1. Die Verhaftung

Rumms. Ein lautes Geräusch schreckt mich aus dem Schlaf. Es ist noch dunkel, ich liege in jenem Zimmer, in dem ich bereits meine gesamte Kindheit und meine Teenagerjahre verbracht habe. Seit mehr als 40 Jahren ist das meine Lebensbasis, mit Unterbrechungen während meiner Studentenzeit und den Jahren als Universitätsassistent im Ausland. Es war die Wohnung meiner Eltern, bis sie sich 1982 scheiden ließen, jetzt wohnen hier neben mir mein Bruder mit seiner Partnerin und deren zehnjährige Tochter. Ich bin noch im Halbschlaf und höre irgendwo Stimmen. Ich kann sie nicht zuordnen, kann aber auch nicht meine Augen öffnen; ich will weiterschlafen, rede mir ein, dass mich das nichts angehe. Doch dann reiße ich mich bewusst aus dem Schlaf. Dieses laute Geräusch kam definitiv aus unserer Wohnung. Irgendetwas muss passiert sein.

Ich steige aus dem Bett. Ich habe nur ein T-Shirt an, sonst bin ich nackt. Plötzlich wird die Tür aufgerissen, und schwarz vermummte Personen stürmen herein. Ich sehe gezogene Schusswaffen und werde mit einem Scheinwerfer angestrahlt. „Umdrehen, Hände an die Wand!“, schreit jemand. Verdattert folge ich dem Befehl. Ich spüre den Lauf einer Pistole im Genick. Im Gang zwischen dem Schlafzimmer der Familie meines Bruders und meinem wird das Licht aufgedreht. Ich schaue hin und sehe durch die Tür auch meinen Bruder an der Wand stehen, mit einer Pistole im Nacken, neben ihm seine Partnerin und seine Tochter.

Um uns herum laufen einige Personen im Kampfanzug hin und her. Sie tragen schwarze Strumpfmasken, nur die Augen sind ausgeschnitten. Ihre Helme sind tief ins Gesicht gezogen, alle halten gezogene Schusswaffen und grelle Taschenlampen in den Händen. Einer der Maskierten packt mich grob an der Schulter und schiebt mich den Gang entlang zur Eingangstür. Ich bin total verwirrt und weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Vor der Tür im Stiegenhaus – unsere Wohnung liegt im fünften Stock – stehen zahlreiche Menschen in Zivil, darunter eine kleine Frau, die mit einer, wie mir scheint, überdimensionalen Pistole in der Luft herumfuchtelt, und ein eigenes Filmteam, dessen Kamera mit Stromkabeln verbunden ist, die sich die Stiegen hinunter irgendwo verlieren. Die kleine Frau ist offenbar die Chefin dieses Einsatzes, erst später soll ich ihren Namen erfahren: Chefinspektorin Bettina Bogner. „Polizei“, sagt sie trocken. „Was läuft hier eigentlich?“, bringe ich gerade noch heraus. „Deshalb sind wir hier“, sagt die Frau und zeigt auf mein T-Shirt. Darauf ist Alf im Porträt abgebildet, der katzenfressende außerirdische Cartooncharakter, zusammen mit der Phrase „I support ALF“. ALF wie „Animal Liberation Front“, ein Scherz-T-Shirt, von den Behörden als Begründung für ihre Repression vorgeschoben. In dieser Tonart sollte es weitergehen.

Die Frau gibt mir einige Zettel in die Hand und sagt, jetzt gibt es eine Hausdurchsuchung. Mit diesen Worten gehen geschätzte zehn Zivilpersonen in unsere Wohnung und beginnen sie systematisch zu zerlegen und alles zu durchsuchen. Noch immer verdattert schaue ich auf die Schriftstücke in meiner Hand. „Verdacht auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation nach § 278a Strafgesetzbuch (StGB)“, steht da drauf. Es ist das erste Mal, dass ich von diesem Paragrafen höre. Ich lese weiter, es folgen 23 Adressen, an denen offenbar jetzt gleichzeitig Hausdurchsuchungen stattfinden, darunter sogar in Graz, in Salzburg und in Innsbruck. Einige Namen der Betroffenen habe ich noch nie gehört. Irgendwie bin ich erleichtert. „Also, wenn das der Vorwurf sein soll, dann kann ich nur lachen“, gewinne ich ein bisschen Selbstsicherheit zurück. „Wetten wir um 5000 Euro, dass ich wegen diesem Blödsinn nie im Leben angeklagt, geschweige denn verurteilt werde!“, fordere ich die Chefinspektorin heraus. „Da würde ich lieber nicht wetten an Ihrer Stelle“, antwortet sie, geht zu meinen Bücherkästen und beginnt, jedes einzelne Buch herauszunehmen und durchzublättern.

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Foto 1: Nach der Durchsuchung meiner Wohnung.

„Ich möchte meinen Anwalt anrufen“, sage ich jetzt bestimmt, „und mir eine Hose anziehen.“ Die Polizei ist ein bisschen verwirrt, telefoniert offenbar mit dem Staatsanwalt. Ich dürfe meinen Anwalt verständigen, wird mir verkündet, und eine Hose anziehen auch. Ich schlüpfe in die nächstbeste Hose und gehe zu meinem Handy, das direkt neben dem Bett liegt. Ein maskierter Polizist folgt mir mit grimmigem Blick. In der Tierschutzarbeit brauchen wir oft anwaltliche Hilfe, ein Schulfreund von mir ist Rechtsanwalt und unterstützt uns schon seit über zehn Jahren. Es ist aber offenbar noch zu früh für ihn, er hebt nicht ab, ich spreche ihm auf den Anrufbeantworter. Kaum ist das Gespräch beendet, ruft ein ziviler Beamter, man solle mir das Handy abnehmen. Der maskierte Polizist neben mir, vielleicht zwei Köpfe kleiner als ich, greift danach, doch ich presse es dicht an mich und drehe es ab. Der Zwerg fühlt sich offenbar herausgefordert und beginnt mit der Faust auf mich einzuschlagen. Widerstand gegen die Staatsgewalt wäre ein strafrechtliches Delikt, und so ist man als guter Staatsbürger in so einem Fall gezwungen, sich schlagen zu lassen. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, das Handy in den Abfluss der Dachrinne zu werfen, einfach so, aus Protest. Doch dann denke ich, was soll’s, dieser Spuk wird gleich vorbei sein, wenn die Polizei erkennt, dass es bei mir nichts Kriminelles zu finden gibt. Trotz der Schläge des maskierten Polizisten warte ich in aller Ruhe, bis das Handy ausgeschaltet ist, und übergebe es ihm dann. Er ist sichtlich wütend und reißt es mir aus der Hand.

