KAPITEL EINS
Eigentlich war alles gut, abgesehen vielleicht von dem weihnachtsmannroten Fleece-Mantel, den ich trug und in dem ich aussah »wie ’ne fleischfressende Riesentomate«, wie meine Freundin Sina sehr charmant bemerkte.
»Echt, Jens!«, sagte sie und prustete vor Lachen in ihren Cosmopolitan.
Das ist bekanntermaßen der Lieblingscocktail der vier Tanten aus »Sex and the City«, den die immer trinken, wenn sie sich ihre verkorksten Männergeschichten erzählen. Nun waren wir dort, wo »Sex and the City« spielt, in New York City nämlich, und Sina kippte sich an diesem Abend schön einen rein – gemeinsam mit unserer Freundin Ulrike, mit der wir auf der Terrasse vom »230 Fifth« saßen, einer Rooftop-Bar, die das ganze Jahr über geöffnet hat.
Es war eine bitterkalte Nacht im Januar, doch um uns herum standen Heizstrahler, die das Ganze etwas erträglicher machten. Außerdem hatte man uns diese roten Fleece-Teile gereicht, damit wir nicht erfroren, während wir die Aussicht genossen: Wir schauten auf das Empire State Building, das hell erleuchtet in den dunklen Winterhimmel ragte, keine 500 Meter von uns entfernt. Das war schon schick. Trotzdem guckte ich lieber auf die Flasche Bier, die vor Ulrike stand. Sie stammte aus einer Bremer Brauerei.
»Mist«, murmelte ich, »da ist das Bier so weit gereist, und ich darf es nicht trinken. Die Flasche hat sogar den wilden Ozean überquert, um in New York geleert zu werden – aber nicht von mir.« Ich war auf Diät.
Ich machte »FdH« (Friss die Hälfte) und trank seit drei Wochen keinen Alkohol mehr. Das neue Jahr hatte für mich mit einem guten Vorsatz begonnen, der da lautete: Ich will abnehmen! Es war nicht so, dass ich die Ausmaße eines Ottfried Fischer angenommen hätte, aber um meinen Bauch hatten sich drei der berühmten Rettungsringe gebildet, und mein Gesicht wirkte, als hätte ich mir Marshmallows in die Wangen implantieren lassen.
Ich fand, 10 Kilo weniger täten es auch: Auf eine Größe von 1,86 Meter kamen bei mir 95 Kilo. So war es jedenfalls vor drei Wochen gewesen. Inzwischen hatte ich mich auf 94,5 Kilo heruntergehungert. Und an diesem Abend fand ich das alles total absurd: Ich war mit meiner schönen Freundin in New York, auf einer Reise, die ich ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, wir besuchten Ulrike, die seit drei Jahren hier lebte, und die beiden Damen amüsierten sich, während ich die Spaßbremse gab?
»Jens, wie schmeckt denn deine Brause?«, fragte Sina und kicherte, dass ihr blonder Pferdeschwanz wippte.
Sehr komisch. Was sollte ich sagen? Ich hatte ein Ginger Ale bestellt, aber noch keinen Schluck getrunken. Schon der Anblick dieses teefarbenen Zeugs langweilte mich.
Ich bin vermutlich so etwas wie ein Otto Normalbiertrinker: Ich mag Pils, seit ich mit vierzehn oder fünfzehn allein auf Partys gehen durfte. Mein Vater trank gern ein Bier, wenn er mit mir auf dem Sofa saß und »Die Sportschau« guckte. Oder wenn Gäste kamen. So wuchs ich auf: Bier ist etwas, das in geselliger Runde schmeckt. Und so hielt ich es immer: Ich trank beim Fußballgucken mit Freunden oder wenn ich ausging. Manchmal hatte ich davon einen sitzen, meistens nicht. Das Feine am Bier ist ja, dass man eine Menge davon in sich reinschütten kann, ohne vom Hocker zu rutschen – anders als zum Beispiel bei Whiskey, der mich nach einem Glas zu Boden schickt. Außerdem mag ich den Geschmack von Bier. Er ist klar und unaufgeregt – da weiß man, was man hat. Mich macht ein Pils zum Filet Mignon jedenfalls glücklicher als ein Château Lafite aus dem Jahre 1962, die Flasche für über tausend Euro. Ich bin kein Feinschmecker, was Alkohol angeht.
Nun hatte ich aber leider ein Problem: Ich fühlte mich irgendwie nicht wohl, angedickt, wie ich war.
»Trink halt weniger Bier«, sagte Sina und kam sich irre schlau vor, »das hat super viele Kalorien, Jens!«
Das dachte ich auch immer. Aber jetzt stand Sina neben Ulrike, einer jungen Dame mit kurzen, blonden Haaren, die 1,70 Meter groß ist und so aussieht, als wiege sie nicht mehr als 53 Kilo, und von der ich weiß, dass sie dem Bier mindestens so zugetan ist wie ich.
