2 »Ich bin wegen eines Einstellungsgesprächs hier«, teilte Geoff der hübschen jungen Frau am Empfang mit. Sie war ungefähr Anfang dreißig, hatte ein schmales Gesicht, hohe Wangenknochen und Wimpern, die man auch als Markise hätte verwenden können.
»Sie müssen Geoffrey Stamp sein«, sagte sie, während sie ihn von oben bis unten musterte. In ihrem Blick lag eine gewisse Skepsis, als inspizierte sie ein Stück Gemüse, um festzustellen, ob es noch in Ordnung war.
»Äh … stimmt«, erwiderte er. Plötzlich wurde ihm sein Äußeres siedend heiß bewusst. Die junge Frau war makellos gekleidet und trug einen dunklen Hosenanzug sowie eine cremefarbene Bluse. Ihr schulterlanges Haar war so gleichmäßig geschnitten, als hätte man dazu eine Wasserwaage benutzt. Geoff hingegen sah aus, als hätte er in seinen Sachen geschlafen. Was auch der Fall war.
Die Empfangsdame griff nach dem Telefon und wählte eine Nummer.
»Bitte nehmen Sie doch Platz«, sagte sie lächelnd und zeigte auf eine Gruppe schwarzer Ledersessel am anderen Ende des Raums. »Wir stehen Ihnen gleich zur Verfügung.«
Außer Geoff und der Empfangsdame war niemand im Raum. Er setzte sich in einen der Sessel und starrte zur Decke hoch, die aus Milchglas bestand. Als er sich umsah, bemerkte er, dass der ganze Empfangsbereich aus Milchglas war: der Fußboden, die Wände und sogar die Tische. Genau genommen bestanden hier so viele Dinge aus Milchglas, dass das Wort eine geradezu inflationäre Bedeutung annahm.
»Geoffrey Stamp ist da«, flüsterte die Empfangsdame in das Telefon, das ebenfalls aus Milchglas war. »Ich mach nur schnell einen Test, dann bring ich ihn nach oben.« Sie legte auf.
Plötzlich leuchtete der ganze Raum eine Sekunde lang grün auf. Wenn Geoff in dem Moment gezwinkert hätte, hätte er es gar nicht mitbekommen. Was hatte denn das zu bedeuten?
»Sehr gut«, konstatierte die Empfangsdame, schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Wenn Sie mir jetzt bitte folgen würden.«
Am anderen Ende des Raums glitt leise zischend ein Teil der Wand zur Seite. Dahinter kam ein hell erleuchteter Fahrstuhl zum Vorschein.
Geoff erhob sich.
»Ich bin übrigens Ruth«, sagte die Empfangsdame, während sie ihn zum Lift führte. »Diejenige, die Ihnen den Brief geschickt hat.« Ihre hohen Absätze klackten über den Milchglasboden, was im ganzen Raum widerhallte und sich anhörte, als machte eine Stepptanztruppe ihre Übungen.
»Milchglas«, murmelte Geoff vor sich hin.
Über den Fahrstuhl ließ sich nicht viel sagen. Er war ziemlich groß, hatte Wände aus mattem Metall und einen weiß gefliesten Fußboden. Die Decke bestand aus vier Gitterfeldern, die man öffnen und durch die man hindurchklettern konnte, falls man zufällig in einen Actionfilm geriet. Kurzum, es war alles genau so wie in jedem anderen Fahrstuhl auch. Doch dann fiel Geoff etwas Merkwürdiges auf. Es gab keine Knöpfe. Keine Tafel, die die Stockwerke anzeigte. Keinen Alarmknopf. Mit anderen Worten: Der Fahrstuhl hatte noch weniger Extras als ein Toyota Prius. Was war das denn für ein Ding?
»Bitte nennen Sie Ihr Ziel«, verlangte eine synthetische Frauenstimme.
»Oberstes Stockwerk«, antwortete Ruth.
Die Tür schloss sich, der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung.
»Darf ich Sie mal was fragen?«, sagte Geoff, während er sich über die Bartstoppeln strich. Wenn er diesen Job wirklich hätte haben wollen, hätte er sich wahrscheinlich die Mühe gemacht, sich zu rasieren.
Ruth wandte sich ihm zu.
