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Das Buch

»Ich liebe Hunde, weil es so leicht ist, mit ihnen zu leben: Sie begrüßen jeden Tag mit unerhörter Freude darüber, dass sie wieder mit dabei sein dürfen. Ich halte Hunde dabei nicht für die besseren Menschen, allerdings glaube ich wirklich, dass sie aus uns bessere Menschen machen.« Katharina von der Leyen ist Deutschlands beliebteste Hundekolumnistin, ihre klugen, pointierten Texte über Freud und Leid als Hundehalter begeistern seit vielen Jahren Millionen Leser. In diesem Band sind ihre besten Geschichten erstmals versammelt – Lustiges, Verrücktes und auch Peinliches aus dem Alltag einer Hundenärrin.

Die Autorin

Katharina von der Leyen ist erfolgreiche Autorin von mehreren Hunderatgebern und schreibt seit vielen Jahren für deutsche Magazine und Zeitungen, u. a. für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, den Tagesspiegel und Dogs. Ihre Kolumne »Mein Hundeleben« in der Bild am Sonntag hat Kultstatus.

Katharina von der Leyen

Der Witz
mit Fritz
und dem Sitz

Mein Hundeleben

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Oktober 2011
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2011
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Titelillustration: © gettyimages / BLOOMimage
Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
ISBN 978-3-8437-0111-2

Inhaltsverzeichnis

Vorwort oder Das Netzwerk mit der kalten Schnauze

Leben in Saus und Braus

Von Joggern und Kläffern

Stiller Sterbebegleiter

Der Bürohund-Knigge

Der Witz mit Fritz und dem Sitz

Bauer sucht Streit – oder: Teure Hühner

Wo ist der Goldhase?

Wie der Herr, so ’s G’scherr

Wahre Liebe

Cappuccino für die Dame?

Tiertelepathie

Gefundenes Fressen

Germany’s Next Top-Wuff

Ein Hund namens Ratte

Ärger mit Harry

Luxusgeschöpfe oder: Warum die Hundesteuer gegen das Grundgesetz verstößt

Zusammen ist man weniger allein

Hunde brauchen einen Garten!

Darf’s noch einer mehr sein?

Hundehasser, historisch gesehen

Ist Ihr Hund erfüllt?

Ernie – ein Hund wird zugrunde gerichtet

Der Schweinehund

Der Charme grauer Haare

Ein Leben im Rampenlicht

Hundeleute

Multitasking

Generationsprobleme

Vorsicht vor Mücken und Elefanten!

Größenwahn

Natur ist gefährlich

Schönes Haar ist dir gegeben

Wird er lästig, werd ich listig

Spaziergangskrise

Lieben heißt loslassen können

Auf die Kacke gehauen

Prachtkerle gibt’s nur im Fernsehen

Vogelnahrungsengpassüberbrückungsmaßnahmen

Die Hochzeits-Crasherin

Wenn das Outfit zum Autschfit wird

Kummertante Ida

Oben ist die Luft dümmer

Wenn die Angst mitfährt

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Fremde Spezies

Die Nackten und die Pfoten

Wissenswertes übers Wasserlassen

Fische sind auch keine Lösung

Mondlandschaft von oben

Das Fest des Friedens und der Besinnung

Warum Hunde besser sind als Katzen

Die Sechs-Wochen-Mutti

Warm ums Herz und um den Bauch

Wintersport

Des Pudels Kern

Theologie oder: Ein Hund fürs Leben

Lob des Hundehalters

Eine Frage der Gene

Klopfgeräusche unter der Motorhaube

Nur ein bisschen angepisst

Rat mal, wer zum Essen kommt

Reich an Hunden – arm an Verstand?

Betrunkene Hunde

Die Imelda Marcos der Hundeleinen

Mit der Bahn zu Kublai Khan

Kindchenschema

Und dann hau ich mit dem Hämmerchen …

Mein Hund, mein besseres Ich

Und welcher Hund sind Sie?