Die maskierten PolizistInnen werden jetzt abgezogen, und zwei Beamte in Uniform stellen sich neben mich, um mich zu bewachen. Das Kamerateam der Polizei bleibt immer in meiner Nähe, filmt mir direkt ins Gesicht und dokumentiert alles. Später erfahre ich, dass unten vor dem Haus der zuständige Staatsanwalt Wolfgang Handler von der Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt in einem Auto sitzt und über diese Filmkamera die ganze Aktion live mitverfolgt. Warum auch immer.

Ich stehe an die Wand gelehnt im Raum, rechts und links neben mir uniformierte Beamte, die mich bewachen, und beobachte, wie zehn wildfremde Personen meine privaten Sachen durchsuchen, meine Unterwäsche einzeln aus einer Lade nehmen und begutachten, meine Aufzeichnungen lesen und jedes meiner Bücher durchblättern. In der Mitte des Raumes werden Dinge aufeinandergestapelt, die offenbar irgendwie relevant sein sollen. Dazu gehören Tierschutzzeitschriften, Flugblätter, Buttons und verschiedene T-Shirts. In kürzester Zeit versinkt mein Wohnraum in ein komplettes Chaos, weil alles aus den Laden und Kästen einfach herausgerissen und auf den Boden geworfen wird.

Da erscheint eine Assistentin meines Rechtsanwalts in der Tür, weist sich gegenüber der Polizei aus und erzählt mir, dass gerade das Büro des Vereins Gegen Tierfabriken, jenes Tierschutzvereins, dessen Obmann ich bin und der mich seit zehn Jahren als Mitarbeiter anstellt, von der Polizei zerlegt wird. Weil dort niemand sei, werde sie jetzt hinfahren. Tatsächlich, so erfuhr ich später, war die Polizei mit zwei Lkws bei unserem Wiener Büro vorgefahren und hatte zur selben Zeit, in der meine Hausdurchsuchung stattfand, begonnen, alles, was nicht niet- und nagelfest war, aus dem Büro abzutransportieren. Als die Angestellten in der Früh an ihren Arbeitsplatz kamen, war alles leergeräumt. Berge von Akten, alle Computer, alle Videos, Fotos und Kameras, einfach alles war abtransportiert worden. Ein zentraler Teil des Repressionskalküls ist es von Anfang an gewesen, unseren Verein lahmzulegen. Er sollte auch keine Medienarbeit mehr leisten und seine Mitglieder nicht mehr kontaktieren können. Man wollte den VGT zerschlagen, weil man ihn als die zentrale Kraft hinter einer subversiven Tierschutztätigkeit in Österreich sah und mich, als dessen Obmann, in der Rolle des Mafiapaten.

Inzwischen gewinne ich immer mehr meine Selbstsicherheit zurück. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich von der Polizei verhaftet werde, wenn ich auch das erste Mal eine Hausdurchsuchung erlebe. Aber irgendwann hat auch so etwas kommen müssen, das ist mir schon klar. Allerdings habe ich zu diesem Zeitpunkt die volle Überzeugung, dass die Polizei letztendlich unverrichteter Dinge wieder abziehen wird, weil sie nichts finden wird. Am nächsten Tag schon, bin ich mir sicher, werden wir alle bereits über diesen Blödsinn lachen können. Wie sollte ich mich da irren!

Ich lese den Hausdurchsuchungsbefehl genau durch. Dort steht, ich hätte das Recht auf die Anwesenheit einer Vertrauensperson. „Ich möchte“, sage ich jetzt laut, „eine Vertrauensperson beiziehen. Das ist mein gutes Recht. Ich fordere, dass Sie meinen Vater anrufen und ihm sagen, dass er herkommen soll.“ Wieder Verwirrung unter den BeamtInnen. Offenbar sind sie so bestimmt vorgetragene Forderungen ihrer Opfer normalerweise nicht gewohnt. Sie telefonieren wieder mit dem Staatsanwalt. Einmal werde sie meinen Vater anrufen, erklärt die Chefinspektorin, wenn aber keine Verbindung zustande komme, hätte ich Pech gehabt. Kurz darauf trifft mein Vater in der Wohnung ein und beginnt alles zu fotografieren. Auch das löst Verwirrung bei der Polizei aus. Man nimmt ihm mit Gewalt die Kamera weg und löscht einige Bilder. Letztendlich wird ihm erlaubt, Dinge zu fotografieren, die abtransportiert werden, aber keine BeamtInnen. Diese Maßnahme ist nicht gesetzlich gedeckt, es handelte sich wieder nur um Willkür derjenigen, die durch Gewalt das Sagen haben. Die gesamte Hausdurchsuchung war eigentlich gesetzwidrig, weil die BeamtInnen mir anfangs die Möglichkeit hätten einräumen müssen, die konkreten Gegenstände, die sie suchten, herauszugeben. Nur, sie suchten überhaupt keine konkreten Gegenstände. Sie wollten einfach meine Sachen durchwühlen, einerseits in der Hoffnung, irgendetwas Inkriminierendes zu finden, andererseits, um mich psychisch unter Druck zu setzen und zu verängstigen. Später beanstandeten wir diesen Umstand vor einem Gericht. Der Richter meinte nur, die Polizei habe generell eine schwere Aufgabe in dieser Gesellschaft, und man könne da nicht verlangen, dass sie sich an die Buchstaben des Gesetzes halte; man müsse schon tolerant sein, wo käme man sonst hin. Mit diesen Worten lehnte er unsere Eingabe ab.

