James Fenimore Cooper

 

Der letzte Mohikaner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Cover: Gemälde "A Solitary Indian Seated on the Edge ofa Bold Precipice" von Charles Deas

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015

 

ISBN/EAN: 9783958703810

 

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

 

www.nexx-verlag.de

 

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Einleitung

 

Der Verfasser glaubt, in dem Text der folgenden Erzählung und den begleitenden Anmerkungen den Schauplatz derselben genugsam beleuchtet, ebenso dem Leser die zum Verständnis der meisten einzelnen Anspielungen erforderliche Belehrung in hinlänglichem Maße gegeben zu haben. Immer aber herrscht noch so viel Dunkelheit in den indianischen Überlieferungen und so viele Verwirrung in den indianischen Namen, dass einige Erläuterungen willkommen sein dürften.

 

Bei wenig Menschen findet man eine größere Verschiedenheit, wir möchten sagen, größere Widersprüche der Gemütsart, als bei dem eingeborenen Krieger von Nordamerika. Im Kriege ist er unternehmend, prahlerisch, verschmitzt, grausam, rachsüchtig, voll Selbstverleugnung und Aufopferung; im Frieden gerecht, edelmütig, gastfreundlich, bescheiden, abergläubisch und insgemein keusch. Diese Eigenschaften zeichnen zwar nicht Alle in gleichem Grade aus, bilden aber so hervorstechende Züge bei diesen merkwürdigen Völkern, dass man sie charakteristisch nennen darf.

 

Man ist allgemein der Ansicht, dass die Ureinwohner des amerikanischen Festlandes asiatischer Abkunft seien. Viele Tatsachen, sowohl im physischen als im sittlichen Gebiete, bestärken diese Meinung, und nur wenige fallen scheinbar in die entgegengesetzte Waagschale.

 

Die Farbe des Indianers ist, wie der Verfasser glaubt, ihm eigentümlich; und wenn seine Backenknochen sehr auffallend das Gepräge tatarischen Ursprungs tragen, so ist dies bei den Augen nicht der gleiche Fall. Das Klima dürfte auf erstere großen Einfluss gehabt haben; aber es ist schwer abzusehen, wie es bei den letzteren einen so wesentlichen Unterschied bewirkt haben soll. Die Bildersprache des Indianers ist in Dichtung und Rede morgenländisch: beschränkt, und vielleicht zu ihrem Vorteil beschränkt durch den engeren Kreis seiner praktischen Kenntnisse. Er nimmt seine Bilder von den Wolken, den Jahreszeiten, den Vögeln, den Vierfüßlern und der Pflanzenwelt. Hierin tut er vielleicht nicht mehr, als ein anderes tatkräftiges und phantasiereiches Volk auch tun würde, wenn es in dem Walten seiner Einbildungskraft durch den Kreis der Erfahrung in Schranken gehalten wird; aber der nordamerikanische Indianer kleidet seine Gedanken in ein Gewand, das zum Beispiel von dem des Afrikaners zu sehr abweicht und in sich selbst zu viel Morgenländisches hat, als dass es nicht auffallen müsste. Seine Sprache hat ferner ganz den Reichtum und die gedankenreiche Fülle der chinesischen; er gibt einen Satz mit einem Wort und bestimmt den Sinn eines ganzen Satzes durch eine Silbe: ja er drückt verschiedene Bedeutungen durch die einfachsten Biegungen der Stimme aus.

 

Sprachforscher, die viel Zeit auf ihr Studium verwandt haben, behaupten, dass die vielen zahlreichen Stämme, die früher das Gebiet der Vereinigten Staaten bewohnten, eigentlich nur zwei oder drei Sprachen geredet hätten. Die jetzigen Schwierigkeiten des Verständnisses der Völker untereinander sind in Sprachverderbnis und Mundarten zu suchen. Der Verfasser erinnert sich, der Zusammenkunft zweier Häuptlinge der großen Prärien westlich vom Mississippi beigewohnt zu haben, bei der ein Dolmetscher, der beide Sprachen sprach, zugegen war. Die Krieger schienen im besten Vernehmen unter sich und sprachen viel mit einander, und doch verstand nach der Versicherung des Dolmetschers Keiner ein Wort von dem, was der Andere sagte. Sie waren von feindlichen Stämmen, und nur der Einfluss der amerikanischen Regierung hatte sie einander genähert. Merkwürdig ist jedoch, dass eine gemeinsame Politik beide auf denselben Gegenstand führte. Sie forderten sich gegenseitig zum Beistand auf, falls die Wechsel des Kriegs die eine oder die andere Partei in die Hände ihrer Feinde brächte. – Welche Bewandtnis es nun auch mit dem Ursprung und dem Genius der indianischen Sprachen haben mag, eine Verschiedenheit in einzelnen Wörtern derselben liegt jetzt außer allem Zweifel, welche fast alle Nachteile von fremden Sprachen mit sich führt: daher die Schwierigkeit, ihre Geschichte zu studieren, und die Unzuverlässigkeit ihrer Überlieferungen.

 

Gleichen Völkern, die höhere Ansprüche machen dürfen, erzählt auch der amerikanische Indianer die Geschichte seines Stammes oder Geschlechts ganz anders, als andere Völker. Er überschätzt gerne seine eigenen Vorzüge und schlägt diejenigen seines Nebenbuhlers oder Feindes geringer an; ein Zug, der vielleicht die mosaische Schöpfungsgeschichte bekräftigen dürfte.

 

Die Weißen haben durch ihre Verstümmelung der Namen viel dazu beigetragen, die Überlieferungen der Ureinwohner noch mehr zu verdunkeln. So wechselte bei ihnen der Name auf dem Titel dieses Buches bald in Mohicanni, bald in Mohikans oder Mohegans; die letzte Form ist bei den Weißen die gewöhnlichste. Wenn man sich erinnern will, dass die Stämme des Landes, welches der Schauplatz der folgenden Erzählung ist, im Munde der Holländer (die sich zuerst in New-York ansiedelten), der Engländer und der Franzosen stets wieder anders klangen, und wie sogar die Indianer nicht allein ihren Feinden, sondern auch sich selbst häufig verschiedene Namen gaben, so ist die Verwirrung leicht erklärt.

 

In den folgenden Blättern werden die Namen Lenni, Lenape, Lenope, Delawaren, Wapanachki und Mohikaner von einem und demselben Volke oder von Stämmen desselben Volkes gebraucht. Die Mengwe, die Maquas, die Mingos und die Irokesen, obgleich nicht durchaus identisch, werden von den Sprechern häufig identifiziert, da sie politisch mit einander verbunden und Feinde der vorgenannten Völkerschaften waren. Mingo war ein Schimpfwort, ungleich heftiger als Mengwe und Maqua. Oneida ist der Name eines besonderen und mächtigen Stammes aus diesem Bunde.

