von
Hinrich de Vries
Vorsitzender Richter am Landgericht Bonn
Lehrbeauftragter an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg
Verlag W. Kohlhammer
1. Auflage 2015
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-028810-2
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-028811-9
epub: ISBN 978-3-17-028812-6
mobi: ISBN 978-3-17-028813-3
Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Das Schicksal eines Angeklagten hängt ganz wesentlich davon ab, ob dem Strafjuristen die zur Wahrheitserforschung erforderlichen Hilfswissenschaften bekannt sind. Natürlich kann der Jurist nicht alle Einzelheiten dieser weitverzweigten Wissenschaften kennen. Aber er muss wissen, welche Beweisverfahren im Strafrecht zur Verfügung stehen. Er muss darüber hinaus ein wissenschaftliches Gutachten kritisch durchdenken und etwaige Zweifel durch Fragen beheben können. Und er muss bei einer Zeugenaussage Irrtümer und Lügen erkennen können. Ohne diese Kompetenzen gerät er in eine unwürdige Abhängigkeit zu Gutachtern, Zeugen und Ermittlern.
Es gibt eine Vielzahl guter Einführungen in die Nachbarwissenschaften des Strafrechts. Die Zahl der Strafjuristen, die diese Bücher zur Kenntnis nimmt, ist dennoch gering. Es fehlt eine Übersicht, die dem Praktiker den Zugang zu den Einzelproblemen erleichtert. Das vorliegende Buch will dazu eine Hilfestellung geben. In 27 Kapiteln wird der Gang der Ermittlungen von der Spurensuche bis zur Beweiswürdigung dargestellt. Gleichzeitig werden die zentralen Begriffe der Kriminalistik erläutert.
Die einzelnen Kapitel sind als in sich abgeschlossene Übersichtsartikel zu dem jeweiligen Thema konzipiert. Dies führt notwendigerweise zu einer Vereinfachung in der Darstellung. Der forensisch tätige Sachverständige wird daher in seinem jeweiligen Fachgebiet manches vermissen und auch die eine oder andere Ungenauigkeit beklagen. Angestrebt wird aber nur die Hinführung des Lesers zur wissenschaftlichen Kriminalistik. Auf die Rekonstruktion jedes einzelnen Gedankens wurde dabei bewusst verzichtet. Vielmehr sind jeweils am Kapitelende umfangreiche Literaturhinweise zusammengestellt, die mir neben den zahlreichen Gerichtsgutachten als Informationsquellen gedient haben. Die Fußnoten enthalten Hinweise auf bedeutsame Gerichtsentscheidungen zur Kriminalistik.
Richterin am Oberlandesgericht Slawik (derzeit wiss. Mitarbeiterin beim BVerfG) und Richter am Landgericht Dr. Stollenwerk aus Bonn sowie Ltd. Kriminaldirektor a.D. Robert Weihmann danke ich für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Schneider (Rechtsmedizin Köln) für die kritischen Diskussionen zum Thema DNA-Analytik. Für die verbliebenen Fehler bin ich allein verantwortlich.
Für Kritik, Anregungen und Hinweise wäre ich sehr dankbar.
VRLG de Vries
Email-Anschrift des Verfassers:
hinrich.devries@lg-bonn-nrw.de
„… Wenn ein kluger Mensch bei einer Lüge oder einer Unstimmigkeit ertappt wird, gibt er nach. Ein dummer Mensch aber leugnet immer weiter, knüpft jeden Tag ein neues Lügengespinst, gibt zu, dass es Lügen sind – und leugnet unverdrossen weiter. Vielleicht sollte man ein solches Verhalten nicht Dummheit nennen, denn nach der achten oder neunten Version weiß man selbst nicht mehr, was man glauben soll, wenn man keine Beweise hat …“
M. Nabb, Das Ungeheuer von Florenz, 1998, 150/151
„… Wenn man jemanden hängen möchte, dann kann im Indizienbeweis der Strick leicht gefunden werden …“
H.J. Sigen, Juristische Abhandlungen, 1834, S. 115
„… Wer die Praxis der Gerichte kennt, weiß, dass 80 Prozent der Kraft des Richters in dem Kampf mit den Tatsachen verbraucht wird …“
Drost, Das Ermessen des Strafrichters, 1930, S. 30
„… Mehr als je tritt seit der Einführung der öffentlichen Strafverhandlungen die Überzeugung hervor, dass eben in den Fällen, in welchen die schwersten Anklagen erhoben werden, zuletzt der Ausspruch der Sachverständigen es ist, welcher über das Schicksal des Angeklagten entscheidet …“
Mittermaier, Goltdammers Archiv, Band 1, S. 7 (1853)
„… Wer glaubt, dass eine gute Verfassung und eine brauchbare Strafprozessordnung Gerechtigkeit und Rechtssicherheit gewährleisten, der irrt …“
K. Peters, Nachwort zum Lehrbuch „Der Strafprozeß“, 1985
A.Einführung in die Kriminalistik1
B.Spurensicherung5
§ 1.Tatortarbeit5
§ 2.Ermittlungsansätze10
§ 3.Informationsquellen17
§ 4.Identifizierung28
§ 5.Vernehmung36
C.Spurenuntersuchung45
§ 6.Spurenuntersuchung und Sachbeweis45
§ 7.Brandspuren52
§ 8.Digitale Bild-, Text- und Tonspuren59
§ 9.Kontaktspuren: DNA 67
§ 10.Kontaktspuren: Daktyloskopie79
§ 11.Kontaktspuren: Fasern84
§ 12.Psychische Spuren; Exploration89