Jetzt durchsuchen die BeamtInnen bereits seit drei Stunden meine Wohnung. Aufs Klo darf ich nur in Begleitung eines Polizisten gehen. Plötzlich kommt ein Beamter aus meinem Schlafzimmer und verkündet, er habe etwas „Einschlägiges“ gefunden. Ich schaue ihm über die Schulter, obwohl er das zu verhindern versucht. Es handelt sich um 15 Jahre alte Tierschutzflugblätter aus meiner Zeit in England. Na großartig, wenn das alles ist, denke ich mir still.

Besonders sind die BeamtInnen an meinen Computern interessiert. Einer nimmt meinen Laptop und sagt, ich solle ihn einschalten. Ich schüttle den Kopf. Daraufhin wirft er ihn aus 30 Zentimeter Höhe auf den Boden. „Könnten Sie vielleicht vorsichtiger mit meinen Sachen umgehen?“, frage ich höflich. Der Beamte grinst, hebt meinen Laptop auf und wirft ihn noch einmal auf den Boden. Ich schweige. Die Machtverhältnisse sind klar verteilt.

Okay, denke ich mir, jetzt möchte ich versuchen, das Beste aus meiner Situation zu machen. Die uniformierten Polizisten neben mir sind gelangweilt und achten nicht genau darauf, was ich tue. Die zivilen BeamtInnen wühlen alle irgendwo in meinen Sachen. Die Chefinspektorin ist meinen Kleiderkasten durchgegangen und hat einen großen Stapel von T-Shirts gebildet, die ihrer Ansicht nach inkriminierende, subversive Sprüche zeigen. Diese T-Shirts sollen alle beschlagnahmt werden. Ich steige über den Stapel und gebe vor, einem der Beamten genau zuzusehen, wie dieser irgendwelche Laden durchwühlt und ihren Inhalt auf den Boden leert. Die beiden Polizisten stellen sich pflichtbewusst neben mich, direkt hinter mir ist der T-Shirt-Stapel. Und so beginne ich in den nächsten Minuten, mit meinen Zehen nach hinten auf den Stapel zu greifen und ein T-Shirt nach dem anderen herunterzunehmen und nach hinten zu werfen. Es funktioniert, niemandem fällt es auf, bis alle T-Shirts im Zimmer verteilt auf den durchwühlten Gegenständen liegen. Ein kleiner moralischer Sieg. Letztendlich wird kein einziges T-Shirt von mir beschlagnahmt.

Nach dieser gelungenen Operation wende ich mich einer wichtigeren Sache zu. In einem Stapel von Zeitschriften auf einem Bücherkasten liegt eine externe Festplatte, die ein Backup meiner Computerdaten enthält. Ich rechne damit, dass man mir alle Computer wegnehmen und eine lange Zeit nicht mehr zurückgeben wird. Nur mit diesem Backup kann ich meine Daten retten und später weiterarbeiten, z. B. sind dort die PowerPoint-Präsentationen für meine Schulvorträge und alle E-Mails gespeichert, aber auch meine Urlaubsfotos usw. Ich stelle mich neben den Kasten und versuche, unbeteiligt zu wirken. Langsam, Zentimeter für Zentimeter, nähert sich meine Hand der Festplatte, und letztendlich greife ich sie und lasse sie in den immer größeren Haufen von Sachen fallen, die von den BeamtInnen aus den Laden und Kästen auf den Boden geleert wurden. Mit dem Fuß schiebe ich die Festplatte tief unter andere Dinge, sodass sie nicht mehr sichtbar ist. Operation gelungen, nach meiner Entlassung aus der U-Haft war dieses Backup meine Rettung. So hatte ich alle meine Daten, Vorträge, Fotos, Filme, Artikel und Buchkonzepte zu meiner Verfügung. Von der Polizei sollte ich erst nach vielen Jahren Kopien meiner Computerfestplatten wiederbekommen, und das in einem Zustand, in dem sie für mich unbrauchbar waren.

Plötzlich eröffnet mir die Polizei, dass Staatsanwalt Wolfgang Handler, der die Ermittlungen leitet, mit mir zu sprechen wünscht. Er sei unten auf der Straße vor dem Wohnhaus. Ich werde also hinuntergeführt, an allen NachbarInnen vorbei, die mich mitleidig anschauen. Unten erkenne ich erst, wie groß diese Polizeiaktion angelegt ist, mit zahlreichen Autos, einem eigenen Wagen für die Stromversorgung des Kamerateams und insgesamt mindestens 35 BeamtInnen, wie mir NachbarInnen später bestätigen. Der Staatsanwalt steht mir gegenüber. Ich frage ihn, was das alles soll. „Das wissen Sie genau!“, versucht er scharf zu wirken, kann aber seine Unsicherheit nicht überspielen. Nervös zuckt er mit den Augen. „Was ist der Vorwurf? Was für Beweise liegen gegen mich vor?“, frage ich ruhig. „Brandstiftung, Nötigung, Sachbeschädigung“, meint er abgehackt. „Wie bitte?“, ich kann das wieder einmal nicht fassen. „Was für eine Brandstiftung? Wovon reden Sie überhaupt?“ Soweit ich mich zurückerinnere, ist mir keine Brandstiftung bekannt, die mit Tierschutz in Zusammenhang stehen könnte, außer vielleicht vor zehn Jahren. Ich hätte eine Jagdhütte angezündet, meint der Staatsanwalt, sagt es aber so leise und nicht direkt an mich gerichtet, als ob er sich nicht sicher ist. Dann sieht er offenbar in der Unterhaltung keinen Sinn mehr und lässt mich wieder hinauf in die Wohnung bringen.

