Das Buch

Alle reden von der Rivalität zwischen den USA und der aufstrebenden Weltmacht China. Das Schicksal der einstigen Supermacht Rußland hingegen, das Deutschland und Europa unmittelbar angeht, wird sträflich vernachlässigt. Dabei ist Putins Imperium mit seinen immensen Bodenschätzen ein unverzichtbarer Partner des Westens.

Mit dem ihm eigenen Gespür für kommende Krisenherde hat Peter Scholl-Latour die unruhigen Grenzregionen Rußlands bereist: im Westen Weißrußland und die Ukraine, die die Ausdehnung von NATO und EU nach Osten und den damit einhergehenden Reformdruck zu spüren bekommen, im Süden die zentralasiatischen GUS-Staaten, in denen der Islamismus brodelt und die USA militärisch Fuß zu fassen suchen, in Fernost das chinesisch-russische Grenzgebiet, wo die dünnbesiedelten sibirischen Weiten dem Bevölkerungsdruck und Wirtschaftsboom Chinas ausgesetzt sind. Dieser Zangengriff, dem sich Putins Rußland an seiner West-, Süd- und Ostflanke gegenübersieht, wird unvermeidlich extrem nationalistische Reaktionen hervorrufen. Zwischen Minsk und Wladiwostok steuert alles auf eine weltpolitische Krise zu. Scholl-Latour versteht es glänzend, unmittelbare Erlebnisse und jahrzehntelange Erfahrungen zu einem eindringlichen Gesamtbild zusammenzufügen und deutlich zu machen, daß die Vorgänge in diesen Konfliktregionen uns unmittelbar betreffen.

Der Autor

Peter Scholl-Latour, geboren 1924 in Bochum. Seit 1950 arbeitete er als Journalist, unter anderem viele Jahre als ARD-Korrespondent in Afrika und Indochina, als ARD-Studioleiter in Paris, als Fernsehdirektor des WDR, als Herausgeber des STERN. Seit 1988 als freier Publizist tätig. Seine TV-Sendungen über die Brennpunkte des Weltgeschehens finden höchste Einschaltquoten und Anerkennung, seine Bücher sind allesamt Bestseller. Peter Scholl-Latour verstarb am 16. August 2014.

Von Peter Scholl-Latour sind in unserem Hause bereits erschienen:

Zwischen den Fronten (2007)
Der Weg in den neuen Kalten Krieg (2008)
Die Angst des weißen Mannes (2009)
Koloß auf tönernen Füßen (2006)
Weltmacht im Treibsand (2005)
Kampf dem Terror – Kampf dem Islam? (2004)

Peter Scholl-Latour

Rußland im Zangengriff

Putins Imperium

zwischen Nato, China und Islam

Ullstein

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Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch

Ullstein ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

1. Auflage November 2007

9. Auflage 2011

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2006/Propyläen Verlag

Umschlaggestaltung: HildenDesign, München

Titelabbildung: Nina Mallmann

(nach einer Vorlage von Morian & Bayer-Eynck, Coesfeld)

Satz: LVD GmbH, Berlin

E-Book-Konvertierung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

ISBN 978-3-8437-0171-6

Vorwort zum Taschenbuch
»Rußland im Zangengriff«

Aktuelle Einordnung

Im Januar 2006 war es noch eine kühne Vermutung, im belarussischen Minsk von einer »Rückkehr zum Kalten Krieg« zu reden. Heute ist das Thema in aller Munde. Natürlich besteht keine Gefahr, daß es jemals zu einer kämpferischen Auseinandersetzung großen Stils zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Russischen Föderation kommt. Diese Befürchtung hat seit der Kuba-Krise nicht mehr real bestanden. Heute würde im Extremfall das Weiterbestehen des nuklearen Patts die ehemaligen Kontrahenten des Ost-West-Gegensatzes zur Räson zwingen.

In München war im Frühjahr 2007 eine seltsame Aufregung im westlichen Lager aufgekommen, als bei der leider umbenannten »Wehrkundetagung« Wladimir Putin mit der Faust auf den Tisch schlug und die Dinge beim Namen nannte. Hatten Amerikaner und Deutsche denn wirklich geglaubt, der russische Präsident, der durch die harte Schule des KGB gegangen ist, werde passiv zuschauen, wie Washington und Brüssel eine politische »Einkreisung und Isolierung« seines Landes betrieben, und diese gefügig hinnehmen? Die US-Militärbasen in Zentralasien, im Kaukasus, in Polen und auf dem Balkan führen aus der Sicht des Kreml eine deutliche Sprache. Die Aufkündigung des ABM(Anti Ballistic Missiles)-Vertrags durch Washington beantwortet er mit der Absage an jenes Abkommen über die Reduzierung konventioneller Waffen, die einst zwischen dem Atlantischen Bündnis und dem Warschauer Pakt vereinbart wurde, zumal Letzterer nicht mehr existiert und die ehemaligen Sowjet-Satelliten sich heute im Lager der NATO wiederfinden.

Wen wundert es da, daß der »neue Zar« bei seinem Treffen mit Angela Merkel in Samara an der Wolga ihrer Forderung nach mehr Freiheit und nach Wahrung der Menschenrechte mit einer scharfen Replik begegnete? Wenn schon die USA von ihrer missionarischen Aufgabe, die Demokratie weltweit zu fördern, Abstand nehmen, indem sie die tyrannischsten Staaten der islamischen »Umma« in die Arme schließen und mit Waffenlieferungen überhäufen, dann mutet es wohl etwas vermessen an, daß die Bundesrepublik in die Rolle des globalen Tugendwächters schlüpft.

Die Ankündigung Putins, er werde auf die Entwicklung eines Raketen-Abwehr-Systems in Polen und einer großen Radar-Station in Tschechien notfalls mit der Ausrichtung eigener Lenkwaffen auf diese Ziele reagieren und deren Abschußrampen ausgerechnet in Kaliningrad oder Königsberg installieren, hat in den deutschen Medien und bei deutschen Politikern heftigen Protest ausgelöst. Aber was hatte man in Berlin erwartet? In der Perspektive Moskaus handelt es sich bei dem amerikanisch-polnischen Projekt um eine glatte Provokation, selbst wenn man das Argument einer Bedrohung Rußlands beiseite lassen kann. Die europäischen Partner der Atlantischen Allianz, die von Washington und Warschau über diesen heiklen Entschluß weder informiert noch konsultiert wurden, sollten die Frage aufwerfen, welchen konkreten Stellenwert die NATO noch für sie hat, wenn sie auf burschikose Weise übergangen wird. Der Verdacht könnte sogar aufkommen, die Bevorzugung der östlichen Bündnispartner solle zur Aufteilung des Kontinents in »junge und alte Europäer«, von der Donald Rumsfeld sprach, neu aufleben lassen und vertiefen. Die polnische Staatsführung, verkörpert durch das Zwillingspaar der Brüder Kaczynski, ermuntert nicht nur das Zurückdrängen des russischen Erbfeindes im Osten, sie lähmt auch die Handlungsfreiheit der Europäischen Union und legt sich mit ihrem westlichen Nachbarn, mit Deutschland, an.