»Falls es darum geht, wie wir wissen konnten, dass Sie sich um den Job bewerben, bevor Sie Ihren Brief abgeschickt hatten – das werden Sie erfahren, wenn Sie die Stelle bekommen.«
»Das wollte ich eigentlich gar nicht fragen«, log Geoff. Er mochte es nicht, wenn man ihn durchschaute. Jetzt musste er sich schnell eine andere Frage einfallen lassen.
»Sorry«, sagte Ruth. »Das haben mich nämlich all die anderen Bewerber gefragt.«
»Die anderen Bewerber? Wie viele sind denn schon da gewesen?«
»Neunzehn. Sie sind der letzte.« Sie knöpfte sich ihre Jacke zu und schob sich ein paar verirrte Haarsträhnen hinter die Ohren. »Wir sind da. Im obersten Stockwerk.«
Die Fahrstuhltür öffnete sich, und sie traten in einen riesigen leeren Raum mit Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten und durch die man auf London hinunterblicken konnte. Es war, als käme man in ein Großraumbüro, bloß dass es hier weder Möbel noch Aktenschränke noch Automaten gab, die nichts als überteuerte Kekse verkauften. Auf dem Fußboden lagen ein paar Kabel, an der Wand lehnten zwei Leitern, und neben einer Säule aus nacktem Beton standen einige Farbeimer. Entweder diese Leute waren gerade erst hier eingezogen, oder sie hatten sich bei der Frage, wie viel Stellfläche sie brauchten, ernsthaft verschätzt.
In der hintersten Ecke saß ein alter Mann mit dem Rücken zum Fenster an einem großen Eichenschreibtisch und war in Akten vertieft. Durch das Fenster hinter ihm hatte man einen spektakulären Blick auf London, inklusive Big Ben und London Eye, sodass man, falls man wollte, die Uhrzeit feststellen und gleichzeitig Touristen die Zunge rausstrecken konnte.
»Mr. Knight wird das Einstellungsgespräch mit Ihnen führen«, flüsterte Ruth, während sie Geoffrey in Richtung Schreibtisch führte. Sie schien jetzt ein wenig langsamer als vorhin zu gehen, fast als zögerte sie aus irgendwelchen Gründen.
»Irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte Geoff.
»Nein, nein«, erwiderte Ruth, ihren Schritt beschleunigend. »Es ist nur …«
Bevor Ruth weiterreden konnten, sah der Mann am Schreibtisch auf.
»Ah!«, brüllte er. »Das ist sicher unser letzter Bewerber!« Seine Stimme dröhnte wie die eines extrem aufgekratzten Onkels durch den Raum, der bei einer Hochzeitsrede an der falschen Stelle »Bravo« ruft.
»Ja«, sagte Ruth mit lauter Stimme. »Das ist Geoffrey Stamp.«
»Sehr gut!« Mr. Knight sprang vom Stuhl und eilte ihnen entgegen. Er war groß und schien für einen Mann seines Alters ziemlich agil zu sein, da er mit beeindruckender Geschwindigkeit auf sie zukam. Sein dichtes weißes Haar hatte einen Seitenscheitel, und die tiefen Fältchen um seine Augen ließen vermuten, dass er oft lächelte. Er trug einen braunen Dreiteiler aus Tweed, glänzende braune Schuhe und eine gelbe Seidenkrawatte. Geoff schätzte, dass er schon in den Siebzigern war.
»Sie müssen entschuldigen, dass hier alles so leer ist«, sagte er, während er Geoff fest die Hand drückte, »aber wir sind gerade erst eingezogen. Bitte setzen Sie sich.«
Ruth machte kehrt.
»Viel Glück«, sagte sie über die Schulter und ging.
Geoff begab sich zum Schreibtisch und nahm in einem bequemen Ledersessel Platz.
»Also, dann wollen wir mal«, begann Mr. Knight, nachdem er sich wieder auf der anderen Seite des Schreibtischs niedergelassen hatte. Er rückte sich die Krawatte zurecht, schob seine Akten zur Seite und legte ein Blatt Papier vor sich hin. Geoff erkannte den Kaffeefleck am oberen Rand wieder – das war der Brief, den er erst vor ein paar Stunden abgeschickt hatte.