Dort wird bereits seit mehr als vier Stunden alles auseinandergenommen. Auch mein Auto vor der Tür, das der Polizei offensichtlich bekannt war, wird durchsucht. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich es noch nicht, aber mein Fahrzeug hatte sechs Monate lang einen Peilsender montiert gehabt, der im Laufe der Hausdurchsuchung auch abgenommen wurde. Die Polizei hatte also sechs Monate lang genau verfolgt, wo ich hingefahren war.

Wieder in meinem Wohnraum angekommen, sehe ich ein kleines Sackerl ganz oben im Bücherkasten hinter den Büchern stehen. Das enthält einen Dietrich, fährt es mir siedend heiß ein. Das ist ein Nachsperrwerkzeug, das wir manchmal für unsere Recherchen in Tierfabriken verwenden. So kann man Türen auf- und zusperren, ohne einen Schlüssel zu haben und ohne Spuren zu hinterlassen oder etwas zu beschädigen. Diese Recherchen sind notwendig, um die Öffentlichkeit über die Zustände in Tierfabriken aufklären und Filmaufnahmen von dort zeigen zu können. Das sollten sie nicht finden, denke ich mir. Die meisten BeamtInnen, insbesondere Chefinspektorin Bettina Bogner, sind so klein, dass sie dort gar nicht hinaufsehen. Bogner selbst geht aber systematisch jedes einzelne meiner etwa 1200 Bücher in den Stellagen durch, nimmt es heraus, blättert durch die Seiten und stellt es zurück. Die Gefahr ist groß, dass sie trotz ihrer geringen Größe das Sackerl mit dem Dietrich finden könnte. Die Reihenfolge, in der sie die Bücher aus dem Regal nimmt, zeigt mir, dass die Bücher vor dem Sackerl die allerletzten sein werden, die sie anschauen wird. Ich habe also noch etwas Zeit. Andere BeamtInnen beginnen bereits, einige der beschlagnahmten Gegenstände aus dem Haus zu tragen, insbesondere alle meine alten Computer, auch den meines Vaters von 1995, der bei mir abgestellt war.

Jetzt dauert die Hausdurchsuchung bereits sechs Stunden, Bogner ist vielleicht noch 20 Bücher vom Dietrich entfernt. Ihre KollegInnen murren. Einer will ein Klebeband von mir nehmen, um DVDs für den Abtransport zusammenzupacken. „Ich möchte nicht, dass Sie mein Klebeband dafür verwenden“, sage ich aufmüpfig, mit einem Auge auf die Polizistin, die sich Buch für Buch meinem Dietrich nähert. So was von unkooperativ, meint der Beamte und verlässt mit den DVDs ohne mein Klebeband die Wohnung. Als Bogner die letzten Bücher erreicht, spreche ich sie an. Wie sie auf mich gekommen sei, frage ich sie, wie lange das noch dauern werde, was als Nächstes passieren werde usw. Es gelingt mir, sie abzulenken, sie spricht widerwillig mit mir und vernachlässigt dabei die letzten Bücher im Regal. In der Wohnung entsteht eine allgemeine Aufbruchsstimmung, man beschließt, die bereits beschlagnahmten etwa 100 „einschlägigen“ Bücher mit offenbar subversiv-radikalem Inhalt doch nicht mitzunehmen, weil das zu schwer wäre. Bogner bricht tatsächlich nur fünf Bücher vor meinem Dietrich die Durchsuchung ab und schaut sich keine weiteren Bücher mehr genau an; der Dietrich bleibt, wo er ist, unerkannt. Ich atme auf.

Ich würde jetzt zur Polizeistation gebracht, verkündet man mir. Ich rechne mit 24 oder maximal 48 Stunden, bis man mich wieder freilassen wird. Bei einem Verdacht wegen Übertretung des Strafrechts darf die Polizei eine Person 48 Stunden lang in Gewahrsam halten, dann muss man per Gerichtsbeschluss in eine Haftanstalt gebracht oder wieder entlassen werden. Kein Richter und keine Richterin der Welt wird mich ohne Verdacht festhalten, bin ich mir sicher. In 48 Stunden werde ich also wieder draußen sein. Trotzdem nehme ich mir zwei Bücher, frische Unterwäsche, eine Schlafhose, eine Zahnbürste und Zahnpasta sowie eine Seife mit. Ich lebe seit 1989 vegan und verwende deshalb auch keine Produkte, die im Tierversuch getestet wurden, wie konventionelle Seife oder Zahnpasta. Die uniformierten Polizisten drängen zum Aufbruch. Man verfrachtet mich in ein Polizeiauto und führt mich zur Rossauer Kaserne.

10. Die erste Haftverhandlung

Ich setzte meine große Hoffnung in die erste Haftverhandlung am Freitag, dem 6. Juni 2008. Noch immer zählte ich auf die Rechtsstaatlichkeit in Österreich, dass also eine unabhängige Richterin dem Spuk ein Ende machen müsse, wenn weiterhin keine Beweise für einen dringenden Tatverdacht gegen mich vorgelegt würden. Die Mitgefangenen, mit denen ich auf der Krankenstation zu sprechen kam, dämpften aber meine Erwartungen. Fast niemand komme vor seinem Prozess aus der U-Haft heraus, wurde mir erklärt. Nach vier bis spätestens sechs Monaten würde ich meine Gerichtsverhandlung haben, und bis dahin würde ich mich gedulden müssen. Das sagten sie aber nicht ohne Mitgefühl und Solidarität. Einige erklärten frei heraus, dass sie es verdienen würden, hier zu sein, aber ich als Tierschützer nicht. Das sei eine einzige große Frechheit, was mit uns hier aufgeführt werde. Offenbar seien wir Wirtschaftstreibenden mit unseren Tierschutzkampagnen auf die Nerven gegangen, die einen guten Draht in die Politik hätten.