Wozu soll diese Raketen-Abwehr in Polen nutzen? Zunächst muß festgestellt werden, daß die Wirksamkeit dieser Geräte laut amerikanischen Angaben noch keineswegs zufriedenstellend getestet wurde. Die Behauptung, es gehe darum, die Islamische Republik Iran oder gar Nord-Korea daran zu hindern, das Gebiet der Vereinigten Staaten von Amerika unter nuklearen Beschuß zu nehmen, klingt geradezu absurd. Das theokratische Regime von Teheran ist weit davon entfernt, eine solche ballistische Kapazität zu entwickeln und bastelt ja immer noch mühselig an der Fertigung seiner ersten Atombombe. Im Übrigen würde eine nukleare Attakke gegen Amerika, wie übrigens auch gegen Israel, durch die totale Vernichtung, durch die Ausradierung Irans abgestraft. Den persischen Mullahs ist manches zuzutrauen, aber wohl nicht der kollektive Selbstmord ihrer ganzen Nation. Sogar der Ayatollah Khomeini hatte sich zu einem Waffenstillstand mit Saddam Hussein bereitgefunden – er hätte angeblich lieber einen Becher mit Gift geleert –, als die irakischen Lenkwaffen in Teheran und Isfahan explodierten. Der Autor dieses Buches hatte 1983 nachdrücklich für die Stationierung amerikanischer Pershing II-Raketen auf deutschem Boden als Gegengewicht zu den sowjetischen SS-20 plädiert und läßt sich bei seiner Kritik vom widersinnigen Missile-Engagement des Pentagons in Polen nicht durch prominente Politiker der jetzigen Berliner Koalition zurechtweisen, die seinerzeit die Dislozierung der Pershing II fast um jeden Preis zu verhindern suchten.

Im Gegensatz zur deutschen Bundeskanzlerin, die Wladimir Putin in Samara die Leviten verlas, hat George W. Bush seinem Moskauer Kontrahenten bei dessen Besuch in USA mit schmeichelhafter Ehrung aufgewartet. Er, der immerhin bei völlig freien Wahlen die Mehrheit der Russen hinter sich wüßte, war Familiengast im exklusiven Ferienressort von Kennebunkport. Er ging mit dem Präsidenten angeln und wurde im Kreis der »Bush-Dynasty« zum Hummer-Essen geladen. Beide Methoden haben bei dem Kreml-Herrn wenig bewirkt. Er spielt neuerdings mit harten Bandagen. Rußland will sich im Weltsicherheitsrat der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo widersetzen und damit die Absichten Washingtons auf dem Balkan durchkreuzen. Im Kaukasus gerät die Republik Georgien unter wachsenden Druck. Im Nahen Osten distanziert sich Moskau von der westlichen Allianz, indem es bei den Sondierungsgesprächen einer Kompromißlösung im Heiligen Land auch Vertreter der palästinensischen Hamas-Partei empfängt, die von Bush trotz ihres Wahlsieges in Acht und Bann getan wurde. Schon redet man von einer Rückkehr der Schwarzmeer-Flotte ins Mittelmeer und dem Ausbau einer russischen Marine-Basis an der syrischen Küste. Auf spektakuläre Weise hat ein russisches Tauch-Boot die Flagge der Föderation auf dem Meeresgrund des Nordpols und damit den Anspruch Moskaus auf die dortigen gewaltigen Reserven an Petroleum und Gas verankert. Selbst dem weißrussischen Nachbarn und Partner läßt man keine Extravaganzen mehr durchgehen, und Alexander Lukaschenko muß sich nach neuen Freunden im Iran der Mullahs oder in der Republik Venezuela des Oberstleutnant Hugo Chavez umsehen.

Seit den schmählichen Zeiten des sowjetischen Zusammenbruchs hat sich ein grundlegender Wandel vollzogen. Infolge einer gesteigerten Produktion von Erdöl und Erdgas, vor allem auf Grund der enorm angestiegenen Energie-Preise, verfügt Rußland über einen finanziellen Überschuß, von dem es früher nur träumen konnte. Die Versuchung ist groß, diesen Vorteil gegenüber den Europäern, vor allem gegenüber den früheren Staaten des Warschauer Paktes, als Erpressungspotential zu nutzen. Die Gefahr wird von Politikern und Publizisten, die offenbar von Bismarcks »cauchemar des alliances – von seinem Alptraum der Bündnisse« nie etwas vernommen haben, propagandistisch hochgespielt.

Zum Abschluß dieser Aktualisierung will ich den angesehenen amerikanischen Kommentator William Pfaff zitieren, der den unmittelbaren Nachbarn Moskaus, zumal Polen und den baltischen Staaten, folgendes zu bedenken gibt: »In ihrer Wut auf Rußland und in ihrer aggressiven Unterstützung der ›hardliner‹ der Bush-Administration scheinen die Osteuropäer zu vergessen, daß Putins Rußland das einzige Rußland ist, mit dem sie und wir es zu tun haben. Mit ihm muß man irgendwie zurecht kommen. Die Länder, die Rußlands Nachbarn sind, leiden unter einem Fluch der Geographie. Sie können sich aber keine andere Plazierung aussuchen. Ihre amerikanischen Freunde sind von ihnen um einen Kontinent entfernt. Zudem wechselt die amerikanische Führung, und der nächste Präsident in Washington könnte sich sehr wohl von der jetzigen Bush-Linie gegenüber Rußland distanzieren. So etwas kann durchaus im nationalen Interesse geschehen.«

Süd-Frankreich, im August 2007

cover

INHALT

Vorwort zum Taschenbuch

PRÉLUDE
Risse im Bündnis

Deutschland am Hindukusch

Abschied von der NATO

Atombomben auf Iran?

»Die kältesten Ungeheuer«

WEISSRUSSLAND
Blutiger Schnee

Rückkehr zum »Kalten Krieg«

Auf den Spuren von »Barbarossa«

»Outpost of tyranny«

Der Golem geht um

Der Mann des Präsidenten

Eine weißrussische Jeanne d’Arc

»Batkas« Sieg

RUSSLAND
Der Geheimdienstchef und die Reichszerstörer

Alarm im Zentralkomitee

»Vive la Russie!«

Der Emir von Baku

»Erhebe Dich und greife zum Schwert«

Das Amerika-Haus

Die neue Smuta

Primakow und die »Familie«

Die NATO drängt nach Osten

TATARSTAN
Mohammed an der Wolga

Die blaue Kuppel der Kul-Scharif

»Kratzt den Russen an …«

Illusionen des Euro-Islam

Brückenschlag am Ural

Die Kaukasische Wunde

Karatekämpfer in Dagestan

RUSSISCH-FERNOST
»Mahagonny am Meer von Okhotsk «

Das Tor zur Hölle

Chinesenmarkt

Die Müllkippe

USSURI
Auf verlorenem Posten

»Beherrsche den Osten!«

Am Fluß des »Schwarzen Drachen«

Der »Starez« und die Dinosaurier

»Stärker als Amerika«

Russisches Elend

MANDSCHUREI
Ein befriedetes Schlachtfeld

Die Freuden der Tafel

Die Erben des letzten Kaisers

Disney World am Gelben Meer?