§ 13.Misshandlungsspuren108
§ 14.Medizinische Spuren: Obduktion119
§ 15.Schussspuren130
§ 16.Chemische Spuren: Toxikologie135
§ 17.Textspuren: Urkundenprüfung145
§ 18.Straßenverkehrsspuren152
D.Spurenbewertung167
§ 19.Polizeiliche Spurenbewertung167
§ 20.Beweissituation Geständnis172
§ 21.Beweissituation Einlassung177
§ 22.Beweismethoden186
§ 23.Bewertung von Sachbeweisen197
§ 24.Bewertung mündlicher Gutachten207
§ 25.Irrtümer beim Zeugenbeweis218
§ 26.Fälschungen beim Zeugenbeweis228
§ 27.Überzeugungsbildung241
E.Fehlerforschung253
VorwortV
AbkürzungsverzeichnisXIX
A.Einführung in die Kriminalistik1
I.Einordnung in das System der Kriminalwissenschaften1
II.Bedeutung der Kriminalistik für den Strafprozess2
III.Die Rolle der Polizei bei der Sachverhaltsaufklärung2
IV.Die Kriminalistik als strafrechtliche Hilfswissenschaft3
B.Spurensicherung5
§ 1Tatortarbeit5
I.Der Tatortbegriff5
II.Die Tatortsicherung5
III.Organisation der Tatortarbeit5
IV.Der Tatortbefundbericht6
V.Der Spurenbegriff6
VI.Die „klassische“ Fußspur7
VII.Einteilung der Spuren7
VIII.Spurensicherung und Spurensicherungsbericht8
§ 2Ermittlungsansätze10
I.Die Systematik der Ermittlungsansätze10
II.Ermittlungsansätze aus der Nähe zum Tatort10
III.Ermittlungsansätze aus Zeugenangaben10
IV.Ermittlungsansätze aus Tatortfotos und Tonaufnahmen11
V.Ermittlungsansätze aus den Körperspuren des Täters11
VI.Ermittlungsansätze aus den Tatwerkzeugen11
VII.Ermittlungsansätze aus der Beute12
VIII.Ermittlungsansätze aus dem Opferumfeld12
IX.Ermittlungsansätze aus dem Tatmodus12
X.Kreative Suche nach Ermittlungsansätzen13
XI.Ermittlungsansätze durch Fallanalyse und Täterprofil13
XII.Ermittlungsansätze durch Fallenstellen14
XIII.Pragmatische Suche nach Ermittlungsansätzen15
§ 3Informationsquellen17
I.Die Ermittlungstaktik17
II.Informationen aus polizeieigenen Dateien17
III.Informationen aus der internationalen Zusammenarbeit18
IV.Informationen aus polizeifremden Dateien19
V.Informationen aus dem Internet19
VI.Informationen durch Auskünfte20
VII.Informationen aus polizeifremden Akten20
VIII.Informationen durch Beobachtung21
IX.Informationen durch Abhörmaßnahmen21
X.Informationen durch Verbindungsleute23
XI.Informationen durch verdeckte Mitwirkungen24
XII.Informationen durch Beschlagnahme und Durchsuchung24
XIII.Informationen bei der Verhaftung25
XIV.Informationen durch „Überläufer“25
XV.Ermittlungen zu den Rechtsfolgen einer Straftat26
§ 4Identifizierung28
I.Die Bedeutung der Leichenidentifizierung28
II.Die Leichenidentifizierung durch Röntgenaufnahmen28
III.Die Leichenidentifizierung durch das Zahnschema28
IV.Die Bedeutung der Identifizierung von Tatverdächtigen29
V.Die Überprüfung und Feststellung der Personalien29
VI.Die Überprüfung von Altersangaben30
VII.Identifizierung durch Personenbeschreibung30
VIII.Identifizierung durch Gegenüberstellung31
IX.Die Besonderheiten der Wahlgegenüberstellung31
X.Die Identifizierung durch Lichtbildvorlage32
XI.Die Identifizierung anhand der Stimme33
XII.Die Identifizierung von Gegenständen34
§ 5Vernehmung36
I.Wesen und Ziele der Vernehmung36
II.Die Vorbereitung der Vernehmung36
III.Die Kontaktaufnahme und Belehrung36
IV.Beschuldigtenbelehrung und Erhebung der Personalien37
V.Die Notwendigkeit eines Vorgespräches37
VI.Fragetypen und Fragetechnik38
VII.Die inhaltliche Gestaltung der Zeugenvernehmung38
VIII.Die inhaltliche Gestaltung der Beschuldigtenvernehmung39
IX.Die Vernehmungshilfen40
X.Die Protokollierung40
XI.Vermerke zur Glaubwürdigkeit und Vernehmungsfähigkeit41
XII.Die Nachvernehmung42
XIII.Die Tätigkeit des Dolmetschers42
C.Spurenuntersuchung45
§ 6Spurenuntersuchung und Sachbeweis45
I.Die Bedeutung des Sachbeweises45
II.Die Themen bei der Beauftragung des Gutachters45
III.Die Einteilung der beteiligten Hilfswissenschaften47
IV.Sachkunde von Handwerkern, Kaufleuten und Hundeführern47
V.Die polizeiinternen Untersuchungsstellen47
VI.Die polizeifremden Untersuchungsstellen48
VII.Die Auswahl des Gutachters48
VIII.Der Untersuchungsauftrag48
IX.Die formalen Anforderungen an das Gutachten49
X.Methodenfreiheit und Experiment50
§ 7Brandspuren52
I.Der Brandort ist ein besonderer Tatort52
II.Die Wirkungen von Hitze und Explosion52
III.Die natürlichen und biologisch-chemischen Brandursachen52
IV.Die elektrischen Brandursachen53
V.Sonstige technische Ursachen53
VI.Ermittlung der Brandausbruchstelle53
VII.Spurenbewertung zur Ermittlung der Brandursache54
VIII.Einsatz von Brandbeschleunigern55
IX.Werkzeugspuren bei der Fremdverursachung55
X.Fahrlässige Brandverursachung56
XI.Aufklärung rationaler Eigenbrandstiftungen56