Ich versuchte, mich durch diese Aussagen nicht zu sehr irritieren zu lassen, wollte aber nicht ernsthaft ins Auge fassen, nach dem 6. Juni weiterhin in Haft bleiben zu müssen. Mein Anwalt Stefan Traxler war auch zuversichtlich, zumal einfach nichts Konkretes gegen mich vorgelegt wurde. Der Großteil der Akten war aber für die Verteidigung nicht zugänglich, insbesondere alle Akten der polizeilichen Ermittlungen. Allerdings dürfte rein gesetzlich die U-Haft nur bezüglich Ermittlungsergebnissen ausgesprochen werden, die auch von der Verteidigung eingesehen werden können.

Am 4. Juni, zwei Tage vor der Haftprüfung, hielt der VGT eine Pressekonferenz ab. Mein Bruder Harald als Geschäftsführer des VGT sprach zusammen mit dem Vizepräsidenten des Verbandes österreichischer Tierschutzorganisationen, Alex Willer, der die Solidarität der gesamten Tierschutzszene bekundete, meinem Anwalt Stefan Traxler und dem Menschenrechtsexperten Eberhart Theuer zu den MedienvertreterInnen. Auf der Pressekonferenz wurde auch ein Appell von mir verlesen, den ich auf der Krankenstation geschrieben hatte und der mit den folgenden Worten endete: „Als Begründung für die Polizeiaktion musste mangels konkreter Verdachtsmomente eine möglichst vage und unkonkrete Anschuldigung gefunden werden. Man entschied sich für § 278a StGB, Bildung einer sehr großen kriminellen Organisation. […] Um diese brachiale Großaktion gegen den Tierschutz vor der Öffentlichkeit zu begründen, [verbreitete die Polizei] dann Verdachtsgründe von Brandanschlägen und Gasangriffen. Davon findet sich aber nichts im Akt. Noch nie gab es in Österreich einen Gasangriff mit Tierschutzbezug, und die letzte tierschutzrelevante Brandlegung ist mindestens sechs Jahre her. De facto sind Sachbeschädigungen im Namen des Tierschutzes in Österreich im internationalen Vergleich ausnehmend selten. […] Dieser Skandal darf nicht geduldet werden. Alle, denen Tierschutz oder Menschenrechte ein Anliegen sind, bitte ich, jetzt aktiv zu werden, um dieses Verbrechen zu verhindern. Derartige Polizeiwillkür gegen unbequeme NGOs kennt man vielleicht aus Diktaturen, aber nicht aus einer Demokratie. Bitte zeigen Sie Rückgrat und stehen Sie gemeinsam gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit auf.“

Am 6. Juni folgte eine weitere Pressekonferenz zur Tierschutzcausa vom Verband österreichischer Tierschutzorganisationen zusammen mit den Jungen Grünen/Jungen Alternativen und der Jungen Generation der SPÖ. Einigkeit herrschte über die große Unrechtmäßigkeit der Inhaftierung, die aufgrund vager Vorwürfe seit Wochen aufrechterhalten werde.

Schon von Anfang an war man darüber verwundert, dass dieses Verfahren von der Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt, durch Staatsanwalt Wolfgang Handler, geführt wurde. Nur einer der zehn Beschuldigten lebte in Wr. Neustadt, es war kein unmittelbarer Anlass für die Zuständigkeit dieser Staatsanwaltschaft ersichtlich. Allerdings ist in Justizkreisen bekannt, dass das Landesgericht Wr. Neustadt als streng gilt und eher Zwangsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen und Untersuchungshaft genehmigt als andere Gerichte. Ebenfalls am 6. Juni, also am Tag der Haftverhandlung, gestand die damalige SPÖ-Justizministerin Maria Berger öffentlich ein, diesbezüglich einen Fehler begangen zu haben. Die Zuständigkeit von Wr. Neustadt sei aus „registrierungstechnischen Gründen“ nur zufällig und versehentlich passiert. Der Name einer Person, eines grünen Gemeinderats, sei unter die der Beschuldigten gerutscht und als erster genannt worden, obwohl er gar keinen Bezug zu Tierschutzorganisationen habe und für dieses Verfahren irrelevant sei.

Dieser deutliche Hinweis auf politische Machenschaften im Hintergrund unseres Falles machte mich zuversichtlich, als ich zu Mittag aus meiner Zelle geholt wurde, um ans Wr. Neustädter Landesgericht gebracht zu werden. Ich hatte an den zwei Tagen vorher ein bisschen Obst gegessen, das mir eine Krankenschwester gegeben hatte, um trotz meines Hungerstreiks so weit zu Kräften zu kommen, dass ich die Reise überstehen würde. Diesmal fuhren wir in einem Kleinbus der Justizanstalt, und ich konnte, mit Handschellen gefesselt, auf der Rückbank mit den drei anderen Tierschutzgefangenen aus dem Wiener Gefängnis sitzen und plaudern. Ich kannte die drei zwar nicht näher, aber aufgrund des ähnlichen Schicksals konnten wir uns zwanglos unterhalten. Alle waren wir total erstaunt, dass man in Österreich wegen normaler Demonstrations- und Kampagnentätigkeit eingesperrt werden konnte. Wir erwarteten ein Ende der Haft in wenigen Stunden.

Ähnliches dachten wahrscheinlich die gut 50 DemonstrantInnen, die uns vor dem Landesgericht in Wr. Neustadt erwarteten. Unter lautem Geschrei und Gejohle wurden wir in das Gefängnis gefahren. Dass viele der anwesenden TierschützerInnen aus Solidarität mit uns weinten, berührte mich wirklich innerlich, und ich fühlte mich nicht mehr so allein und hilflos. In Wr. Neustadt kam ich zunächst in eine Wartezelle und konnte dann mit meinem Anwalt sprechen. Wir wussten beide nicht, was uns bei dieser Haftverhandlung erwarten würde. Traxler hatte im Vorfeld versucht, die zuständige Richterin Astrid Toifl-Goster zu sprechen, aber sie hatte keine Zeit für ihn gehabt. Andererseits gab es ja keine konkreten Vorwürfe, die wir hätten widerlegen müssen.