Die Giraffe des Admirals

CHINA
Jenseits von Mao

»Wenn China spuckt …«

Auf der Suche nach dem »Großen Pferd«

Der Fluch von Tian An Men

»… ein Bilderstürmer bin ich ja auch«

Absagen an Konfuzius

»Beyond America«

UKRAINE
Verfaulte Orangen

Wanderzirkus der Demokratie

Patriarchen und Oligarchen

»Noch 300 Kilometer bis Stalingrad«

Personenregister

PRÉLUDE
Risse im Bündnis

Deutschland am Hindukusch

MAZAR-E-SCHARIF, IM AUGUST 2006

Die Auffahrt zum Salang-Paß ist durch dichten Nebel verhangen. Erst als wir jenseits des endlosen Tunnels in dreitausend Meter Höhe durch furchterregende Felsschluchten zur Steppenebene des Amu Daria absteigen, bricht die Sonne durch. Bis Mazar-e-Scharif, dem zentralen deutschen Stützpunkt in Nord-Afghanistan, sind es noch zweihundert Kilometer. Zwischen Kabul und Mazar beträgt die Fahrzeit ungefähr sieben Stunden. Hinter Scharikat, am Eingang des Pandschir-Tals, sind uns keine Patrouillen der NATO-Verbände und auch keine Soldaten der Afghanischen Nationalarmee mehr begegnet.

In unseren beiden Landrovern haben wir uns ohne jeden Schutz auf den Weg gemacht. Die Route gilt als relativ sicher, während die Verbindung nach Kundus – einem weiter östlich gelegenen »Stronghold« des deutschen ISAF-Kontingents – neuerdings häufigen Überfällen ausgesetzt ist. Kurz vor Erreichen des Flugplatzes, an den sich das deutsche Camp »Marmal« anlehnt, rollt ein Konvoi von zwei Dingos und zwei ungepanzerten Wolf in hohem Tempo an uns vorbei. An der schwer befestigten Einfahrt ruft die Ankunft unserer Zivilfahrzeuge Nervosität hervor. Wer kann schon garantieren, daß wir keinen Sprengstoff mit uns führen, und für unsere beiden afghanischen Fahrer würde selbst ich nicht die Hand ins Feuer legen. Die Lage beruhigt sich schnell beim Erscheinen des zuständigen Offiziers. Aber die erste Stimmung des Empfangs, die hastige Verstärkung der Abwehrwälle durch Sandsäcke und Betonmauern deuten darauf hin, daß die deutsche Militärpräsenz auf Verteidigung und zunehmend wohl auf Selbsterhaltung ausgerichtet ist.

Was haben Afghanistan und die Präsenz deutscher Truppen am Hindukusch mit der Einkreisung Rußlands zu tun, der dieses Buch gewidmet ist? Meine Erkundungsreisen zwischen Minsk und Peking habe ich in den Monaten Juli und August 2006 durch Expeditionen in die heißumkämpfte Stadt Kirkuk im Irak, einen Aufenthalt in der Islamischen Republik Iran und in Israel sowie durch diese Bestandsaufnahme in Afghanistan ergänzt. Dort überschneiden sich ja die Kraftlinien. In Kabul steht die ratlose Atlantische Allianz vor einem gordischen Knoten, und es ist kein Alexander in Sicht, der ihn mit seinem Schwert durchschlüge. Das der Bundeswehr zugewiesene Territorium erstreckt sich von dem schmalen Grenzstreifen mit der Volksrepublik China im östlichen Wakhan-Zipfel bis zur Provinz Herat, wo die Italiener Wache halten. Herat gilt kulturell als persisches Einflußgebiet.

Im Norden zieht der Amu Daria, der in seinem Oberlauf Pjantsch heißt, die Trennungslinie zwischen dem NATO-Territorium Afghanistans und den zentralasiatischen Republiken Usbekistan und Tadschikistan. Auf das Wohlwollen beider Regierungen ist die Präsenz der Bundeswehr angewiesen. Der Flugplatz Termes, unmittelbar nördlich des Stroms gelegen, ist die unentbehrliche Relais-Station für alle deutschen Transporte und Verstärkungen. Da sich die Beziehungen zwischen dem usbekischen Staatschef Karimow und den USA dramatisch verschlechtert haben, mußten behutsame Verhandlungen zwischen Taschkent und Berlin geführt, mußte die Pachtgebühr vermutlich wesentlich erhöht werden, um den Verbleib der Luftwaffe in Termes zu gewährleisten.

Anders verhält es sich mit Kundus, das durch eine vorzügliche Asphaltstraße – von Chinesen gebaut – mit dem Ufer des Pjantsch verbunden ist. Jenseits davon stehen die Grünmützen der tadschikischen Grenzwächter. Im extremen Ernstfall wäre die deutsche Garnison von Kundus vermutlich auf die Unterstützung der 201. russischen Infanteriedivision angewiesen, die weiterhin in der Hauptstadt Duschanbe dafür sorgt, daß Tadschikistan nicht in den grauenhaften Bürgerkrieg zurückfällt, an dem das Land in den neunziger Jahren zu zerbrechen drohte. Zu den Russen müßten sich die Deutschen dann allerdings durchschlagen.

Kundus hatte ich wie auch Faizabad, den äußersten Vorposten, der sich an China heranschiebt, im Herbst 2005 aufgesucht. In dem Stützpunkt Faizabad, der bei Regen und Schneewetter über Land kaum zu erreichen ist, konnte ich feststellen, daß im Falle eines wie auch immer gearteten massiven Aufstandes nicht die geringste Evakuierungschance bestünde, zumal im Winter, wenn eisige Temperaturen und Nebelschwaden den Entsatz aus der Luft verhindern. Was dann aus der Kommandozentrale Mazar-e-Scharif würde, läßt sich auf der Landkarte ablesen. Es bliebe nur der verzweifelte Durchbruch in Richtung Termes und zu jener Brücke über den Amu Daria, die General Gromow nach der Niederlage der sowjetischen Armee – das rote Banner wie eine Ikone auf den Armen tragend – als letzter Sowjetsoldat überquerte.

Alle Elemente, denen sich dieses Buch widmen will, sind hier also vereint: Das schwierige Nebeneinander von NATO und Rußland, die geheimnisvolle Nähe der neuen Weltmacht China, vor allem die Unwägbarkeiten der islamischen Revolution, der der amerikanische Präsident neuerdings das Etikett »islamischer Faschismus« anheftet und sie zusätzlich radikalisiert. Um es vorwegzunehmen: Die Irakisierung Afghanistans ist in vollem Gange.

*

Das Verteidigungsministerium in Berlin hatte dieses Mal alles versucht, um meine Reise nach Mazar-e-Scharif zu verhindern. Die bereits reservierten Plätze auf dem Luftwaffen-Airbus nach Termes wurden annulliert. Es erging die Weisung, daß ich an Patrouillen nicht teilnehmen und in keinem Fall ein Fahrzeug der Bundeswehr benutzen dürfe. Angeblich war man um meine Sicherheit besorgt, und von einem Staatssekretär, dessen Namen ich nicht nennen will, wurde mir zugemutet, ich solle mich bei den Amerikanern »embedden« lassen. Nun kommt die Praxis des »embedding« – das Wort spricht für sich – einer rigorosen Zensur der Berichterstattung gleich. Es hat den GIs im Irak, wo diese Einschränkung erstmalig angewendet wurde, keinerlei Vorteile, sondern gesteigertes Mißtrauen eingebracht. Man kann nur hoffen, daß diese Verschleierungsmethode in Berlin nicht Schule machen wird.