 

Die Mohikaner waren Herren des Landes, welches in diesem Teil des Kontinents von den Europäern zuerst in Besitz genommen wurde. Sie wurden daher auch zuerst vertrieben, und das anscheinend unvermeidliche Los aller dieser Völker, welche den Fortschritten oder vielmehr den Übergriffen der Gesittung bis zum Verschwinden weichen mussten, wie das Grün ihrer Heimatwälder dem schneidenden Froste – haben wir als bereits erfüllt betrachtet. Es bleibt historische Wahrheit genug in dem Gemälde, um diese Freiheit zu rechtfertigen. Am Schlusse dieser Einleitung wird es an der Stelle sein, über einen wichtigen Charakter dieser Geschichte, der auch in drei anderen Erzählungen desselben Verfassers eine bedeutende Rolle spielt, noch einige Worte zu sagen. Einen Kundschafter in den Kriegen, welche England und Frankreich um den Besitz des amerikanischen Festlandes führten: einen Jäger in jenen Zeiten der emsigsten Tätigkeit, die dem Frieden vom Jahr 1783 unmittelbar folgten: endlich einen einsamen Streifer in den Prärien, nachdem die Politik der Freistaaten jene endlosen Öden dem Unternehmungsgeiste ihrer halbzivilisierten Abenteurer geöffnet hatte, die zwischen Gesittung und Barbarei die Mitte hielten – ein solches Individuum zu schildern, heißt mit Hilfe der Dichtung einen Zeugen für die Wahrheit jener wunderbaren Umwandlungen aufstellen, welche die Fortschritte der amerikanischen Nation bis zu einer vorher nie gekannten Höhe bezeichnen – Fortschritte, für welche Hunderte von Lebenden dasselbe Zeugnis ablegen könnten. In diesem Punkte hat unsere Dichtung nicht das Verdienst einer Erfindung.

 

Über den fraglichen Charakter hat der Verfasser weiter Nichts zu sagen, als dass er einen Mann von natürlicher Gutmütigkeit zeichnen soll, welcher den Versuchungen des zivilisierten Lebens entrückt, dennoch die Vorurteile und Lehren desselben nicht ganz vergessen hat: einen Mann, der an die Sitten und Gewohnheiten des Naturzustandes gewiesen, durch dieses Band mehr gewinnt als verliert, und die Schwächen wie die Vorzüge seiner Lage sowohl als seiner Geburt zu Tage legt. Der Verfasser wäre vielleicht der Wirklichkeit näher geblieben, wenn er ihn sittlich weniger hochgestellt hätte; aber das Gemälde hätte an Interesse verloren, und die Aufgabe des Romanschreibers ist, dem Ideale der Poesie möglichst nahe zu kommen. Nach diesem Bekenntnis braucht er kaum noch hinzuzusetzen, dass bei der Auffassung und Ausstattung dieser selbstgeschaffenen Persönlichkeit kein individueller Charakter zu Grunde lag. Der Verfasser glaubte der Wahrheit genug geopfert zu haben, indem er die Sprache und die dramatische Haltung beibehielt, derer die Rolle bedurfte.

 

Was die Örtlichkeit anbelangt, so hat der Schauplatz der folgenden Erzählung, seitdem die angedeuteten historischen Ereignisse stattgefunden haben, sich so wenig verändert, als nur irgend ein Distrikt von gleichem Umfang in dem ganzen Gebiet der Vereinigten Staaten. Moderne, gut eingerichtete Bade-Anstalten finden sich jetzt an der Quelle, wo Falkenauge Halt machte und trank: Straßen durchschneiden die Wälder, wo er und seine Freunde sogar pfadlos wandern mussten. Glenn's hat ein kleines Dorf, und während William Henry und selbst eine Festung späteren Ursprungs nur noch an Ruinen erkennbar sind, steht eine andere Ortschaft an den Ufern des Horican. Außer diesen Veränderungen hat der Unternehmungsgeist und die Schöpfungskraft des Volkes, welche anderwärts Wunder getan, wenig vollbracht. Die ganze Wildnis, in welcher sich die letzten Ereignisse unserer Geschichte zutragen, ist beinahe immer noch Wildnis, obgleich die Rothäute ganz aus ihr gewichen sind. Von allen hier genannten Stämmen sind dort nur noch wenige halbzivilisierte Oneidas auf dem ihnen in New-York vorbehaltenen Landstriche zu treffen. Die Übrigen haben entweder die Gebiete ihrer Väter verlassen, oder sind ganz von der Erde verschwunden.

 

 

Erstes Kapitel

 

Es war eine Eigentümlichkeit der Kriege, welche in den Kolonien Nordamerikas geführt wurden, dass die Mühseligkeiten und Gefahren der Wildnisse zu bestehen waren, ehe noch die feindlichen Heere sich begegnen konnten. Ein breiter Gürtel von scheinbar undurchdringlichen Wäldern trennte die Besitzungen der feindlichen Provinzen von Frankreich und England. Der kühne Pflanzer und der geübte Europäer, der an seiner Seite focht, kämpften oft Monate lang mit reißenden Waldströmen, oder suchten raue Gebirgspässe gangbar zu machen, um Gelegenheit zu finden, ihren Mut in mehr kriegerischem Kampf zu zeigen. Aber wetteifernd mit der Ausdauer und Selbstverleugnung der erfahrenen eingeborenen Krieger lernten sie jede Schwierigkeit überwinden; und es wollte scheinen, dass mit der Zeit kein Winkel in den Waldungen so finster, kein Versteck so abgelegen wäre, in den sie nicht zu dringen wagten, die ihr Blut verpfändet hatten, ihre Rache zu sättigen, oder der kalten, selbstsüchtigen Politik entfernter Monarchen Europas Geltung zu verschaffen.

 

Vielleicht gibt kein Distrikt auf der ganzen Strecke der dazwischen liegenden Grenzen ein lebendigeres Bild von der Grausamkeit und Wildheit der barbarischen Kriege jener Zeiten, als das Land, welches zwischen den Quellen des Hudson und den anstoßenden Seen liegt.

 

Die Vorteile, die hier die Natur für die Bewegungen der Kämpfenden bot, waren zu augenfällig, um nicht benützt zu werden. Der langgedehnte Wasserspiegel des Champlain erstreckte sich von den Grenzen Kanadas bis tief in die benachbarte Provinz New-York hinein, und bildete eine natürliche Straße auf der Hälfte des Landstrichs, dessen die Franzosen Meister sein mussten, um an ihre Feinde gelangen zu können.

 

Unweit seinem südlichen Ende empfängt er die Zuflüsse eines andern Sees, dessen Wasser so klar sind, dass die Missionare der Jesuiten sie ausschließlich gewählt hatten, um die sinnbildliche Reinigung der Taufe zu vollziehen, was ihm den Namen des Sees du Saint Sacrement gegeben hat. Die minder eifrigen Engländer glaubten seinen klaren Quellen Ehre genug anzutun, wenn sie ihnen den Namen ihres regierenden Fürsten, des zweiten aus dem Hause Hannover, gaben. Beide Völker vereinigten sich aber, den schutzlosen Eigentümern dieser bewaldeten Räume ihr natürliches Recht auf Verewigung seines ursprünglichen Namens Horican zu rauben.