Eine Wache brachte mich in den Verhandlungssaal. Da die Haftverhandlungen nicht öffentlich sind, saßen dort nur mein Anwalt Stefan Traxler sowie Staatsanwalt Wolfgang Handler, Richterin Toifl-Goster und eine Schreibkraft. Die Richterin erschreckte mich in ihrer Erscheinung, sie trug eine violette Robe mit einem violetten Hut und hatte kohlrabenschwarz geschminkte Lippen, die sie in einer Weise spitz zusammenführte, die mich an das Hinterteil einer Katze erinnerte. Ihr Blick vermittelte mir das Gefühl, dass sie mich abgrundtief verachtete.

Zuerst sagte der Staatsanwalt kurz, dass ich dringend tatverdächtig sei, der Chef einer kriminellen Organisation zu sein. Mein Anwalt hielt mangels konkreter Tatvorwürfe, die es zu entkräften gegolten hätte, ein kurzes Plädoyer für meine Freilassung. Dann zitierte die Richterin aus einer E-Mail von mir, in der ich Aktionen der ALF verteidigen würde. Dabei hatte es sich um eine Diskussion auf einer Internetplattform gehandelt. Unbekannte Personen hatten nämlich eine Stinkbombe in eine Filiale von Kleider Bauer in Graz geworfen, vor der gleichzeitig seit vielen Monaten gegen Pelz demonstriert wurde. Einige AktivistInnen schrieben deshalb auf dieser Internetplattform, sie würden mit den Demonstrationen aufhören wollen, und kritisierten den Stinkbombenwurf scharf. Ich hatte dazu geantwortet, dass man das in Relation setzen müsse, es handle sich doch nur um eine Stinkbombe, also um Geruch, der mit der Zeit vergehe, und nicht einmal um eine richtige Sachbeschädigung. Es ging mir damals darum, die AktivistInnen zu überzeugen, nicht aufgrund dieser Aktion ihre Demonstrationen einzustellen. Ich erklärte das der Richterin.

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Foto 5: Dem Staatsanwalt wird vorgeworfen, die Gründe für die U-Haft nur vorgeschoben zu haben.

Diese fragte mich dann, warum ich einen Datenstick in meinem Socken versteckt hätte, auf dem Bekennerschreiben zu finden gewesen seien. Ich hatte nie einen Datenstick auf diese Weise versteckt und wusste überhaupt nicht, worauf die Richterin anspielte. Später erfuhr ich, dass mein Bruder bei seiner Einvernahme einen Datenstick in einem Socken versteckt hatte, weil dieser Stick die Mitgliederdaten des VGT enthielt und mein Bruder als Geschäftsführer Angst hatte, dass bei Beschlagnahme dieses Sticks der Verein ohne Kontakt zu seinen Mitgliedern nicht weiterbestehen könne. Das betreffe nicht diesen Häftling, half mir der Staatsanwalt.

Die Richterin fragte mich, ob ich nach meiner Freilassung weiter Obmann des VGT bleiben wolle. Verwirrt über diese seltsame Frage bejahte ich. Es sei offensichtlich, murmelte die Richterin, dass der VGT mit Straftaten zu tun haben müsse, wenn er gegen Geschäfte demonstriere, gegen die es auch Anschläge gegeben habe. Wer sollte sonst dafür verantwortlich sein? Dann überreichte sie mir ein vorgefertigtes Urteil: Meine U-Haft wurde um einen Monat verlängert. Insgesamt hatte diese „Verhandlung“ weniger als fünf Minuten gedauert. Ich konnte es nicht fassen.

Einige Monate später fanden wir im Ermittlungsakt die Abschrift des Protokolls eines Gesprächs zwischen Richterin Toifl-Goster und dem operativen Leiter der polizeilichen Ermittlungen gegen uns, Josef Böck, am Vortag dieser Haftverhandlung, dem 5. Juni. Im Gegensatz zu meinem Rechtsanwalt, für den sie keine Zeit gehabt hatte, traf Toifl-Goster diesen Polizeieinsatzleiter, der ihr erschütternderweise eine ganze Reihe von Unwahrheiten über die Ermittlungsergebnisse auftischte und Fotos von der Hausdurchsuchung in unserem Materiallager zeigte. Auf Basis dieser Vorwürfe, die uns gar nicht bekannt waren, wurde ich zu weiterer U-Haft verurteilt.

Josef Böck hatte laut Toifl-Gosters Protokoll gesagt:

Bei fast allen der 10 in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten wurden Tarnanzüge, Sturmmützen und Einwegspritzen, wie sie für Buttersäureattentate verwendet werden, sichergestellt.

Sieht man die Hausdurchsuchungsprotokolle durch, dann findet man, dass bei keinem einzigen der Beschuldigten alle der angegebenen Gegenstände gefunden wurden. Bei fünf der zehn gab es Einwegspritzen, weil diese Personen als TierpflegerInnen arbeiten und dafür solche Spritzen unumgänglich sind. Eine einzige Person hatte einen Military-Tarnanzug und einige Sturmhauben. Ich hatte weder Einwegspritzen noch Tarnanzüge oder Sturmhauben zu Hause.

Bei der Hausdurchsuchung im Büro des VGT wurde hochspezialisiertes, professionelles Einbruchswerkzeug [sichergestellt].

Es handelte sich um Dietriche, also Nachsperrschlüssel mit dem Zweck, bei Recherchen in Tierfabriken unter Umständen auch versperrte Türen öffnen zu können, ohne sie zu beschädigen. Böck war dieser Zweck der Dietriche sehr genau bekannt, weil sein Langzeitspitzel im VGT einem Vortrag von mir beigewohnt hatte, in dem ich diese Dietriche vorstellte und ihren Sinn erklärte. Abgesehen davon war dieser Spitzel auch bei einer Reihe von derartigen Recherchen dabei, die dazu dienen, Filmmaterial aus Tierfabriken zu beschaffen. Zu keiner Straftat, die man der imaginierten kriminellen Organisation andichtete, war ein Einbruchswerkzeug verwendet worden.