Bei der Truppe selbst, in Mazar-e-Scharif, finden wir – wie ich das stets erlebt habe – kameradschaftliche Aufnahme. An der von General Kneip angeordneten Patrouille nehmen wir dann eben nicht in einem gepanzerten Fahrzeug teil, sondern stolpern zu Fuß über die Ackerfurchen, die bei vierzig Grad Hitze steinhart gebacken sind. Der Kommandeur hat mich nach ausführlichem Gespräch eingeladen, am Abend vor der Truppe zu sprechen – es sind mindestens dreihundert Zuhörer zugegen –, und ich fühle mich in dieser freundschaftlichen Gemeinschaft mit jungen Männern, die meine Enkel sein könnten, außerordentlich wohl.

Der Oberleutnant, der die kleine bewaffnete Patrouille befehligt, interessiert sich in einem ärmlichen Dorf vor allem für die Sicherheit und den Zustand der Schule, die mit deutscher Hilfe für Knaben und Mädchen gebaut wurde. Dem alten Tadschiken, der dort als Wächter fungiert, ist kein Heldenmut zuzutrauen. Wir haben nebenbei erfahren, daß in den vergangenen Monaten in Afghanistan 240 Lehranstalten durch die Taleban vernichtet wurden und daß außerhalb Kabuls die Mädchen sich längst nicht mehr trauen, am Unterricht teilzunehmen. An der Außenmauer der besichtigten Schule klebt ein Plakat mit der Abbildung eines Skeletts. »Wenn ihr den Opiumanbau nicht vernichtet«, steht darauf, »wird das Opium euch vernichten!« Doch niemand – selbst nicht die amerikanischen Special Forces – hat es gewagt, gegen die ausgedehnte Kultur von Mohnblumen, die sich auch im deutschen Sektor von Badaghschan ungehemmt ausgeweitet hat, energische Maßnahmen zu ergreifen. Im vergangenen Jahr ist die Opiumernte um vierzig Prozent auf 4500 Tonnen angestiegen. Wer dagegen mit militärischen Mitteln vorginge, würde sich auf einen aussichtslosen Kampf mit den lokalen Warlords und der allmächtigen Drogen-Mafia einlassen. Sein Schicksal wäre besiegelt. Das sind die realen Kräfteverhältnisse am Hindukusch.

Gemessen an den Provinzen des Südens und des Ostens ist die den Deutschen zugewiesene Nordregion von ernsthaften Kampfhandlungen bisher verschont geblieben. In Kandahar, Paktia und Kunar sieht das ganz anders aus. Da stehen Briten, Kanadier und Holländer straff organisierten Aufstandsgruppen gegenüber, die man oberflächlich mit dem Sammelbegriff »Taleban« bezeichnet. Der derzeitige NATO-Befehlshaber für ganz Afghanistan, der britische Generalleutnant David Richards, der die Rebellen am Hindukusch in seltsamer Verblendung mit den Mitteln bekämpfen wollte, die sich in den fünfziger Jahren bei der Niederwerfung des kommunistischen Aufstandes in Malaya bewährten, hat inzwischen eingestanden, daß seine Paratroopers in der Provinz Helmand in die härtesten Kämpfe seit Korea und sogar seit dem Zweiten Weltkrieg verwickelt wurden. Die US Special Forces, die in den Schluchten von Nuristan dem Islamisten-Führer Gulbuddin Hekmatyar nachstellen und immer noch davon träumen, Osama bin Laden zu fangen – »dead or alive« –, fühlen sich in Afghanistan größeren Belastungen ausgesetzt als im irakischen Flachland Mesopotamiens.

Die Bevorzugung der Deutschen, die Sympathie, die den »arischen Brüdern« von den Afghanen entgegengebracht wird, dürfte nicht ewig andauern. Das Gebiet, in dem die Bundeswehr sich aufhält, wird überwiegend von Tadschiken bewohnt, und die hatten bei der Operation »Enduring Freedom«, die zur Vertreibung der Taleban führte, mehrheitlich auf seiten der »Nord-Allianz«, das heißt der Amerikaner, gekämpft. Bei meinem Gespräch mit Mohammed Atta, dem Gouverneur der Provinz Balq, deren Hauptstadt Mazar-e-Scharif ist, habe ich von diesem ehemaligen Mudschahidin-Kommandanten, der zu den engsten Vertrauten des ermordeten Nationalhelden Ahmed Schah Massud zählte, seine Beschwerde über die in Kabul herrschenden Mißstände vernommen. Der eindrucksvolle, kräftige Mann beobachtet mit Sorge, wie jene Kräfte, vor allem die Tadschiken, die den Taleban in ihren letzten Gebirgsfetzen des Nordostens Widerstand leisteten, von Präsident Karzai aus den führenden Positionen herausgedrängt und durch unberechenbare Warlords, Drogen-Trafikanten, übergelaufene Taleban-Führer, ehemalige Kommunisten und eine kleine Schar von entwurzelten Emigranten ersetzt werden.

Das ISAF-Lager Marmal liegt etwa zehn Kilometer von Mazar-e-Scharif entfernt, wo wir in einem akzeptablen Hotel übernachten. Ich bin verblüfft zu erfahren, daß kaum einer der deutschen Soldaten, die in diesem Sektor Dienst tun, die Stadt Mazar je betreten hat, geschweige denn die Blaue Moschee des Imam Ali besichtigen durfte, die der Stadt den Namen gab. Zutiefst schokkiert mich in Mazar das Elend der Massen und gleich daneben der protzige Reichtum der Kriegsgewinnler und Opiumhändler, die jenseits der Blechhütten der Armen ihre exklusiven Clubs mit luxuriösem und geschmacklosem Kitsch ausstatten. Aber so sieht es in Kabul ja auch aus. Das Regime des Präsidenten Karzai ist im ganzen Land diskreditiert, und diese Mißachtung des Staatschefs fällt natürlich auf die fremden Truppen zurück, dank deren Präsenz er überlebt.

Abschied von der NATO

Im Zentrum des deutschen Stützpunktes wehen drei Fahnen: die deutsche, die afghanische und die NATO-Flagge mit Stern auf dunkelblauem Grund. Die zwölf goldenen Sterne der Europäischen Union sucht man vergeblich. Auch das hellblaue Tuch der Vereinten Nationen wurde nicht gehißt. Wenn Angehörige amerikanischer Spezialdienste schwarz-rot-goldene Wimpel und deutsche Nummernschilder an ihren Fahrzeugen befestigen, um von der Beliebtheit der Deutschen zu profitieren, die – am Benehmen der »Cowboys« gemessen – sehr behutsam auftreten, so bedeutet dies, daß sie sich ernste Fragen stellen.

Die letzte Parlamentssitzung der rot-grünen Koalition in Berlin wurde 2005 dazu benutzt, die Aufgabenstellung der Deutschen am Hindukusch entscheidend zu verändern. Die Mannschaftsstärke wurde auf dreitausend Mann aufgestockt. Die ISAF-Truppe, die ursprünglich unter der Autorität der UNO für Aufbau und Stabilisierung zuständig war – von »Nation building« wollen wir lieber nicht sprechen –, wurde seitdem dem NATO-Kommando unterstellt. Somit fand de facto und vor allem aus der Sicht der Afghanen eine Verschmelzung der beiden unterschiedlichen Missionen – »Enduring Freedom« und ISAF – statt. Zusätzlich wurde mit großer Mehrheit im Reichstag beschlossen, daß die Bundeswehr mit einem »robusten« Auftrag ausgestattet würde. Die Verlogenheit des Vokabulars hat längst Orwellsche Züge angenommen. So werden Verluste der Zivilbevölkerung als »Kollateralschäden« bezeichnet, ein Kampfeinsatz, der in gewissen Situationen durchaus geboten ist, wird als »robustes« Verhalten umschrieben. Hatte nicht seinerzeit Joschka Fischer den unerträglichen Vergleich zwischen der brutalen, aber relativ unblutigen Vertreibung der Kosovo-Albaner durch die Serben mit dem Horror von Auschwitz bemüht, um die deutsche Teilnahme am Balkan-Feldzug zu rechtfertigen? Nicht einmal der Zentralrat der Juden, der sonst recht sensibel reagiert, hat gegen diese irreführende Verharmlosung der Shoah protestiert.