 

Durch zahllose Inseln sich windend und in Gebirge eingebettet, dehnt sich der »heilige See« ein Dutzend Stunden weiter gegen Süden aus. Mit der hochgelegenen Fläche, welche hier dem Laufe des Wassers entgegen tritt, fängt ein Trageplatz von ebenso vielen (englischen) Meilen an, der an die Ufer des Hudson auf einen Punkt führt, wo der Fluss über die gewöhnlichen Hemmnisse reißender Strömungen oder Rifts (Riffe), wie sie in der dortigen Landessprache heißen, siegt und während der Flut schiffbar wird.

 

Da rastloser Unternehmungsgeist die Franzosen bei Verfolgung ihrer Eroberungspläne selbst in die entfernten, fast unzugänglichen Schluchten des Allegheny-Gebirges führte, so lässt sich leicht denken, dass ihr zum Sprichwort gewordener Scharfsinn die natürlichen Vorteile der soeben beschriebenen Landstrecke nicht übersehen konnte. Sie wurde auch wirklich der blutige Schauplatz, auf dem die meisten Schlachten um die Herrschaft in den Kolonien geschlagen wurden. Forts wurden angelegt auf den verschiedenen Punkten, welche die Heerstraßen beherrschten; wurden genommen und wieder genommen, geschleift und wieder hergestellt, so wie ein Sieg über feindliche Banner erfochten war. Während der Pflanzer sich von den gefährlichen Pässen in die sichereren Grenzen der älteren Niederlassungen zurückzog, sah man Heere, stärker als jene, die oft über die Throne der Mutterländer entschieden, in diese Waldungen sich vergraben, aus denen sie meist nur als Banden von Gerippen, von Sorgen abgemagert und durch Niederlagen entmutigt, wieder zum Vorschein kamen.

 

Wenn auch die Künste des Friedens in diesen unglücklichen Gegenden unbekannt waren, so wimmelten doch seine Wälder von Menschen; die lichten Punkte und Täler ertönten von kriegerischer Musik, und das Echo ihrer Gebirge warf das Gelächter oder das mutwillige Geschrei manches ritterlichen, sorglosen Jünglings zurück, der in der vollen Kraft seines jungen Mutes dahin eilte, um in die lange Nacht der Vergessenheit hinüber zu schlummern.

 

Auf diesem Schauplatz des Kampfes und des Blutvergießens trugen sich die Ereignisse zu, welche wir zu schildern versuchen, und zwar im dritten Jahre des Kriegs, welchen England und Frankreich um den Besitz eines Landes führten, das Keinem auf die Dauer zu Teil werden sollte.

 

Die Unfähigkeit seiner Heerführer draußen und der unglückliche Mangel an Energie in seinen Beratungen im Inneren hatte Großbritannien von der stolzen Höhe, auf die es die Talente und der Unternehmungsgeist seiner früheren Kriegs- und Staatsmänner gebracht hatten, herabgestürzt. Nicht länger von seinen Feinden gefürchtet, verloren seine Diener bald auch das Vertrauen auf sich selbst. Bei diesem drückenden Zustand der Erniedrigung waren die Kolonisten, obgleich unschuldig an seiner Schwäche, und zu niedrig gestellt, um an solchen Missgriffen Schuld zu haben, die natürlichen Opfer derselben. Sie hatten erst noch gesehen, wie ein auserlesenes Heer aus dem Lande, das sie bisher als Mutter verehrten und für unbesiegbar gehalten, unter den Befehlen eines Führers, der wegen seiner seltenen kriegerischen Verdienste aus einer Schaar erfahrener Kriegsmänner auserwählt worden, von einer Handvoll Franzosen und Indianer schimpflich zersprengt worden war, und vor völliger Vernichtung nur bewahrt wurde durch die kalte Besonnenheit eines virginischen Knaben, dessen Ruf, durch die Zeit gereift, sich seitdem, kraft des Eindruckes, dessen sittliche Größe nie verfehlt, bis an die äußersten Grenzen der christlichen Welt verbreitet hat. So war durch diesen unerwarteten Unstern die Grenze weithin bloß gegeben und wesentlicheren Übeln gingen tausend eingebildete und erträumte Gefahren voraus. Die bestürzten Kolonisten glaubten, das Geheul der Wilden mische sich in jeden Windstoß, der aus den endlosen Waldungen des Westens pfiff. Der furchtbare Charakter ihrer erbarmungslosen Feinde vermehrte noch die natürlichen Schrecken des Kriegs über alle Beschreibung. Zahllose neuere Gemetzel lebten noch in ihrer Erinnerung: auch war kein Ohr in den Provinzen so taub, das nicht begierig der Erzählung einer furchtbaren mitternächtlichen Mordszene gelauscht hätte, bei welcher die Eingebornen der Wälder in ihrer Grausamkeit eine Hauptrolle spielen mussten. Wenn der leichtgläubige, aufgeregte Reisende von den Gefahren der Wildnis erzählte, gerann dem Furchtsamen vor Schrecken das Blut in den Adern, und Mütter warfen ängstliche Blicke selbst auf Kinder, die im sichern Schoße der größten Städte schlummerten. Kurz, die Alles vergrößernde Furcht machte die Berechnungen der Vernunft zu Nichte, und diejenigen, welche sich ihrer Mannheit hätten erinnern sollen, zu Sklaven der niedrigsten Leidenschaft. Selbst die Zuversichtlichsten und Standhaftesten begannen zu glauben, dass der Ausgang des Kampfes zweifelhaft werden könnte, und stündlich vermehrte sich die Zahl jener Verächtlichen, welche schon alle Besitzungen der englischen Krone in Amerika von ihren christlichen Feinden erobert oder durch die Einfälle ihrer fühllosen Verbündeten verödet sahen.

 

Als daher in dem Fort, welches das Südende des Trageplatzes zwischen dem Hudson und den Seen deckte, die Nachricht eintraf, dass Montcalm mit einem Heere, zahllos wie das Laub auf den Bäumen, den Champlain herauf komme, so wurde die Wahrheit derselben mehr mit dem verzagten Widerwillen der Furcht, als mit der ernsten Freude eingeräumt, die der Krieger fühlen sollte, wenn er den Feind in seinem Bereiche findet. Die Nachricht war an einem Sommerabend durch einen indianischen Läufer eingetroffen, durch den auch Munro, der Befehlshaber eines Festungswerkes an dem Ufer des »heiligen Sees,« um schleunige und kräftige Verstärkung bitten ließ. Es wurde bereits erwähnt, dass die Entfernung zwischen diesen beiden Punkten weniger als fünf Stunden betrug. Der raue Pfad, welcher ursprünglich ihre Verbindungslinie bildete, war für Wagen erweitert worden, so dass der Weg, für welchen der Sohn des Waldes nur zwei Stunden bedurfte, von einem Corps mit seinem erforderlichen Gepäck leicht zwischen dem Auf- und Untergang der Sonne an einem Sommertag zurückgelegt werden konnte. Die loyalen Diener der britischen Krone hatten die eine dieser Waldfesten William Henry und die andere Fort Edward, nach zwei beliebten Prinzen des regierenden Hauses, benannt. Der erwähnte schottische Veteran lag in der ersten mit einem Regiment regelmäßiger Truppen und einer Anzahl Provinzialen, einer Besatzung, die in der Tat zu schwach war, der furchtbaren Macht, mit welcher Montcalm seinen Verschanzungen nahte, die Spitze zu bieten. An letzterem stand jedoch General Webb, welcher die Heere des Königs in den Nordprovinzen befehligte, mit einem Corps von mehr denn fünftausend Mann. Durch Vereinigung der verschiedenen Detachments unter seinen Befehlen hätte dieser Offizier beinahe die doppelte Anzahl Kämpfer dem unternehmenden Franzosen, der sich mit einem nicht viel stärkeren Heer so weit von seinen Reserven hervor gewagt hatte, entgegen zu stellen vermocht.