Altern mit Pudel

Was wir aus Liebe tun

Umzug oder: Das schwarze Loch

Das Grauen hat einen Namen

Der Fragebogen von Marcel Proust – beantwortet von Fritz, dem Italienischen Windspiel

Hund_01.jpg Vorwort oder Das Netzwerk mit der kalten Schnauze

Wer Hunde hält, begräbt damit alle Aussichten, eine anonyme, zurückgezogene Existenz zu führen.

Das hat nichts damit zu tun, dass man mit Steuermarke und Microchip unter der Haut seines Vierbeiners ein offenes Buch für die Behörden ist. Wenn ich mit meinen Hunden spazieren gehe, bekomme ich in etwa ein Gefühl dafür, wie es sein muss, mit einem Prominenten verheiratet zu sein. Oder eher: Mit vier bis fünf Prominenten. Wildfremde Menschen sehen mir mit offenem Mund nach, Kinder zeigen auf mich: »Mami, guck mal da vorne: Die Frau hat so viele Hunde!«, andere wechseln die Straßenseite, und wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, bringe ich an Kreuzungen regelmäßig den Verkehr zum Erlahmen. Ganz erklären kann ich mir das eigentlich nicht, ich gehe schließlich nur mit fünf Hunden spazieren, nicht mit acht Lamas.

Wer Hunde hält, betritt damit eine Art Nebenwelt, in der man vor Absurditäten aller Arten nicht mehr sicher ist. Schon mit einem Hund ist man unglaublich ansprechbar, Abgrenzungen sind unmöglich, man wird automatisch und ungefragt zum Gesprächspartner und Frustrationsableiter, also: als echtes Gegenüber wahrgenommen. Ich glaube zwar, dass Hunde uns zu besseren Menschen machen können, aber nicht notwendigerweise aus jedem das Beste im Menschen herausbringen: Mit Hund am Band wird man umgehend Empfänger jeglicher Sorten von Ratschlägen – gut wie böse gemeinter. Ungefiltert erlebt man Einmischung, offene Ablehnung, Hundehass und Affenliebe.

Wenn ich umziehe – was ich relativ häufig tue –, gibt es nach zwei Monaten niemanden mehr in meinem Stadtteil, der mich nicht kennt und umgekehrt. Für die letzte nächtliche Runde brauche ich Ewigkeiten, weil ich auf der Straße so viele andere Leute mit Hund treffe. Streng nach der merkwürdigen Etikette, die unter Hundebesitzern herrscht: Wir stellen uns nicht selbst vor, nur unsere Hunde. Meine Hunde kennen also Holly, Diego, Tally und Jerry, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie deren Besitzer heißen. Dabei sind wir unerhört offen im Umgang miteinander: Wir führen tiefgehende Gespräche über das Weltgeschehen und haben keinerlei Geheimnisse, was das Innen- und Intimleben der eigenen Hunde betrifft – auch wenn wir einander ohne Hund im Schlepptau niemals wiedererkennen würden. Tatsache ist: Die meisten Hundebesitzer sind nette Leute. Der Umgang mit ihnen ist leicht. Sie wissen eine Menge darüber, warum sie machen, was sie machen, weil sie das alles aus Hundebüchern gelernt haben. Wir wissen alles über dominantes Auftreten und Deeskalationsmöglichkeiten, Gruppenpsychologie, Augenkontakt und Beschwichtigungsgesten, Territoriumsgehabe oder sexuelles Besitzverhalten. Neulich sprach ich in München zwei Männer an, beide in schwarzes Leder gekleidet und von oben bis unten mit Körperpiercings und Tätowierungen verziert, was normalerweise nicht in mein Beuteschema fällt. Aber sie führten ein Italienisches Windspiel an der Leine, und so wurden wir in null Komma nichts zu lebenslangen Verbündeten unserer geteilten Stubenreinheitserfahrungen.