Bei diversen Abgeordneten hatte ich mich erkundigt, wie die schwerwiegende Entscheidung über einen verstärkten Einsatz in Zentralasien ohne gründliche Debatte, ohne Abwägung der damit verbundenen Risiken getroffen werden konnte. Die Antwort lautete stets, die Verstärkung des deutschen Engagements sei mit Rücksicht auf den großen amerikanischen Verbündeten geschehen. Wagt denn niemand, auf die Rednertribüne zu steigen, um die Dinge beim Namen zu nennen? Den zuständigen Kommissionen liegen doch die warnenden Berichte der Kommandeure, die pessimistischen Analysen des Bundesnachrichtendienstes und objektive Expertenberichte vor. Verhält man sich in Berlin ähnlich wie in Washington, wo die Bush-Administration die negativen CIA-Berichte ignorierte und sich den eigenen Wunschvorstellungen hingab? Diese Frage erheischt eine eingehende Untersuchung.

Weder der Krieg im Irak noch der Feldzug in Afghanistan können von der westlichen Allianz gewonnen werden. Eine solche »no-win«-Situation im asymmetrischen Krieg kommt jedoch einer Niederlage gleich. Aus dem Präzedenzfall der sowjetischen Okkupation, die unter Aufwand von mehr als hunderttausend Soldaten und Tausenden Panzern fast zehn Jahre lang andauerte und mit einem blamablen Rückzug endete, hätte man lernen sollen. Andererseits hätten gerade die Briten, die in ergebener Ausrichtung auf die Direktiven des Pentagon jetzt in der Provinz Helmand in die Bredouille geraten, auf die eigene afghanische Erfahrung zurückgreifen müssen. Bei ihrem erzwungenen Rückzug in Richtung Jalalabad war im Jahr 1842 die britische Garnison von Kabul mit 16 000 Untertanen Ihrer Majestät durch aufständische Stammeskrieger in den Gebirgsschluchten niedergemetzelt worden. Nur ein einziger Mann, ein Militärarzt, war diesem Massaker entkommen.

Entgegen allen beschwichtigenden Behauptungen wurde zur Rettung der isolierten deutschen Stützpunkte im gar nicht unwahrscheinlichen Fall einer breiten islamischen Volkserhebung weder ein »worst case scenario« noch eine glaubwürdige Exit-Strategie entworfen. Während in den USA intensiv über einen Rückführungstermin der GIs aus der aussichtslosen Situation des Irak diskutiert wird, tut man in Berlin so, als sei die deutsche Präsenz am Hindukusch auf Jahrzehnte angelegt. Zu welchem Zweck wohl? Da ich als Augenzeuge die Farce der Parlamentswahlen in Kundus und Faizabad im vergangenen Herbst beobachten konnte, komme man mir nicht mit dem Argument der Demokratie.

Der pakistanische Präsident Musharraf hat zudem das Argument entkräftet, wonach die nebulöse Organisation El Qaida ihre Ausbildungslager im Umkreis von Kandahar benutzt habe, um die technische Koordinierung der Selbstmordattentate von »Nine Eleven« vorzunehmen. In den berüchtigten Camps Osama bin Ladens, der ursprünglich als Rekrutierungsagent der Amerikaner zwecks Bekämpfung der Sowjetbesatzer tätig war, fand nicht viel mehr als infanteristische Grundausbildung statt.

Nach der Evakuierung dieses entlegenen Gebirgslandes durch die westliche Allianz käme zwar vermutlich ein ziemlich unerfreuliches Regime von »Fundamentalisten« an die Macht, oder das blutige Chaos der Stammesfeindschaften würde wieder um sich greifen. Aber der harte Kern des islamistischen Terrorismus besitzt ganz andere, geeignetere Basen und Verschwörungsnetze als die Höhlen des Hindukusch. Man denke nur an Somalia, weite Teile des Irak oder die »tribal areas« Pakistans. Die Perspektive wachsender Einflußnahme radikaler »Jihadisten« kann selbst in Islamabad nicht ausgeschlossen werden. In der Islamischen Republik Pakistan mit einer Bevölkerung von 160 Millionen Menschen und einer Armee, die über Nuklearwaffen verfügt, zeichnen sich die wahren Schreckensvisionen ab.

Die jüngsten Enthüllungen des Präsidenten Pervez Musharraf haben einen Schleier zerrissen. Nach Nine Eleven war der amerikanische Unterstaatssekretär Armitage bei ihm mit der ultimativen Forderung aufgetreten, er müsse sich an der Kriegführung gegen Taleban und El Qaida beteiligen, sonst werde Pakistan »in die Steinzeit zurückgebombt«. Hatte Armitage denn nicht bedacht, daß zu Beginn der Vietnam-Intervention Amerikas auch der damalige Stabschef der US Air Force, General Curtis LeMay, den Nordvietnamesen gedroht hatte, »to bomb them back into the Stone Age.« Man weiß, was daraus geworden ist.

Wir gelangen an dieser Stelle des Buches zur Kernfrage: Ist es für die Europäische Union, ist es für Deutschland noch sinnvoll, der fragwürdigen Direktion der NATO untergeordnet zu bleiben und deren weltweite Strategie durch wahllose Einsätze »out of area« zu unterstützen, die von Washington vorgegeben werden und mit den eigenen Interessen nichts zu tun haben? Wohlweislich stelle ich nicht das Atlantische Bündnis als solches in Frage, das über den Ozean hinweg eine Verwandtschaft und Solidarität verkörpert, die weit über das Militärische hinausgeht. Als General de Gaulle im Jahr 1966 der französischen Armee das Ausscheiden aus der »Organisation« der Allianz befahl, die US-Stützpunkte auf französischem Boden schließen ließ und den Umzug der NATO-Stäbe von Fontainebleau nach Mons in Belgien anordnete, mußte er wissen, daß die Bundesrepublik Deutschland, die unmittelbar an den Eisernen Vorhang grenzte und dem gigantischen Atom-Arsenal der Sowjetunion nur mit Hilfe der nuklearen Supermacht Amerika begegnen konnte, eine vergleichbare Insubordination gar nicht riskieren konnte. In Stunden extremer Gefährdung des transatlantischen Partners hatte de Gaulle jedoch seine Verläßlichkeit bewiesen. Dem Emissär Kennedys, Dean Acheson, erklärte er während der Kuba-Krise von 1962 auf Englisch: »If there is a war, we shall be with you.« Ähnlich unnachgiebig und bündnistreu hatte der General auf die Warnung des sowjetischen Botschafters Winogradow reagiert, die akute Berlin-Krise von 1961 berge die Gefahr kriegerischer Ausweitung. »Eh bien, Monsieur l’Ambassadeur, nous mourrons ensemble«, hatte der General schnoddrig bemerkt – »Dann sterben wir eben gemeinsam, Herr Botschafter«.