»Sag mal«, fragte ich Ulrike, »wie machst du das, warum hab ich dich noch nie mit einem Bierbauch gesehen?«
»Gute Gene!«, sagten Sina und Ulrike gleichzeitig, und dann lachten sie, denn das ist die Standardantwort, die bei Frauen für alles gilt.
Nein, sagen alternde Schauspielerinnen, ich lasse mir kein Botox spritzen, mein Gesicht schaut aus wie frisch gebügelt, weil ich so gute Gene habe! Nein, sagen junge Models, ich bin nicht magersüchtig, ich bin dünn wie ein Kleiderbügel, weil ich so gute Gene habe! Und im Ernst?
»Keine Ahnung«, sagte Ulrike. »Ich geh zum Beispiel morgen zum Boxtraining, vielleicht liegt es daran, dass ich regelmäßig Sport treibe?«
»Mache ich auch«, erklärte ich, »ich spiele abends Squash, mindestens einmal in der Woche. Doch kaum ein Bier schmeckt mir besser als das, mit dem ich mich nach einer Stunde des Auspowerns auf dem Squashplatz belohne.«
»Isst du dann noch etwas dazu?«, fragte sie.
Ich nickte. Was in der Kneipe halt so auf den Tisch kommt, wenn man noch kurz mit seinem Squashpartner zusammensitzt: ein paar Oliven oder Erdnüsse.
»Vielleicht ist es das«, sagte sie, »ich trinke abends nach dem Boxen auch gern Bier, aber ich esse dann nichts mehr. Ich fühl mich besser, wenn ich damit bis zum nächsten Morgen warte und lieber ordentlich frühstücke. Und ich hab mal irgendwo gelesen, dass Bier allein nicht besonders dick macht. Das hat nämlich gar nicht so viel Kalorien, wie man denkt.«
Und da lachte nun endlich einmal ich. Wer’s glaubt, wird selig!
Ich hatte mich ein bisschen schlaugemacht, als ich über das Abnehmen nachdachte, und alles Mögliche über Diäten gelesen. Ob bei der Ananas-Diät, der South-Beach-Diät oder der Atkins-Diät – überall lautete die Grundvoraussetzung: Verzichten Sie auf Alkohol! Es geht leider nicht zusammen, Bier oder Figur, du musst dich entscheiden. Insofern fühlte ich mich bestens informiert, als ich Ulrike sagte, dass sie mir mal keinen Quatsch erzählen solle.
»Das ist kein Quatsch«, sagte sie, »ich werd’s dir beweisen. Aber nur, wenn du uns jetzt noch ein Bier und einen Cosmopolitan organisierst.«
Ich kam mir vor wie ein Dackel, dem man ein Stöckchen hingeworfen hat: Ich war ziemlich schnell in Richtung Theke unterwegs.
—
Am nächsten Morgen war Ulrike schon aus dem Haus, als Sina und ich aufwachten. Sina hatte das, was man einen dicken Schädel nennt.
»Aua!«, hörte ich sie wimmern, »musste der letzte Drink noch sein?«
»Ja«, sagte ich geistesabwesend. Ich wurde von meinem iPhone abgelenkt, auf dem eine E-Mail von Ulrike eingegangen war.
Von: Ulrike von Bülow
Datum: Freitag, 21. Januar 2011, 09:04 Uhr
An: Jens Bujar
Betreff: Siehste!
Moin! Ausgeschlafen? Ist Sina okay? Wir hatten ja ganz schön einen sitzen gestern. Wie hält man das aus, nüchtern mit so angeschickerten Mädels?!
Ich hab eigentlich viel zu tun, google aber seit einer halben Stunde das Bier-Thema! Gib mal ein: »Bier Diät Kalorien«, da hast du Spitzentreffer. Halt dich fest: Bier macht nicht halb so dick, wie man denkt. Hab mehrere Artikel gefunden, aus deutschen Magazinen (seriösen!), die besagen: Ein Liter Bier hat ca. 420 Kalorien. Milch hat mehr Kalorien, genauso wie Himbeersaft.
Gut, Himbeersaft trinkst du vermutlich eh nicht. Aber wenn du morgens einen kleinen Espresso nimmst statt deines großen Caffè Latte – dann hast du doch abends mehr als ein Bier gut, oder?!
Ahoi, u.
Von: Jens Bujar
Datum: Freitag, 21. Januar 2011, 10:22 Uhr
An: Ulrike von Bülow
Betreff: RE: Siehste!
Schöne Frau, Sina geht’s bescheiden … aber was trinkt Ihr auch so ’n Zeug?