XII.Aufklärung irrationaler Brandstiftungen57
§ 8Digitale Bild-, Text- und Tonspuren59
I.Analoge und digitale Bilder und Töne59
II.Das herkömmliche Lichtbild als Spurenträger59
III.Die technische Bildverbesserung59
IV.Grundlagen des morphologischen Merkmalsvergleichs60
V.Die morphologischen Merkmale des Kopfes60
VI.Die morphologischen Merkmale beim Handvergleich61
VII.Beweiswert des morphologischen Identitätsgutachtens61
VIII.Tonspuren als Beweismittel63
IX.Tonverbesserung und Nebengeräusche63
X.Stimmenanalyse63
XI.Die technische Stimmenidentifizierung64
XII.Die Stimmenidentifizierung durch den Sprachexperten64
§ 9Kontaktspuren: DNA67
I.Die Sicherung und Dokumentation von Blutspuren67
II.Die Tatrekonstruktion anhand von Blutspuren67
III.Körperteile und Ausscheidungen als Spurenträger68
IV.Von den Blutgruppenuntersuchungen zur DNA-Analyse69
V.Die PCR-Technik zur Vermehrung des Spurenmaterials69
VI.STR-Methode70
VII.Beweiswert der STR-Analyse für den Identitätsnachweis72
VIII.Einmaligkeit auch bei Sonderpopulationen?73
IX.Die Tatrelevanz von DNA-Spuren74
X.Mischspuren, Amelogenin- und Y-STR-Analyse76
XI.Analyse von Mitochondrien-DNA77
§ 10Kontaktspuren: Daktyloskopie79
I.Die Grundlagen der Daktyloskopie79
II.Das Registrierungsverfahren79
III.Die Formen daktyloskopischer Tatortspuren80
IV.Die Sicherung von daktyloskopischen Tatortspuren80
V.Die Grundlagen des Spurenvergleichs81
VI.Die Kriterien für die Identität des Fragmentes81
VII.Der Beweiswert der Tatortdaktyloskopie82
§ 11Kontaktspuren: Fasern84
I.Faserspur als Sonderfall der Materialspuren84
II.Individualität von Materialspuren84
III.Die Spurensicherung am Tatort und beim Tatverdächtigen85
IV.Fasern als Beweismittel85
V.Die Auswertung von Faserspuren86
VI.Ununterscheidbarkeit, Gruppenzuordnung, Materialidentität86
VII.Der Beweiswert bei übereinstimmenden Faserspuren87
VIII.Beispiel: Pkw als Tatwerkzeug87
IX.Beispiel: Kontakt Mensch zu Mensch (Fall Weimar)88
§ 12Psychische Spuren; Exploration89
I.Grundlagen der Schuldfähigkeitsbeurteilung89
II.Rechtsfolgen der Schuldunfähigkeit90
III.Die Auswahl zwischen Psychiater und Psychologen91
IV.Rollenkonflikte des psychiatrischen Sachverständigen91
V.Die allgemeinen Aspekte der Exploration92
VI.Der Kriterienkatalog für psychische Auffälligkeiten93
VII.Die psychologischen Testverfahren94
VIII.Intelligenztests und Schwachsinn94
IX.Leistungstests und psychische Erkrankungen95
X.Persönlichkeitstests und Persönlichkeitsstörungen95
XI.Einordnung der explorierten Ergebnisse96
XII.Die Affekttat als Beispiel für eine Tatanalyse98
XIII.ABC der typischen Fallkonstellationen in der Praxis99
XIV.Die Mitwirkung des Gutachters bei der Prognosebeurteilung104
XV.Sonstige Aufgaben des Psychiaters in der Praxis105
§ 13Misshandlungsspuren108
I.Die Schwäche des Zeugenbeweises in Misshandlungsfällen108
II.Körperliche und psychische Spuren als Hilfsmittel108
III.Die Misshandlungsspuren bei Körperverletzungen109
IV.Die körperlichen Spuren bei der Vergewaltigung109
V.Die psychischen Spuren bei der Vergewaltigung110
VI.Tätertypologie bei der Vergewaltigung als Beweisanzeichen110
VII.Die körperlichen Spuren bei der Kindesmisshandlung111
VIII.Die psychischen Spuren der Kindesmisshandlung112
IX.Psychische und physische Vernachlässigungen112
X.Körperliche und psychische Spuren beim sexuellen Missbrauch113
XI.Die täterbezogenen Spuren beim sexuellen Missbrauch113
XII.Tätertypologie beim sexuellen Missbrauch113
XIII.Notwendigkeit eines Glaubhaftigkeitsgutachtens114
XIV.„Professionelle“ Missbrauchsforscher115
XV.Inhaltliche Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten116
§ 14Medizinische Spuren: Obduktion119
I.Leichenschau, Obduktion und Exhumierung119
II.Die Ziele der Sektion119
III.Die Sektionsmethoden120
IV.Die vitalen und postmortalen Reaktionen120
V.Hautabschürfungen120
VI.Blutunterlaufung und Wundalterbestimmung121
VII.Tatzeit, Todeszeit, Auffindezeitpunkt121
VIII.Todeszeitschätzung durch Temperaturmessung122
IX.Totenflecken, Todesstarre, Fäulnis und elektr. Muskelreizung122
X.Alternative Methoden: Madenfraß und Verdauung123
XI.Der Tod durch Erwürgen124
XII.Der Tod durch Erdrosseln124
XIII.Der Tod durch Erhängen125
XIV.Der Tod durch Ersticken125
XV.Der Tod durch Erschlagen (stumpfe Gewalt)126
XVI.Der Tod durch Erstechen (scharfe Gewalt)126
XVII.Der Tod durch Verbrennen127
XVIII.Der Tod durch elektrischen Strom128
§ 15Schussspuren130
I.Tatortarbeit130
II.Kriminaltechnische Behandlung eines Waffenfunds130
III.Waffensystembestimmung anhand der Munitionsreste130
IV.Tatrelevanz aufgefundener Waffen (Verfeuerungsnachweis)131