Ich liebe Hunde dafür, dass es so leicht ist, mit ihnen zu leben: Sie begrüßen jeden Tag mit geradezu unglaublicher Freude darüber, dass sie auch diesmal wieder mit dabei sein dürfen. Ich liebe das Leben mit Hunden, weil es so voller Geschichten ist: Die Absurdität des Alltags potenziert sich, je mehr Hunde man mit sich führt. In meinem Fall sind es Luise und Ida, ein schwarzer und ein brauner Königspudel, Harry, ein Italienisches Windspiel mit leicht neurotischen Zügen, Fritz, ein so durch und durch un-neurotisches Exemplar der gleichen Art, dass man ihn für einen Labrador in Verkleidung halten könnte, und neuerdings George, ein Chihuahua-Papillon-Mischling, der so klein ist, dass er eigentlich nur als halber Hund gelten kann. Eine ausreichende Menge Absurditätspotential, könnte man sagen.

Dieses Buch ist eine Auswahl meiner Kolumnen aus der Bild am Sonntag und der Zeitschrift Dogs. Es beschreibt Situationen, die allen Hundebesitzern so oder ähnlich auch passieren. Oder passieren könnten. Es ist kein Ratgeber, sondern eine Art Trostbuch für alle jene, die glauben, nur ihnen passierten diese abstrusen Dinge. Keine Sorge, Sie sind nicht allein. Und das macht das Leben mit Hunden, Hundefreunden und Hundefeinden eigentlich noch viel komischer, als es sowieso schon ist.

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Hund_02.jpg Leben in Saus und Braus

Die meisten Hunde, die ich kenne, leben wie gefeuerte Vorstandsvorsitzende: Frei von jeglicher Verantwortung bekommen sie einen Bonus nach dem anderen und führen ein Leben in Saus und Braus. Sie tragen Halsbänder und Leinen passend zur menschlichen Garderobe, bekommen Hundespielzeug passend zur jeweiligen Entwicklungsphase und Hundebetten passend zum Wohnungsinterieur.

Der Witz ist natürlich: Die meisten Hunde wollen überhaupt kein weiches Hundebett – sie wollen in unserem Bett schlafen, und trotz bester menschlicher Vorsätze setzen die meisten Hunde dieses Konzept auch innerhalb der ersten sechs Monate unwiderruflich durch. Meine braune Pudelin Ida war sozusagen die Jennifer Lopez der Caniden: Ursprünglich aus einfachen Verhältnissen stammend, eignete sie sich schnell einen ganz selbstverständlichen Geschmack für teure Designerartikel an. Die vielen pädagogisch wertvollen Hundespielsachen, die den Boden meiner Wohnung bedecken, können sie nicht erfreuen, die artgerechten Kauartikel interessierten sie nie: Meine Sachen gefallen ihr besser. Allein in ihrem ersten Jahr zerkaute sie eine Lesebrille von Dolce & Gabbana inklusive Gläsern und drei Paar Pumps; ein Paar Prada-Stiefel gestaltete sie zu Sandalen um, von diversen BHs, die sie, noch ungetragen, direkt aus der Tüte gründlich zwischen ihren scharfen Zähnen zermalmte, ganz zu schweigen, nebst Stuhlbeinen, Taschen, Gürteln. Als Beilage fraß sie Klopapier.

Was die Grundnahrung unserer Hunde betrifft, bieten sich ganz andere Möglichkeiten, unglaubliche Mengen Geld loszuwerden. Es gibt eine Trilliarde verschiedener Dosen- und Trockenfuttersorten, und es obliegt dem geschickten Fachberater, die teuerste Sorte an Herrchen oder Frauchen zu bringen. Hunde können das Zeug meist nicht ausstehen. Würden wir stattdessen Hunde einfach das fressen lassen, was sie unterwegs aufsammeln und für ihre natürliche Nahrung halten – ausgespuckte Kaugummis, vergammelte Döner, vor Wochen verstorbene Fische, benutzte Papiertaschentücher –, wir könnten unsere Hunde sehr glücklich machen. Selbst meinen eigenen ergeht es nicht besser: Unerbittlich nötige ich sie täglich, eigens aus England importiertes, kräuterhaltiges Futter aus richtig herumschwimmenden Lachsen und frei laufenden Rehen zu fressen. Es sieht aus wie Hasenköttel, schmeckt aber offensichtlich nicht so. Also rühre ich noch Hüttenkäse, Frischfleisch und Seealgenpulver darunter. Während sie das Ganze mit langen Zähnen verspeisen, träumen sie von Cheeseburgern und Schokoladenkuchen.