Nach Ende des Kalten Krieges hätte die NATO einer radikalen Umstrukturierung bedurft. In dem Maße, wie die Allianz fortfährt, unter dem Oberkommando des US-Generals James Jones und der Regie des niederländischen Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer, der sich amerikanischer aufführt als ein Amerikaner, die generelle Ausrichtung des Bündnisses konsequent den Direktiven Washingtons anzupassen, als wäre der Ost-West-Konflikt noch in vollem Gange, droht diese Befehlsstruktur für die Europäer sinnlos, ja gefährlich zu werden, zumal im Weißen Haus und im Kreis der neokonservativen Berater des jetzigen Präsidenten eine Fehlentscheidung nach der anderen getroffen wird.

Der Zweifel ist erlaubt, ob Deutschland nach der Wiedervereinigung wirklich, wie behauptet wird, ein voll souveräner Staat geworden ist. Die Bundesrepublik bleibt weiter von einem System amerikanischer Militärbasen überzogen, über die sie keine Kontrolle ausübt. Ihr Luftraum konnte für zwielichtige Aktionen der CIA mißbraucht werden. Die Mehrzahl der deutschen Medien beweist täglich ihre Skrupel, sich aus der gewohnten Unterwürfigkeit zu lösen. Es sind amerikanische und nicht deutsche Kommentatoren, die die »Rapid Response Force«, die im Rahmen der NATO aufgestellt wird, als eine »sich selbst finanzierende Fremdenlegion der Europäer im Dienste amerikanischer Interessen« beschreiben.

Wie hat die Europäische Union einer überstürzten Ausweitung nach Osten zustimmen können, die jeden Einigungsprozeß durch die Fremdsteuerung neuer, dubioser Partner und die Einschleusung »Trojanischer Pferde« zu Ohnmacht und Entschlußlosigkeit verurteilt? Was hat die »Alt-Europäer«, zumal die Deutschen – das ist ein zentrales Thema des vorliegenden Buches – dazu bewogen, die NATO, entgegen allen Zusagen, bis an die Grenze Rußlands auszudehnen, als gelte es einen neuen kalten Krieg zu entfachen oder den ominösen »Drang nach Osten« wiederaufzunehmen? So vorrangig die gewachsene und familiäre Verbundenheit mit Amerika auch sein mag, die Russische Föderation Wladimir Putins bietet sich als der ideale Wirtschaftspartner Deutschlands an. Zwischen beiden Ländern besteht kein Konfliktpotential mehr, sondern eine natürliche Komplementarität, die im Konkurrenzverhältnis zu den globalisierten US-Konzernen oft nicht zu entdecken ist.

Ähnlich verhält es sich mit der Volksrepublik China, die von gewissen Kreisen immer noch wegen der Niederschlagung einer Studentenrevolte vor siebzehn Jahren an den Pranger gestellt und mit Sanktionen belegt wird. Für die Europäer besteht nicht der geringste Grund, sich in eine Kampagne gegen das gewaltig aufstrebende Reich der Mitte einreihen zu lassen und in Peking auf die Respektierung demokratischen Wohlverhaltens zu pochen, zumal diese Ideale der Menschenrechte im eigenen Lager Schaden genommen haben und schweren Belastungen ausgesetzt sind. Die zur Tugend mahnende Überheblichkeit deutscher Politiker an die Adresse des chinesischen Giganten, der nun einmal auf ganz anderen Gesellschaftsregeln ruht und auf den Sittenkodex einer viertausendjährigen Hochkultur zurückgreift, erscheint lächerlich, ja kläglich. Doch diese törichten Gesten und Kraftsprüche kommen in Washington gut an.

Bleibt schließlich die gemeinsame Abwehr der islamischen Herausforderung. In dieser Zone des »Broader Middle East«, wie Condoleezza Rice es formuliert, hat die »Hypermacht« Amerika eine ganze Serie von demütigenden Rückschlägen einstecken müssen, die Europa nicht mit Häme, sondern mit bangen Ahnungen erfüllen sollte. Der alte Kontinent kann es sich auf Dauer nicht leisten, daß ein unverzeihlicher strategischer Dilettantismus, eine Hybris sondergleichen die tödlichen Gefahren, die es zu bannen gilt, zusätzlich anheizt und aufputscht. Man denke nur an die amerikanischen Kommissionsberichte über die dramatische Steigerung terroristischer Aktivitäten, die durch die leichtfertige Kriegführung in Mesopotamien ausgelöst wurde.

Wie gesagt, der Irak-Krieg wird nicht gewonnen, also ist er verloren. Afghanistan befindet sich auf der gleichen abschüssigen Bahn. Die fünfwöchige Schlacht zwischen Israel und der Hizbollah im Südlibanon hat der Welt vor Augen geführt, daß die bislang als beste Armee der Welt gerühmte Streitmacht »Zahal« mit erdrückender technischer, materieller und auch menschlicher Überlegenheit nicht in der Lage ist, eine Truppe von Freischärlern – man rede nicht immer von Terroristen –, die sich auf neu ausgeklügelte Methoden des asymmetrischen Krieges ausgerichtet hat, niederzuringen. Im Kampf um die kleine Grenzortschaft Bint Jbeil fand eine Abnutzungsschlacht statt, eine Art orientalisches »Douaumont«, mit der niemand gerechnet hatte.

Die ständig wiederholte Behauptung aus dem »Old Boys Club« der NATO-Generale von Mons, ohne das amerikanische Patronat sei Europa seinen Feinden schutzlos ausgeliefert und zum Untergang verurteilt, gilt nicht mehr, seit die US Marines im Einsatz gegen die schlecht bewaffneten Islamisten von Faluja versagten und die Provinz El Anbar im »sunnitischen Dreieck« dem arabischen Gegner überlassen mußten. Die surrealistischen Wunderwaffen der High Technology vollbringen zwar eine unerhörte Performance, aber gegen die weltweite Flexibilität und Todesbereitschaft einer neu konzipierten Guerrilla vermögen sie wenig. Sollen diese Superwaffen etwa dazu dienen, China einzuschüchtern? Nach dem Debakel von Vietnam klingt das grotesk, und Rußland, das zwar extrem geschwächt aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangen ist, verfügt immer noch über ein enormes Arsenal an nuklear-bestückten Interkontinentalraketen, um das Pentagon von selbstmörderischen Initiativen abzuschrecken.

Atombomben auf Iran?

Nach dem Attentat auf das World Trade Center in New York hatten sich die europäischen Verbündeten laut Artikel V der Allianz bereit gefunden, den Kriegszustand zu erklären und sich ohne zeitliche und räumliche Begrenzung im Kampf gegen den Terror zu engagieren. Diese Geste der Solidarität erschien – zumal von seiten der Deutschen – als Zeichen brüderlicher Verbundenheit mit der Supermacht Amerika, der man so viel verdankte. Schon sehr früh erkannte Zbigniew Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater Präsident Carters, den wir in diesem Buch mehrfach zu Wort kommen lassen, daß der Terrorismus eine Methode des Kampfes sei, jedoch nicht als Gegner definiert werden könne.