V.Schmauchspuren zum Nachweis der Täterschaft131
VI.Bestimmung der Schussentfernung132
VII.Tatortspuren zur Bestimmung der Schussrichtung132
VIII.Obduktionsergebnisse zur Bestimmung der Schussrichtung133
IX.Abgrenzung Suizid-Fremdtötung133
§ 16Chemische Spuren: Toxikologie135
I.Erfolge und Misserfolge der forensischen Toxikologie135
II.Medikamentenmissbrauch135
III.Spurensicherung beim Vergiftungsverdacht135
IV.Die Spurensicherung bei Drogenfunden136
V.Die Ziele der Spurenuntersuchung bei der Drogenanalyse136
VI.Die Probengewinnung für die toxikologische Untersuchung138
VII.Immunchemische Analysemethoden138
VIII.Chromatographische Trennungsmethoden139
IX.Spektrometrische Analysemethoden140
X.Massenspektrometrie als Detektor bei Gaschromatographen140
XI.Die Qualitätskontrolle140
XII.Die Problematik bei der Untersuchung von Menschen141
XIII.Wissenschaftliche und normative Grenzwerte142
§ 17Textspuren: Urkundenprüfung145
I.Zur Geschichte der forensischen Urkundenprüfung145
II.Die Spurenarten und ihre Beweisbedeutung bei der Urkunde145
III.Grundlagen des Handschriftenvergleichs145
IV.Die Zielrichtung des Handschriftenvergleichs146
V.Beweiswert der Handschriftenuntersuchung147
VI.Die forensische Textlinguistik148
VII.Die forensische Textkritik148
VIII.Altersbestimmung bei den Schreibmitteln149
IX.Die technische Untersuchung von Schriftträgern149
X.Die Dokumenten- und Wertpapierprüfung150
§ 18Straßenverkehrsspuren152
I.Die Spuren am Unfallort152
II.Geschwindigkeitsberechnungen anhand der Bremsspuren152
III.Andere Methoden der Geschwindigkeitsbestimmung153
IV.Unfallrekonstruktion153
V.Ermittlungen zur Fahruntüchtigkeit bei Alkohol154
VI.Die Alkoholwirkungen und die Atemalkoholtests155
VII.Belastende und begünstigende Alkoholberechnung bei Blutproben155
VIII.Alkoholberechnung nach Widmark bei Trinkmengenangaben157
IX.Beweisprobleme bei der Nachtrunkbehauptung158
X.Fahruntüchtigkeit bei Drogen und Medikamenten159
XI.Unfallfluchtermittlungen ohne Kennzeichenhinweise161
XII.Vorgetäuschter Pkw-Diebstahl161
XIII.Vorgetäuschter Unfall162
XIV.Die Schadenszuordnung und die Schadensberechnung163
XV.Die Wahrnehmbarkeit des Unfalls163
D.Spurenbewertung167
§ 19Polizeiliche Spurenbewertung167
I.Spurenbewertung und Beweiswürdigung167
II.Die Notwendigkeit polizeilicher Spurenbewertung167
III.Der Abschluss der Ermittlungen168
IV.Die staatsanwaltschaftliche Aktenführung168
V.Die Bedeutung der Spurenakten bei Indizienprozessen169
VI.Die Erfolgskriterien für die polizeiliche Arbeit169
VII.Die vorgetäuschten Verbrechen169
VIII.Die Spurenablenkung170
IX.Die Trugspuren170
X.Die Veränderungen der Beweislage bis zum Urteil171
§ 20Beweissituation Geständnis172
I.Die Abgrenzung von Einlassung – Geständnis – Schweigen172
II.Die beweisrechtliche Bedeutung des Geständnisses172
III.Das falsche Geständnis als Ursache für Fehlurteile173
IV.Die psychische Belastung als Ursache für Falschgeständnisse173
V.Der Irrtum als Ursache für falsche Geständnisse174
VI.Die taktischen Erwägungen als Ursache für Falschgeständnisse174
VII.Das Falschgeständnis infolge von Geltungssucht174
VIII.Die psychopathologischen Faktoren175
IX.Verbotene Vernehmungsmethoden als Ursache175
X.Die Anzeichen für die Richtigkeit des Geständnisses175
XI.Der Widerruf des Geständnisses176
§ 21Beweissituation Einlassung177
I.Das Recht zu Schweigen177
II.Schweigerecht und Verteidigungsstrategien178
III.Das qualifizierte Leugnen durch die Alibi-Behauptung178
IV.Bewertung von Alibi-Zeugen179
V.Die Bewertung der gescheiterten Alibibehauptung179
VI.Teilgeständnis und teilweises Schweigen179
VII.Die irrtümliche Einlassung und die Schutzbehauptung180
VIII.Bewertung von Standardeinlassungen181
IX.Die Bewertung von „abenteuerlichen“ Einlassungen181
X.Einzelaspekte für die Überprüfung der Einlassung182
XI.Besondere Einlassungsformen182
XII.Einlassung des Mitbeschuldigten184
§ 22Beweismethoden186
I.Beweismittel, Beweissituation und Beweismethode186
II.Die relationsmäßige Bearbeitung des Tatsachenmaterials186
III.Sortierung der Beweisfragen187
IV.Sortierung der Beweismittel188
V.Der Begriff des Indizienbeweises188
VI.Die Sicherheit des Indizienschlusses189
VII.Gesamtschau aller Indizien190
VIII.Bildung und Überprüfung von Erfahrungssätzen191
IX.Der indirekte Täternachweis als Beweismethode192
X.Der indirekte Tatnachweis als Beweismethode192
XI.Die Indizienkette als Beweismethode193
XII.Der Seriennachweis194
XIII.Nachweis einer Serie durch Schätzung194
XIV.Schätzungen zur Schadenshöhe und zu den Rechtsfolgen195
§ 23Bewertung von Sachbeweisen197
I.Wesen der Augenscheineinnahme197
II.Beweiswert der Augenscheineinnahme197