Das Bier-Thema ist der Knaller! Musste auch gleich mal googeln. Bier, sagt so eine Bierlexikon-Seite, gehört zu den kalorienärmsten Getränken, die es gibt! Nur Kaffee oder Tee – ohne Zucker und Sahne – oder Mineralwasser setzen weniger an. Ich fass es nicht! Wieso komm ich da erst jetzt drauf?
Lg, Jens
Von: Ulrike von Bülow
Datum: Freitag, 21. Januar 2011,10:34 Uhr
An: Jens Bujar
Betreff: RE: RE: Siehste!
Hab gerade noch etwas gefunden, das kann ich kaum glauben, stimmt aber: Weizenbier, bei dem mir so ’n 0,5-Liter-Eimer immer vorkommt wie ’ne Mahlzeit mit 1500 Kalorien, hat nur einen Hauch mehr Kalorien als ein Pils: Hab hier einen Vergleich, demnach haben 0,3 Liter Pils 126 Kalorien – und 0,3 Liter Weizenbier 129 Kalorien. Lass mal was trinken gehen heute Abend!
Von: Jens Bujar
Datum: Freitag, 21. Januar 2011, 11:12 Uhr
An: Ulrike von Bülow
Betreff: RE: RE: RE: Siehste!
Mach mich nicht schwach!
Sina ist jetzt los zum Shoppen, aber ich bin nicht mit – brauche meine Ruhe für Bier-Recherche! Das ist echt interessant … verstehe so langsam, was du meinst.
Ein Mann, der wie ich die meiste Zeit am Schreibtisch sitzt, soll am Tag 2200 Kalorien zu sich nehmen. Das sind, hab ich gerade ausgerechnet, mehr als 5 Liter Bier! So viel kann ich gar nicht trinken, aber ein Literchen am Tag geht vielleicht.
Ich guck noch mal weiter!
Von: Ulrike von Bülow
Datum: Freitag, 21. Januar 2011, 11:23 Uhr
An: Jens Bujar
Betreff: RE: RE: RE: RE: Siehste!
Wir müssen das noch mal ein bisschen genauer aufdröseln, aber ich wette, mein lieber Jens, dass du es schaffst, in fünf Monaten 10 Kilo abzunehmen, ohne dabei auf Bier zu verzichten.
Wenn du das nicht schaffst, darfst du ein Jahr lang kein Bier trinken. Wenn du das schaffst, kommt ihr wieder nach New York, und du darfst fünf Tage lang Burger mit Pommes essen. Und mir bringst du zur Belohnung für jedes Kilo eine Kiste Astra mit. Kannst dir ja schon mal überlegen, wie du die hierherschaffst! Einverstanden?
Astra ist das Lieblingsgetränk der Dame, ein Hamburger Bier, dessen Logo Ulrike sich in einer Minute des Heimwehs auf den rechten Unterarm hatte tätowieren lassen. Ein rotes Herz mit einem Anker darin. Konnte ich da nein sagen?
Von: Jens Bujar
Datum: Freitag, 21. Januar 2011, 11:25 Uhr
An: Ulrike von Bülow
Betreff: RE: RE: RE: RE: RE: Siehste!
Topp, die Wette gilt!
Dein Thomas Gottschalk
Wo gehen wir heute Abend hin? Hab Durst!
Von: Ulrike von Bülow
Datum: Freitag, 21. Januar 2011, 11:39 Uhr
An: Jens Bujar
Betreff: RE: RE: RE: RE: RE: RE: Siehste!
Da finden wir schon was.
Eins noch: Sag Sina bitte, dass wir sie als Schiedsrichterin brauchen. Nicht dass du gar kein Bier trinkst, dir ein halbes Jahr lang den Finger in den Hals steckst und dann sagst: Juhu, Wette gewonnen!
Bis später, freu mich auf euch 

Jens’ »Who is who« des Bieres:
Eine kleine Einführung
Alt
Ist eine sehr lokale Spezialität, die vor allem in Düsseldorf und am Niederrhein getrunken wird. In Teilen Westfalens ist das Altbier ebenfalls verbreitet. Etwa 10 Prozent des in Nordrhein-Westfalen gebrauten Bieres ist Alt. Es ist dunkel, hat einen leicht herben Geschmack und etwa 4,8 Prozent Alkohol. Der Name »Alt« stammt vom verwendeten traditionellen Brauverfahren. Bei Leverkusen etwa verläuft eine unüberwindliche Grenze, die (bisher noch friedlich) die Alt- von den Kölschtrinkern trennt. Wer schon einmal den Karneval in Düsseldorf oder Köln verbracht hat, wird die Schmählieder kennen, die das »Gesöff« der Gegenseite verhöhnen.