»Sehr geehrte Damen und Herren«, las Mr. Knight vor. »Hiermit bewerbe ich mich um die Stelle, die Sie in der Zeitung inseriert haben. Mein Name ist Geoffrey Stamp. Mit freundlichen Grüßen – Geoffrey Stamp.«
»Wie kommt es, dass Sie diesen Brief so schnell erhalten haben?«, fragte Geoff.
»Das ist die nichtssagendste Bewerbung, die mir je untergekommen ist«, erwiderte Mr. Knight, ohne auf Geoffs Frage einzugehen. »Weil Sie mir überhaupt nichts über Sie verrät. Weder über Ihre Hobbys noch über frühere Tätigkeiten. Sie ist völlig nutzlos.« Er knüllte den Brief zusammen und warf ihn über die Schulter.
»Aber das macht nichts«, sagte er und holte ein Klemmbrett sowie einen Kugelschreiber aus der Schreibtischschublade. »Da Sie ja hier sind, können wir nun vielleicht mehr über Sie herausfinden. Zum Beispiel über Ihre Hobbys.«
»Hobbys hab ich eigentlich keine.«
»Aber Sie müssen doch ein Hobby haben! Fußball vielleicht? Oder Lesen? Was machen Sie denn in Ihrer Freizeit?«
Geoff dachte angestrengt nach.
»Also, zur Zeit versuche ich gerade, Space Commando bis zum Ende durchzuziehen.«
»Space Commando?«
»Das ist ein Computerspiel.«
»Sie machen also gern Spiele?«
»Computerspiele.«
»Und sonst nichts?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Sie wollen also sagen, außer Computerspielen haben Sie keine Hobbys?«
»Richtig.«
»Sehr gut«, sagte Mr. Knight. »Wie oft verlassen Sie denn so Ihre Wohnung?«
»Haben Sie gerade sehr gut gesagt?«
»Das tut im Moment nichts zur Sache. Wie oft gehen Sie aus dem Haus?«
»Nicht sehr oft.«
»Könnten Sie das präzisieren?«
»Ach, ich weiß auch nicht. Ich würde sagen, heute bin ich zum ersten Mal in diesem Monat rausgegangen.«
»Heute haben wir den ersten September«, erklärte Mr. Knight mit einem Blick auf seine Armbanduhr. »Da bin auch ich zum ersten Mal in diesem Monat aus dem Haus gegangen.«
»Wir haben September?«
Mr. Knight wandte sich seinem Klemmbrett zu und machte sich eine Notiz. »Sie besuchen also keine Clubs?«
»Nein.«
»Gehen Sie shoppen?«
»Nein.«
»Spazieren?«
»Nein.«
»Wenn Sie nicht rausgehen, wie halten Sie es dann mit Ihren Freunden?«
»Mit den meisten von denen habe ich den Kontakt verloren. Der Einzige, den ich regelmäßig sehe, ist mein Mitbewohner.«
»Sonst niemand?«
»Na ja, da ist noch Zoë, unsere Postbotin. Und der Typ, der nebenan wohnt …«
»Verstehe.«
»Aber das ist nur ein Nachbar.«
»Ihr Mitbewohner, die Postbotin und Ihr Nachbar sind also die einzigen Personen, mit denen Sie Verbindung haben.«
»Glaub schon …«
»Keine Freunde … sehr gut«, murmelte Mr. Knight vor sich hin. Dann machte er sich eine weitere, wesentlich längere Notiz.
»Stimmt was nicht?«, fragte Geoffrey und versuchte, einen Blick auf das Klemmbrett zu werfen. »Ich meine, ich sage dauernd negative Dinge, und Sie sagen dauernd sehr gut.«
»Alles bestens«, erwiderte Mr. Knight, indem er das Klemmbrett umgekehrt auf den Tisch legte. »Jetzt erzählen Sie mir doch mal, was Sie schon für Jobs gehabt haben.«
»Eigentlich habe ich nur einen gehabt. Ich bin Zeitungsausträger gewesen«, gestand Geoff. »Und den hab ich vor zwei Jahren verloren, weil ich zu alt dafür war.«
»Und wofür waren Sie da zuständig?«
»Ich war Zeitungsausträger, mehr nicht.«
»Zeitungsausträger, ja, ja«, entgegnete Mr. Knight in ungehaltenem Ton. »Aber wofür waren Sie zuständig?«
»Also, wenn ich sage Zeitungsausträger, dann meine ich nicht Polizist. Ich habe Zeitungen vor die Haustüren geworfen. Entscheidungen auf Leben und Tod habe ich dabei nie getroffen, wenn ich mich recht erinnere.«
Mr. Knight lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
»Sie haben also nie einen richtigen Job gehabt«, sagte er, während er zur Decke blickte. »Sie gehen nicht aus dem Haus, Sie haben keine nennenswerten Hobbys, und außer Tim haben Sie keine Freunde.«
Geoff nickte.