 

Von ihrem Missgeschick niedergedrückt, schienen Offiziere und Soldaten mehr geneigt, die Annäherung ihres furchtbaren Feindes innerhalb ihrer Festung zu erwarten, als sich ihrem Vorrücken zu widersetzen und nach dem glücklichen Vorgang der Franzosen bei dem Fort du Quesne einen kühnen Angriff auf die Heranrückenden zu wagen.

 

Nachdem sich die erste Bestürzung über diese Nachricht in etwas gelegt hatte, verbreitete sich durch das verschanzte Lager, das dem Rande des Hudson entlang eine Reihe von Außenwerken des Forts selbst bildete, das Gerücht, ein auserlesenes Detachment von fünfzehnhundert Mann habe mit Tagesanbruch nach dem Fort William Henry, dem Posten auf dem nördlichen Ende des Bergrückens, abzugehen. Was anfangs bloß Gerücht war, wurde bald zur Gewissheit, da aus dem Quartier des Oberbefehlshabers an die verschiedenen von ihm zu diesem Dienste ausersehenen Corps die Ordre erging, sich zum schleunigen Abmarsch bereit zu halten. Aller Zweifel über Webbs Absicht verschwand, und die nächsten paar Stunden sah man nichts, denn eilige Fußtritte und bängliche Gesichter. Der Neuling in der Kriegskunst flog von Punkt zu Punkt, seine eigenen Zubereitungen durch das Übermaß eines ungestümen und etwas unordentlichen Eifers hemmend, während der erfahrenere Krieger seine Vorkehrungen mit einer Besonnenheit traf, die allen Anschein der Eile verschmähte, obwohl seine ernsten Züge und sein unruhiges Auge verrieten, dass er keine besondere Lust zu dem noch unversuchten, gefürchteten Krieg in der Wildnis in sich verspürte. Endlich sank die Sonne in einer Flut von Glorie hinter die entfernten westlichen Hügel, und als die Finsternis ihren Schleier um den abgeschiedenen Ort zog, verstummte allmählich das Geräusch der Zurüstung. Das letzte Licht verschwand endlich aus dem Blockhauszimmer eines Offiziers; die Bäume warfen tiefere Schatten auf die Wälle und den kräuselnden Strom, und bald herrschte in dem Lager so tiefe Stille, als in dem Walde umher.

 

Gemäß den Befehlen der vorigen Nacht unterbrach das Wirbeln der Lärmtrommeln, deren schallendes Echo in der feuchten Morgenluft aus jeder Richtung der Wälder wiedertönte, den tiefen Schlaf des Heeres, als eben der Tag die rohen Umrisse einiger hohen Fichten in der Nähe an den Glanz eines milden, wolkenlosen östlichen Himmels zu zeichnen begann. Im Augenblick war das ganze Lager in Bewegung. Selbst der niedrigste Soldat sprang von seinem Lager auf, um Zeuge von dem Abmarsche seiner Kameraden und den aufregenden Vorfällen des Augenblicks zu sein. Die kleine auserlesene Truppe hatte sich bald in Marschordnung aufgestellt. Während die regelmäßigen, geübteren Soldaten des Königs sich stolz auf den rechten Flügel zogen, nahmen minder anspruchsvolle Pflanzer ihre bescheidenere Stellung auf dem linken mit einer Gewandtheit ein, die lange Übung ihnen zu eigen gemacht hatte. Die Patrouillen brachen auf, starke Bedeckungen zogen vor und hinter den schwerfälligen Gepäckwagen, und ehe das graue Zwielicht den Strahlen der Sonne gewichen war, schwenkte sich das Hauptcorps der Streiter in eine Kolonne und verließ das Lager mit einem Anschein militärischen Stolzes, welcher die schlummernden Besorgnisse manches Neulings beschwichtigte, der seine erste Waffenprobe machen sollte. So lange sie im Angesichte ihrer sie bewundernden Kameraden waren, behielten sie dieselbe stolze Haltung, dieselbe Ordnung bei, bis die Töne ihrer Querpfeifen immer mehr verklangen und der Wald endlich die lebendige Masse zu verschlingen schien, welche er eben langsam in seinem Schoß aufgenommen hatte.

 

Die tiefsten Töne der sich entfernenden und bereits dem Blick entschwundenen Kolonne erreichten nicht mehr das Ohr der Horcher, und die letzten Nachzügler waren schon den Augen entrückt. Aber immer noch sah man Anstalten zu einer andern Abreise vor einem Blockhause von ungewöhnlichem Umfang und mit größeren Bequemlichkeiten, vor welchem Schildwachen, die, wie man wusste, die Person des englischen Generals zu bewachen hatten, auf- und abgingen. Auf dieser Stelle stand ein Halbdutzend Pferde beisammen, von denen zwei, nach ihrem Sattelzeug zu urteilen, für Frauen von einem Rang bestimmt zu sein schienen, den man sonst nicht so weit in den Wildnissen des Landes zu treffen gewohnt war. Ein drittes trug das Geschirr und die Wappen eines Stabsoffiziers, während die andern, mit einfachen Decken und mit Reisetaschen beschwert, offenbar für Diener bestimmt waren, welche bereits der Winke ihrer Herrschaften gewärtig standen. In ehrerbietiger Entfernung von dieser Szene sah man verschiedene Gruppen neugieriger Zuschauer stehen, von denen einige die Rasse und den Wuchs des feurigen Schlachtrosses bewunderten, Andere mit der einfältigen Verwunderung gewöhnlicher Neugierde diese Zubereitungen betrachteten. Von letzteren unterschied sich jedoch auffallend ein Mann, der weder müßig, noch auch, wie es schien, sehr unwissend war.