Berliner Weiße
Leicht trübe Bier-Spezialität unserer Hauptstadt mit einem Alkoholgehalt von etwa 2,8 Prozent. Die Berliner Weiße hat einen erfrischend spritzigen, etwas säuerlichen Geschmack. Um diesen abzurunden, gibt man einen Schuss Waldmeister- oder Himbeersirup ins Glas, bevor es mit Bier aufgefüllt wird. Der Sirup bestimmt das Aussehen des Getränkes, das rot oder grün gefärbt und mit einer weißen Schaumkrone versehen ist. Ähnlich wie Kölsch oder Weizenbier hat die Berliner Weiße ihr eigenes Glas, das an einen Pokal erinnert, den es zu stemmen gilt. Schalenförmig mit langem Stil.
Bockbier
Bockbier – auch Starkbier genannt – ist ein etwas dunkleres, kupferfarbenes Bier mit einem kräftigen Malzgeschmack, der sehr vollmundig ist. Es wird nicht das ganze Jahr über gebraut, sondern hat nur als »Maibock« im Frühjahr (von April bis Juni) oder als »Winterbock« (in der Vorweihnachtszeit) Konjunktur. Bockbier hat einen Alkoholgehalt von rund 7 Prozent, Doppelbock sogar noch mehr – mit bis zu 12 Prozent. Anders, als man vielleicht denken mag, liegen die Ursprünge des Bockbieres nicht in den düsteren Gewölben bayerischer Klöster, sondern im niedersächsischen Städtchen Einbeck.
Dunkles Bier
Man kann es als Urbier bezeichnen: Vor mehr als zweihundert Jahren waren fast alle Biere mehr oder weniger Dunkel. Erst durch modifizierte Brauverfahren begann der Siegeszug des Hellen und des Pils. Das Dunkle fristete fortan ein Schattendasein als regionale Spezialität wie Altbier in Düsseldorf oder Schwarzbier in Thüringen und Sachsen. Es erfreut sich heute aber wieder wachsender Beliebtheit: Inzwischen haben fast alle großen Bierhersteller auch ein Dunkles in ihrem Sortiment. Das hat 4,8 bis 5 Prozent Alkohol, also nicht mehr als Helles auch. Es erhält seine Farbe durch die Verwendung besonderer Malzsorten. Ein Sonderfall sind Biere wie das tiefschwarze Guinness, das mit einer Mischung aus Stickstoff und Kohlensäure gezapft wird, was die Krone fein wie Milchschaum auf einem Caffè Latte macht.
Kölsch
Eine Kölner Spezialität, die nicht nur einen sehr eigenen, etwas süßlichen Geschmack hat, sondern auch ihr eigenes, sehr charakteristisches Stangenglas. Kölsch ist ein obergäriges Bier, das etwa 4,8 Prozent Alkohol enthält und sich trinkt, als habe es 0 Prozent Kohlensäure, weshalb Nicht-Kölner es gern als »Pipi in Reagenzgläsern« abtun. »Kölsch« ist eine geschützte Bezeichnung und darf nach der »Kölsch Konvention« von 1986 nur von einem Bier getragen werden, das in Köln oder der direkten Umgebung gebraut worden ist.
Lager / Export
So werden besonders weiche und wenig bittere Biere genannt. Die sind untergärig und können einen leicht süßlichen Geschmack haben. Lager- und Exportbiere sind meist hellgelb und enthalten 5,3 bis 5,6 Prozent Alkohol.
Pils
Pils ist die mit Abstand meistgetrunkene Biersorte Deutschlands. Der Pilsanteil an der gesamten Bierproduktion beträgt mehr als 65 Prozent. Namensgeber ist die tschechische Stadt Pilsen (auf Tschechisch: Plzen), in der am Martinstag 1842 das erste Pils ausgeschenkt wurde. Pils ist ein untergäriges Vollbier mit hellgoldener Farbe und einem intensiv-herben Hopfengeschmack. Die meisten Pilssorten haben einen Alkoholgehalt von 4,8 Prozent.
Weizen
Ein obergäriges Bier mit erfrischendem Charakter und sichtbarer Hefe. Für viele Leute ein Fall für den Biergarten, also ein Sommer-Bier. Für die Bayern aber ein Grundnahrungsmittel, das man am besten vor 12 Uhr trinkt – zur Weißwurst, die super als Alibi für das gepflegte Frühstücksbier taugt. Weizen hat einen Alkoholgehalt von 5 Prozent und relativ viel Kohlensäure, verglichen mit anderen Bieren. Es gibt verschiedene Variationen: Neben den klassischen, naturtrüben Hefeweizen in Hell und Dunkel bieten viele Brauereien auch eine klare Variante an, Kristall-Weizen genannt. Außerdem gibt es alkoholfreie und – vor allem in Bayern – leichte Weißbiere mit der Hälfte des Alkohols.