III.Strafregisterauszüge198
IV.Verwertung früherer Urteile198
V.Beweiskraft des Sachverhalts in früheren Strafurteilen199
VI.Bewertung von Aufzeichnungen, Briefen und Notizen200
VII.Ausländische Urkunden und Übersetzungen von Tondokumenten200
VIII.Protokollierte Zeugenaussagen201
IX.Behördengutachten, Arzt- und Ermittlungsberichte201
X.Umgang mit Messinstrumenten202
XI.Eigenschaften der Normalverteilung203
XII.Beispiele zur Messgenauigkeit bei der Blutalkoholbestimmung205
§ 24Bewertung mündlicher Gutachten207
I.Eigene Sachkunde des Gerichts207
II.Mitteilung von Erfahrungssätzen und Wahrscheinlichkeiten207
III.Bewertung von Identitätsaussagen208
IV.Bewertung mehrerer Indizien nach der Bayes-Statistik209
V.Kritik an der Verwendung der Bayes-Statistik211
VI.Deterministische und statistische Erfahrungsregeln212
VII.Bewertung deterministischer Erfahrungsregeln212
VIII.Bewertung statistischer Erfahrungssätze213
IX.Bewertung neuer wissenschaftlicher Methoden214
X.Anhörung des Sachverständigen214
XI.Würdigung des Gutachtens215
XII.Voreingenommenheit des Sachverständigen215
XIII.Privatgutachten, Zweitgutachten und Obergutachten216
§ 25Irrtümer beim Zeugenbeweis218
I.Die Ergiebigkeit, Glaubhaftigkeit, Glaubwürdigkeit218
II.Tatsachen, Schlussfolgerungen, hypothetische Äußerungen218
III.Würdigung der Zeugenaussage im Überblick219
IV.Wahrnehmungsmöglichkeiten eines idealen Zeugen219
V.Wahrnehmungsfähigkeiten des realen Zeugen220
VI.Wahrnehmungsbereitschaft als Glaubhaftigkeitskriterium221
VII.Wahrnehmungsmuster und Interpretationskonstrukte221
VIII.Erinnerungsfähigkeit des Zeugen222
IX.Irrtümer durch Verdrängen, Ausfüllen und Autosuggestion223
X.Beweiswürdigung bei starker und schwacher Erinnerung224
XI.Fremdindizierte Irrtümer224
XII.Vernehmungsfehler und suggestive Beeinflussung225
XIII.Mögliche Befangenheit des Zeugen225
XIV.Bewertung von irrtümlichen Zeugenaussagen226
§ 26Fälschungen beim Zeugenbeweis228
I.Die Aussageanalyse und das Lügendilemma228
II.Aussageanalyse und Beweiswürdigung im Überblick228
III.Detailreichtum der Aussage als Realitätskriterium229
IV.Individualität der Aussagedetails als Realitätskriterium230
V.Relative Konstanz der Aussage(n) als Realitätskriterium230
VI.Plausibilität des Aussageinhalts als Realitätskriterium231
VII.Redefluss und Gefühlsausdruck als Realitätskriterien232
VIII.Körpersprache und Redewendungen als Lügensignale233
IX.Zusammenfassung: Die 19 Realkennzeichen nach Steller/Köhnken233
X.Sonderprobleme bei der Detaillüge234
XI.Beweiswürdigung bei interessierten Zeugen235
XII.Zeugen vom Hörensagen236
XIII.Zeugen mit besonderen Rechten237
XIV.Bewertung einzelner Lügen238
XV.Beweiswürdigung durch den Vergleich mehrerer Aussagen239
§ 27Überzeugungsbildung241
I.Rechtliche Maßstäbe richterlicher Überzeugungsbildung241
II.Erzählprobleme bei der Rekonstruktion der Vergangenheit241
III.Formale Anforderungen an das Strafurteil242
IV.Tatsachenfeststellung und rechtliche Beurteilung243
V.Feststellungen zur Person244
VI.Suche nach Negativbeweisen zur Täterschaft244
VII.Der Urteilsentwurf245
VIII.In dubio pro reo und Wahlfeststellung245
IX.Die Rekonstruktion des subjektiven Tatbestands246
X.Lückenhafte Feststellungen und Stimmigkeit der Geschichte248
XI.Die Kontrolle auf Denkfehler und Beweiswürdigungslücken249
XII.Abgleichung mit den Plädoyers und dem letzten Wort250
E.Fehlerforschung253
I.Fehlertypen und Fehlerforschung253
II.Wissenschaftliche Fehlerforschung253
III.Justizkritik durch Gerichtsreportagen254
IV.Die interne Fehlerforschung254
V.Kriminalistik in der höchstrichterlichen Rechtsprechung255
VI.Systemfehler im Prozessrecht256
VII.Die persönliche Verantwortung für Fehler256
Stichwortverzeichnis259
a. A. | Andere Auffassung |
AAA | Atemalkoholanalyse |
ADH | Alkohol-Dehydrogenase (Methode zur Blutalkoholbestimmung) |
AfKrim | Archiv für Kriminologie (Zeitschrift) |
AG | Amtsgericht |
Anm | Anmerkung |
AnwBl | Anwaltsblatt (Zeitschrift) |
AO | Abgabenordnung |
| |
BA | Blutalkohol (Zeitschrift) |
BAK | Blutalkoholkonzentration |
BayObLG | Bayerisches Oberstes Landesgericht |
BDSG | Bundesdatenschutzgesetz |
BFH | Bundesfinanzhof |
BGB | Bürgerliches Gesetzbuch |
BGH | Bundesgerichtshof |
BGHSt | Bundesgerichtshof. Entscheidungen in Strafsachen |
BGHZ | Bundesgerichtshof. Entscheidungen in Zivilsachen |
BKA | Bundeskriminalamt |
BtMG | Betäubungsmittelgesetz |
BVerfG | Bundesverfassungsgericht |
BVerfGE | Bundesverfassungsgericht. Entscheidungssammlung |
BZR | Bundeszentralregister |
| |
DAR | Deutsches Autorecht (Zeitschrift) |
Die Polizei | Die Polizei (Zeitschrift) |