Spätestens seit Beginn der Offensive »Iraqi Freedom« gegen Saddam Hussein, der seine blutige Tyrannei im Namen eines säkularen arabischen Nationalismus ausgeübt hatte und von Präsident Bush wider besseres Wissen als Komplize von El Qaida dargestellt wurde, hat die NATO, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion das Feindbild abhanden gekommen war, einen neuen Gegner definiert, den es mit allen Mitteln zu vernichten gilt: den islamischen Terrorismus.

Tatsächlich scheiterte die US Army im Irak am fanatischen Widerstandswillen der Jihadisten. Die Terroranschläge blindwütiger Fanatiker gegen den Westen und die sogenannten »Kreuzzügler« fanden seit Nine Eleven nicht mehr in Amerika statt, sondern in den Großstädten Europas. Diese Situation erinnert mich an das letzte Gespräch, das ich wenige Wochen vor Beginn von »Iraqi Freedom« mit Tariq Aziz, dem stellvertretenden Regierungschef Saddam Husseins, in Bagdad führte. »Ich will die Europäer auf keinen Fall bedrohen oder gar erpressen«, hatte der Baath-Politiker beteuert, der sich als chaldäisch-katholischer Christ bekennt. »Aber die Europäer sollten doch einen Blick auf die Weltkarte werfen.« Wenn die kriegerischen Unternehmungen der Amerikaner im islamischen Raum fehlschlagen und sie in eine unhaltbare Position gedrängt würden, bliebe ihre Heimat, die USA, immer noch vor dem Zorn von einer Milliarde Muslimen durch zwei Ozeane getrennt und geschützt. Europa hingegen lebe in unmittelbarer Nachbarschaft des Mashreq und des Maghreb. In den westeuropäischen Staaten haben sich Millionen islamischer Einwanderer niedergelassen, und auf dem Balkan sind zwei muslimische Völker beheimatet, die Albaner und die Bosniaken. Bei aller atlantischer Bündnistreue befände sich das sogenannte Abendland gegenüber dem religiösen und politischen Aufbruch der Koran-Gläubigen in einer ganz anderen Situation als Amerika und sollte dementsprechend differenziert reagieren.

Mit solchen Feststellungen setzt man sich als Europäer unweigerlich der Anschuldigung der Beschwichtigung, einer Kapitulationsmentalität »à la Munich« aus. Das Gegenteil sollte jedoch der Fall sein. Zumindest in Deutschland und Frankreich darf man nicht vergessen, daß die auf wirtschaftliche Prioritäten, vor allem auf das Erdöl ausgerichtete Strategie der USA dem unduldsamen Regime der Taleban in Kabul zur Macht verholfen hatte. Aufgabe dieser Koranschüler war es, unabhängig von ihrer ideologischen Orientierung, Ordnung und Stabilität im damaligen Chaos des afghanischen Bürgerkrieges zu erzwingen. Sie sollten die Voraussetzungen schaffen für den Bau einer Pipeline, die das Erdöl und Erdgas Zentralasiens unter Umgehung Rußlands und Irans über die Trasse Herat und Shindand bis an die pakistanische Küste des Indischen Ozeans gepumpt hätte. Ähnliches wurde ja im Kaukasus und in Ostanatolien geplant und realisiert. Das Abkommen des amerikanischen Erdölkonzerns Unocal mit dem finsteren Taleban-Emir, Mullah Omar, war bereits abgeschlossen.

Die enge Kooperation nahm erst ein jähes Ende, als sich herausstellte, daß die »Gotteskrieger« am Hindukusch nach der gelungenen Vertreibung der gottlosen »Schurawi«, der Sowjets, nun auch die amerikanischen »Kafirin« ins Visier nahmen und mit ihren Bombenattentaten heimsuchten.

Wer erinnert sich noch daran, daß der Krieg gegen die Islamische Republik Iran, den Saddam Hussein 1980 vom Zaun brach, aus Washington lebhaft unterstützt wurde in der Hoffnung, das Regime des Ayatollah Khomeini zu stürzen und Zugriff auf das Erdöl von Khuzistan zu gewinnen? In diesem grauenhaften Konflikt, der neun Jahre lang überwiegend in den Sümpfen des Schatt-el-Arab ausgetragen wurde, wäre der später als Todfeind der Menschheit angeprangerte Diktator von Bagdad dem Ansturm der iranischen Revolutionswächter und »Bassidji« erlegen, wenn ihm nicht aus einer Vielzahl von Staaten, vor allem aber aus den USA, substantieller Beistand bis hin zur Belieferung mit Giftgas geleistet worden wäre.

Die Europäische Union – falls sie dazu in der Lage ist –, zumindest der harte Kern des »alten Europa«, muß sich mit Realismus und eherner Abwehrbereitschaft auf die mörderische Bedrohung vorbereiten, die demnächst aus ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gegen sie gerichtet werden könnte, und sich entsprechend rüsten. Das setzt allerdings ein radikales Umdenken in der strategischen Planung voraus. Die NATO-Konzepte, die einst zur Verteidigung der norddeutschen Tiefebene und der Fulda Gap entworfen wurden, sind hinfällig. Aber die psychologische Umstellung auf die Bedingungen des asymmetrischen Krieges – das hat die israelische Armee im Südlibanon den erschrockenen Fachleuten vor Augen geführt – ist noch lange nicht vollzogen.

Wenn 2000 Hizbollah-Krieger 30 000 Soldaten der gefürchteten Zahal in Schach halten, wenn von 400 Panzern – darunter die angeblich unverwundbaren Merkava 4 – zahlreiche durch die Abwehrwaffen von Partisanen vernichtet wurden und die eilends aus Amerika eingeflogenen Superbomben vom Typ »Bunker Buster« ohne Wirkung blieben, stellt sich die Frage, ob die ungeheuerliche Rüstungskapazität der USA zur Verteidigung Europas überhaupt taugt oder ob die US Air Force im Ernstfall nicht lediglich – wie die israelische Luftwaffe im Libanon – ein Trümmerfeld und schwere Kollateralschäden hinterließe, ohne daß der Gegner entscheidend geschwächt würde. Man vergesse nie, daß die von Washington ermutigte Überreaktion Israels auf einen lokalen Übergriff der Hizbollah als Generalprobe für eine Großoffensive gegen die Islamische Republik Iran gedacht war und alle Züge eines Stellvertreterkrieges trug.

Die Israelis haben in der Zedernrepublik einen »amerikanischen Krieg« geführt, und die dortigen Militärexperten, auf deren Aussagen in Tel Aviv ich mich hier stütze, sind im Einklang mit General Dani Yatom, einem früheren Chef des »Mossad«, zu der Erkenntnis gelangt, daß für die Ankaufsumme eines einzigen Kampfflugzeuges vom Typ F-16 sämtliche Reservisten Zahals ein Jahr lang intensiv im Bodenkampf hätten ausgebildet werden können. Bleibt am Ende nicht doch die Infanterie die »Königin des Schlachtfeldes«?