Warum wir Menschen gerade an dieser Stelle darauf beharren, dass wir für unsere besten Freunde nur das (aus unserer Sicht) Beste wollen, werden sie wohl nie verstehen.

Hund_02.jpg Von Joggern und Kläffern

Wenn ich mit meinen Hunden spazieren gehe, ist es offenbar unmöglich, mich zu übersehen: Eine 1,80 große Frau mit zwei Großpudeln und zwei Italienischen Windspielen mag durchaus einigermaßen auffällig sein, aber es ist ja nicht so, als würde ich beim Gehen mit Orangen jonglieren und gleichzeitig meine Hunde durch brennende Reifen springen lassen. Und trotzdem bringt mein Anblick offenbar die Gemüter in Wallung – vielleicht nehme ich zu viel Raum weg, jedenfalls werde ich auf Schritt und Tritt angesprochen (»Das sind aber doch nicht alles Ihre, oder?«), belächelt oder angeschnauzt. Neulich änderte ein Jogger im Wald sogar extra seine Route und kam 80 Meter herangejoggt, um mich zu ermahnen, ich solle dafür sorgen, dass meine Hunde ihn nicht »anfielen«. Meine Hunde hatten sich bis dahin nicht im Geringsten um ihn gekümmert, sondern spielten ganz friedlich mit einem kleinen Jack-Russell-Terrier, den sie gerade kennengelernt hatten. Der Mann, jung, sportlich und dynamisch, wollte sich nicht ignorieren lassen und fing an, mir vom Leinenzwang im Wald zu erzählen. Meine Hunde waren noch immer nicht bereit, ihn nur eines Blickes zu würdigen, geschweige denn ihn anzubellen oder anzufallen. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«, fragte ich irgendwann genervt, weil ich mich viel lieber mit dem Besitzer des Terriers unterhalten wollte. Der Jogger kläffte, ich solle gefälligst die Gesetze achten, und im Feld dürften Hunde nicht ohne Leine laufen, Hunde seien nun mal gefährlich. Ich fragte ihn, ob er auch hinter jedem Falschparker herrenne und ihn maßregele, und ob er eigentlich wisse, dass hier alles voller Wildschweine sei, und die seien nun wirklich gefährlich. Die Wildschweine waren ihm egal, aber mich wollte er auf der Stelle beim Förster anzeigen, damit er in Zukunft sicherer joggen könne.

Bis hierher war es ein schöner, friedlicher Sonntagmorgen gewesen, meine Hunde spielten, wir hatten niemanden behelligt, und ich musste mich trotzdem blöd von der Seite anmachen lassen, einfach nur, weil ich eine Angriffsfläche bot für jemanden, der offenbar zu wenig Sozialkontakt hatte oder dem das Joggen nicht ausreichte, seinen Frust abzulassen. In Bayern passiert derlei nicht: Da gibt es keine Leinengesetze, was die Menschen deutlich entspannter mit Hunden umgehen lässt, weil alle einander ähnliche Daseinsberechtigungen einräumen. Meine Theorie ist, dass zu viele Gesetze die Leute dumm und unselbständig werden lassen.

Neulich starrte mich ein älterer Mann böse an, zeigte auf meine (artig an der Leine gehenden) Hunde und sagte: »Kann ja wohl nicht wahr sein. Wieso schaffen Sie sich nicht noch mehr Hunde an, die die Landschaft zuscheißen? Wozu soll das gut sein?« Ich hatte noch gute Laune, also sagte ich: »Es ist erwiesen, dass Hundehalter gesünder sind, länger leben und weniger Herzprobleme haben, weil sie regelmäßig Bewegung haben. In der Nähe eines Haustieres zu sein kann Bluthochdruck senken, und wenn jemand sich mit seinem Hund beschäftigt, setzt das zentrale Nervensystem Hormone frei, die Wohlbefinden auslösen, wie z. B. Oxytocin, das soziale Interaktion beeinflusst. Sie sollten das unbedingt mal probieren.« Der Mann sagte gar nichts mehr.