»Außerdem sind Sie nicht sehr aufmerksam.« Mr. Knight erhob sich und drehte sich zum Fenster, um einen Blick auf London zu werfen. »Ist Ihnen bei dem, was ich gerade gesagt habe, nichts Merkwürdiges aufgefallen?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte Geoff.
Mr. Knight wandte sich um. »Sie haben mir überhaupt nicht erzählt, dass Ihr Mitbewohner Tim heißt.«
Geoff war so überrascht, dass er vom Sessel hochschnellte. Nachdem er einen Moment dagestanden hatte, beschloss er, sich wieder zu setzen.
»Sind Sie vom MI6?«, fragte er.
»Nein.«
»Ach.« Geoff verzog enttäuscht das Gesicht.
»Wir lassen Sie schon seit einer ganzen Weile beobachten«, erklärte Mr. Knight und nahm wieder Platz. »Sagen Sie – wollen Sie diesen Job wirklich haben?«
»Moment mal.« Geoff stand wieder auf, weil er hoffte, auf diese Weise seine Empörung zum Ausdruck zu bringen. »Was soll das heißen, dass Sie mich schon seit einer ganzen Weile beobachten lassen?«
»Genau das, was es ausdrückt.«
»Und wie lange geht das schon?«
»Das spielt keine Rolle. Vergessen Sie, was ich gesagt habe.«
»Das soll ich vergessen? Sie haben mir nachspioniert!«
»Stört Sie das?«
»Natürlich! Was ist das hier eigentlich für ein Touristikunternehmen?«
»Ein ganz normales«, sagte Mr. Knight. »Mehr kann ich Ihnen erst erzählen, wenn Sie den Job annehmen.«
»Da ist noch etwas, das Sie mir erklären müssen.«
»Was denn?«, erwiderte Mr. Knight und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte.
»Den Job. Was ist das für ein Job? Oder können Sie mir das auch nicht verraten?«
Mr. Knight schwieg.
»Okay. Ich muss den Job also annehmen, bevor ich erfahre, worum es sich bei diesem Job handelt.« Geoff dachte kurz nach. »Hört sich irgendwie verdreht an.«
»Niemand zwingt Sie, hier zu arbeiten.«
»Prima. Ich will den Job nämlich nicht«, sagte Geoff und wandte sich ab, um zu gehen.
»Setzen Sie sich«, sagte Mr. Knight. »Sie sind eingestellt.«
Geoff gehorchte und ließ sich langsam wieder auf dem Sessel nieder, der wirklich sehr bequem war. »Was?«
»Sie haben den Job«, verkündete Mr. Knight und lockerte seine Krawatte.
»Aber ich habe den Job doch gerade abgelehnt.«
»Ich weiß.« Mr. Knight warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Deshalb stelle ich Sie ja ein.«
»Pling!«, sagte Geoff.
Das war bizarr. Ursprünglich hatte er etwas wie »Was zum Teufel läuft hier eigentlich ab?« sagen wollen. Stattdessen hatte er »Pling!« gesagt. Er runzelte die Stirn und machte den Mund wie ein Fisch auf und zu, bis ihm dämmerte, dass das Geräusch nicht von ihm, sondern vom Fahrstuhl gekommen war. Die Tür glitt auf, und Ruth trat heraus.
»Ruth! Hervorragendes Timing!«, rief Mr. Knight. »Mr. Stamp hier hat den Job. Den richtigen Job, meine ich.«
»Na wunderbar«, sagte sie und lehnte sich gegen die Kante des Schreibtischs. »Irgendwie hatte ich es im Gefühl, dass Sie ihn nehmen.«
Geoff war verwirrt. »Das hier ist irgendeine Spaßsendung im Fernsehen, stimmt’s?«, fragte er und ließ den Blick zwischen Ruth und Mr. Knight hin und her wandern. »Die komischsten Einstellungsgespräche, Teil drei oder so.«
»Nein, nein, nein. Das ist kein Joke, Geoff«, erwiderte Mr. Knight.
