüm mit billigem Himbeerduft. Ein paar Leggings mit gehäkelter Borte unten. Ein paar Ballerinas, die mit Sicherheit ihre Füße kaputt machen würden. Keine Strümpfe. Ziemlich viele Einmalrasierer. Ich vermutete deshalb, sie war dunkelhaarig. Vielleicht sogar mit Migrationshintergrund.

Ich schätzte, das Mädchen war um die zwanzig und arbeitslos oder lernte einen Beruf, bei dem sie wenig Geld verdiente.

Ich seufzte, als ich das Leben dieser unbekannten jungen Frau vor mir ausgebreitet sah.

Irgendwie so hoffnungslos durchschnittlich.

Sie würde bald heiraten, vielleicht den Falschen, der ihr im Neonlicht einer Disco gefiel, der aber wenig verdiente und für sie und das Kind, das sie bald haben würde, nur das Nötigste heranschaffen konnte. Deshalb würde sie wieder arbeiten gehen und abends gereizt und gehetzt sein. Das Totenglöcklein dieser Ehe würde dann nur zu bald läuten.

Langsam räumte ich die Sachen zurück.

Marion Gellert brachte mir eine Tasse Kaffee.

»Und?«

»Es ist … interessant, aber auch seltsam. Wie durch ein Guckloch in das Leben anderer Leute schauen. Voyeuristisch.«

Sie lehnte sich an den Schreibtisch. »Interessieren Sie sich nicht für die Geheimnisse im Leben Ihrer Mitmenschen?«

Ich dachte einen Moment nach. »Eigentlich nicht«, antwortete ich dann. »Wenn ich ehrlich bin, interessiere ich mich vor allem für mich selbst.«

Ruhig wartete sie ab.

»Sehr schlimm?«, fragte ich.

»Sehr gesund!«, erwiderte sie gelassen.

Die Koffer, die ich in den nächsten Tagen bearbeitete, waren natürlich alle unterschiedlich gepackt, aber die allgemeine Durchschnittlichkeit deprimierte mich auch hier.

Eine der Frauen musste geradezu besessen von Hygiene sein: Sie hatte fünf Paar Mehrweghandschuhe dabei, eine Reiseflasche Sagrotan, ein Reiseset Zahnseide, Zahnpasta, mehrere Zahnbürsten, einen Schwamm, eine Tube Rei extra stark und mehr Handtücher und Waschlappen als T-Shirts. Einmalslips und eine Riesenpackung Slipeinlagen mit Jasminduft komplettierten das Ganze.

Der Koffer einer männlichen Testperson war sehr schwer und roch muffelig. Das rührte daher, dass er überwiegend Bücher über Berlin darin mitschleppen wollte. Ansonsten nur ein blauer und ein brauner Pullover der unglaublich drögen Hausmarke von Peek und Cloppenburg, zwei Slips, eine lange Unterhose und ein paar Socken, grau mit Löchern.

Erotische Abenteuer schien dieser Mann jedenfalls nicht zu planen. Nicht in dieser Wäsche!

Dafür hatte er mindestens zehn Bücher über archäologische Sensationen in Berlin dabei. Ich hatte den Eindruck, er war selbst eine archäologische Sensation.

Eine Frau, ich schätzte sie um die fünfzig, musste das Buch »11 Basics und immer gut angezogen« geradezu verinnerlicht haben. Sie hatte ein schwarzes und ein weißes T-Shirt aus guter Qualität dabei, eine Jeans und eine schwarze Hose, einen Bleistiftrock und einen Blazer, alles farblich passend, sowie eine Kaschmirstrickjacke.

Ein Notizbuch, eine Kamera, eine Telefonliste, ein Marco-Polo-Führer Berlin, ein Roman von Döblin.

Ich schätzte, sie war eine Lehrerin, die aller Welt mit ihrer Besserwisserei auf die Nerven ging.

Geschieden oder eine Immer-schon-und-mir-macht-das-gar-nichts-aus-Singlefrau.