dkrim | der kriminalist (Zeitschrift) |
DRiZ | Deutsche Richterzeitung |
| |
EMGR | Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte |
EMA | Einwohnermeldeamt |
| |
f. | folgende |
Fn | Fußnote |
ff. | fortfolgende |
FPPK | Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie (Zeitschrift) |
FSI | Forensic Science International |
FSIG | Forensic Science International Genetics |
| |
GA | Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) |
GBA | Generalbundesanwalt |
| |
Hrsg. | Herausgeber eines Buches |
| |
InsO | Insolvenzordnung |
| |
JR | Juristische Rundschau (Zeitschrift) |
JuS | Juristische Schulung (Zeitschrift) |
JZ | Juristenzeitung |
| |
KG | Kammergericht (Berlin) |
Krim | Kriminalistik (Zeitschrift) |
KWG | Kreditwesengesetz |
| |
LG | Landgericht |
LKA | Landeskriminalamt |
LM | Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Nachschlagewerk von Lindenmaier/Möhring |
| |
MDR | Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) |
MschrKrim | Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform |
m. w. N. | mit weiteren Nachweisen |
| |
NJW | Neue Juristische Wochenschrift |
NStZ | Neue Zeitschrift für Strafrecht |
NStZ-RR | NStZ-Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) |
NZV | Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht |
NZWiSt | Neue Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht |
| |
OLG | Oberlandesgericht |
OWiG | Gesetz über Ordnungswidrigkeiten |
| |
PdR | Praxis der Rechtspsychologie (Zeitschrift) |
| |
RG | Reichsgericht |
Rechtstheorie | Rechtstheorie (Zeitschrift) |
RM | Rechtsmedizin (Zeitschrift) |
R + P | Recht und Psychiatrie (Zeitschrift) |
R + S | Recht und Schaden (Zeitschrift) |
| |
S. | Satz oder Seite |
SDÜ | Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14.6.1985. |
StA | Staatsanwaltschaft |
StGB | Strafgesetzbuch |
StPO | Strafprozessordnung |
StV | Strafverteidiger (Zeitschrift) |
StraFo | Strafverteidiger-Forum (Zeitschrift) |
StVG | Straßenverkehrsgesetz |
StVO | Straßenverkehrsordnung |
| |
THUG | Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter |
T + K | Toxichem + Krimtech (Zeitschrift) |
TÜ | Telefonüberwachung |
| |
u. a. | und andere (Autoren) |
| |
VersR | Versicherungsrecht (Zeitschrift) |
VRS | Verkehrsrechts-Sammlung |
VZR | Verkehrszentralregister |
| |
wistra | Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht |
| |
ZfS | Zeitschrift für Schadensrecht |
ZPO | Zivilprozessordnung |
ZStW | Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft |
1Die Kriminalistik beschäftigt sich mit der Erforschung des Sachverhalts im Strafrecht. Das vorliegende Buch will eine Übersicht geben über die Themen und Erkenntnisse dieser Wissenschaft.
2Zu den Kriminalwissenschaften gehören grob unterteilt vier Bereiche: Das Strafrecht umschreibt die Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen einer Straftat. Das Strafprozessrecht regelt, wie ein Sachverhalt justizförmig festgestellt wird, die daraus resultierenden Rechtsfolgen rechtskräftig bestimmt und gegen den Verurteilten vollstreckt werden. Die Kriminologie erforscht die Erscheinungsformen des Verbrechens, ihre Ursachen und die gesellschaftlichen Reaktionsmöglichkeiten. Die Kriminalistik lehrt uns, wie ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt mit wissenschaftlichen Mitteln beweiskräftig erforscht wird; sie ist die Lehre von der Sachverhaltserforschung im Strafrecht.
Die Kriminalistik ist mit der Strafprozesslehre nicht identisch. Denn die Strafprozessordnung regelt nicht, wie ein Verbrechen aufgeklärt wird. Sie gibt nur die rechtlichen Regeln vor, die bei der Erforschung eines Rechtsfalls zu beachten sind. Erst die Kriminalistik sucht systematisch nach Methoden, die bei der Sachverhaltsaufklärung erfolgversprechend sind. Aus der forensischen Perspektive hat sie daher die Aufgabe, ein möglichst breites Methodenspektrum für die strafrechtlichen Ermittlungsaufgaben zur Verfügung zu stellen.
Die Kriminalistik wird gelegentlich der Kriminologie zugeordnet. Die beiden Wissenschaften unterscheiden sich aber zu sehr, als dass eine Zusammenfassung gerechtfertigt wäre. Die Kriminologie ist soziologisch orientiert; sie abstrahiert vom Einzelfall und versucht allgemeine Erkenntnisse über die Lebenswirklichkeit des Verbrechens zu gewinnen. Die Kriminalistik konzentriert sich dagegen auf den Einzelfall; sie wird angetrieben von der beunruhigenden Erkenntnis, dass die Strafprozessordnung keine Sicherheit gegen Fehlurteile bietet. Kriminalisten sind davon überzeugt, dass der Unschuldige nur sicher ist, wenn der wahre Sachverhalt aufgeklärt wird.