Geoff ließ erneut den Blick zwischen den beiden hin und her wandern und wartete darauf, dass ihm jemand erklärte, was zum Teufel hier eigentlich ablief.
»Wie würden Sie reagieren, wenn wir Ihnen sagten, dass wir aus der Zukunft kommen?«, fragte Mr. Knight.
»Wie war das eben?« Geoff beugte sich vor und legte den Kopf schräg, weil er hoffte, dass sich die Frage irgendwie verändern würde, wenn sie in einem anderen Winkel an sein Ohr drang.
»Wie würden Sie reagieren, wenn wir Ihnen sagten, dass wir – ich und Ruth – aus der Zukunft sind?«, wiederholte Mr. Knight.
»Aus der Zukunft?«, hakte Geoff nach.
»Ja.«
»Der Zukunft als solcher?«
»Der Zukunft als solcher, ja.«
»Wie ich da reagieren würde? Weiß ich nicht«, sagte Geoff. »Solche Fragen werden mir nicht sehr oft gestellt. Ich bin’s eher gewöhnt, auf Dinge wie Hier herrscht Krawattenzwang, Sir oder Wir haben keine Milch mehr zu reagieren.«
»Gut, gut. Dann sage ich es noch einmal: Wir sind aus der Zukunft. Der fernen Zukunft.«
Wie sich herausstellte, bestand Geoffs Reaktion darin, dass er die Augenbrauen hochzog, tief einatmete und die Luft dann langsam wieder ausstieß.
»Ich werde versuchen, es Ihnen im Schnelldurchlauf zu erklären«, fuhr Mr. Knight fort. »Das funktioniert immer am besten. Wir arbeiten für die ZeitReisen GmbH.«
»ZeitReisen GmbH?«, sagte Geoff. »Nie gehört.«
»Natürlich nicht. Das ist eine Reiseagentur mit Sitz in der Zukunft, die Urlaubsreisen in unterschiedliche Epochen anbietet. Jedenfalls möchten wir Sie als Reiseführer für das frühe einundzwanzigste Jahrhundert gewinnen – als Zeitreiseführer, wenn Sie so wollen. Ihre Aufgabe wird genauso aussehen, als würden Sie Touristen aus einem anderen Land betreuen, bloß dass die Touristen, mit denen Sie zu tun haben, aus der Zukunft kommen. Sie werden Ihnen die Sehenswürdigkeiten zeigen und sie herumführen. Mehr haben Sie nicht zu tun.«
Mr. Knights Ausführungen hörten sich so routiniert an, als hätte er sie schon x-mal vorgetragen.
Geoff stieß immer noch langsam die Luft aus. Von dem, was Mr. Knight gerade gesagt hatte, hatte er so gut wie gar nichts verstanden.
»Haben Sie noch Fragen?«, erkundigte sich Ruth.
»Ja«, sagte Geoff. »Mich würde interessieren, ob Sie beide vor Kurzem aus der Klapsmühle entlassen worden sind.«
»Nein«, antwortete Ruth. »Wir sind ganz normale Menschen.«
»Aus der Zukunft«, fügte Mr. Knight hinzu.
»Würden Sie es als grob unhöflich empfinden, wenn ich sage, dass ich Ihnen nicht glaube?«
»Sie glauben uns nicht?«, entgegnete Mr. Knight.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Warum nicht? Weil Zeitreisen unmöglich sind!«
»Das haben die Leute auch mal über Teleportation gesagt.«
»Das sagen die Leute immer noch über Teleportation!«
»Offen gestanden«, mischte sich Ruth ein, »haben alle Zeitreiseführer so reagiert wie Sie und uns zunächst nicht geglaubt. Deshalb haben wir uns den Trick mit dem Bewerbungsschreiben ausgedacht.«
»Um zu verhindern, dass erfolgreiche Bewerber einen Rückzieher machen«, erklärte Mr. Knight.