Diese Koffer waren traurig. Sie standen stellvertretend für das Innerste dieser Leute, und da gab es so erschreckend wenig. So wie diese Leute packten, so waren sie: verstaubt. Billig. Altjüngferlich. Das war in nuce ihre Welt mit ihren Träumen und Wünschen. Und ich ahnte nicht, wie nahe ich damals schon mit diesen Gedanken der Aufklärung eines Verbrechens kam.

Am Donnerstagnachmittag warf ich einen Blick in den vorletzten Koffer der Woche.

Oh Gott, ein Schlabberkleid, das nicht ganz sauber war, und ansonsten lauter Kindersachen.

Schnell wieder zu. So etwas ist nichts für mich. Den würde ich mir morgen kurz vor Schluss gönnen, wenn ich starke Nerven für Kinderkram hatte.

Ich war nie eine Gluckenmutter gewesen, und meine Tochter hatte schon früh ihr eigenes Oilily-Köfferchen gehabt, in dem sie hübsche rosafarbene Sachen ordentlich zusammengefaltet und gut riechend selbstständig transportiert hatte.

Ich meldete bei der Sekretärin, dass ich Koffer Nummer acht vor Koffer Nummer sieben drannehmen würde, was sie gleichgültig und kaugummikauend auf einem Faltblatt notierte.

Marion Gellert schwebte mit einem Mann vorbei, der aussah wie ein Kunde und sicher auch ein Kunde war, denn sie schenkte mir diesmal nur einen flüchtigen Blick und ein kurzes Nicken.

Der vorletzte Koffer duftete schon beim Öffnen wohltuend. Chanel No 5.

Schon mal sehr gut.

Und erst die Auswahl der Kleider, die die Testperson mit nach Berlin nehmen würde! Im Unterschied zu den anderen, die ihre Koffer vollgestopft hatten, hatte sie wenige Sachen, dafür aber farblich stimmige eingepackt.

Das war endlich mal ein Reisegepäck nach meinem Geschmack.

Eine Closed-Leinenhose mit tief angesetzten Taschen, mindestens zweihundert Euro. Dazu ein kurzes, enges Oberteil aus Viskose. Auch gut. Niemals etwas Schlabberiges gleichzeitig unten und oben tragen. Geht gar nicht. Goldene Regel: Unten eng, oben weit. Unten weit, oben eng. Und nie mehr als drei Farben zusammen tragen. Haben Sie einen blauen Kaschmirpullover, eine weiße Hemdbluse, eine Lederjacke, eine klasse Jeans, ein paar hochhackige Schuhe, einen Blazer und einen Trenchcoat im Kleiderschrank, kann in Ihrem Leben zumindest modisch nichts mehr schiefgehen.

Eine schwarze Cambio-Jeans, Größe 42. Prima. Eine Bluejeans von meiner Lieblingsfirma True Religion. Ein kurzer schwarzer Blazer, klassisch geschnitten, der mit allem ging, ein Netztop, sehr hübsch, naturfarben. Aha. Vielleicht hatten wir zwar eine gute Figur, aber trotzdem ein kleines Speckröllchen zu verstecken. Vielleicht lebten wir zu gut, aßen zu gern.

Schuhe? Ein paar Pumps von Peter Kaiser.

Gute Unterwäsche von Mey. Zartrosa und mokkafarbene T-Shirts und eine schöne Betty Barclay-Jacke, die – wie es Bettys Art nun mal ist – zu allem passte.

Aber der Hammer war eine kurze, dünne Jacke in Kastenstepp von Desigual in Braun und Rostrot mit ein paar blauen Einsprengseln. Der Stoff deutete ein großformatiges Herbstmotiv an und war sehr schön. Ein ausgefallenes Stück, das man – wenn man der richtige Typ war – immer tragen konnte, das zu vielem passte und alles veredelte.

Sie besaß die Jacke wohl schon eine Weile, denn oben am Kragen war ein Knopf ersetzt worden, durch einen fast ähnlichen, aber eben nur fast.

Die Kosmetikprodukte von Helena Rubinstein und das herrliche Banane-Puder von LeClerc, das man in Deutschland nirgends bekam, waren ebenfalls nicht vom Hartz IV-Satz zu kaufen.