Als wir wieder zu Hause waren, sah ich meine Hunde an und fragte sie ernsthaft: »Wozu seid ihr eigentlich gut?« Meine Hunde hopsten begeistert um mich herum, wackelten mit ihren Hinterteilen, grinsten, holten Spielsachen und warfen sie mir in den Schoß oder hauten sie einander um die Ohren; es war eine sehr vergnügte Angelegenheit. Und ich schämte mich für meine blöde Frage.

Hund_03.jpg Stiller Sterbebegleiter

Wenn man über Hunde als Helden spricht, dann meistens von aufregenden, dramatischen Events, bei denen Hunde Ertrinkende retten oder gerade noch rechtzeitig einen Selbstmörder aufspüren. Tatsächlich gibt es viele genauso heldenhafte, aber weitaus unspektakulärere Geschichten, in denen Hunde über ihre eigene Persönlichkeit hinauswachsen, um sich einer Situation anzupassen.

Ein solcher Hund war Toby, den ich vor vielen Jahren zusammen mit seinem Besitzer Paul in New York im Park kennenlernte. Toby war ein typischer junger Basenji, eine anmutige kleine afrikanische Rasse, die sehr aktiv ist – aktiv mit großem »A«, wenn Sie wissen, was ich meine. Basenjis bellen nicht, sind aber keineswegs geräuschlos. Je nach Laune glucksen, jodeln, heulen oder kreischen sie. Sie sind sehr sportlich, was bedeuten kann, dass sie auch gerne mal Bücherregale oder Esszimmertische erklimmen. Als Tobys Besitzer Paul an Aids erkrankte und immer mehr Zeit im Bett verbringen musste, leistete Toby ihm Gesellschaft. Der kaum zu bändigende junge Hund lag stundenlang bewegungslos auf Pauls Bett, den Kopf auf Pauls Brust. Eines der wenigen Dinge, die Paul kräftemäßig noch schaffte, war ein sehr langsames Spiel, bei dem Paul versuchte, an Tobys Barthaaren zu zupfen, was Toby nicht leiden konnte. Daraus wurde eine Art Spielkampf auf dem Bett in sehr langsamen, vorsichtigen Bewegungen – der wilde Toby hinterließ niemals auch nur den kleinsten Kratzer auf Pauls Hand. Für Paul dagegen war das Spiel mit Toby das Einzige, was ihn überhaupt noch interessierte – man hätte beinahe denken können: am Leben erhielt.

Je weiter Pauls Krankheit fortschritt, desto mehr beharrte Toby darauf, in Pauls Nähe zu bleiben. Wenn es Zeit fürs Gassigehen war, musste er vom Bett gehoben und nach unten getragen werden. Dort erledigte er in allerkürzester Zeit seine Geschäfte, raste zurück zum Haus und kratzte an der Tür. Sobald er drinnen war, stürmte er die Treppen hinauf, katapultierte sich aufs Bett und legte sich vorsichtig an Pauls von schwerer Krankheit gezeichneten Körper. Dort blieb Toby, bis man ihn wieder zwang, seine Aufgabe wenigstens für kurze Zeit zu unterbrechen.

Zum Schluss, ganz am Ende, konnte Paul nicht mehr zu Hause bleiben, sondern musste ins Krankenhaus. Einmal schafften wir es, Toby in einer Tasche ins Krankenhaus zu schmuggeln, obwohl wir große Angst hatten, dass Toby vor lauter Glück, sein Herrchen wiederzusehen, fürchterlichen Krach machen würde – amerikanische Krankenhäuser sind nicht sehr kulant, was Hygienevorschriften betrifft (wir dachten uns: die paar Bakterien von der Straße werden ihn nicht gleich umbringen, der Hund ihn aber sehr froh machen). Toby machte keinen Laut, sondern lag auf Pauls zerrüttetem Körper und wedelte wie verrückt – der ganze Hund strahlte vor Glück. Auch Paul strahlte, so gut er das noch konnte. Es war das letzte Mal, dass er seinen kleinen, wilden Hund sah.