 

Das Äußere dieses Menschen machte einen höchst ungünstigen Eindruck, ohne dass jedoch eine besondere Missgestaltung an ihm zu bemerken war. Er hatte alle Gebeine und Gelenke anderer Leute, aber keine Spur von Ebenmaß. Stand er, so überragte er alle Nachbarn, saß er, so schien er wieder auf die gewöhnliche Größe unseres Geschlechts reduziert. Derselbe Widerspruch in den Gliedern schien durch den ganzen Menschen zu herrschen. Sein Kopf war groß; seine Schultern eng; seine Arme lang und schlotternd; seine Hände dagegen klein und fast zart; seine Beine und Schenkel dünn, fast ausgemergelt, aber außerordentlich lang, und seine Knie wären unnatürlich plump erschienen, wenn sie nicht von den breiteren Grundlagen, auf welchen dieser falsche Bau verkehrter menschlicher Ordnungen ruhte, übertroffen worden wären. Der nicht zusammenpassende, geschmacklose Anzug des Individuums diente bloß dazu, sein linkisches Wesen noch mehr hervorzuheben. Ein himmelblauer Rock mit kurzen, breiten Schößen und niederem Kragen gab einen langen, dünnen Hals und noch längere, dünnere Beine den schlimmsten Bemerkungen Übelwollender preis. Seine untere Bekleidung bestand aus gelbem Nankin, der sich dicht am Leibe anschloss und an seinen Ungeheuern von Knien mit breiten Schleifen weißer Bänder befestigt war, welche durch den Gebrauch ziemlich beschmutzt erschienen. Dunkle, baumwollene Strümpfe und Schuhe, an deren einem ein versilberter Sporn hervorstand, vollendete das Kostüm der Niederungen seiner Gestalt: keine Krümmung oder Ecke war davon versteckt, im Gegenteil durch die Eitelkeit oder die Einfalt des Eigentümers geflissentlich an's Licht gestellt. Die unförmliche Tasche eines beschmutzten Kamisols von gewirkter Seide, mit verblichenen Silberborten schwerfällig verziert, ließ unter ihrer unförmlichen Klappe ein Instrument blicken, das in solch kriegerischer Umgebung leicht für ein unheilbringendes, unbekanntes Kriegsgerät hätte genommen werden können. So klein es war, so hatte es doch die Neugierde der meisten Europäer in dem Lager erregt, obgleich man mehrere der Provinzialen dasselbe nicht bloß ohne Furcht, sondern auch als etwas ganz Bekanntes handhaben sah. Ein großer, bürgerlicher, Hut, aufgestülpt, wie ihn in den letzten dreißig Jahren die Geistlichen trugen, ruhte über dem Ganzen, und verlieh Würde einem gutmütigen, etwas leeren Gesicht, das solch künstlicher Hilfe sichtlich bedurfte, um das Gewicht eines hohen und ungewöhnlichen Amtes zu unterstützen.

 

Während der gemeine Haufe sich in ehrerbietiger Entfernung von Webbs Quartiere hielt, ging unser Mann unbedenklich mitten unter den Dienern umher, indem er Lob oder Tadel über die Pferde ausdrückte, so wie sie ihm missfielen oder seinen Beifall hatten.

 

»Freund, ich möchte fast sagen, dieses Tier stammt nicht aus heimischer Zucht, sondern ist aus fremden Landen, vielleicht gar von der kleinen Insel über dem blauen Wasser gekommen?« sprach er in einem Ton, der sich eben sowohl durch seine Milde und Sanftheit, als seine Person durch ihre seltsamen Verhältnisse auszeichnete. »Ich kann von diesen Dingen sprechen, ohne eben zu prahlen: denn ich bin drunten an beiden Häfen gewesen, dem, welcher an der Mündung der Themse liegt und nach der Hauptstadt Alt-Englands benannt wird, und dem andern, der noch den Beisatz des ›Neuen‹ führt, und hab' gesehen, wie die Zweimaster und Brigantinen ihre Herden, wie man's einst bei der Arche tat, zusammentrieben, da sie nach der Insel Jamaica mussten, um dort mit vierfüßigen Tieren Tausch- und andern Handel zu treiben; aber nie habe ich je ein Tier gesehen, das so sehr dem Schlachtross in der Bibel gleicht, wie dieses: ›es scharrt in dem Tal und freut sich seiner Stärke: es stürmt heran, um den Geharnischten zu begegnen. Es ruft unter den Trompeten: ha, ha! und riecht die Schlacht von ferne, den Donnerruf der Führer und das Jauchzen.‹ Man sollte meinen, die Rosse Israels hätten sich bis auf unsre Zeit fortgepflanzt, nicht wahr, Freund?«

 

Als er auf diese ungewöhnliche Anrede, die, mit aller Kraft voller und klangreicher Töne vorgebracht, wohl einige Aufmerksamkeit verdient hätte, keine Erwiderung erhielt, so wandte er, der jene Worte der heiligen Schrift entlehnt hatte, sich an die schweigende Gestalt, die er absichtslos angeredet hatte, und fand einen neuen und mächtigeren Gegenstand der Bewunderung in dem Wesen, das seinem Blicke begegnete. Seine Augen fielen auf die schweigsame, aufrechte und starre Gestalt des indianischen Läufers, der die unwillkommene Nachricht vom vorigen Abend ins Lager gebracht hatte. Obgleich der Wilde, im Zustande vollkommener Ruhe, dem Anschein nach mit charakteristischem Stoizismus die Aufregung und das Geräusch umher nicht beachtete, so lag doch in seiner Ruhe ein mürrischer Trotz, der die Aufmerksamkeit selbst erfahrenerer Augen auf sich gezogen hätte, als diejenigen waren, welche ihn jetzt mit unverhohlenem Erstaunen betrachteten. Der Eingeborne trug den Tomahawk und das Messer seines Stammes; und doch war sein Aussehen nicht ganz das eines Kriegers. Im Gegenteil sprach sich in seiner Erscheinung eine gewisse Nachlässigkeit aus, wie es schien, die Folge von kürzlicher großer Anstrengung, von der er sich noch nicht ganz erholt haben mochte. Die Farben auf seinem nach Kriegerart bemalten, wilden Gesichte waren in dunkler Verwirrung in einander geflossen und machten seine schwärzlichen Gesichtszüge noch wilder und abstoßender, als wenn die Kunst hervorzubringen versucht hätte, was hier der bloße Zufall getan. Sein Auge allein, das gleich einem feurigen Stern unter finstern Wolken hervorblitzte, war in seiner natürlichen Wildheit zu schauen. Einen Augenblick nur begegnete sein forschender und doch vorsichtiger Blick dem verwunderten Auge des Andern, wandte sich dann teils aus Schlauheit, teils mit Verachtung ab und stierte dahin, als wollte es die fernen Lüfte durchdringen.

 

Es lässt sich nicht wohl bestimmen, welche Bemerkung dieser kurze und schweigsame Augenverkehr zwischen zwei so seltsamen Menschen dem weißen Manne entlockt haben würde, wäre nicht seine Neugierde auf andere Gegenstände gerichtet worden. Eine allgemeine Bewegung unter den Dienern und leise Töne zarter Stimmen kündigten die Annäherung derjenigen an, deren Gegenwart allein es bedurfte, um den Zug in Bewegung zu setzen. Der schlichte Bewunderer des Schlachtrufes wich sogleich zu einer kleinen, magern Stute mit langem, dünnem Schwanze zurück, welche das welke Gras des Lagers in der Nähe hin und wieder abweidete. Mit dem Ellbogen auf die Decke gelehnt, die statt des Sattels diente, blieb er hier ein Zuschauer der Abreise, während ein Fohlen auf der entgegengesetzten Seite des Tieres ganz ruhig seinen Morgenimbiss einnahm.