Im Lager des VGT [gab es] diverse Gegenstände, die mit den zur Last gelegten Sachbeschädigungen in Verbindung stehen können (auffallend viel Farben und Lacke, alte Öllampe ohne Glas – Wurfgeschoß für Brandanschläge?, auffallend viele Flaschen mit Terpentin). […] Böck zeigt mir Bilder von den sichergestellten Gegenständen.

Das Lager des VGT enthielt ausschließlich Gegenstände, die für die Aktionen und Demonstrationen des VGT verwendet wurden. Noch nie hat es im Tierschutz Brandanschläge durch geworfene Öllampen gegeben. Böck wusste ganz genau, dass kein Gegenstand im VGT-Lager verdächtig war. Eine von der Polizei beauftragte chemische Analyse aller Flüssigkeiten, die im Lager gefunden worden waren, ergab, dass nichts davon mit einer Straftat in Verbindung zu bringen war. Diese Untersuchung versuchte die Polizei ebenfalls als „irrelevant“ zu vertuschen.

Aufgrund der Tatsache, dass die vermutlich wichtigsten Dateien [auf den Computern der Beschuldigten] (Aufzeichnungen von diversen ALF-Aktivitäten) verschlüsselt sind und die meisten PCs mit Kennwörtern versehen sind, werden die diesbezüglichen Erhebungen zwischen einigen Wochen bis zu sechs Monaten dauern.

Böcks Polizeispitzel, der zu dieser Zeit noch immer im VGT aktiv war, hatte in den 14 Monaten zuvor an mehreren Workshops zur Computerverschlüsselung teilgenommen und sich an der verschlüsselten Kommunikation beteiligt, wusste daher ganz genau, dass und wozu beim VGT wie auch bei anderen NGOs Computerverschlüsselung verwendet wurde. Die Überzeugung, dass dadurch Aufzeichnungen von ALF-Aktivitäten hätten vertuscht werden sollen, war eine reine, unbegründete Vermutung von Böck, die er der Untersuchungsrichterin vortrug, als würde es sich um sichere Erkenntnisse der Polizei handeln.

Im restlichen Gespräch mit der Richterin hatte Böck noch von 800.000 Euro Schaden gesprochen, der angerichtet worden sei, davon, dass eine Beschuldigte Zeitungsartikel zu Straftaten mit Tierschutzbezug gesammelt habe und dass der U-Häftling Chris Moser in seinem Tiroler Bauernhaus Sägen habe sowie eine Landkarte einer Gegend bei Zurndorf im Burgenland, in der er an einer Aktion gegen eine Treibjagd teilgenommen hatte. In derselben Region sei eine Woche vorher eine Jagdhütte abgebrannt.

Wir konnten das Ergebnis dieser Haftverhandlung nicht begreifen. Für alle zehn U-Häftlinge wurde die Haft um einen Monat verlängert. Am Montag darauf brachten unsere RechtsanwältInnen gegen diese Urteile Berufung beim Wiener Oberlandesgericht ein. Alle juristischen ExpertInnen, die das Urteil lasen und die uns zugänglichen Akten einsehen konnten, waren sich einig, dass dieser Berufung stattgegeben werden müsse. Ohne konkreten Tatverdacht könne es auch keine U-Haft geben. Auf meiner Krankenstation saß auch ein ehemaliger Richter des Oberlandesgerichts Wien wegen Betrugsverdachts ein. Er las alle meine Akten mit Interesse und sagte mir im Brustton der Überzeugung, dass ich mich nicht zu sorgen brauche, weil dieses Urteil niemals im Leben halten könne. Trotz meiner furchtbaren Situation, mit der Aussicht auf einen weiteren Monat im Gefängnis, fasste ich ein bisschen Zuversicht.

Die Medienberichterstattung zum Ergebnis der Haftverhandlung war tendenziell distanziert kritisch. Niemand schrie „Skandal!“, niemand fand aber auch das Vorgehen der Behörden nachvollziehbar. Nur Oliver Jaindl vom „Kurier“ versuchte in einem Artikel vom 7. Juni weiter, gegen die Beschuldigten und mich zu polemisieren. „Die Zahl der Demonstranten vor Gericht wird immer kleiner“, verkündete schon der Untertitel, und danach stand: „Aktivisten und Verteidiger beklagten die angeblich mangelhafte Weitergabe von Akten durch die Justiz. Verschwörungstheorien wurden gehegt, gar von politisch instrumentalisiertem Strafverfahren war die Rede. Und: Es gebe keine konkreten Vorwürfe. Aus Justiz-Papieren, die dem Kurier vorliegen, geht allerdings hervor, dass es sehr wohl konkrete Zuordnungen von Verdächtigen und angelasteten Vorwürfen gibt. […] Freitag fand jedenfalls zum Leidwesen der Anrainer rund um das Gericht die jüngste unzähliger Demos statt. […] Die Kundgebung verlief im Vergleich zu früheren Demonstrationen friedlich. Das lag vielleicht daran, dass sich nur rund 20 Teilnehmer einfanden.“

Mein Bruder Harald verfasste daraufhin am nächsten Tag eine Presseaussendung zu diesem Artikel mit dem Titel „Kurier verbreitet Unwahrheiten“. Darin schrieb er: „Ich weiß nicht, was den Kurier dazu bringt, derartige Falschaussagen […] zu verbreiten.“ Es sei bemerkenswert, dass der „Kurier“ Justizpapiere habe, die nicht einmal der Verteidigung vorliegen würden. Das lege den Verdacht auf Bruch des Amtsgeheimnisses nahe. Und weiter: „Gerade bei so einem Verfahren, bei dem es schnell zu Vorverurteilungen und Imageschäden kommen kann, die nicht wiedergutzumachen sind, ist es besonders wichtig, dass seriös und richtig Bericht erstattet wird. Halbwahrheiten müssen vermieden werden. Wir appellieren in dieser Hinsicht besonders an den Kurier, darauf zu achten, seine Leserschaft korrekt zu informieren.“