Aufgrund ihrer naturwissenschaftlichen Basis ist die Kriminalistik international anerkannt. Das nationale Strafrecht bestimmt zwar das jeweilige Erkenntnisinteresse, aber das methodische Werkzeug ist entweder allgemeingültig oder unbrauchbar. Als Wissenschaft ist die Kriminalistik bestrebt, ihre Erkenntnisse rational zu begründen. Sie kann daher nicht als Geheimwissenschaft betrieben werden, selbst wenn Kriminelle neue Ermittlungsmethoden bei ihren Planungen berücksichtigen. Dieser negative Effekt ist unvermeidbar, weil die Forschungsergebnisse der beteiligten Einzelwissenschaften sich in der öffentlichen Hauptverhandlung bewähren müssen.
Die Sachverhaltserforschung kann grob unterteilt werden in die Sammlung, Prüfung und Bewertung von Tatsachen. In der Terminologie des Kriminalisten handelt es sich um die Bereiche Spurensicherung, Spurenuntersuchung und Spurenbewertung. Die Spurenbewertung überschneidet sich mit der strafprozessualen Beweislehre.
3Für den forensisch tätigen Strafjuristen ist die Bedeutung der Kriminalistik offensichtlich. Der Praktiker hat es nicht nur mit Normen zu tun, denen er Geltung verschaffen soll, sondern in fast allen Fällen muss er sich zunächst den Sachverhalt erarbeiten. Prozesse, in denen nur die Rechtslage zu klären ist, sind selten. In vielen Fällen bereiten die rechtlichen Überlegungen keine Schwierigkeiten und nur hinsichtlich der Tatsachen bestehen unterschiedliche Auffassungen bei den Verfahrensbeteiligten.
Für die Akzeptanz eines Strafurteils hat die Feststellung des wahren Sachverhalts eine überragende Bedeutung. Die Verfahrensbeteiligten nehmen eine fehlerhafte rechtliche Beurteilung eher hin als eine falsche Tatsachenfeststellung. Rechtsfehler sind selten völlig unvertretbar, da das Rechtsgefühl als Korrektiv wirkt. Dagegen ist die Schuldfeststellung einmalig; bei ihr gibt es keinen Zwischenraum zwischen richtig und falsch. Die Öffentlichkeit ist empört, wenn ein Gericht sich geirrt und einen Unschuldigen verurteilt hat. Der Vorwurf eines „Justizirrtums“ wird bei der falschen Sachverhaltsfeststellung erhoben und nicht bei der fehlerhaften Anwendung von Rechtsregeln.
Auch wenn der Grundsatz „in dubio pro reo“ hilft, Fehlurteile zu vermeiden, darf sich der Unschuldige nicht sicher fühlen. Die Erforschung der Wahrheit ist eine persönliche Leistung des Tatrichters. Schon immer wurde gelobt, wer mit klugen Methoden die Wahrheit herausfand. Beispielsweise der Richter, der vor mehr als zweitausend Jahren zwei Zeugen, die eine Frau des Ehebruchs mit einem jungen Mann beschuldigten, der Falschaussage überführte, indem er die beiden getrennt vernahm und den angeblich beobachteten Vorfall detailliert schildern ließ, wobei sich Widersprüche auftaten (nachzulesen im Buch Daniel, Altes Testament, Kap. 13).
4Juristen werden für die wichtige Aufgabe der Tatsachenfeststellung nur unzureichend ausgebildet. Im Strafrecht wird die Sachverhaltserforschung weitgehend von der Polizei betrieben, die ihre Ergebnisse der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung über den Abschluss der Ermittlungen vorlegt. Diese Aufgabenverteilung widerspricht der Strafprozessordnung, die der Staatsanwaltschaft das Aufklärungsmonopol einräumen wollte; sie sollte als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ ihre „Hilfsbeamten“ anleiten. In der Praxis hat sich dieses Leitbild verschoben; aus der Hilfskompetenz der Polizei ist eine Regelkompetenz geworden.
Diese Verlagerung der Ermittlungsaufgaben auf die Polizei ist ein schleichender Prozess. Bei der Schaffung der StPO im Jahre 1877 gab es noch keine Kriminalpolizei. Ein ausschließlich für die Bekämpfung der Kriminalität zuständiger Zweig der Polizei entstand erst, als in den Großstädten des 20. Jh. die Zahl der Verbrechen stark anstieg und ihnen mit den herkömmlichen Methoden nicht mehr beizukommen war. Die Verbrechensbekämpfung wurde zu einer zentralen Aufgabe des Staates. Die Wissenschaft der Kriminalistik wurde aus der polizeilichen Praxis heraus entwickelt, ein Zustand, der bis heute andauert.
Es muss für den Rechtsstaat kein Nachteil sein, wenn die Anklagebehörde von der Ermittlungsarbeit entlastet wird. Der Staatsanwalt kann dadurch mit der gebotenen Distanz prüfen, welche rechtlichen Schlüsse aus dem Beweismaterial zu ziehen sind. Eine solche Abschlusskontrolle kann aber nur gelingen, wenn das Informationsgefälle zur Polizei nicht zu groß wird.
5Diese Rollenverteilung zwischen Polizei und Justiz prägt auch das Verständnis für die Kriminalistik. Für den Polizeibeamten bezeichnet sie den Sachkundeunterricht in den Polizeischulen, wobei auch die Führungslehre und die Kriminalitätsverhütung hinzugerechnet werden. Aus der Perspektive des Strafjuristen wird sie dagegen als Hilfswissenschaft wahrgenommen: Sie hilft den forensisch tätigen Juristen, den ihm zur Entscheidung vorgelegten Rechtsfall auf seine Beweismöglichkeiten zu überprüfen.