 

Ein junger Mann in der Uniform eines Offiziers führte zwei Damen, welche, nach ihrem Anzug zu urteilen, im Begriff waren, den Anstrengungen einer Reise in den Wäldern sich zu unterziehen, zu ihren Rossen. Eine, und wie es schien die jugendlichste, obgleich beide noch jung waren, vergönnte einen flüchtigen Blick auf ihr blendend weißes Gesicht, ihr schönes goldenes Haar und ihre lichten blauen Augen, indem sie die Morgenluft den grünen Schleier, der langsam von ihrem Biberhut herabfloss, kunstlos bei Seite wehen ließ. Das Rot, welches noch über den Fichten am westlichen Himmel verweilte, war nicht glühender noch zarter, als die Blühte ihrer Wangen, und der anbrechende Tag nicht lieblicher, als das seelenvolle Lächeln gegen den Jüngling, der ihr in den Sattel half. Die andere Dame, welche gleichfalls die Aufmerksamkeiten des jungen Offiziers zu Teilen schien, verbarg ihre Reize vor dem neugierigen Blicke der Soldateska mit einer Sorgfalt, die sich für vier oder fünf Jahre weiterer Erfahrung besser geschickt hätte. So viel konnte man jedoch sehen, dass sie, obschon von gleich ausgezeichnetem Ebenmaß, das durch ihren Reiseanzug Nichts an Grazie verlor, eher voller und ausgebildeter war, als ihre Begleiterin.

 

Die Damen saßen nicht sobald zu Pferd, als ihr Begleiter sich leicht in den Sattel seines Schlachtrosses schwang. Alle drei verbeugten sich jetzt gegen Webb, welcher ihren Abgang höflich auf der Schwelle seiner Wohnung erwartete, und ihrer Rosse Häupter wendend, ritten sie in einem langsamen Pass, von ihrer Dienerschaft gefolgt, nach dem nördlichen Eingang der Verschanzungen.

 

Auf dieser kleinen Strecke ließ sich unter ihnen kein Ton vernehmen: ein leichter Ausruf entfuhr aber der jüngeren Dame, als der indianische Läufer unerwartet an ihr vorüberglitt und vor ihnen auf der Heerstraße dahin eilte. Obgleich diese plötzliche und überraschende Erscheinung des Indianers der andern keinen Laut entlockte, so öffnete doch ihr Schleier seine Falten und verriet einen unbeschreiblichen Blick des Mitleids, der Verwunderung und des Entsetzens, während ihr schwarzes Auge den leichten Bewegungen des Wilden folgte. Die Locken dieser Lady waren glänzend schwarz, gleich dem Gefieder des Raben. Ihre Gesichtsfarbe war nicht braun, sondern eher in die Farbe des reichlichen Blutes getaucht, das seine Grenzen zu durchbrechen drohte. Und doch war hier nichts Unedles, kein Mangel an Schattierung in einem Gesichte, das ungemein regelmäßig, würdevoll und ausnehmend schön genannt werden konnte. Sie lächelte, als bemitleidete sie ihre eigene augenblickliche Vergesslichkeit und entdeckte dabei eine Reihe Zähne, die das reinste Elfenbein beschämt haben würden, worauf sie, ihren Schleier wieder zurecht bringend, ihr Gesicht vorwärts beugte, und stillschweigend dahinritt, wie Jemand, dessen Gedanken von der ihn umgebenden Szene abgezogen sind.

 

 

Zweites Kapitel

 

Während die eine der liebenswürdigen Damen, mit denen wir unsere Leser flüchtig bekannt gemacht, so in Gedanken vertieft war, hatte sich die andere schnell von dem leichten Schrecken erholt, der jenen Ausruf veranlasste, und über ihre eigene Schwäche lachend, fragte sie den jungen Mann, der ihr zur Seite ritt:

 

»Sind solche Gespenster häufig in diesen Wäldern, Heyward, oder ist das ein Schauspiel, das uns zu Lieb' gegeben wurde? Wenn Letzteres der Fall ist, so muss uns Dankbarkeit den Mund schließen; im ersteren Falle bedürfen Cora und ich eines reichen Vorrates von jenem ererbten Mut, dessen wir uns rühmen, selbst ehe wir noch den gefürchteten Montcalm begegnen.«

 

»Der Indianer dort ist ein Läufer von dem Heer, und kann in der Weise seines Volkes für einen Helden gelten,« versetzte der Offizier. »Er hat sich erboten, uns auf einen nur wenig gekannten Pfade schneller und folglich angenehmer nach dem See zu bringen, als wenn wir den langsamen Bewegungen des Heeres folgten.«

 

»Der Mensch gefällt mir nicht,« sprach die Lady, von angenommenem, noch mehr aber von wirklichem Schrecken schaudernd. »Sie kennen ihn doch genau, Duncan, sonst würden Sie sich nicht so unbedenklich seiner Führung anvertrauen?«

 

»Sagen Sie lieber, Alice, ich würde Sie ihm nicht anvertrauen. Ich kenne ihn, sonst würde ich ihm am wenigsten in diesem Augenblicke vertrauen. Man sagt, er sei auch ein Kanadier – und doch diente er unsern Freunden, den Mohawks, die, wie Sie wissen, eine der sechs verbündeten Nationen (Mohawks, Oneydas, Senecas, Cayugas, Onondagoes, Juscaroras). sind. Er wurde, wie ich hörte, durch einen seltsamen Vorfall zu uns gebracht, bei dem Ihr Vater beteiligt war, und wobei der Wilde hart behandelt wurde – aber ich vergaß das Geschichtchen, genug, er ist jetzt unser Freund.«

 

»Wenn er meines Vaters Feind war, so gefällt er mir noch viel weniger!« rief das nun wirklich erschrockene Mädchen. »Wollen Sie nicht mit ihm sprechen, Major Heyward, dass ich seine Stimme höre. Es ist vielleicht eine Torheit, aber Sie haben schon oft von mir gehört, dass ich auf den Ton der Menschenstimme gehe.«

 

»Das würde vergeblich sein, und höchst wahrscheinlich nur durch einen Ausruf beantwortet werden. Wenn er auch Englisch versteht, so tut er doch, wie die Meisten seines Volkes, als verstünde er Nichts davon, und am wenigsten wird er sich herablassen, jetzt zu sprechen, da der Krieg ihn zur strengsten Behauptung seiner Würde auffordert. Aber er hält inne: der geheime Weg, den wir einschlagen sollen, ist wahrscheinlich hier in der Nähe.«

 

Die Vermutung Major Heyward's war richtig. Als sie zu der Stelle kamen, wo der Indianer stand, wies er auf ein Dickicht zur Seite der Heerstraße, und ein schmaler, unansehnlicher Pfad, der, wenn auch mit einiger Unbequemlichkeit, eine Person aufnehmen konnte, wurde sichtbar.