Im „Standard“ schrieb Peter Pilz am selben Tag einen Kommentar, in dem er die Anwendung von § 278a gegen die ÖVP diskutierte. Dort würde man viel eher von einer Mafia sprechen können, die erheblichen Einfluss auf die Politik nehmen wolle. Madeleine Petrovic verfasste einen Gastkommentar in der „Presse“ mit dem Titel „Für Martin …“, in dem sie schrieb: „Die überfallsartige Polizei-Aktion des Innenministers gegen 14 österreichische Tierschutzvereine war überzogen, unverhältnismäßig und unangemessen. Die seit 21. Mai 2008 über Martin B. und neun weitere AktivistInnen verhängte U-Haft ohne konkrete, begründete Vorwürfe und ohne volle Akteneinsicht für die AnwältInnen ist eine rechtsstaatliche Katastrophe – ebenso wie das ‚Hinbiegen‘ der gerichtlichen Zuständigkeit nach Wr. Neustadt durch einen mittlerweile eingestandenen ‚Fehler bei der Benennung des Aktes‘. […] Alle diese Umstände und historische Vergleiche mit Widerstandsbewegungen weisen deutlich darauf hin, dass die Tierrechtsbewegung offenbar so erfolgreich wird, dass alle erdenklichen Schikanen und Fouls aufgeboten werden, um den etablierten Kräften und ihren profitablen Geschäften mit dem Leid von Tieren noch ein wenig Zeit zu geben. […] Geht es nach dem derzeitigen Innenminister, dann scheint es überhaupt nur wenige Kapitalverbrechen zu geben: den Tierschutz im Allgemeinen, den Verbleib in Österreich nach negativer Asyl-Entscheidung (Arigona und andere) oder das Eingehen einer Ehe mit einer Person ohne EWR-Zugehörigkeit. […] Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen der Forderungen der Tierrechtsbewegung geht es aber auch um Grundfragen des Menschseins und um das bröselnde Selbstbewusstsein des weißen Mannes. Charles Darwin hat gezeigt, dass der Mensch nicht die einzigartige, vom Tierreich losgelöste Krone des Lebens ist. […] Sigmund Freud hat die vorletzte Bastion der Überlegenheit des Homo sapiens, die Dominanz kognitiver Prozesse, relativiert. […] Und selbst in dem zusammengeschmolzenen Bereich scheinbarer menschlicher Überlegenheit, im Bereich des kognitiven Denkens, ist der Mensch kein Solitär der Entwicklung. Martin B. hat die Kontinuität des Bewusstseins postuliert und damit die wohl allerletzte Begründung für das milliardenfache Leid, das Tieren zugefügt wird, als unhaltbare Ideologie entlarvt. Dahinter stehen zwei entgegengesetzte Grundauffassungen von Menschheit und Gesellschaft. […] Ich zweifle keine Sekunde daran, dass nach der Abschaffung der Sklaverei, nach der Formulierung der Menschenrechte und nach der Abschaffung der Vorrechte von Stand und Geburt das Postulat der Tierrechte der nächste Meilenstein der Rechtsentwicklung sein wird. So bitter die Zeit auch für Martin B. jetzt ist: WE SHALL OVERCOME.“

Gerd Maier von der Zeitschrift „Ökonews“ interviewte sowohl den Pressesprecher des Innenministeriums, Rudolf Gollia, als auch den Pressesprecher der Wr. Neustädter Staatsanwaltschaft, Johann Fuchs. Gollia verkündete im Namen der Polizei: „Es war alles angemessen. Ich sage dazu jetzt gar nichts mehr. Das muss Ihnen genügen. Ob Ihnen die Antwort passt, weiß ich nicht.“ Und zur Frage, wer das Vorgehen gegen den Tierschutz beschlossen habe: „Ich werde nicht sagen, wer das entschieden hat. Das ist nämlich irrelevant, wer das angeordnet hat. Sie werden von mir keine Namen hören.“

Fuchs sagte im Namen der Staatsanwaltschaft: „Ich gebe zu solchen Details keine Auskunft. Aussagen der Verteidiger kommentieren wir nicht. Es gibt eine dringende Verdachtslage, die für den Richter ausgereicht hat, um eine U-Haft zu verhängen. Mehr will ich nicht sagen. […] Ich gebe keinen Kommentar zu Ermittlungsergebnissen.“

Und im Berliner „Neuen Deutschland“ kommentierte Ingolf Bossenz die Haftentscheidung unter dem Titel „Leider nicht in Tibet“ so: „Sie haben Pech, die zehn Tierschützer, die seit drei Wochen in U-Haft sitzen und noch weiter dort schmoren müssen. Wäre eine solche von Willkür nachgerade strotzende konzertierte Polizei- und Justizaktion in Tibet erfolgt, würde sich tagtäglich die Abscheu darüber in die Spalten der Generalanzeiger-Presse ergießen. Doch der Skandal spielt im EU-Rechtsstaat Österreich. […] Der Verdacht liegt nahe, dass es vor allem um Einschüchterung geht. Das Exempel, das statuiert wird, soll für ein störungsfreies Funktionieren der Tierausbeutungsindustrie sorgen. Tierschutz im bürgerlichen Staat ist schließlich klar definiert. Wer mit der einen Hand seinen Hund krault und sich mit der anderen ein Schnitzel reinschiebt, entspricht dem schizophrenen Idealbild. Wer darin einen Widerspruch sieht, muss halt mit den Konsequenzen leben. Wie die zehn im Knast.“