In den letzten Stunden seines Lebens, im Delirium und unter großen Schmerzen in einem Krankenhausbett meilenweit von zu Hause entfernt, spielte Paul mit einem eingebildeten Toby. In seiner Vorstellung und seinem Herzen war der kleine Hund bei ihm. Das hätte sich Toby auch gewünscht.

Hund_04.jpg Der Bürohund-Knigge

Viele Hunde fragen sich immer wieder, wo der Mensch eigentlich von Montag bis Freitag jeden Tag ohne sie hingeht und machen sich geradezu verrückt mit ihren Vorstellungen: Geht der Mensch ohne sie in den Park? Amüsiert er sich ohne seinen eigenen Hund? Trifft der Mensch sich gar mit einem anderen Hund? Wann kommt er nach Hause? – Manche Hunde denken sich im Laufe eines Tages so sehr in Rage, dass sie ihrer wachsenden Anspannung ein Ventil geben müssen, indem sie beispielsweise Kissen zerfetzen oder die Tapete von der Wand reißen: Das ist auch gut so. Verhaltenstherapeuten bestätigen, dass solches Verhalten eine Verminderung des Stresslevels fördert. Die Methoden dafür sind sehr individuell; die einen brauchen Stille und machen auf dem Sofa oder dem Küchentisch meditative Übungen, die anderen suchen sich körperlichen Ausgleich: Hierdurch wird angestaute Energie abgebaut, man distanziert sich von seinen Problemen, und die Durchblutung von Muskulatur, Organen und Gefäßen verbessert sich.

Trotzdem ist es tröstlich zu hören, dass der Mensch sich keineswegs tagaus, tagein in Abwesenheit seines Hundes amüsiert. Der Mensch geht ins Büro, eine Art Zwinger für Menschen. Das Büro ist ein eingeschränkter Lebensraum, in dem die meisten Menschen mehr Zeit verbringen als irgendwo sonst (außer vielleicht in ihrem Bett, das sie aber gewöhnlich wenigstens mit ihrem Hund teilen). Er amüsiert sich dort durchaus nicht, sondern nimmt Kommandos von seinem »Chef« bzw. seiner »Chefin«, kurz: vom Alphatier entgegen, verhält sich möglichst eher devot und denkt den ganzen Tag daran, dass er lieber nach Hause zu seinem Hund möchte. Seine Belohnung für diese Art des Lebens ist ein bisschen Geld, das er meistens praktisch vollständig für seinen Hund ausgibt: Das allein sollte Grund genug für den Hund sein, seinen Menschen immer mit großer Wärme und der Zurschaustellung reinen Glücks über dessen Wiederkehr zu begrüßen.

Die Hunde, die das Glück haben, ihren Menschen auch ins Büro begleiten zu dürfen, haben derlei Sorgen natürlich nicht. Mit diesen »Bürobegleithunden« verhält es sich ähnlich wie mit Therapiehunden: Besonders umsichtige Alphatiere unter den Menschen haben erkannt, dass die Anwesenheit eines Hundes sich positiv auf das Arbeitsklima im Büro auswirkt, die Menschen sich weniger stark nach ihrem Zuhause sehnen und die Stimmung insgesamt entspannter ist. Bürohunde müssten eigentlich ihren von den Gemeinden vorgeschriebenen steuerlichen Status als »Luxushund« verlieren, denn ihnen obliegt eine große Verantwortung: Davon, wie umsichtig und kollegial sich der Hund im Büro verhält, hängt nicht selten die gesamte Karriere des dazugehörigen Menschen ab.

Es ist dem Hund davon abzuraten, den Flur des Büros als Rennstrecke zu verwenden (egal, wie scharf man die Kurven nehmen kann), Boten und Kuriere zu verbellen – (es könnte schließlich auch der Pizzabote sein) oder dem Chef/der Chefin im Laufe des Tages ein eingespeicheltes Spielzeug auf den Schoß zu legen, wenn ihm (also dem Hund) langweilig ist. Auch von offensivem Betteln ist abzuraten. Vielversprechend ist es hingegen, um die Mittagszeit mit eingezogenem Bauch seufzend durch die Flure zu schleichen oder ca. eine halbe Stunde vor dem Essen eine besonders weichherzige Person aus dem Büro mit Zärtlichkeiten zu überschütten. Sie wird einem garantiert die Hälfte von ihrem Hühnerbrust-Sandwich abgeben: Und zwar nicht aus Mitleid, sondern aus erwiderter, reiner und selbstloser Liebe.