 

»Dahin also,« sprach der junge Mann mit gedämpfter Stimme, »geht unser Weg. Zeigen Sie kein Misstrauen, oder Sie locken selbst die Gefahr herbei, die Sie zu fürchten scheinen.«

 

»Cora, was denkst Du?« fragte die widerstrebende Schöne. »Wenn wir mit den Truppen reisen, werden wir nicht, obgleich wir ihre Gegenwart lästig finden müssten, über unsere Sicherheit beruhigter sein können?«

 

»Da Sie mit den Kunstgriffen der Wilden zu wenig bekannt sind, Alice, so wissen Sie nicht, wo die Gefahr am größten ist,« fiel Heyward ein. »Wenn die Feinde überhaupt schon den Trageplatz erreicht haben, was keineswegs wahrscheinlich ist, da unsre Kundschafter draußen sind, so gehen sie sicherlich darauf aus, die Kolonne zu umzingeln, weil es hier am meisten zu skalpieren gibt. Die Straße des Detachments ist bekannt, während unser Weg, welchen einzuschlagen erst vor einer Stunde beschlossen ward, noch ein Geheimnis sein muss.«

 

»Sollen wir dem Mann misstrauen, weil seine Sitten nicht die unsern sind, und seine Haut dunkel?« fragte kaltblütig Cora.

 

Alice zögerte nicht länger; sie gab ihrem Narraganset (Pferderasse) einen tüchtigen Schlag mit der Reitgerte, drückte zuerst die dünnen Zweige der Gebüsche bei Seite und folgte dem Läufer den dunkeln, verschlungenen Pfad entlang. Der junge Mann betrachtete die letzte Sprecherin mit unverhohlener Bewunderung, und ließ ihre schönere, oder zum Mindesten nicht weniger schöne Gefährtin ohne Begleitung, während er eifrig einen Weg für jene bahnte, welche Cora genannt worden war. Die Diener mussten vorher ihre Anweisungen erhalten haben: denn statt mit in das Dickicht einzudringen, folgten sie auf der Heerstraße der Kolonne, eine Maßregel, welche nach Heyward's Angabe der Scharfsinn ihres Führers angeraten hatte, um nicht zu viel Spuren von sich zu hinterlassen, für den Fall, dass die Kanadischen Wilden sich etwa soweit dem Heer voraus in Hinterhalt legten. Mehrere Minuten lang erlaubte der verschlungene Weg keine weitere Unterhaltung. Jetzt aber gelangten sie aus dem breiteren Saume des Unterholzes, das sich die Heerstraße entlang erstreckte, unter das hohe und dunkle Bogendach der Waldbäume. Hier war ihr Vordringen weniger unterbrochen, und sobald der Führer merkte, dass die Damen über ihre Pferde freier verfügen konnten, schlug er einen stärkeren trottartigen Schritt an, der die sicherfüßigen Tiere in einen schnellen, aber leichten Pass versetzte. Der junge Mann hatte sich umgewendet, um mit der schwarzäugigen Cora zu sprechen, als ihn entfernte Hufschläge, die über die Wurzeln des holperigen Weges hinter ihnen daher stampften, veranlassten, sein Schlachtross anzuhalten. Auch seine Begleiterinnen hielten in demselben Augenblick ihre Zügel an, die ganze Partie machte Halt, um Aufschluss über die unerwartete Unterbrechung zu erhalten.

 

In wenigen Augenblicken sah man ein Fohlen wie einen Damhirsch durch die geraden Fichtenstämme schlüpfen und gleich darauf die Person des unbehilflichen Mannes, den wir in dem vorigen Kapitel beschrieben haben, zum Vorschein kommen, wie er sein mageres Tier zu so viel Eile antrieb, als dieses ertragen konnte, ohne dass es zu einem förmlichen Sturz kam. Bis jetzt war diese Persönlichkeit der Beobachtung unserer Reisenden entgangen. Besaß er die Macht, das Auge des Wanderers zu fesseln, wenn er zu Fuß die volle Glorie seiner Körperhöhe entfaltete, so musste die Grazie des Reiters die gleiche Aufmerksamkeit erregen. Trotz der beständigen Tätigkeit der einen bewaffneten Ferse gegen die Seite seiner Stute, war doch der stärkste Lauf, in den er sie bringen konnte, ein leichter Galopp mit den Hinterbeinen, in welchen die vorderen nur in zweifelhaften Momenten mit einstimmten, gemeinhin aber sich begnügten, einen hüpfenden Trott einzuhalten. Vielleicht brachte der schnelle Wechsel dieser Bewegungen eine optische Täuschung hervor, welche die Kräfte des Tiers scheinbar vergrößerte. Denn so viel ist gewiss, dass Heyward, der doch ein scharfes Auge für die Verdienste der Pferde hatte, bei allem Scharfsinn nicht im Stande war, zu entscheiden, durch welcherlei Bewegung sein Verfolger die Krümmungen des Weges mit so ausdauernder Kühnheit zurücklegte.

 

Der Eifer und die Bewegungen des reitenden Teils waren nicht minder merkwürdig, als die seines Rosses. Bei jedem Wechsel der Evolutionen des Letzteren erhob der Erstere seine hagere Gestalt in den Bügeln, und bewirkte durch die ungebührliche Verlängerung seiner Beine ein so plötzliches Wachsen und Zusammensinken seiner Gestalt, dass jede Vermutung über seine eigentlichen Dimensionen vereitelt wurde. Fügen wir noch die Tatsache hinzu, dass durch den einseitigen Gebrauch des Sporns eine Seite der Mähre sich schneller zu bewegen schien, als die andere, und dass die misshandelte Flanke durch unablässige Schläge mit dem buschigen Schwanze bezeichnet ward, so haben wir das treue Bild von Ross und Mann.

 

Die Runzeln, welche sich um die schöne, offene und männliche Stirn Heyward's gesammelt hatten, glätteten sich allmählich und um seine Lippen kräuselte ein leichtes Lächeln, als er den Fremden betrachtete. Alice strengte sich nicht eben an, ihre Heiterkeit zu unterdrücken, und selbst das schwarze, sinnige Auge Cora's erglänzte von einer Laune, welche mehr Gewohnheit als die augenblickliche Stimmung seiner Gebieterin zu bewältigen schien.

 

»Suchen Sie Jemand?« fragte Heyward, als der Andere nahe genug gekommen war, um seine Eile zu mäßigen: »ich hoffe, Sie sind kein Unglücksbote.«

 

»Ja gewiss,« erwiderte der Fremde, indem er fleißigen Gebrauch von seinem dreieckigen Castor machte, um eine Zirkulation in der geschlossenen Luft des Waldes zu bewirken, und seine Zuhörer in Zweifel ließ, auf welche der Fragen des jungen Mannes er antwortete. Als er jedoch sein Gesicht abgekühlt hatte und wieder zu Atem gekommen war, fuhr er fort: »ich höre, Sie reiten nach William Henry, und da ich ebendahin reise, so schloss ich, gute Gesellschaft würde mit den Wünschen beider Parteien zusammentreffen.«

 

»Sie scheinen das Vorrecht der entscheidenden Stimme zu haben,« erwiderte Heyward; »wir sind unser drei, und Sie haben Niemand, als sich selbst zu Rat gezogen.«

 