Im deutschen Verteidigungsministerium scheint Ratlosigkeit vorzuherrschen. Man besinnt sich reichlich spät darauf, daß die im Norden Afghanistans verzettelten Garnisonen völlig unzureichend mit gepanzerten Fahrzeugen ausgestattet sind. Vielleicht sollten die Berliner Planer sich in sämtlichen Provinzen Afghanistans, speziell im Pandschir-Tal, einmal die ausgebrannten und gesprengten Wracks sowjetischer Panzer ansehen, die dort zu Tausenden liegengeblieben sind. Mit improvisierten Verbesserungen ist es nicht getan. Es klingt wie ein Wunder, daß im Irak und am Hindukusch noch keine Boden-Luft-Raketen aufgetaucht sind, mit einer ähnlichen Treffsicherheit wie die »Stinger« oder »Blowpipe«, die der sowjetischen Hubschrauberflotte zum Verhängnis wurden und die Niederlage der Russen besiegelten. Da der Ausbau einer funktionierenden Wehrfähigkeit innerhalb einer Europäischen Union von 25 bis 30 Mitgliedstaaten überhaupt nicht vorstellbar ist und die Regierungen in Berlin und Paris – London scheidet ja leider wegen seiner bedingungslosen Ausrichtung auf Washington aus – offenbar nicht mehr gewillt sind, ihr Potential zu bündeln und gemeinsam auszubauen, bliebe für die Bundeswehr nur noch die Perspektive einer radikalen Reform im nationalen Rahmen, wie sie Scharnhorst einst nach Jena und Auerstedt in Angriff nahm. Doch von solchen zwingenden Überlegungen sind die deutschen Parteien offenbar weit entfernt. Das Heil des Vaterlandes suchen die Parlamentarier in endlosen Debatten um die kaum noch verständlichen Varianten der Gesundheitsreform.

Im übrigen sollten die Europäer einen anderen typisch amerikanischen Irrtum vermeiden. Es macht keinen Sinn, einen Gegner, und sei er noch so tückisch, zu verteufeln und gegen ihn zu polemisieren. Man muß sich in seine Mentalität versetzen, seine geheimen Absichten aufspüren, um sie durchkreuzen zu können, und dafür muß man mit ihm im Gespräch bleiben. Kurzum, die Beibehaltung der derzeitigen NATO-Struktur mit ihren Bannflüchen gegen die »Schurkenstaaten« und »Vorposten der Tyrannei« ist keine Sicherheitsgarantie, sie ist eine Sicherheitsgefährdung und bewirkt zudem die würdelose Entmündigung Europas.

Zitieren wir Zbigniew Brzezinski, der alles andere als ein »Appeaser« ist und dessen Standardwerk »The Grand Chessboard« den russischen Analytikern in der Umgebung Präsident Putins als Entschlüsselungsinstrument amerikanischer Absichten dient. Die deutsche Übersetzung trägt den zutreffenden Titel: »Die einzige Weltmacht«.

»Ich mache mir wirklich Sorgen«, so äußert sich der ehemalige »National Security Advisor« in einem Interview, »daß die USA den historischen Test im Nahen und Mittleren Osten nicht bestehen. Wir sehen uns drei Herausforderungen ausgesetzt. Erstens: Der Konflikt zwischen Israeli und Palästinensern. Offenbar können wir da keinerlei positiven Einfluß ausüben. Zweitens der Krieg im Irak, von dem wir drei Jahre lang behauptet haben, daß wir ihn gewinnen. Nun geben wir uns damit zufrieden zu sagen, daß wir ihn nicht verlieren – was an sich schon eine Niederlage ist. Und drittens die Wirrungen mit Iran, die nicht einfacher gemacht werden durch die unvorhersehbare und manchmal widerwärtige Sprache der Iraner.«

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Die wirkliche Prüfung des weltumspannenden Kräftesystems, in dem die Verdrängung Rußlands, die chinesisch-amerikanische Rivalität sowie das Verhältnis der amerikanischen Planer und ihres europäischen NATO-Anhängsels zum Islam sich schicksalhaft überschneiden, steht im Raum der Islamischen Republik Iran noch bevor. Nicht die Episode des amerikanischen Fehlschlages im Irak ist das wirkliche Ereignis von historischer Bedeutung, das sich im »Broader Middle East« nachhaltig auswirken wird, sondern der Aufstieg Irans zur Regionalmacht am Persischen Golf sowie das Entstehen einer schiitischen Einflußzone, einer Landbrücke zwischen Hindukusch und Mittelmeer. Seit dem Aufkommen des schiitischen Fatimiden-Kalifats mit Sitz in Kairo im 10. Jahrhundert ist die islamische Umma keiner vergleichbaren Belastung und blutrünstigen Spaltung mehr ausgesetzt gewesen.

In ihrer selbstverschuldeten Bedrängnis versucht die Bush-Administration neuerdings die Verantwortung für das eigene Versagen im Irak den Mullahs von Teheran zuzuweisen. Seit der schiitische Eiferer und Sozialrevolutionär Mahmud Ahmadinejad im Jahr 2005 mit großer Mehrheit zum Präsidenten der Islamischen Republik Iran gewählt wurde, gilt er in Washington als der gefährlichste Brandstifter im ganzen Orient. Das alte Persien wird wieder von einem Mann regiert, der sich auf die kämpferische Doktrin des verstorbenen Ayatollah Khomeini beruft, auch wenn er in letzter Entscheidung der gebieterischen Weisung des höchsten geistlichen Führers, des Ayatollah Ali Khamenei, untergeordnet bleibt.

Seit das Regime von Teheran auf die ihm völkerrechtlich zustehende Anreicherung von Uran nicht verzichten will, ist die berechtigte Befürchtung des Westens, die Iraner strebten den Besitz der Atombombe an, zur Zwangsvorstellung geworden. Das Pentagon arbeitet fieberhaft an Offensivplänen, um die schiitische Regionalmacht in Schach zu halten. Im Weltsicherheitsrat wäre die gebotene Einstimmigkeit für einen Waffengang zweifellos nicht vorhanden.

Der Blick über das endlose Häusermeer von Teheran mit seinen dreizehn Millionen Einwohnern illustriert die Unmöglichkeit, einen Staat in die Knie zu zwingen, der siebzig Millionen Menschen auf schwierigem Gelände vereint. Die auf den Heiligen Krieg eingeschworenen Revolutionswächter, aus deren Reihen Ahmadinejad hervorgegangen ist, verfügen gegenüber den USA über ein ganzes Arsenal furchterregender Gegenmaßnahmen. Heute schon besitzen die persischen Streitkräfte weitreichende, präzise Raketen und Lenkwaffen. Das Eindringen persischer Pasdaran in den Irak könnte die dort befindlichen amerikanischen Garnisonen vollends isolieren, ja zu Geiseln machen.

Mit größter Sorge blicken die Strategen Washingtons auf den Persischen Golf und die Meerenge von Hormuz. Durch diese schmale Fahrrinne verläuft der maritime Erdöltransport nicht nur des Irak, sondern des Iran, der Emirate, Kuweits und vor allem Saudi-Arabiens. Mit dem Einsatz bewaffneter Schnellboote und Kampfschwimmer, mit der Anlage von Minenfeldern, ergänzt durch tief eingebunkerte Raketenstellungen, wäre das iranische Oberkommando in der Lage, die Enge von Hormuz zu sperren. Die für den Westen unentbehrlichen Riesentanker wären ein leichtes Ziel. Im Extremfall lägen sogar die wichtigsten Erdölreserven, Raffinerien und Verschiffungsanlagen Saudi-Arabiens bei Dahran in Reichweite iranischer Lenkwaffen. Mit verbaler Einschüchterung und halbherzigen Sanktionen wird der Westen also bei Ahmadinejad wenig ausrichten können.

Aber wird es dabei bleiben? Die diversen Nachrichtendienste verwerfen die Hypothese nicht gänzlich, daß仫ü»«öäßä