»Wovon reden Sie eigentlich?«, stammelte Geoff.
»Nun denken Sie doch mal nach«, forderte Ruth ihn auf und bückte sich, um Geoffs zerknüllten Brief aufzuheben, den Mr. Knight auf den Fußboden geworfen hatte. »Wie hätten wir es denn schaffen sollen, Ihnen eine Antwort zu schicken, noch bevor Sie Ihren Brief in den Kasten gesteckt hatten?«
»Na ja, Sie hätten zum Beispiel … äh … tja …«
»Das wäre gar nicht möglich gewesen«, sagte Ruth, »es sei denn, wir können durch die Zeit reisen.«
Geoff blickte aus dem Fenster. Draußen wurde es allmählich dunkel, und die untergehende Sonne tauchte die Londoner Skyline in mattes rötliches Licht. In der Ferne flammten unzählige Straßenlaternen auf wie Feuerzeuge bei einem Rockkonzert.
»Sind Sie jetzt überzeugt, dass wir die Wahrheit sagen?«, fragte Mr. Knight.
»Eigentlich nicht«, erwiderte Geoff und stand auf. »Außerdem ist es schon spät. Ich muss gehen.«
»Warten Sie!«, bat Mr. Knight und schnellte von seinem Stuhl hoch. »Okay, Mr. Stamp, okay. Normalerweise machen wir so etwas nicht, aber wenn Sie uns wirklich nicht glauben, dann werden wir Ihnen den Beweis liefern.«
Er fasste in eine Schreibtischschublade und holte zwei kleine Ohrhörer heraus.
»Stecken Sie sich die in die Ohren«, verlangte er.
»Was ist denn das?«, fragte Geoff und inspizierte die Ohrhörer, die wie ganz normale, billige In-Ear-Ohrhörer aussahen, bloß dass sie kein Kabel hatten.
»Machen Sie einfach, was ich sage«, entgegnete Mr. Knight, der der Schublade ein zweites Paar Ohrhörer entnahm und sie sich selbst in die Ohren stöpselte. »Sehen Sie? Geht doch prima.«
Ruth holte ein Paar Ohrhörer aus der Hosentasche und steckte sie sich ebenfalls in die Ohren.
»Keine Bange, Geoff«, sagte sie lächelnd.
Nachdem Geoff Mr. Knight angesehen hatte, warf er einen weiteren Blick auf die Ohrhörer, die er in der Hand hatte. Da er sich nicht vorstellen konnte, dass die Dinger gefährlich waren (es sei denn, sie dudelten ihm irgendwelche Meditationsmusik ins Ohr), gehorchte er und steckte sie sich in die Ohren.
Dann lauschte er, konnte aber keinerlei Geräusche vernehmen.
»Gut«, sagte Mr. Knight. »Sind Sie bereit?«
»Bereit wofür?«, erwiderte Geoff, der sich irgendwie blöd vorkam.
»Um durch die Zeit zurückzureisen«, erläuterte Ruth.
»Ist das die Funktion dieser Ohr…«
Doch bevor Geoff seinen Satz beenden konnte, spürte er ein Prickeln und Kribbeln, als würde er elektrisch aufgeladen. Vor seinem Blick verschwamm alles, seine Handflächen wurden feucht, sein Herz schlug schneller. Plötzlich blitzte etwas auf. Geoff schloss die Augen und schlang die Arme um den Kopf. Was ging denn hier vor sich?
Dann war alles vorüber, und er fühlte sich wie immer.
»Geoff?«, sagte Ruth.
»Äh … ja?«
»Nehmen Sie die Arme runter, Geoff.« Er spürte, wie sie ihn anfasste, und zuckte zusammen.
»Alles in Ordnung, Geoff. Wir sind angekommen. Nehmen Sie die Arme runter.«
Geoff nahm die Arme runter, wagte es jedoch nicht, die Augen zu öffnen.
»Und jetzt machen Sie die Augen auf …«
Ganz langsam öffnete Geoff die Augen. Was er vor sich sah, war unbeschreiblich. Unglaublich. Unmöglich. Einfach irre.
Mr. Knight, der neben Geoff stand, legte ihm den Arm um die Schultern.
»Willkommen«, sagte er, »im Jahr fünfundsechzig Millionen vor Christus.«