»Gewiss. Das Erste, worüber wir im Reinen sein müssen, sind wir selbst. Ist man dessen gewiss – und wo Weiber mit im Spiel sind, ist dies nichts Leichtes – so ist das Nächste, dem Entschlusse gemäß zu handeln. Ich suchte beides zu tun und hier bin ich.«

 

»Wenn Sie nach dem See reisen,« versetzte Heyward stolz, »dann sind Sie nicht auf dem rechten Wege, die Straße liegt wenigstens eine halbe Meile hinter uns.«

 

»So ist es,« erwiderte der Fremde, durch den kalten Empfang nicht entmutigt. »Ich habe mich in Edward eine Woche aufgehalten, und müsste stumm sein, wenn ich mich nicht nach dem Weg, den ich zu nehmen habe, erkundigt hätte; und wäre ich stumm, so hätt's auch mit meinem Beruf ein Ende.«

 

Er lächelte vor sich hin, wie Einer, dem die Bescheidenheit verbietet, seine Bewunderung über einen zum Besten gegebenen, den Zuhörern aber unverständlichen Witz offen darzulegen, und fuhr dann fort: »Es ist nicht klug bei Leuten von meinem Beruf, mit denen, welche sie zu unterrichten haben, sich zu gemein zu machen: deshalb folge ich nicht dem Heereszug; zudem glaube ich, dass ein Gentleman Ihres Standes am besten zu reisen weiß, und habe mich daher entschlossen, Ihnen Gesellschaft zu leisten, damit der Weg durch gegenseitige Mitteilung unterhaltender werde.«

 

»Ein äußerst willkürlicher, wo nicht voreiliger Entschluss!« rief Heyward, unentschlossen, ob er seinem steigenden Ärger Luft machen oder dem Sprecher ins Gesicht lachen sollte. »Aber Sie reden vom Unterrichten und von Beruf; sind sie dem Provinzialcorps beigegeben als Lehrer in der edlen Kunst der Verteidigung und des Angriffs? oder sind sie vielleicht Einer, der Linien und Winkel zieht und vorgibt, die Mathematik auszulegen?«

 

Der Fremde sah den Frager einen Augenblick verwundert an, dann aber löste er jede Spur von Selbstzufriedenheit in einen Ausdruck feierlicher Demut auf und antwortete:

 

»Von Angriff ist, hoffe ich, auf keiner Seite die Rede. Was die Verteidigung betrifft, so brauch' ich mich nicht zu verteidigen. Mit Gottes Gnade habe ich keine offenbare Sünde begangen, seitdem ich ihn zum letzten Mal um Vergebung gebeten. Ich verstehe Ihre Anspielungen auf Linien und Winkel nicht, und überlasse das Auslegen denen, die besonders zu diesem heiligen Amte berufen sind. Ich mache auf keine höhere Gabe Anspruch, als auf eine geringe Einsicht in die glorreiche Kunst des Lobgesangs und Danksagens wie sie bei dem Psalmsingen dem Himmel dargebracht werden.«

 

»Der Mann ist offenbar ein Schüler Apollos,« rief die belustigte Alice, »und ich nehme ihn unter meine spezielle Protektion. Nein, weg mit diesen Runzeln, Heyward, aus Mitleid für meine neugierigen Ohren lassen Sie ihn in unsrem Gefolge reisen. Überdies,« fuhr sie in gedämpftem und hastigen Tone mit einem Blick auf die entfernte Cora, welche langsam den Tritten ihres schweigsamen und düstern Führers folgte, fort: »kann er vielleicht als Freund im Falle der Not unsre Kräfte verstärken.«

 

»Glauben Sie, Alice, ich würde diejenigen, die ich liebe, auf einen geheimen Pfad führen, wenn ich mir dächte, dass eine solche Not kommen könnte?«

 

»Nein, nein, ich denke jetzt auch nicht daran; aber dieser seltsame Mann belustigt mich, und wenn er ›Musik in seiner Seele hat,‹ so wollen wir ihn nicht lieblos aus unsrer Gesellschaft verweisen.« Sie deutete mit ihrer Reitgerte bittend nach dem Pfade hin, indes beider Augen in einem Blicke sich begegneten, den der junge Mann gerne verlängert hätte; dann gab er ihrem begütigenden Einfluss nach, stieß seinem Rosse die Sporen ein, und in wenigen Sprüngen war er wieder an Cora's Seite.

 

»Es freut mich, Dich zu treffen, Freund,« fuhr Alice fort, dem Fremden mit der Hand winkend, weiter zu reiten, indem sie ihren Narraganset wieder in einen Pass zu bringen suchte. »Parteiische Verwandte haben mich beinahe überredet, dass ich bei einem Duett nicht übel anstehen könne, und wir erheitern uns den Weg, wenn wir unsrer Lieblingsneigung in etwas nachgeben. Es wird einem Wesen, das so unwissend ist, wie ich, zu besonderem Vorteil gereichen, die Meinungen und Erfahrungen eines Meisters in der Kunst zu vernehmen.«

 

»Es ist erfrischend für Geist und Leib, sich zu seiner Zeit durch Singen von Psalmen zu erquicken,« erwiderte der Meister im Gesang, indem er unbedenklich ihrer Einladung folgte; »und Nichts dürfte dem Gemüt sowohl tun, als eine solche Vereinigung. Aber vier Stimmen sind erforderlich, um eine Melodie gehörig auszuführen. Nach allen Anzeigen besitzen Sie einen sanften und vollen Diskant; ich kann, durch absonderliche Gunst des Himmels, einen vollen Tenor auf die höchste Note führen; aber es fehlt uns noch ein Alt und ein Bass! Der königliche Offizier dort, welcher mich nicht in seine Gesellschaft aufnehmen wollte, könnte den letzteren übernehmen, wenn ich nach den Intonationen seiner Stimme im gewöhnlichen Gespräche schließen darf.«

 

»Urteilen Sie nicht zu voreilig nach flüchtigen und täuschenden Scheinbarkeiten,« entgegnete lächelnd das Mädchen, »wenn Major Heyward auch bei Gelegenheit solche tiefe Töne anstimmen kann, so glauben Sie mir, dass seine natürliche Stimme sich mehr zu einem weichen Tenor, als für den Bass eignet, den Sie gehört haben.«

 

»Ist er also im Psalmsingen besonders erfahren?« fragte ihr schlichter Begleiter.

 

Alice hätte gerne laut aufgelacht, bezähmte aber ihre Laune, als sie antwortete:

 

»Ich fürchte, er hält es mehr mit weltlichem Gesang. Das wechselnde Soldatenleben ist wenig geeignet, ernstere Neigungen zu begünstigen.«

 

»Die Stimme ist dem Menschen, wie andere Talente, zum Gebrauch, nicht zum Missbrauch gegeben. Mir kann Niemand nachsagen, dass ich je meine Gaben vernachlässigt habe. Ich danke Gott, dass, obgleich ich schon meine Jugend, wie König David, der Musik gewidmet habe, kein profaner Vers jemals meine Lippen entweihte.«

 

»So haben Sie denn Ihre Kunstversuche auf den heiligen Gesang beschränkt?«