Vorwort oder Das Netzwerk mit der kalten Schnauze
Wer Hunde hält, begräbt damit alle Aussichten, eine anonyme, zurückgezogene Existenz zu führen.
Das hat nichts damit zu tun, dass man mit Steuermarke und Microchip unter der Haut seines Vierbeiners ein offenes Buch für die Behörden ist. Wenn ich mit meinen Hunden spazieren gehe, bekomme ich in etwa ein Gefühl dafür, wie es sein muss, mit einem Prominenten verheiratet zu sein. Oder eher: Mit vier bis fünf Prominenten. Wildfremde Menschen sehen mir mit offenem Mund nach, Kinder zeigen auf mich: »Mami, guck mal da vorne: Die Frau hat so viele Hunde!«, andere wechseln die Straßenseite, und wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, bringe ich an Kreuzungen regelmäßig den Verkehr zum Erlahmen. Ganz erklären kann ich mir das eigentlich nicht, ich gehe schließlich nur mit fünf Hunden spazieren, nicht mit acht Lamas.
Wer Hunde hält, betritt damit eine Art Nebenwelt, in der man vor Absurditäten aller Arten nicht mehr sicher ist. Schon mit einem Hund ist man unglaublich ansprechbar, Abgrenzungen sind unmöglich, man wird automatisch und ungefragt zum Gesprächspartner und Frustrationsableiter, also: als echtes Gegenüber wahrgenommen. Ich glaube zwar, dass Hunde uns zu besseren Menschen machen können, aber nicht notwendigerweise aus jedem das Beste im Menschen herausbringen: Mit Hund am Band wird man umgehend Empfänger jeglicher Sorten von Ratschlägen – gut wie böse gemeinter. Ungefiltert erlebt man Einmischung, offene Ablehnung, Hundehass und Affenliebe.
Wenn ich umziehe – was ich relativ häufig tue –, gibt es nach zwei Monaten niemanden mehr in meinem Stadtteil, der mich nicht kennt und umgekehrt. Für die letzte nächtliche Runde brauche ich Ewigkeiten, weil ich auf der Straße so viele andere Leute mit Hund treffe. Streng nach der merkwürdigen Etikette, die unter Hundebesitzern herrscht: Wir stellen uns nicht selbst vor, nur unsere Hunde. Meine Hunde kennen also Holly, Diego, Tally und Jerry, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie deren Besitzer heißen. Dabei sind wir unerhört offen im Umgang miteinander: Wir führen tiefgehende Gespräche über das Weltgeschehen und haben keinerlei Geheimnisse, was das Innen- und Intimleben der eigenen Hunde betrifft – auch wenn wir einander ohne Hund im Schlepptau niemals wiedererkennen würden. Tatsache ist: Die meisten Hundebesitzer sind nette Leute. Der Umgang mit ihnen ist leicht. Sie wissen eine Menge darüber, warum sie machen, was sie machen, weil sie das alles aus Hundebüchern gelernt haben. Wir wissen alles über dominantes Auftreten und Deeskalationsmöglichkeiten, Gruppenpsychologie, Augenkontakt und Beschwichtigungsgesten, Territoriumsgehabe oder sexuelles Besitzverhalten. Neulich sprach ich in München zwei Männer an, beide in schwarzes Leder gekleidet und von oben bis unten mit Körperpiercings und Tätowierungen verziert, was normalerweise nicht in mein Beuteschema fällt. Aber sie führten ein Italienisches Windspiel an der Leine, und so wurden wir in null Komma nichts zu lebenslangen Verbündeten unserer geteilten Stubenreinheitserfahrungen.
Ich liebe Hunde dafür, dass es so leicht ist, mit ihnen zu leben: Sie begrüßen jeden Tag mit geradezu unglaublicher Freude darüber, dass sie auch diesmal wieder mit dabei sein dürfen. Ich liebe das Leben mit Hunden, weil es so voller Geschichten ist: Die Absurdität des Alltags potenziert sich, je mehr Hunde man mit sich führt. In meinem Fall sind es Luise und Ida, ein schwarzer und ein brauner Königspudel, Harry, ein Italienisches Windspiel mit leicht neurotischen Zügen, Fritz, ein so durch und durch un-neurotisches Exemplar der gleichen Art, dass man ihn für einen Labrador in Verkleidung halten könnte, und neuerdings George, ein Chihuahua-Papillon-Mischling, der so klein ist, dass er eigentlich nur als halber Hund gelten kann. Eine ausreichende Menge Absurditätspotential, könnte man sagen.
Dieses Buch ist eine Auswahl meiner Kolumnen aus der Bild am Sonntag und der Zeitschrift Dogs. Es beschreibt Situationen, die allen Hundebesitzern so oder ähnlich auch passieren. Oder passieren könnten. Es ist kein Ratgeber, sondern eine Art Trostbuch für alle jene, die glauben, nur ihnen passierten diese abstrusen Dinge. Keine Sorge, Sie sind nicht allein. Und das macht das Leben mit Hunden, Hundefreunden und Hundefeinden eigentlich noch viel komischer, als es sowieso schon ist.