Wenn von Hilfswissenschaften die Rede ist, dann ist damit keine Abqualifizierung verbunden. Der Begriff soll lediglich die Hilfestellung der beteiligten Grundlagenwissenschaften für ein wahres Urteil betonen. In diesem Sinne wird der Begriff auch sonst benutzt. Die Psychologie z. B. spricht von ihren „biologischen Hilfswissenschaften“ und auch der Historiker bedient sich benachbarter Wissenschaften. Zu seinen Werkzeugen gehören nicht nur die Münz- und Wappenkunde, sondern auch die DNA-Analyse und die Urkundenprüfung.
Lehrbücher: Döhring, E., Die Erforschung des Sachverhalts im Prozess, Berlin 1964; Kässer, W., Wahrheitserforschung im Strafprozess, Berlin 1974; Schwind, H., Kriminologie, 22. Aufl., Heidelberg 2013; Walder/Hansjakob, Kriminalistisches Denken, 9. Aufl., Heidelberg 2012; Weihmann/de Vries, Kriminalistik, 13. Aufl., Hilden 2014.
Handbücher und Lexika: Burhoff, D., Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., Münster 2013; Eisenberg, U., Beweisrecht der StPO, 9. Aufl., München 2013; Geipel, H., Handbuch der Beweiswürdigung, 2. Aufl., Münster 2013; Jaeger (Hrsg.), Kriminalistische Kompetenz, Lübeck, Loseblatt 2000 ff.; Kube/Störzer/Timm (Hrsg.), Kriminalistik, 2 Bände Stuttgart 1992; Kube/Störzer/Brugger (Hrsg.), Wissenschaftliche Kriminalistik, Grundlagen und Perspektiven, 2 Bände, Wiesbaden 1984; Wirth, I., Kriminalistik-Lexikon, 4. Aufl., Heidelberg 2011.
Lehr- und Studienbriefe (Hilden): Band 4: Identifizierung von Personen; Band 5: Die Beschuldigtenvernehmung; Band 6: Grundlagen der Rechtsmedizin; Band 7: Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht; Band 8: Tatortarbeit; Band 9: Beschreibung und Identifizierung von Kleidung; Band 10: Brandermittlung; Band 11: Polizeiforschung für Studium und Praxis; Band 12: Bearbeitung von Jugendsachen; Band 13: Kriminalistische Fallanalyse; Band 14: Der kriminalistische Beweis; Band 15: Todesermittlungen; Band 16: Grundlagen der Kriminaltechnik I; Band 17: Grundlagen der Kriminaltechnik II; Band 18: Delikte gegen Kinder; Band 19: Raubdelikte; Band 20: Die Bekämpfung des Wohnungseinbruchs.
Geschichte der Kriminalistik: Becker, P., Dem Täter auf der Spur, Darmstadt 2010; Carsten, E., Die Geschichte der Staatsanwaltschaft in Deutschland bis zur Gegenwart, 2. Aufl., Baden-Baden 2012; Greve, Y., Verbrechen und Krankheit. Die Entdeckung der „Criminal-pyschologie“ im 19. Jh., Köln 2004; Kube, E., Beweisverfahren und Kriminalistik in Deutschland, Hamburg 1964; Fischer-Homberger, E., Medizin vor Gericht, Bern 1983; Leonhardt/Schurich, Die Kriminalistik an der Berliner Universität, Heidelberg 1994; Mallach, H., Geschichte der gerichtlichen Medizin im deutschsprachigen Raum, Lübeck 1996; Pöltl, R., Die Lehre vom Indizienbeweis im 19. Jh., Frankfurt a. M. 1999; Poppen, E., Die Geschichte des Sachverständigenbeweises im Strafprozess des deutschen Raumes, Göttingen 1984; Roth, A., Kriminalitätsbekämpfung in deutschen Großstädten 1850–1914, Berlin1997; Schmoeckel, M., Humanität und Staatsraison. Die Abschaffung der Folter in Europa, Köln 2000; Söderman, H., Auf der Spur des Verbrechens, Köln 1957; Thorwald, J., Das Jahrhundert der Detektive, Zürich 1964; Vec, M., Die Spur des Täters, Baden-Baden 2002; Wilhelm, F., Die Polizei im NS-Staat, 2. Aufl., Paderborn 1999.
Zeitschriften: Archiv für Kriminologie [AfKrim]; Blutalkohol [BA]; der kriminalist [dkrim]; Die Polizei [DPol]; Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie [FPPK]; Forensic Science International [FSI]; Forensic Science International Genetics [FSIG]; Kriminalistik [Krim]; Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform [MschKrim]; Recht & Psychiatrie [R & P]; Rechtsmedizin [RM]; Toxichem + Krimtech [T+K].
Aufsätze: Ackermann, Zur Entwicklung der Kriminalistik in Deutschland, dkrim 2013, Heft 9, 18 ff.; Bülles, Verhältnis der Staatsanwaltschaft zur Polizei und ihre Zusammenarbeit, dkrim 2005, 493 ff.; de Vries, Ist die Kriminalistik eine Wissenschaft? Krim 2008, 213 ff.; Fenyvesi, Der kontinentale und der angelsächsische Begriff der Kriminalistik, Krim 2014, 291 ff.; Harrer/Frank, Forensische Psychiatrie und Psychologie im Wandel der Zeiten im Blick auf die Zukunft, Festschrift Zipf 1999, 67 ff.; Kelker, Die Rolle der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren, ZStW 2006, 389 ff.; Peters, Kriminalistik und Strafrechtspflege, AfKrim Bd. 173 (1984) 1 ff.; Kunert, Strafprozessuale Beweisprinzipien im Wechselspiel, GA 1979, 401 ff.; Meurer, Beweiswürdigung, Strafrechtsgeschichte und Kriminalistik, Festschrift Geerds, 1995, 473 ff.; Schaefer, Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei, Krim 2004, 753 ff.; Schmitt, Über das Verhältnis der Kriminalistik zur strafrechtlichen Beweiswürdigung, AfKrim Bd. 190 (1992) 129 ff.