Hund_05.jpg Der Witz mit Fritz und dem Sitz

Hundebesitzer glauben sich stets von Hundefeinden umzingelt, aber anstrengender finde ich die Leute, die sich auf offener Straße als Hundeexperten outen. Da kann man noch so lange unbeschadet mit seinen Fiffis zusammengelebt haben – und trifft doch immer wieder Hundefreunde, die meinen, genau beurteilen zu können, was dem Hund fehlt, obwohl sie nichts über den Hund oder das Leben des anderen wissen und selbst kein Haustier haben.

Als meine braune Pudelin Ida ein Welpe war und das Gehen an der Leine lernen sollte, wehrte sie sich beim geringsten Zupfen am Halsband wie ein bockiges Fohlen, hopste herum, jammerte und warf sich zu Boden. Die Menschen auf der Straße blieben stehen und tuschelten. Ein fremder Herr mit der Aura eines Tigerbändigers meinte gönnerhaft, er würde mir mal zeigen, wie das ginge. Er stapfte drauflos, Ida stemmte sich mit den Hinterläufen dagegen, röchelte und galoppierte rückwärts. »Sie will einfach nicht an der Leine gehen«, sagte der Tigerbändiger, als hätten wir dieses Problem gerade erst entdeckt. Als er mir die Leine zurückgab, betrachtete er Ida, als habe sie einen Konstruktionsfehler.

Neulich stand ich mit meinen Hunden an der roten Ampel und ließ sie »Sitz!« machen, wie es sich für anständige Bürger gehört. Fritz, der damals erst sechs Monate alt war, setzte sich für einen Moment und stand sofort wieder auf. Nicht, weil er nicht wusste, was das Wort »Sitz!« bedeutet, sondern, weil ihm gerade nicht danach war (ein sechs Monate alter Hund hat etwa die geistige Reife eines Dreizehnjährigen. Eltern kennen das: Es ist die Phase, in der Kinder auf jede Bitte, die man an sie richtet, mit einem langgezogenen »Glei-heich!« antworten, worauf dann erst einmal überhaupt nichts passiert). Ich sagte wieder »Sitz!«, und Fritz setzte sich für eine Nanosekunde hin. Ein junger Mann, gutgekleidet und gutaussehend, wie jemand, der Audi fährt und sein Sozialleben im Griff hat, kam auf mich zu und sagte ohne Einleitung: »Es ist kalt. Die Hunde müssen sich nicht setzen, wenn es kalt ist.« – »Doch, müssen sie«, erwiderte ich und konzentrierte mich wieder auf den renitenten Fritz (zur Information: es waren sieben Grad über Null, nicht fünf Grad minus. Die Windspiele trugen dicke Mäntel, die über ihr Hinterteil reichten). Der Mann starrte mich böse an: »Setzen Sie sich doch selbst auf den kalten Boden!« – »Wollen Sie mir jetzt erklären, wie ich meine Hunde erziehen soll?«, fragte ich irritiert.

Fritz hatte sich mittlerweile entspannt hingesetzt, um das kleine Scharmützel nicht zu verpassen. »Das sind doch frei denkende Lebewesen!«, fauchte der Mann. »Aber auch nur, solange die frei denkenden Lebewesen Sie nicht beim Joggen jagen, oder?«, fragte ich. Er spuckte fast vor Wut. »Ich möchte ja nicht wissen, wie es in Ihrem Schlafzimmer zugeht!«, zischte er und überließ meine Hunde ihrem traurigen Schicksal.

Was mein – mittlerweile übrigens vorzüglich »Sitz!«-machender – Fritz mit meinem Schlafzimmer zu tun haben soll, ist mir immer noch schleierhaft. Sachdienliche Hinweise nehme ich jederzeit gerne entgegen.